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IV.

Wilhelm und Verena waren verlobt. Die Mutter wußte es, Magd und Gesellen hatten es heraus und die Redseligen der Nachbarschaft flüsterten es sich zu. Sie selber aber machten kein Aufhebens davon. Am Morgen, nachdem er ihr Jawort empfangen hatte, sagte Wilhelm zu Verena: »Wir müssen die Ringe kaufen gehen heute.« Und nach dem Mittagessen machten sie sich zusammen auf, gingen die paar Schritte bis zum Goldschmied, der in der Nachbarschaft unter den Lauben seinen Platz hatte und hatten sich wie auf Verabredung, aber ohne daß eines vom andern es vorher gewußt hätte, in ganz feierliche Kleider geworfen. Wilhelm wurde zutunlich und heiter, während er am Vorabend, als er die Mutter vor Freude über das Zustandekommen des Verlöbnisses hatte weinen sehen, in eine sonderbare Unruhe geraten, zerstreut und wie von einer Art Angst geplagt gewesen war. Über Verena, die sonst Klarsehende und Vernünftige, kam auf diesem Gang, während des Handelns um die goldenen Reife und nachher erst, als diese an den Fingern glänzten und ihre jeden Schmuckes ungewohnte Hand die süße Lästigkeit des Ringes empfand, eine Art Traumzustand, in dem sie zum erstenmal alles um sich in einem verklärenden Lichtschein sah. Der Zustand dauerte dann tagelang; sie malte sich die Zukunft in allen Rosenfarben. Ihr Herz klopfte, wenn sie sich in Erinnerung zurückrief, wie sie von Herrlibach aus dem Hause des einen Toten in das des andern gekommen, und wie sie, das einfache Bauernmädchen, nun in dieses Haus hineingewachsen, im Begriffe stand, die Frau eines wohlhabenden und angesehenen Bürgers einer großen Stadt zu werden. Sie freute sich des merkwürdigen Aufschwunges, den ihr Leben genommen, freute sich ebenso und mit der Freude eines rechtschaffenen und arbeitsfrohen Menschen auf die Pflichten und Aufgaben, die ihr die Zukunft bringen würde.

Als sie nach Tagen und langsam aus dem Taumel heimlicher Freude, der sie umfangen, erwachte, begann sie erst allmählich zu erkennen, daß das Glücksempfinden ihres Bräutigams mit dem ihren nicht Schritt hielt. Wilhelm hatte ein zwiespältiges Wesen: oft freilich schien er heiter und zufrieden, zu andern Zeiten aber schien er übler Laune, nahm sich kaum zu einem Worte für Verena Zeit und sie hätte blind sein müssen, um nicht einzusehen, daß er noch immer nichts für sie empfand als die Achtung und Freundschaft, die ihre Stellung und ihr Wirken in seinem Haushalt ihm abnötigten. Wöchentlich zwei-, dreimal blieb er auch, wie früher öfter, nachts von Hause weg, im Kreise der Vereinsgenossen bis gegen Morgen säumend, ein Gebaren, wie es dem Bräutigam kaum anstand. Eines Abends vertauschte er eben wieder die Arbeitskleider gegen einen besseren Anzug und nahm in der Backstube die Kappe vom Nagel, die dort immer bereit hing. Da trat Verena zu ihm und legte ihm die Hand auf den Arm. »Du willst wieder fort?« fragte sie. Sie hatte sich bisher nicht in das, was er tat, gemischt; so stutzte er sichtlich, ja, es war als erschrecke er. Langsam stieg ihm das Blut ins Gesicht.

»Ja,« sagte er zögernd. Unbehagen klang aus seinem Ton.

»Du bist oft fort, sehr oft,« sagte Verena. »Die Mutter fragt immer nach dir.«

Er sah einen Augenblick ins Leere, während sein Gesicht sich immer dunkler färbte und seine Stirn zu perlen begann. Dann nahm er die Kappe wieder ab und hing sie an ihren Ort.

»Sie nimmt es schwer, die Mutter, wenn du so oft fortgehst,« sagte Verena.

Er half sich mit einem Murren: »So kann ich ja dableiben.«

Aber nachher saß er den ganzen Abend mit den beiden Frauen in der Wohnstube oben und hatte seine beste Stunde. Anfänglich verlegen, daß sie ihn zum Bleiben bewogen, ließ er die Traulichkeit der heimischen Stube auf sich wirken, wurde darob redselig und fand Munterkeit und Treuherzigkeit wieder, die das Leben der zwei Alten, seines Vaters und seiner Mutter, früher heiter gemacht hatten. Verena aber erkannte an diesem Abend, daß sie mit einer ihr ganzes Wesen erfüllenden Liebe an ihm hing, fühlte eine große Kraft in sich, diesen sorglosen, schwachen Menschen zu befreunden und zu führen, und meinte zu wissen, daß sie ihn gerade um seiner Schwäche willen liebe, wie man an einem Kranken doppelt hängt, weil die Gefahr, ihn zu verlieren, immer da ist.

Von der Zerahnin hatte inzwischen wenig Neues verlautet. Ihre Tochter kam nach wie vor in den Laden, Wilhelm aber kümmerte sich scheinbar weniger um sie; denn er trat nicht wie anfangs aus der Backstube, sobald er sie im Laden wußte, ja, tat sogar, als sähe er sie nicht, obwohl Verena bestimmt beobachtete, daß er sie bemerkte. Sie freute sich aber innerlich, daß er die Blicke nicht zurückgab, die die Hilde Zerahn nach der Backstube warf, wann immer sie kam; ja, sie lächelte bei sich, wenn sie sah, wie das Mädchen zögernd sein Brot vom Ladentisch nahm, langsam bezahlte, gleichsam immer nach dem Nebenraum hinüberlauschend und verratend, daß sie von dort einen erwartete, und wie sie endlich mit Widerstreben und als klebten ihr die Sohlen am Boden, den Laden verließ.

Die Gesellen brachten indessen die Nachricht heim, die Zerahnin drüben an der Münstergasse habe zwar viele müßige Leute und Besucher in ihrem Laden stehen, aber wenig Kunden, und die Gasse raune sich bereits zu, daß sie, als schlechte Zahlerin bekannt, nirgends langes Bleiben gehabt habe und wohl auch in ihrem neuen Verkaufsraume sich nicht lange werde halten können.

So kam ein Samstagabend heran, der dem Laden immer am meisten Verkehr brachte. Verena und Friederike, die Magd, befanden sich im Verkaufslokal, mit Reinigungsarbeiten beschäftigt. Es ging auf acht Uhr, die Zeit, da der Laden geschlossen wurde, als die Hilde Zerahn eintrat. Sie war barhaupt und sehr bleich. Verena fühlte fast Mitleid mit ihr, so sehr sprang ihr gleich bei ihrem Eintritt der Umstand in die Augen, daß das Mädchen wie eine Kranke bleich war. Das Lampenlicht zündete ihr ins Gesicht; selbst die Lippen und die Brauen brachten keine Farbe in den Schnee der Züge; nur die Augen glänzten und waren wie von einer Unruhe oder Angst groß.

»Guten Abend!« grüßte Hilde; es war, als ob sie kurz an Atem wäre. Verena gab den Gruß still und nicht unfreundlich zurück, reichte der Kundin das Brot, das sie verlangte, und nahm das Geldstück, das diese ihr hinbot. Es war ein Zwanzigfrankenstück, und Verena hatte nicht viel Münzen zur Hand; so dauerte es ein paar Augenblicke, bis sie das Herausgeld zusammengezählt hatte. Als sie aufblickte, stand Hilde nicht mehr am Ladentisch. Sie war auf die Schwelle der Backstube getreten, hastig, mit einem Schritt, und es war als hätte sie einen Namen auf den Lippen. Sie kam gleich darauf zurück, ein wenig verwirrt und immer bleich, nahm das Geld und ging. »Gute Nacht!« flüsterte sie kaum hörbar, als sie hinausschlich. Aber Verena bemerkte, daß sie draußen sich umwandte, nicht davonging, sondern von außen sich der Tür vorsichtig nochmals näherte und einen sonderbar angst- und hungervollen Blick durch die Scheiben hereinwarf. Als sie, Verena, ihren Feglappen wieder aufnehmen wollte, sah sie, daß auch Wilhelm den Blick der Hilde aufgefangen hatte. Er war aus der Backstube gekommen und näherte sich der Ladentür. Er hatte ein rotes Gesucht, seine Haltung war vornübergebeugt, und es lag eine sonderbare Störrischheit darin ausgeprägt, als fürchte er ein: »Geh nicht!« ehe er die Tür erreicht hätte, und sei bereit, ihm zu trotzen.

Verenas Herz klopfte. Sie arbeitete weiter, aber als die Tür hinter Wilhelm ins Schloß fiel, zuckte sie zusammen und mußte innehalten, so eng war ihr der Atem. Mit Mühe raffte sie sich auf. Da stand die Magd neben ihr und sah sie an. In ihrem runzeligen Gesicht leuchtete ein ehrlicher Zorn, sie schien sprechen zu wollen, schwieg aber, doch sichtlich gezwungen, und sie wußten beide, daß sie denselben Gedanken hatten: »Was will es von ihm, das Mädchen?«

Sie taten weiter, was zu tun war. Nach einer Viertelstunde war Verena mit ihrer Arbeit fertig. Wilhelm war noch nicht zurück. Verena aber hatte ein Gefühl, als höre sie ihn flüstern. In Wirklichkeit konnte sie es unmöglich hören, aber es war ihr, als sei er nah, als geschehe etwas im Hause oder hinter der Tür oder –

Auf einmal tat sie selber die Ladentür auf und ging hinaus.

Die Nacht war still. Über den dunkeln Himmel schoben sich, schwach sichtbar, einzelne weiße Wolken; da und dort standen ein paar Sterne, die immer wieder in den Wolken untergingen; es war ein fast schmerzliches Erlöschen der kleinen Lichter. Die Straße war laut und wirr wie immer. Ein-, zweimal löste sich aus dem dunkeln Mischmasch der sich begegnenden Gestalten eine, kam über den kleinen Hof geschritten und verschwand in den Nachbarhäusern.

Verena hatte die Ladentür hinter sich zugezogen, stand mit klopfendem Herzen und spähte in die Dunkelheit des Hofes. Dann stieg sie über die Stufen hinunter. Als sie das Pflaster betrat, peitschten ihr zwei Regentropfen das Gesicht, die aus einer einzelnen Wolke fielen. Völlig in den Gedanken an Wilhelm aufgehend, erschrak sie heftig ob der fremden Berührung. Aber sie ermannte sich und bog um die Ladenecke nach der Haustür hin. Plötzlich stutzte sie. Im Schatten der Ecke stand Wilhelm, das Zerahn-Mädchen bei ihm. Sie trennten sich, als sie Verena erblickten. Hilde huschte an ihr vorüber, sie bemerkte, wie sie im Vorbeigehen mit einem scheuen Blick ihr ins Gesicht sah. Wilhelm stand breit, die Hände in die Taschen gebohrt, an der Haustür. Verena ging an ihm vorbei und sagte kein Wort. Aus dem Hausflur trat sie in die Backstube, durch diese in den Laden. Mechanisch begann sie an diesem die Fensterläden vorzulegen. Kopf und Herz brannten ihr. Sie war fast so weiß wie vorhin die Hilde.

Nun hörte sie Wilhelm in die Backstube treten. Es war niemand dort als Friederike, die Magd. »Ist wieder niemand oben bei der Mutter?« sagte Wilhelm zu dieser. Seine Stimme klang barsch.

»Gerade will ich hinauf; gerade bin ich fertig geworden mit der Arbeit,« sagte die Magd. Sie rumorte noch hier und dort. Derweilen stand er, den breiten Rücken gegen die Ladentür gewendet, und sah ihr ungeduldig zu. Sein Gesicht war sonderbar anzusehen, ganz von Unruhe lebendig. Die Lippen zitterten ihm, und seine Augen glänzten, seine Backen waren rot vor Erregung. »Herrgott, bist noch nicht fertig?« fuhr er plötzlich wieder auf; es kam kurz und qualvoll aus ihm heraus. Die Magd sah ihn an. Es schien ihr ein Licht aufzugehen, daß er sie weghaben wollte. Still ging sie aus der Tür. In diesem Augenblick wollte auch Verena sich an Wilhelm vorbeidrängen, aber er versperrte ihr den Ausgang.

»Ich will durch,« sagte sie atemlos. Eben fiel die Tür hinter der Magd ins Schloß.

Da drehte er sich nach ihr um. »Wir müssen reden miteinander,« sagte er.

Plötzlich hob Verena die rechte Hand ganz langsam und ruhig und streifte den Ring von ihrer Linken. »Nimm,« sagte sie. Er nahm ihn.

»Vrene!« sagte er. Ehe Bewegung ging durch seine schwere Gestalt. »Seit ich – seit du mit mir versprochen bist, habe ich mit ihr nicht mehr geredet, mit der Hilde.«

Verena antwortete nicht; sie glitt an ihm vorbei und der Flurtüre zu. Da rief er ihr keuchend nach: »Vrene!«

Der Ton seiner Stimme zwang sie, sich umzusehen. »Du mußt doch hören,« sagte er. Sie wußte selbst nicht, warum sie nicht weg konnte. Sie sah, wie er sich um Worte quälte. Endlich sagte er: »Das mit der Hilde ist schon vorher gewesen! Dann – die Mutter – ich sah, daß sie nicht einverstanden sein würde! Immer von dir sprach sie, immer nur von dir. Als ich es oft genug gehört hatte, meinte ich, daß es auch mir recht sein könnte. Da wußte ich noch nicht, daß ich es der Hilde schuldig bin, sie zu nehmen.«

Verena fiel die kranke Base ein. Wenn die das hörte! An sich selber dachte sie gar nicht. »Sie gibt es auch jetzt nicht zu,« stieß sie heraus.

»Sie wird wohl müssen,« murrte Wilhelm. Er fand seine störrische Schwere wieder, hakte beide Daumen in die Westentasche, hing den Kopf vornüber und starrte den Boden an.

»Das kannst ihr nicht zuleid tun,« sagte Verena in steigender Angst.

»Zuleid oder nicht, ich muß es tun!«

»Mußt –« stammelte Verena, als ob sie auf einen Ausweg sänne.

»Wenn ich ehrlich sein will,« sagte er.

Da wußte sie, was er meinte. »Jesus, mein Gott!« sagte sie.

»Ich habe sie auch gern, die Hilde,« warf er hin. In seinem Ton war etwas Zänkisches, als geschehe ihm unrecht, nicht ihr. Verena ging ein grelles Licht auf: »Siehst jetzt, gar nichts giltst ihm!« Aber immer noch mußte sie nur an die Base denken.

»Straf dich Gott nicht, Wilhelm, daß die Mutter zugrund geht an dem, was du ihr antust,« sagte sie. Die Worte kamen ihr mit einem tiefen Atemzug aus dem Innersten herauf. Sie wendete sich darauf und verließ die Stube.

Langsam stieg sie die Treppe hinan. Sie hörte, wie Wilhelm die Backstube abschloß. Jetzt kam er mit schweren, entschlossenen Schritten ihr nachgestiegen. Halt! Er kam es ihr sagen, der Mutter! Verena stockte der Herzschlag bei dem Gedanken. Unwillkürlich stand sie still und wartete, bis er kam. Er wollte an ihr vorübergehen, aber sie wehrte ihm. »Halt, ich will es ihr sagen!«

Er sah sie ganz erstaunt an. Aber er ließ sie gehen. Mit vornüberhängendem Kopfe schritt er nach seiner eignen Kammer, als sie bei der Base eintrat.


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