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Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland

Es gibt noch keine Geschichte der proletarischen Frauenbewegung Deutschlands. Insbesondere dürftig und unvollständig sind die Angaben über die ersten Ansätze der Bestrebungen, den Klasseninstinkt der Proletarierinnen zum klaren Klassenbewußtsein zu läutern und sie als gleichverpflichtete und gleichberechtigte organisierte Mitstreiterinnen dem allgemeinen proletarischen Emanzipationskampf zuzuführen. Von manchen der Frauen, die vor langen Jahren die mühselige und opferreiche Arbeit der ersten Aufklärungs- und Organisationstätigkeit unter dem weiblichen Proletariat geleistet haben, gelten die Worte: »gestorben, verdorben, zerstreut«. Die wichtigen Aufschlüsse, die sie über die Kindheitsgeschichte der klassenbewußten proletarischen Frauenbewegung geben könnten, haben sie mit ins Grab oder in die Weite genommen. Die Lebensbedingungen haben allen Trägern und Trägerinnen der frühesten Bewegung verwehrt, die Schätze des Materials zu sammeln und zu sichten, die ihre Kästen und ihre Erinnerungen bergen. Heute dürften kaum noch einzelne der Frauen und Männer leben. Alle aber, die einen zusammenfassenden geschichtlichen Überblick über die Entwicklung der proletarischen Frauenbewegung geben wollten, haben darauf verzichtet, ihren ersten organisierten klassenmäßigen Anfängen auf Grund eines selbständigen Quellenstudiums nachzugehen. Sie begnügten sich damit, bereits aufbereitetes Material zu verarbeiten oder auch wohl, es einfach zu übernehmen. Solches Material, das wertvoll und dabei leicht nutzbar war, lag aber nur über die Bestrebungen zur Organisierung der Proletarierinnen vor, die in Berlin ihren Ausgangs- und Mittelpunkt hatten. Es ist besonders enthalten in den drei Broschüren: »Die zwanzigjährige Arbeiterinnen-Bewegung Berlins und ihr Ergebniß« von Adeline Berger, Berlin 1889; »Die Organisationen der Arbeiterinnen Deutschlands, ihre Entstehung und Entwicklung« von Emma Ihrer, Berlin 1893, und »Die Arbeiterinnen im Klassenkampf«, ebenfalls von Emma Ihrer verfaßt, in Hamburg 1898 erschienen.

So ist es gekommen, daß die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Berlin als die Anfänge der klassenbewußten proletarischen Frauenbewegung in Deutschland überhaupt dargestellt worden sind. Und auch das, was darüber in dem und jenem Werke über die Frauen frage gegeben worden ist, kann nicht Anspruch auf Vollständigkeit erheben. In keinem geschichtlichen Rückblick auf die Entwicklung der proletarischen Frauenbewegung aber steht verzeichnet, daß schon Ende der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts, vor allem in Sachsen, kräftige Bestrebungen eingesetzt hatten, die Proletarierinnen der Organisation der Arbeiterklasse und ihren Kämpfen einzugliedern. Und kräftige Bestrebungen nicht bloß, sondern recht erfolgreiche obendrein. An dokumentarischen Nachweisen dafür fehlt es nicht, wenn diese auch weder reichlich noch geschwätzig sind, sich vielmehr spärlich und in geradezu nackter Tatsächlichkeit in einem weitschichtigen Urkundenmaterial verstreut finden.

Die ersten Anläufe, die Frauen als Mitträgerinnen der Arbeiterbewegung zu gewinnen und zu organisieren, sind zweifelsohne auf den klärenden und treibenden Einfluß der I. Internationale zurückzuführen. Sie sind genau in den Furchen verlaufen, die die Internationale Arbeiterassoziation in der deutschen Arbeiterbewegung gepflügt hat. Ihr hauptsächliches Wirkungsfeld sind die Zentren der niedererzgebirgischen Textilindustrie, ihre vornehmste Trägerin ist die Internationale Gewerksgenossenschaft der Manufaktur-, Fabrik- und Handarbeiter mit dem Sitz in Crimmitschau. Kein Zufall, die wuchtende Logik der geschichtlichen Entwicklung, der sozialen Zusammenhänge bedingte das. Um die Zeit, als die I. Internationale den Schlachtruf des Kommunistenbundes erneuerte, befand sich die sächsische Textilindustrie in einem Übergangsstadium vom handwerksmäßigen Kleinbetrieb zum großen mechanischen Fabrikbetrieb. Alle Furien leiblichen und geistigen Elends, die die siegestrunken, fühllos vorwärtsstürmende kapitalistische Entwicklung – »König Dampf« voran – entfesselte, zerfleischten die erzgebirgische Bevölkerung. Gleich entsetzlich war das Los der absterbenden Schicht selbständiger Kleinmeister und das der sich rasch bildenden Klasse der Fabrikarbeiter. Die Verhandlungen der Webertage zu Glauchau Mai 1871 und zu Berlin Mai 1872 sowie der Weberinnungskonferenzen zu Chemnitz März 1872 und März 1873 spiegelten das erschütternd wider. Eindringlichst reden davon die Angaben in den Berichten der »Zirkulare«, die das vom Webertag in Glauchau eingesetzte Zentralkomitee der deutschen Manufakturarbeiter von 1871 bis 1873 herausgab. Was sie feststellen und für jeden Sachvertrauten über die nackten Zahlen hinaus mit tödlicher Sicherheit bekunden, das bestätigten später vollauf die offiziellen Erhebungen, die nach den Wahlerfolgen der Sozialdemokratie in Sachsen die Furcht dem Reichstage abpreßte.

Für die Werktätigen der sächsischen Textilindustrie hatte der Triumph der kapitalistischen Produktion ein Pandämonium Gesamtheit aller bösen Geister. geschaffen, wie es furchtbarer nicht den Anfängen der englischen Manufaktur eigentümlich gewesen war. Franz Mehring führt in seiner »Geschichte der Deutschen Sozialdemokratie« an: »... in der Glauchau-Meeraner Handweberei arbeiteten im Jahre 1863 30 700, im Jahre 1880 nur noch 3194 Hand Webstühle; mindestens 40 000 Personen hatten die mechanischen Webstühle in diesem einen Kreise innerhalb eines halben Menschenalters ›überflüssig‹ gemacht.« Franz Mehring, »Geschichte der Deutschen Sozialdemokratie«. Dritter Bd., S. 273. In Waldheim war 1871 die Zahl der Meister von 200 auf 110 gesunken, von denen obendrein die Hälfte auf Handarbeit ging (Zirkular 3. C. Z.). Die mechanische Produktion schleuderte den Handwebstuhl in die Rumpelkammer, jagte Meister und Gesellen brotlos auf die Straße und bevölkerte die dumpfigen, geräuschvollen Fabriksäle mit Frauen und Kindern. Aus Werdau meldet ein Bericht (Zirkular 2. C. Z.) den Rückgang der Meister von 400 auf 180, der Gesellen von 200 auf 15; 200 mechanische Webstühle am Orte wurden ausschließlich von Mädchen bedient. Ausschließlich Mädchen sind zu gleicher Zeit in Meerane an mehr als 600 mechanischen Webstühlen beschäftigt. Mehr als 1200 Kinder fronden dem Kapital in den Reichenbacher Textilfabriken; über 700 davon sind noch nicht 12 Jahre alt. Fast Seite auf Seite steht in den Zirkularen die widergesetzliche Verwendung proletarischer Kinder in den Fabriken verzeichnet. Wie hätten die rohen und halbgebildeten Parvenüs, die die sächsische Textilindustrie beherrschten, nicht hohnlachend über die Buchstaben des Gesetzes wegschreiten sollen, sie, die fühllos und skrupellos alle Gebote der Menschlichkeit unter ihre Füße traten!

Mit Schaudern liest man die Mitteilungen über Lohnhöhe, Arbeits- und Existenzbedingungen. In Glauchau verdiente ein Weber auf Stapelware – vorausgesetzt, daß Frau und zwei Kinder mitarbeiteten – wöchentlich 12 Mark, 624 Mark im Jahr bei stetiger, voller Beschäftigung, die fast nie vorhanden war. Nach einem Flugblatt der Internationalen Gewerksgenossenschaft der Maurer und Zimmerer, das detaillierte Aufstellungen enthält, bedurfte in der damaligen Zeit eine fünfköpfige Arbeiterfamilie bei den bescheidensten Ansprüchen für ihren Lebensunterhalt 1400 Mark. Die niedrigen Arbeiterinnenlöhne, welche alle Berichte anführen, erscheinen direkt als eine Prämie auf die Prostitution oder eine Anweisung auf langsames Verhungern. Sie betragen von 3,60 Mark bis 7,50 Mark wöchentlich bei dreizehnstündiger täglicher Arbeitszeit und Verpflichtung zu Überzeit- wie Sonntagsarbeit. Der erzgebirgische Weber erreichte – laut Feststellungen von Dr. Michaelis – ein Durchschnittsalter von 38 Jahren; die hohe Kindersterblichkeit schrie zum Himmel; das überlebende Geschlecht war skrofulös verseucht; mit der wirtschaftlichen Not ging der Verfall des Familienlebens, mit dem physischen das geistige und sittliche Verkommen Hand in Hand.

So hatte die wirtschaftliche Entwicklung unter den erzgebirgischen Textilarbeitern den Boden bereitet, auf dem die Ideensaat der I. Internationale rasch und üppig in die Halme schießen konnte. Die Arbeiterbildungsvereine waren, um mit Motteier zu reden, die »Vorfrucht« der verschiedenartigsten Organisationen, die binnen weniger Jahre entstanden. Als ihre geistige und propagandistische Zentrale darf die im Juli 1867 gegründete Spinn- und Webgenossenschaft E. Stehfest & Co. in Crimmitschau angesehen werden. Sie war das feste Rückgrat der Internationalen Gewerksgenossenschaft der Manufaktur-, Fabrik- und Handarbeiter mit ihrer Kranken- und Sterbekasse; an sie war die Druckerei des sozialdemokratischen »Crimmitschauer Bürger- und Bauernfreundes« angegliedert; sie stand in enger Fühlung mit den Konsumvereinen, Vorschuß- und Bildungsvereinen und anderen Organisationen von Sachsen, mit den 6 Schneidergenossenschaften der Schweiz usw. All das bezeugt, daß sie dem proletarischen Befreiungskampf diente, und das im Sinne der I. Internationale. Die Organisationen, die ihr Netz über Sachsen, das Erzgebirge im besonderen, spannten, waren der Internationalen Arbeiterassoziation allerdings nicht formal angegliedert, ja standen nur in loser Fühlung mit ihr. Nichtsdestoweniger waren sie Fleisch von ihrem Fleische und Geist von ihrem Geiste. Ihre hervorragendsten Organisatoren, Agitatoren und Leiter – Bebel, Motteler, Stolle, Germann, Franz, Carl Hirsch usw. – wirkten im Zeichen der großzügigen Gedankenwelt des internationalen Sozialismus. Welchen Sonderzweck auch immer eine Organisation hervorkehrte, sie diente dem Ziel, das die Internationale gesteckt: der Zusammenschweißung des Proletariats als revolutionärer Klasse, deren »soziale Erkenntnis sich in soziale Macht« umsetzen sollte. Als Grundzug war ihnen in der Folge gemeinsam: Mittelpunkte, Stützpunkte »für alle sozialen und politischen Bewegungen« der Arbeiterklasse schaffen, alle schlummernden Kräfte wecken und zur Betätigung rufen zu wollen für den materiellen und kulturellen Aufstieg des Proletariats. All dies aber zu dem Zweck, unter den Lohnarbeitenden die Idee auszubreiten und zu fördern, »die genossenschaftliche Arbeit an die Stelle der Lohnarbeit zu setzen, um statt des Arbeitslohns den Arbeitsertrag zu erringen«.

Eine so weit und tief zielende Bewegung, die in alle Seiten der proletarischen Existenz hineingriff, konnte sich angesichts der gezeigten Situation nicht durchsetzen, ohne auch die Proletarierin in ihren Bannkreis zu ziehen; die Proletarierin, die als Hausfrau und Mutter wie als Arbeiterin unter der Sündenlast des Kapitals keuchte. Mit zwingender Gebärde zeigten die Verhältnisse auf sie als Schutzbedürftige und als Mitkämpferin. Die überlieferten Anschauungen von den Unterschieden des Geschlechts, von dem, was dem Weibe ziemt und nicht ziemt, wurden von steifnackigen Tatsachen niedergekämpft. Die international gerichtete Arbeiterbewegung des Erzgebirges sah vor sich nur weibliche Sklaven des Kapitals, die den männlichen gleich, ja noch viel schlimmer als sie ausgebeutet wurden, litten und die dem proletarischen Kampfheer eingereiht werden mußten. So ging sie bewußt daran, die Konkurrentin des Mannes auf dem Markte, die Feindin seiner Ideale im Heim zu verwandeln in seine gleichberechtigte und gleichverpflichtete Streitgenossin auf dem Blachfelde des Klassenkampfes. Sie richtete ihre Propaganda an die Proletarier »beiderlei Geschlechts«, wie es damals hieß und rief sie unterschiedslos zum Zusammenschluß auf.

Auf dem ersten Verbandstage der sächsischen Konsumvereine zu Chemnitz Ende März 1869 fand ein Trinkspruch begeistertes Echo »auf unsere Frauen als die wichtigsten Faktoren unseres Vereinslebens«. Kurz vorher, am 28. Februar, beim Stiftungsfest des Arbeiter-Fortbildungsvereins Glauchau, hatte sich Motteier mit geradezu programmatischer Klarheit und Bestimmtheit »über die Frau und ihre Stellung im Hause und in der Öffentlichkeit« ausgesprochen. In einer Rede, deren schwungvolle Rhetorik an die Zeiten der Französischen Revolution erinnert und auch sonst charakteristisch für die liebevolle Vertiefung in ihre Geschichte ist, verlangte er die volle soziale und staatsbürgerliche Gleichberechtigung der Frau und ihre Beteiligung an der Arbeiterbewegung. »Wir fordern für die Frauen eine in vernunftgemäßer Ordnung wurzelnde Freiheit des Erwerbes und die volle Entfaltung ihrer natürlichen Fähigkeiten fürs Haus wie für die Öffentlichkeit. Keine Haussklaven für Tisch und Herd, keine Enterbten an Rechten und Pflichten nach außen ... Die wirtschaftliche Freiheit des Individuums bedingt und ist dessen politische Freiheit.« Das Ideal der Emanzipation des weiblichen Geschlechts kann aber nur verwirklicht werden in der sozialistischen Ordnung der freien Arbeit. Daher Kampf gegen »die gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnisse, gebrandmarkt durch die bitterste körperliche und geistige Massenarmut«, Kampf, der die Pflicht der Frau wie des Mannes ist. »Und Sie ganz besonders, meine werten Zuhöre« rinnen, ob jung, ob alt, frei oder gebunden, Sie sind dazu berufen, Hand ans Werk zu legen ... Wir brauchen Kampfgenossen, wenn auch nicht, wie unsere Ahnen, zu blutiger Schlacht. Ein Kampf ist es aber drum, nicht minder hart und ernst, ein Kampf gegen Anmaßung und Vorrecht, ein Kampf der Enterbten gegen die Erbschleicher.«

Die Rede zeigt, daß unser »Roter Feldpostmeister« in den vordersten Reihen der ersten Vorkämpfer für die Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts innerhalb der Sozialdemokratie stand. Sie ist ein glänzendes Zeugnis für die Schärfe, mit der er bereits damals vom Standpunkt des Proletariats aus die Frauenfrage erfaßte. Gleichzeitig läßt sie aber auch einen Rückschluß zu auf das Verständnis, das ihr die zum Klassenbewußtsein erwachenden Arbeiterkreise des Erzgebirges entgegenbrachten. Denn Motteier behandelte gerade die Stellung der Frau, weil der Arbeiter-Fortbildungsverein Glauchau »es für seine Pflicht hielt, diese wichtigste der offenen Zeitfragen mit zur Sprache zu bringen«. Unter seiner Zuhörerschaft befanden sich viele Frauen und Mädchen, die er »größtenteils so gespannt und sinnend« vor sich sah. Die Rede wurde als Flugblatt verbreitet, allerdings leider nicht in ihrem vollen und wesentlichen Gedankeninhalt. Zufolge eines stadträtlichen Winkens mit preßgesetzlichen Bedenken gegenüber dem Drucker mußte in dem Flugblatt wie vorher in dem Bericht eines Lokalblattes die Stelle geopfert werden, wo Motteier den Gegensatz geschildert hatte zwischen der Verhimmelung der Frau in der Poesie und ihrer Versklavung als Arbeits- und Haustier innerhalb der modernen Kultur. Die stadträtliche Weisheit erachtete die Aufklärung der Proletarierinnen über ihre Lage als »ordnungsgefährlich«. Tatsachen bestätigten ja, daß unter den Frauen und Mädchen, die dem Textilkapital zinsten und frondeten, die Aufforderung nicht ungehört verhallte, mit den Brüdern gemeinsam für das Recht der Arbeit, das Recht des Menschentums der Arbeitenden zu kämpfen. Die Proletarierinnen hatten durch ihre Betätigung in der international gestimmten Arbeiterbewegung der Eisenacher ihre soziale Reife und Mündigkeit erwiesen, sie standen mit in den vordersten Reihen der sich sammelnden proletarischen Klassenkämpfer.

In Crimmitschau war am 10. Februar 1869 in innerer Verbindung mit der Spinn- und Webgenossenschaft von 300 Genossen eine Internationale Gewerksgenossenschaft der Manufaktur-, Fabrik- und Handarbeiter gegründet worden. Sie setzte ein Komitee ein, das mit den Vorarbeiten für die Einberufung eines allgemeinen Kongresses der Manufaktur-, Fabrik- und Handarbeiter betraut wurde. Diesem Organisationskomitee, in dem alle Arten der Textilarbeiter vertreten waren, gehörten zwei Proletarierinnen an: Wilhelmine Weber und Christiane Peuschel, beide. Handarbeiterinnen. Am 10. April berief es für die Pfingstfeiertage den geplanten Kongreß nach Leipzig ein. Es wandte sich an »alle Manufaktur-, Fabrik- und Handarbeiter, als Weber, Tuch-, Buckskin- und Zeugmacher, Wirker und Posamentiere, Spinnerei-, Appretur- und Färbereiarbeiter sowie Fach verwandte jeglicher Stellung und beiderlei Geschlechts ... Im Auftrag von mehr als 800 Köpfen der benannten Berufsarten« in Crimmitschau bezeichnete es als Zweck des Kongresses eine »Internationale Gewerksgenossenschaft der Manufaktur-, Fabrik- und Handarbeiter beiderlei Geschlechts« zu bilden, mit anderen Worten: die bereits bestehende Organisation auf breitere als die lokale Basis zu stellen, zum Verband zu erweitern. Der starke, frische Odem des proletarischen Klassenbewußtseins durchwehte den Aufruf des Komitees, dem unter anderen angehörten: Stehfest, Motteier, L. Mehlhorn, H. Albert und Franz in Glauchau. Nicht eine leere Formel, der Ausdruck zielklaren Wissens und Wollens war es, daß Proletarierinnen in ihm Sitz und Stimme hatten und daß an die Textilarbeiter beiderlei Geschlechts die Mahnung zum geschlossenen Aufmarsch erging. »Denn«, so erklärte das Komitee, »auch unsere Frauen und unsere Töchter sind hineingerissen und als eine zwiefach kostbare Beute schmachvoll preisgegeben in diesem Krieg aller gegen alle.«

Aus der Erkenntnis, daß die Proletarierin der kapitalistischen Ordnung schutzbedürftig und kampffähig zugleich gegenübersteht, wurde das Streben geboren, die Frauen als gleichberechtigte und gleichverpflichtete Mitglieder der Internationalen Gewerksgenossenschaft für ganz Deutschland einzugliedern. Bei ihrer Gründung, die auf der Leipziger Tagung am 15., 16. und 17. Mai erfolgte, erhob der Delegierte Szymanowski die Frage, ob auch die Frauen gleiches Stimmrecht haben sollten. Aus den Berichten über die Verhandlungen des Kongresses erhellt nur indirekt die bejahende Antwort auf diese Frage. Direkt liegt sie in dem Statut der Organisation vor. Nach Paragraph 3 war als gleichberechtigtes Mitglied zugelassen: »jeder Arbeiter der obenbenannten Gewerbe ohne Unterschied des Alters, Geschlechts und der Verrichtung sowie jeder Kleinmeister und jede Kleinmeisterin«. Paragraph 4 setzte fest: »Jedes Mitglied ist zu jedem Amt der Gewerksgenossenschaft wählbar.« Die weiblichen Mitglieder besaßen also zum Stimmrecht auch das Recht der Wählbarkeit. Bezüglich der materiellen Verpflichtungen gegen die Gewerksgenossenschaft sowie der Vorteile, die sie gewährte, waren sie den männlichen Mitgliedern völlig gleichgestellt. Sie zahlten wie diese 2 Silbergroschen Eintrittsgeld und 2 Silbergroschen Monatsbeitrag und bezogen im Falle unverschuldeter Arbeits- oder Erwerbslosigkeit vom ersten Tage an eine Unterstützung von täglich 12 1/2 Silbergroschen (1 Silbergroschen gleich 12 Pfennig).

Der Kongreß verlegte den Sitz der Gewerksgenossenschaft unter Berücksichtigung der vereinsgesetzlichen Verhältnisse nach Eßlingen in Württemberg – das Schwabenland mit seinen vielen Arbeiterbildungsvereinen stellte damals neben Sachsen die meisten und festesten Organisationen der Eisenacher – , den Ausschuß aber nach Crimmitschau. Crimmitschau war der Mittelpunkt des Verbandslebens, seine Seele war Motteier. Die Organisation baute sich auf der Grundlage des Unterstützungswesens auf. Sie gewährte Unterstützung bei unverschuldeter Arbeits- und Erwerbslosigkeit, Unterstützung und Rechtsschutz bei Bedrückungen und ungerechtfertigten Anforderungen der Arbeitgeber und Behörden und Wanderunterstützung aus einer allgemeinen Kasse. Jedes Mitglied war verpflichtet, an seinem Aufenthaltsort einer Krankenkasse anzugehören; zwischen den verschiedenen Kranken- und Unterstützungskassen sollte Freizügigkeit herbeigeführt werden, das heißt der kostenlose Übertritt der Mitglieder im Falle des Ortswechsels. Die Gründung weiterer Krankenkassen usw. wurde vorgesehen. Das Unterstützungswesen – darüber ließen die Verhandlungen des Kongresses wie alle späteren Generalversammlungen keinen Zweifel – war gleichzeitig Selbstzweck und Mittel zum Zweck. Es sollte die Textilarbeiter gegen die schlimmste Unbill des ausbeutenden Kapitalismus schützen und sie dadurch verteidigungs- und kampffähig gegen diesen halten. Es sollte durch materiellen Beistand bei Kämpfen und Lohnbewegungen das Ringen um bessere Arbeitsbedingungen erleichtern, wie dies die Gewerksgenossenschaft außerdem durch »Regelung und Beaufsichtigung des Lehrlingswesens, der Frauen- und Kinderarbeit« erstrebte. Es sollte einen festen, materiellen, bindenden Sammelpunkt schaffen, der Träger der Klassenkampfideen war, von dem aus das Ideelle, Fruchtbare verbreitet wurde, das die Erkenntnis der Klassengegensätze in sich birgt und umgestaltend wirksam werden läßt.

Zahlen erzählen von den Bemühungen, die Frauen für die Gewerksgenossenschaft zu gewinnen, und von der werbenden Kraft der entfalteten Agitation. Als auf der ersten Generalversammlung zu Crimmitschau am 9., 10. und 11. Juli 1870 Wilhelm Stolle, ein Mitbegründer der Eisenacher Partei und eifriger Förderer der proletarischen Frauenbewegung, den Bericht gab, konstatierte er, daß der Organisation »6000 bis 7000 Mitglieder angehörten, davon 1/6 weiblichen Geschlechts«. Seinen Angaben lagen die Ergebnisse von Fragebogen zugrunde, die auch Auskunft über die Zahl der weiblichen Mitglieder verlangten. Die Befriedigung über den weiblichen Mitgliederstand fand ihren Ausdruck in einer bezeichnenden Redewendung, die seit der Crimmitschauer Generalversammlung aufkam. Man nannte die Gewerksgenossenschaft »die Mutter mit den 5 Söhnen«. Das wichtigste Ergebnis der Crimmitschauer Beratung war die Gründung einer Krankenkasse der Gewerksgenossenschaft. Sie erfolgte unter anderem unter Berücksichtigung der Interessen der Frauen und im Hinblick auf ihre Organisierung.

Nach seiten der Pflichten und Rechte hin kannte das Statut nur gleichgestellte Mitglieder ohne Unterschied des Geschlechts, zeigte aber bereits einen bescheidenen Ansatz zum nötigen Sonderschutz, dessen die Proletarierin als Mutter bedarf. Wenn weibliche Mitglieder nach der Niederkunft länger als 9 Tage krank waren, so sicherte es ihnen vom zehnten Tage an die Krankenunterstützung zu; diese wurde vom ersten Tage der Entbindung an gewährt, sofern ärztlicher Beistand erforderlich gewesen war. Das Referat über die Krankenkassenfrage wurde von Robert Seidel gehalten, der damals als Weber in den vordersten Reihen des kleinen Fähnleins klassenbewußter sächsischer Arbeiter stand, später in der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung der Schweiz hervortrat, dort Pädagogik studierte, als Schulreformer einen bekannten Namen erwarb und zu den Vorkämpfern des Arbeitsunterrichts gehörte. Er beleuchtete auf der Generalversammlung die sozialen Wurzeln der Krankheiten im Proletariat, bezeichnete es als eine Hauptaufgabe der Krankenkassen, den Krankheiten durch Aufklärung über ihre Ursachen entgegenzuwirken, und tadelte, daß manche Kassen die Frauen ausschlossen. Motteler empfahl ausdrücklich, die Krankheiten der Frauen gebührend zu berücksichtigen. Um den Proletarierinnen den Beitritt zur Krankenkasse zu erleichtern, dabei aber die Ausbreitung der Stammgenossenschaft zu fördern, beschloß die Generalversammlung: Wer Mitglied der Krankenkasse werden will, muß auch Mitglied der Gewerksgenossenschaft sein; Frauen von Mitgliedern brauchen jedoch nur Mitglieder der Krankenkasse zu werden.

Für die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung aber ist es das bedeutsamste Ereignis der Crimmitschauer Tagung, daß eine Proletarierin als gleiche unter gleichen für ihre Klassen- und Geschlechtsgenossinnen die Stimme erhob. Christiane Peuschel, die die Gründung der Gewerksgenossenschaft mit in die Wege geleitet hatte, nahm als Mitglied des Lokalkomitees an der Generalversammlung teil. Sie befürwortete die Gewährung von Krankenunterstützung bei längerer als neuntägiger Dauer des Wochenbetts. Aus der Erfahrung ihrer proletarischen Existenz heraus wandte sie sich gegen die fiskalisch mißtrauische Meinung, die Frauen würden durch lange Inanspruchnahme des Bonusses die Kasse brandschatzen. Sie betonte, daß »den Frauen hauptsächlich darum zu tun sei, ihre Wirtschaft so bald wie möglich wieder versorgen zu können«.

Trotz der Schwierigkeiten und Gefahren, die die politische Situation in der nächsten Zeit für die Internationale Gewerksgenossenschaft schuf, ergänzte diese ihre Tätigkeit durch die Bemühungen, im Sinne der I. Internationale aufklärend und vorwärtstreibend innerhalb anderer Organisationen und Strömungen zur Sammlung und Hebung des Textilproletariats zu wirken. Delegierte der Gewerksgenossen nahmen hervorragenden Anteil an den beiden Weberinnungskonferenzen, an dem ersten deutschen Webertag zu Glauchau, dem zweiten zu Berlin, der zur Gründung des Deutschen Weber- und Manufakturarbeiter-Bundes führte. Von den Genossen lassalleanischer Richtung unterschieden sie sich in der Hauptsache nur durch das stärkere Hervorheben der Notwendigkeit internationaler Organisation, denn die »Arbeiterschaften« waren durch die Logik der Tatsachen über ihre anfängliche theoretische Einstellung hinaus vorwärtsgetrieben worden. In Gemeinschaft mit ihnen traten sie vor allem jeder zünftlerischen Beschränktheit entgegen und suchten den kleinmeisterischen Standesdünkel durch das proletarische Klassenbewußtsein zu verdrängen. Die Vertreter der Eisenacher Gewerksgenossenschaften waren es vor allem, die die wieder und wieder auftauchende Neigung bekämpften, die organisierten Textilarbeiter für die Abschaffung der industriellen Frauenarbeit zu mobilisieren. Die maßgebende Entscheidung, auf die spätere Tagungen zurückgriffen, wurde in Glauchau – 28. bis 30. Mai 1871 – gefaßt. Dies aber sicherlich unter dem Eindruck der wohlbegründeten Auffassung wie des Beispiels der Internationalen Gewerksgenossenschaft. Christiane Peuschel, die von den Crimmitschauer Gewerksgenossen als Delegierte zum ersten Webertag entsandt war, wandte sich gegen das Verlangen nach Beseitigung der industriellen Frauenarbeit. Gegen ihre verderblichen Begleiterscheinungen rief sie zur internationalen Organisation auf und forderte dabei die Einbeziehung der weiblichen Arbeiter als Gleichberechtigte in die Genossenschaften und Gewerkschaften, gleichen Lohn für gleiche Leistung ohne Unterschied des Geschlechts und einen gesetzlichen Normalarbeitstag. Frau Peuschel beteiligte sich auch an der Debatte, um den Antrag Bebel – Bebel war mit Motteler zusammen tätigster Förderer der Internationalen Gewerksgenossenschaften – zu unterstützen, daß es dringende Pflicht der Arbeiter sei, Gemaßregelte materiell und moralisch zu unterstützen. Ihre Ausführungen künden unzweideutig die Schule der Internationalen Arbeiterassoziation. Sie erweisen des weiteren, daß die Internationale Gewerksgenossenschaft Kämpferinnen umschloß, die den Männern nicht bloß gleichberechtigt, sondern ihnen auch ebenbürtig an Fähigkeiten und Schulung waren. Denn wahrlich, an sachlichem Wert, an Klarheit, Bestimmtheit und Folgerichtigkeit des Gedankens übertrafen Frau Peuschels Ausführungen die Reden zahlreicher männlicher Delegierter und stellten sich denen der geschultesten Köpfe gleichwertig zur Seite, wie auch Motteler und Bebel versicherten. Der Vorkämpferin der klassenbewußten Proletarierinnen gebührt ein gut Teil des Verdienstes, daß entgegen einem anderen Antrag eine Resolution Bebel zur Annahme gelangte, die besagt: »Es ist Pflicht der Fachgenossen, dahin zu wirken, daß die Frauen in den Fabriken und Werkstätten mit in die Gewerks- und Fachorganisationen als gleichberechtigt eintreten, und es dahin zu bringen, daß die Löhne für Frauen und Männer gleichgestellt werden.«

Leider fehlen genaue Nachweise darüber, in welchem Maße die Agitation und der Ausbau der Internationalen Gewerksgenossenschaft weiterhin die Frauen zu Schutz und Trutz in den Bannkreis der Organisation geführt hat. Die erste Generalversammlung zu Crimmitschau, die Zeugnis von ihrer gesunden Blüte ablegte, hatte am Vorabend weltgeschichtlicher Ereignisse getagt. Der Deutsch-Französische Krieg und die Aufrichtung des Deutschen Reiches, nicht als eine Schöpfung der Revolution, sondern als eine Verständigung der Fürsten und die Frucht militärischer Siege, griffen mit rascher Hand in die historischen Bedingungen der Emanzipationsbestrebungen des deutschen Proletariats ein. Die wirtschaftlichen und politischen Folgen des Deutsch-Französischen Krieges wirkten lähmend auf die Entwicklung der Gewerksgenossenschaft zurück. Handel und Wandel stockten; die materielle Leistungsfähigkeit der werktätigen Masse für ihre Organisation sank, ihre Hilfsbedürftigkeit und damit die Inanspruchnahme der Kassen steigerte sich. Der Krieg selbst lichtete die Mitgliedschaften und entriß der Agitation, den örtlichen Ausschüssen und Verwaltungen, dem Aufsichtsrat viele der tüchtigsten Kräfte. Als ausgesprochen proletarische Kampforganisation bekam die Gewerksgenossenschaft ihr gut Teil von der Sturmflut von Verfolgungen ab, die der ruhmvolle Protest der Sozialdemokraten gegen den Eroberungskrieg, ihre Sympathien für die heldenhaften Kommunekämpfer wider die »Vaterlandsfeinde« und »Umstürzler« entfesselte. Der auf den Schlachtfeldern aus der Taufe gehobene Nationalstaat der deutschen Bourgeoisie wußte, was seine Aufgabe gegenüber den Lebensäußerungen und Organen der jungen Klassenbewegung des Proletariats war. Die Behörden lösten manche Mitgliedschaften der Internationalen Gewerksgenossenschaft auf und schikanierten in unglaublicher Weise andere. Zweimal wurde die zweite Generalversammlung des Verbandes verboten, die erst in Meerane, dann in Hof tagen sollte. »Um der Willkür gewisser Polizeibehörden zur beliebigen Auslegung unserer Organisation nicht mehr Anhalt zum Einschreiten, zur Verfolgung und Schädigung, ja zur Auflösung der Gewerksgenossenschaft zu geben«, mußten die statutengemäßen Veröffentlichungen im »Volksstaat«, dem Organ der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, unterbleiben.

Erst am 25., 26. und 27. Dezember 1872 konnte in Weimar die dritte Generalversammlung tagen. Hier wurden ebenso wie auf der vierten Generalversammlung zu Chemnitz am 24., 25. und 26. Mai 1874 nur schätzungsweise Angaben über den Mitgliederstand im allgemeinen vorgelegt, ohne Hinweise auf die Zahl der weiblichen Mitglieder. Die Beteiligung der Frauen an der Organisation scheint jedoch nach wie vor eine rege gewesen zu sein. Allerdings wurde sie zum Teil nicht durch das Verständnis für die gesamten und höchsten Ziele der Internationalen Gewerksgenossenschaft bestimmt, vielmehr durch den Anreiz der Krankenkasse. Die Verhandlungen der dritten und vierten Generalversammlung lassen das klar hervortreten. Aber immerhin hatte sich nach dem Zeugnis Mottelers eine nicht unbeträchtliche Zahl von Mitgliedern der Stammgenossenschaft in zielklarer Würdigung ihres Wesens und Strebens angeschlossen. Inwieweit dies bei den einzelnen Mitgliedschaften der Fall war, dafür waren hauptsächlich zwei Umstände ausschlaggebend: der Reifegrad der industriellen Produktion und – von ihr bedingt – der Umfang der industriellen Frauenarbeit; die Einsicht und der Eifer, mit denen ein kleiner Stab von Genossinnen und Genossen unter den Proletarierinnen für den Sozialismus tätig war. In den Textilzentren des sächsischen Erzgebirges wirkten beide Umstände zusammen. Hier rekrutierte daher die Stammgenossenschaft und ihr tiefster Wesensinhalt die größte Zahl ihrer Anhängerinnen, hier erstanden unter den Proletarierinnen selbst Evangelistinnen des sozialistischen Befreiungsgedankens.

Die oben gezeigte Situation aber erklärt den Charakter der Debatten, die sich auf der dritten und vierten Generalversammlung der Gewerksgenossenschaft um die Mitgliedschaft der Frauen drehten. Zwei Tendenzen traten betreffs ihrer in Erscheinung: die Neigung, aus engherziger Besorgnis um den Kassenstand die Frauen von den Unterstützungseinrichtungen auszuschließen beziehungsweise ihre Anspruchsrechte herabzumindern; die andere Neigung, die Frauen mittels der Krankenkasse zum Anschluß an die Stammgenossenschaft zu zwingen. In Weimar stellte die Mitgliedschaft Braunschweig den Antrag, daß in die Krankenkasse keine Frauen mehr aufgenommen werden sollten. Die Mitgliedschaft Schweinau forderte in Chemnitz, daß die Wöchnerinnenunterstützung erst vom vierzehnten Tage nach der Niederkunft an zu gewähren sei. Beide Ansinnen wurden glatt zurückgeschlagen. Motteler entkräftete die Drohung der Braunschweiger Mitgliedschaft, auf Grund des lokalen Selbstverwaltungsrechtes die Frauen ausschließen zu wollen, durch den Hinweis, daß dieses Recht eine Grenze finde an den Satzungen der Gesamtgenossenschaft. Die Hauptverwaltung werde über die Filiale hinweg die ausgeschlossenen Frauen in die Kasse aufnehmen, die ausdrücklich für die Fachgenossen »beiderlei Geschlechts« gegründet worden sei. Der Behauptung, daß vorzüglich Frauen die Kasse stark in Anspruch nähmen, und zwar oft Frauen, deren Männer dar Bewegung feindlich gesinnt wären, stellte ein Delegierter aus Crimmitschau eine Tatsache entgegen. Dort waren mehr Frauen als Männer organisiert, aber die Männer beanspruchten mehr Unterstützung als die Frauen. Ein Vermittlungsbeschluß beantwortete auf beiden Generalversammlungen den Antrag, daß jedes Mitglied der Kranken- und Sterbekasse auch der Stammgenossenschaft angehören müsse. In Weimar wurde für Ausnahmefälle, in Chemnitz jedoch überhaupt jeder Mitgliedschaft das Recht zuerkannt, die Zugehörigkeit zur Kranken- und Sterbekasse von der Zugehörigkeit zur Stammgenossenschaft abhängig zu machen, vorausgesetzt, daß erstere dadurch nicht geschädigt werde. Die Gründung einer Sterbekasse war von der Generalversammlung zu Weimar beschlossen worden. Der Beitritt zu ihr stand »jedem Arbeiter oder dessen Frau respektive jeder Arbeiterin der Manufaktur-, Fabrik- und Handarbeiterbranche« offen. Die Leitung und Verwaltung der Kasse sollte in den Händen von »gewählten Vertrauenspersonen beiderlei Geschlechts« ruhen. Der Einsicht der Gewerksgenossen wird ein ehrendes Zeugnis durch die Entscheidung ausgestellt, in den Satzungen der Krankenkasse die Bestimmung zu streichen, daß Syphilitische nicht unterstützungsberechtigt seien.

Im allgemeinen standen die beiden letzten Generalversammlungen der Gewerksgenossenschaft im Zeichen des heißen Bemühens, wieder aufzubauen, was durch die politische Situation und die Wirtschaftskrise zertrümmert worden war, die gelichteten und gelockerten Reihen wieder zu füllen, fest zusammenzuschließen und aktionsfähig zu machen. Sie erstrebten ferner ein vereintes Marschieren, auf alle Fälle aber ein vereintes Wagen und Schlagen mit dem Deutschen Weber- und Manufakturarbeiter-Bund sowie die Verbindung aller gewerkschaftlichen Organisationen, die auf dem Boden des Klassenkampfes standen. Der Anschluß an die »Union« wurde in Chemnitz beschlossen. Die »Union« war ein ernster Versuch, alle gewerkschaftlichen Organisationen, namentlich aber die Eisenacher Gewerksgenossenschaften und die lassalleanischen »Arbeiterschaften«, in einer Art Kartell zusammenzuschließen. Die Anregung zu dieser Verbindung ging von den Eisenachern aus und wurde ihrerseits besonders eifrig und klug von York vertreten, dem früheren Lassalleaner und Führer der sozialdemokratischen Arbeiter Hamburgs. Bebel unterstützte sie kräftig. Nachdem der von den Eisenachern einberufene Allgemeine Gewerkschaftskongreß zu Erfurt 1872 die Verschmelzung aller Organisationen abgelehnt hatte, nahm er den von York ausgearbeiteten Vorschlag an, ein loses Kartell zu gründen: die »Union«. Diese hatte ihr eigenes Organ gleichen Namens, daneben war der sozialdemokratische »Volksstaat« ihr offizielles Publikationsblatt. Der Verfall der Internationalen Gewerksgenossenschaft, die so rasch einen vielverheißenden Aufschwung genommen hatte, ließ sich jedoch nicht aufhalten. Aus ihren Ruinen aber wie aus den Trümmern des Deutschen Weber- und Manufakturarbeiter-Bundes blühte bald neues, klassenbewußtes proletarisches Leben in neuen Formen. In beiden Organisationen haben wir Vorläufer des Textilarbeiterverbandes zu grüßen; 1883 entstand in Crimmitschau der »Fachverein der Weber und deren verwandter Berufsgenossen beiderlei Geschlechts«, der 1887 während des großen Weberstreiks aufgelöst wurde – Bahnbrecher und Wegbereiter der sozialistischen Arbeiterbewegung.

Die Geschichte der Internationalen Gewerksgenossenschaft der Manufaktur-, Fabrik- und Handarbeiter ist ein Kapitel aus der Geschichte der proletarischen Frauenbewegung. Persönliche Mitteilungen der Genossen Motteler und Vahlteich – ein Sekretär Lassalles, nach dessen Tod er bald Anschluß an die in den Arbeiterbildungsvereinen vertretene Richtung der proletarischen Bewegung gefunden – ergänzen, was offizielle Dokumente davon melden. Wie schon diese Dokumente genügend klar erkennen ließen, blieben die Satzungen der Internationalen Gewerksgenossenschaft über die volle Gleichberechtigung der weiblichen Mitglieder keine platonischen Prinzipienerklärungen. Frauen gehörten – wenigstens in Sachsen – örtlichen Verwaltungen, Ausschüssen, Komitees der Organisation an und erfüllten mit Eifer und Geschick die Aufgabe ihres Vertrauensamtes. Der Vorstand in Crimmitschau sandte gern erfahrene Frauen als Beauftragte in Orte, in denen neugegründete Filialen ausgebaut werden sollten; auch in strittigen Fragen zog er die Frauen zur Mitarbeit heran. Ein kleiner auserlesener Stamm der weiblichen Mitglieder nahm regen Anteil an den Sitzungen und Versammlungen der Gewerksgenossenschaft und verfolgte mit lebhaftem Eifer ihre Entwicklung. Außer der bereits wiederholt genannten Christiane Peuschel waren besonders Frau Weber und Frau Colditz in Crimmitschau, Fräulein Misselwitz in Chemnitz bestrebt, Kopf und Herz der Proletarierinnen für die sozialistischen Ideen zu erobern. Frau Peuschel und Frau Weber zeichneten sich als geschickte Debattenrednerinnen aus und verstanden es dadurch wie durch gutgewählte Fragen, die Verhandlungen zu beleben, praktische Anregungen zu geben und das Interesse der Frauen für die Organisation und ihre Ziele zu wecken. Frau Weber erschien – ein schönes Beispiel – meist in Begleitung ihrer Söhne in den Versammlungen und wurde wie eine Mutter begrüßt. Außerordentlich wertvoll war die Agitation von Person zu Person, durch die die vier Frauen und andere die Proletarier und Proletarierinnen des Erzgebirges der klassenbewußten Arbeiterbewegung zuführten. Jedes Zusammentreffen, jedes Ereignis des öffentlichen oder persönlichen Lebens war ihnen willkommener Anlaß, als Sendbotinnen des Sozialismus zu sprechen.

Einen besonders erfolgreichen Wirkungskreis fand die propagandistische Kleinarbeit der Frauen an den Tagen, wo aus dem Umkreis von Crimmitschau und Glauchau für die Produktivgenossenschaft, Faktoreien, Kleinfabrikanten usw. geliefert wurde; meist waren es Frauen, die die Lieferung besorgten. Die führenden Frauen trafen dann da und dort mit den Liefernden zusammen, wo ein »Happen« gegessen, ein »Schälchen Heeßer«, das heißt eine Tasse Kaffee, getrunken wurde. In gemütlicher Aussprache öffneten sich die Herzen, auf die Lippen drängten sich Klagen über die Leiden, die der Ausgebeuteten Erbteil sind. Die werbenden Frauen entzündeten an den schwachen Fünkchen der Hoffnung auf bessere Zeiten die hellodernde Flamme der Begeisterung für die sozialistische Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, das strahlende Licht des Glaubens an die Befreiung der Arbeit durch die Erkenntnis, den Willen und den Kampf der Arbeitenden selbst. Wenn die Frauen mit ihren Bürden neuer Arbeitsstoffe sich wieder in alle Windrichtungen des Kreises zerstreuten, so nahmen sie eine reiche Ideensaat mit heim, die selten auf dürrem oder felsigem Boden verkümmerte; sie trugen den täglich erscheinenden »Crimmitschauer Bürger- und Bauernfreund«, das Organ für das gesamte Osterland, in die armseligen Wohnungen der Dörfer; als Werbetruppen der Internationalen Gewerksgenossenschaft wanderten sie hin und her. Dank solcher propagandistischer Kleinarbeit erstreckte sich der Einfluß der Internationalen Gewerksgenossenschaft sehr weit über den Kreis ihrer Mitglieder hinaus.

Die Lieferungstage waren besonders Arbeitstage und Festtage der Seele für Marie Colditz, eine »Frau vom kerngesunden, zielklaren Charakter jener abgesprochen proletarischen Bewegung«. »Mutter Colditz« ist rednerisch wohl kaum je im größeren Kreis hervorgetreten; bei den ungezwungenen Zusammenkünften der Lieferungstage wie bei Besprechungen der führenden Persönlichkeiten bewährten sich ihre agitatorische Veranlagung, ihr kluger Sinn, ihre Energie glänzend. Dabei war sie »ausdauernd, opfermutig und der Schrecken aller Halben und Undurchsichtigen, die ihr Haus – das zeitweilige Hauptquartier – betraten«. Fräulein Misselwitz, eine ältere Näherin, wirkte besonders in Chemnitz. Sie war von den Lassalleanern zu der Internationalen Gewerksgenossenschaft gekommen, vergaß am Quartalsschluß nie, ihre Mitgliedskarte zu erneuern, und führte diese stets mit Stolz bei sich. Motteler schreibt von ihr: »Sie verkörperte den typischen britischen freiwilligen walking-delegate (das heißt einen nichtangestellten Agitator, der die Gelegenheit, wie sie sich bietet, für die Verbreitung seiner Ideen ausnützt. C. Z.) ... Belesen, redegewandt, von kluger Disputierlust und einem meisterhaften Erzähler- und Lehrtalent, war sie in Chemnitz freiwillige Propagandistin für die Gewerkschafts- und Parteisache zugleich ... Eine offizielle Amtierung zu übernehmen war ihr nicht möglich. Ihr Fußleiden (sie hinkte stark. C. Z.) hinderte sie, anders als in kleinerem Kreis und in den Familien, wo sie schneiderte oder Gast war, zugleich unsere Grundsätze und Ziele einzubürgern und sie ganz speziell weiterpflegen zu lehren.« Vahlteich, der während seiner Kampagne in Chemnitz in den siebziger Jahren Fräulein Misselwitz kennenlernte, zeichnet ihre Persönlichkeit und ihre Hingabe an den Sozialismus lebendig mit diesen Strichen: »Ich bin immer, wenn ich die Misselwitz sah, an die arme verwachsene Näherin in einem der großen Sueschen Romane erinnert worden, die ein so heißes Herz hatte, die so heiß und hoffnungslos liebte und so bescheiden und opferwillig für andere lebte. Ihr Eifer im Parteidienst war mustergültig für jeden Mann. Es war das Pflichtgefühl, und nur dieses, was sie zu jedem Opfer bereit machte. Sie hat, soweit ich mich erinnere, nie öffentlich gesprochen, konnte aber ihren Gedanken recht wohl klaren Ausdruck geben und hatte die Bedeutung unserer Sache vollkommen klar begriffen ... Ich erinnere mich nicht, daß sie etwas Besonderes, Hervorragendes getan hätte, wodurch die allgemeine Aufmerksamkeit auf sie gelenkt worden wäre; aber sie war bei allem dabei, und man konnte darauf rechnen, daß sie eine übernommene Pflicht voll und ganz erfüllte ... Die Verdienste der Misselwitz und der Frauen und Mädchen, die damals gleich ihr am sozialen Kampfe teilnahmen, können nicht hoch genug eingeschätzt werden. Ich konstatiere übrigens mit Vergnügen, daß nach meinen vielen und langjährigen Erfahrungen innerhalb und außerhalb der Parteikreise Frauen und Mädchen, sofern sie sich am öffentlichen Leben beteiligen, eifriger, ausdauernder und pflichtgetreuer arbeiten als die Männer.«

Als die alte freudige Bekennerin des Sozialismus fand Vahlteich Fräulein Misselwitz in den neunziger Jahren in Milwaukee in Nordamerika wieder; sie ist gestorben, »ohne einen Lichtblick in ihrem Leben gehabt zu haben«. Auch Frau Weber hat jenseits des großen Wassers Glück und Stern gesucht, und ab und zu fand Motteler in der deutschsprachigen sozialdemokratischen Parteipresse der Vereinigten Staaten Beiträge, die ihre treue Mitarbeit in der Bewegung bezeugen. Die offenbar sehr begabte und gutgeschulte Christiane Peuschel scheint für den Kampf verschollen zu sein.

Motteler ist es zu verdanken, daß dieses Kapitel aus den Anfängen der klassenmäßig gerichteten proletarischen Frauenbewegung Blatt um Blatt zusammengefügt werden konnte. Mit eindringendem geschichtlichem Verständnis und liebevollem Sammelfleiß hat er die 1905 zum ersten Male verarbeiteten Dokumente – verschollene und unbeachtete – mühsam zusammengetragen und durch wertvolle persönliche Informationen vervollständigt. Den ihm gebührenden Dank zolle ich ihm in seinem eigensten Sinne, indem ich heute wie damals die Aufforderung weitergebe, die er in seine Erläuterungen zum Quellenmaterial einschloß: Sammelt die Bausteine zu einer Geschichte der proletarischen Frauenbewegung, solange die Dokumente nicht zerfallen und verwehen, die von ihren ersten Ansätzen erzählen, solange die Persönlichkeiten noch leben, die ihre ersten Pioniere gewesen sind!

 

Die bedeutsamsten Züge des skizzierten Anfangs der klassenbewußten organisierten proletarischen Frauenbewegung in Deutschland scheinen mir diese: die zielklare Erkenntnis von der Notwendigkeit der gemeinsamen Organisation und des gemeinsamen Kampfes der Proletarier ohne Unterschied des Geschlechts; die Würdigung der Frau als einer voll gleichberechtigten, aber auch gleichverpflichteten Mitstreiterin im Klassenkampf; der ausgesprochen proletarische, international gerichtete Charakter der Bewegung, die rein von jeder bürgerlich-frauenrechtlerischen Beimengung war; die feste, sichere Zielsetzung: die sozialistische Gesellschaft. Dadurch unterscheidet sich dieser Versuch, die Frauen des Proletariats auf dem Boden des Klassenkampfes zusammenzuschließen, wesentlich von den späteren Berliner Bestrebungen, die das gleiche Ziel verfolgen. Ihren ersten organisierten Ausdruck fanden sie in dem Arbeiterfrauen- und Mädchenverein, der 1873 von Berta Hahn und Pauline Stägemann gegründet wurde. Es scheint, daß diese Organisation weder auf die Lassalleaner noch auf die Eisenacher eingeschworen war, sie sollte und wollte »sozialdemokratisch« ohne Richtung sein. Nicht genug, daß sie von bürgerlicher Seite mit Hohn und Schmutz beworfen wurde, hatten auch viele Arbeiter nur fade Witze statt Förderung für sie. Der Verein fiel 1874 der Ära Tessendorf zum Opfer. Erst nach geraumer Zeit fand der Verein Nachfolge. Einige Belege dafür, daß die später geschaffenen Organisationen ideologisch weniger klar und bestimmt waren als die Internationale Gewerksgenossenschaft der Textilarbeiterschaft. Dem Verein zur Vertretung der Interessen der Arbeiterinnen, der in Berlin 1885 gegründet wurde, konnten nach Paragraph 3 seiner Satzungen nur Frauen und Mädchen angehören, und Paragraph 8 besagte: »Männer haben gewöhnlich zu den Vereinsversammlungen keinen Zutritt.« Unter dem Einfluß frauenrechtlerischer Gedankengänge verwarfen viele führende Berliner Genossinnen bis zum Internationalen Sozialistischen Arbeiterkongreß zu Zürich 1893 jeden besonderen gesetzlichen Arbeiterinnenschutz. Die Absonderung der Frauen von den Männern ist sicherlich mit auf Rechnung der vereinsgesetzlichen Sonderstellung der Frau in Preußen zu setzen, die unter dem Ausnahmegesetz durch die polizeiliche Praxis noch verschlimmert wurde. In hohem Grade ist jene feministische Tendenz aber auch der naturgemäße Niederschlag des Entwicklungsganges hervorragender Trägerinnen der Berliner Bewegung. Er hatte sie von der Frauenfrage zur sozialen Frage, von der bürgerlichen Frauenrechtlerei zur Sozialdemokratie geführt. Die Vorkämpfer für die Einbeziehung der Frauen in die Internationale Gewerksgenossenschaft kamen dagegen von der sozialen Frage zur Frauenfrage. Dies aber nicht allein an der Hand einer reiferen geschichtlichen Erkenntnis und Schulung, sondern vor allem auch auf Grund der zwingenden Bedürfnisse eines Milieus, das, von der modernen Großindustrie geprägt, einen geradezu klassischen Boden für die Gemeinsamkeit der Interessen und die Gemeinsamkeit des Kampfes von Frauen und Männern des Proletariats gegen den Kapitalismus schuf. In Berlin fehlte damals dieses Milieu; das wirtschaftliche Leben wurde noch vom Kleinbetrieb und handwerksmäßigen Betrieb beherrscht; die gewerbliche Frauenarbeit war vor allem Heimarbeit. Deshalb konnte auch 1868 der Versuch im Keime erstickt werden, die Konfektionsarbeiterinnen auch nur als Anklägerinnen in die Öffentlichkeit von Arbeiterversammlungen zu rufen.

Mit der Internationalen Gewerksgenossenschaft brachen in Sachsen und erst recht im übrigen Deutschland vorläufig die zielklaren und konsequent festgehaltenen Bestrebungen zusammen, die Proletarierinnen organisiert dem Klassenkampf einzureihen. Seitdem mit der Reichsgründung der bürgerliche Nationalstaat auf den Plan der Geschichte getreten war, konzentrierte sich die Hauptkraft des deutschen Proletariats vorübergehend darauf, die proletarischen Heermassen zum Klassenkampf auf politischem Gebiete zusammenzuschweißen. Der Aufmarsch der Arbeiter als politische Klassenpartei vollzog sich obendrein unter dem Unstern des Bruderzwistes zwischen Lassalleanern und Eisenachern. Die Frau aber war auf dem politischen Kampfplatze eine Rechtlose und erschien daher bei oberflächlicher Betrachtung vielen als eine Machtlose und Entbehrliche. Dazu fügte sich, daß unter den Frauen, die die Internationale Gewerksgenossenschaft gesammelt hatte, sich keine befand, die an den Fraktionskämpfen hervorragenden Anteil genommen hätte oder in den Auseinandersetzungen, in dem Ringen um den organisatorischen Aufbau, die Programmforderungen, den ideologischen Gehalt der Sozialdemokratie tätig hervorgetreten wäre. So kam es, daß betreffs der Mitarbeit der Frauen am Bau der proletarischen Emanzipation vorübergehend die Tendenzen in den Hintergrund traten, deren tapfere Vorkämpferin die Internationale Gewerksgenossenschaft gewesen war. Meines Erachtens ist es charakteristisch für den Einfluß der aufgezeigten Umstände, daß der Einigungskongreß der Lassalleaner und Eisenacher zu Gotha 1875 beschloß, als Delegierte zu den Parteitagen Frauen zuzulassen, die entweder als Vertreterinnen von Wahlkreisen in Volksversammlungen oder in besonderen Frauenversammlungen gewählt wurden. Dagegen lehnte der nämliche Kongreß den Zusatzantrag Bebel und Genossen zu den Programmforderungen ab: »Obligatorisches Wahlrecht mit dem 20. Jahre für Staatsangehörige beiderlei Geschlechts.« Es versteht sich, daß Julius Motteler mit zu den Antragstellern gehörte und daß er mit der Minderheit stimmte. Die Ablehnung erfolgte, das wurde betont, nicht aus prinzipiellen Gründen gegen das Frauenwahlrecht, sondern aus »taktischen« Erwägungen. Die Mehrheit fürchtete, daß die Forderung des Frauenwahlrechts damals den Kampf schwächen und erschweren würde. Sie erwartete und wertete nicht einen Kräftezuwachs für den Kampf durch die Mobilisierung der Frauen. Das Sozialistengesetz schmiedete mit harten Schlägen die Erkenntnis, daß auch im politischen Kampfe das Proletariat die Frau als disziplinierte und organisierte Mitstreiterin nicht missen kann. Nebenbei sei bemerkt, daß die Nichtaufnahme der Forderung des Frauenwahlrechts in das Gothaer Programm durchaus nicht die einzige und größte Schwäche dieses Dokumentes ist, in dem sich die ideologische Unreife der damaligen Arbeiterbewegung abspiegelt. Der Charakter des Gothaer Programms ist mehr durch den Vulgärsozialismus als durch den revolutionären wissenschaftlichen Sozialismus bestimmt. Marx hat denn auch schärfste Kritik an dem Programm geübt, jedoch vergeblich. Die Form zerfiel, in der die Internationale Gewerksgenossenschaft die Bestrebungen zur Schulung und Organisierung der Proletarierinnen als bewußter Mitträgerinnen des Klassenkampfes zusammengefaßt hatte. Aber die von ihr verfolgten Tendenzen blieben lebendig, die von ihr vertretenen Ideen wirkten weiter. Das künden die Kämpfe des erzgebirgischen Textilproletariats, in denen die Frauen des Crimmitschauer Bezirks stets mit bewunderungswürdiger Einsicht und Disziplin in Reih und Glied gestanden haben: 1882 bei dem siegreichen Streik für den Elfstundentag, 1887 bei der 6 Monate durchgehaltenen Arbeitseinstellung, die dem von den Unternehmern beim Abmessen der Länge der Webstücke verübten Betrug wehren sollte, und im Spätjahr 1903, als gegen 9000 Arbeiter und Arbeiterinnen mit ihren Familien 5 Monate lang in Hunger und Kälte gegen die vereinigte Brutalität des Textilkapitals und der Behörden um den Zehnstundentag rangen. Das bestätigt die rege, opferfreudige Beteiligung der werktätigen Frauen Sachsens an den Kämpfen ihrer Klasse, auch wenn diese Kämpfe nur erst von der Minderheit der revolutionären Vorhut aufgenommen und getragen wurden.

Die gesamte proletarische Frauenbewegung Deutschlands war bis zum imperialistischen Weltkrieg die Erbin und Testamentsvollstreckerin der Internationalen Gewerksgenossenschaft. Der Verrat der Sozialdemokratie wurde auch zum erniedrigenden Schicksal des größten Teils der proletarischen Frauenbewegung. Was sich heute sozialdemokratische Frauenbewegung nennt, hat in Wahrheit sowenig Anrecht auf das Wort »sozialdemokratisch« wie die ganze Partei, der sie eingegliedert ist. Im Eilschritt läuft die Partei hinter der Führung der Gewerkschaften die Bahn rückwärts, die die I. Internationale auch den Proletarierinnen gewiesen hat – heute, 1928, schreit das Organ eines der größten Gewerkschaftsverbände nach dem gesetzlichen Verbot der Arbeit verheirateter Frauen in Betrieben; die sozialdemokratische Fraktion des Gemeindeparlaments einer deutschen Stadt erhebt eine ähnliche Forderung – , mit jedem Tag verleugnet sie sinnfälliger das stolze Ziel, das die I. Internationale den Enterbten und Ausgebeuteten steckte. Doch besagt dies vielleicht, daß das geschichtliche Leben erloschen, erstorben sei, das einst und viele Jahre unter den Frauen wie den Männern des deutschen Proletariats verheißungsreich unwiderstehlich vorwärtstrieb? Die solches kleingläubig wähnen würden, kennen die Kraft des historischen Werdens nicht, das sich nicht aus blauen Himmelshöhen herniederläßt, das vielmehr in der festgegründeten dauernden Erde der wirtschaftlichen und sozialen Dinge verwurzelt ist. Es gleicht der unversiegbaren Quelle, die an einer Stelle in die Tiefe versinkt, unterirdisch fortfließt, weitere Wasseradern in sich aufnimmt und schließlich als machtvolles Gewässer wieder an die Oberfläche tritt.

Wohl ist der imperialistische Weltkrieg reichlich vier Jahre durch die Geschichte geschritten, zerstörend, blutige Spuren hinterlassend, vom schimpflichen Bankrott der II. Internationale begleitet. Allein, in der Geschichte hat sich eine noch gewaltigere Erscheinung erhoben. Die proletarische Revolution ist in dem ehemaligen Zarenreich aufgestanden, das zertrümmernd, was fallen muß, um den Boden für das freizulegen, was wachsen und reifen soll, schöpferisch Neues formend. Sie schuf den ersten Staat der proletarischen Diktatur, die sozialistisch aufbauende Sowjetunion. Marx und Engels hatten in der I. Internationale den Arbeitern aller Länder die rote Fahne des Weltsozialismus vorangetragen. Die reformistischen Führer der II. Internationale haben dieses internationale revolutionäre Wahr- und Sammlungszeichen vor dem Reichsbanner, der Trikolore und anderen Standarten der »Vaterlands«verteidigung niedergeholt, haben es mit dem Blute der Schlachtfelder und dem Schmutz der Koalitionspolitik besudelt. Lenin hat das alte rote Banner des revolutionären Weltsozialismus mit starker Faust ergriffen, es weht über der Kommunistischen Internationale, zum Kampfe anfeuernd, Sieg verheißend. Die Proletarier, die Ausgebeuteten und Versklavten des Westens und Ostens stoßen unter diesem Zeichen und dieser Führung gegen den imperialistischen Kapitalismus vor. In der Kommunistischen Partei soll sich die revolutionäre Vorhut der deutschen Arbeiterklasse zusammenballen. In ihr dürfen die Proletarierinnen nicht fehlen, in denen die klassenbewußte Tradition ehrenvoller Kampfjahre gesund und stark fortlebt. Die Zahl dieser Proletarierinnen wächst, ihre Reihen festigen sich, ihre Erkenntnis gewinnt an Klarheit, ihr Wille an unerschütterlicher Entschlossenheit, ihr Handeln an zielsicherer Tatkraft. Sie werden gemeinschaftlich mit ihren Brüdern zur Wirklichkeit machen, was Wilhelm Liebknecht vorahnend geschaut: das Land erobern und besitzen, in das die internationale Vorhut des Proletariats im ersten kühnen Anlauf ihres Klassenkampfes ihre Speere geschleudert hatte, mit dem Hissen ihrer roten Fahne das geschichtliche Recht der emporsteigenden Klasse proklamierend, »die Welt zu verändern«. Denn das zu erobernde und zu besitzende Land ist die Welt, umgewälzt durch die Revolution.

Anhang


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