Xenophon
Die Kyropädie
Xenophon

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebentes Buch.

1.

Nachdem sie zu den Göttern gebetet hatten giengen sie zu ihren Abtheilungen. Dem Kyrus und seiner Umgebung brachten die Diener zu essen und zu trinken, während sie noch mit dem Opfer beschäftigt waren. Kyrus weihte, wie er da stand, den Göttern ihren Theil, frühstückte und theilte den Uebrigen je nach ihren Bedürfnissen mit; nachdem er aber den Weihguß und das Gebet verrichtet hatte trank er und die Andern um ihn her mit ihm. Dann betete er zum vaterländischen Zeus, ihm Führer und Helfer zu sein, schwang sich auf sein Pferd, und befahl seinem Gefolge das Gleiche. Sein ganzes Gefolge hatte dieselbe Rüstung wie Kyrus, purpurne Unterkleider, eherne Panzer und Helme, weiße Helmbüsche, Schwerter und einen Speer aus Hartriegelholz. Die Pferde hatten Stirn- und Brustschilde und eherne Schenkelbedeckung. Die gleiche Schenkelbedeckung hatte auch der Mann; nur dadurch unterschieden sich des Kyrus Waffen daß die übrigen mit einer goldähnlichen Farbe überzogen waren, die Waffen des Kyrus aber wie ein Spiegel glänzten.

208 Nachdem er aufgestiegen war und auf den Weg den er nehmen wollte hinblickte ertönte von der Rechten ein Donner. Da sprach er: »wir wollen dir folgen, größter Zeus.« Dann zog er aus, zu seiner Rechten der Reitereianführer Chrysantas mit den Reitern, zu seiner Linken Arsamas mit dem Fußvolk. Er befahl auf das Zeichen zu sehen und in gleicher Linie zu folgen. Sein Zeichen war ein goldner Adler auf einer langen Stange mit ausgebreiteten Flügeln. Und noch jetzt hat der Perserkönig dieses Zeichen.

Ehe sie den Feind erblickten machte das Heer bis zu drei Malen Halt. Als sie aber ungefähr zwanzig Stadien vorgerückt waren konnten sie bereits das entgegen rückende feindliche Heer gewahr werden. Als sie nun Beide einander im Gesichte standen, und die Feinde sahen daß auf beiden Seiten ihre Truppen bei Weitem überragten, so ließen sie ihre Linie anhalten und machten (denn sonst kann man den Feind nicht einschließen) zum Zweck der Umzingelung eine Seitenwendung, indem sie ihr Heer auf beiden Seiten wie ein GammaDer griechische Buchstabe Gamma (Γ) hat die Gestalt eines rechten Winkels. Die Stellung wäre also |‾ ‾|. stellten, um aus allen Seiten zugleich fechten zu können. Als Kyrus Dieß sah zog er, ohne sich stören zu lassen, vorwärts. Da er aber bemerkte daß sie auf beiden Seiten den Punkt weit steckten um welchen sie die Flügel sich schwenken und dann sich ausbreiten ließen, so sprach er: »siehst du, Chrysantas, wo sie die Biegung machen?« – »Allerdings,« sagte Chrysantas, »und ich wundere mich, denn sie scheinen mir die Flügel weit von ihrer Hauptlinie zu trennen.« – »Ja, bei'm Zeus,« erwiderte Kyrus, »auch von der unsrigen.« – »Warum wohl?« – »Offenbar befürchten sie,« sagte Kyrus, »wir möchten, wenn die Flügel uns nahe kommen, während die Hauptlinie noch ferne ist, sie angreifen.« – »Aber wie werden sie wohl,« sprach Chrysantas, »einander beistehen können, wenn sie so weit von einander entfernt sind?« – »Es ist klar,« erwiderte Kyrus, »wenn sich ihre Flügel gegenüber den Seiten unseres Heeres hingezogen haben, so werden 209 sie Fronte machen und von allen Seiten zugleich auf uns anrücken, um von allen Seiten zugleich zu kämpfen.« – »Scheint dir,« fragte Chrysantas, ihr Plan gut zu sein?« – »Nach dem was sie sehen, nach dem aber was sie nicht sehen noch schlechter als wenn sie mit gedehnten Colonnen angerückt wären. Du, Arsamas, führe nun das Fußvolk langsam, wie du es bei mir siehst, und du, Chrysantas, folge mit der Reiterei in gleichem Schritt; ich aber will mich dahin begeben wo ich die Schlacht am vortheilhaftesten anfangen zu können glaube: und im Vorbeigehn will ich zugleich untersuchen, ob Alles in gutem Stande ist. Wenn ich dort bin, so will ich, sobald wir einander schon nahe rücken, den Schlachtgesang beginnen, und ihr stimmet ein. Wann wir die Feinde angreifen, werdet ihr merken (denn der Lärm wird wohl nicht klein sein); und dann wird Abradatas mit den Wagen auf die Feinde losrennen. Denn so wird ihm gesagt werden: ihr aber müßt nachfolgen, euch so viel als möglich an die Wagen anschließend: denn so werden wir die Feinde am ehesten verwirrt überfallen. Auch ich werde, so schnell ich kann, mich einfinden und den Feind verfolgen, wenn es der Wille der Götter ist.«

Nachdem er Dieses gesagt und das Losungswort: »Zeus, Retter und Führer« gegeben hatte setzte er sich in Bewegung. Während er zwischen den Streitwagen und Bepanzerten durchgieng sagte er zu den Soldaten auf die sein Blick gerade fiel: »Männer, welche Lust ist es eure Gesichter zu sehen.« Zu Andern sprach er sodann: »Bedenket ihr, Männer, daß es sich bei dem gegenwärtigen Kampfe nicht nur um den heute zu erringenden Sieg, sondern auch um den früher gewonnenen und um unsere ganze Glückseligkeit handelt?« Zu Andern: »Männer, von nun an dürft ihr die Götter nicht mehr anklagen, denn sie haben uns viele Güter zum Besitz übergeben; wir wollen uns aber auch wacker halten, Männer.« Bei Andern: »Männer, könnten wir einander je zu einem schönern Schmause einladen als zu diesem? Denn nun dürfen wir als wackere Männer einander gegenseitig viel Gutes spenden.« – Bei Andern: »ihr wisset wohl, Männer, daß uns jetzt Preise ausgesetzt sind: den Siegern: verfolgen, 210 erschlagen, niederhauen, Erwerbung von Schätzen und Ruhm, Freiheit, Herrschaft; den Feigen natürlich das Gegentheil. Wer nun sich selbst liebt, der kämpfe mit mir. Ich werde mir wissentlich nichts Schlechtes, nichts Schändliches zu Schulden kommen lassen.« Als er aber zu Einigen welche die frühere Schlacht schon mitgemacht hatten kam sprach er: »und was soll ich zu Euch sagen, Männer? Ihr wißt ja was für einen Tag die Tapfern und was für einen die Feigen in den Gefechten zubringen.«

Als er sofort zu Abradatas kam blieb er stehen. Abradatas gab dem Wagenlenker die Zügel und näherte sich ihm; auch andere von den in der Nähe stehenden Fußgängern und Wagenführern liefen herbei. Da sprach Kyrus zu den Herbeigekommenen: »die Gottheit, Abradatas, hat deinen Wunsch genehmigt, daß du mit den Deinigen die vorderste Reihe unter den Bundesgenossen einnehmest. Wenn es nun zum Kampfe kommt, so gedenke daran daß es Perser sind welche euch sehen, euch folgen und euch im Kampfe nicht ohne Unterstützung lassen werden.« Abradatas erwiderte: »auf unserer Seite scheint es mir gut zu stehen, Kyrus: aber die Flügel beunruhigen mich, weil ich sehe daß die Flügel der Feinde, durch Streitwagen und Truppen von jeder Waffengattung verstärkt, sich ausdehnen, ohne daß ihnen von unserer Seite etwas Anderes als Wagen entgegengesetzt wird. Wäre mir mein Posten nicht durch's Loos zugefallen, ich schämte mich hier zu stehen, so ganz glaube ich auf dem sichersten Posten zu stehen.« Kyrus sprach: »wenn es bei dir gut steht, so sei wegen Jener unbesorgt; denn ich will dir mit Hülfe der Götter unsern Flügel schon von den Feinden säubern. Und du greife die Feinde nicht früher an, ich beschwöre dich, als bis du Diese, welche du jetzt fürchtest, fliehen siehst (eine so hohe Sprache führte Kyrus, vor dem Anbruch der Schlacht, gegen seine sonstige Gewohnheit). Wenn du nun Diese fliehen siehst, so glaube daß ich in der Nähe sei und renne auf die Feinde los. Alsdann sind die Gegner am feigsten, deine Leute am tapfersten. Aber so lange du noch Zeit hast, Abradatas, fahre an deinen Streitwagen vorüber, und ermuntere deine Leute zum Angriff, durch deine Miene sie ermuthigend und 211 mit Hoffnungen belebend. Flöße ihnen Wetteifer ein, euch als die Besten unter den Wagenkämpfern zu zeigen; denn sei überzeugt, wenn Dieß gelingt so werden in Zukunft Alle sagen, nichts sei gewinnreicher als die Tüchtigkeit.«

Abradatas nun bestieg seinen Wagen, fuhr herum und that Das. Als aber Kyrus auf seinem Umritt an den linken Flügel kam, wo Hystaspes mit der Hälfte der Persischen Reiter stand, so rief er ihn bei'm Namen und sprach: »Hystaspes, jetzt siehst du einen Spielraum für deine rasche Thätigkeit eröffnet. Denn wenn wir uns jetzt beeilen die Feinde in Stücken zu hauen, so wird von uns kein Mann umkommen.« Hystaspes erwiderte lächelnd: »Diejenigen welche uns gegenüberstehen wollen wir auf uns nehmen; Die auf den Seiten theile du Andern zu, damit auch Diese Etwas zu thun haben.« Kyrus antwortete: »auf Diese gehe ich selbst los; aber, Hystaspes, vergiß es nie: welchem von uns die Gottheit den Sieg verleihen mag, gemeinschaftlich wollen wir, wenn irgendwo ein Rest der Feinde übrig bleibt, uns dahin werfen wo jedesmal Widerstand geleistet wird.« Nachdem er Dieß gesprochen hatte gieng er weiter: als er aber auf die Seite und zu dem Anführer der dort aufgestellten Streitwagen kam sprach er zu Diesem: »ich komme herbei, euch zu unterstützen; wenn ihr aber merket daß wir die Spitze des feindlichen Flügels angreifen, so versuchet auch ihr durch die Feinde hindurch zu rennen: denn ihr werdet viel sicherer sein wenn ihr euch herausarbeitet als wenn ihr innerhalb der Schlachtordnung abgefangen werdet.« Als er nun im Vorbeireiten hinter die Packwagen gekommen war befahl er dem Artagersas und Pharnuchos, mit ihren tausend Fußgängern und Reitern hier zu bleiben: »wenn ihr aber bemerket daß ich den rechten Flügel angreife, dann fasset auch ihr eure Gegenmänner; ihr werdet gegen einen Flügel kämpfen, eine Stellung, wodurch ein Heer am meisten geschwächt wird, während ihr in der Linie bleibet, was eurer Stellung am meisten Kraft verleiht. Wie ihr sehet, stehen die feindlichen Reiter auf der äußersten Spitze; führet nur die Abtheilung der Kameele auf sie los, und ihr dürft euch darauf verlassen, noch ehe ihr kämpfet, werden euch die Feinde einen 212 lächerlichen Anblick darbieten.« Nachdem Kyrus diese Anstalten getroffen hatte gieng er auf den rechten Flügel.

Als aber Krösus glaubte, die Linie mit welcher er sich in Bewegung gesetzt sei den Feinden bereits näher als die Flügel, welche sich immer weiter ausbreiteten, so gab er den Flügeln ein Zeichen, nicht mehr weiter vorzurücken, sondern sich auf der Stelle wo sie standen zu wenden. Als nun Alle das Gesicht dem Heer des Kyrus zugekehrt standen, gab er ihnen ein Zeichen, gegen den Feind anzurücken. Da rückten denn drei Linien auf das Heer des Kyrus los, eine von vorn, die zwei andern, eine auf dem rechten, die andere auf dem linken Flügel, so daß sich im ganzen Heere des Kyrus großer Schrecken verbreitete. Denn wie ein kleines Viereck in ein großes eingeschoben, so war das Heer des Kyrus auf allen Seiten von Feinden umgeben, mit Reitern, Schwerbewaffneten, Schildträgern, Bogenschützen, Streitwagen, nur von hinten nicht.

Dennoch boten sie, sobald das Commando des Kyrus ertönte, Alle den Feinden die Spitze: und auf allen Seiten war tiefe Stille wegen banger Erwartung des Bevorstehenden. Als es aber Kyrus für den rechten Zeitpunkt hielt stimmte er den Kriegsgesang an, und das ganze Heer stimmte ein. Darauf erhoben sie ein Geschrei zu dem Kriegsgott; Kyrus erhob sich, faßte sogleich mit seinen Reitern die Feinde in der Flanke, und war bald mit ihnen im Handgemenge. Das Fußvolk folgte ihm in geschlossenen Gliedern schnell nach und schlang sich auf beiden Seiten herum, so daß er einen bedeutenden Vortheil errang; denn er grief den Flügel mit einer Phalanx an: daher entstand bei den Feinden bald eine gewaltige Flucht.

Als aber Artagersas merkte daß Kyrus im Geschäft sei, so machte auch er einen Angriff auf der linken Seite, und schickte, dem Befehle des Kyrus gemäß, die Kameele voraus; die Pferde aber hielten auf weite Entfernung nicht Stand vor ihnen: die einen wurden scheu und flohen, andere bäumten sich, andere stürzten über einander hin; denn diese Wirkung machen die Kameele auf die Pferde. Artagersas aber drang mit seinen Leuten in guter Ordnung auf die Verwirrten ein, 213 und die Streitwagen auf der rechten und linken Seite griefen zugleich an. Viele welche vor den Wagen flohen fielen unter den Hieben Derer welche im Flügel nachrückten, und Viele welche vor Diesen flohen wurden von den Wagen gefangen.

Abradatas aber wartete nicht länger, sondern unter lautem Rufe »Freunde, folget mir« drang er vor, ohne die Pferde zu schonen, sondern sie bis auf's Blut stachelnd; die übrigen Wagenkämpfer folgten ihm; die Wagen flohen sogleich vor ihnen; einige nahmen ihre Mitstreiter noch auf, andere ließen sie zurück. Abradatas aber drang, ihre Linie mitten durchbrechend, auf die Phalanx der Aegyptier ein, mit ihm Die welche ihm zunächst standen. Und was sich schon oft gezeigt hat, daß es keine stärkere Phalanx gibt als wenn sie aus befreundeten Kämpfern besteht, Das offenbarte sich auch hier; denn seine Vertrauten und Tischgenossen unterstützten ihn; die übrigen Wagenlenker, da sie sahen daß die Aegyptier mit ihrer dicht gedrängten Masse Stand halten, wandten sich nach den fliehenden Wagen und verfolgten diese.

Als sich aber Abradatas mit seinen Leuten da wo sie den Angriff gemacht hatten keinen Weg durch die Aegyptier, welche auf beiden Seiten unbeweglich blieben, öffnen konnte, so warfen sie was stand mit der Gewalt der Pferde zu Boden, und was fiel zermalmten sie, Männer und Waffen, mit Pferden und Rädern. Was aber von den Sicheln gefaßt wurde, das wurde mit Gewalt zerschnitten, Waffen und Leiber. Bei diesem unbeschreiblichen Getümmel fiel Abradatas, dem die Räder bei den mancherlei Haufen aussprangen, vom Wagen, so wie auch andere seiner Begleiter. Diese wurden nun hier zusammengehauen und starben den Heldentod. Die Perser aber, die ihm folgten, drangen da wo Abradatas mit den Seinigen angegriffen hatte ein und richteten unter den Verwirrten ein Blutbad an; die Aegyptier hingegen rückten auf der Seite wo sie noch nichts gelitten hatten (und ihrer waren es Viele) den Persern entgegen.

Da kam es zu einem heftigen Gefechte mit Lanzen, Wurfspießen und Schwertern; die Aegyptier aber waren durch Anzahl und Waffen 214 in Vortheil. Denn ihre starken und langen Spieße haben sie noch jetzt, und ihre Schilde decken den Körper weit mehr als Panzer und Schilde, und sind zum Stoßen behülflich, weil sie bis an die Schultern reichen. Sie rückten daher mit an einander geschlossenen Schilden an und drängten Alles vor sich her. Die Perser aber konnten ihnen nicht Stand halten mit ihren kleinen Schilden, die sie vorn in der Hand halten; sondern sie zogen sich stehenden Fußes, verwundend und verwundet, zurück, bis sie unter die Maschinen kamen. Hier angekommen wurden dagegen die Aegyptier von den Thürmen herab beschossen. Und die Nachzügler ließen Keinen fliehen, weder Bogenschützen noch Wurfspießwerfer, sondern mit gezogenen Schwertern zwangen sie sie mit dem Bogen und Wurfspieß zu schießen. Es war ein großes Gemetzel, ein großes Geklirre von verschiedenen Waffen und Pfeilen, und ein großes Geschrei, indem die Einen einander aufriefen, Andere ermunterten, Andere die Götter anriefen.

Inzwischen kam Kyrus herbei, indem er Diejenigen welche ihm gegenüber gestanden verfolgte. Als er aber die Perser vom Platze verdrängt sah ward er betrübt, und da er sah daß er die Feinde auf keine Weise von dem Vordringen schneller abbringen könnte als wenn er sich ihnen in den Rücken wärfe, so gab er seinen Leuten Befehl ihm zu folgen, und kam dem Feind in den Rücken; sie überfielen sie von hinten und richteten eine große Niederlage an. Als die Aegyptier Dieß bemerkten schrieen sie, der Feind sei hinten, und wandten sich mitten im Gefecht um. Da kämpften Fußgänger und Reiter unter einander. Einer welcher unter dem Pferde des Kyrus gefallen war und getreten wurde stach dem Pferde sein Schwert in den Leib. Das Pferd bäumte sich und warf den Kyrus ab: da konnte man sehen wie viel es werth ist wenn ein Feldherr von seinen Untergebenen geliebt wird. Sogleich erhoben Alle ein Geschrei, stürzten herbei und kämpften, sie drängten und wurden gedrängt, erschlugen und wurden erschlagen. Da sprang Einer von dem Stabe des Kyrus vom Pferd und half ihm auf das seine. Als Kyrus wieder aufgestiegen war sah er die Aegyptier bereits von allen Seiten geschlagen: denn schon war Hystaspes und 215 Chrysantas mit den Persischen Reitern angekommen. Diesen erlaubte er nicht mehr die Aegyptische Phalanx anzugreifen, sondern befahl ihnen sie von außen mit Pfeilen und Wurfspießen zu beschießen. Als er aber auf seinem Umritt zu den Maschinen kam fand er für gut einen der Thürme zu besteigen, um zu sehen ob sonst noch eine Abtheilung der Feinde Stand halte und kämpfe. Von da aus sah er die Ebene voll von Pferden, Menschen, Wagen, von Fliehenden und Verfolgenden, Siegenden und Besiegten; nirgends konnte er mehr eine Abtheilung erblicken welche Stand hielt, außer den Aegyptiern. Diese schloßen in ihrer Verzweiflung einen Kreis, so daß man nur ihre Waffen sah, stellten sich hinter ihre Schilde, und ohne Etwas zu thun ließen sie vieles Ungemach über sich ergehen.

Kyrus bewunderte sie, und bedauernd daß so tapfere Leute umkommen sollten, befahl er Allen welche mit ihnen kämpften sich zurückzuziehen, und gestattete Keinem mehr weiter zu fechten. Darauf schickte er einen Herold an sie und ließ sie fragen, ob sie lieber Alle für Diejenigen von welchen sie verrathen wären sterben, oder sich retten wollten, ohne an ihrer Ehre etwas zu verlieren? Sie antworteten: »wie könnten wir uns retten, und auch für tapfere Männer gelten?« Kyrus erwiderte: »weil wir euch allein Stand haltend und zum Kampfe bereit sehen.« – »Aber,« fragten die Aegyptier, »was können wir denn mit Ehren thun, um uns zu retten?« Kyrus ließ ihnen erwidern: »wenn ihr keinen eurer Bundesgenossen verrathet, eure Waffen uns übergebet und Freunde derer werdet welche euch retten wollen, während sie euch vernichten könnten.« Nachdem sie Dieß vernommen fragten sie: »wenn wir deine Freunde werden, was gedenkst du mit uns anzufangen?« Kyrus antwortete: »euch Wohlthaten zu erweisen und von euch zu empfangen.« Die Aegyptier fragten weiter: »was für Wohlthaten?« Darauf erwiderte Kyrus: »während der Dauer des Kriegs will ich euch mehr Sold geben als ihr bisher erhalten habt, ist es aber Friede geworden, so werde ich Jedem der bei mir bleiben will Land, Städte, Weiber und Dienstboten geben.« Auf diesen Vorschlag baten sich die Aegyptier aus sie des Dienstes gegen Krösus zu 216 entheben; denn mit Diesem allein seien sie bekannt. Auf das Uebrige giengen sie ein und gaben und empfiengen den Handschlag; und die Aegyptier welche damals dablieben sind dem Perserkönige noch jetzt getreu; Kyrus gab ihnen einige Städte im Innern Asiens, die noch jetzt die Aegypter-Städte heißen, und Larissa und Kyllene bei Kyme, nahe am Meere, welche ihre Abkömmlinge noch jetzt inne haben. Nachdem Kyrus Dieß vollbracht hatte zog er sich, als die Nacht bereits anbrach, zurück und lagerte sich in Thymbrara.

In der Schlacht hatten sich auf Seiten der Feinde allein die Aegyptier ausgezeichnet, unter dem Heere des Kyrus hatte sich die Persische Reiterei am meisten hervorgethan; daher dauert die Bewaffnung welche Kyrus den Reitern damals gab noch jetzt fort. Auch die Sichelwagen zeichneten sich sehr aus; daher haben die jeweiligen Könige diese Waffengattung bis jetzt beibehalten. Die Kameele schreckten nur die Pferde, aber die Reiter auf ihnen konnten weder tödten, noch selbst von der Reiterei getödtet werden, weil kein Pferd sich ihnen näherte. Man fand sie zwar nützlich, aber kein wackerer Mann will ein Kameel halten, um es zu reiten, noch sich zu dem Kampf auf ihnen einüben; so erhielten sie denn wieder ihre frühere Bestimmung und werden bei'm Gepäcke verwendet.

2.

Nachdem das Heer des Kyrus gegessen und Wachen ausgestellt hatte, wie sich's gebürte, so begaben sie sich zur Ruhe. Krösus aber floh mit seinem Heere sogleich nach Sardes; die übrigen Völker eilten, so weit sie in der Nacht noch kommen konnten, der Heimat zu. Nachdem es Tag geworden war zog Kyrus sogleich vor Sardes. Als er bei der Burg von Sardes angekommen war stellte er die Maschinen auf, als wollte er sie stürmen, und setzte die Leitern in Bereitschaft. Während Dem aber ließ er den scheinbar steilsten Theil der Festung von Sardes in der folgenden Nacht durch Chaldäer und Perser ersteigen. Den Weg zeigte ihnen ein Perser der bei Einem von der Besatzung der Burg Sklave gewesen war und einen Weg hinab zum Fluß und wieder herauf wußte.

Als es nun offenbar wurde daß die Burg genommen war, so 217 flüchteten sich alle Lydier von den Mauern nach der Stadt, wo Jeder eine Zufluchtsstätte fand. Kyrus aber zog mit Tagesanbruch in die Stadt ein und befahl, Niemand solle sich von seiner Stelle entfernen. Krösus schloß sich in seinem Palast ein und rief nach Kyrus. Dieser aber ließ bei Krösus eine Wache zurück, und begab sich auf die eingenommene Burg; und als er hier sah daß die Perser die Burg ihrer Pflicht gemäß bewachten, die Posten der Chaldäer aber verlassen fand (sie hatten sich nämlich zerstreut, um in den Häusern zu plündern), so berief er ihre Anführer sogleich zusammen und befahl ihnen das Heer schleunig zu verlassen, »denn es ist mir unerträglich zu sehen daß die Ungeordneten Mehr haben. Ich kann euch sagen daß es meine Absicht war euch, die ihr mit mir zu Felde zoget, glücklich vor allen Chaldäern zu machen; nun aber laßt es euch nicht befremden wenn auf euch nach eurem Abzug ein Stärkerer stößt.« Nachdem die Chaldäer Dieß gehört hatten fürchteten sie sich und baten flehentlich, er möchte von seinem Zorn ablassen, und erboten sich alles Geraubte zurückzugeben. Kyrus erwiderte: »er brauche Dieß nicht: wenn ihr aber meinen Unwillen besänftigen wollt, so gebt Alles was ihr genommen habt Denen welche die Burg bewacht haben; denn wenn die übrigen Soldaten sehen daß Diejenigen welche in der Ordnung bleiben einen Vortheil haben, so geht bei mir Alles gut.« Die Chaldäer thaten so wie Kyrus befohlen hatte; und Die welche im Gehorsam blieben bekamen reiche und mannigfaltige Schätze. Kyrus lagerte hierauf seine Leute an einer Stelle welche er für die tauglichste in der Stadt hielt, und befahl ihnen unter den Waffen zu bleiben und zu frühstücken.

Nachdem er Dieß verfügt hatte ließ er den Krösus vor sich führen. Als aber Krösus den Kyrus sah sprach er: »sei gegrüßt, Gebieter; denn das Schicksal will daß du von nun an diesen Namen führest und von mir empfangest.« – »Auch du, Krösus, sei mir gegrüßt,« erwiderte Kyrus, »wir sind ja beide Menschen. Aber möchtest du mir wohl einen Rath geben, Krösus?« Krösus erwiderte: »ich möchte wohl, Kyrus, etwas Gutes für dich ersinnen; denn Das würde wohl auch mein Vortheil sein.« – »So höre nun, Krösus; da ich sehe daß meine 218 Soldaten viele Anstrengungen und Gefahren bestanden haben und nun nach Babylon die reichste Stadt in Asien inne zu haben glauben, so halte ich es für billig ihnen einen Vortheil zu vergönnen. Denn ich weiß, wenn sie von ihren Anstrengungen keine Frucht ernten, so kann ich sie nicht lange unter dem Gehorsam erhalten. Zur Plünderung nun will ich ihnen die Stadt nicht überlassen; denn ich glaube, die Stadt würde zu Grunde gerichtet werden; auch weiß ich daß bei einer Plünderung die Schlechtesten im Vortheil wären.« Nachdem Krösus Dieß gehört hatte sprach er: »erlaube mir zu den Lydiern die ich mir selbst wähle zu sagen, ich habe von dir ausgewirkt daß du nicht plündern und Kinder und Weiber abführen lassest, daß ich dir aber dafür versprochen habe die Lydier werden dir Alles was von Kostbarkeiten in Sardes ist freiwillig darbringen. Ich weiß, wenn sie Dieß hören, werden sie dir alles Schöne was Mann und Weib besitzt darbringen: und für's nächste Jahr findest du die Stadt wieder mit allen Kostbarkeiten angefüllt. Wenn du aber plündern lässest, so werden dir auch die Künste, die, wie man sagt, die Quellen des Schönen sind, zu Grunde gerichtet werden. Du darfst dich, auch noch wenn du das Eingekommene schon gesehen hast, wegen der Plünderung entschließen. Zuerst aber schicke nach meinen Schätzen: und deine Wächter sollen sie von den Meinigen in Empfang nehmen.«

Kyrus gestand dieß Alles zu, wie Krösus sagte. »Das aber,« fuhr Kyrus fort, »sage mir doch, Krösus, wie liefen die Orakelsprüche vom Delphischen Gott ab? Denn man sagt, du habest den Apollo sehr geehrt, und thuest Nichts ohne seinen Willen.« – »Ich wollte, Kyrus, es wäre so; nun aber wandte ich mich an Apollo, nachdem ich gleich von Anfang an Alles verkehrt gemacht hatte.« – »Wie das?« sprach Kyrus: »belehre mich! du sprichst ganz sonderbar.« – Krösus erwiderte: »zuerst stellte ich den Gott, anstatt ihn zu fragen, wenn ich Etwas bedurfte, auf die Probe, ob er die Wahrheit sagen könne? Nun ist es aber nicht nur bei der Gottheit, sondern auch bei rechtschaffenen Menschen so daß sie Diejenigen nicht lieben von denen sie wissen daß sie Mißtrauen in ihn setzen. Während er nun die ungereimten Sachen 219 die ich trieb wußte, obwohl ich weit von Delphi entfernt war, so schickte ich wegen männlicher Nachkommenschaft zu ihm. Zuerst nun gab er mir gar keine Antwort; nachdem ich ihn aber durch Sendung vieler goldenen und vieler silbernen Weihgeschenke versöhnt hatte, wie ich glaubte, da antwortete er mir auf meine Frage, was ich zu thun habe um männliche Nachkommenschaft zu bekommen; er sagte ich würde bekommen. Wirklich bekam ich auch (denn auch hier sagte er keine Unwahrheit); aber, als ich sie hatte, erfreute sie mich nicht; denn der eine Sohn war beständig stumm, der andere, ein ausgezeichneter Jüngling, starb in der Blüte des Lebens.«

»Gedrückt durch das Unglück mit meinen Kindern schickte ich wieder hin und ließ den Gott fragen, was ich thun müsse um mein übriges Leben auf's Glücklichste zuzubringen? Er antwortete mir:.

Kennst du, Krösus, dich selbst. so wird dir's glücklich ergehen.

Ich freute mich über den Spruch; denn ich glaubte, da er mir etwas so Leichtes befehle, so gebe er mir die Glückseligkeit. Denn Andere könne man theils kennen lernen theils nicht; sich selbst aber, glaubte ich, kenne jeder Mensch. Die Zeit nachher nun, so lange ich in Ruhe lebte, machte ich dem Schicksale nach dem Tode meines Sohnes keine Vorwürfe; seitdem ich mich aber von dem Assyrier habe bereden lassen gegen euch zu Felde zu ziehen gerieth ich in Gefahren aller Art; jedoch wurde ich ohne großen Verlust gerettetS. IV, 2. Aber auch darum mache ich dem Gott keine Vorwürfe. Denn nachdem ich eingesehen hatte daß ich dem Kampfe mit euch nicht gewachsen sei, lebte ich mit Hülfe der Gottheit mit den Meinigen sicher dahin. Nun aber ließ ich mich wiederum blenden, sowohl von dem gegenwärtigen Reichthum als auch von Denen welche mich baten mich an die Spitze zu stellen, von den Geschenken die sie mir gaben, und von den Menschen die schmeichlerisch zu mir sagten, wenn ich herrschen wollte, so würden mir Alle gehorchen und ich würde der größte Mann werden; von solchen Reden, sage ich, wurde ich aufgebläht, und nahm, als mich alle 220 Könige rings umher zum Führer des Kriegs wählten, den Oberbefehl an, als ob ich im Stande wäre der Mächtigste zu werden. Ich kannte mich also selbst nicht, indem ich mich zum Kampfe gegen dich tüchtig glaubte, der du von den Göttern abstammst, von Königen gezeugt bist und von Kindheit an die Tapferkeit übst, während von meinen Vorfahren, wie ich höre, der Erste welcher auf den Thron kam erst mit der Königswürde ein Freier wurde. Da ich dieß nicht wußte leide ich mit Recht meine Strafe; nun aber, Kyrus, kenne ich mich selbst. Du aber, bist du der Ansicht, Apollo's Ausspruch werde noch wahr werden, daß ich glücklich sein werde wenn ich mich selbst kenne? Absichtlich frage ich dich, weil du im gegenwärtigen Augenblicke Dieß am besten entscheiden zu können scheinst; denn es hängt ja von dir ab.«

Kyrus erwiderte: »gib mir Zeit zur Ueberlegung, Krösus: denn wenn ich deine frühere Glückseligkeit betrachte, so bedaure ich dich nun und gebe dir deine Gattin, die du hattest, deine Töchter (denn ich höre daß du welche habest), deine Freunde, deine Diener und die Tafel die ihr führtet, zurück; aber Schlachten und Kriege nehme ich dir ab.« – »Bei'm Zeus,« sprach Krösus, »besinne dich auf keine weitere Antwort in Betreff meiner Glückseligkeit; denn ich sage dir nun, wenn du Das thust was du sagst, so werde ich ein Leben führen welches Andere in Uebereinstimmung mit mir für das glücklichste hielten.« Kyrus fragte: »Wer hat denn dieses glückliche Leben?« – »Meine Gattin, Kyrus,« erwiderte Krösus: »denn Diese hatte an allen Gütern, Genüssen und Freuden gleichen Antheil wie ich; aber an der Sorge sie anzuschaffen, an Krieg und Schlacht, hatte sie keinen Theil. Nun scheinst du mich in die gleiche Lage zu setzen in welche ich diejenige versetzte die ich am meisten auf der Welt liebte. Ich glaube daher ich werde dem Apollo weitere Dankopfer schuldig werden.« Als Kyrus diese Reden hörte wunderte er sich über seinen guten Muth, und in der Folge nahm er ihn, wohin er gieng, mit sich, sei es daß er ihn für brauchbar zu diesem oder jenem, oder daß er es so für sicherer hielt.

3.

So legten sie sich dann zur Ruhe. Am folgenden Tage berief Kyrus seine Freunde und die Anführer des Heeres zu sich, und 221 beauftragte Einige die Schätze in Empfang zu nehmen, Andere von dem Empfangenen zuerst für die Götter auszuscheiden was die Magier bestimmen würden, das Uebrige in Kisten zu legen und auf Wagen zu packen, und diese durch's Loos zu vertheilen, um sie dem Heere nachzuführen, wohin es ziehen möge, damit zu gelegener Zeit Jeder nach Verdienst belohnt werden könne.

Sie thaten Dieß. Kyrus aber berief einige der anwesenden Diener zu sich und sprach: »saget mir, hat Einer von euch den Abradatas gesehen? Denn ich wundere mich daß er, der sonst so oft zu uns kam, sich jetzt nirgends sehen läßt.« – »Herr, er lebt nicht mehr,« antwortete einer der Diener: »er fiel in der Schlacht, als er mit seinem Wagen auf die Aegyptier eindrang. Die Andern, außer seinen Freunden, wandten sich zurück, wie man sagt, da sie die dichte Masse der Aegyptier sahen. Und nun, sagt man, hat seine Gemahlin, die den Leichnam aufhob und auf den Wagen auf welchem sie fuhr legte, ihn irgendwo hieher an den Fluß Paktólos gebracht; seine Verschnittenen und Diener graben auf einem Hügel ein Grab für den Todten; seine Gattin aber sitzt auf dem Boden und hat ihren Mann mit ihrem ganzen Schmucke geschmückt, sein Haupt auf ihren Knieen haltend. Als Kyrus Dieß hörte schlug er sich an seine Hüfte, schwang sich sogleich auf sein Pferd und ritt, begleitet von tausend Reitern, zu diesem traurigen Schauspiele. Dem Gadatas und Gobryas befahl er allen möglichen Schmuck für den braven gefallenen Freund mitzunehmen und nachzukommen. Die Aufseher über die dem Heere folgenden Heerden hieß er Stiere, Pferde und viele Schafe dahin treiben wo sie erfahren würden daß er hingegangen sei, um dem Abradatas ein Todtenopfer zu bringen.

Als er aber das Weib auf dem Boden sitzen und den Mann daliegen sah weinte er über das Unglück und rief aus: »ach, du edle und treue Seele, so hast du uns denn verlassen.« Mit diesen Worten nahm er ihn bei der rechten Hand, und die Hand des Todten folgte ihm, denn sie war von den Aegyptiern mit einer Streitaxt abgehauen worden. Bei diesem Anblick wurde er noch viel betrübter; das Weib jammerte 222 laut auf, nahm die Hand von Kyrus, küßte sie, fügte sie wieder so gut sie konnte an und sprach: »Kyrus, auch sonst ist er eben so zugerichtet: aber was brauchst du es zu sehen? Und dieß Schicksal hat er hauptsächlich um meinetwillen, vielleicht aber auch ebensowohl um deinetwillen erlitten, Kyrus; denn ich Thörin habe ihm dringend zugesprochen sich so zu halten daß er als ein deiner würdiger Freund erscheine. Und ich weiß daß er nicht daran dachte was ihm widerfahren, sondern wodurch er sich dir gefällig erzeigen könnte. Er ist nun zwar tadellos gestorben; ich aber, die ich ihm zugesprochen, sitze lebend neben ihm.«

Kyrus weinte eine Weile still, dann sprach er: »Weib, Dieser hat das schönste Ende; denn er ist siegend gestorben. Du aber nimm diese meine Gaben, und schmücke ihn damit (Gobryas und Gadatas standen dabei, mit vielem kostbaren Schmuck), und sei überzeugt daß er auch sonst keiner Ehrenbezeugung ermangeln wird; Viele werden ihm einen unser würdigen Grabhügel aufwerfen, und ein Todtenopfer soll er erhalten, wie es ein braver Mann verdient. Auch du wirst nicht verlassen sein, sondern wegen deines keuschen, tugendhaften Sinnes will ich dich auf alle Art ehren und dir einen Mann empfehlen der dich bringt wohin du willst. Nur sage mir zu wem du gebracht werden willst.« Panthea erwiderte: »sei ruhig, Kyrus: ich will dir nicht verbergen zu wem ich zu kommen wünsche.«

Kyrus gieng hierauf weg, voll Mitleids mit der Frau die einen solchen Mann verloren, und mit dem Manne, daß er eine solche Gattin nicht mehr sehen sollte. Das Weib aber befahl den Verschnittenen auf die Seite zu treten, bis sie den Todten nach Wunsch beklagt habe; die Amme aber hieß sie bleiben, und sie, wenn sie gestorben sei, in Ein Gewand mit ihrem Manne hüllen. Als die Amme mit ihren dringenden Bitten, doch das nicht zu thun, Nichts ausrichtete, sondern sie unwillig werden sah, so setzte sie sich weinend nieder. Panthea aber, die längst einen Dolch gerüstet hatte, erstach sich, legte ihr Haupt auf die Brust ihres Mannes und starb. Die Amme aber jammerte und verhüllte Beide, nach dem Befehl der Panthea.

Als Kyrus die That des Weibes erfuhr rannte er bestürzt hin, 223 ob vielleicht noch Hülfe möglich sei. Die drei Verschnittenen aber, als sie das Geschehene sahen, zogen gleichfalls ihre Dolche, und erstachen sich auf der Stelle welche Panthea ihnen angewiesen hatte. Als Kyrus dieser Trauerscene sich näherte bewunderte er die Frau und gieng unter Wehklagen hinweg. Er sorgte, wie sich denken läßt, dafür daß sie alle Auszeichnungen erhielten, und es wurde, wie man sagt, ein außerordentlich großer Grabhügel aufgeworfen. [Noch bis auf den heutigen Tag soll dieses Denkmal der Verschnittenen vorhanden sein. Auf der oben aufgestellten Säule stehen die Namen des Mannes und der Frau in syrischer Schrift; unten aber stehen drei Säulen, mit der Aufschrift: den SkeptuchenScepterträger, weil die Verschnittenen wegen ihrer hohen Stelle am Hofe Scepter trugen. Die beiden letzten Sätze sind übrigens ein späteres Einschiebsel..]

4.

Als hierauf die Karier in Aufruhr und Krieg mit einander geriethen, indem sie sich in festen Plätzen hielten, so riefen beide Parteien den Kyrus zu Hülfe. Kyrus blieb in Sardes und ließ Maschinen und Sturmböcke verfertigen, um die Mauern der Widerspenstigen zu zertrümmern; er schickte aber den Perser Adusios, einen einsichtsvollen, im Kriege erfahrenen und äußerst einnehmenden Mann nach Karien mit einem Heere. Die Kilikier und Kyprier zogen bereitwillig mit ihm. Deßwegen schickte er auch nach Kilikien und Kypros nie einen Persischen Satrapen, sondern war mit den einheimischen Königen immer zufrieden; doch ließ er sich von ihnen Tribut bezahlen und legte ihnen bei eintretendem Bedürfnisse Stellung von Truppen auf.

Adusios kam mit dem Heere nach Karien, und von beiden Parteien kamen Gesandte zu ihm, welche bereit waren ihn in die Mauern aufzunehmen, zum Nachtheil der Gegenpartei. Adusios benahm sich gegen eine Partei wie gegen die andere, und sagte Denen mit welchen er jedesmal sprach, sie haben Recht: sie dürfen es aber ihre Feinde nicht merken lassen daß sie sich mit ihm befreundet haben, vorgeblich um so die Gegner desto ungerüsteter zu überfallen. Er verlangte ferner Unterpfänder der Treue, und die Karier sollten schwören sie ohne Trug 224 und zum Besten des Kyrus und der Perser in die Mauern aufzunehmen; er selbst wolle schwören ohne Trug und zum Besten Derer welche ihn aufnehmen in die Mauern einzurücken. Darauf bestimmte er Beiden, ohne daß die eine oder die andere Partei darum wußte, dieselbe Nacht, rückte in dieser in die Mauern ein, und nahm die Festungen Beider in Besitz.

Mit Tagesanbruch setzte er sich, umgeben von seinem Heere, in der Mitte zwischen den beiderseitigen Festungen zu Gericht und berief die Häuptlinge beider Parteien. Als Diese einander erblickten wurden sie unwillig und hielten sich Beide für betrogen. Da redete sie Adusios an: »Männer, ich habe euch geschworen ohne Trug in eure Mauern zu kommen, und zum Besten Derer welche mich aufnehmen. Wenn ich nun irgend eine Partei von euch zu Grunde richte, so glaube ich zum Nachtheil der Karier gekommen zu sein; wenn ich aber Frieden unter euch stifte und Beiden Sicherheit das Land zu bauen gewähre, so glaube ich zu eurem Besten hier zu sein. Ihr müßt nun vom heutigen Tag an in freundschaftlichen Verkehr mit einander treten, das Land ohne Furcht bauen und euch Kinder wechselseitig zur Ehe geben und nehmen. Wagt es Einer sich dagegen zu vergehen, der wird an Kyrus und an uns seinen Feind finden.« Von da an waren die Thore der Mauern geöffnet, die Straßen voll von Leuten die einander besuchten, die Ländereien wimmelten von Arbeitern; sie feierten gemeinschaftlich Feste, und überall war Friede und Freude. In diesem Augenblicke kamen Abgesandte des Kyrus, und fragten, ob er weitere Mannschaft oder Maschinen brauche. Adusios antwortete, er könne auch die anwesende Mannschaft anderswohin verwenden, und mit diesen Worten führte er das Heer weg, und ließ eine Besatzung in den Burgen zurück. Die Karier aber baten ihn flehentlich zu bleiben, und da er nicht wollte, so schickten sie zu Kyrus und baten, ihnen den Adusios zum Satrapen zu geben.

Inzwischen hatte Kyrus den Hystaspes abgeschickt, um ein Heer nach Phrygien am Hellespont zu führen. Als Adusios ankam so befahl er ihm, dem Hystaspes auf dem Weg den dieser genommen 225 nachzuziehen, damit sie sich dem Hystaspes um so eher unterwärfen, wenn sie hörten daß noch ein anderes Heer im Anzug sei. Die Griechen nun welche am Meere wohnen wirkten durch viele Geschenke aus daß sie die Barbaren nicht in die Mauern aufnehmen durften; sie wollten aber Tribut bezahlen und Kriegsdienste thun, wohin sie Kyrus rufe. Der König der Phrygier aber rüstete sich die festen Plätze zu besetzen und sich nicht zu unterwerfen, und gab in diesem Sinne seine Befehle; als aber seine Unterbefehlshaber von ihm abfielen und er verlassen war gab er sich zuletzt dem Hystaspes in die Hände, unter der Bedingung daß Kyrus über ihn entscheide. Hystaspes hinterließ in den Burgen starke Besatzungen von Persern, zog mit seinem Heere ab und nahm viele Phrygische Reiter und Peltasten mit. Kyrus aber gab dem Adusios Befehl, wenn er zu Hystaspes stoße, diejenigen Phrygier welche sich auf ihre Seite geschlagen hätten bewaffnet mitzunehmen, Denen aber welche kriegerische Gelüste an den Tag gelegt haben Pferde und Waffen abzunehmen, und Alle mit Schleudern bewaffnet dem Heere folgen zu lassen.

Diese nun vollzogen dieß; Kyrus aber brach von Sardes auf, wo er eine starke Besatzung von Fußvolk hinterließ, begleitet von Krösus, und nahm viele mit reichen und mannigfaltigen Schätzen beladene Wagen mit. Auch Krösus kam herbei mit einem genauen Verzeichnisse Dessen was auf jedem Wagen war; und indem er das Verzeichniß dem Kyrus überreichte sprach er: »wenn du Dieß hast, Kyrus, so kannst Du sehen, wer das was er führt richtig abgibt, und wer nicht.« Kyrus erwiderte: »deine Vorsicht ist zwar lobenswürdig, Krösus; aber ich lasse die Schätze durch Männer führen die auch würdig sind sie zu besitzen; sollten sie daher auch Etwas stehlen, so stehlen sie ihr eigenes Gut.« Mit diesen Worten übergab er das Verzeichniß seinen Freunden und den Anführern, damit sie wüßten, welche von den Aufsehern ihnen die Sachen unversehrt ablieferten, und welche nicht. Er nahm auch von den Lydiern diejenigen bei welchen er bemerkte daß sie auf die Nettigkeit ihrer Waffen, Pferde und Wagen Etwas hielten und Alles zu thun versuchten wodurch sie sich ihm gefällig zu machen glaubten, 226 bewaffnet mit; von denjenigen aber welche er ungern nachfolgen sah übergab er die Pferde den Persern welche den ersten Feldzug mit ihm gemacht hatten, und die Waffen verbrannte er. Auch diese zwang er mit Schleudern bewaffnet zu folgen. Ueberhaupt zwang er alle Entwaffnete der Besiegten sich im Schleudern zu üben, indem er Dieß für die den Sklaven tauglichste Waffe hielt. Denn verbunden mit einer andern Macht kann man die Schleuderer bisweilen sehr gut gebrauchen; für sich allein aber können selbst alle Schleuderer vor Wenigen welche mit Nähewaffen auf sie anrücken nicht Stand halten.

Als er aber gegen Babylon aufbrach unterwarf er sich die Phrygier in Großphrygien und die Kappadokier, und machte sich die Araber unterthan. Aus allen diesen ergänzte er die persische Reiterei in der Art daß er sie auf nicht weniger als vierzigtausend Mann brachte, auch theilte er von den Gefangenen viele Pferde an sämmtliche Bundesgenossen aus, und so erschien er vor Babylon mit einer großen Menge von Reitern, Bogenschützen, Wurfspießwerfern und unzähligen Schleuderern.

5.

Nachdem Kyrus vor Babylon angekommen war stellte er das ganze Heer um die Stadt, und ritt nachher selbst mit seinen Freunden und den Befehlshabern der Bundesgenossen herum. Als er aber die Mauern betrachtet hatte machte er Anstalt das Heer von der Stadt wieder weg zu führen. Da kam ein Ueberläufer heraus und sagte ihm daß sie ihn angreifen wollen wenn er das Heer wegführe; denn seine Phalanx, die sie von der Mauer herab gesehen, habe ihnen schwach geschienen. Und daß es so war, war kein Wunder; denn da sie die große Mauer umringten, so konnte die Phalanx natürlich in der Tiefe nur wenige Männer haben.

Als Kyrus Dieß hörte so stellte er sich mit seiner Umgebung in die Mitte seines Heeres und gab Befehl, auf den beiden Spitzen sollten die Schwerbewaffneten sich rückwärts schwenken und hinter dem stehenbleibenden Theile des Heeres fortmarschieren, bis beide Spitzen bei ihm in der Mitte zusammenträfen. Da sie es nun so machten, so wurden die Stehenbleibenden sogleich muthiger, indem ihre Tiefe sich verdoppelt 227 hatte: und Diejenigen welche sich zurückgezogen hatten bekamen gleichfalls mehr Muth; denn alsbald kamen die Stehengebliebenen dem Feinde gegenüber zu stehen.

Nachdem sich nun die beiderseitigen Spitzen vereinigt hatten standen sie stärker da, die Abgezogenen durch ihre Vordermänner, die Vordern durch die von hinten Hinzugekommenen. Wenn die Phalanx sich auf diese Art zurückschwenkt, so müssen die Ersten und die Letzten die Besten sein, in die Mitte aber müssen die Schlechtesten gestellt werden. Diese Schlachtordnung schien auch zum Kampf und zur Verhinderung der Flucht vortheilhaft; und die Reiter und Leichtbewaffneten auf den Flügeln rückten dem Anführer immer um so viel näher als die Phalanx durch die Verdopplung kürzer geworden war. Nachdem sie sich so zusammengedrängt hatten zogen sie sich rückwärts tretend auf Schußweite von der Mauer zurück: als sie aber außerhalb der Schußweite waren wendeten sie sich, giengen zuerst einige Schritte vorwärts, schwenkten sich dann links, und stellten sich, das Gesicht der Mauer zugekehrt: je weiter sie aber entfernt waren, desto seltner schwenkten sie um. Als sie aber in Sicherheit zu sein glaubten marschierten sie ohne Unterbrechung ab, bis sie zu den Zelten kamen.

Nachdem sie sich gelagert hatten versammelte Kyrus die Befehlshaber und sprach: »Kameraden, wir haben die Stadt rings betrachtet; ich glaube nicht abzusehen, wie man so starke und hohe Mauern durch Kampf erobern kann; aber je mehr Menschen in der Stadt sind, ohne zum Kampf herauszugehen, desto früher, glaube ich, können sie durch Hunger erobert werden. Wenn ihr nun keine andere Weise angeben könnt, so schlage ich diese Art der Belagerung vor.« Chrysantas erwiderte: »aber fließt nicht dieser Fluß mitten durch die Stadt, in einer Breite von mehr als zwei Stadien?« – »Allerdings,« sprach Gobryas, »und er ist so tief daß selbst zwei Männer, wenn Einer auf dem Andern steht, nicht über das Wasser hervorragen würden. Daher ist die Stadt durch den Fluß noch stärker als durch die Mauern.« Darauf erwiderte Kyrus: »Chrysantas, was über unsere Kraft geht wollen wir lassen. Wir müssen aber schleunig einen recht breiten und tiefen 228 Graben ziehen, wovon wir Jedem von uns seinen Theil zumessen, damit wir so wenig als möglich Wachen brauchen.«

Das Land wurde daher rings um die Mauer vermessen; in einiger Entfernung vom Flusse ließ er Raum für große Thürme übrig, befahl auf beiden Seiten der Mauer einen tiefen Graben zu ziehen und die Erde warfen sie auf ihrer Seite auf. Zuerst baute er Thürme an dem Fluß, wozu er den Grund mit Palmstämmen von nicht weniger als hundert Fuß legte (sie wachsen sogar noch höher und haben die Eigenschaft daß sie, wenn sie von einer Last gedrückt werden, auswärts sich biegen, wie die Saumesel). Diese legte er deßwegen unter um der Sache so viel als möglich das Ansehen zu geben als treffe er Anstalten zu einer förmlichen Belagerung, in der That aber damit der Fluß, wenn er auch in den Graben austräte, die Thürme nicht niederreiße. Er setzte auch noch viele andere Thürme auf die aufgeworfene Erde, um recht viele Wachstellen zu haben. Dieses thaten sie. Die auf der Mauer aber lachten über die Belagerungsanstalten, weil sie auf mehr als zwanzig Jahre Lebensmittel hatten. Als Kyrus dieß hörte theilte er das Heer in zwölf Theile, damit jede Abtheilung einen Monat des Jahres Wache halten sollte. Die Babylonier lachten auf diese Nachricht noch viel mehr, wenn sie dachten daß Phrygier, Lykier, Araber und Kappadokier sie bewachen sollten, welche Alle sie sich befreundeter glaubten als den Persern.

Die Gräben waren bereits gegraben; als aber Kyrus hörte daß in Babylon ein Fest sei, an welchem alle Babylonier die ganze Nacht hindurch trinken und schwelgen, so nahm er sobald als es dunkel wurde eine starke Mannschaft, und öffnete die Gräben gegen den Fluß hin; in Folge dessen trat das Wasser in der Nacht in die Gräben, und das Bette des Flusses durch die Stadt wurde für Menschen gangbar. Nachdem es nun mit dem Flusse so eingeleitet war, so befahl Kyrus den Persischen Chiliarchen des Fußvolks und der Reiterei, ihre Abtheilungen zwei Mann hoch führend sich bei ihm einzufinden: die übrigen Bundesgenossen sollten Diesen in derselben Stellung wie vorher auf dem Fuße folgen. Sie erschienen: Kyrus aber ließ seine Unterbefehlshaber zu 229 Fuß und zu Pferd in das Bette des Flusses hinabsteigen und nachsehen, ob der Boden des Flusses gangbar sei; und als sie ihm die Nachricht brachten daß er gangbar sei, so berief er die Führer des Fußvolks und der Reiterei zusammen und sprach also:

»Liebe Männer, der Fluß hat uns den Weg in die Stadt gebahnt; gutes Muths also wollen wir hineingehen, Nichts fürchtend, und bedenkend daß Diejenigen gegen welche wir jetzt ziehen werden, Dieselben sind welche wir, da sie Bundesgenossen bei sich hatten, und Alle wach, nüchtern, bewaffnet und in Schlachtordnung gestellt waren, besiegten; nun aber wollen wir gegen sie anrücken, während Viele von ihnen schlafen, Viele betrunken, Alle ungerüstet sind. Wenn sie aber auch gewahr werden daß wir drinnen sind, so werden sie aus Bestürzung noch viel unbrauchbarer sein als jetzt. Sollte aber der Eine oder Andere von uns daran denken was beim Eindringen in eine Stadt als furchtbar geschildert wird, daß sie auf die Dächer steigen und rechts und links auf uns herabwerfen werden, so seid darüber ruhig; denn wenn Einige auf die Häuser steigen, so haben wir den Gott Hephästos zum Bundesgenossen. Leicht entzündbar sind ihre Vorhallen, ihre Thürme aus Palmholz gemacht und mit feuersaugendem Erdpech bestrichen. Wir hingegen haben viel Kienholz, welches schnell einen großen Brand hervorbringt, und viel Pech und Werg, was schnell eine große Flamme erregt, so daß Die auf den Häusern entweder schnell fliehen oder schnell verbrennen müssen. Wohlan denn, ergreifet die Waffen; ich will mit Hülfe der Götter vorangehen; ihr, Gadatas und Gobryas, zeiget die Wege; ihr kennt sie ja. Sind wir aber drinnen, so gehet schleunig auf den königlichen Palast los.« – »Fürwahr,« sagte Gobryas, »es wäre kein Wunder wenn die Pforte des königlichen Palastes ungeschlossen wäre; denn die ganze Stadt scheint in dieser Nacht im Schwelgen versunken. Doch werden wir auf eine Wache vor den Thoren stoßen; denn es steht immer eine da.« – »Wir dürfen nicht säumen,« sprach Kyrus: »wir müssen gehen, um sie so viel als möglich unvorbereitet zu treffen.«

Nachdem Dieß gesprochen war giengen sie. Alles was ihnen 230 begegnete fiel entweder unter dem Schwert oder floh wieder zurück oder schrie. Die Leute des Gobryas stimmten in ihr Geschrei ein, als ob auch sie das Fest mitfeierten. Und so kamen sie so schnell wie möglich an den Palast. Die Leute des Gobryas und Gadatas fanden die Thüren geschlossen; Die aber welche gegen die Wache commandiert waren überfielen dieselbe, als sie bei heller Beleuchtung trank, und behandelten sie sogleich als Feinde. Als so ein Geschrei und Lärm entstand hörte man innen im Palast das Geräusch; auf Befehl des Königs, nach der Sache zu sehen, öffneten Einige die Thore und kamen heraus. Als aber die Leute des Gadatas die Thore sich öffnen sahen stürzten sie hinein, folgten den Zurückfliehenden, bahnten sich mit dem Schwert einen Weg bis zum König, und fanden ihn schon stehend und den Dolch den er führte gezogen. Die gedrängte Schaar des Gadatas und Gobryas überwältigte ihn; auch die Leute um ihn fielen, der Eine, indem er sich zu decken suchte, ein Anderer fliehend, ein Anderer vertheidigte sich auch, so gut er konnte. Kyrus schickte die Abtheilungen der Reiter auf die Straßen, mit dem Befehle Diejenigen welche sie dort bekämen zu tödten, und durch Die welche Syrisch verständen bekannt machen zu lassen: Wer in den Häusern sei, der solle drinnen bleiben; wer außerhalb ergriffen werde, der werde getödtet werden. Dieß thaten sie.

Gadatas und Gobryas kamen zurück; zuerst beteten sie zu den Göttern, daß sie sich an dem frevelnden König gerächt hätten, dann küßten sie dem Kyrus Hände und Füße unter einem Strome von Freudenthränen. Als nach Tagesanbruch die Besatzungen der Burgen erfuhren daß die Stadt eingenommen und der König gefallen sei, so übergaben sie auch die Burgen. Kyrus nahm sie sogleich in Besitz und legte Befehlshaber nebst Besatzungen darein; die Todten aber überließ er ihren Angehörigen zur Bestattung. Durch Herolde ließ er ausrufen, alle Babylonier sollten die Waffen abliefern; wo man Waffen in einem Hause finden würde müßten alle Bewohner sterben. Sie lieferten sie ab; Kyrus aber legte sie in den Burgen nieder, daß sie auf den Fall der Noth bereit wären. Nachdem diese Maßregeln genommen waren berief er zuerst die Magier und ließ, da die Stadt erobert sei, für die 231 Götter Erstlinge der Beute und geweihte Oerter ausscheiden. Hierauf theilte er Häuser und Staatsgebäude unter Diejenigen aus welchen er den hauptsächlichsten Antheil an dem Geschehenen zuschrieb; und so verfuhr er bei der Vertheilung nach dem von ihm angenommenen Grundsatze: das Beste den Ausgezeichnetsten. Glaubte aber Einer verkürzt zu sein, der sollte zu ihm kommen und ihn davon unterrichten. Den Babyloniern ließ er bekannt machen, sie sollten das Land bauen, ihren Tribut entrichten und Denjenigen denen Jeder zugetheilt war Achtung beweisen. Die Perser aber welche an der That Antheil gehabt, und die Bundesgenossen welche bei ihm bleiben wollten, sollten mit ihren Gefangenen im Tone von Gebietern sprechen.

Da sich sodann Kyrus gleichfalls auf königliche Weise einzurichten wünschte so beschloß er Dieß mit Zuziehung seiner Freunde zu thun, um mit Vermeidung aller Gehässigkeit sich selten und in ehrfurchtgebietendem Aufzuge zu zeigen. Er richtete es also ein. Mit Tagesanbruch stellte er sich an einen ihm passend scheinenden Ort, empfieng Jeden der ihm Etwas vortragen wollte und entließ ihn mit einer Antwort. Als nun das Volk hörte daß der Zugang zu ihm offen stehe, so kam es in unermeßlicher Anzahl. Man drängte sich und kämpfte um den Zutritt, und versuchte alle Mittel. Die Leute von des Kyrus Umgebung trafen unter denen welche sie zuließen Auswahl so gut sie konnten; gewahrte aber Kyrus auch Einen seiner Freunde welcher sich durch den Haufen hindurchdrängte, so bot er ihm die Hand, zog ihn zu sich und sprach: »Liebe Männer, wartet bis wir das Volk abgefertigt haben; dann wollen wir in Ruhe zusammen sein.« Seine Freunde warteten; das Volk aber strömte in immer größerer Anzahl herbei, bis ihn der Abend überraschte, ehe er sich dem Umgange mit seinen Freunden widmen konnte. Da sprach Kyrus: »Männer, ist es jetzt nicht Zeit auseinanderzugehen? kommt morgen früh wieder, ich möchte auch Etwas mit euch sprechen.« Da die Freunde Dieß hörten liefen sie vergnügt hinweg; denn sie waren mit der Entbehrung aller Bedürfnisse gestraft worden. Und so giengen sie dießmal zur Ruhe.

Am folgenden Tag erschien Kyrus auf demselben Platze. Die 232 Menge der Zutritt Wünschenden aber war noch viel größer, und sie waren lange vor den Freunden da. Kyrus stellte nun die Persischen Spießträger in einen großen Kreis um sich herum und gab Befehl Niemand als die Freunde und die Anführer der Perser und Bundesgenossen zu ihm zu lassen. Nachdem sie beisammen waren sprach Kyrus folgendermaßen.

»Freunde und Bundesgenossen, den Göttern können wir keinen Vorwurf machen daß sie nicht bis jetzt Alles was wir wünschen gethan haben. Wenn nun Dieß die Frucht großer Thaten ist daß man nicht im Stande ist weder für sich Muße zu gewinnen noch mit den Freunden sich zu erfreuen, so verzichte ich auf diese Glückseligkeit. Denn ihr habt ja gestern gesehen daß wir vom frühen Morgen an bis zum Abend unausgesetzt den Herbeikommenden Gehör gaben: und jetzt sehet ihr Dieselben, und sonst noch viel Mehrere als gestern da waren, versammelt, um mich zu belästigen. Wollte man sich Diesen hingeben, ich glaube, ihr würdet hinfort wenig Genuß von mir, und ich von euch haben: mich selbst würde ich, das weiß ich gewiß, ganz verlieren. Die Sache hat aber auch noch eine andere, lächerliche Seite. Ich bin gegen euch gesinnt wie ihr es verdienet: von Diesen aber welche hier herumstehen kenne ich entweder Wenige oder gar Keinen; und doch betragen sie sich Alle so als ob sie, wenn sie euch hinwegdrängen, ihre Wünsche vor euch bei mir erreichen würden. Ich aber wünschte daß Diese, wenn Einer Etwas von mir bedarf, euch, meinen Freunden, gute Worte geben und bitten möchten sie vorzuführen. Vielleicht könnte nun Einer sagen, warum ich Das nicht von Anfang an so eingerichtet, sondern den allgemeinen Zutritt zu mir verstattet habe? Der Grund war: ich sah ein daß im Kriege der Feldherr sich von Dem was er zu wissen braucht nie zu bald unterrichten, und Das was die Umstände fordern nie bald genug thun kann. Feldherrn aber die sich selten sehen lassen, glaubte ich, müssen Vieles was geschehen muß versäumen. Nun aber, da der mühevolle Krieg beigelegt ist, so, glaube ich, darf auch meine Seele einige Ruhe ansprechen. Weil ich aber nicht weiß wie ich es angreifen soll um unsere Angelegenheiten und die der Andern welche unserer 233 Sorge anvertraut sind gehörig zu besorgen, so rathe mir Einer was er für das Zuträglichste hält.«

So sprach Kyrus. Nach ihm erhob sich Artabazus, der sich einst für seinen Verwandten ausgegeben hatte, und sprach: »es ist wahrlich gut, Kyrus, daß du Dieß zur Sprache gebracht hast. Denn da du noch sehr jung warest wünschte ich dein Freund zu werden; als ich aber sah daß du meiner nicht bedürfest, so wurde ich verlegen mich dir zu nahen. Da es aber der Zufall einmal wollte daß du mich batest den Medern schnell die Aufträge des Kyaxares auszurichten, so dachte ich, wenn ich dir hier bereitwillig dienen würde, so könnte ich dein Freund werden und mir die Erlaubniß erwerben mit dir zu sprechen so lange ich wollte. Diesen Auftrag nun vollführte ich zu deiner Zufriedenheit; bald darauf aber wurden zuerst die Hyrkanier unsere Freunde, da wir der Bundesgenossen gar sehr bedürftig waren; wir trugen sie daher vor Liebe beinahe auf den Armen. Als hierauf das feindliche Lager erobert war hattest du, wie ich wohl sah, keine Zeit mehr dich mir zu widmen, und ich verzieh dir. Hierauf wurde Gobryas unser Freund, und ich freute mich; sodann Gadatas; da kostete es Mühe dich zu genießen. Nachdem hierauf die Saker und Kadusier unsere Bundesgenossen geworden waren, da mußtest du Diesen die schuldige Aufmerksamkeit schenken; denn sie bewiesen dieselbe auch gegen dich. Als wir aber wieder dahin kamen von wo wir ausgezogen waren, so sah ich dich mit Pferden, Wagen und Maschinen beschäftigt, und glaubte, wenn du damit fertig wärest, so würdest du dich auch mir widmen können. Hierauf kam die Schreckensbotschaft, alle Völker sammeln sich gegen uns. Da sah ich wohl daß Dieß jetzt das Wichtigste sei; wenn aber Das eine gute Wendung nähme, so glaubte ich vorauszusehen daß wir dann viel miteinander umgehen könnten. Nun haben wir in der großen Schlacht gesiegt, haben Sardes und Krösus uns unterworfen, Babylon erobert und Alles unterjocht; und bei'm Mithras, hätte ich mich gestern nicht mit der Faust durch die Menge durchgekämpft, ich hätte nicht zu dir kommen können. Als du mir nun die Rechte botest und mich bei dir bleiben hießest, so hatte ich von dieser Auszeichnung weiter nichts als daß 234 Jedermann sah daß ich den ganzen Tag ohne zu essen und zu trinken bei dir blieb. Wenn es nun jetzt irgend möglich ist daß wir, die wir am meisten Verdienst haben, dich am meisten genießen können, so ist es gut; wo nicht, so will ich wiederMit Beziehung auf die frühere Botschaft IV, 2. in deinem Namen verkündigen daß Alle, außer uns, deinen ursprünglichen Freunden, sich entfernen.«

Kyrus lachte darüber, so wie auch viele Andere. Da erhob sich der Perser Chrysantas, und sprach:

»Bisher, Kyrus, mußtest du dich öffentlich zeigen, theils aus den Gründen die du selbst angeführt hast, theils weil du nicht uns deine hauptsächlichste Aufmerksamkeit zeigen durftest. Denn wir waren um unserer selbst willen da; hingegen mußte der gemeine Soldat auf alle Art gewonnen werden, daß er Anstrengungen und Mühseligkeiten gern mit uns theilte. Nun aber, da du nicht an dieses Verfahren allein gebunden bist, sondern Diejenigen welche dir brauchbar sind auch auf andere Weise gewinnen kannst, nun geziemt sich's daß du auch eine eigene Wohnung habest. Oder was hättest du für einen Genuß von der Herrschaft, wenn du allein keinen Herd, diese heiligste, freundlichste und traulichste Stätte auf der Welt, hättest? Und glaubst du denn, wir würden uns nicht auch schämen wenn wir sähen wie du dich draußen abmühest, während wir in Häusern lebten und es besser hätten als du?« Nachdem Chrysantas seine Rede geendet hatte stimmten ihm Viele bei.

Kyrus begab sich hierauf in den Palast, wo die Anführer die Schätze von Sardes ablieferten. Nachdem er eingetreten war opferte er zuerst der Hestia, dann dem König Zeus und anderen Göttern welche die Magier angaben.

Nachdem Dieß gethan war nahm er andere Einrichtungen vor. Und da er nun seine Lage betrachtete, daß er im Begriff stehe die Herrschaft über viele Menschen zu übernehmen und die größte unter den bekannten Städten zu bewohnen, diese aber so feindselig als nur immer möglich gegen ihn gesinnt sei, – da er Dieses erwog, so glaubte er 235 einer Leibwache zu bedürfen. Da er ferner wußte daß die Menschen nirgends leichter zu überwältigen sind als bei'm Essen, bei Gelagen, im Bade, im Bette und im Schlafe, so forschte er nach den getreusten Leuten, mit denen er sich bei diesen Gelegenheiten umgeben könnte.

Er war aber der Meinung, ein Mensch könne niemals getreu sein, wenn er einen Andern mehr liebe als Denjenigen welchen er zu bewachen habe: demzufolge seien Diejenigen welche Kinder haben oder Weiber mit denen sie gut leben, oder sonstige Gegenstände ihrer Liebe, von der Natur angewiesen diese am meisten zu lieben: die Verschnittenen hingegen, welche von diesem Allem nichts haben, müßten Diejenigen am meisten schätzen von welchen sie am meisten bereichert, gegen Kränkungen geschützt und mit Ehrenämtern bekleidet werden könnten. In Wohlthaten gegen Diese, meinte er, sollte ihn Niemand überbieten können. Zudem bedürften die Verschnittenen schon darum einen Herrn zu ihrem Beistand weil sie bei andern Menschen kein Ansehen haben. Denn es gäbe wohl nicht leicht Jemand der sich nicht bei allen Gelegenheiten über einen Verschnittenen stellte, wenn Diesen nicht eine höhere Macht schützt. Ist aber der Verschnittene seinem Herrn getreu, so steht auch ihm nichts im Wege einen hohen Rang einzunehmen. Was man aber gewöhnlich glaubt, die Verschnittenen werden kraftlos, auch Das fand er nicht. Er machte den Schluß von andern Thieren, daß zum Beispiel unartige Pferde, wenn sie verschnitten werden, zwar das Beißen und ihre sonstige Unart aufgeben, aber nichts desto weniger brauchbar zum Kriege sind: und die Stiere, wenn sie verschnitten werden, zwar in ihrem Uebermuth und ihrer Störrigkeit nachlassen, aber an Kraft und Brauchbarkeit zum Arbeiten Nichts verlieren. Ebenso hören die verschnittenen Hunde zwar auf von ihren Herren wegzulaufen; aber zum Bewachen oder Jagen sind sie ebenso brauchbar. Ebenso werden die Menschen, wenn sie dieses Triebes beraubt sind, zwar ruhiger, aber nicht nachläßiger in ihrem Beruf, nicht untauglicher zum Reiten und Wurfspießwerfen, nicht weniger ehrliebend. Sie zeigen es auch in dem Krieg und auf der Jagd daß sie den Ehrgeiz im Herzen bewahrt haben. Von ihrer Treue haben sie bei'm Untergang ihrer Herren die 236 größten Proben gegeben; denn von Niemand kann man solche Beweise von Treue bei'm Unglück der Herren aufweisen wie von den Verschnittenen. Wenn sie aber wohl auch an Körperstärke etwas schwächer zu sein scheinen, so macht das Eisen im Kriege die Schwachen den Starken gleich.

Von dieser Ansicht ausgehend besetzte er vom Thürhüter an alle Stellen welche bei seiner Person Dienste hatten mit Verschnittenen. Da er aber diese Wache im Vergleich mit der Menge der feindlich Gesinnten nicht stark genug glaubte, so sann er nach, welche von den Andern er zu den getreuesten Wächtern der Residenz nehmen sollte. Weil er nun wußte daß die Perser in ihrer Heimat aus Armut ein kümmerliches Leben führen und sich's wegen des rauhen Bodens, den sie mit eigner Hand bauen, sehr sauer werden lassen müssen, so glaubte er, Diese würden den Aufenthalt bei ihm am ehesten lieb gewinnen. Er nahm daher aus diesen zehntausend Lanzenträger, welche Tag und Nacht rings um den Palast Wache hielten, wenn er zu Hause wäre: gieng er aber aus, so mußten sie ihn auf allen Seiten umgeben. Und da er auch für ganz Babylon eine starke Besatzung für nothwendig hielt, mochte er anwesend oder entfernt sein, so legte er eine solche nach Babylon. Den Sold auch für Diese mußten die Babylonier bezahlen, die er so unvermögend als möglich machen wollte, damit sie recht gedemüthigt würden und leicht im Zaume zu halten wären.

Diese seine Leibwache und die Besatzung welche damals nach Babylon gelegt wurde besteht noch heut zu Tage. Da er nun auf Mittel sann die Herrschaft in ihrem ganzen Umfange nicht nur zu erhalten, sondern auch noch zu erweitern, so glaubte er, die Miethsoldaten seien nicht in dem Grad besser als die Unterworfenen in welchem sie ihnen an Anzahl nachstehen. Auf der andern Seite aber meinte er, man müsse die braven Männer, welche mit Hülfe der Götter den Sieg errungen hatten, beisammenbehalten und dafür sorgen daß sie nicht in der Uebung der Tapferkeit nachlassen. Damit es aber nicht den Anschein eines Befehls gewänne, sondern sie selbst von der Vorzüglichkeit dieser Maßregel überzeugt und darum in der Uebung der Tapferkeit ausdauernd 237 erhalten würden, so versammelte er die Edlen, sämmtliche Befehlshaber und Alle welche sich in bedrängnißvollen wie in glücklichen Tagen als die tüchtigsten Genossen erprobt hatten. Als sie beisammen waren redete er sie also an:

»Liebe Männer und Bundesgenossen, inniger Dank sei den Göttern daß sie uns Das werden ließen dessen wir werth zu sein glaubten. Denn nun haben wir vieles und gutes Land, und Leute die es bauen und uns nähren können; wir haben auch wohleingerichtete Häuser: und es glaube Keiner er sei in fremdem Besitz. Denn es ist ein ewiges Gesetz in der ganzen Welt: wenn eine feindliche Stadt erobert wird, so ist die Person und die Habe der Einwohner Eigenthum der Eroberer. Es ist also nicht Ungerechtigkeit wenn ihr Das was ihr besitzet behaltet, sondern Menschenfreundlichkeit wenn ihr ihnen Etwas lasset. – Um nun aber auf Das zu kommen was wir in Zukunft zu thun haben, so will ich meine Ansicht aussprechen: wenn wir uns der Trägheit und dem Wohlleben schlaffer Menschen überlassen, welche die Arbeit für das größte Unglück, ein unthätiges Leben aber für Wollust halten, so werdet ihr bald in euren eignen Augen allen Werth verlieren und aller Güter beraubt werden. Denn wenn Einer ein rechtschaffener Mann geworden ist, so ist Das noch nicht hinreichend um es auch zu bleiben, wenn man sich nicht beständig übt; sondern wie die Künste, wenn sie vernachläßigt werden, an Werth verlieren, wie der gesunde Körper, wenn man sich der Unthätigkeit hingibt, sich wieder verschlechtert, so ist es auch mit der Mäßigkeit, Enthaltsamkeit und Stärke: wenn man die Uebung darin aufgibt, so arten sie wieder aus. Wir dürfen daher nicht saumselig sein, noch uns dem Vergnügen des Augenblicks hingeben. Denn es ist zwar, dünkt mir, ein großes Werk eine Herrschaft zu erringen, aber etwas viel Größeres sie zu erhalten. Denn das Erlangen wurde schon oft Dem der allein Kühnheit bewies zu Theil; das Erhalten aber ist ohne Mäßigung, Enthaltsamkeit und große Sorgfalt nimmermehr möglich. Dieß erwägend müssen wir die Tugend jetzt noch viel strenger üben als ehe wir diese Vortheile erworben haben, und bedenken daß, je mehr Einer besitzt, desto Mehrere ihn 238 beneiden, ihm nachstellen und feind werden, besonders wenn man, wie wir, Habe und Gehorsam erzwungen hat. Daß die Götter uns beistehen werden, dürfen wir glauben; denn wir besitzen Dieß nicht durch Hinterlist auf ungerechte Weise, sondern weil sie uns nachgestellt haben haben wir uns gerächt. Was nun nach Diesem das Beste ist müssen wir uns selbst verschaffen: Dieß ist daß wir uns die Herrschaft dadurch zu sichern suchen daß wir besser als die Untergebenen sind. An Hitze und Frost, am Essen und Trinken, an Anstrengungen und am Schlaf müssen wir auch den Sklaven Antheil geben: aber schon bei diesen Dingen müssen wir versuchen uns besser zu zeigen als sie. An der Wissenschaft und Uebung des Kriegs aber dürfen wir Denen welche unser Land bauen und Tribut bezahlen sollen durchaus keinen Antheil gestatten; sondern wir müssen diese Uebungen als einen Vorzug für uns betrachten, und bedenken daß Dieß die Werkzeuge der Freiheit sind, welche die Götter den Menschen verliehen haben; und wie wir Jenen die Waffen genommen haben, so dürfen wir nie von den Waffen entblöst sein, wohl wissend daß Die welche jeweilig am meisten mit den Waffen vertraut sind auch am meisten berechtigt sind Alles was sie wünschen als ihr Eigenthum zu betrachten.«

»Denkt aber Einer: was nützt es uns das Ziel unserer Wünsche erreicht zu haben, wenn wir fernerhin Hunger, Durst, Mühe und Anstrengung ertragen sollen? so soll er wissen daß das Glück um so mehr erfreut je mehr Anstrengung man vorher darum gehabt hat; denn Anstrengung ist das Zugemüse zum Glück. Wo kein Bedürfniß ist, da kann man nichts so Kostbares herbeischaffen daß es angenehm wird. Wenn nun die Gottheit uns Das gewährt hat wornach die Menschen am meisten streben, und es von Jedem selbst abhängt sich den Genuß davon so angenehm als möglich zu machen, so wird ein solcher Mann einen solchen Vorzug vor den Dürftigern bekommen daß er, wenn er hungert, die angenehmste Speise erhält, wenn er dürstet die angenehmsten Getränke genießt, wenn er der Ruhe bedarf am angenehmsten ausruht. Darum sage ich: wir müssen uns jetzt anstrengen uns in der Rechtschaffenheit zu erhalten, um das Glück auf die beste und 239 angenehmste Art zu genießen, und Das was das Allerhärteste ist nie zu erfahren. Denn das Glück nie erreicht zu haben ist nicht so hart als es traurig ist es wieder zu verlieren wenn man es errungen hat. Bedenket auch Das, unter welchem Vorwand wir es uns erlauben könnten schlechter zu werden als vorher. Weil wir herrschen? Aber der Herrscher darf doch wohl nicht schlechter sein als der Beherrschte. Oder weil wir jetzt glücklicher zu sein scheinen als vorher? Wer wird aber behaupten wollen daß dem Glück Schlechtigkeit gezieme? Oder weil wir Sklaven die wir etwa besitzen, bestrafen, wenn sie schlecht werden? Aber wie geziemt es Dem welcher selbst schlecht ist Andere wegen Schlechtigkeit und Schlaffheit zu bestrafen? Bedenket auch Dieß daß wir angefangen haben für unsere Häuser und Personen viele Wächter zu unterhalten. Wie sollte es nun nicht schändlich sein wenn wir glaubten andere Beschützer unseres Wohlseins zu bedürfen, uns selbst aber nicht beschützten? Und ihr müßt es wohl beherzigen daß es keine Wache gibt welche der gleicht wenn man selbst ein wackerer Mann ist; diese muß stets uns zur Seite stehn. Wer keine Tugend besitzt, dem gebürt auch sonst kein Glück.«

»Was ist nun mein Vorschlag, wie müssen wir die Tugend üben, und wo die Uebung anstellen? Ich sage nichts Neues, ihr Männer. Wie die Edlen in Persien sich bei den Staatsgebäuden aufhalten, so müssen auch bei uns sämmtliche Edle die hier sind Alles wie dort thun; ihr müßt auf mich ein waches Auge halten, ob ich die mir obliegenden Pflichten erfülle; und ich will euch beobachten, und Diejenigen ehren welche ich in Vollbringung des Schönen und Guten eifrig sehe. Und wenn einige von uns Kinder haben, so wollen wir sie hier erziehen; denn wir werden selbst besser werden wenn wir uns den Kindern als gutes Muster vorstellen; und die Kinder werden, selbst wenn sie wollten, nicht leicht schlecht werden wenn sie nichts Schändliches sehen und hören, und den ganzen Tag unter schönen und guten Beschäftigungen verleben.« 240

 


 


 << zurück weiter >>