Xenophon
Die Kyropädie
Xenophon

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Einleitung.

Ueber Xenophon's Lebensumstände haben wir nur wenige und unbestimmte Nachrichten; wir müssen uns daher bei manchen Punkten mit dem begnügen was sich durch Zusammenstellung der Angaben späterer Schriftsteller mit den in seinen eigenen Schriften enthaltenen Winken als das Wahrscheinlichste ergibt. Ein desto vollständigeres Bild können wir uns von seinem innern Leben entwerfen, das sich in seinen Schriften so schön entfaltet.

Da er nach Lucian neunzig Jahre alt wurde, und in seiner Griechischen Geschichte noch die Ermordung des Alexander von Pherä (Olymp. 105, 4. vor Chr. 354) erzählt, so fällt das Jahr seiner Geburt etwa in Olymp. 84, 1 (vor Chr. 444), sein Tod in Olymp. 105, 4 oder 106, 1 (354 oder 353 vor Chr.). Sein Vater hieß Gryllos, aus dem Demos Ercheia im Aegeischen Stamme. Durch einen eigenen Zufall kam er in die Gesellschaft des Sokrates. Dieser begegnete ihm einst in einer engen Straße, sperrte ihm den Weg mit vorgehaltenem Stab und fragte ihn nach dem Ort wo diese und jene Lebensmittel verkauft würden. Xenophon gab ihm hierüber Auskunft; Sokrates aber fragte weiter, ob er auch wisse wo rechtschaffene Männer gebildet werden? Als Xenophon hierauf nichts zu antworten wußte, so sagte Sokrates: so folge denn mir und lerne es; und von der Stunde an war er Schüler des Sokrates. Seine ersten Kriegsdienste that er in der Schlacht bei Delion, im siebenten Jahr des Peloponnesischen Krieges (Ol. 89, 1. vor Chr. 424), um welche Zeit er wenigstens zwanzig Jahre alt sein mußte. Er stürzte vom Pferde; Sokrates aber nahm ihn auf die Schultern und trug ihn, während alle Athener 4 flohen, mehrere Stadien weit, bis er ihn in Sicherheit gebracht hatte. Daß er im Verlauf des Peloponnesischen Krieges weitere Dienste gethan habe, darüber findet sich keine Nachricht. Es scheint, er habe diese Zeit seiner wissenschaftlichen Bildung gewidmet. Außer dem beständigen Umgang mit Sokrates benützte er den Unterricht des Sophisten Prodikos in der Beredsamkeit; Sokrates ermunterte ihn, so wie den Theopompos aus Chios, und den Ephoros aus Kumä, zur Geschichtschreibung, indem er Jedem die seinen Fähigkeiten angemessenen Stoffe zutheilte. Nach Beendigung des Peloponnesischen Kriegs eröffnete sich ihm eine unerwartete Laufbahn. Sein Freund Proxenos aus Böotien, der sich am Hofe des Persischen Statthalters Kyrus in Vorderasien aufhielt, lud ihn ein eben dahin zu kommen und die Bekanntschaft des Kyrus zu machen. Der Wunsch nach einer Veränderung seiner Verhältnisse war so lebhaft bei ihm daß er keinen Augenblick zweifelte dem Rufe zu folgen und bei dem Delphischen Orakel, an welches er sich auf den Rath des Sokrates wandte, nicht fragte, ob, sondern, wie er zu Kyrus abreisen solle? Er reiste nach Sardes, der Residenz des Kyrus, und wurde in Kurzem inniger Freund dieses mit ausgezeichneten Tugenden geschmückten Regenten. Ol. 94, 4 (vor Chr. 401) machte Kyrus Anstalten zu einem Zuge nach Persien, um sich von der Oberherrschaft seines argwöhnischen und despotischen Bruders, Artaxerxes Mnemon, Königs von Persien, zu befreien. Er suchte so viel möglich Griechische Truppen, vorzüglich aus dem Peloponnes, an sich zu ziehen, und brachte ein Heer von mehr als zwölftausend Griechen und vierzigtausend Barbaren zusammen. Xenophon machte den Zug mit; weil aber von Athen, das mit dem Perserkönig befreundet war, keine Mannschaft dabei war, so war er ohne militärische Würde. Das Heer zog durch die Küstenländer des mittelländischen Meers hin und gelangte nach glücklicher Ueberwindung vieler Schwierigkeiten bis in die Gegend von Babylon. Hier kam es zur Schlacht; bereits war der Sieg für Kyrus entschieden, schon wurde er als König von Persien begrüßt, als er seinen Bruder Artaxerxes in einem dichten Haufen erblickte. Voll Erbitterung 5 stürzte er mit wenigen Auserlesenen auf ihn los und verwundete ihn durch den Panzer, fiel aber als Opfer seiner Kühnheit. Das ganze Unternehmen ist gescheitert. Die Barbaren welche dem Kyrus gefolgt waren trennen ihr Interesse von dem der Griechen; durch Bruch der Verträge werden die Griechischen Heerführer ermordet, und das Heer, mehr als sechzehntausend Stadien von Ionien entfernt, ohne Wegweiser, ohne sichern Unterhalt, durch Ströme und Berge von der Heimat abgeschnitten und von treulosen Barbaren umgeben, befindet sich in einer verzweifelten Lage. Die Wahl schwankt zwischen Ergebung auf Gnade und Ungnade, und dem Rückzug. Da erhebt sich Xenophon, voll Muth und Einsicht, und zeigt mit einleuchtenden Gründen, wie allein beim Rückzug Rettung möglich sei. Er wird mit vier Andern zum Heerführer gewählt und die Richtung nach dem schwarzen Meere genommen: Xenophon übernimmt die Deckung des Rückzugs. Hier zeigte er so viele Klugheit, Tapferkeit, Ausdauer, eine solche Sorge für die Soldaten, eine so weise Nachgiebigkeit gegen nebenbuhlerische Mitfeldherrn, eine so großmüthige Entsagung, als ihm der Oberbefehl über das ganze Heer angeboten wurde, daß ihm, als Mensch und als Feldherr gleich groß, eine ausgezeichnete Stelle in der Kriegsgeschichte gesichert bleibt, obwohl seine Thätigkeit nicht der glänzende Ruhm gewonnener Siege begleitete. Nachdem er das Heer bis nach Byzanz zurückgeführt hatte trat er mit demselben in die Dienste des thrakischen Königs Seuthes, der sein väterliches Reich wieder zu erobern gedachte. Als dieß gelungen war luden die Spartaner, deren Feldherr Thimbron die Persischen Statthalter Tissaphernes und Pharnabazus bekriegen sollte, das Heer ein in ihre Dienste zu treten. Xenophon führte es nach Pergamos und legte den Oberbefehl in die Hände des Thimbron nieder. Hier schließen Xenophon's eigne Berichte. Durch die Verbannung, die er sich durch seine Anschließung an Kyrus, welcher die Spartaner gegen die Athener unterstützt hatte, und durch die Uebergabe seines Heers an die Spartaner, zugezogen haben mochte, wurde er an der Rückkehr in sein Vaterland gehindert, und diente nun wahrscheinlich bei dem Heere 6 fort, dessen Oberbefehl (Ol. 95⅔, vor Chr. 398) dem Spartaner Derkyllidas übertragen wurde; denn unter dem Anführer der ehemaligen Truppen des Kyrus dessen Xenophon in der Griechischen Geschichte (III,  2, 7) anonym erwähnt ist wohl er selbst zu verstehen; und der Umstand daß Xenophon der einzige Griechische Schriftsteller ist welcher die Thaten des Derkyllidas würdigt, so wie die Art dieser Würdigung scheint ebenfalls wahrscheinlich zu machen daß er Augenzeuge derselben gewesen sei. Ol. 96½, finden wir ihn bei Agesilaos in Asien; er war Theilnehmer und Augenzeuge der großen Thaten dieses Mannes, und wurde durch längern Umgang mit ihm sein innigster Freund und Verehrer. Als Agesilaos mitten im Laufe seiner Siege aus Asien abgerufen wurde, um dem bedrängten Vaterlande Hülfe zu leisten, zog Xenophon mit ihm zur Schlacht von Koroneia in Böotien (Ol. 96⅔, vor Chr. 394) und kämpfte hier gegen die Thebaner und seine mit den Thebanern verbündeten Landsleute. Von da begleitete er den Agesilaos wahrscheinlich nach Sparta, und erhielt auf sein Verwenden von den Spartanern ein Landgut bei Skillus in Elis, unfern Olympia. Seine Gattin Philesia nebst zwei Söhnen, Diodoros und Gryllos, folgten ihm dahin. Daß er schon vor seinem Zuge nach Asien verheirathet gewesen sieht man aus Cicero (de Invent. I 31), wo Sokrates, welcher während seiner Abwesenheit in Asien starb, einer Gattin des Xenophon erwähnt. Ob diese bis dahin in Athen geblieben oder nach Asien zu ihm gekommen sei ist nicht bekannt. Uebrigens ist kein Grund vorhanden, mit Andern eine zweimalige Verheirathung Xenophon's anzunehmen. In Skillus lebte er seinen Lieblingsneigungen, dem Landbau, der Jagd und der Pferdezucht; wahrscheinlich war es spöttische Anspielung auf seinen Reitersinn daß seine Söhne die Dioskuren genannt wurden. Hier ist auch die Entstehung nicht nur seiner Schriften über die Haushaltungskunst (Oekonomikos), über die Jagd (Kynegetikos), über die Reitkunst zu suchen, sondern namentlich die Abfassung der Anabasis, in welcher er seinen Landsitz mit so lebhaften Farben schildert. Er richtete ihn nach dem Muster des heiligen Haines der ephesischen 7 Artemis ein. Vor seiner Abreise von Ephesos hatte er bei einem Priester der Artemis eine Summe Gelds von der Beute niedergelegt, welches ihm, wenn er beim Leben bliebe, wieder zugestellt, wenn er umkäme, der Göttin geweiht sein sollte. Als er das Geld wieder erhalten hatte kaufte er bei Skillus ein Stück Landes, baute der Artemis einen Tempel nach dem Muster des ephesischen, ließ ihr Bild von Cypressenholz verfertigen und stiftete ihr zu Ehren ein Fest, an welchem die ganze Umgegend Theil nahm. Das Feld weihte er der Göttin, und verordnete in einer bei dem Tempel aufgestellten Inschrift daß der Zehnte ihr alljährlich dargebracht werden sollte. Als die Eleer (Ol. 102, 2. v. Chr. 368) den Lakedämoniern Skillus wieder nahmen mußte Xenophon mit den Seinigen fliehen, und begab sich nach Korinth, erhielt aber nachher von der Eleïschen Regierung seine Besitzungen zu Skillus zurück nebst der Erlaubniß dort zu wohnen. Von Letzterem scheint er jedoch keinen Gebrauch mehr gemacht zu haben. Als (Ol. 102, 4. vor Chr. 366) die Athener dem Bündnisse mit Böotien entsagten und den Lakedämoniern Beistand leisteten, schickte Xenophon seine zwei Söhne, die er auf Agesilaos' Rath in Sparta hatte erziehen lassen, nach Athen, um unter dem Athenischen Hülfsheer für die Lakedämonier zu streiten. Sie dienten als Reiter unter Kephisodoros. Diodoros kam wohlbehalten aus dem Feldzug zurück, Gryllos aber fiel in der Schlacht bei Mantineia. Der Vater war eben im Begriff zu opfern, als er die Nachricht vom Tode des Sohnes erhielt; da nahm er den Kranz den er auf dem Haupt hatte ab: als er aber hörte daß er eines edlen Todes gestorben sei, setzte er ihn wieder auf und sprach, ohne eine Thräne zu vergießen, die im Alterthum hochgefeierten Worte: »ich wußte ja daß ich einen Sterblichen gezeugt habe.« Ein Gemälde Euphranor's im Kerameikos zu Athen stellte die Schlacht von Mantineia vor, und darauf war Gryllos zu erkennen, wie er mit eigener Hand den Epaminondas tödtete. Gryllos erhielt von den Mantineern eine öffentliche Bestattung und eine Reiterstatue zum Denkmal. Diese Annäherung Xenophon's an die Athener scheint die Widerrufung seines 8 Verbannungsdecretes bewirkt zu haben. Ob er wirklich nach Athen zurückgekehrt sei ist nicht bekannt. Wenigstens machen die dafür angeführten Gründe, daß Xenophon die Verhandlungen in den Athenischen Volksversammlungen um diese Zeit so ausführlich beschreibe und daß seine Unterweisung des Reiterei-Anführers an Kephisodoros, unter welchem seine Söhne dienten, gerichtet sei, seinen Aufenthalt in Athen nicht nothwendig, da Beides bei seiner wieder angeknüpften Verbindung mit Athen auch in der Entfernung geschehen konnte. Er starb in Korinth. Wie hoch er noch nach seinem Tode geachtet wurde beweist der Umstand daß der Artemistempel den er in Skyllus errichtet hatte noch von Pausanias, welcher mehr als vierhundert Jahre nachher Griechenland bereiste, gesehen wurde, und neben demselben ein Denkmal von pentelischem Marmor, nebst einer Figur welche, nach der Versicherung der Nachbarn, den Xenophon vorstellte.

Um die verschiedenen Urtheile über Xenophon, welche bald in Lob bald in Tadel das Maß überschreiten, zu würdigen, muß zwischen seinem Charakter als Mensch und als Bürger unterschieden werden. Als Mensch betrachtet gehört er zwar nicht zu den hervorragendsten und geistreichsten, wohl aber zu den biedersten und liebenswürdigsten Charakteren des Alterthums. Das Griechische Ideal menschlicher Vollkommenheit, gleichmäßige Bildung des Leibes und der Seele, hatte er wie Wenige in sich verwirklicht, und daraus ist die schöne Harmonie hervorgegangen welche sich in seinem ganzen Wesen offenbart. Als ächter Jünger des Sokrates hatte er des Meisters Lehren und Handlungsweise sich so zu eigen gemacht daß er oft mit Verleugnung des eigenen Wesens des Lehrers Worte wiedergab. In dieser Schule gewann er die Klugheit, den praktischen Blick in allen Verhältnissen des Lebens, die sich in allen seinen Schriften ausdrückt; daher seine Frömmigkeit, die stete Rücksicht auf die Winke der Götter, die er mitten im Getümmel des Kriegs erforschte und mit fast abergläubischer Gewissenhaftigkeit ehrte, mochten sie ihm in Träumen, Opfern oder sonstigen Vorbedeutungen kund werden. Durch seine Erinnerungen an Sokrates (eine Schutzschrift gegen seine Ankläger) hat er seinem 9 Lehrer ein unvergängliches Denkmal gestiftet, und von dem Charakter dieses Weisen liefert er uns wohl ein treueres Bild als die Dialogen des über die einfache Lehre des Sokrates sich erhebenden Platon. Daß Geister wie Platon und Xenophon mit einander nicht harmoniren konnten ist aus der verschiedenen Richtung die Jeder nahm schon zum Voraus zu erwarten. Xenophon war Mann des Lebens, Platon Mann der Schule und Haupt einer Secte. Während Platon in kühnem Fluge sich in's Reich der Ideen erhob blieb Xenophon auf dem Boden der Wirklichkeit, auf welchem er sich mit Einsicht, Kraft und Redlichkeit bewegte. Bei der eigenthümlichen Richtung welche Jeder nahm und auch in seinen Schriften ausdrückte, ist natürlich daß sie auch den Lehrer selbst verschieden darstellten, woraus indessen noch nicht auf wirkliche Feindseligkeit zwischen Beiden, von welcher mehrere Alte sprechen, geschlossen werden darf. – Den Zweck der Vertheidigung des Sokrates hat auch das Gastmahl der Philosophen und die Schrift von der Haushaltungskunst. Die erstere Schrift schildert uns ein Gastmahl, wobei nach Griechischer Sitte Tänzerinnen und Flötenspielerinnen auftreten. Weit entfernt von rigoristischen Lebensansichten ist der heitere Weise anwesend und knüpft an die Vergnügungen des Augenblicks die anziehendsten Gespräche über Schönheit und Liebe. In der Schrift über die Haushaltungskunst schildert Sokrates dem Kritobulos die Schönheit des Landlebens und spricht über eheliches Glück, über den Beruf von Mann und Weib, über Gründung und Erhaltung häuslichen Wohlstandes und häuslicher Ordnung so wahr und edel daß Scipio Africanus die Schrift nie aus den Händen legte, Cicero in seiner Jugend sie übersetzte, und Virgil hie und da sie nachahmte. Von geringerer Bedeutung und nach Einigen nicht ächt ist die Vertheidigung des Sokrates vor den Richtern.

Auch Xenophon's politischer Charakter war durch den Umgang mit Sokrates gebildet. Sokrates war Weltbürger und konnte als solcher an dem Treiben des Athenischen Volks kein Gefallen finden; zugleich aber war er zu eigenthümlich als daß er 10 sich anderswo sein Ideal der Staatsverfassung gesucht hätte. Den Widerwillen gegen die Athenische Volksherrschaft hatte Xenophon vom Lehrer geerbt, und er war darin durch die ungerechte Verurtheilung desselben, so wie durch seine eigene Verbannung noch bestärkt worden; aber er bedurfte eines verwirklichten Ideals, welches er in der durch Stätigkeit ausgezeichneten Spartanischen Verfassung fand. Während seines Aufenthalts in Asien hatte er an dem Perser Kyrus und an dem Spartaner Agesilaos Freunde gefunden, und mit eigenen Augen gesehen wie viel Ein Mann mit unbeschränkter Macht, wenn er das Gute will, zu leisten vermag. So wurde die Monarchie sein Ideal; diese unterscheidet er aber genau von der Tyrannei. In seinem Hieron gibt der Herrscher gleiches Namens eine klägliche Schilderung von den Entbehrungen und Leiden die auf der Tyrannei lasten, worauf der weise Simonides die Art und Weise zeigt wie des Herrschers Wirkungskreis zur Quelle des Glücks für Viele werden könne. Die Ausführung der Mittel aber wie ein Regent seiner Bestimmung entsprechen könne gibt er in dem politischen Roman der Kyropädie oder Bildungsgeschichte des Kyrus. Daß diese Schrift nicht als wahre Geschichte, sondern als Roman aufzufassen sei zeigt die Willkür mit welcher Geschichte und Geographie darin behandelt werden. Der Krieg des Kyrus gegen die Meder und die Entthronung des Astyages, ein Factum worin Herodot mit Ktesias trotz aller sonstigen Abweichung übereinstimmt und das Xenophon selbst (Anab. III,4, 8) als bekannt voraussetzt, wird mit Stillschweigen übergangen, aus keinem andern Grunde als um aus dem Bilde alle Züge zu verwischen welche den von dem Schriftsteller beabsichtigten Effect schwächen könnten; in Kyaxares wird eine in der Geschichte sonst nicht erscheinende Person aufgeführt, in der Eroberung von Sardes und Babylon die Zeitrechnung verrückt; selten werden Namen der Könige mit welchen Kyrus in Berührung kam genannt; von Gegenden und Städten wird keine, oder nur eine dürftige Beschreibung gegeben; Kyrus stirbt mitten im Frieden, und von seinen Jahren wird keine Zahl angegeben, Freiheiten die nur einem Dichter erlaubt sind. Zwar 11 läßt sich nicht verkennen daß die Xenophontische Geschichte des Kyrus, namentlich die seiner Geburt und Kindheit, mehr Wahrscheinlichkeit hat als die fabelhaft klingende Erzählung des Herodot, welche von den meisten Geschichtschreibern nacherzählt worden ist; aber dieß beweist nur so viel daß Xenophon sich die durch Mythen verdunkelte Geschichte auf eine Art ausmalte wie sie zu seinem Zweck paßte, welcher war: das Ideal eines Herrschers aufzustellen, und die Mittel anzugeben, wie sich derselbe nicht nur zum Eroberer, sondern auch zum Vater der bezwungenen Völker bilden könne. Daß Xenophon dazu erst durch den Gegensatz gegen die zwei ersten Bücher der platonischen Republik, welche abgesondert von dem übrigen Werk erschienen, veranlaßt worden sei, ist wohl nur Sage; daß er aber seine Abneigung gegen das republicanische Wesen der Griechen aussprechen, und seine Landsleute mit der Monarchie aussöhnen wollte, dieß stimmt mit seinen politischen Grundsätzen überein. An der Wahl des Helden hatte Xenophon's Aufenthalt an dem Hofe des jüngern Kyrus, und sein eigner Zug nach Asien entschiedenen Antheil; er konnte hier manche Volkslieder und Sagen kennen lernen, die Verfassung des Reiches einsehen; und wohl mochte er auch von dem jüngern Kyrus selbst, den er als Herrscher und Mensch liebte und ehrte, manchen Zug zu seinem Gemälde nehmen. Der Held des Romans steht also zwar auf historischem Boden; aber er wird seiner Umgebung und seinem Zeitalter entrückt, und mit allen Vorzügen Griechischer Bildung ausgestattet. Die Erziehung die er erhält trägt das Gepräge der von Xenophon hochverehrten Spartanischen Einrichtungen; seine Geistesbildung ist attisch; die Regierungsgrundsätze, der Geist der Liebe und des Vertrauens mit welchem er Bundesgenossen und Untergebene an sich fesselt, und die fromme Verehrung der Götter sind Ausfluß Sokratischer Weisheit. Diese europäische Eigenthümlichkeit wußte der Schriftsteller mit jenem Orientalismus glücklich zu vereinen, welcher vornehmlich in dem patriarchalisch-einfachen Sinne des Kyrus, verglichen mit der Despotie des Assyrerkönigs, anschaulich hervortritt.

Uebereinstimmend mit der angegebenen Richtung seines 12 Geistes ist Xenophon's Geschichtschreibung. Diese ist von keiner höhern Idee beherrscht, sondern einfach annalistisch, und auf das praktisch Bemerkenswerthe gerichtet. Zwar ist dem Geschichtschreiber der Gedanke an das Walten der Götter über die menschlichen Angelegenheiten nicht fremd; aber er macht ihn nicht zur leitenden Idee, und da wo er ihn geltend macht wird er der Darstellung nicht selten nachtheilig. Wo er einmal ein unmittelbares Eingreifen der Götter erblickt, da überhebt er sich oft des Eindringens in die natürlichen Gründe der Begebenheiten, obwohl dieser Glauben im eigenen Handeln nie Veranlassung zur Trägheit und Sorglosigkeit wird. Denn er ist der festen Ueberzeugung daß nur der Thätige und Wachsame den Beistand der Götter zu erwarten habe. Betrachten wir einzelne seiner Geschichtswerke, so theilt sich seine Griechische Geschichte in zwei Theile. Die zwei ersten Bücher können als Vollendung des Thukydideischen Werkes gelten, dessen Herausgabe nach Einigen von Xenophon herrührt. Die Zeit nach dem Peloponnesischen Krieg bis zur Schlacht von Mantineia bildet den Inhalt der fünf folgenden Bücher. Keinen seiner politischen Neigung günstigern Stoff konnte Xenophon finden als die Spartanische Suprematie. Die Griechische Geschichte wird Geschichte der Spartaner, und Xenophon Geschichtschreiber der Dorier und Herold der Thaten des Agesilaos. Dieser ist das Hauptbild des Gemäldes; was sonst erzählt wird dient als Verzierung. Während der Geschichtschreiber von seinem Helden mehreres minder Bedeutende erzählt spricht er von Alkibiades, Konon, Timotheos, Iphikrates, Pelopidas, Epaminondas entweder gar nicht, oder mit fühlbarer Kälte. Siciliens gleichzeitige Geschichte hatte er in den zwei ersten Büchern nach Art des Thukydides fortgeführt; in der zweiten Hälfte wird jenes Land nur in dem Augenblick erwähnt als es Hülfe nach Sparta sendet. Auch Athen tritt erst dann wieder auf den Schauplatz der Geschichte als es sich mit den bedrängten Spartanern gegen die Thebaner verbindet. Neben dieser eigenthümlichen Auswahl des Stoffes verbirgt sich nie die Richtung aufs Praktische und jene Neigung die Fehler und Tugenden der Feldherren, so wie 13 die Art wie sie ihre Krieger sich bildeten und an sich fesselten, im Einzelnen darzustellen. – Die Anabasis bildet gewissermaßen zwischen den genannten zwei Theilen seiner Griechischen Geschichte das Mittelstück. Die Zweifel an der Aechtheit dieser Schrift werden gehoben, wenn man die in's Einzelne gehende, nur für einen Augenzeugen mögliche Beschreibung des ganzen Zuges, und die genaue Anwendung der Regeln welche Xenophon in der Kyropädie dem Feldherrn ertheilt, und in der »Griechischen Geschichte« bald rügend, bald lobend erwähnt, in Betrachtung zieht. – Als Anhang zur »Griechischen Geschichte« ist die in die Charakteristik tiefer eingehende Lobrede auf Agesilaos zu betrachten. In seiner Schrift über die Spartanische Staatsverfassung macht er diesem Staate gleichsam eine öffentliche Danksagung für die ihm erwiesenen Wohlthaten, und spricht unverhohlen seine Vorliebe für diese Verfassung aus, anders als in der Darstellung der Athenischen Verfassung, die er in einer nur fragmentarisch erhaltenen Schrift darstellt. Schonend rechtfertigt er die Gebrechen des letztern Staats durch die bestehenden Verhältnisse. Die Schrift über die Verbesserung der Einkünfte fällt wahrscheinlich erst in Ol. 106, 1, wo durch den Bundesgenossenkrieg die Einkünfte Athens sehr gesunken waren. Seine Anleitung für den Reitereianführer war ohne Zweifel für Kephisodoros bestimmt (Ol. 102, 4), welcher den Spartanern zu Hülfe zog. – Die Bruchstücke von Xenophontischen Briefen werden für unächt gehalten.

Bei seinem ländlichen Leben waren Jagen und Reiten seine Lieblingserholungen. Beides behandelte er als Mittel zur Erhaltung der Gesundheit, zur Stählung des Muthes und als fortdauernde Schule des Kriegs; und wenn er den Sokrates im Oekonomikos Landbau und Kriegskunst für die vorzüglichsten Beschäftigungen erklären läßt, so hat er ihm sein eigenes Glaubensbekenntniß in den Mund gelegt. Zwei eigene Abhandlungen über die Jagd und über die Reitkunst theilen uns seine lehrreichen Erfahrungen auch hierin mit.

Ausgezeichnetes Lob wurde im Alterthum seiner 14 Darstellung zu Theil, weßwegen Xenophon die Attische Biene oder Muse genannt wurde. Zwar legen ihm die alten Kunstrichter den sogenannten magern Stil bei, und das mit vollkommenem Recht; denn zum Großartigen erhebt er sich nicht, weder in den zahlreichen Reden die er in seine Geschichte verflicht, noch selbst in der Lobrede auf Agesilaos; aber Wohlklang der Sprache und lichtvolle Darstellung, eine von allem rednerischen Schmuck entfernte Einfachheit und Nüchternheit ist das Gepräge seiner ganzen Darstellung. Dieß wollte wohl Quintilian bezeichnen, wenn er sagt: die Gratien selbst scheinen seine Sprache gebildet zu haben. Nehmen wir dazu die Leidenschaftlosigkeit und Ruhe mit welcher er seinen Lehrer gegen die Anschuldigungen der Gegner vertheidigt, die Kraft der Gründe wodurch sich seine eigenen Reden in der Anabasis, so wie die Reden seiner Helden auszeichnen, so werden wir nicht zögern, das weitere Urtheil des genannten Kunstrichters zu unterzeichnen: auf seinen Lippen habe eine gewisse Göttin der Ueberzeugung geruht.

 

Bei der nachfolgenden Uebersetzung der Kyropädie ist der Text von L. Dindorf und von F. K. Hertlein (Leipzig 1853) zu Grund gelegt, und die frühere Bearbeitung (vom J. 1827) durch ihren Verfasser einer durchgängigen Umgestaltung unterworfen worden. 15

 


 


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