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7. »À la ...

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Es ist leicht verständlich, daß man, wenn man Tages- oder Literaturhelden ihre Eigentümlichkeiten ablauschte, ihre Tracht, ihre Frisur nachäffte – die sie vielleicht selbst erfunden hatten – eben diese Eigenart, diese Tracht des Körpers wie des Haares oder der Seele nach dem Vorbild benannte. Die Byronlocke, die Lavallièrekrawatte, der Mozartzopf, der Robespierrekragen, die Wertherstimmung sind gleichsam historische Illustrationen einer Zeitspanne, aus der sie stammen. Anders steht es mit dem »à la« im Reich der Gastronomie. Man begreift oft nicht den Zusammenhang zwischen attributiver Bezeichnung und Subjekt. Ist der berühmte Mann selbst der Erfinder gewesen oder nur sein Koch? Vielleicht hat der betreffende Kochkünstler einfach einem delikaten Gericht einen verehrten Namen gegeben, ohne sich um die Psychologie des Gerichtes (denn auch ein Gericht hat Seele, die man »Aroma« nennt) oder des Paten zu kümmern, so wie ein amerikanischer Schmalzsieder seinen Sprößlingen gern die Vornamen Napoleon und Queen Elizabeth gibt. Hier fällt mir eine gastrosophische Eigentümlichkeit auf: außer dem Pfirsich à la Melba, den Lucca-Augen (die aber nur in Norddeutschland bekannt sind, ebenso wie die Schillerlocken), der Crême Hortense und der Soupe à la Bagration – auf die ich später zurückkomme – kenne ich kein Gericht von internationaler Bedeutung, dessen Titel es als einer Dame gewidmet bezeichnet. Ja, die Frauen, diese von der Natur nach Ansicht vieler Männer noch jetzt ausschließlich für Haus und Küche vorgebildeten Wesen, sind niemals den großen Feinschmeckern zugerechnet worden. Sei es, daß sie zu »ideal« – vom Manne gewollt wurden, um den Tafelfreuden große Aufmerksamkeit zu schenken; sei es, daß sie stets für ihre Figur fürchteten; sei es, daß sie auf diesem, wie leider auf manchem anderen Gebiet nur ausführend, nicht aber selbstschöpferisch begabt waren: die Geschichte der Gastronomie nennt nicht eine Künstlerin vom Range eines Taillevent, der Obermundkoch Karls VII. war, noch gar eine geistvolle Feuilletonistin der Bratensauce wie Brillat-Savarin, eine Lecker-Philosophin wie Dumas, eine Schlemmkünstlerin wie Lucullus ... Auch in der schönen Literatur wurde die Gaumenheldin vernachlässigt. Ich weiß mich nur der Goetheschen Köchin von der »Ratt' im Kellerloch« zu entsinnen – und die war Giftmischerin. Der so köstlich reimende Pastetenbäcker im »Cyrano von Bergerac«, der Pfannenkönig in Anatole Frances »Rôtisserie de la Reine Pédauque«, der Koch und Küchenjunge, die im Dornröschenschlaf miterstarrten, sie alle sind männlichen Geschlechts. Freilich, das Böcklein, das Jakob des Vaters Segen eintrug, hatte Rebekka zubereitet, aber das so verführerische Erstgeburtsrechts-Linsengericht ist von Jakob selbst gekocht worden ... Wir kennen in der Geschichte berühmte gekrönte Vielesserinnen: Anna von England, Kaiserin Katherina II., Hü-Hsi von China u. a. m. Keine aber hat auch nur dem armseligsten Ragout ihren Namen gegeben, keine geht durch eine pikante Sauce der Nachwelt glatt über die Zunge ...

Unter den Heerführern im Reich des Eßbaren stehen Franzosen an erster Stelle. Das zungenfeine Erbe des verfallenden Roms ging auf sie über. Trotz aller mittelalterlichen, von Grausamkeit und Erotik durchsetzten Schwelgereien des päpstlichen Italien hat sich keine italienische Köcheschule ausgebildet. Aber es gab Zeiten, in denen jeder »petit maître« diesseits wie jenseits des Rheins seinen französischen »Chef« haben mußte. Ja, die intimere Geschichte ist reich an förmlichen Raubzügen auf berühmte Kochkünstler, und oft machte der Gast nach wohlgelungenem Mahle dem freundlichen Wirt sein Juwel abspenstig. Um einen »Chef« nach entlegenen Strecken, z. B. ins Innere Rußlands, zu schaffen, wurde so manchesmal neben der goldenen Lockung auch Gewalt angewendet. Gerade Rußland stand – und das ist sehr merkwürdig – lange ehe man dort irgendwelche sonstige Zivilisations- oder Kunstspuren findet – schon auf einer hohen kulinarischen Warte. Ich will hier die schmackhaften Nationalspeisen ausschalten, die jedes Land, besonders aber Rußland, auszeichnen, um mich einer Reihe von Gerichten zuzuwenden, die ihre klingenden Namen über alle Grenzen getragen haben. Bei den Russen wäre der Kartoffelsalat à la Démidoff und die schon Eingangs erwähnte Soupe Bragation zu nennen. Fürst Anatol Demidoff lebte allerdings viel in Paris, wo er die Trüffelscheiben in Madeira, den Esdragon und die »raves« (Wasserrübchen), die in den Salat gehören, an der Quelle studierte. Fürst Bragation jedoch war ein derber Haudegen der napoleonischen Zeit; das Feldlager ist keine günstige Basis für kulinarische Operationen. Seine berühmte Suppe, die freilich ganz kriegsgemäß mit Fleischbrühe, Fischzusatz und Curry beginnt, weist aber mit ihren Seezungenschnitten und Krebsschwänzen weiter nach Westen, seine Witwe zog später nach Paris. So wird denn wohl der Geburtstag der Suppe in ihr Regime fallen.

Aus Österreich-Ungarn sind den Tafelfreudigen die Namen Esterhazy und Palfy geläufig. Welche Mitglieder der beiden großen Magnatenfamilien ihrem Rostbratl den reichen Zwiebelschmuck gleich einer Ehrenkette verliehen, welche zuerst ihre Nudeln mit Vanillecrême füllen ließen, ist leider unbekannt geblieben, doch dürfte die letztgenannte Mehlspeise bis weit in das sechzehnte Jahrhundert zurückreichen, als ein Palfy eine Fuggerin aus der Urheimat der Nudeleien vor den Altar führte. Bei einem Festessen des Großherzogs von Hessen zu Mainz wurde auch ein Eis à la Lerchenfeld gegessen, das fraglos auf den bayrischen Gesandten dieses Namens hinweist und vielleicht eine Huldigung für diesen selbst bedeutete, der als Gast anwesend sein mochte, denn das Eis ist sonst ganz unbekannt. Unter den Reichsdeutschen haben sich zwei Aristokraten einen großen gastronomischen Namen geschaffen: Fürst Pückler-Muskau und der Graf zu Münster. Beide sind selbstschöpferisch tätig gewesen, sowohl mit der Kelle wie mit der Feder. Sie haben treffliche Kochbücher geschrieben und zahllose Gerichte erfunden, von denen einige auch ihren Namen tragen. Das interessante Leben Pücklers ist bekannt durch seine vielgelesenen Memoiren; bekannt ist auch die köstliche Parkanlage, durch die er Muskau zu einem Paradies umwandelte. Am bekanntesten aber ist sein Eis aus heiterem Himbeerrosa, sanftem Vanillegelb und melancholischem Schokoladenbraun und mit den winzigen bittern Makronenplätzchen: so recht ein Abbild seines liebenswürdigen leichtlebigen Charakters, dem das Geschick manche Bitternis einstreute. Graf Münster fand neben seiner regen diplomatischen Tätigkeit noch Zeit zur Erfindung einer wonnevollen Leberpastete, deren Farce aus leicht angeräucherter Kalbsleberwurst bestand, und die in säcula säculorum seinen Namen tragen wird.

Deutschen Ursprungs, wenn auch im achtzehnten Jahrhundert nach Rußland übergesiedelt, sind die Nesselrodes. Graf Karl Robert von Nesselrode war an den Gesandtschaften in Berlin, im Haag, endlich auch in Paris tätig. Mehrere Süßspeisen, Crêmes, Eisbomben und Puddings tragen seinen Namen; Maronen spielen eine große Rolle in ihrer Zusammensetzung. Alles ist darin ausgeglichen, ohne Exzentrizität, gleichsam vorsichtig im Geschmack, ganz diplomatisch ...

Wir sehen, wie selbst bei nichtfranzösischen Feinschmeckern sich fast immer ein Aufenthalt in Paris feststellen läßt; welcher Glanz strahlt aber erst aus dieser Gralsburg des Gaumenkitzels selbst! Allen voran muß Brillat-Savarin genannt werden, der hohe Priester der feinen Zunge, der mehr Gourmet denn Gourmand war, Psycho-Physiologe des Geschmackes und Verehrer des guten Bissens in edler Form. Der Name ist selbst der unbelesensten Hausfrau geläufig durch die porösen Teigränder, die mit Arrak getränkte Früchte oder Crêmes in ihrem lockern Rund bergen. Man merkt diesen behaglichen Savarins nichts von dem unstäten Leben ihres Erfinders an, der, ein kleiner Advokat, Legitimist (wann wäre je ein Feinschmecker Revolutionär gewesen!), während des Terrorismus fliehen mußte, vom Direktorium wieder angestellt wurde und während der Restauration wie ein braver Philister seinen Posten am Cassationshof ausfüllte. Übrigens veröffentlichte er sein Buch von der »Physiologie des Geschmackes« erst ein Jahr vor seinem Tode. Herrn von Chateaubriand, dem Essayisten und Diplomaten, der Vorkämpfer und Häuptling der romantischen Schule in Frankreich war, ein Meister des Stils und zugleich ein eitler Streber, mögen die saftigen Ochsenfleischstücke, die uns heute unter seinem Namen geläufiger sind, als sein »Génie de Christianisme«, wohl zugesagt haben; sie entsprechen nicht nur seinem Appetit, sondern auch seiner Lebensführung, genau wie die aus Schalottezwiebelchen gewonnenen, dicklich gebundenen Saucen der des Prinzen von Soubise. Die Soubise-Sauce verschleiert nur zu oft die Magerkeit und mindere Qualität des ihr unterbreiteten Koteletts und läßt einen schlechten Nachgeschmack zurück, so pikant sie auch zuerst der Zunge dünkt. Ihr Pate verstand es, seine Feigheit und seine schimpfliche Niederlage bei Roßbach und die durch den Prinzen Louis Ferdinand leidlich zu verschleiern, wofür er in der Dubarry eine feste Stütze suchte und fand.

Übrigens darf man die etwas trübe Soubise nicht mit der heitern Béchamel-Sauce verwechseln, mit der sie eine oberflächliche Verwandtschaft zeigt. Marquis Rointel-Béchamel war Haushofmeister des Sonnenkönigs. Er gab ein höchst kurioses Kochbuch in Versen heraus unter dem Pseudonym Le Bas und gilt als Erfinder diverser Vorspeisen: des leichtsinnigen Vol-au-vent, eines Blätterteigrands mit Geflügelleber oder Zungenragout, und der kleinen warmen Pasteten. Die Meisterleistung seines Lebens aber ist die Sauce Béchamel, sämig, licht und kräftig zugleich und vielfach verwendbar, ganz wie er selbst es war, der für alle Liebhabereien seines hohen Herrn ausgiebig zu sorgen verstand.

Ein anderer Freund Ludwig XIV. war der Herzog von Villeroi, der mit ihm zusammen erzogen wurde. Seinen staatsmännischen Ruhm hat man vergessen, aber das Aalgericht, dem er den Namen gab, mit seiner fetten Ölmarinade und dem flotten Champagnernachguß seiner Lorbeersauce, paßt vortrefflich in die höfische Atmosphäre des Roi soleil und ist noch heute berühmt, obgleich die Sonne längst niederging. Welchem von den Condés zu Ehren aber wurden die Früchte mit Reis, nach welchem Condé die berühmte Jagdsuppe aus Linsen und Hirschfleisch benamset? Dem großen Condé, dem Gegner Mazarins, oder dem wildausschweifenden Ludwig Heinrich, der sein Vermögen dem Herzog von Aumale vermachte? Oder dem andern, der seine erzwungene Muße während der Verbannung in Chantilly vielleicht zu solchen Studien verwandte? Oder hat keiner von ihnen ihre Namensspeisen gekannt, sowenig wie Colbert die Suppe von zarten Endivienhäuptchen und Seezungenschnitten mit Muscheln und Rahmsauce, die noch heute in jedem feinen Pariser Restaurant zu finden ist und seinen Namen trägt? Welcher Conti mag die sanfte Hühnerbraise zur getrüffelten Kalbsmilch inspiriert haben? Ich denke mir, Armand, der verkrüppelte und schwächliche Bruder des großen Condé und Gatte von Mazarins Nichte; ich kann mir keine Vorliebe eines gesunden Mannes für die weichliche Kalbsmilch vorstellen, und noch dazu in Hühnerbraise! ...

Mazarin selbst führte übrigens einen auserlesenen Tisch; seine fetten Fastenspeisen waren sehr berühmt. Eine besonders leckere Törtchenart ist uns als »Mazarinen« überkommen; bei ihnen bildet ebenfalls der butterige Blätterteig den Grundgedanken. Aber schon unter Ludwig XIII. speiste man mit Delikatesse. Der Großmarschall Marquis von Monglas war ein vielgenannter phantasiereicher Küchendilettant. Auch seinen Staatsruhm haben seine Ragouts zum Rehfilet, seine Sauce poivrade, seine Trüffelkompositionen lange überlebt. À propos Trüffeln: Wer den Namen ihrer Heimat auch den seinen nennen darf, ist doch geradezu zum Schlemmer vorbestimmt! Das hat der große Diplomat Fürst von Talleyrand-Périgord richtig empfunden. Man speiste fast noch lieber bei ihm, als man mit ihm plauderte; und er war doch einer der feinsten Causeurs jener geistreichen Zeit. Auch ohne die mit frischen Kräutern gemischten Fleisch- und Fischpasteten à la Talleyrand wird er unvergessen bleiben, ebenso wie der ältere Dumas, dessen Kochbücher mit seinen Romanen rivalisieren. Ja, ich muß gestehen, daß mir sein bekannter Salat aus Romaine, Krebsen, Sardellen, Kerbel und roten Rüben weitaus interessanter ist als seine »Drei Musketiere«, daß ich aber andererseits den »Grafen von Monte-Christo« seinen Lebercroûtons mit Gemüse vorziehe. Ein weniger berühmter Schriftsteller, aber desto berühmterer Koch – die Memoiristen des Wiener Kongresses schwärmen von ihm – war Antonin Carême. Ich kenne zwar kein Gericht seines Namens – aber habe an seinen Büchern, besonders am »Pâtissier pittoresque« viel Freude gehabt.

Unter den italienischen Feinschmeckern ist Don Frangipani rühmlich bekannt. Er, dessen Ahnen einst den hungernden Römern Brot gaben – was ihnen ihren Namen eintrug – hat der Nachwelt eine wohlschmeckende Crême hinterlassen, eine Art dicken Chaudeaus, die sowohl als Tortenfüllung wie als Ding an sich verwendbar ist. Spanien scheidet ganz aus der Reihe der Küchenkulturträger aus. Aber auch ohne erlauchte Namen ist kein einziges der scharfgewürzten, knoblauchduftigen, übersüßen Leibgerichte der Sennoras in die europäische Kost übergegangen. Aus England sind ein paar allbekannte Gerichte benannt worden. Zunächst ist da die Königin der kalten Saucen, die rotlockende Cumberland, die in ihrer pikanten Zusammensetzung von Rotwein, Johannisbeergelee und Senf eine treue Begleiterin des sanft-üppigen Schinkens von York ist, wie denn eine leichte Unterströmung von Grausamkeit zum Charakter der Herzöge von Cumberland gehörte, besonders zu dem jenes Wilhelm August, der seinen Sieg über die Stuarts so blutig ausnutzte.

Einen psychologischen Zusammenhang zwischen Nelson und dem Backteig, in dem das Filet bei gleicher Benennung gewickelt wird, kann ich nicht entdecken. Der brave Seeheld hat sich weiß Gott nie vorsichtig eingehüllt, wenn er sich dem Feuer aussetzte ... Tausend Fäden führen von der Zunge über den Magen zum Hirn und vom Hirn in die Kunst, in die Politik, in das praktische Leben überhaupt. Wie oft wird ein Frühstück oder sein Mangel zum Symbol. Bittre Philosophen haben zumeist einen schlechten Magen; große Tyrannen einen verdorbenen, abirrenden Geschmacksnerv. Auf ihnen lastet des Kochbuchsängers Fluch: Vergessenheit. Es gibt keine rohen Pasteten à la Nero, keine Sauce à la Danton, keine Crême à la Schopenhauer – sie müßte denn sauer sein; – keinen Auflauf Philipp II. Die Erinnerung an den Paten darf den Esser nicht beim Genuß des Gerichts beschweren. In wem quillt nicht ein heiterer Melodienstrom auf beim Tournedos Rossini mit seiner lebernen Fermate, oder bei den Eiern à la Meyerbeer mit ihrem Staccato aus Trüffelstäbchen? Wer äße nicht mit patriotischer Empfindung den Spargel à la Bismarck, der seinen Namen von den dazu servierten Kibitzeiern hat, wer nicht mit Wehmut Pâté de foie gras à la Jenny Lind? Es ist ein Eignes um das Heraufbeschwören kulinarischer Geister! Nirgends paßt so gut wie hier das Wort, daß Erinnerung nicht satt macht, und es kann dem Delikateßfeuilletonisten gehen wie Goethes Zauberlehrling: er wird die Geister, die er rief, nicht wieder los. Es ist geradezu gefährlich für einen Autor, sich in so suggestive und hinreißende Phantasien zu verlieren ...


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