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Der Präsident der Depositenbank verhaftet – Aufdeckung eines Millionenbetrugs – Beschlagnahme sämtlicher Bücher und Guthaben durch den Staatsanwalt – Auch die Villa Gontards versiegelt – Der sonderbarste Mann Berlins.

Einem vom Staatsanwaltschaftsrat Dr. Haller geleiteten Sonderdezernat der Staatsanwaltschaft des Landgerichts ist es gelungen, einen Millionenbetrug aufzudecken, dessen Urheber der bekannte Finanzmagnat Franz Gontard, der Präsident der Depositenbank, sein soll und dessen Opfer in erster Linie ein prominentes Mitglied des märkischen Adels geworden ist. Gontard, der vom Staatsanwaltschaftsrat Dr. Haller und zwei weiteren Staatsanwälten gestern einem stundenlangen Verhör unterworfen wurde, stellt zwar bis zur Stunde jede Schuld in Abrede, doch ist das Beweismaterial, das von einer Anzahl Geschädigten eingebracht worden ist, offenbar so erdrückend, daß die Inhaftnahme des Bankiers anbefohlen und sofort durchgeführt wurde.

Die Verhaftung Gontards bildet den Abschluß einer gründlichen Untersuchung durch die Staatsanwaltschaft, deren Aufmerksamkeit durch die Anzeige einer Kundin der Depositenbank auf gewisse betrügerische Manipulationen des Unternehmens gelenkt wurde. Es handelt sich zunächst, soweit wir unterrichtet sind, um ein Millionengeschäft, das am Dienstag voriger Woche zwischen Gontard und der Gräfin Steindorff-Frauenthal abgeschlossen worden ist. Die Gräfin ist an dem fraglichen Tage von Gontard auf ihrem Gutsschloß angerufen und von ihm überredet worden, Anteilscheine der Naphthagrube »Polonia«, die erst seit einigen Monaten an der Berliner Börse gehandelt werden und gerade in der letzten Zeit infolge der überaus günstigen Berichte eine starke Kurssteigerung zu verzeichnen hatten, in bedeutendem Umfang zu kaufen. Da die Gräfin gewohnt war, den Ratschlägen ihres Bankiers blindlings zu folgen, erteilte sie der Depositenbank entsprechenden Auftrag und deckte sich mit einem bedeutenden Posten des Papiers ein. Noch am gleichen Tage wurde bekannt, daß die »Polonia« in Flammen steht, deren Anteile somit wertlos wurden. Es ist nun festgestellt worden, daß die Depositenbank, die die Majorität der Anteilscheine in ihrem Besitz hatte, den Auftrag nur zum Teil im Börsenverkehr erledigte, vielmehr die Abgaben aus eigenen Vorräten nahm. Alle Anzeichen deuten darauf, daß Gontard zur Zeit des von ihm geführten Telefongesprächs durch seinen eigenen Nachrichtendienst über den Brand, der erst in den Abendstunden in Berlin bekannt wurde, bereits informiert war und somit die Gräfin, nur um sein eigenes Geld zu retten, zu der Transaktion verleitet hat. Gontard bestritt bei seiner gestrigen Vernehmung auf das entschiedenste, zu der fraglichen Stunde in seinem Büro gewesen zu sein, sowie überhaupt mit der Gräfin telefonisch gesprochen zu haben. Ein Alibi konnte er jedoch für die Stunde, in der das Gespräch stattgefunden hat, nicht erbringen, und die Recherchen beim Fernamt ergaben, daß die Depositenbank ein Gespräch mit der Telefonnummer der Gräfin tatsächlich angemeldet und geführt hat. Auch sonst scheint das Beweismaterial gegen Gontard erdrückend zu sein, so daß die Staatsanwaltschaft noch im Laufe der gestrigen Nachmittagsstunden den Haftbefehl wegen Bestehens der Flucht- und Verdunkelungsgefahr erlassen hat, der auch sofort von zwei Beamten der Kriminalpolizei durchgeführt worden ist. Während der Nacht wurde auch die Beschlagnahme der Bücher und Gelder der Depositenbank angeordnet und vorgenommen, desgleichen wurde die gerichtliche Versiegelung der Privatvilla Gontards in der Heerstraße verfügt. Die Sekretärin Gontards sowie eine Anzahl Angestellter wurden von der Staatsanwaltschaft noch in der Nacht vernommen, ein Teil ist für heute vorgeladen. Ob eine Fortführung der Geschäfte der Bank möglich sein wird, erscheint gegenwärtig noch fraglich. Ein größerer Kreis von Personen hat vorsorglich Anzeige wegen Betrugsverdachts erstattet. Es wird mit weiteren sensationellen Verhaftungen gerechnet.

Die Verhaftung Gontards, die geeignet ist, das größte Aufsehen zu erregen, hat sich gestern wie ein Lauffeuer in den beteiligten Bank- und Börsenkreisen verbreitet und wird allenthalben lebhaft besprochen. Sie dürfte bereits heute ihre Wirkungen an der Börse zeitigen.

Präsident Gontard ist nicht nur eine der bekanntesten, sondern auch sonderbarsten Erscheinungen der Nachkriegszeit. Niemand kann sich rühmen, diesen einsamen und verschlossenen Mann näher zu kennen oder gar seine Freundschaft zu genießen. Hingegen dürfte es ihm kaum an zahlreichen Feinden mangeln. Die Anekdoten, die über ihn im Umlauf sind, gehen in die Dutzende. Er hat es in unglaublich kurzer Zeit verstanden, durch waghalsigste Spekulationen und Geschäfte, die nicht immer ganz einwandfrei gewesen sein sollen, sich in die Reihe der reichsten Männer Europas zu stellen, und sein Einfluß erstreckte sich nicht nur auf die Berliner, sondern ebenso auf sämtliche andere Börsen des Kontinents. Sogar in Wallstreet wurde den gewiegtesten Börsenjobbern unbehaglich, wenn er einen seiner überraschenden und großzügigen Coups landete. Trotz seines immensen Reichtums, den genau abzuschätzen niemand vermag, lebte er, im Gegensatz zu vielen Neureichen, ein vollkommen zurückgezogenes, einfaches Leben, und sein Haus in der Heerstraße, das wegen seiner sonderbaren Bauart allen Vorübergehenden auffällt, hat weder rauschende Feste noch auch die bescheidenste Gastlichkeit gesehen. Der Präsident lebt, man könnte sagen, haust dort mit einer Wirtschafterin, einem alten Gärtner und einem Chauffeur, und es wird behauptet, daß in den drei Jahren Bestehens die Villa noch kein Fremder betreten hat. Die Kriminalbeamten, die gestern nacht die Räume versiegelt haben, dürften die ersten, allerdings ungebetenen Gäste gewesen sein.

*

Schon um sieben Uhr morgens saßen Krönings am Frühstückstisch. Hugo war bleich und übernächtig, Lena hatte ein kleines Gesicht und tiefe Schatten unter den Augen. Erst gegen vier Uhr früh – es war schon ganz hell – war der Rechtsanwalt heimgekommen. Lena hatte in Kleidern gewacht. Die Koffer und Kleider, die eingepackt werden sollten, waren unberührt liegengeblieben. Alles stand noch unordentlich herum, Lena hatte ihren Mann bei seinem Eintritt an der Brust gepackt.

»Es ist nicht wahr.«

»Es ist wahr. Ich bitte dich, laß mich jetzt. Ich kann nicht reden, ich bin ganz erschlagen.«

Zwei Stunden hatten sie geruht. Unruhig, schlaflos. Um sechs wurde das Dienstmädchen herausgetrommelt. Sie sollte ganz starken Kaffee kochen. Hugo nahm eine eisige Dusche, um seine Nerven aufzupeitschen. Während des Anziehens klingelte er dreimal nach dem Mädchen, ob die Morgenzeitung noch nicht da sei. Er stürzte sich auf das Blatt, als es ihm endlich hereingebracht wurde.

»Jetzt haben sie wieder was zu schreiben«, knurrte er. »Da.«

Er reichte seiner Frau den Artikel hinüber, der von der ersten Seite dem Leser in die Augen sprang.

»Glaubst du es?« fragte Lena.

»Lächerlich. Hat der Mann das nötig? Der schluckt einen solchen Verlust wie nichts. Die Gräfin hat ja vorher von ihm verlangt, daß er ihr den Schaden ersetzen soll. Gontard hat es abgelehnt, ohne mich zu fragen. Muß er doch sehr sicher gewesen sein. Aber wer kann wissen, was bei einer solchen Sache herauskommt? Sie werden jetzt wie eine Meute über ihn herfallen. Da spielt so viel anderes noch mit.«

Nach einer Weile sagte sie leise:

»Du wolltest mir doch erzählen.«

»Erzählen, erzählen! Was soll ich denn viel erzählen? Ich weiß selber nichts, ich kam ja erst gestern nachmittag in die Bank, als alles schon vorüber war. Gontard hatte eine Vorladung zur Staatsanwaltschaft gehabt und war gegen Mittag dort, ist stundenlang verhört und sofort nach der Vernehmung verhaftet worden. Mit zwei Beamten soll er noch nach Hause gefahren sein, um sich Waschzeug und solche Kleinigkeiten zu holen, dann ist er sofort ins Untersuchungsgefängnis gebracht worden. Wenigstens hat man's mir so erzählt. In die Bank ist er überhaupt nicht mehr zurückgekommen. Der Staatsanwalt hat dann noch in der Nacht alles beschlagnahmen lassen, hat Fräulein von Gernsheim vernommen, die natürlich nichts gewußt hat, weil sie in der Zeit auf Urlaub war, dann ist die Goltze herangekommen, die die Vertretung gehabt hat, dann noch ein paar andere. Sie haben aber alle zusammen nichts sagen können. Es ist ja alles so verworren, kein Mensch kennt sich aus. Wir sind auch sämtlich so aufgeregt gewesen, daß wir nicht gewußt haben, was wir reden.«

»Glaubst du, daß man ihn verurteilen wird?«

»Du fragst wirklich wie ein Kind«, antwortete er nervös. »Woher soll ich denn das riechen? Soviel habe ich noch erfahren, daß an dem Dienstag mit der Gräfin zwischen elf und zwölf wirklich gesprochen worden ist. Das Telefonfräulein glaubt sich zu erinnern, daß Gontard das Gespräch persönlich geführt hat. Gontard wieder behauptet, das hast du ja gelesen, daß er gar nicht in der Bank gewesen ist. In der Bank ist aber kein Mensch, der mit der Gräfin gesprochen haben will. Komisch ist ja die Sache, sehr sonderbar. Einer muß schließlich am Apparat gewesen sein. Die Verbindung, die acht Minuten bestanden hat, ist Tatsache. Da ist nicht dran zu rütteln.«

Er bemerkte gar nicht, daß aus dem Gesicht Lenas der letzte Tropfen Blut verschwand. Dienstag zwischen elf und zwölf. Ihre Stunde. Sie wußte, daß Gontard unschuldig war. Und jetzt verstand sie den Sinn des Zettels, den der Chauffeur gebracht hatte. Gontard hatte das Zusammensein mit ihr verschwiegen. Und sie sollte auch schweigen. Um Gottes Willen, man kann doch nicht schweigen, wenn ein Mensch eingesperrt wird und man es in der Hand hat, ihn mit einem Wort zu retten.

»Was wirst du jetzt tun?« fragte sie mit zitternder Stimme.

»Zuerst gehe ich zu Gontard ins Untersuchungsgefängnis. Vielleicht kann ich seine Verteidigung übernehmen. Wenn ich ihn heraushauen kann, bin ich der erste Anwalt von Berlin. Was hast du denn, du schaust mich ja an, als ob du mich auffressen wolltest?«

Die Augen der Frau hatten plötzlich etwas Haßerfülltes. Gontard war in Gefahr, und Hugo dachte daran, daß er der erste Anwalt Berlins würde. Wenn er jetzt zu Gontard kam und Gontard ihm ins Gesicht schrie, wo und mit wem er am Dienstag gewesen sei, ob sich dann noch der Herr Rechtsanwalt vor Gericht hinstellen wird und sagen: Ich beantrage Freisprechung. Der Angeklagte hat in der bewußten Stunde Stelldichein mit meiner Frau gehabt?

»Bist du wahnsinnig geworden? Du lachst ja?«

Lena hatte verzerrtes, irrsinniges Lächeln im blassen Gesicht.

»Ich lache?« fragte sie verstört. »Ich lache doch nicht.«

*

Der lange Gefängnisgang hallte von den Schritten Hugos und des Aufsehers. Der junge Anwalt hatte ohne große Schwierigkeit Sprecherlaubnis erhalten. Was er sonst beim Staatsanwaltschaftsrat erfahren hatte, war nicht sehr hoffnungsvoll. Eine Haftentlassung – Hugo hatte vorsichtig die Fühler ausgestreckt – gegen hohe Kaution schien wenig Aussicht auf Erfolg zu haben. Die Stimmung war offenbar gegen Gontard. Der Staatsanwaltschaftsrat, ein strenger Herr mit schwarzer Hornbrille im langen, frostigen Bürokratengesicht, war bis oben hinauf zugeknöpft gewesen.

»Ihr Herr Jontard is ja 'ne ulkige Nudel«, ließ sich der behäbige, ältliche Aufseher vernehmen. »Wissense, wat er jesacht hat, wie er in die Zelle rinjekommen is? Kiekt sich um und sagt: ›Sehr nett.‹ Bekiekt sich det Klappbett, wat Tisch und Bett is' und sagt: ›Praktisch‹, sagt er, wie gefällt Ihnen det? Praktisch! Jut, nich? Ick steh noch 'ne Weile, weil mir die Spucke weggeblieben is, macht er da nich 'ne Handbewegung, wissense so – –! Det sollte wohl heeßen, Se könn' jehn! Mir macht er 'ne Handbewegung! mir! Die Suppe hat er heut früh gelöffelt, als ob's Sahnengulasch wär. Der meent vielleicht, hier is'n Sanatorium. Die Sorte gefällt mir nich.«

Hugo wußte, wie man auf das Wohlwollen der Aufseher angewiesen war, und wollte begütigen. Er holte Zigarren aus der Brusttasche. »Gefällig?«

»Eijentlich dürfen wir nischt nehmen«, sagte der Wächter und legte die bauchige Zigarre in die abgenommene Dienstmütze, die er wieder über die Glatze stülpte.

»Na ja, so ein großer Herr, dem so was zum erstenmal im Leben passiert, der findet sich da nicht so leicht hinein. Sie sind ja ein intelligenter Mensch und werden das verstehen.«

»Ick weeß, wie de Leute aussehen, die zum erstenmal ankommen«, brummte der Wärter.

Ein klein wenig hoffte Hugo, Gontard niedergeschlagen und demütig vorzufinden. Ein bißchen Schadenfreude lag in der Vorstellung, daß der Unzugängliche, Selbstherrliche ganz ohnmächtig war und Hilfe brauchte, und er, Doktor Hugo Kröning, würde die Hilfe bringen. Sozusagen Retter in der Not. In jeder Zeitung würde täglich, morgens und abends, der Verteidiger des Bankiers Gontard genannt werden. Bei den Gerichtsverhandlungen ganz Berlin – und er eine große Rede halten, geschliffen, funkelnd. Große Sache!

Schlüssel klirrten, die schwere Tür knirschte. Gontard saß rauchend auf dem unbequemen Hocker, den breiten Rücken zur Tür gekehrt, und rührte sich nicht einmal beim Eintritt der beiden Männer. Erst der Gruß Krönings ließ ihn den schweren Kopf wenden. Seine massige Gedrungenheit schien die engbrüstige Zelle auszufüllen, die wuchtigen Schultern schienen von Wand zu Wand zu reichen. Das Gesicht nur, dieses sonst undurchdringliche, kalte, gespannte Gesicht war milder, ruhiger, fast zufrieden. Hugo gab sich einen Ruck.

»Herr Gontard, ich komme, Ihnen meine Hilfe anzubieten. Wir alle sind von Ihrer Unschuld überzeugt, und es wäre mein sehnlichster Wunsch, wenn Sie sich noch keinen Verteidiger gewählt haben, Ihre Verteidigung zu übernehmen – –«

Er kam wieder ins Stocken, einen so langen, eigentümlichen Blick Gontards fing er auf. Irgend etwas, was er nicht verstand, ging im Bankier vor.

»Haben Sie kein Vertrauen zu mir?«

Gontard ließ die Frage unbeantwortet. Vertrauen! Das war hier gleichgültig. Ganz andere Dinge beschäftigten ihn. Er betrachtete den blonden, eleganten Rechtsanwalt, als könnte er ihm die unausgesprochenen Gedanken vom Mund lesen. Der Schlanke, Hübsche griff so unbekümmert nach der Frucht, die ihn lockte, und wußte nicht, was sie unter der Schale verbarg. Kröning sein Verteidiger. Grotesk. Eine diabolische Lust griff ihm ins Genick. Kröning sein Verteidiger. Ja! Vielleicht gab es so etwas wie ein Schicksal, eine Bestimmung, der man nicht in den Arm fallen soll.

»Gut.«

»Ich danke Ihnen, Herr Gontard.«

Mit Feuereifer stürzte sich Hugo auf den willkommenen Fall. Er erwirkte sich sofort eine Dauersprecherlaubnis, die ihm als Verteidiger das Recht einräumte, mit dem Verhafteten jederzeit ohne Zeugen zu verhandeln. Gut, daß er seine Praxis nicht völlig aufgegeben hatte, sonst wäre das alles unmöglich gewesen. Rasch handeln war die Hauptsache. Er begab sich sofort zu Gontard zurück.

»Wir sind jetzt ungestört, Herr Gontard, und ich muß Sie bitten, vollkommen offen zu mir zu sein. Denken Sie an Barmat und Kutisker. Wir haben leider keine gute Presse, und bei der Staatsanwaltschaft weht jetzt ein scharfer Wind. Das Telefongespräch ist ja zweifellos geführt worden –«

»Trauen Sie mir eine derartige Sache zu?« unterbrach Gontard.

»Aber ich denke nicht daran.«

»Kindskopf.«

Das Wort, aus dem Mundwinkel hingeworfen, brachte Kröning aus der Fassung.

»Um Gottes Willen, Herr Gontard, wollen Sie damit sagen – –?«

»Nichts. Ich bin's nicht gewesen.«

»So kommen wir doch nicht weiter, Herr Gontard. Wir brauchen ein Alibi. Wenn wir nicht beweisen können, wer das Gespräch geführt hat, müssen wir beweisen können, daß Sie es nicht geführt haben. Sie haben bei der Vernehmung erklärt, zur fraglichen Zeit nicht in der Bank gewesen zu sein. Wissen Sie vielleicht, – bitte, strengen Sie Ihr Gedächtnis an – wo Sie diese Stunde verbracht haben?«

»Genau.«

»Weshalb haben Sie dann nicht sofort – –?«

»Die Stunde bleibt aus dem Spiel.«

Eine flache Handbewegung begleitete den Satz. Und wieder dieser lange, eigentümliche Blick. Hugo kam die Erleuchtung. Warum schweigt ein Mann in so einer Lage? Donnerwetter, soviel Ritterlichkeit hätte er diesem Gewaltkerl gar nicht zugemutet.

»Es steckt eine Frau dahinter?«

»Und wenn – –?«

»Ich weiß Ihre Diskretion zu schätzen, Herr Gontard, aber es geht um Ihre Existenz. Hier muß jede Rücksicht fallen. Ihre Gegner sind stark. Sie werden sehen, was sich heute auf der Börse abspielen wird. Die Depositenbankaktien werden ins Bodenlose fallen, dafür garantiere ich.«

Man mußte diesen Menschen bei seiner schwachen Seite, beim Geld, packen.

»Haben Sie welche?« gab der Bankier ruhig zurück. »Halten Sie sie.«

»Ich beschwöre Sie«, Hugo erregte sich immer mehr, »rennen Sie nicht in Ihr Unglück. Sie müssen mir sagen, wer die Frau ist. Es wäre ja eine Gewissenlosigkeit sondergleichen, wenn die Frau Sie in dieser Lage – –«

»Und wenn sie verheiratet ist?«

»Man wird ein Arrangement treffen. Mit der Frau und dem Mann. Sie haben ja gottlob Geld. Mit Geld kann man alles richten, jeder ist käuflich. Ihnen brauche ich das nicht zu sagen. Alles ist schließlich nur eine Preisfrage. Höchstens wird die Sache viel Geld kosten. Und was man mit viel Geld nicht schafft, schafft man eben mit noch mehr Geld.«

Gontard stand auf und durchmaß mit schwerem Schritt die Zelle. Auf dem schrägen, gegitterten Lichtviereck, das die Sonne durch das hoch angebrachte Quadrat des Fensters auf den Boden warf, blieb er stehen.

»Sie meinen – jeder ist käuflich?«

»Jeder.«

»Auch jede Frau?«

»Erst recht. Ich kenne die Frauen. Überlassen Sie das ruhig mir.«

Der Bankier blieb dicht vor Hugo stehen, der sich auf das hochgeklappte Bett gesetzt hatte. Gontards Gesicht hing in der Luft wie ein geisterhaft bleicher Mond. Er zauderte, etwas zu sagen. Im ganzen Leben hatte er kein Schwanken gekannt, jetzt lernte er es kennen. Wenn er dem blonden Rechtsanwalt, wie er Lust dazu hätte, die Frage an den Kopf werfen würde: »Was kosten Sie?« Ha, wie der aufspringen würde und blaß werden. Wie er sich winden würde und stottern, wenn er ihn zwischen die Finger nähme. Und die Frau? Mit einem Wort könnte er jetzt diese Ehe zertrümmern, die seinem Glück im Wege stand und die Lena um allen seinen Reichtum nicht hatte preisgeben wollen. Kröning wäre bloßgestellt – was wäre das? Nichts. – – Kein Bedenken, jemanden zu opfern, hatte ihn je zurückzucken lassen. Und die Frau? Und die Frau? Er konnte nichts anderes denken als die kleine, blonde Frau, an der er mit übersteigerter Hörigkeit hing. Alle Hoffnungen, die zuweilen aus einer unbewußten Zärtlichkeit ihrer Hand aufgekeimt waren, wären vernichtet. Alle waren zu kaufen? Alle? Sie nicht. Und das nicht, wonach sich alle seine Sinne krank und wund sehnten, was er als Geschenk und Gnade wollte – die Zärtlichkeit ihrer Hand, ihres Mundes, ihres Herzens in der zart gewölbten Brust. Wenn er jetzt ihr gemeinsames Geheimnis preisgab, um sich zu retten, wenn er diese eine Gelegenheit verpaßte, ihr zu beweisen, wie er sie liebt, wie sein ganzes Leben ihr gehört und eingeschlossen ist in die runde Höhlung ihrer Hand – – Geld ist kein Opfer, nur sich selbst kann man opfern.

Gontard schloß den Mund über dem vorgeschobenen, fleischigen Kinn. Nicht aus Weichheit, nicht aus Güte oder Mitleid.

Sein Schweigen war Werbung, Werbung um die Liebe einer Frau.

»Nein. Sie müssen etwas anderes finden.«

*

Die Aktien der Depositenbank fielen, wie Hugo es vorausgesagt hatte, fielen an der Berliner Börse mit rasender Geschwindigkeit, von Minute zu Minute, und mit ihnen fast alle Papiere der Unternehmungen, die zum Interessengebiet der Gontardbank gehörten. Eine Aufregung sondergleichen herrschte in der Burgstraße. Immer neue Posten kamen auf den Markt und drückten auf die panikartig stürzenden Kurse. Es war offenbar, daß mächtige Kräfte hinter den Kulissen am Werk waren, dem gefangenen Gontard den Todesstoß zu versetzen. Die Angestellten der Depositenbank waren ratlos. Die Direktoren und Prokuristen berieten in stundenlangen Konferenzen. Durch die Maßnahmen der Staatsanwaltschaft war der ganze Betrieb lahmgelegt. Man war vollkommen machtlos. Die irrsinnigsten Gerüchte durchschwirrten die Stadt und vergrößerten die Verwirrung. Vermögen wurden verloren. Der Selbstmord zweier Kaufleute, die Hab und Gut innerhalb zweier Stunden verloren hatten, wurde von den Mittagszeitungen gemeldet. Es wurde von ungeheuren Betrügereien, die angeblich in die Millionen und Abermillionen gingen, gemunkelt. In allen Abteilungen der Bank, so wurde herumerzählt, hätten Spione als Angestellte gesessen, die die Gegner Gontards über jedes Vorkommnis unterrichteten. Dadurch sei die Bombe zum Platzen gekommen. Genau das Gegenteil sei der Fall, wurde von anderer Seite ausgestreut, die Geschichte mit den Spionen sei wahr, aber Gontard übe einen solchen Einfluß auf die Leute aus, daß sich alle Angestellten einmütig auf seine Seite stellten und seine Partei ergriffen.

Die einzige, die Ruhe bewahrte, war Eve. Sie hatte mit Hugo vereinbart, daß er sie sofort bei seiner Rückkunft aus Moabit in ihrer Wohnung aufsuchen sollte. Er kam erst gegen Mittag. Aufgelöst vor Eile und Erregung. Er nahm sich nicht einmal Zeit, sich bei ihr umzusehen, hatte keinen Blick für die kostbare, geschmackvolle Einrichtung, so ausgefüllt war er von den Ereignissen des Vormittags.

»Es ist zum Wahnsinnigwerden mit diesem Menschen. Ich bin nicht imstande, aus ihm ein Wort herauszubekommen. Eine Frau steckt dahinter.«

Eve zog an ihrer Zigarette. Hugo beobachtete sie scharf, aber sie blieb kühl. Seine Hoffnungen auf Eve versanken. Wenn sie nichts wußte – –

»Sie haben keine Ahnung, wer es sein könnte?«

»Nein. Hat er mir etwas sagen lassen?«

»Keine Silbe.«

»Ich habe heute vormittag jeden, der in Frage kam, ins Gebet genommen«, sagte sie, »um eine Spur zu finden, wer das Gespräch geführt haben könnte. Ich glaube nicht, daß es einer von den Angestellten gewesen ist.«

»Glauben Sie, daß er selbst – –«

»Daß er dazu fähig ist, glaube ich nicht nur, das weiß ich. Aber ich glaube nicht, daß er's in diesem Fall getan hat. Ich habe bei ihm schon manches erlebt und kenne seine Hand. Solche Dinge fädelt er anders ein. Einfach bei der Gräfin antelefonieren, sie soll kaufen, und ihr dann den ganzen Schwung wertloser Anteile aufhängen – lächerlich. So leicht macht sich Gontard so etwas nicht.«

»Aber wer zum Teufel kann dann telefoniert haben?«

Sie zuckte die Achseln.

»Wir müssen ihn suchen.«

»Bis wir den großen Unbekannten gefunden haben, ist die Bank kaputt, und er und wir sind ruiniert, wie wir gebacken sind. Haben Sie die B. Z. gelesen, was sich heute an der Börse abgespielt hat? Toll. Wir müssen Gontard zum Sprechen bringen oder von uns aus die Frau finden. Das ist das nächste. Ich werde mir den Chauffeur und die Angestellten der Villa vorknöpfen.«

»Können Sie mir die Akten über die ›Polonia‹ verschaffen, oder wenigstens eine genaue Abschrift? Sie als Verteidiger, können es. Ja? Und halten Sie mich auf dem laufenden.«

Mochte Kröning nach der Frau suchen. Eve hatte ihm absichtlich nichts gesagt. Im Grunde war ja bei ihr nur alles Vermutung, Gefühl, das in den Fingerspitzen saß. Gontard hatte einmal Blumen auf dem Tisch stehen gehabt und hatte sie gezwungen, die Blumen, die sie heruntergeworfen hatte, aufzuheben. Das war eine kleine Schlacht gewesen, die nur ihn und sie anging. Damit konnte niemand etwas anfangen. Und wenn Gontard nichts sagen wollte, so wird sich der Herr Rechtsanwalt eher alle Zähne ausbeißen, als ein Wort aus dem Bankier herausbekommen. Gontard verliebt, zärtlich, ritterlich – wie komisch, nein, nicht komisch, sondern viel mehr, sonderbar und unvorstellbar. Eve war kein besinnlicher Mensch. Ihr Leben war, ihrer Lebensart gemäß, Bewegung, Handeln, Zupacken gewesen. An Gontards Seite hatte man erst recht keine Muße zu Überlegung und innerer Einkehr. Selbst ihre Ferien und Vergnügungen hatte Eve immer im gleichen Hundertkilometertempo genossen. Jetzt, da unvermutet plötzlich das Leben stillzustehen schien und man untätig warten mußte, wie in einem Eisenbahnzug, der irgendwo auf freier Strecke mit defekter Maschine liegenblieb, jetzt hatte man Zeit, die sich von selbst mit Gedanken füllte, mit Gedanken, die von selbst kamen und anders waren als sonst. Geruhsamer, dem Spiel wacher Träume vergleichbar. Eve begann über ihre Zukunft nachzudenken. Sorgen brauchte sie sich nicht zu machen. Geld – pah! Sie besaß welches und konnte jederzeit welches verdienen. Aber wenn Gontard heute alles verlor, wenn er im Gefängnis blieb, schuldig oder unschuldig verurteilt – ja, das war selbstverständlich, sie würde alles zu Geld machen, das Auto, die Wohnung und ihre Papiere. Sie würde ihm alles geben und mit ihm dort wieder anfangen, wo sie schon zweimal begonnen hatten. Ganz von vorn, klein, im möblierten Zimmer, mit dem Gummistempel auf billigem Briefpapier. Würde er denn mit ihr wieder anfangen? War er denn noch der Alte? Alles war anders geworden. Sie hatte Gontard zu kennen geglaubt, so gut man ihn eben zu kennen vermochte. Jetzt konnte sie sich plötzlich sein Gesicht nicht vorstellen. Es mußte sich gänzlich geändert haben. Gontard im Gefängnis, von einer Frau träumend, während draußen sein Werk in Trümmer ging, sein Vermögen zerfloß. Eve strich sich über Stirn und Augen, als ob sie dann klarer sehen könnte. Und die Frau, die Gontard liebte – nicht möglich, sich ein Bild von ihr zu machen. Eine große, königliche Erscheinung, sehr stolz und ruhig, verborgenes Feuer in den dunklen Augen? Oder eine farblose, kleine Frau, nicht hübsch, nicht klug, mit blassen, schmachtenden Blicken? Oder ein girrendes, schwatzendes, bewußt lockendes Kokettchen? Jedenfalls eine Frau, mit der man Geld ausgeben, aber keines verdienen konnte. Lag ihm denn noch am Geld, dem er jahrelang nachgerannt war und um das er mit seiner wilden, verbissenen Kraft gekämpft hatte?

Wenn sie herausbekäme, wer das Gespräch geführt hatte, wenn sie Gontard aus dem Gefängnis holen könnte, wenn sie ihn von dieser Frau befreien könnte, wenn – – wenn – – Was dann? Vielleicht wäre er der alte, vielleicht wäre er fertig, unbrauchbar, zerbrochen. Nichts, nichts, gar nichts wußte sie. Traurigkeit, fremdartige Unlust befiel Eve. Sie ging zum Fenster und drückte die kluge Stirn gegen die Scheiben. Könnte man sich wenigstens in jemanden verlieben! Alles war zweck- und sinnlos. Man war eine Maschine, der man die treibenden Riemen von den Rädern gelöst hatte. – – –

*

Hugo nahm sich nicht die Zeit, Mittag zu essen. Er sagte zu Hause ab. Mit einem Auto hinaus in die Heerstraße zu Gontards Villa. Es war nicht ganz einfach, ins Haus zu gelangen, denn das eiserne Gittertor war verschlossen, und eine Klingel war anscheinend nicht vorhanden. Kröning riß an der Klinke und rief:

»Hallo, hallo!«

Auf Besuche war man scheinbar in diesem verrückten Haus mit der fensterlosen Front nicht eingerichtet. Endlich näherten sich Schritte. Der Gärtner, mit grüner Schürze, eine Sichel in der Hand, kam aus dem Garten und blieb auf halbem Wege stehen.

»Möchten Sie nicht öffnen? Kommen Sie doch her«, schrie Hugo.

Der Gärtner drehte sich ratlos um und verschwand hinter dem Haus. Kröning rüttelte wütend am Tor. Das war ja eine blödsinnige Wirtschaft hier. An der Seite des Hauses öffnete sich ein Fenster, der Chauffeur steckte den Kopf heraus und erkannte den Rechtsanwalt. Das Tor öffnete sich schlurfend.

»Gott sei Dank! Ihr habt wohl hier Angst vor Einbrechern? Ich muß Sie dringend sprechen, Kraatz. Wo ist der Eingang? Um die Ecke? Ist recht – ich komme.«

Der Chauffeur ließ Hugo in die Halle treten.

»Passen Sie auf, Kraatz, Sie wissen ja, was geschehen ist. Ich habe Herrn Gontards Verteidigung übernommen und muß Sie und die anderen Angestellten im Haus einiges fragen. Wieviel Leute sind hier noch außer Ihnen? Zwei? Schön. Rufen Sie sie mal her.«

Unsympathischer Kerl. Die kleinen, verschlagenen Augen, die er hat. Hugo ging in der Halle herum. Sah ja alles ganz manierlich hier aus. Kunststück. Hoffentlich konnte man aus den Leuten etwas herausbekommen. Kraatz kam mit der Wirtschafterin, einer netten, grauhaarigen Frau und dem Gärtner, der ein unsagbar dummes Gesicht hatte, zurück. Hugo setzte eine strenge Miene auf und nahm einen nach dem anderen mit scharfem Blick aufs Korn. Dann setzte er sich sehr würdig in einen der Klubsessel.

»Stellen Sie sich mal alle drei hier vor mir auf. Kraatz, haben Sie schon gesagt, wer ich bin? Ja? Gut. Erst mal Ihre Namen. Sie heißen? Frau – – Reinhold? Und Sie? Wie? Spulemann? Hören Sie mal scharf her. Sie möchten doch alle, daß Herr Gontard bald freikommt, nicht? Sie können vielleicht dabei behilflich sein, und Herr Gontard wird sich dann sicher bei Ihnen erkenntlich zeigen. Also strengen Sie sich an. Es handelt sich darum, festzustellen, wo Herr Gontard vergangenen Dienstag vor acht Tagen zwischen elf und zwölf Uhr vormittags gewesen ist. Er hat bei Gericht und auch mir gesagt, daß er nicht in der Bank war, aber er hat anscheinend vergessen, wo er nun wirklich die Zeit verbracht hat. So was kann ja vorkommen. Er glaubt, zu Hause, aber er weiß es nicht genau. Vielleicht erinnern Sie sich, wenn Sie Ihren Grips zusammennehmen, ob er damals hier war. Na? Denken Sie mal nach.«

Der Gärtner schüttelte den Kopf.

»Ick weeß von nischt.«

»Wenn Herr Gontard sagt, daß er nicht in der Bank war, wird er wohl nicht dort gewesen sein«, sagte die Wirtschafterin.

»Herrgott, ja doch. So klug sind wir auch. Ich will wissen, ob er zu Hause war damals. Ist er denn überhaupt manchmal vormittags nach Haus gekommen, Frau Reinhold?«

»Ist schon möglich, Herr Doktor.«

»Frau Reinhold, nun nehmen Sie sich zusammen. Und Sie beide auch. Sie werden doch wohl wissen, ob Herr Gontard vormittags mal nach Hause kam. Haben Sie ihn nicht gefahren, Kraatz?«

»Ich fahre den ganzen Tag herum, kann vormittags gewesen sein, vielleicht war's auch Nachmittag. So was behalt' ich nicht.«

»Hat er nie auf dem Balkon gesessen? Das müßten Sie doch gesehen haben, Spulemann. Und Sie Frau Reinhold ebenfalls. Sie können mir doch nicht erzählen, daß Sie nie gewußt haben, ob Herr Gontard im Haus ist oder nicht.«

»Herr Gontard muß doch das viel genauer wissen.«

»Ich sage Ihnen ja, Herr Gontard hat's vergessen.«

»Er vergißt doch sonst nichts.«

Himmel, das war ja, um die Wände hinaufzuklettern. Hugo faßte sich verzweifelt an den Kopf.

»Jetzt will ich Ihnen mal was sagen. Ich habe das Gefühl, daß Sie etwas wissen und damit bloß nicht herauswollen, weil Sie Angst haben. Herr Gontard wünscht aber, daß Sie mir die Wahrheit sagen. Und wenn Sie vor Gericht kommen, werden Sie auch die Wahrheit sagen und obendrein schwören müssen. Wenn sich dann herausstellt, daß Sie die Unwahrheit gesagt haben, kommen Sie ins Zuchthaus. Verstehen Sie mich? Auf falschen Eid steht Zuchthaus. Seien Sie doch vernünftig. Falls wir nicht herausbekommen, wo Herr Gontard am Dienstag war, verliert er nicht nur alles Geld und die Bank und das Haus hier, sondern wird auch noch verurteilt und kommt für zwei oder drei Jahre oder länger ins Gefängnis. Kapiert? Das werden Sie doch nicht wollen, daß Sie daran schuld sind, wenn Herr Gontard im Gefängnis bleibt. Nein? Na also!«

Der Gärtner machte ein grenzenlos stumpfes, dummes Gesicht und zuckte die Achseln. Die Wirtschafterin brach in Tränen aus, die sie mit der Schürze abwischte.

»Warum sagt uns denn Herr Gontard nicht, was wir sagen sollen?«

»Herrgott«, brüllte Hugo die Frau an, »seien Sie doch nicht so dumm! Wie soll er Ihnen denn etwas sagen, wenn er im Gefängnis sitzt? Außerdem sollen Sie ja nur die Wahrheit sagen und nicht, was Herr Gontard Ihnen vorspricht. Wissen Sie also etwas oder nicht? Wenn Sie's jetzt nicht sagen, werde ich Sie vor Gericht dazu zwingen.«

»Wenn's Herr Gontard nicht weiß, woher sollen wir's dann wissen?«

Es war aussichtslos. Ganz klar, die Leute sagten nichts aus, was ihr Brotherr ihnen nicht ausdrücklich erlaubte. Damit hatte Hugo nicht gerechnet. Vielleicht kam man anders zum Ziel.

»Frau Reinhold und Sie, Spulemann, gehen Sie mal vorläufig hinaus. Kraatz, Sie bleiben hier.«

Der große Chauffeur blieb gleichmütig stehen. Sein grobes, knochiges Gesicht war fragend Hugo zugewandt, der einen kameradschaftlichen Ton anschlug.

»Kraatz, Sie sind ein intelligenter Mann, Sie werden mich eher verstehen als die beiden anderen. Stecken Sie sich 'ne Zigarre an. So. Es ist Ihnen doch klar, daß ich Sie nur im Interesse Herrn Gontards hier ausfrage. Was Sie mir sagen, erfährt kein Mensch auf der Welt, nicht einmal Herr Gontard, wenn Sie nicht wollen. Mein Wort. Überlegen Sie sich recht, es hängt vielleicht von Ihnen ab, ob Ihr Herr auf Jahre ins Zuchthaus kommt und ein ruinierter Mann ist. Auch Ihre Stellung würden Sie natürlich verlieren, Kraatz, wenn er nicht herauskommt. Also – wollen Sie mir offen und ehrlich antworten?«

»Wenn ich was weiß – –«

»Sie wissen was, und ich weiß auch was. Herr Gontard ist am Dienstag nicht in der Bank gewesen. Wo er war, ob hier oder anderswo, ist mir nicht bekannt, aber Ihnen. Antworten Sie noch nicht. Warten Sie erst ab. Ich weiß auch, daß Herr Gontard am Dienstag vormittag eine Verabredung gehabt hat mit jemandem, vielleicht mit einer Dame, – – na?« Hugo zwinkerte mit dem linken Auge. »Verstehen wir uns?«

»Nee, Herr Doktor.«

»Herrjeh, sind Sie schwerfällig, Kraatz. Stellen Sie sich doch nicht dümmer als Sie sind. Wenn ein Mann mit einer Frau, mit einer Dame, verabredet war, und das ist im Geheimen geschehen, weil die Dame zum Beispiel verheiratet ist, dann muß er als Kavalier schweigen, doch klar, nicht?«

»Wird schon so sein.«

»Sehen Sie, Kraatz, so ist das. Herr Gontard weiß also von nichts, kann sich nicht erinnern, will nicht, weil er ein Kavalier ist. Aber wir beide, Sie und ich, sind zu nichts verpflichtet. Wenn wir etwas herausbekommen, dürfen wir's sagen, müssen wir sogar. Auch klar, ja?«

»Weiß ich nicht, Herr Doktor. Hat Herr Gontard das gesagt?«

»Na, genau so hat er's natürlich nicht gesagt, das kann er doch nicht. Aber angedeutet, wissen Sie, durch die Blume sozusagen. Woher wüßte ich denn sonst, daß er sich mit einer Dame getroffen hat und daß Sie es wissen?«

Jetzt schien sich ja die Sache zu klären.

»Ja, ja, wenn's Herr Gontard gesagt hat.«

»Herr Gontard hat gar nichts gesagt, Herr Gontard weiß von nichts, er hat ganz aus dem Spiel zu bleiben. Sie müssen es mir sagen. Wir brauchen den Namen und die Adresse der Dame, alles andere mache ich dann schon.«

Kraatz tat, als ob er überlegte, seine kleinen, grünlichen Augen kniffen sich zusammen.

»Der Chef hat mich ja nicht mitgenommen. Wenn ich ihn irgendwohin fahre, weiß ich ja nicht, zu wem er geht. Man müßte einen Anhalt haben, wie die Dame aussieht, dann könnte man ja vielleicht erfahren – – Haben der Herr Doktor keine Ahnung? Wenn mir der Herr Doktor helfen kann, möchte mir am Ende etwas einfallen – –«

Hugo merkte gar nicht, wie er sich aus dem Ausfrager in den Ausgefragten verwandelte, wie ihn Kraatz, der ehemalige, mit allen Wassern gewaschene Kriminalbeamte, nur ausholen wollte und im Traum nicht daran dachte, etwas zu verraten, was ihm sein Herr nicht persönlich befehlen würde. Einen Anhaltspunkt? Wo nimmt man einen Anhaltspunkt her? Hugo dachte angestrengt nach. Eve kam nicht in Frage, die war gar nicht in Berlin gewesen, hatte auch gar keinen Grund, ein Beisammensein mit Gontard zu verheimlichen. Es konnte sich nur um eine verheiratete Frau handeln, der Bankier hatte ja so etwas fallen lassen. Verheiratete Frau? Aber wer, wer? Eine Vermutung blitzte auf. Hugo faßte sich am Kinn.

»Sagen Sie mal, Kraatz – – eine Dame – – schlank, zierlich – – lebhafte dunkle Augen – – dunkler Wuschelkopf mit einem Stich ins Rötliche, als ob das Haar gefärbt wäre – – bißchen scharfe Stimme – –«

»Hm«, machte der Chauffeur, »hm. Dunkler Wuschelkopf. Wär' möglich. Das heißt, ich will nichts gesagt haben.«

Hugo frohlockte. Hatte er diesen verschlagenen Burschen doch herumbekommen.

»Verstehe, Kraatz, natürlich, Sie haben nichts gesagt.«

»Ich weiß auch die Adresse von der Dame nicht.«

»Gar nicht nötig, die kriegen wir schon. Halten Sie es für möglich, daß Herr Gontard in der letzten Zeit noch mit einer anderen Dame zusammengetroffen ist?«

Man konnte nie wissen, Gott weiß, als was für Schürzenjäger sich dieser »Einsame« entpuppte.

»Nicht, daß ich wüßte, Herr Doktor.«

Wenn das stimmte. Das wäre ja – – na einfach unglaublich. Gontard wird sich nicht schlecht über die Fixigkeit seines Verteidigers wundern.

»Noch eins, Kraatz, heute nacht waren doch die Herren von der Staatsanwaltschaft und von der Polizei hier. Haben das ganze Haus durchstöbert, was? Ich möchte mir auch mal die Räume ansehen. Vielleicht fällt mir noch was auf, was wir brauchen können.«

»Ich weiß nicht, ob ich darf.«

»Bei mir dürfen Sie. Ich bin doch der Verteidiger.«

Hugo kam sich wie ein großer Detektiv vor. Er folgte dem Chauffeur über die Galerie in den ersten Stock und blieb erstaunt im Arbeitszimmer stehen. Die Halle, das war ja noch was, aber das hier, beinahe schäbig. Da hatte er es zu Hause noch eleganter. Verrückt, einfach verrückt. Die Wirtschafterin hatte die Polsterstühle und die Kissen, welche von Lena stammten, mit Decken zum Schutz gegen den Staub verhängt, so daß der Raum noch kahler erschien. Der Flügel erweckte Krönings Aufmerksamkeit.

»Nanu? Spielt denn Herr Gontard?«

»Manchmal ein bißchen«, log Kraatz.

Was, Gontard am Klavier? Also das konnte man sich weiß Gott nicht vorstellen. Der Mann bekam auf einmal ein ganz anderes Gesicht. Hugo öffnete die Tür des Schlafzimmers und blieb mit offenem Mund stehen. Das war ja phantastisch. Das Schlafzimmer schimmerte im halben Licht der chinesischen Tempellampe von überladener Pracht. Alles war unberührt, nur die Schale mit den Schmucksachen fehlte. Das goldene Prunkbett auf den Ebenholzleibern der knieenden Sklaven breitete sich schwer und groß unter damastenem Himmel. Dieser Gontard war ja ein Renaissancemensch, ein Borgia, ein Wollüstling, feierte hier Orgien und draußen vor der Welt spielte er – – also das war ja – – Und alle anderen Zimmer verschlossen? Immer? Zum Teil noch nicht einmal möbliert? Verrückt. Komplett verrückt.

»Danke, Kraatz.«

Ganz aufgeregt verließ Kröning das Zimmer. Monatelang kennt man einen Menschen und hat keinen Schimmer, wie er eigentlich ist, und dann, in zehn Minuten, erfährt man mehr über ihn, als man sonst vielleicht in Jahren von ihm gewußt hätte. Toller Bursche! Schau, schau!

»Also, wenn ich Sie brauche, Kraatz, rufe ich Sie.«

Der Chauffeur ließ ihn durch das Gittertor, das wieder einschnappte. Ein schiefer Blick des Chauffeurs flog hinter dem Rechtsanwalt drein. Und als Hugo schon außer Hörweite war, knurrte Kraatz nur ein saftiges Wort:

»Dussel!«

*

Sämtliche Abendblätter, die aufzutreiben waren, kaufte Hugo zusammen. Noch im Auto, das ihn nach Hause brachte, stöberte er die Berichte durch. Alle Zeitungen waren voll. Er nahm davon mit einer gewissen Befriedigung Kenntnis. Neben dem Aufsehen, das der Fall Gontard erregte, trat selbst das Interesse für den großen Boxkampf um die deutsche Meisterschaft, ja sogar für den Prozeß des Massenmörders Gerold, der eine Art zweiter Haarmann war, in den Hintergrund. Die Summen, um die es hier ging, faszinierten die Massen. Millionen, Millionen, Abermillionen. Die kleinen Beamten, die mit jedem Pfennig rechnen müssen, die Arbeiter, die im kargen Hungerlohn stehen, die kleinen Kaufleute und Handwerker, die jede Mark mühselig erschuften, betranken sich an gigantischen Zahlen und freuten sich an dem Sturz des »Schwindlers«. Die Bankangestellten, jeder ein zukünftiger Direktor, fraßen die abenteuerliche Lebensgeschichte Gontards, die jede Zeitung anders brachte, in sich hinein. Einen »Zauberer des Geldes« nannte ein phantasievoller Journalist den jäh gestürzten Bankier. Frauen erhitzten sich. Der Kraftmensch, der Gewaltmensch, der einsame Sonderling, der nur Feinde hatte, entfachte ihre Vorstellungskraft. In den Kreisen der Börsianer entbrannte wilder Meinungsstreit. Tausende bangten um ihre Einlagen, um den Kurs ihrer Papiere. Man haßte ihn, aber man hatte auch viel Geld an ihm verdient, an dem »Mann mit der Pranke«. Irgendwo war das Wort aufgetaucht und schallte wie ein Echo wider, in Gesprächen, in Artikeln. Berlin hatte manchen solchen Prozeß in der Nachkriegszeit erlebt, aber hinter keinem stand eine Figur, so geheimnisvoll, so rätselhaft, so bannend wie die Gestalt Gontards. Keiner hatte den Riesenbienenstock der Weltstadt in so summende, kribbelnde Erregung versetzt. Und diesen Mann verteidigte Dr. Kröning, der unbekannte, kleine Rechtsanwalt. In allen Zeitungen stand es: »Die Verteidigung Gontards hat Dr. Kröning übernommen« – »Der Angeschuldigte, der von Dr. Kröning verteidigt wird« – »Die Verteidigung des Präsidenten der Depositenbank liegt in den Händen des Rechtsanwalts Dr. Kröning.« Mit Behagen schlürfte Hugo die Sätze. Er stand im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses, ebenso wie Gontard selbst. Das war eine Reklame, eine Reklame! Auch wenn die Depositenbank jetzt krachen ging. Die Kurse waren ja zum Verzweifeln. Alles, was nur entfernt mit dem Gontard-Konzern in Verbindung stand, war in Mitleidenschaft gezogen. Und die Nachbörse hatte den Papieren noch den Rest gegeben. Nicht auszudenken, was heute verloren worden war. Erholte sich Gontard von diesem Schlag, so war er wirklich der große Zauberer des Geldes.

Lena hatte einen schrecklichen Tag hinter sich. Sie war ratlos in der Wohnung herumgestrichen, unfähig, zu arbeiten, unfähig, zu denken, es sei denn dieses: Gontard. Das unerwartete Ereignis war in sie wie ein gefährlicher Sturm gefahren, der ein Gewässer bis in den schlammigen Grund hinein aufwühlt und Verborgenes, Verheimlichtes ungestüm an die Oberfläche reißt. Susi hatte telefoniert, maßlos zerfahren, was denn um Gottes Willen geschehen sei. Sie käme gleich hinüber. Nach zehn Minuten war sie bei Lena und überschüttete die Freundin mit einer Flut von Fragen. Sie solle doch erzählen, sie müsse doch etwas wissen.

»Ihr fahrt natürlich nicht?«

»Nein.«

»Wir auch nicht, ich kann nicht.«

»Wieso? Ihr habt doch mit der ganzen Sache nichts zu tun?«

»Ich kann nicht. Ich hätte keine Sekunde Ruhe, ich bin ganz krank.«

»Aber Richard?«

»Richard tut, was ich will.«

Lena war zu zerschlagen, um nachzudenken. Im Augenblick schien es ihr nur natürlich, daß alle Menschen aufgeregt waren und niemand sich mit etwas anderem beschäftigte als mit Gontard.

»Wenn Hugo nach Hause kommt, ruf mich bitte an. Tu mir die Liebe. Ich muß wissen, was los ist, ich halt's nicht aus.«

Wenn sie Susi nur fragen könnte, was sie tun soll, dachte Lena, wenn man doch nur eine einzige Menschenseele hätte, mit der man sich besprechen könnte. Dann ließ sie Susi doch weggehen, ohne etwas gesagt zu haben. Sie wartete mit brennender Ungeduld, daß Hugo nach Hause käme, und hatte gleichzeitig eine grenzenlose Angst, ihn zu sehen. Es war ja nicht auszuhalten, daß Gontard in einer Gefängniszelle saß, in einer finsteren, engen Zelle und sie das eine Wort verschweigen mußte, das seine Zellentür öffnen konnte. Sie wiederholte sich die Worte, die auf dem Zettel gestanden hatten: Unbesorgt, schweigen, vernichten. Wenn er es nicht wollte, daß sie das Wort aussprach. – – – Sie dachte nicht an ihre Ehe in diesem Augenblick, nicht an das Entsetzen, das Hugo befallen würde, sondern nur daran, daß Gontard ihr etwas befohlen hatte, und daß sie folgen müsse.

Als die Korridortür klappte, und sie die Schritte ihres Mannes hörte, fühlte sie es im Herzen wie einen Messerstich. Er stürmte schon herein und warf die Zeitungen auf den Tisch.

»Pfüh! Ich bin fertig! Total fertig! Kannst du mir rasch Kaffee kochen lassen? Aber starken! Komm gleich wieder herein, ich will verschiedenes mit dir besprechen.«

Sie war froh, sich erholen zu können. Unbesorgt, schweigen, unbesorgt, schweigen, sagte sie auf dem Wege zur Küche leise vor sich hin, als ob aus den beiden Worten die Kraft strömte, die sie brauchte, um sich zu beherrschen.

»Also komm, setz dich her zu mir, Dummchen, ich muß dir erzählen«, sagte Hugo, als sie wieder zurückkam. Du sollst mir raten. Große Dinge tun sich. Große und verrückte Dinge.«

Er tätschelte ihre Hand.

»Bist auch aufgeregt, Kleines, was? Kein Wunder, ist ja keine Kleinigkeit die Geschichte. Wirst staunen, was sich da alles herausgestellt hat. Also zuerst einmal: Er hat mir die Verteidigung übertragen. Das ist die Hauptsache. Steht schon in allen Zeitungen. Fein, was?«

»Warum denkst du jetzt zuerst an dich?« fragte sie, die Augen auf den Teppich geheftet. »Wenn ein Mensch im Gefängnis sitzt?«

Sie vermochte die Frage nicht zu unterdrücken.

»Liebes Kind, das ist im Daseinskampf nicht anders. Erst komm ich, dann komm wieder ich und noch ein drittes Mal ich. Dann kommt eine lange Weile nichts, und dann mag in Gottes Namen Herr Gontard kommen. Du bist anders, weiß ich. Aber du stehst auch nicht im Leben draußen. Ist schon richtig so, laß mich nur machen.«

Lenas Kehle ging auf und ab. Sie schluckte. Rote Flecken brannten ihr am Halse.

»Also heute früh war ich zuerst beim Staatsanwalt. Eindruck mies. Der gute Gontard hat ein besonderes Talent, sich unbeliebt zu machen. Sogar der Gefängniswärter kann ihn nicht ausstehen. Ich komme in die Zelle und denke natürlich meinen hohen Chef – sagen wir – ein bißchen niedergeschlagen vorzufinden oder wütend oder sonst etwas. Schließlich – Gefängnis bleibt Gefängnis, auch wenn man unschuldig ist. Sitzt er nicht vergnügt da und raucht gemütlich seine Zigarre? Mein Wort – vergnügt, also sagen wir, ganz ruhig und friedlich. Macht mir auch gar keine Schwierigkeiten. Sieht mich zwar ein wenig komisch an, als ich ihm meinen ehrbaren Antrag mache, ist aber gleich einverstanden, daß ich die Verteidigung übernehme. Und jetzt kommt das Merkwürdige – –«

Das Dienstmädchen kam herein, den Tisch zu decken.

»Machen Sie rasch, Lina, und lassen Sie uns allein.« Er machte eine Pause, bis das Mädchen wieder draußen war. »Ja, das Merkwürdige, er bleibt steif und fest dabei, daß er an dem bewußten Dienstag nicht in der Bank gewesen ist. Glaub' ich auch. Wo war er in der Zeit? Sagt er nicht. Um keinen Preis. Ich machte ihm klar, was für ihn auf dem Spiel steht, daß wir ein Alibi haben müssen, weil sonst die Karre schief geht – nützt alles nichts. Da schießt mir etwas ganz Unwahrscheinliches durch den Kopf: – eine Frau –«

Das Herz blieb Lena stehen, ihr Mund öffnete sich, ihre Augen bekamen eine unnatürliche Tiefe. Wäre Lina nicht mit dem Kaffee eingetreten, hätte Hugo es bemerken müssen.

»Stellen Sie nur hin. Ist gut, wir brauchen weiter nichts. Sei so gut, schenk mir ein. Danke. War nur so ein plötzlicher Gedanke mit der Frau, aber der Tip war richtig. Denken und es ihm auf den Kopf zusagen, war eins. Hättest die Augen sehen sollen, die er gemacht hat. Er war sprachlos, daß ich das so im Nu aus dem Handgelenk heraushatte.«

»Und er sagte – –?«

»Natürlich sagte er nicht ja, aber er sagte auch nicht direkt nein. Die Sache ist schon so. Bist paff, was?«

Der Löffel in Lenas Hand schlug dauernd beim Rühren gegen den Tassenrand. Weshalb erzählte Hugo so lang und breit? Warum spannte er sie auf diese entsetzliche Folter? Er soll doch sagen – sagen – –

»So erzähl doch schon!«

»Tu ich ja, was bist du denn so nervös? Soll ich hinten anfangen zu erzählen? Ich knöpfe mir, wie du dir denken kannst, Gontard energisch vor, er muß mir den Namen der Frau nennen. Tut er nicht. Ich rede ihm zu, wie einem kranken Pferd. Nein, nein und nein. Was soll ich dir sagen, ich habe gebeten, ich war grob – kein Wort aus ihm herauszukriegen. Wie gefällt dir das? Gontard als Liebhaber, als Ritter, der sich schützend vor seine Dame stellt? Wer hätte das von dem Jungen gedacht? Du vielleicht?«

Warum schrie sie nicht heraus: Ja, ich, ich, ich!? Aber der Mund konnte das Wort nicht formen. Nur die Worte des Zettels saßen in der Kehle, im Gehirn, im Blut. Unbesorgt, schweigen – unbesorgt, schweigen. Hugo nahm einen Schluck.

»War nichts zu machen mit ihm. Ich muß etwas anderes finden, sagte er. So ein Blödsinn! Ich kann doch kein Alibi erfinden. Die Herren von der Staatsanwaltschaft lassen sich von uns nichts vormachen.«

»Und was – –?«

»Was ich tun werde? Das einzig Vernünftige. Die Frau suchen.«

Unbesorgt, schweigen. Unbesorgt, schweigen. Schweigen. Schweigen.

»Wenn er es aber nicht will?«

»Will. Will. Er hat jetzt gar nichts zu wollen. Ich bin sein Verteidiger und habe alles zu tun, um ihn freizubekommen. Es handelt sich um eine verheiratete Frau, das ist klar.«

»Ich dachte Fräulein von Gernsheim – –«

»Dacht' ich auch, aber der Herr scheint ja ein kleiner Don Juan zu sein, so ein stilles Wässerchen. Mal die, mal die. Das wird einen hübschen kleinen Skandal geben.«

»– und eine zerstörte Ehe«, sagte sie ganz, ganz leise.

»Darauf kann ich doch keine Rücksicht nehmen. Hätte sich die gute Frau nicht mit Gontard eingelassen! Ich werde natürlich trachten, daß man die Geschichte irgendwie so beilegt, besonders da mein Verdacht nach einer bestimmten Richtung geht. Heute Nachmittag war ich nämlich in der Villa Gontards, um die Hausangestellten auszufragen. Wär' ja möglich, daß Gontard seine Zusammenkünfte mit der Dame seines Herzens bei sich zu Hause abgehalten hat. Die Angst, die die Leutchen vor Gontard haben, kannst du dir nicht vorstellen. Sie wissen gar nichts. Sie wissen nicht, ob sie auf der Welt sind, wenn Gontard es nicht ausdrücklich gestattet. Selbstverständlich wissen sie Verschiedenes, trauen sich nur nicht, etwas zu sagen. Wie er die Leute im Zug hat, ist ja unglaublich. Bloß der Chauffeur, ein widerlicher Hund übrigens, ist mir auf den Leim gekrochen. Ich habe ihn an der Dienertreue gepackt, da ging's. Er wollte, daß ich alles sage, damit es nachher nicht heißt, daß er – – du verstehst? Und da kam mir wieder eine blitzartige Erleuchtung. Weißt du, so stelle ich mir vor, daß einem Dichter plötzlich etwas einfällt, ganz intuitiv. Ich beschreibe ihm eine Dame, nicht eine x-beliebige, sondern eine ganz bestimmte, und schon – –«

»Du kannst doch gar nicht wissen – – wenn du eine falsche verdächtigst – –«

»Äh, man weiß manches. Es hat ja auch gestimmt. Und was meinst du, wen ich beschrieben habe?«

In den Adern der Frau klopfte das Blut, daß sie meinte, man müsse es im ganzen Zimmer hören.

»Kommst nicht drauf, Dummchen, da bist du zu harmlos dazu. Um es kurz zu sagen – Susi.«

Sie hielt es nicht mehr auf ihrem Sitz aus und sprang auf.

»Das ist nicht wahr!«

»Reg dich wieder ab und setz dich hin. Du weißt, ich habe Susi sehr gern, sie ist eine geschickte, scharmante Person, aber – unter uns – für ganz stubenrein halte ich sie nicht. Wenn sie in einen Mann vernarrt ist oder sich irgend etwas verspricht, traue ich ihr ein Seitensprünglein zu. Ohne weiteres. Ich habe natürlich keine Beweise, die muß ich mir erst zusammenholen. Und ich werde sie finden. Garantiert.«

Hugo erhob sich und wandelte mit energischen Schritten auf und ab. Er war außerordentlich mit sich zufrieden. Lena war in stumpfes Brüten verfallen. Ihre Gedanken kreisten einen wahnwitzigen Tanz, sie erlebte jetzt schon alle Grade bebender, verzweifelter Angst. Jetzt wird Hugo suchen, suchen, der Wahrheit näherkommen, Schritt für Schritt. Wird zu Hause immer erzählen. Sie wird seinen Weg verfolgen können mit allen Biegungen und Windungen. Und am Ende des Weges wird dann nicht Susi stehen. Sondern sie, seine eigene Frau.

Unbesorgt, schweigen, mahnte der Zettel. Sie kämpfte in Gedanken mit Gontard. Bettelte in Gedanken: Laß mich sprechen, laß mich sprechen. Sie fühlte, sah das Gesicht Gontards, als wäre es greifbar vor ihr, groß, ernst und grau. Es verwandelte sich, wie es sich aus steinerner Starre zu verwandeln pflegte, wenn sie bei ihm war, sein Mund wurde weich und lebendig. Und sagte: Unbesorgt, schweigen.

»Bin neugierig, wie sich Susi jetzt verhalten wird«, meinte Hugo im Auf- und Abgehen.

»Du solltest sie anrufen, wenn du kommst. Sie reisen nicht.«

Ein Pfiff entfuhr Hugo.

»Das ist ja fabelhaft interessant. Was habe ich gesagt? Verstehst du jetzt? Sie reisen nicht. Donnerwetter, das ist ein starkes Stück von ihr. Und Richard merkt nichts, was? Ist ja nicht zu glauben, so ein Hornochse.«

»Du weißt doch gar nicht, Hugo –«

Er redete sich in moralische Entrüstung.

»Was weiß ich nicht? Ist das vielleicht auch noch kein Beweis? Wenn du und ich Gontard zufällig bei Richards kennengelernt hätten und das wäre passiert, wäre uns nur einen Augenblick der Gedanke gekommen, unsere Reise aufzuschieben? Frage noch irgend jemanden in ganz Berlin, ob er anderer Meinung ist. Daß Susi sich nicht schämt, ihren Mann so bloßzustellen. Ob sie ihn liebt oder nicht, das ist ganz egal. Empörend, unanständig ist das. Pfui Teufel! Wenn ich Richard wäre – da könnte ja Susi etwas erleben. Einen Hinauswurf, achtkantig, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat.«

Jetzt erst kam es Lena zum Bewußtsein, wie ungewöhnlich Susis Verhalten war. Hugo hatte ja recht, welcher Frau fiel es ein, ihre Sommerreise aufzugeben, es sei denn – Wie kam Susi dazu, so über die Verhaftung Gontards aufgeregt zu sein? Das Herz stand Lena still. Es war doch nicht möglich. Diese Stunde, um die es sich handelte, hatte ihr gehört, ihrethalben schwieg Gontard, ihrethalben. Weshalb blieb aber Susi hier, wenn gar nichts zwischen ihr und Gontard war? Nein, es war nichts. Wahnsinn, auch nur zu denken. Kann doch nicht alles Lüge gewesen sein, Lüge Gontards Liebe, Lüge seine Einsamkeit. Weshalb blieb aber Susi hier? Man bleibt nicht hier, wenn nichts, wenn gar nichts – – Rasende Eifersucht griff ihr ans Herz. Es flimmerte ihr vor den Augen. Es ist nicht wahr, kann nicht wahr sein. Sie schüttelte den blonden Kopf.

»Du, wenn das ist – –«

»Was denn? Es ist. Kannst Gift darauf nehmen.«

»Gontard, ein Mensch wie Gontard und Susi – nein – nie!«

»Lächerlich, was du redest. Susi ist schon eine sehr reizvolle Frau, liebenswürdig, raffiniert, klug, da wollen wir uns nichts vormachen.«

Lena schlug fast hysterisch um. Wehrte sich gegen den Gedanken, wie jemand, der blindlings um sich haut, mit geschlossenen Augen, ohne zu denken.

»Susi wird sich doch nicht mit Gontard einlassen. Einem so abstoßenden Menschen. Sie kann doch haben, wen sie will. Die schönsten Männer rennen ihr nach.«

Hugo blickte verblüfft auf seine Frau. Dann bekam er's mit dem Lachen.

»Gott, was für ein Blech! Das war wieder einmal echt weiblich. Erst kann sie ihm nicht gefallen, dann kann er ihr nicht gefallen. Wie's dir in den Kram paßt. Gontard nicht? Gerade Gontard. Susi hat schon den richtigen Instinkt. Du verstehst nur nichts von Männern.«

Er nahm leidenschaftlich für den Bankier Partei. Die Außergewöhnlichkeit dieses Mannes müsse jede Frau reizen. Man muß nur die Wohnung dieses merkwürdigen Kerls sehen. Das Arbeitszimmer kalt wie Eis, voll von der gefühllosen Arbeitswut eines gierigen Raffers, das Schlafzimmer orgiastisch, toll, das Lasterlager eines Dschingis-Khan. Also das muß man eben gesehen haben, sonst kann man gar nicht urteilen. Lena zuckte zusammen wie unter einem Schlag. Weshalb widersprach er ihr? Wie konnte ein Mensch so gar nicht verstehen, daß sie nur eine Antwort haben will? Hugo war in Gontards Zimmern gewesen, wo sie jeden Stuhl, jede Ecke, jeden Nagel kannte. Die Zimmer standen körperlich deutlich vor ihr, sie blickte durch die Fenster auf die Bäume des Gartens, saß im Stuhl, auf ihren Knien den Kopf Gontards, der mit den Zähnen das Kissen zerriß – eine unbändige, kranke Sehnsucht schlug über ihr zusammen. Dienstag wird kommen, sie wird zum Wittenbergplatz schleichen, der Wagen wird nicht da sein – – Sie klappte zusammen, sagte gar nichts mehr. Unbesorgt sein, schweigen. Ihre Lippen preßten sich zusammen, damit kein Wort herauskäme. Soll Hugo suchen. In Gottes Namen. Susi, ja. Vielleicht Susi. Wahrscheinlich Susi. Und dann finden, die Wahrheit. Er wird die Tür aufreißen, den Arm heben, theatralisch. Gontard wird aus dem Gefängnis entlassen werden, sie wird ihm entgegengehen – und von der anderen Seite wird Susi kommen. Alles lächerlich, alles gleichgültig. Das ganze Leben – – –

*

Ein Wunder geschah. Kein Mensch konnte es sich erklären. An der Frühbörse erlitten die Werte des Gontardkonzerns einen letzten Stoß. Den Todesstoß, meinte man allgemein. Aber dann trat eine kleine Besserung ein. Ganz allmählich. Todeszuckungen, nach Ansicht der Fachleute. Letzte Anstrengung der Beteiligten, die noch retten wollten, was zu retten war. Die Besserung dauerte an. Es breitete sich das Gerücht aus, daß aus Amerika und London große Kaufaufträge vorlägen.

»Mache«, flüsterte man sich zu.

»Keine Mache, Sie werden sehen, es gibt Überraschungen.«

»Lächerlich. Mir sagen Sie –?«

Alles Interesse ballte sich um die Aktien der Depositenbank. Die Gegner Gontards parierten den Schlag, indem sie neue Posten Papiere auf den Markt warfen. Ruck nach unten. Dann zogen die Kurse wieder an. Neues Material kam. Ruck nach oben. Punkt um Punkt. Um elf Uhr konnte man schon von einer richtigen Erholung sprechen. Von beiden Seiten war man noch vorsichtig. Man hatte das Gefühl, es war doch etwas im Gange. Man wußte nur nicht was. Die verrücktesten Gerüchte tobten sich aus. Eine ausländische Regierung, die mit Gontard durch Anleihen verknüpft war, habe eingegriffen. Eine der größten amerikanischen Banken wolle sich in der Depositenbank festsetzen. Alles Schwindel und Börsenmanöver von Gontard. Auch seine Verhaftung. In drei Tagen ist der Mann wieder frei und hat sein Vermögen verdoppelt. Die Telefone rasselten. Die Kabel arbeiteten. Funktelegramme blitzten durch die Lüfte. Wien kaufte. Was will Wien – nicht New York? Vorsicht. Vorsicht. Zurückhalten. Fünf Punkte hinauf. Drei herunter. Neues Material, doch nicht mehr so viel wie vorher. London kauft. Noch fünf Punkte hinauf. Paris kauft. Hinauf, weiter hinauf. Keine Ware. New York kauft. Ein irrsinniger Trubel entstand. Die Kurse wechselten von Minute zu Minute. Eine Welle hitziger Erregung wogte durch die Börse. Die Makler arbeiteten mit feuchten Fingern. Von beiden Seiten tobte der Kampf. Die Kontermine brach ein. Der Schlag verpuffte. Ein Lärm sondergleichen setzte ein. Die Makler schrieben neue Kurse an. Höhere. Da waren sie schon überholt. Die Spekulation raste durch Schranke und Kulisse. Glatzen wackelten aufgeregt. Stirnen glänzten von Schweiß. Die Zahlen schlugen ihre wilde Schlacht. Das Wunder vollendete sich. Um eins hatten die Werte des Gontardkonzerns fast ihre ursprüngliche Höhe erreicht. Die Gontardpartei hatte die Schlacht gewonnen.

Der Sieger saß in seiner Zelle, eine seiner dicken Zigarren rauchend, die der Chauffeur Kraatz für ihn abgegeben hatte und deren präpariertem Bauch er vor dem Anzünden einen nageldünn zusammengerollten, beschriebenen Papierstreifen entnommen hatte.

*

Kraatz hatte Eve von Gontard Nachrichten und Aufträge gebracht. Wie er mit seinem Herrn die Verbindung hergestellt hatte, verriet er nicht, er grinste nur auf die Frage der Sekretärin mit breitem, pfiffigen Gesicht. Langjähriger Umgang mit Verbrechern in seiner Amtszeit als Kriminalbeamter hatte Kraatz gelehrt, daß man in jedes Gefängnis Kassiber hinein- und wieder herauszuschmuggeln vermochte. So bewacht konnte kein Gefängnis sein, so aufmerksam kein Wächter, keine Gefängniswand so dick, daß nicht tausend Gänge in die verborgenste und einsamste Zelle und aus ihr wieder in die Welt hinausgeführt hätten, sofern man ein wenig Erfindungsgabe und Geschicklichkeit besaß. Nicht einmal Bestechungen waren dazu nötig.

Eve arbeitete wie eine Besessene. Chiffretelegramme flogen hinaus. Telefongespräche wurden geführt, alle auswärtigen Verbindungen und Vertreter Gontards wurden mobil gemacht. Tief in der Nacht brannte noch in der Wohnung Eves Licht. Neben dem reichgeschnitzten Barockschreibtisch, der voller Bücher und Schriften war, stand auf gläsernem Teetisch Mokkageschirr. Gutes, altes Silber, handgetrieben und wertvolles Porzellan. Die Herrin der Dreizimmerwohnung wußte, was gut und teuer war. Jedes Stück des Raumes war mit erlesenem Geschmack gewählt, stand am richtigen Platz, war so sorgfältig aufeinander abgestimmt. Alles machte einen gepflegten, herrschaftlichen, selbstsicheren Eindruck. Eve schenkte sich ein. Von irgendeinem Turm schwebten zwei klare, tiefe Schläge in die Nacht. Halb zwei. Kein Gedanke an Schlafengehen. Ob er jetzt schläft? dachte Eve. Sie war noch ganz benommen von diesem hitzigen Tag und voll hingerissener Bewunderung für Gontard, der aus der Zelle heraus – es war unverständlich wie – die Schlacht an der Börse gegen eine Armee von Widersachern, die ihn beneideten, fürchteten, haßten, gewonnen hatte. Oh, er war gerissener und stärker als die ganzen Herrschaften, die geglaubt hatten, daß jetzt der richtige Augenblick gekommen wäre, ihm das Genick zu brechen. Noch bei seiner Verhaftung mußte der Bankier Zeit gefunden haben, ein Dutzend Telegramme hinausgehen zu lassen. Vermutlich durch den Chauffeur oder sonst auf einem Wege, den auch Eve nicht kannte. Mit allen Wassern war er gewaschen. Oder hatte er alles vorausgesehen, vorausberechnet und vorbedacht, aus seiner Verhaftung ein Geschäft gemacht? Wer konnte das bei ihm wissen? Er war mit allen Hunden gehetzt, und seitdem das Fremde, die Frau, zwischen ihn und Eve getreten war, noch rätselhafter und unverständlicher geworden als früher. Zuweilen hatte sie aus kleinen, unscheinbaren Anzeichen zu erkennen geglaubt, daß er gleichgültiger, schwächer geworden wäre, und jetzt zeigte er – – prachtvoll war das, herrlich! Hier hatte er manchmal gesessen, auf dem Rand des breiten, teppichbedeckten Ruhebettes, das im Dunkel des Zimmers stand, die eckigen Schultern ausladend vorgenommen, wortkarg, die großen, weißen Hände rund um die Knie gespreizt. Andere Männer hatten inzwischen das Zimmer gesehen, Männer von Welt, schöne, elegante, gebildete. Die ihr gefielen, die ihr gleichgültig waren, ihre Eitelkeit reizten. Kleine Erlebnisse, die mit einer Handbewegung abgetan wurden. Der blonde Rechtsanwalt hatte ihr an derselben Stelle, die Gontards Platz gewesen, den Hof gemacht. Schatten, die blaß und blutlos waren, wenn Gontards Bild auftauchte. Eve wurde nervös. Sie ließ den Kaffee stehen und wanderte, die Zigarette im Mund, die Hände in den Taschen des Sportjumpers, über das Muster des blauroten Teppichs. Immer den Schritt richtend nach dem unregelmäßigen Muster des Teppichs, kurz, lang, lang, kurz, lang, kurz, kurz. Liebe? Unsinn, sentimentale Weichheit! Er war nur mehr als die anderen, in der Fingerspitze mehr, als sie alle zusammengenommen. Wenn einem einer gefällt, sagt man, er sei klug oder gütig oder witzig oder schön oder irgend etwas. Gontard war das alles nicht. Klug, ja, aber es war eine Klugheit, die sich im Zusammensein mit ihm kaum äußerte. Ach – – es war eben gut gewesen, ihn hier zu haben, bei sich. Mit ihm zu sprechen oder nicht zu sprechen, alles gleichgültig. Ihn hier haben, weiter nichts. Was hatte ihn vertrieben? Hatte ihm Zärtlichkeit gefehlt, Schwäche der Frau, hatten sie einander nicht verstanden? Vielleicht hatte er sie nicht richtig behandelt. Man redet aneinander vorbei. Man hatte vielleicht auf etwas gewartet, auf irgendein Wort, das er oder sie hätte sagen sollen, um das letzte – – Er hätte es sagen müssen, er war der Mann. Warum er? Es war doch lächerlich, sich jetzt auf die empfindsame Frau hinausspielen zu wollen. Neben dem niedrigen Rauchtisch am Kopfende des Ruhebettes stehenbleibend, zerdrückte sie die Zigarette im Aschenbecher. Umständlich. Und verbrannte sich dabei, in schweifenden Gedanken befangen, die Fingerspitze. Sie netzte die Stelle mit der Zunge. Als hätte sie der Schmerz in die Wirklichkeit zurückgerufen, reckte sie sich mit einem leichten Schütteln. Arbeiten! Kröning hatte ihr abends die Akten über die »Polonia«, dieses Unglückspapier, gebracht, und sie hatte schon einen bestimmten Plan und Verdacht. Kröning hatte sehr geheimnisvoll getan. Er war auf der Spur der Frau. Wie sich der gute Junge das vorstellte. Wenn Gontard nicht wollte, würde kein Gericht und kein Rechtsanwalt ihm und der Frau den Mund öffnen. Hätte jemand aus ihr ein Wort herausgebracht, wenn er es nicht wollte? Und wenn man ihr die Zunge aus dem Hals geschnitten hätte! Mit keinem Laut hatte sie sich über ihren Verdacht geäußert. Was sie nicht aufklären konnte, bekam Kröning schon lange nicht heraus. Und sie, sie wollte es sein, die Gontard aus dem Gefängnis holte. Kein anderer als sie. Sie wollte ihn wieder hier sitzen haben, die eckigen Schultern vorgeschoben, die großen Hände auf den Knien, schweigsam – – Im Vorübergehen an der Stelle, an der er zu sitzen pflegte, machte sie eine Bewegung, die ihr selbst, ob ihrer Ungewohntheit, fast komisch vorkam – sie strich leise mit flacher Hand über diese Stelle. Und wie von sich ertappt und vor sich selbst beschämt, verwandelte sie die Bewegung in eine zweckmäßige, den Teppich glättend, ein nicht vorhandenes Stäubchen abstreifend. Ein kleiner Selbstbetrug, der in einer eiligen, erzwungenen Geschäftigkeit ertränkt wurde. Und Eve, die kühle, klare, rechnende, wußte nicht einmal, wie gut ihrem schönen Kopf diese beherrschte Verwirrtheit stand, der das stärker strömende Blut warme Farbe lieh.

Die Polonia-Akten waren voll von Anmerkungen, die von Gontards Hand stammten. Er hatte offenbar lebhaftes Interesse an dem Unternehmen genommen. Das Papier war vor nicht langer Zeit an die Börse gekommen, und Gontard hatte sich stark engagiert. Der Prospekt hatte wunder wie günstige Ergiebigkeit versprochen, die vertraulichen Nachrichten aus Drohobycz in Galizien, wo die Grube lag, waren gerade in der letzten Zeit auffallend günstige gewesen. Die Spekulation hatte die Poloniawerke stark in die Höhe getrieben, und die Depositenbank war an dieser Kursentwicklung nicht unbeteiligt. Allerdings hatte es am Tage vor dem verhängnisvollen Verkauf einen Rückschlag gegeben. Die Börse ist ein empfindlich reagierendes Instrument. Ungünstiges mußte durchgesickert sein. Die vertraulichen Nachrichten stimmten vielleicht doch nicht ganz. Wie manches in Drohobycz. Es konnte jemand so ein Brändchen wünschen, bevor der Schwindel rauskam. Derselbe jemand oder ein anderer mochte auch noch rasch einen Posten des ins Wanken geratenen Papiers haben abstoßen wollen. Wie hatte es also wirklich um die Quelle gestanden, und wer hatte an dem fraglichen Tage noch ein größeres Paket Anteilscheine abzugeben gehabt? Es mußte jemand sein, der mit Gontard in enger Verbindung stand. Einer der Direktoren hatte die Vermutung geäußert, irgendeiner von Gontards Feinden könnte jemand gedungen haben. Für Geld bekam man ja alles. Merkwürdige Dinge hatten sich herausgestellt. Die stille Goltze, wurde behauptet, sei bezahlte Spionin einer Großbank. Man denke, die stille Goltze, die die ergebenste Angestellte zu sein schien. Aber es war doch wahrscheinlicher, daß der Täter auf eigene Faust gehandelt hatte, um das eigene Geld zu retten. Es waren da Elemente, mit denen Gontard zu tun hatte, die noch zu anderen Dingen fähig gewesen wären. Gontard war Schlesier, und sein Dialekt verriet deutlich seine heimatliche Herkunft. Es könnte, müßte eigentlich ein Schlesier gewesen sein – –

Daß die Polonia einer Brandstiftung zum Opfer gefallen war, schien klar. Vor Eve lagen Zeitungsausschnitte:

»Im galizischen Petroleumgebiet wüten wieder riesige Brände. Achtzehn Bohrtürme der Polonia stehen in Flammen. Bis auf dreißig Kilometer im Umkreis ist der Feuerschein zu sehen. Schätzungsweise beträgt der Schaden jetzt schon über sieben Millionen Zloty. Hunderte von Sandsäcken wurden in die Schlünde der brennenden Bohrtürme geworfen, um das Feuer einzudämmen, jedoch ohne Erfolg. Der Versuch, das Erdöl durch Bau eines Tunnels in eine andere Richtung zu leiten, verspricht auch keinen großen Erfolg, und man rechnet mit einer weiteren Ausdehnung des Brandherdes sowie einer wesentlichen Erhöhung der Schadensumme. Die Polizei fahndet fieberhaft nach den Tätern, da allen Anzeichen nach Brandstiftung vorzuliegen scheint. Man vermutet einen Racheakt entlassener Arbeiter, es ist aber auch möglich, daß das Feuer von einem krankhaften Verbrecher angelegt worden ist.«

Racheakt, krankhafter Verbrecher! Die polnische Polizei mochte das glauben, nicht Eve. Sie ließ sich noch in der Nacht, eigentlich war es schon Morgen, mit Stanislav Sliwinski, einem der Vertrauensmänner Gontards in Drohobycz, verbinden. Den kannte sie, er war einmal in Berlin gewesen, ein lebendiges, verhutzeltes Männchen, das ihr damals mit verrunzeltem Lächeln erklärt hatte, daß er fünfundsiebenzig Jahre alt geworden sei. Nur wann er es geworden sei, möchte er nicht gern sagen. Er mußte achtzig oder drüber sein, arbeitete nur noch wenig, hatte wohl sein Teil hinter sich gebracht. Sliwinski war verläßlich. Mit krächzender, schlecht verständlicher Stimme meldete er sich am Apparat. Erkannte Eve sofort.

»Papa Sliwinski, Sie müssen mir einen Dienst erweisen. Ich brauche einen tüchtigen Werkführer. Die Leute bei der Polonia sind jetzt doch arbeitslos, können Sie mir sofort den Tüchtigsten herüberschicken? Er kann eine glänzende Stellung bekommen, es müßte aber sofort sein.«

Sliwinski knautschte etwas, woraus Eve nur entnahm, daß sie warten solle, er käme gleich wieder. Endlich hörte sie wieder seine Greisenstimme.

»Ich hab' nur mein Gebiß vom Nachtkastl geholt, sonst kann ich nicht reden, 'tschuldigen. Einen Werkführer brauchen Sie? In Deutschland brauchen Sie polnische Werkführer?«

Wie der Alte gleich Lunte roch.

»Nein, für Amerika, Papa Sliwinski.«

»So, so! Für Amerika brauchen Sie polnische Werkführer? Ich hab' einen, aber er ist nicht von der Polonia. Oder muß er am End' grad von der Polonia sein?«

Sie hörte ihn kichern, der Alte ließ sich nicht irreführen.

»Wenn ich nun just einen von der Polonia möchte?«

»Versteh, versteh! Werkführer, von der Polonia, für Amerika. Sagen wir für Amerika. Weil sie dort, Gott behüte, ohne die Polen nicht fertig werden. Tüchtig, der Herr Gontard, tüchtig, macht jetzt noch Ölgeschäfte.«

»Sie sind ein gescheites Köpfchen, Sliwinski. Also ich kann mich auf Sie verlassen?«

»Ich werd' Ihnen einen schicken, einen tüchtigen Werkführer, mit dem ein hübsches Fräulein wie Sie reden kann. Wollte Gott, ich wär' ein Werkführer.«


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