Ernst Zahn
Der Schatten
Ernst Zahn

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3.

Die Violanta Zureich dient zu Anderhalden. Zwei Dörfer nur hat sie über Intschi hinaus zu gehen brauchen und hat Unterkunft gefunden. In der Tür – in der und jener Tür steht manchmal das Glück, wenn's einer nur sähe im Vorbeigehen –, in der Kreuzwirtshaustür hat die Wirtin, die Hoferin, gestanden, als die Violanta straßdaher gekommen ist. »Nun, wohin willst mit deinem Bündel, Mädchen?«

»Bah, weiß selber nicht recht, wohin. Zu Schattenhalb, habe ich gehört, in den Wirtshäusern kommt eines gern als Magd unter, da –«

Die Hoferin sieht das Mädchen an, einmal von oben nach unten, einmal von unten nach oben. »Ich brauchte eines, das fegen und schaffen will,« sagt sie; »wenn du willst, kannst dir den weitern Weg ersparen.« –

So ist die Violanta im Kreuzwirtshaus eingestanden. Ein halbes Jahr lang dient sie nun schon da, treu und recht.

Die junge Kreuzwirtin, eine aus dem Oberland, und eine, die im Unterland noch wenig umhergekommen ist, muß längst erfahren haben, daß sie ein Mädchen ins Haus genommen hat, das kein Engel ist und aus keinem Himmel herkommt. Aber wenn sie um der Violanta ihre Herkunft weiß, so läßt sie sich nichts merken; denn das Mädchen geht durchs Feuer für die blonde, gesundwangige Hoferin und ihren geraden, rechten Mann, den Kreuzwirt; so gut sind beide zu ihr. Nichts hat dem Mädchen den Frieden gestört, seit sie in Anderhalden sitzt, nicht einmal der Vater, der Zureich, mit seiner Polizei. Gekommen ist der freilich einmal. In der Wirtsstube hockt er eines Tages über einem Schnapsglas. Da tritt die Violanta ein. Wohl oder übel muß sie ihm guten Tag sagen; aber er tut ganz zahm. »Eine rechte Stelle hast hier, du,« raunt er ihr zu. »Hast etwas Geld?« fährt er fort. »Wirst dann wissen, daß du auch hier und da etwas heimzuschicken hast, wie die andern, hörst?«

Als sie ihm ein paar blanke Franken hergeholt und mit einer fast verächtlichen Bewegung zugeschoben hat, schmunzelt er, ist freundlich, wie einer beim Erben, und geht nach einer Weile zufrieden davon. Die Violanta weiß, was sie zu tun hat, damit er nicht so bald wiederkommt; von jedem Lohn schickt sie einen rechtschaffenen Teil talab, dabei ist ihr Gedanke jedesmal: »Jetzt hast dich wieder losgekauft.« Und das Herz schlägt ihr vor Freude, wenn sie das Geld los ist.

An einem Sonntag erfährt die Violanta in der Wirtsstube eine Neuigkeit! Herrgott, was für eine Neuigkeit! An Sonntagabenden muß sie der Hoferin immer an die Hand gehen, denn da sitzt die Schenkstube voller Bauern. Die Bauern sind gut aufgelegt, haben heiße Köpfe und weibermäßig eifrige Zungen. Auch heute ist die Stube voll Rauch und Weindunst und von Stimmengewirr und Gelächter laut. Aus allem Lärm tönt plötzlich ein Name hervor.

»Der Marianus Renner!«

Die Violanta, die in einer Stubenecke steht, fährt zusammen und wird bleich. Sie legt die Hand fest auf die Lehne eines Stuhls, blickt scheinbar gleichgültig aus dem Fenster und hört dem Gespräch zu, an dem bald der ganze Haufe der Gäste teilnimmt.

»Jetzt ist er nach Amerika, dem Ratsherr seiner, der Marianus Renner von Oberalpen!«

»Lang genug hat er's getrieben!«

»Ins Grab bringt er seinen Vater, den Ratsherrn, der Marianus. Ein Ehrenmann ist er, der Alte! Man sollte es nicht glauben, daß ein so faules Reis an einem kerngesunden Baum stehen kann!«

»Von klein auf ist er so gewesen, der Marianus, wild, nicht zu regieren, falsch, hinterrücks! Mit zwölf Jahren hat er des Babesepps Christen die Uhr gestohlen, mit vierzehn Jahren einem armen Buben von Oberalpen im Streit das Messer ins Bein gestochen. Von da an hat es zu Oberalpen keine Ruhe gegeben mit ihm. Kein Mädchen ist vor ihm sicher gewesen. Der Alte hat immer wieder in den Sack greifen und zahlen müssen!«

»Den Narren hat er aber auch gefressen an dem Buben, der Alte. Schwach ist er gewesen, wenn's um den gegangen ist!«

»Er ist auch ein schöner, starker Mensch, der Marianus! Im Soldatenrock hat er stramm ausgesehen!«

»Den hat er jetzt auch ausziehen müssen, den Soldatenrock. Mit Schimpf und Schande haben sie ihn davongejagt, weiß der Himmel, was es da gegeben hat. Das und eine neue Geschichte mit einer Magd, das hat dem Ding den Bogen gegeben. So bald kommt der nicht wieder zurück übers Wasser.«

So weit sind die in der Wirtsstube mit ihren Beiträgen zu des Marianus Renner schönem Lebenslauf, als die Wirtin die Violanta um Wein in den Keller schickt. Als sie zurückkommt, kann sie gerade noch hören, wie der alte Schulmeister, der Lusser-Toni, mit seiner heiseren Stimme sagt: »Und doch hat der Lump, der Marianus, einen Bruder, der so brav ist, wie er leid

Zwei Dinge gehen der Violanta nachher im Kopf herum. Zum ersten: Fort ist er, der Marianus, fort übers Meer! Und so bald kommt er nicht wieder. Sie streckt sich, streitfroh fast, noch mehr, wie einer, dem eine Last von den Schultern gefallen ist. Besser ist besser! Recht weit fort! Ihr kann's recht sein! Als ihre Gedanken von dem Marianus lassen, ist eine leise Neugier in ihr, was der andere für einer sein mag, der, der so brav sein soll, wie der Marianus schlecht ist.

Die Neugier schläft wieder ein, Wochen vergehen; dann kommt ein Tag, an dem die Neugier wieder wach werden kann, wenn sie will!

»Violanta,« ruft die Hoferin. Sie sitzt nähend in ihrer Wohnstube, dem großen sauberen Raum, der über der Schenke liegt, sitzt allein an dem langen, wachstuchbedeckten Tisch, an dem zu Mittag die ganze Herde Dienstvolk mit Bauer und Wirtin zum Imbiß sich niederläßt. Der Hofer, ihr Mann, der breitschulterige Mensch mit dem braunen Kraushaar und dem festen braunen Schnurrbart, steht hemdärmelig, die Arme in die Seite gestemmt, vor einem Ölfarbendruckheiligen, der an der Wand hängt und an dem er weiß Gott was Schönes sieht. Die Tür nach dem Flur hinaus steht offen. Durch die kommt die Violanta gegangen.

»Ja,« sagt sie, als sie über die Schwelle tritt. In dem »Ja« liegt die Antwort auf den Ruf der Hoferin und zugleich die Frage, was sie soll.

»Du, los',« sagt die Wirtin; »mach die Tür zu,« fügt sie hinzu und stichelt fleißig weiter am Nähzeug. Der Hofer läßt seinen Heiligen hängen, legt die Hände auf den Rücken und wendet sich nach der Violanta um. Die steht in einem sauberen Rock, der von der schlankeren Hoferin stammt und ihr knapp paßt, so daß sich erst recht zeigt, wie sie wie ein fester, junger Baum gewachsen ist. Der dunkle Kopf sitzt gerade auf dem wachsbleichen Nacken; die Weiber dazuland gehen alle vornüber gebeugt, wie unter einem heimlichen Joch, aber die Violanta steht da, als gehöre die halbe Welt ihr. Der Hofer ist kein Weibernarr, aber es poppert ihm sonderbar unterm Hemdlinnen, während er vielleicht zum erstenmal, seit sie im Hause ist, das Mädchen lang und mit Muße betrachtet.

»Das ist jetzt so,« beginnt die Hoferin zur Violanta, legt die Arbeit auf den Tisch und beugt sich ein wenig vor. »Du solltest nach Oberalpen für ein paar Tage zu meiner Mutter; der ist die Magd davongelaufen.«

»Nach Oberalpen?« fragt die andere. Die Frage kommt hastig, und blitzähnlich zeigt sich in den weißen Backen ein Schimmer wie von einer Blutwelle. Dann faßt sie sich. Er ist ja nicht mehr dort, fährt es ihr durch den Sinn. »Nach Oberalpen?« wiederholt sie ganz ruhig, »ja, ja, wenn Ihr es haben wollt, warum nicht.«

»Aber du mußt heute noch gehen,« fährt die Wirtin fort, »er (sie nickt nach ihrem Manne hin) nimmt dich mit auf den Wagen. Pack zusammen, was du haben mußt für ein paar Tage.«

»Ja – gut,« sagt die Violanta, dreht sich um und will gehen.

»Wenn,« beginnt die Hoferin wieder – es scheint ihr ein Gedanke zu kommen –, »wenn es sich gut anläßt mit euch beiden, könntest auch gerade dort bleiben bei der Mutter.«

Das Mädchen sieht sie an, schlägt den Blick nieder und nickt wie eine, die nicht nein und nicht ja sagen will. Der Hoferin scheint der plötzliche Plan zu gefallen. »Es ist mir darum zu tun, daß die Mutter versorgt ist,« spricht sie weiter. »Sie ist eine schwache, unbeholfene Frau, sie muß eine haben, die schaffen kann und will, das kannst und willst du.«

Bei dem Lob gleitet ein flüchtiges Lächeln um den Mund der Violanta.

»Schön hat's eine bei der Frau,« läßt sich der Bauer vernehmen. »Kannst dich nur zusammennehmen, daß dich gut hältst.«

»Ein Ausbund bist noch nicht,« wirft die Hoferin wieder ein, die ein Lied singen könnte, wie sie dem Zureichmädchen all die Monate her Ordnung eingetrichtert hat. »Aber guten Willen hast!«

Die Violanta murmelt etwas davon, daß sie sich Mühe geben will, hat aber wenig Demut in ihrem Wesen. Indessen nimmt der Hofer seinen Rock vom Nagel und wirft ihn über die Achsel. »So mach dich fertig,« sagt er, sich zur Tür wendend, zu der Magd, »in einer Stunde fahren wir.« Sie nickt, geht aufrechten Schrittes, wie immer, hinaus und steigt zu ihrer Kammer hinauf, ihre Siebensachen zum zweitenmal in ein Bündel zu schnüren. Diesmal wird das Bündel schon größer, die Hoferin ist eine Freigebige und hat der Violanta mit allerlei Gewandstücken nachgeholfen. Während diese packt, kommt sie die Reue an, daß sie mit dem Fortgehen einverstanden gewesen. Sie ist noch zu frisch aus einer Welt herausgestiegen, der entronnen zu sein sie alle Tage aufatmend dem Herrgott dankt, als daß sie nicht eine geheime Furcht empfände, der Weg, den sie ins Ungewisse antritt, möchte sie wieder rückwärts, statt vorwärts bringen. Dann aber schlägt sie die Besorgnisse mit dem sich selber eingeredeten Trost nieder: kannst ja zurückkommen, Violanta, wenn's dir in Oberalpen nicht gefällt!

Bald darauf sitzt sie neben dem Kreuzwirt auf dem Brettsitz seines Leiterwagens, hat Sonntagsstaat an, ein schwarzes Kleid, in dem sie ganz fürnehm aussieht, und reicht noch einmal der Hoferin, die ihr gute Lehren gibt, mit einem festen »Ich will's recht machen, Frau«, die Hand. Dann zieht das kleine struppige Bergpferd an, und die Fahrt geht talauf. Die Häuser von Anderhalden bleiben bald zurück. Nun ist die Aussicht wieder die, wie sie weiter unten im Tal auf der Violanta ihrer ersten Reise gewesen ist, eine breite, wie eine Schlange sich hinauf ins Gebirge windende Straße, ein Wildbach, ihr bald zur Rechten, bald zur Linken, grüne Lehnen, graues Gebirg, hoch unter dem Himmel herabschimmernde Firnzinnen. Nur der Wald kommt immer mehr hinter die bergan Fahrenden zu liegen, es wird kahler über ihnen, näher treten die Felswände zusammen; fast ist es, als müßte das Pferd nach kurzer Reise gegen einen Bergwall prallen, in dem kein Durchweg mehr ist. Der Tag ist just so klar, wie der Violanta ihr erster Reisetag gewesen. Der Wind, der ihr entgegenweht, ist frischer, fast rauh; das Mädchen beut ihm gern den bloßen, dunkeln Kopf; es wird ihr sonderbar leicht hinter der Stirn und klar; leicht ist ihr auch im Herzen, obwohl die Neugier darin wach ist, wie es abermals mit ihr werden wird.

Der Hofer neben ihr knallt mit der Peitsche, pfeift eines vor sich hin, steckt auch einmal eine Pfeife an; gesprächig ist er nicht groß, obwohl er manchmal der Violanta ein Wort hinwirft oder mit dem Peitschenstiel zeigt, wenn es am Weg irgend etwas zu sehen gibt, was dem Mädchen neu sein kann. So fahren sie durch Schattenhalb, auf das der gewaltige Rotfirn niederleuchtet, fahren in die finstere Schöllenenschlucht hinein, wo die Straße sich wie scheu an den Felswänden hindrückt, fahren hinauf und hinauf, durch ein ganz nachtschwarzes Felsentor zuletzt, und fahren auf einmal auf einem talebenen Weg in ein weites flaches grünes Land hinein, um das herum, wie riesige Häge die Alpweide schützend, grüne, baumlose Hügel stehen. Hinter den Hügeln ragen die Felsen neuer Gebirgsstöcke auf, und ein ganzer Kranz in der Sonne flammender Gletscher ist über den höchsten Saum der das Bergtal grenzenden Gottesmauern gelegt.

Der Hofer sieht die Violanta an und lacht. »Gelt, da bist noch nie gewesen?« sagt er. Was er nicht beifügt, klingt aus seiner Stimme: Gelt, da oben ist's aber schön!

Das Mädchen tut einen tiefen Atemzug, der in einem stockenden Seufzer endet: »Jesus.« sagt sie; vor Staunen hat sie kein anderes Wort. Der Wagen rasselt die Straße weiter, einer Häusergruppe zu, die mitten auf dem grünen Mattenteppich vor ihnen steht. Die Sonne leuchtet auf sie nieder, Staub steigt unter den Wagenrädern auf, aber der Wind hat da oben einen so kernfrischen Atem, daß der Staub nicht in die Höhe kann. Auf ihrem Brett sitzen der Hofer und die Violanta und baden in dem Herrgottsleuchten der Sonne und in der Firnluft, und einer, der hinter ihnen auf der Straße stände, müßte sich sagen, daß die zwei großen, starken, gerade gewachsenen Menschen prächtig in die einsame, wilde und schöne Welt hineinpassen.

Vom Staub der Landstraße rasselt der Wagen hinweg auf das Holperpflaster von Oberalpen; das Fuhrwerk ächzt und klappert, der Hofer und das Mädchen schüttern auf ihrem Brett wie die groben Steine, die beim Sanddurchwerfen oben auf dem Siebe bleiben. Dann sagt der Hofer ein lautes »He – ho – ho«, und sein Gaul bleibt zwischen zwei Steinhäusern stehen, die beide fürnehm dicht an die Gasse gebaut sind. »Da sind wir,« sagt der Hofer, hängt die Zügel ein und springt ab; auf der anderen Wagenseite klettert die Violanta herunter.

»Da hinein?« fragt sie und dreht sich dem Hause zu, dem sie zunächst steht. »Da herüber,« winkt der Hofer, »das dort ist dem Ratsherrn selig, dem Renner sein Haus.«

»Dem Ratsherrn selig?« sagt die Violanta; dabei bleibt sie unwillkürlich stehen und schaut an dem großen Gebäude empor, das mit seinen dicken Steinmauern und seinen langen, hoch über der Straße gelegenen Fensterreihen aussieht wie ein alter Festungsbau. Als sie an des Hofers Seite tritt, läßt auch er die Augen an den Fenstern haften, die alle durch Laden verschlossen oder sonst verhängt sind, so daß das Haus wie ausgestorben scheint. »Gestern nacht ist er gestorben, der Ratsherr,« raunt er der Violanta zu. Die hört, in Gedanken verloren, nur halb, was er sagt; es bedrängt sie, daß das Rennerhaus so nah steht. Alle Tage wird sie es vor Augen haben müssen! Der Hofer ist ganz voll von seiner Nachricht, daß der Ratsherr Renner tot ist. »Den hat doch der Marianus auf dem Gewissen,« sagt er, während sie sich ihrem Wegziel, dem Haus der Nagerin, zuwenden. Dieses ist nicht so schwerfällig wie das benachbarte, aber stattlich steht es da für ein Bauernhaus, trägt an den Mauern einen graudunkeln Bewurf und an seinen drei Stockwerken freundliche grüne Laden. Die Laden des Erdgeschosses sind geschlossen; da wohnt niemand. Im ersten Stockwerk hat die Nagerin ihre Wohnung; im zweiten wohnt der Bauer mit Frau und Kinderschar, der bei der Nagerin Landpächter ist. Der kommt eben vom Gaden hinter dem Hause nach vorn gegangen, hilft dem Hofer das Pferd abspannen und führt es nach dem Stall, während dieser mit Violanta in die Haustür tritt.

Der Kreuzwirt stampft dem Mädchen voran die knarrende Holztreppe hinauf; auf einen nicht just hellen Flur gehen ein paar Türen, von denen öffnet der Hofer eine und tritt in eine mächtige Stube, deren eine Wand aus lauter Fenstern besteht, die wenig und einfaches Gerät, Stühle, einen großen Tisch, ein Büfett und eine Truhe hält, hellgelbes Tafelwerk und eine niedere vertäfelte Decke hat. In der mächtigen Stube sitzt in einem lederbezogenen alten Armstuhl ein kleines Weib, die Nagerin.

»Guten Tag, Mutter,« sagt der Hofer, wirft den Rock, den er all die Zeit nicht angehabt, über eine Stuhllehne, geht zu der alten Bäuerin und nimmt ihre verschrumpfte schmale Hand in seine breite.

»Guten Tag,« gibt die Nagerin zurück; ihre Stimme tönt wie ein leiser Schlag auf Scherben gegenüber der dröhnenden des Bauern; sie kommt aus einem schmächtigen Leibe.

»Die Frau grüßt Euch,« fährt der Hofer fort, »und da schickt sie Euch eine für die Not zum Haushalten.«

Violanta ist zögernd eingetreten; sie steht mit ihrem Bündel noch neben der Tür, schlank, und aufrecht, und sieht still nach der Alten hinüber. Ein Zug in deren Furchengesicht macht ihr das Herz warm. Da hebt die Nagerin die seltsam ausdrucksleeren hellgrauen Augen, die fast wie Blindenaugen aus hundert Falten und Fältlein blicken, und etwas wie ein Lächeln liegt um ihren schmalen Mund. »Ihr meinet es immer gut,« spricht sie zu dem Hofer hinüber, aber die Violanta scharf betrachtend, »ein paar Tage hätte ich mir schon helfen können. Es ist aber auch so recht. Dank Euch auch!«

»Stell ab, Mädchen,« sagt sie dann zu Violanta, langt einen Stock hinter ihrem Stuhle hervor und hebt an, nach dem Büfett zu humpeln, dem Bauern einen Trunk herauszulangen. Derweilen plaudert sie in einer stillen, langsamen Weise. »Ja, ja, so sind sie, die jungen Mädchen. Wenn einer ihnen den Kopf verdreht, gilt kein Verstand mehr und keine Pflicht. Ist mir das Trini, mein Mädchen, weggelaufen, einzig weil halt ihr Schatz sich ins Tal als Knecht verdungen hat.«

»Es wird ihr bald genug leid sein, das Fortlaufen,« sagt der Bauer mit seiner Polterstimme und läßt sich am Tische nieder. Die Nagerin stellt ihm den Wein hin, legt Brot dazu, das Glas fehlt ihr noch. Als sie sich danach umwenden will, steht die Violanta am Büfett, greift hinein und setzt ein Glas auf den Tisch. Die Nagerin lächelt wieder; es ist, als gehe ein Sonnenschein über ihre Züge. »Gib noch zwei her,« sagt sie zu Violanta, worauf diese zwei weitere Gläser auf den Tisch setzt. Die Nagerin schenkt sie voll, in das dritte gießt sie nur ein paar Tropfen. Dann hebt sie selber das letztere und sagt ein »Zum Wohl!«, stößt mit dem Hofer zuerst an und heißt dann die Violanta Bescheid tun, die zögernd, als geschähe ihr eine ungewohnte Wohltat, das Glas aufnimmt, auf das die Alte deutet. Als ihre Gläser zusammenklingen, sind sie ein seltsames Bild, die unscheinbare, verschrumpfte Bäuerin und die hochgewachsene Magd. Die Nagerin scheint auch zu fühlen, wie zerbrechlich sie neben der anderen aussieht. »Du bist eine, die sollte schaffen können,« sagt sie zu Violanta. Gleich darauf heißt sie das Mädchen sein Bündel nehmen und ihr folgen und verläßt mit ihr die Stube.

Als sie nach einer Weile zurückkommt, findet sie den Hofer an einem der Fenster stehen. Er schaut nach dem Rennerhaus hinüber. »Ja, da liegt jetzt auch einer,« sagt die Nagerin.

»Es scheint,« brummt der Hofer.

»Die Nägel zum Sarg hat sein Bub geschlagen,« sagt die Alte streng.

Die Violanta hantiert indessen schon draußen in der Küche, wohin die Nagerin sie gebracht hat. Sie trägt den Kopf hoch und hat einen frohen, leichten Atem. Es ist ihr seltsam wohl bei Beginn ihres neuen Amtes.


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