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2

Die Ehe der Krönings war eine Liebesheirat gewesen. Zumindest von Lenas Seite. Sie hatte um Mann und Ehe gekämpft, Opfer über Opfer gebracht, ihr bescheidenes Vermögen hingegeben, die Jahre ihrer umworbenen Jugend bedenkenlos hinstreichen lassen und nahm jetzt alle Sorgen, Enge der Verhältnisse und Launen des erfolglosen Mannes ohne Klage auf sich. Auch ohne viel Nachdenken eigentlich. So selbstverständlich war es, daß man alles gemeinsam trug, Leid und Freud teilte, daß es ihr nie beifiel, zu vergleichen, Schuld des Mannes zu suchen oder sich im felsenfesten Vertrauen, daß er ja doch tüchtig sei und es allmählich schon schaffen werde, beirren zu lassen.

Auch bei Hugo war es durchaus Liebe, die ihn diese Verbindung hatte eingehen lassen. Nur mischte sich in dieses Gefühl bei ihm noch Dankbarkeit, die bei selbstloseren Naturen der festeste Kitt ist. Aber Selbstlosigkeit war nicht die stärkste Seite seines Wesens. Von Kindesbeinen verzärtelt, als junger Mann von den Frauen verwöhnt, wurde in ihm eine natürliche Anlage zur Selbstsucht großgezogen, die seine Dankbarkeit, uneingestanden zwar, doch immerhin als Last empfinden ließ. Als junger Anwalt, gut aussehend, gesellschaftlich begabt – man hätte Chancen, wenn man frei wäre – es gab so viel reiche Mädchen – aber selbstverständlich – Ehrenpflicht – natürlich auch Liebe – immerhin – nicht jeder heiratet gleich deshalb. Nie wurde derartiges ausgesprochen. War vielleicht auch nur undeutlich gefühlt, aber ein so empfindsames Instrument, wie Lena es war, reagierte auf die leiseste Schwingung. Es fehlte jetzt zuweilen ihrer Verknüpftheit jene vollkommene Sicherheit, die für eine Frau ihres Schlages das festeste Band war. Sie tröstete sich, wenn erst die Verhältnisse besser würden, Hugo richtig zu tun bekäme. Doch dieser Trost war nicht ganz echt. Tiefer, unter der Decke des Bewußtseins, regten sich dunkle Flügel der Angst, daß er ihr dann noch eher entgleiten könnte. Es gab Frauen, die seinen weltmännischen Neigungen, seinem Bedürfnis nach gesellschaftlicher Geltung mehr entsprechen mochten. Susis, die ein großes Haus machen konnten, Gesellschaften geben, denen das alles im Blut lag. Nicht Eifersucht war das, sondern eine leise, wie von einem fernen Beben hervorgerufene Unruhe, jene nicht faßbare Mißstimmung, die aus nichts und wegen nichts entsteht. Die der Tod der zärtlichen Innigkeit ist und das Herz einer Frau leichter fremdem Einfluß öffnet.

Und dieser Einfluß ging von dem merkwürdigen Mann aus, von dem Mann mit der Pranke, wie sie ihn in Gedanken nannte, und der tagelang wie ein Schreckbild durch ihre Gedanken huschte.

Der Mann mit der Pranke war eines Tages wieder da. Nach knapp einer Woche. Lena verließ gerade ein Geschäft, in dem sie Einkäufe besorgt hatte, da stand er auf der anderen Straßenseite, breit, dunkel, den runden, steifen Hut auf dem mächtigen Kopf und wartete. Lena zuckte zusammen, als sie seiner ansichtig wurde. Wegrennen, dachte sie und blieb wie angewurzelt stehen. Der Mann grüßte höflich, sie erwiderte den Gruß nicht. Nach Hause rennen! Nein, dann erfuhr er ihre Adresse und konnte ihr zu jeder Stunde auflauern. Aber wenn er jetzt herüberkommt und sie anspricht! Sie begann wieder zu laufen, die Straßen kreuz und quer, ganz sinnlos denselben Weg wieder zurückgehend oder unvermutet die Richtung ändernd, auch plötzlich an irgendeiner Ecke stehenbleibend. Er folgte unentwegt, blieb indes auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Blieb sie stehen, blieb er auch stehen. Manchmal hatte es den Anschein, als wollte er herüberkommen. Jetzt, jetzt! Lena schlug das Herz bis zum Hals hinauf. Er besann sich, und kam doch nicht. Machte keinen Versuch, sich ihr zu nähern. Hatte er Angst? Was bezweckte er? Eine gute Viertelstunde, die Stunden zu währen schien, ging die Jagd durch die Straßen. Dann war der Verfolger plötzlich verschwunden. Wie vom Erdboden weggewischt. Wird ihm vielleicht zu dumm oder zu langweilig geworden sein. Um so besser. Lena atmete auf. War doch eine Dummheit gewesen, sich so zu fürchten.

Zwei Tage später traf sie ihn wieder. Sie hatte in der Motzstraße bei Möllenhoffs einen kurzen Besuch gemacht, weil Susi krank zu Bett lag. Wie sie in der Dämmerung aus dem Haus trat, erkannte sie den breitschultrigen, eckigen Umriß des Verfolgers ein Haus weiter vor einem Schaufenster. Als ob er auf sie gewartet hätte. Lena rannte auf die andere Seite. Ein Autobus hielt gerade, sie sprang hinauf, obwohl er in die entgegengesetzte Richtung fuhr, als sie sie nehmen mußte. Sie warf einen Blick zurück. Ob er sie überhaupt beachtet hatte?

Der Mann stand still, sah dem davonfahrenden Wagen nach und zog den Hut. Also hatte er sie doch bemerkt. War das Zufall? Natürlich. Nichts als Zufall. Das geschah einem in Berlin fortwährend, daß man jemandem monatelang nicht begegnete und dann an einem Tage dreimal. Weshalb sollte der Mann in der Motzstraße nicht etwas zu tun gehabt haben? Das war doch nicht so etwas Ungewöhnliches. Ob er sich jetzt einen Wagen nimmt und nachfährt? Lena spähte in jedes Auto, das hinter dem Autobus kam, suchte mit den Augen nach dem großen, schwarzen Auto, das genau so düster aussah wie sein Herr.

Von jetzt ab wiederholte sich auf sonderbare Weise immer das gleiche Spiel. Jeden zweiten Tag, zuweilen auch mehrere Tage hintereinander, tauchte unerwartet und überraschend die massige Gestalt des geheimnisvollen Fremden auf, immer an einer anderen Stelle. Einmal bei einem Spaziergang, den Lena irgendwo im Tiergarten oder im Grunewald unternahm, einmal mitten in ihren Besorgungen, geduldig wartend, bis sie das Geschäft verließ, ein andermal vor einem Theater, das sie mit Bekannten besuchte. Der Mann ließ kein Auge von ihr, folgte ihr in gemessener Entfernung und grüßte unauffällig bei geeigneter Gelegenheit, ohne je wieder den Versuch einer Annäherung zu wiederholen. Verschwand wieder ebenso plötzlich, wie er erschienen war. Anfangs glaubte noch Lena an die Zufälligkeit dieser Begegnungen und ihre Angst schwand. Es schien doch alles harmlos. Vielleicht gefiel sie diesem finsteren Menschen, dessen Gesicht nie von einem Lächeln, nie von einem verbindlichen Ausdruck erhellt und verschönt wurde. Ein wenig schmeichelte ihr sogar die Hartnäckigkeit dieses stummen, fernen Verehrers, dessen Gruß sie nie erwiderte und dem sie nie einen Blick der Aufmunterung schenkte. Aber nach dem vierten, fünften, sechsten Male setzte sich in ihr die Überzeugung fest, daß ihm aus irgendwelchen verborgenen Quellen Nachrichten über ihr Tun und Lassen zufließen mußten. Es fiel ihr auf, daß sie ihn niemals traf, wenn sie sich in Begleitung Hugos befand, und daß sie ihn niemals in ihrer Straße oder vor ihrem Hause erblickte. Die Angst kehrte wieder. Sie fühlte sich beobachtet. Aber wo waren die Augen, die jeden ihrer Schritte überwachten? Sie begann ohne jeden Grund mehrmals am Tage zum Fenster zu rennen und hinter den Fenstern die Straße mit ihren Augen auf und ab zu streifen. Wenn sie das Haus verließ, sah sie sich jedesmal sorgfältig um, ob nicht irgend jemand da sei, um sich an ihre Fersen zu heften. Mitten in jedem Gang, den sie unternahm, blieb sie hin und wieder stehen, und achtete scharf auf die Vorübergehenden, ob nicht ein auffallendes Gesicht dazwischen sei. Kriminalromane fielen ihr ein, in denen Detektive oder Verbrecher in immer wechselnden Masken und Verkleidungen hinter ihrem Opfer her waren. Drohte ihr eine Gefahr? Bei ihr war nichts zu rauben. Entführung? Kinder, junge Mädchen wurden manchmal entführt. Das las man in der Zeitung. Aber eine Frau von siebenundzwanzig Jahren – –

Man muß es Hugo sagen. Er lachte nur.

»Gar nichts, Kind. Der Mann wird hier irgendwo in der Nähe wohnen. So etwas passiert jedem Menschen, jeden Tag. Man achtet nur nicht darauf. Wenn du übrigens den Kerl wieder triffst und Angst hast, daß er dich belästigt, läßt du ihn einfach vom nächsten Schutzmann feststellen. Dann wird das große Geheimnis gleich gelöst sein. Erledigt.«

Der Mann belästigt doch gar nicht. Was tut er eigentlich? Gar nichts. Er geht auf der anderen Seite der Straße in derselben Richtung wie sie.

Ein einziges Mal geschah es, daß Hugo dabei war, als sie die unverkennbaren, breiten Schultern wieder im Gewühl der Straße auftauchen sah. Sie preßte krampfhaft die Finger in Hugos Arm.

»Da – da ist er.«

Hugo wandte sich blitzschnell um.

»Wo?«

»Da, da! Dort hinten – jetzt –«

»Wo denn?«

»Er ist fort.«

War er überhaupt dagewesen? Oder litt sie schon an Wahnvorstellungen.

Und das Sonderbare war, daß ihre Angst ganz anderer Art war, als man sie vor einem Verbrecher empfindet. Ihr Instinkt sagte ihr, daß nur die Bewunderung dieses Mannes, die magische Anziehung, die sie aus irgendeinem Grunde auf ihn ausübte, ihn auf ihre Spuren hetzte. Wie man etwas, das man nicht sehen will, immer wieder wie unter einem Zwang betrachten muß, so suchte sie bald schon ihren Verfolger, wenn sie vermeinte, ihm begegnen zu müssen. Und wenn ihn eine Reihe von Tagen nicht über ihren Weg führte, so erfüllte es sie mit etwas wie Enttäuschung. Die Gefahr, von der sie sich umschwebt glaubte, begann ihren unerklärlichen Zauber zu üben. Zu Hugo sprach sie nie wieder über den Menschen. Dieses Abenteuer wurde ihr Geheimnis. Und sie mußte sich eingestehen, daß sie zuweilen neugierig war und um ihr Leben gern gewußt hätte, wer und wie dieser Mann war. Nur nicht so im Dunkeln tappen. Etwas erfahren durch ihn oder durch andere, dann hätte man Ruhe gehabt. So häßlich und furchterregend sie ihn fand, spielte sie in Gedanken mit der Vorstellung, seine Bekanntschaft zu machen. Sie wußte, daß ein einziger freundlicher Augenaufschlag ihn sofort an ihre Seite bringen würde, aber jedesmal verließ sie der Mut, wenn sich die Gelegenheit bot. Wenn er mich ansprechen würde, dachte sie manchmal, wenn –

Das war schon ein Wunsch.

*

Und eines Tages – Lena befand sich gerade auf dem Heimweg – ging der vage, uneingestandene Wunsch in Erfüllung. Es war schon tief im April. Frühe Wärme brachte Gewitterschwüle. Unter einem bleischweren Himmel jagten vor stoßend einsetzendem Sturm bauschige Wolkensegel. Mit einem heulenden Pfiff brach Wind in die überraschten Straßen. Sonnendächer wurden vor den Geschäften eilig hochgekurbelt, heimtückisch rollten Hüte vor lächerlich stolpernden Verfolgern. Ein rasendes Flattern riß an den Baumkronen, griff tobend in Kleider und Mäntel, in die Vorhänge offener Fenster. Im Nu verdoppelte die Straße ihr Tempo.

Lena kämpfte mit Wind und Staub, der ihr entgegenwirbelte. Schwere Tropfen fielen. Ein Blitz zuckte auf, Donner knallte hinterdrein. Regen, mit Hagel vermischt, stürzte, prasselte ohne Übergang mit solchem Ungestüm herab, als wäre das ungeheure Gefäß des Himmels mit einem Schlag über der Stadt geborsten. Mit raschen Sprüngen rettete sich Lena in die Nische der nächsten Haustür. Der Bürgersteig war von Menschen leergefegt. Kaum ein Wagen, schmutzspritzend und gleitend, auf dem überspülten Asphalt. Ein Mann überquerte den Damm, ruhig, ohne Hast, als wäre das schönste Wetter. Unbekümmert um den Hagel, der ihm das Gesicht peitschte. Regen troff vom wasserdichten Mantel, der Rand des runden Hutes war weiß von Hagelkörnern. Der Mann hielt gerade Richtung auf das Tor, unter dem Lena stand. Die junge Frau hatte ihn schon in der Mitte der Straße bemerkt und starrte ihm wie einer unentrinnbaren Erscheinung entgegen. Der Mann – – der Mann mit der Pranke. Er kam dunkel, breit, gedrungen wie eine Lokomotive, auf sie zu. Der Wunsch, der Wunsch ging in Erfüllung. Nun war es kein Wunsch mehr, sondern heißer Schrecken, der lähmend in die Glieder schlug. Bevor sich noch ein Gedanke in Lenas Angst drängte, war der Mann schon vor ihr, sah sie das graue, große Gesicht einen Schritt weit vor dem ihren, griff die mächtige Hand grüßend nach dem Hut. Die harte, heisere Stimme, die Lena schon einmal gehört hatte, sagte:

»Gnädige Frau, – –«

Weiter kam der Breite nicht. Ein so entsetzter Blick traf ihn, daß es ihm den Satz in die Kehle zurückstieß. Und einen Augenblick lang standen sich Mann und Frau wortlos gegenüber. Mit Aufbietung aller Kraft ächzte Lena drei Worte heraus:

»Ich – will – nicht.«

Mit einem Satz sprang sie an ihm vorbei und raste in den strömenden Regen hinaus. Aber ihr Verfolger schien einen unabänderlichen Entschluß gefaßt zu haben, wie jemand, dem die Geduld gerissen ist und der auf Biegen oder Brechen sein Ziel erreichen will. Er ging ihr nach und hatte sie kaum zwei Häuser weiter mit langen, schweren Schritten eingeholt. Sie ging rascher. Er hielt mit. Sie hörte den heiseren Klang dicht neben ihrem Ohr:

»Gnädige Frau – – weshalb haben Sie Angst – – hören Sie mich nur an –«

Die rauhe Stimme färbte sich bettelnd und demütig:

»Ich bitte – – ein Wort – – ich will ja – –«

Lena blieb mit einem Ruck stehen, so daß ihr hartnäckiger Begleiter über sie hinausschoß. Er drehte sich sofort um. Bevor er wieder ein Wort sagen konnte, schrie sie ihn fast an:

»Sie irren sich. Bemerken Sie denn nicht – –«

Und rannte in entgegengesetzter Richtung wieder zurück, ihrer Wohnung zu. Als hätte er Besinnung und Verstand verloren, folgte ihr der Mann durch die menschenleere Straße. Die harten, kalten Hagelkörner brannten sie an Gesicht und Hals. Mein Gott, war denn die Gegend plötzlich ausgestorben? Lärm schlagen! Einen Schutzmann rufen, so wie Hugo gesagt hatte! Sie sah sich hilfesuchend um. Keine Menschenseele. Die Stimme war wieder neben ihr, unglücklich und eindringlich:

»Verstehen Sie denn nicht – – ich will nur – –«

Der Mensch war wahnsinnig. Nur über die Straße und dann drei Häuser – – sie begann zu rennen. Endlich, ihr Haus. Ehe sich die Haustür öffnete, blickte sie sich noch einmal atemlos um. Kaum zehn Meter hinter ihr kam ihr Verfolger. Die Tür gab nach, sie stürmte die Treppe hinauf. Hinter ihr klopften Schritte auf den Stufen. Noch ein Stockwerk. Sie riß am Klingelzug, halb irrsinnig vor Angst. Kommt denn niemand öffnen! Sie drosch mit den Fäusten gegen die Füllung. Das Bürofräulein schloß die Tür auf. Hinter Lena stand ein breiter, dunkler Schatten. Lena stürzte grußlos an dem erstaunten jungen Mädchen vorbei in die Wohnung. Die Klinke zum Wohnzimmer in der Hand, hörte sie von der Eingangstür, befehlend und hart wie damals in der Konditorei:

»Ist Herr Rechtsanwalt – –?«

Sie riß im Zimmer den Hut herunter und warf den Mantel ab. Sie mußte sich hinsetzen, ihre Knie zitterten. Was war das? Was will dieser Mensch bei Hugo? Ein Verbrecher, ein Erpresser? Oder nur eine unerhörte Frechheit, die nicht einmal vor der Wohnungstür haltmacht. Sie muß zu Hugo hinein, damit er diesen Menschen hinauswirft. Sie schlotterte am ganzen Körper. Nur nicht diesen Mann sehen. Hugo ist ja Rechtsanwalt und groß und stark. Er wird den Kerl schon richtig anfassen. Sie schlich zur Zimmertür und preßte das Ohr gegen das kühle Holz. Sie erwartete Lärm oder irgend etwas. Draußen war es still.

*

Das kleine Bürofräulein nahm mit unfreundlichem Gesicht die Namenskarte des Besuchers ab. Sein Ton und seine Geste paßten ihr nicht, sie war an die demütigen Mandanten der Armensachen gewöhnt. Absichtlich langsam ging sie ins Sprechzimmer. Doktor Kröning drehte erstaunt die große, weiße Visitenkarte, auf der ohne Vornamen, ohne Adresse, ohne Berufsangabe nur ein kurzer Name stand: Gontard. Gontard? – War wohl nicht möglich. Gott weiß, wie viele Gontards in Berlin herumliefen.

»Sagen Sie, Fräulein, sieht der Herr wie ein Bankier aus?«

Das Bürofräulein zog eine schnippische Nase.

»Bankier? Eher sieht er aus, als ob er Wechsel gefälscht hätte.«

»Deshalb könnte er Bankier sein. Ich lasse bitten.« Das Fräulein lachte pflichtschuldig. Für alle Fälle setzte sich Kröning in Positur und erhob sich gleich wieder beim Eintritt des Gemeldeten.

»Herr Bankier – – Gontard?«

Der Angeredete nickte kurz und nahm, ohne eine Einladung abzuwarten, dem Rechtsanwalt gegenüber Platz. Kröning geriet einen Augenblick außer Fassung. Wenn der Schah von Persien mit seinem gesamten Hofstaat bei ihm eingetreten wäre, hätte es auf ihn nicht mehr Eindruck machen können als der Besuch des breitschultrigen, untersetzten Herrn, der ihm mit steinernem Antlitz gegenübersaß, als kennte er die Wirkung seiner Erscheinung. Gontard – Franz Gontard – Präsident der Depositenbank – das war einer der ungekrönten Fürsten des Geldes, einer der Mächtigen, denen ungezählte Millionen sagenhafte Gewalt verliehen. Und der Geheimnisvollste von allen, den niemand kannte. Gefürchtetster und waghalsigster Spekulant auf allen Börsen Europas, dem man nachsagte, daß er das Geld rieche. Aufgestiegen aus unbekannten Tiefen, umhüllt von einem Nebel abenteuerlicher Anekdoten. Und dieser Gontard saß hier im einfachen Sprechzimmer eines unbekannten kleinen Anwalts. Es war unfaßbar, Kröning vergaß zu fragen, was ihm die Ehre verschaffe. Und Bankier Gontard ließ sich Zeit. Unter halbverhängten Augen, von denen das eine kaum sichtbar im schmalen Schlitz war, prüfte er: hübscher Junge, Repräsentant, Durchschnittsanwalt.

»Brauche einen Syndikus, einige Stunden täglich, manchmal mehr«, sagte er knapp und heiser. »Haben Sie Lust?«

»Aber Herr Präsident –«

»Nur Gontard.«

»Wie Sie wünschen«, antwortete Kröning mit verbindlicher Verbeugung. »Natürlich wäre es mir eine Ehre –«

»Also ja. Wir bezahlen diese Stellung mit fünfzehnhundert monatlich.«

Kröning hatte sich gesammelt. Man kam zu ihm, man wollte ihn haben, hatte von ihm gehört. Vielleicht war mehr herauszuholen.

»Sie wollen bedenken, Herr Gontard, daß ich meine Praxis werde einschränken müssen und einen großen Ausfall erleide – –«

»Also nein.«

Es war gräßlich mit diesem Menschen. Er ließ einen keinen Satz zu Ende sprechen. Und Kröning hörte sich gern reden. Es machte ihm Vergnügen, die Sätze zu bauen, sie literarisch zu formen. Aber jetzt war er schon verwirrt.

»Sie mißverstehen mich, Herr Gontard. Natürlich wäre es mir ein Vergnügen, in Ihrem Unternehmen – nur möchte ich den Verlust, der mir durch meine Tätigkeit bei Ihnen – Sie begreifen –«

Huschte über das Granitgesicht ein Lächeln? Man konnte es nicht deuten.

»Sie versteuern dreihundert Mark monatlich. Armenpraxis. Bin im Bild. Bleibt bei fünfzehnhundert. Menschen muß man an der Nase ansehen, ob man mit ihnen handeln kann.«

Gegen diesen Gegner kam Hugo nicht auf. Und schließlich – fünfzehnhundert Mark – das verdiente er jetzt nicht einmal in einem Vierteljahr.

»Bitte, Herr Gontard. Es reizt mich so sehr, unter Ihnen zu arbeiten, daß ich Ihre Bedingungen annehme. Übrigens – darf ich fragen, welcher Empfehlung ich Ihren Besuch verdanke?«

Gontard überhörte die Frage. Hatte er nicht gehört, wollte er nicht hören? Er hatte eine so selbstherrliche Art, das Gespräch nach seinem Gutdünken zu führen, daß der junge Anwalt nicht wagte, die Frage zu wiederholen. Obwohl er brennend neugierig war, wieso dieser Diktator, dem die größten und berühmtesten Juristen mit Vergnügen zu Diensten gestanden hätten, gerade auf ihn verfallen war. Vielleicht eine einflußreiche Fürsprache? Aber von welcher Seite?

Gontard hatte sich erhoben.

»Morgen um zehn. Melden sich bei meiner Sekretärin, Herr Doktor.«

Dieser anmaßende Ton! Wie der mit einem umsprang. Nun gerade nicht. Kröning tat wichtig.

»Morgen um zehn?« Er blätterte im Terminkalender. »Wird schwer gehen. Da habe ich eine wichtige Sache – vielleicht um elf, wenn es recht ist.«

Bei den letzten Worten war er schon unsicher. Er hatte einen Blick aufgefangen, der ihm unbehaglich war. Ein schnelles Aufblitzen, wie Feuer an der Pistolenmündung nach dem Schuß. Der Schuß ging scharf ins Ohr.

»Um zehn.«

Kröning streckte endgültig die Waffen.

»Dann muß ich wohl einen Vertreter beauftragen, obwohl – –«

Er brach schon von selbst ab. Er hatte die Empfindung, daß ihm gar nicht zugehört wurde. Gontard stand auf, auch der Anwalt erhob sich. Ein Nicken, das kaum ein Gruß war. Kein Händedruck. Der breite Rücken schob sich durch die Türe, ehe sich Kröning noch recht bewußt war, daß sein Besucher schon ging. Er eilte ihm nach und machte eine unbemerkte Verbeugung. Das Fräulein machte ein lächerlich hochmütiges Gesicht hinter Gontard her.

»Habe ich recht gehabt?«

»Sie sind eine dumme Gans«, antwortete Kröning wütend und schlug die Tür des Sprechzimmers hinter sich zu.

So ein Benehmen war ja noch nicht dagewesen. Diese knappe, grobe Art, die einem fortwährend ins Wort fiel und einen duckte. Das war keine Ungezogenheit, das war bewußte Absicht. Natürlich, ein so großer Herr kann sich das für sein Geld erlauben. Gott behüte, daß er ein freundliches Wort gesagt hätte, er hätte daran ersticken können. Na, herzlichen Glückwunsch zu dem neuen Chef, der nur im Telegrammstil redete. Doch geradezu läppisch! Damit konnte er vielleicht anderen imponieren. Das wird ja ein Vergnügen werden, bei dem angestellt zu sein. Aber ein geriebener Hund, was wahr ist, ist wahr. Wie er informiert war. Bis in den Steuerzettel hinein. Ach was, ein taktloser Kerl. Einem die Armenpraxis unter die Nase zu reiben! An Zartgefühl wird er nicht sterben, die Todesursache ist ausgeschlossen.

Langsam beruhigte sich Kröning. Er redete sich selbst zu. War ja lächerlich, sich aufzuregen. Einen guten Eindruck mußte Gontard doch von ihm gewonnen haben, sonst hätte er ihn nicht genommen. Der hätte sich nicht gescheut, einfach aufzustehen und zu sagen: Herr, Sie passen mir nicht. Der Kerl wäre dazu imstande gewesen, der war aus hartem Holz geschnitzt. Wie er überhaupt aussah! Ein Gesicht, daß sich ein normaler Mensch fürchten konnte. Und die Hand! Man spürte ordentlich die Finger an der Gurgel. Lächerlich! Wozu hatte man zwölf Mensuren geschlagen. Auch Herr Gontard wird einem nicht die Nase abbeißen. Geld war die Hauptsache. Geld! Fünfzehnhundert Mark monatlich. Nicht auszudenken. Und was das hieß: Syndikus der Depositenbank. Das war Gold wert. Mehr als Gold. Lena wird Augen machen – Kröning machte aus Daumen und Zeigefinger einen Ring und riß selbst die Lider auf – solche Augen. Er war plötzlich lebhaft und ausgelassen. Er riß die Tür zum Wartezimmer auf:

»Schluß heute! Morgen Punkt neun.«

Ein bißchen sprach er schon wie Gontard. Das Fräulein sah erstaunt auf. Hinein zu Lena! Was sie sagen wird? Pfeifend ging Kröning über den Korridor.

*

Lena hatte die Stunde seit ihrer Heimkehr fast regungslos verbracht. Frost hatte ihr in die Zähne geschlagen. Sie hatte gelauscht, ob draußen sich laute Stimmen erheben würden. Hatte die Tür hinter Gontard klappen gehört und erwartet, daß Hugo sofort zu ihr hereinkommen würde. Nichts war geschehen. Ein Herr war zu ihrem Mann gekommen und war nach einer Viertelstunde, die unmeßbare Ewigkeiten gedauert hatte, wieder gegangen. Und dann noch Minuten und wieder Minuten, die aus Tausenden von kleinen Zeitgliedern zu einer endlos gleitenden Kette wurden. Ein leiser Aufschrei entfuhr Lena, als Hugo die Tür öffnete.

»Was denn? Weshalb bist du denn erschrocken?«

»Ist – er – weg?«

»Wer denn, er? Hast du denn eine Ahnung, wer bei mir gewesen ist? Wenn du das errätst, bekommst du von mir eine Perlenkette!«

Hugo war ja so aufgeräumt. Es war also gar nichts geschehen. Der Mann hatte vielleicht eine harmlose Rechtsfrage gestellt, um sich auf gute Art aus der Patsche zu ziehen. Sie hatte sich wieder umsonst aufgeregt. War ja kein Wunder, wenn einem die Nerven bei diesen Verhältnissen mal durchgingen.

»Wer war es denn?«

Hugo machte eine bedeutungsvolle Pause. Dann sagte er feierlich, wie ein Hofzeremonienmeister auf der Bühne, der den Eintritt des Königs zu melden hat:

»Gontard. Was – sagst – du – jetzt –?«

»Gontard? Wer ist Gontard?«

»Mein kleines Dummchen weiß nicht, wer Gontard ist, der große Franz Gontard, Präsident der Depositenbank, größter Schieber der Weltgeschichte, Millionär – was sage ich? Millionär? – hundertfacher Millionär, der persönlich gekommen ist, um deinem Mann eine Stelle als Syndikus in seiner Bank anzutragen. Gestatten Sie, meine Gnädige, daß ich mich Ihnen vorstelle: Rechtsanwalt Dr. Hugo Kröning, Syndikus der Depositenbank mit einem monatlichen Gehalt von eintausendfünfhundert Reichsmark, in Buchstaben eintausendfünfhundert.«

Lena hob den zarten, blonden Kopf zu ihrem Mann.

»Das soll wohl ein guter Witz sein?«

»Witz? Nein, mein Kind, fröhlichster, vergnügtester Ernst. War aber auch eine schwierige Arbeit, sage ich dir, bis ich den Mann auf fünfzehnhundert hinauf hatte. Jeden Groschen mußte ich ihm aus den Zähnen reißen. Ein harter Herr. Bloß unsympathisch, und Manieren wie ein Bauer. Den muß ich mir erst richtig ziehen. Immerhin, kolossaler Kerl! Gefährlicher Bursche. Ein Schädelchen, mit dem man Wände einrennen kann. Und Pfoten, so was habe ich noch nicht gesehen. Pranken, richtige Pranken. Man hat das Gefühl, wo der die Hand drauflegt, das gehört auch schon ihm. Du sagst ja gar nichts?«

Lena war ganz still geworden. »Der Mann mit der Pranke« war Gontard, der große Gontard. Warum dieser Mann, der sicher die schönsten und elegantesten Frauen haben konnte, solche Dinge unternahm? Ihretwegen? Es schien ihr so ganz und gar unwahrscheinlich. Nun hatte sie also, unbewußt und ungewollt, ihrem Mann die lang ersehnte »Verbindung« geschaffen. Da war auch das Wort bei ihm schon da.

»Siehst du, mein Kind, das ist eine Verbindung. Jetzt sind wir gemacht, jetzt geht's aufwärts. Was meinst du, was Richard und Susi sagen werden? Sag, du freust dich wohl gar nicht?«

Nein, Lena vermochte sich nicht zu freuen. Ihr war, als berge all das eine Gefahr, die ihr näher und näher rückte. Unentrinnbar. Keine Gefahr im gewöhnlichen Sinn, sondern irgend etwas anderes, das sie nur unbestimmt empfand, ohne es mit einem Wort bezeichnen zu können.

»Ich freue mich, natürlich freue ich mich, für dich, das heißt für uns beide, nur – –.«

Sie zögerte und wußte selbst nicht, was sie sagen sollte. Alles in ihr sträubte sich gegen diese Anstellung.

»Was heißt das, nur – –?«

»Hast du dich nicht ein bißchen übereilt, Hugo. Es ist gewiß sehr schön, aber so seine Freiheit aufzugeben! Ein tüchtiger Rechtsanwalt hat doch so viel Möglichkeiten. Und deine Praxis, man hätte vielleicht noch warten sollen.«

Hugo war schon ärgerlich.

»Du bist wirklich gut. Scheinst nicht zu wissen, daß es in Berlin viertausend Anwälte gibt, von denen die Hälfte nichts zu tun hat. Außerdem brauche ich doch meine Praxis, die ich gar nicht habe, nicht aufzugeben. Sünde, überhaupt nachzudenken, wenn einem so etwas geboten wird. Das ist die große Chance, die einem einmal im Leben geboten wird.«

Er verstand nicht, daß seine Frau seine Begeisterung nicht teilte, hatte geglaubt, daß die Nachricht sie überglücklich machen würde. Nun saß sie wieder in sich versunken und schien angestrengt nachzudenken. Ein Gedanke blitzte in ihr auf.

Mit einem halben Blick von unten fragte sie:

»Woher weißt du denn, daß es wirklich der Bankier Gontard war? Eine Visitenkarte ist ja kein Ausweis. Vielleicht war es ein Schwindler.«

Kröning war erstarrt. Darauf war er noch gar nicht verfallen. Sein angeborener Optimismus sträubte sich gegen eine solche Annahme.

»Weißt du, was du bist, mein Kind? Ein Miesmacher bist du. Welchen Zweck sollte denn das haben? Was hätte der Mann schon davon? Ein Schwindler verfolgt doch irgendein Ziel.«

Sie klammerte sich hartnäckig an den Gedanken. Ein Schwindler, ja, ein Schwindler.

»Ich bin kein Miesmacher, Hugo. Du weißt doch, wie ich dir den Erfolg wünsche, wie ich mich freue, wenn dir etwas gelingt, glaubst du wirklich, daß ein Gontard, wenn er jemanden anstellen will, persönlich zu dem Betreffenden hinläuft? Dann schreibt er einen Brief und läßt den Mann vorsprechen.«

Das hatte etwas für sich, das war nicht zu bestreiten. Es machte selbst Kröning stutzig.

»Und woher kennt dich Gontard denn überhaupt? Ich will dir gewiß nicht nahetreten, Hugo, aber bis jetzt bist du doch nicht bekannt.«

Er antwortete mit gespielter Nachlässigkeit. Bei ihm war immer ein bißchen Theater. Selbst seiner Frau gegenüber verzichtete er nicht darauf, mit kleinen Mittelchen Eindruck zu machen.

»Gott, er hat von mir gehört. Schließlich – ein bißchen kennt man einen ja doch. Es wird ihm auch jemand von mir erzählt haben, denke ich. Er hat's nicht gesagt.«

»Hast du denn nicht gefragt?«

»Nein«, schwindelte er, »das sähe ja aus, als ob man, wer weiß wie, erstaunt wäre, daß jemand in die Sprechstunde kommt.«

Jetzt müßte man ihm sagen, was den vermeintlichen Gontard heraufgeführt hatte. Sie brachte es nicht über sich.

Hugos gute Laune war verflogen. Wenn seine Frau wirklich recht hätte und er einem Schwindler aufgesessen wäre! Er schämte sich vor seiner Frau, die er immer »sein Dummchen« nannte und der gegenüber er stets den Überlegenen spielte, daß er auf ihre Einwände nichts Stichhaltiges erwidern konnte. Der Blamierte zu sein, davor fürchtete er sich mehr als vor allem anderen.

»Wozu sich den Kopf zerbrechen, Dummchen? Morgen um zehn wird sich alles herausgestellt haben«, sagte er mit gemachter Lustigkeit und zog, als ob die ganze Angelegenheit unwichtig wäre, das Grammophon auf. Leise surrend kratzte die Nadel auf der gerillten Platte, Orchestermusik strömte leise aus dem Apparat. Hugo zog seine Frau an den Händen zu sich und umfaßte sie.

»Komm, wir wollen tanzen, als ob's der richtige Gontard wäre.«

Sie ließ sich widerstrebend führen. Ihr war gar nicht nach Tanzen zumut. So herrlich wäre es gewesen, wenn man etwas Glück gehabt hätte. Aber nicht so. Eine maßlose Erbitterung erfaßte sie gegen diesen Bankier. Glaubte er, auf diese Weise an sie herankommen zu können, daß er sie und ihren Mann von sich in Abhängigkeit brachte? Der Herr wird sich irren. Auf sie kann man nicht die Pranke legen wie auf irgendeine Sache. Wenn es nur ein Schwindler wäre. Aber sie, die so heftig ihrem Mann widersprochen hatte, glaubte doch gar nicht daran, daß es ein Betrüger sei. Der riesige, schwarze Wagen, der vor der Konditorei vorgefahren war, fiel ihr ein. Der sah so aus, als ob er einem Bankdirektor gehören könnte.

Aus dem Schalloch des Grammophons schmetterte grelle Blechmusik des Negerorchesters. Lena schmiegte sich wie Schutz suchend an ihren Mann und fing mitten im Tanz zu weinen an. Er blieb erstaunt stehen.

»Ja, warum weint denn mein Dummchen? Weil's nicht der echte Gontard gewesen ist? Er ist's ja gewesen. Du wirst sehen, es ist der richtige Gontard gewesen.«


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