Xenophon
Die Kyropädie
Xenophon

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Xenophon's Kyropädie.

Erstes Buch.

1.

Es hat mich zuweilen schon der Gedanke beschäftigt, wie viele Demokratien aufgelöst wurden von Solchen die irgend eine andere Verfassung der Demokratie vorzogen; ferner, wie viele Monarchien und Oligarchien vom Volke schon zerstört, und wie Viele die nach unumschränkter Herrschaft strebten zum Theil nach kurzer Zeit völlig gestürzt, zum Theil aber auch, wenn sie nur eine Zeitlang die Herrschaft behaupteten, wegen ihrer Weisheit und ihres Glücks bewundert wurden. Auch im häuslichen Leben glaubte ich die Bemerkung zu machen, wie manche Hausherren eine ziemlich starke Dienerschaft halte, andere dagegen eine sehr kleine, und doch selbst diese wenigen Leute nicht ganz im Gehorsam erhalten können. Dabei zog ich in Erwägung daß ja auch die Rinder- und Pferdehirten Beherrscher der Rinder und Pferde sind, und alle Hirten, sie mögen Namen haben welche sie wollen, mit Recht für Beherrscher der Thiere welche sie hüten gelten. Und bei allen diesen Heerden glaubte ich größere Bereitwilligkeit zu bemerken ihren Hirten, als bei den Menschen, ihren Beherrschern zu gehorchen. Denn die Heerden gehen wohin die Hirten sie leiten; sie bewaiden die Plätze auf die sie getrieben, bleiben von denen weg von welchen sie abgehalten werden; und den Ertrag der aus ihnen erwächst gestatten sie den Hirten zu beliebiger Benützung. Auch habe ich noch nie gehört daß eine Heerde sich gegen ihren Hirten empört habe, entweder um ihm den Gehorsam oder die Benützung ihres Ertrags zu verweigern; 16 vielmehr sind die Heerden gegen alle andern Menschen weniger folgsam als gegen Die welche sie beherrschen und Nutzen von ihnen ziehen. Dagegen verschwören sich die Menschen gegen Niemand lieber als gegen Die bei denen sie die Absicht sich zu ihren Herrschern aufzuwerfen erblicken.

Durch diese Betrachtungen bildete ich mir die Ansicht daß es dem Menschen, wie er einmal ist, leichter sei über alle Thiere als über Menschen zu herrschen. Als ich aber in Erwägung zog daß es einen Perser Kyrus gegeben, welcher sich sehr viele Menschen, Städte und Völker unterworfen, so fand ich mich veranlaßt meine Ansicht dahin zu ändern daß über Menschen zu herrschen weder etwas Unmögliches noch so Schweres sei, wenn man es nur mit Verstand anzugreifen wisse. Zum Beweis dient Kyrus, von welchem bekannt ist daß Leute die einen Weg von vielen Tagen, ja Monaten von ihm entfernt waren, die ihn zum Theil nie sahen, zum Theil voraus wußten daß sie ihn nie sehen werden, ihm gerne und freiwillig gehorchten. Freilich zeichnete er sich auch in einem ungewöhnlichen Grad vor andern Königen aus, mochten sie die Herrschaft von den Vätern ererbt oder durch eigene Kraft erworben haben; der Skythenkönig z. B. wäre, trotz der starken Anzahl seines Volks, nicht im Stande noch ein anderes Volk zu beherrschen, und muß zufrieden sein wenn er sich in der Herrschaft seines Volks behaupten kann. Dasselbe gilt von dem Könige der Thrakier und Illyrier. Auch die übrigen bekannten Völker, wenigstens in Europa, leben, wie man sagt, bis auf den heutigen Tag in Unabhängigkeit und außer Verbindung mit einander. In diesem Zustand der Unabhängigkeit traf Kyrus auch die Völker in Asien. Mit einem kleinen Heere Perser zog er aus, und freiwillig folgten ihm Meder und Hyrkanier. Mit Diesen unterwarf er sich die Syrer, Assyrier, Araber, Kappadokier, beide Phrygien, Lydier, Karier, Phöniker, Babylonier; ferner herrschte er über Baktrier, Indier und Kilikier: über Saken, Paphlagonier, Mariandyner, und viele andere Völker, die man nicht einmal namentlich aufführen kann. Auch die Griechen in Asien und – nach dem Meere herabziehend – die Kyprier und Aegyptier brachte er unter seine 17 Botmäßigkeit. Ueber alle diese Völker, die weder mit ihm, noch unter einander die gleiche Sprache redeten, herrschte er: dessen ungeachtet vermochte er seine Herrschaft so weit auszudehnen, allein durch die Furcht seines Namens, der Alle erschreckte, so daß Keiner es wagte sich wider ihn aufzulehnen: ja er wußte Alle mit einer solchen Begierde seine Gunst zu erwerben zu beseelen daß sie gar nichts Anderes wünschten als immer nach seinem Willen regiert zu werden. Nach allen Richtungen von der Königsburg aus, nach Osten, Westen, Norden, Süden, war die Zahl der von ihm abhängigen Nationen so groß daß sie auch nur zu durchreisen keine geringe Mühe wäre.

Mir ist dieser Mann eine bewunderungswürdige Erscheinung; darum habe ich nachgeforscht, wie viel seine Herkunft, seine natürliche Anlage und seine Erziehung dazu beigetragen ihn zu einem so ausgezeichneten Herrscher zu bilden. Die Ergebnisse meiner Forschungen und eigenen Wahrnehmungen darüber will ich in dieser meiner Erzählung mitzutheilen suchen.

2.

Von väterlicher Seite soll Kyrus von Kambyses, König der Perser, abstammen (Kambyses war vom Geschlecht der Persiden, die ihren Namen von Perseus haben). Seine Mutter war nach einstimmiger Angabe Mandane, Tochter des Astyages, Königs der Meder. Kyrus war, wie er noch heut zu Tage in den Sagen und Gesängen der Barbaren lebt, von ausgezeichneter Schönheit und Menschenfreundlichkeit, voll Wißbegier und Ehrliebe, so daß er, ein Lob zu verdienen, sich Strapazen aller Art unterzog, alle Gefahren bestand. Dieß wird über seine innern und äußern Anlagen berichtet. Seine Erziehung erhielt er nach Persischen Gesetzen. Diese Gesetze machen sich, im Gegensatz gegen die der meisten Staaten, das gemeine Beste zur ersten Aufgabe. Die meisten Staaten nämlich erlauben Jedem seine Kinder nach Belieben zu erziehen; und selbst den Aelteren verstatten sie in Rücksicht ihrer Lebensart vollkommene Freiheit: nur gebieten sie nicht zu stehlen, nicht zu rauben, nicht mit Gewalt in ein Haus einzubrechen, Keinen unverdienterweise zu schlagen, die Ehe nicht zu brechen, gegen die Obrigkeit nicht ungehorsam zu sein: und auf den Uebertretungsfall 18 ist Strafe gesetzt. Die Persischen Gesetze hingegen sorgen im Voraus dafür den Bürgern die Möglichkeit nach Schlechtem und Schändlichem zu trachten abzuschneiden. Diesen Zweck erreichen sie auf folgende Art. Sie haben einen sogenannten freien öffentlichen Platz, auf welchem die königlichen und sonstigen Staatsgebäude stehen. Von hier sind Waaren und Marktleute mit ihrem Geschrei und gemeinen Wesen anderswohin verwiesen, um alle Berührung dieses Getümmels mit der Wohlanständigkeit der Gebildeten zu verhindern. Dieser Platz um die Staatsgebäude ist in vier Theile getheilt: einer für die Knaben, einer für die Jünglinge, ein anderer für die gestandenen Männer, der vierte für die über die Jahre des Kriegsdienstes Hinausgeschrittenen bestimmt. Das Gesetz verpflichtet jede dieser Abtheilungen auf ihrem Platz zu erscheinen: die Knaben und Männer mit Tagesanbruch, die Aelteren, wann es Jedem bequem ist, außer an bestimmten Tagen, an denen sie erscheinen müssen. Die Jünglinge bleiben auch die Nacht über mit ihren Uebungswaffen bei den Staatsgebäuden, ausgenommen die Verheiratheten. Von diesen wird es nicht verlangt, wenn es ihnen nicht vorher angekündigt worden ist; doch oft zu fehlen gilt nicht für anständig. Jede dieser Abtheilungen hat zwölf Vorsteher (die Perser sind nämlich in so viele Stämme getheilt): zu Vorstehern der Knaben sind aus der Classe der älteren Männer Solche gewählt zu denen man das Zutrauen hat daß sie die Jünglinge am besten bilden werden; zu Vorstehern der Jünglinge sind aus der Classe der gestandenen Männer Solche gewählt von welchen man erwartet daß sie die Jünglinge am besten bilden werden; zu Vorstehern der Männer Solche die sich durch Diensteifer und Gehorsam gegen die Befehle der höchsten Behörden auszeichnen. Auch die Aelteren haben noch ihre Vorsteher, um auch sie zu Vollbringung ihrer Pflichten anzuhalten. Ich will nun die jedem Alter zugetheilten Verrichtungen aufzählen, um dadurch die Art wie sie für die möglichst beste Bildung der Bürger sorgen in noch helleres Licht zu setzen. Die Knaben die in die Schule gehen sind den ganzen Tag mit Erlernung der Gerechtigkeit beschäftigt. Dieß geben sie auch als Zweck des Schulbesuchs an, wie bei uns das Lesen und 19 Schreiben. Ihre Vorsteher sprechen ihnen den größten Theil des Tages Recht. Denn auch unter Knaben, wie unter Männer, kommen Beschuldigungen wegen Diebstahls, Raub, Gewaltthätigkeit, Betrug, Schmähung u. s. w. vor – wie zu erwarten ist. Wer in einem dieser Punkte als schuldig erfunden wird, den bestrafen sie. Sie züchtigen aber auch die deren Anklagen als ungegründet erfunden werden. Ihre Gerichtsbarkeit dehnen sie auch auf ein Verbrechen aus das zwar den bittersten Haß unter den Menschen erzeugt, aber am wenigsten vor Gericht gezogen wird, ich meine den Undank. Von wem nun bekannt wird daß er im Stande war Dank zu erstatten, es aber unterlassen hat, der wird nachdrücklich gestraft. Sie gehen hiebei von der Meinung aus daß der Undankbare auch die Pflichten gegen Götter, Eltern, Vaterland und Freunde vernachläßige. Auch ist wohl im Gefolge der Undankbarkeit stets die Schamlosigkeit und überhaupt alles Schändliche: denn diese ist die gefährlichste Verführerin dazu. Sie lehren die Knaben auch ein geordnetes, besonnenes Benehmen: und dazu trägt das Beispiel der Aelteren, die sie den ganzen Tag über in Ordnung sehen, viel bei. Auch zum Gehorsam gegen die Obrigkeit werden sie angeleitet: und auch hiezu ist es sehr behülflich daß sie auch die Aelteren einen strengen Gehorsam gegen die Obrigkeit einhalten sehen. Auch zur Mäßigkeit im Essen und Trinken werden sie angehalten; wobei es ebenfalls von großem Nutzen ist wenn sie sehen wie auch die Aelteren sich nie entfernen, um ihren Hunger zu stillen, ehe die Vorsteher sie entlassen; ferner daß die Knaben nicht bei der Mutter speisen, sondern bei dem Lehrer, wann die Vorsteher das Zeichen geben. Als Speise bringen sie von Hause Brod, als Zuspeise Kresse mit, zum Trinken, auf den Fall daß sie Durst bekommen, einen Becher, um aus dem Flusse zu schöpfen. Außerdem lernen sie Bogenschießen und Wurfspieße werfen. Dieß treiben die Knaben bis zum sechszehnten oder siebzehnten Jahre; dann treten sie unter die Jünglinge ein.

Die Jünglinge haben folgende Lebensart. Von der Zeit an da sie aus der Classe der Knaben ausgetreten bleiben sie, wie schon gesagt, zehn Jahre lang die Nacht über bei den Staatsgebäuden, theils um 20 die Stadt zu bewachen, theils um selbst in Ordnung zu bleiben; denn dieses Alter bedarf wohl der meisten Aufsicht. Aber auch den Tag über stellen sie sich den Obrigkeiten in öffentlichen Geschäften zur Verfügung. Wenn es sein muß, so bleiben sie Alle bei den Staatsgebäuden; zieht aber der König auf die Jagd, so nimmt er die eine Hälfte der Wache mit sich, die andere läßt er zurück. Dieß kommt jeden Monat öfters vor. Diejenigen welche auf die Jagd mitziehen müssen mit Pfeilen und, außer dem Köcher, mit einem Schwert in der Scheide oder mit einer Streitaxt bewaffnet sein; ferner mit einem kleinen Schild, nebst zwei Spießen, um den einen abzuschleudern, den andern im Fall der Noth mit der Hand zu führen. Sie machen deshalb die Jagd zum Gegenstand öffentlicher Vorsorge, und der König ist dabei, wie im Krieg, der Anführer, und jagt nicht nur selbst, sondern ist auch dafür besorgt daß die Andern jagen, weil sie darin die beste Vorübung zum Krieg erblicken. Denn die Jagd gewöhnt früh aufzustehen, und Kälte und Hitze zu ertragen; sie übt im Marschiren und Laufen; auch muß man ein Thier, es mag aufstoßen wo es will, mit Pfeil und Wurfspieß treffen. Es fehlt aber bei der Jagd auch nicht an Gelegenheiten den Geist zu stählen, wenn sich Einem ein starkes Thier entgegenstellt. Denn man muß es erlegen, wenn es in die Nähe kommt, und sich vor seinem Anfalle decken. Hieraus sieht man daß auf der Jagd nicht leicht eine Uebung vorkommt die nicht im Kriege wiederkehrt.

Auf die Jagd nehmen sie ein reichlicheres Frühstück mit als die Knaben, was natürlich ist; im Uebrigen aber ist kein Unterschied. Während des Jagens kommen sie nicht zum Frühstücken; wenn sie aber wegen eines Thiers verweilen müssen, oder sonst Lust haben die Jagd zu verlängern, so machen sie ihr Frühstück zum Mittagsmahl, und jagen den folgenden Tag wieder bis zum Mittagessen. Diese zwei Tage rechnen sie dann für Einen, weil sie nur die Speise für Einen Tag verzehren. Dieß thun sie, um sich zu gewöhnen, damit sie es, wenn es im Krieg sein muß, schon können. Als Zuspeise haben die Leute dieses Alters was sie auf der Jagd erlegen; haben sie nichts der Art, so nehmen sie Kresse. Sollte aber der Eine oder der Andere 21 glauben, Essen und Trinken schmecke ihnen nicht, wenn sie bloß Kresse zum Brod haben, und lauteres Wasser zum Trinken, der bedenke, wie süß Brei und Brod dem Hungrigen, Wasser dem Durstigen schmeckt.

Die zurückbleibenden Abtheilungen treiben die Uebung dessen was sie als Knaben gelernt haben fort, schießen mit Bogen und Wurfspieß, und stellen beständige Wettkämpfe darin mit einander an. Auch öffentliche Wettkämpfe werden in diesen Künsten gehalten, wobei Preise ausgesetzt sind. Die Abtheilung welche die meisten wohlgeübten, tapfern und folgsamen Leute aufweisen kann wird von den Bürgern gelobt und nicht nur die gegenwärtigen Vorsteher, sondern auch die frühern Lehrer derselben gepriesen. Die zurückbleibenden Jünglinge werden von den Obrigkeiten zur Versehung von Wachen, zu Aufsuchung von Verbrechern, zu Verfolgung von Räubern und zu andern Diensten verwendet welche Stärke und Geschwindigkeit erfordern. Dieß sind die Beschäftigungen der Jünglinge. Haben sie ihre zehn Jahre erstanden, so treten sie unter die gestandenen Männer. Hier bleiben sie von der Zeit ihres Eintritts an fünfundzwanzig Jahre unter folgenden Beschäftigungen. Vorerst lassen sie sich, wie die Jünglinge, von den Obrigkeiten in öffentlichen Geschäften gebrauchen, wozu bereits verständige und noch kräftige Männer erfordert werden. Kommt es aber zu einem Feldzug, so besteht für sie, die eine solche Schule gemacht haben, die Bewaffnung nicht mehr in Bogen und Wurfspießen, sondern sie erhalten die für das Handgemenge erforderlichen Waffen: einen Panzer um die Brust, einen kleinen Schild in die linke Hand (wie die Perser abgebildet werden), in die rechte ein Schwert oder einen Säbel. Aus ihrer Mitte werden alle Beamten genommen, ausgenommen die Lehrer der Knaben. Nach Zurücklegung ihrer fünfundzwanzig Jahre sind sie etwas über fünfzig Jahre alt, und dann treten sie in die Classe der Aelteren, welche auch diesen Namen führen. Diese machen keinen Feldzug mehr außer Lands, sondern bleiben zu Hause und sprechen in allen öffentlichen und Privatangelegenheiten Recht. Sie haben auch die Entscheidung über Leben und Tod, sie besetzen alle obrigkeitlichen Aemter; und wenn es Einer der Jünglinge oder Männer in Erfüllung 22 der ihm obliegenden Pflichten fehlen läßt, so zeigen ihn die Vorsteher seiner Abtheilung, und wer sich sonst gedrungen fühlt, an, und die Aelteren schließen ihn, nach vorher gehaltenem Verhör aus, und der Ausgeschlossene ist sein Lebenlang ehrlos.

Um aber ein deutlicheres Bild von der ganzen Persischen Verfassung zu entwerfen will ich Einiges nachholen, wobei ich mich, vermöge des schon Gesagten, ganz kurz fassen kann. Die Zahl der Perser gibt man auf hundertundzwanzigtausend an. Keinen von Diesen schließt das Gesetz von Ehrenstellen und Staatsämtern aus; Jeder darf seine Kinder in die öffentlichen Schulen der Gerechtigkeit schicken. Die welche im Stande sind ihre Kinder ohne Arbeit zu ernähren machen von diesem Rechte Gebrauch; nicht so Diejenigen welche Jenes nicht vermögen. Die welche unter den öffentlichen Lehrern erzogen wurden dürfen ihre Jugend unter den Jünglingen zubringen; Denen aber welche diese Schule nicht gemacht haben ist es nicht erlaubt. Die welche ihre Zeit unter den Jünglingen ausgehalten und ihre Pflichten erfüllt haben, dürfen unter die Männer eintreten, und sind zu Staatsämtern und Ehrenstellen befähigt; Diejenigen aber welche ihre Zeit nicht aushalten, werden auch nicht unter die Zahl der Männer aufgenommen. Die endlich welche sich unter den Männern untadelhaft betragen kommen zu den Aelteren. So bilden die Aelteren einen Verein von Männern die alles Schöne durchlaufen haben. Das ist die Verfassung der Perser, dieß ihre Aufsicht, wodurch sie den höchsten Grad der Tugend zu erreichen glauben. Von ihrer Mäßigkeit im Essen und Trinken und von der Verarbeitung des Genossenen hat man noch jetzt ein Zeugniß. Es ist nämlich noch heut zu Tage bei den Persern schändlich auszuspucken, sich zu schneuzen und Blähungen zu haben, oder des Harnens oder eines ähnlichen Bedürfnisses wegen auf die Seite zu gehen und dabei gesehen zu werden. Dieß wäre nicht möglich, wenn sie nicht sehr mäßig lebten und die Feuchtigkeiten durch Arbeiten so verzehrten daß sie einen andern Ausweg finden.

Dieß ist es was ich von den Persern im Allgemeinen zu sagen hatte. Nun komme ich auf den eigentlichen Gegenstand der 23 Abhandlung, auf die Thaten des Kyrus, wobei ich mit seinen Knabenjahren anfange.

3.

Bis zu seinem zwölften Jahre oder etwas darüber wurde Kyrus auf die angegebene Weise erzogen, und zeichnete sich sowohl durch schnelle Auffassung Dessen was er lernen sollte als auch durch Geschick und Muth in allen Verrichtungen vor allen seinen Altersgenossen auffallend aus. Um diese Zeit beschied Astyages seine Tochter mit ihrem Sohne zu sich; denn die Nachricht daß er gar tüchtig und wacker sei machte ihn begierig ihn zu sehen. Mandane reiste daher mit ihrem Sohne Kyrus zu ihrem Vater ab. Sobald sie angekommen und Kyrus in Astyages den Vater seiner Mutter erkannte, so umarmte er ihn sogleich, wie er von Natur ein liebevoller Knabe war, als ob er einen alten Bekannten und Freund umarmte; und als er ihn mit bemalten Augen, aufgetragenen Farben und künstlich angelegten Haaren nach Medischer Weise geschmückt sah (denn das Alles, purpurne Kleider, Oberröcke, Ketten um den Hals, Spangen um die Hände ist Medische Tracht; die Perser zu Hause dagegen kleiden sich noch heut zu Tage schlechter, und leben auch sonst einfacher), als er, sage ich, den Schmuck seines Großvaters sah, so betrachtete er ihn und sprach: »Mutter, wie schön ist doch mein Großvater!« Auf die Frage der Mutter, welchen von Beiden, seinen Vater oder den Großvater, er für den Schönern halte, antwortete Kyrus: »Liebe Mutter, unter den Persern ist mein Vater der Schönste, unter den Medern aber, so viel ich deren unterwegs und an der Pforte gesehen, ist dieser mein Großvater bei Weitem der Schönste.« Da drückte ihn Astyages an sein Herz, ließ ihm ein schönes Kleid anziehen, und beehrte und schmückte ihn mit Halsketten und Armspangen. Wenn er ausritt, so ließ er ihn auf einem Pferd mit goldnem Zaum herumführen, wie er selbst zu reiten pflegte. Kyrus, als ein Knabe der das Schöne und die Ehre liebte, hatte große Freude an dem Kleide; und daß er reiten lernen durfte, darüber war er ganz entzückt. Denn in Persien, wo die gebirgigte Gegend Pferde zu halten und zu reiten sehr erschwert, ist es etwas Seltenes auch nur ein Pferd zu sehen. Als sodann Astyages mit seiner Tochter und Kyrus speiste, so 24 wollte er dem Knaben den Gaumen auf alle Art kitzeln, damit er desto weniger das Heimweh bekäme; er ließ ihm daher die verschiedensten Leckereien und Brühen und die ausgesuchtesten Bissen vorsetzen. Da sprach Kyrus: »lieber Großvater, wie viele Mühe hast du doch bei dem Essen, wenn du nach allen diesen Schüsseln die Hände ausrecken und diese verschiedenen Speisen kosten mußt.«

Astyages. Nun denn, scheint dir dieses Mahl nicht weit besser als ein Persisches?

Kyrus. O nein, lieber Großvater. Bei uns ist der Weg zur Sättigung viel einfacher und gerader; denn uns führt Brod und Fleisch zu diesem Ziel: ihr strebt eben dahin, kommt aber erst durch viele Krümmungen, Berg auf und ab irrend, mit Mühe dahin wo wir schon längst angekommen sind.

Astyages. Ganz recht, mein Sohn; aber dieses Umherirren macht uns keine Beschwerde; koste einmal, so wirst du finden, wie gut das schmeckt.

Kyrus. Aber du hast ja, lieber Großvater, einen Ekel vor diesen Speisen.

Astyages. Woraus schließest du das, mein Sohn?

Kyrus. Daraus daß du, wenn du das Brod angreifst, die Hand an nichts abwischest; wenn du aber eine dieser Speisen berührst, so reinigst du sogleich die Hand mit dem Handtuch, als wäre es dir sehr widerlich daß sie dir dadurch beschmutzt wurde.

Astyages. Wenn du dieser Meinung bist, mein Sohn, so iß wenigstens Fleisch, damit du als kräftiger Jüngling heimkehrest.

In diesem Augenblick ließ er ihm viel Fleisch von wilden und zahmen Thieren vorsetzen. Als Kyrus diese Masse Fleisches sah sprach er: »Erlaubst du mir auch wirklich, lieber Großvater, über all dieses Fleisch nach Belieben zu verfügen?« – »Allerdings, mein Sohn,« war die Antwort. Da vertheilte denn Kyrus das Fleisch unter die Diener seines Großvaters, und sagte Jedem etwas: »Dir dieß, weil Du mich so bereitwillig reiten lehrst;« – »Dir, weil Du mir einen Spieß geschenkt, den ich noch habe:« – Dir, weil Du meinen 25 Großvater so gut bedienst;« – »Dir, weil Du meine Mutter ehrst.« Und so fuhr er fort, bis alles Fleisch das er erhalten hatte ausgetheilt war. »Wie,« sagte Astyages, »gibst du dem Sakas, meinem Mundschenken, den ich am meisten ehre, nichts?« Sakas war ein schöner Mann, und hatte den Ehrenposten, Die welche vor Astyages wollten vorzuführen, und Die welche vorzuführen ihm nicht an der Zeit schien abzuweisen. Schnell fragte Kyrus, der nichts weniger als schüchtern war: »sage mir doch, Großvater, warum ehrst du diesen Mann so?« Astyages erwiderte scherzend: »siehst du denn nicht wie schön und anständig er den Wein einschenkt?« Denn die Mundschenken dieser Könige verrichten ihr Amt mit vieler Zierlichkeit, füllen die Schaalen mit der größten Reinlichkeit und reichen sie dann auf drei Fingern so daß Der welcher trinken will sie bequem fassen kann. »So befiehl doch, o Großvater,« sagte Kyrus, »dem Sakas, auch mir den Becher zu geben, damit auch ich dir zierlich einschenke und deine Gunst gewinne, wenn ich kann.« Astyages gab den Befehl. Da nahm Kyrus die Schaale, spülte sie so säuberlich aus wie er es bei Sakas gesehen, legte sein Gesicht in eben so ernste Falten und überreichte dem Großvater die Schaale mit einem gewissen Anstand, so daß er seiner Mutter und dem Astyages viel Stoff zum Lachen gab. Kyrus selbst lachte laut auf, sprang auf seinen Großvater zu, küßte ihn und sprach: »Sakas, um dich ist's geschehn: ich werde dich von deinem Posten verdrängen; denn ich werde nicht nur sonst schöner einschenken als du, sondern auch den Wein nicht selbst austrinken (die königlichen Mundschenken schöpfen nämlich, wenn sie die Schaale reichen, mit dem Schöpfer etwas heraus, das sie sich in die linke Hand gießen und schlürfen, damit sie, wenn sie den Trank vergiften wollten, keinen Nutzen davon hätten). Darauf fragte Astyages scherzend: »Warum hast du denn, Kyrus, da du den Sakas im Uebrigen nachahmtest, nicht auch von dem Wein geschlürft?« – »Bei Gott,« antwortete er, »weil ich fürchtete, in dem Gefäß möchte Gift gemischt sein. Denn als du an deinem Geburtsfest deinen Freunden einen Schmaus gabst bemerkte ich deutlich daß er euch Gift einschenkte.« – »Und wie bemerktest du dieses, mein Sohn?« – 26 »Nun, weil ich sah daß es euch an Leib und Seele schwach wurde. Denn was ihr uns Knaben nicht gestattet, das thatet ihr selbst. Ihr schrieet Alle zusammen, ohne einander ein Wort zu verstehen. Auch sanget ihr so daß man herzlich lachen mußte. Ohne auf den Sänger zu hören, schwuret ihr daß er vortrefflich singe. Jeder rühmte seine Stärke; nachdem ihr aber aufgestanden waret, um zu tanzen, konntet ihr nicht einmal aufrecht stehen, geschweige nach dem Takte tanzen. Ihr hattet gänzlich vergessen, Du, daß du König, die Andern, daß du ihr Gebieter seiest. Damals bekam ich denn auch den ersten Begriff daß also das was ihr damals thatet die Redefreiheit ist; wenigstens konntet ihr den Mund nie schließen.« – »Nun, mein Sohn,« sagte Astyages, »wie geht es denn deinem Vater? wird er nicht berauscht, wenn er trinkt?« – »Nein, beim Zeus,« erwiderte Kyrus. – »Wie macht er es denn?« – »Er hört auf, so lang er noch Durst hat; sonst aber empfindet er dabei gar keine Unannehmlichkeit: ich glaube, das kommt daher, mein Großvater, daß er keinen Sakas zum Mundschenken hat.« – Hierauf sagte die Mutter: »woher kommt es denn, mein Sohn, daß du mit Sakas immer im Streit liegst?« – »Weil ich ihn, so wahr Gott lebt, hasse,« – erwiderte Kyrus; »denn oft, wenn ich zu meinem Großvater gehen will, verwehrt mir dieser garstige Mensch den Zutritt. Aber ich bitte dich, Großvater, vergönne mir nur drei Tage die Herrschaft über ihn.« – »Und wozu wolltest du diese Herrschaft über ihn benützen?« fragte Astyages. »Ich würde mich,« sagte Kyrus, »wie er, an den Eingang stellen; und wenn er dann zum Frühstück eintreten wollte, so würde ich sagen: man kann noch nicht zum Frühstück gehen, der Großvater ist mit einigen Leuten beschäftigt. Käme er sodann zum Mittagessen, so würde ich sagen: er ist im Bade; und wenn es ihm endlich um's Essen recht ernstlich zu thun wäre, so würde ich sagen: er ist im Gemach der Frauen. So würde ich ihn durch Verwehrung des Eintritts zu dir ebenso hinhalten wie er es mir macht.« Auf diese Art erheiterte er sie manchfach über Tisch. Und den Tag über, wenn er seinem Großvater oder dem Bruder seiner Mutter irgend einen Wunsch ansah, konnte ihm nicht leicht ein Anderer 27 in Erfüllung desselben zuvorkommen; denn mit dem größten Vergnügen that er ihnen Alles was in seinen Kräften stand zu Gefallen.

Als nun Mandane Anstalt machte zu ihrem Gemahl zurück zu kehren, so bat Astyages sie den Kyrus zurück zu lassen. Sie antwortete, sie sei zwar bereit in Allem sich nach dem Willen ihres Vaters zu richten; jedoch den Knaben wider seine Neigung zurück zu lassen möchte manche Schwierigkeit haben. Darauf wandte sich Astyages an Kyrus und sprach zu ihm: »lieber Sohn, wenn du bei mir bleibst, so soll dir vor's Erste Sakas über den Eintritt zu mir nichts mehr zu sagen haben, sondern es soll bei dir stehen, wann du willst, zu mir zu kommen: und je öfter du zu mir kommen wirst, desto dankbarer werde ich dir dafür sein. Sodann stehen dir meine Pferde, und von den andern so viele du willst, zu Dienste: und wenn du heimkehrst bekommst du mit, welche du willst. Beim Essen kannst du einen beliebigen Weg einschlagen, um zu dem was nach deinen Begriffen mäßig ist zu gelangen. Die gegenwärtig im Thiergarten befindlichen Thiere schenke ich dir, und noch verschiedene andere will ich zusammentreiben lassen; diese kannst du dann, sobald du reiten gelernt, verfolgen und mit Bogen und Wurfspieß erlegen, wie die großen Männer. Auch Knaben die mit dir spielen will ich dir schaffen: und was du sonst wünschest darfst du nur sagen, so wirst du es erhalten.« Nachdem Astyages dieß gesagt hatte, fragte die Mutter den Kyrus, ob er bleiben oder heimkehren wolle? Kyrus war nicht im Mindesten unschlüssig, sondern erklärte schnell, er wolle bleiben. Als ihn die Mutter nach dem Grund fragte erwiderte er: »Zu Haus, liebe Mutter, bin ich unter meinen Kameraden im Bogenschießen und Wurfspießwerfen der Beste und gelte dafür; hier aber stehe ich den Kameraden im Reiten nach, wie ich nur zu gut weiß; und ich muß dir gestehen, liebe Mutter, daß mich Dieß sehr kränkt. Wenn du mich aber hier lässest, und ich reiten gelernt habe, so hoffe ich dir, wenn ich unter den Persern bin, jene im Fußdienst Geübten leicht zu übertreffen; und wenn ich hieher zu den Medern komme, so will ich es versuchen meinem Großvater, unter seinen guten Reitern der Beste, Hülfe zu leisten.« Darauf sagte die 28 Mutter: »aber, mein Sohn, wie wirst du hier Gerechtigkeit lernen, da deine Lehrer dort sind?« Kyrus antwortete: »liebe Mutter, diese verstehe ich schon aus dem Grunde.« – »Wie kannst du das wissen?« fragte Mandane. – »Weil mich der Lehrer als einen in der Gerechtigkeit gut Bewanderten schon zum Richter über Andere aufstellte. Nur wegen Eines Richterspruchs bekam ich einmal Schläge, weil ich nicht recht entschieden haben sollte. Der Fall war dieser. Ein großer Knabe, der ein kurzes Unterkleid hatte, zog einem andern kleinen Knaben, der ein langes Unterkleid hatte, dieses aus und gab ihm dafür das seinige; das lange Unterkleid von Jenem aber zog er selbst an. Da ich nun Diesem Recht zu sprechen hatte, so war ich der Meinung, es sei für Beide das Beste wenn Jeder das für ihn passende Unterkleid habe. Darüber gab mir dann der Lehrer Schläge und sagte: wenn ich über das Passende zu entscheiden habe, so sei dieß Verfahren ganz recht; wenn aber zu entscheiden sei Wem das Kleid gehöre, so komme in Betracht, Wer mit Recht im Besitze sei, Derjenige welcher es mit Gewalt genommen, oder Der welcher es sich machen ließ oder käuflich an sich brachte. Sodann sagte er, das Gesetzmäßige sei gerecht, das Widergesetzliche gewaltthätig. Der Richter müsse immer nach dem Gesetz sprechen. Auf diese Art, liebe Mutter, habe ich das Recht von Grund aus erlernt: sollte mir hie und da noch etwas fehlen, so kann mich dieß ja mein Großvater lehren.« – »Lieber Sohn,« erwiderte die Mutter, »nicht Dasselbe gilt bei deinem Großvater und bei den Persern für Recht. Dein Großvater hat sich zum unumschränkten Herrn aller Meder gemacht; bei den Persern aber gilt Gleichheit für Recht. Dein Vater ist der Erste, dessen ganzes Thun nichts als Vollziehung der Befehle des Staats ist; seine Einnahme besteht in dem was der Staat ihm ausgesetzt; das Maß ist ihm nicht durch das Begehren, sondern durch das Gesetz bestimmt. Nimm dich also wohl in Acht daß man dich nach deiner Rückkehr nicht halb todt schlagen muß, wenn du statt königlicher Grundsätze tyrannische gelernt hast, mit welchen der Glaube verbunden ist man müsse mehr als Alle haben.« – »Darüber sei ganz ruhig, liebe Mutter,« erwiderte Kyrus; »dein Vater 29 versteht sich besser darauf Einen Genügsamkeit mit Wenigem als hohe Ansprüche zu lehren. Siehst du denn nicht daß er auch alle Meder gelehrt hat weniger als er zu besitzen? Gewiß wird er mich so wenig als irgend einen Andern mit dem Grundsatz des Mehrhabenwollens aus seiner Schule entlassen.«

4.

Dergleichen schwatzte Kyrus viel; endlich reiste die Mutter ab, Kyrus aber blieb, und wurde daselbst erzogen. An seine Kameraden schloß er sich bald so fest an daß sie ganz vertraut mit einander wurden. Auch ihre Väter hatte er bald an sich gefesselt, indem er sie besuchte und die Liebe zu ihren Söhnen offen an den Tag legte; so daß sie, wenn sie eine Bitte an den König hatten, ihren Söhnen auftrugen den Kyrus um Auswirkung derselben zu ersuchen. Kyrus aber machte es sich, vermöge seiner Menschenfreundlichkeit und Ehrliebe, zur wichtigsten Angelegenheit Alles um was ihn die Knaben baten auszuwirken; und Astyages konnte dem Kyrus keine Bitte abschlagen. Denn z. B. als er krank war, verließ Kyrus seinen Großvater keinen Augenblick und zerfloß in Thränen; und man konnte wohl sehen, wie ängstlich er fürchtete, der Großvater möchte ihm sterben. Wenn aber Astyages bei Nacht Etwas wünschte, so war Kyrus der Erste der es merkte; er lief am schnellsten herbei, um ihm jeden gedenkbaren Dienst zu leisten. Und dadurch gewann er die Gunst des Astyages vollkommen.

Kyrus war vielleicht etwas zu geschwätzig, theils in Folge seiner Erziehung, weil ihn der Lehrer anhielt über das was er that Rechenschaft zu geben, und wenn er Recht sprach, sich von Andern geben zu lassen; theils war es Folge seiner Wißbegierde, indem er die Anwesenden unaufhörlich fragte, wie es sich mit Diesem oder Jenem verhalte. Auf Fragen die man an ihn machte gab er, vermöge seines Scharfsinns, schnelle Antwort. Dieß Alles wirkte zusammen um ihn geschwätzig zu machen. Aber wie man dem Körper von Jünglingen die schnell groß geworden doch noch das Jugendliche ansieht, das die Minderjährigkeit verräth, so leuchtete auch bei Kyrus aus seiner Geschwätzigkeit nicht Dreistigkeit, sondern eine gewisse kindliche Einfachheit 30 und Freundlichkeit hervor. Daher man ihn immer lieber noch weiter sprechen hörte als schweigend sah.

Als er aber mit zunehmender Größe dem Jünglingsalter nahe rückte, so wurde er in seinen Reden kürzer, in seiner Stimme ruhiger. Er wurde voll Bescheidenheit, so daß er sogar erröthete wenn er mit Aelteren zusammentraf. Das hündische Wesen, auf Alle ohne Unterschied zuzugehen, verlor sich allmählich. So war er nun zwar ruhiger, aber in Gesellschaft äußerst liebenswürdig. Bei Wettkämpfen z. B., welche Kameraden oft mit einander anstellen, forderte er seine Gespielen nie in den Uebungen in denen er sich stärker wußte heraus; sondern er fieng solche an in denen er sich seiner Schwäche wohl bewußt war, und sagte dabei, er wolle es besser machen als sie. Noch ehe er fest im Sattel saß begann er bereits Pferde zu besteigen, um zu Pferd mit dem Wurfspieß oder Bogen zu schießen. Wurde er besiegt, so lachte er sich selbst am meisten aus. Weil er sich aber durch das Besiegtwerden die Uebungen in denen er besiegt wurde nicht entleiden ließ, vielmehr die Versuche es besser zu machen immer wiederholte, so that er es seinen Kameraden im Reiten bald gleich, ja, weil er die Sache mit Liebe betrieb, in Kurzem sogar zuvor; auch hatte er die Thiere in dem Thiergarten durch Verfolgen, Schießen und Erlegen bald ausgeräumt, so daß Astyages keine mehr für ihn herbeitreiben lassen konnte. Als nun Kyrus sah daß er ihm mit dem besten Willen keine lebendige Thiere mehr herbeischaffen konnte sagte er zu ihm: »lieber Großvater, was sollst du dir mit dem Aufsuchen der Thiere viele Mühe machen? Wenn du mich mit dem Oheim auf die Jagd schickst, so will ich glauben, alle Thiere die ich erblicke werden für mich gehalten.« Aber unerachtet seines großen Verlangens auf die Jagd zu ziehen konnte er doch nicht mehr so inständig bitten wie als Knabe, sondern er nahte sich ihm etwas schüchterner. Und den Dienst des Sakas, dem er früher den Vorwurf gemacht daß er ihn nicht zu dem Großvater lasse, verrichtete er nun gegen sich selbst. Denn er gieng nie zu ihm, wenn er nicht voraus wußte daß es gelegene Zeit sei; und den Sakas bat er, 31 ihm durchaus zu sagen, wenn er gelegen oder ungelegen komme; daher liebte ihn auch Sakas, wie alle Andern, über die Maßen.

Als Astyages seinen großen Drang nach einer Jagd im Freien wahrnahm, so ließ er ihn mit dem Oheim ausziehen, und gab ihm ältere Aufseher zu Pferde mit, um ihn vor Unwegen und wilden Thieren zu bewahren. Kyrus aber erkundigte sich bei seinen Begleitern angelegentlich, welchen Thieren man sich nicht nähern, und welche man kecklich verfolgen dürfe. Diese sagten: Bären, Löwen, wilde Schweine und Parder haben schon Manchen der sich ihnen genaht zerrissen: Hirsche aber, Gazellen, wilde Schafe und wilde Esel sind unschädlich. Sie sagten ihm ferner, vor Unwegen müsse er sich ebenso in Acht nehmen wie vor den Thieren: denn schon oft sei Roß und Mann in Abgründe gestürzt. Kyrus hörte diese Lehren alle mit Begierde an; als er aber einen Hirsch aufspringen sah vergaß er Alles was er gehört, setzte ihm nach, und sah gar nichts mehr als wohin er floh. Sein Pferd fiel bei einem Sprung den es machte auf die Kniee; und wenig fehlte, so hätte es ihn abgeworfen. Indeß blieb er mit Mühe sitzen, und das Pferd stand wieder auf. Als er aber das freie Feld erreichte erlegte er den Hirsch mit dem Wurfspieß, ein schönes und großes Stück. Kaum wußte er sich jetzt vor Freude zu fassen; die Aufseher aber sprengten herbei, schalten ihn, stellten ihm vor, in welche Gefahr er sich begeben habe, und sagten, sie wollten ihn beim Großvater verklagen. Kyrus war abgestiegen und hörte dieß mit Mißmuth an; als er aber ein Geschrei vernahm schwang er sich auf sein Pferd, wie begeistert, und da er einen Eber gerade auf sich losstürzen sah sprengt er auf ihn los, zielt glücklich, trifft ihn auf die Stirne, und erlegt ihn. Bei'm Anblick dieser Keckheit schalt ihn nun auch der Oheim. Dessen ungeachtet aber bat ihn Kyrus, ihm zu gestatten das was er bekommen dem Großvater nach Hause zu bringen. Der Oheim antwortete: »wenn aber der Großvater von deinem kecken Nachsetzen hört, so wird er nicht allein dir Vorwürfe machen, sondern auch mir, weil ich es zuließ.« – »Wenn er will mag er mich geißeln,« erwiderte Kyrus, »wenn ich es ihm nur gegeben habe. Und wenn du, lieber Oheim, Lust hast, 32 so strafe mich ab; nur thue mir diesen Gefallen.« Zuletzt sagte Kyaxares: »thue was du willst: du bist einmal, wie es scheint, gegenwärtig unser König.« So brachte denn Kyrus die Thiere dem Großvater heim und sagte, diese habe er selbst für ihn gejagt. Die Wurfspieße zeigte er zwar nicht, stellte sie aber, mit Blut befleckt, an einen Ort wo er glaubte der Großvater werde sie sehen. Astyages erwiderte: »ich nehme zwar deine Gaben recht gerne an, mein Sohn: doch bedarf ich ihrer nicht so nothwendig daß du dich deßwegen in Gefahr zu begeben brauchst.« Kyrus antwortete: »lieber Großvater, wenn du ihrer nicht bedarfst, so bitte ich dich, überlasse sie mir, damit ich sie unter meine Kameraden austheile.« – »Ja wohl, lieber Sohn,« sagte Astyages, »du kannst nicht nur diese, sondern auch von den andern, so viel du willst, haben und austheilen an wen dir's beliebt.« Kyrus nahm sie, gab sie den Knaben und sprach:

»Knaben, was war das doch für ein Kinderspiel, so lange wir in dem Thiergarten jagten. Es kommt mir gerade vor, als ob man gefesselte Thiere jagte. Denn erstens waren sie in einem kleinen Raum; sodann waren sie klein, hager und schäbig; das eine war lahm, das andere verstümmelt. Wie schön, wie groß, wie fett erschienen dagegen die Thiere auf den Bergen und Fluren. Die Hirsche sprangen wie beflügelt himmelwärts; die wilden Schweine rannten heran, wie man uns von tapfern Männern sagt, und bei ihrer breiten Gestalt war es nicht möglich sie zu verfehlen. Selbst todt erscheinen mir diese schöner als jene eingezäunten lebendig. Würden wohl auch euch eure Väter auf die Jagd lassen?« – »Recht gerne,« war die Antwort, »wenn Astyages es befehlen würde.« – »Wer könnte nun wohl dieß bei Astyages für uns anbringen?« fragte Kyrus. – »Wer könnte ihn dazu besser bereden als du?« – »Nein, beim Zeus,« erwiderte Kyrus; »ich weiß gar nicht, was für ein Mensch aus mir geworden ist. Denn es ist mir nicht mehr möglich mit meinem Großvater zu reden, oder ihm gerade in's Gesicht zu sehen. Wenn ich so fortfahre, so fürchte ich noch ein vollkommener Tölpel und Schwachkopf zu werden. Galt ich doch als Kind für einen so gewaltigen Schwätzer.« Darauf sagten die 33 Knaben: »das ist doch schlimm, wenn du nicht einmal für uns eine Bitte auswirken kannst, sondern wir um Das was du thun könntest einen Andern ersuchen müssen.« Diese Rede gieng dem Kyrus zu Herzen; schweigend entfernte er sich, sprach sich selbst Muth ein und gieng hinein, nachdem er berathschlagt hatte, wie er es beim Großvater am angenehmsten anbringen und für sich und die Knaben die Bitte auswirken könnte. Er fieng daher folgendermaßen an:

»Sage mir einmal, lieber Großvater: wenn dir Einer deiner Diener entläuft und du bekommst ihn wieder, was fängst du mit ihm an?« – »Ich lasse ihm Bande anlegen und ihn zur Arbeit zwingen.« – »Wenn er aber von freien Stücken wieder kommt, was thust du ihm dann?« – »Ich lasse ihn durchpeitschen, damit ihm dergleichen Einfälle für die Zukunft vergehen, und gebrauche ihn dann wieder nach wie vor.« – »Da ist es,« sagte Kyrus, »eben die rechte Zeit Anstalt zu machen mich geißeln zu lassen; denn ich gehe mit dem Plan um, dir zu entfliehen und meine Kameraden auf die Jagd mitzunehmen.« – »Du hast wohl daran gethan,« erwiderte Astyages, »dieß voraus zu sagen; ich sage dir nun, du darfst das Haus nicht verlassen. Das wäre doch schön, wenn ich wegen einiger elenden Stückchen Fleisch meine Tochter um ihren Sohn brächte.« Als Kyrus dieß hörte gehorchte er und blieb; aber verdrossen und verstimmt verhielt er sich schweigend. Als nun Astyages seine tiefe Betrübniß bemerkte wollte er ihm eine Freude machen und führte ihn auf die Jagd; er versammelte eine bedeutende Mannschaft zu Fuß und zu Pferde, nahm auch die Knaben mit, ließ das Wild auf Plätze treiben wo man reiten konnte, und veranstaltete ein großes Jagen. Er erschien dabei in eigener Person mit königlichem Glanz und gab Befehl, bevor Kyrus sich satt gejagt habe sollte Niemand etwas schießen. Kyrus aber ließ dieß nicht zu, sondern sagte: »Großvater, wenn du willst daß die Jagd mir Vergnügen machen soll, so erlaube daß alle meine Kameraden in die Wette, so gut es Jeder kann, nachsetzen dürfen.« Astyages gestattete dieß, und sah zu, wie sie den Kampf mit den Thieren bestanden und im Nachsetzen und Schießen mit einander wetteiferten. Besonders freute er sich über 34 Kyrus, welcher vor Freude nicht mehr zu schweigen wußte, sondern wie ein edler Hund aufschrie, so oft er einem Thier sich näherte, und Jedem mit Namen zurief. Mit Vergnügen sah er wie er über den Einen lachte, einen Andern ohne allen Neid belobte. Endlich zog Astyages mit einer starken Ausbeute nach Haus. Er erinnerte sich in der Folge mit solchem Vergnügen an diese Jagd daß er immer, so oft es möglich war, mit Kyrus auf die Jagd zog, und viele Andere, nebst den Knaben, dem Kyrus zulieb mitnahm. Auf diese Art füllte Kyrus den größten Theil seiner Zeit aus; Allen verursachte er Vergnügen und Annehmlichkeit, Niemanden eine Unannehmlichkeit.

Als er etwa fünfzehn bis sechszehn Jahre alt war trug sich's gerade um diese Zeit zu daß der Sohn des Königs von Assyrien, der im Begriff war sich zu vermählen, Lust bekam in eigener Person das zum Hochzeitfest erforderliche Wildpret zu erlegen. Da er nun hörte daß es auf der Grenze zwischen Assyrien und Medien viel Wild gebe, weil hier wegen des Kriegs lange nicht gejagt worden war, so wünschte er dahin zu ziehen. Zu seiner Sicherheit nahm er eine beträchtliche Anzahl Reiter und Peltasten mit, die ihm das Wild aus dem Dickicht auf das bebaute und ebene Land treiben sollten. Nachdem er bei den assyrischen Festungen und Grenzposten angekommen war ließ er hier eine Mahlzeit bereiten, um den andern Morgen in aller Frühe die Jagd zu beginnen. Es war bereits Abend, als die zur Ablösung der früheren Besatzung bestimmte Mannschaft zu Fuß und zu Pferd aus der Hauptstadt nachrückte. Nun glaubte er eine starke Macht beisammen zu haben (denn es waren zwei Besatzungen beisammen, und er selbst hatte eine beträchtliche Anzahl Reiter und Fußvolk mitgebracht); er hielt es daher für's Beste einen Streifzug in's Medische Gebiet zu machen. Die Jagd, meinte er, würde dadurch an Glanz bedeutend gewinnen und eine reiche Zahl von Schlachtvieh die Ausbeute sein. Hierauf rückte er mit seinem Heere in der Frühe aus; das sämmtliche Fußvolk ließ er auf den Grenzen; er selbst begab sich mit dem besten und größten Theil der Reiterei vor die Medischen Grenzfestungen und blieb hier stehen, um die Medische Besatzung zu hindern einen Ausfall auf die 35 Freibeuter zu machen. Dann schickte er die geeigneten Leute abtheilungsweise nach verschiedenen Richtungen in das Land aus, mit dem Befehl Alles auf was sie stoßen würden wegzunehmen und zu ihm zu bringen; und so machten sie es auch.

Als nun Astyages die Nachricht erhielt daß Feinde im Lande seien zog er in eigener Person nebst seiner Umgebung an die Grenzen, deßgleichen sein Sohn mit der gerade vorhandenen Reiterei; und an alle Andern erließ er ein Aufgebot sich einzufinden. Als sie aber ein starkes assyrisches Heer in Schlachtordnung gestellt und die Reiter ruhig stehen sahen, so machten auch die Meder Halt. Da nun Kyrus sah wie alles übrige Volk in Masse ausrückte, so zog er auch mit, jetzt zum Erstenmal in Waffen, ein Glück an das er noch nicht so bald gedacht hatte: so groß war sein Verlangen sie anzulegen. Der Großvater hatte sie ihm auf den Leib machen lassen, und sie waren sehr schön und passend. So ausgerüstet riet er heran. Als ihn Astyages erblickte war er verwundert, wer ihn habe kommen heißen; doch sagte er ihm, er dürfe bei ihm bleiben. Beim Anblick der vielen gegenüberstehenden Reiter fragte Kyrus: »Großvater, sind die Leute die so ruhig auf ihren Pferden sitzen Feinde?« – »O ja,« war die Antwort. »Auch Jene welche dort herumreiten?« – »Allerdings.« – »Bei Gott, Großvater,« sprach Kyrus, »sie sehen doch in der That so elend aus und reiten auf so schlechten Pferdchen; und diese Leute plündern unser Land. Es sollten wohl Einige von uns auf sie lossprengen.« – »Siehst du denn nicht, lieber Sohn,« erwiderte er, »wie groß die Masse der aufgestellten Reiter ist? Gehen wir auf Jene los, so werden uns Diese abschneiden. Unsere Macht ist noch nicht beisammen.« – »Aber wenn du bleibst,« sagte Kyrus, »und weitere Verstärkung an dich ziehst, so werden Diese sich fürchten und sich nicht rühren: Jene aber werden ihre Beute schnell fahren lassen, wenn sie sehen daß man auf sie losgeht.«

Diese Rede gefiel dem Astyages. Voll Verwunderung über seine Klugheit und Aufmerksamkeit gab er seinem Sohn Befehl mit einer Abtheilung Reiter auf die Beutemachenden loszusprengen. »Ich,« 36 sagte er, »will auf Diese hier losgehen, so wie sie eine Bewegung gegen dich machen, damit sie genöthigt werden auf uns ihre Aufmerksamkeit zu richten.« Kyaxares rückte nun mit einer Abtheilung der kräftigsten Pferde und Reiter vor. Als sie Kyrus sich in Bewegung setzen sah war er sogleich auch dabei; schnell war er an der Spitze des Zuges, und Kyaxares mit den Andern folgte nach. Nun ließen die Plünderer, als sie sie anrücken sahen, ihre Beute augenblicklich fahren und flohen davon. Kyrus aber mit seinen Leuten suchte sie abzuschneiden; und Diejenigen welche sie bekamen hieben sie auf der Stelle nieder, wobei Kyrus den Anfang machte; Denen aber welche ihnen noch vorher entkommen waren setzten sie nach und ließen nicht ab bis sie Einige von ihnen gefangen hatten. Und wie ein edler Hund der noch nicht abgerichtet ist unvorsichtig auf den Eber losgeht, so gieng auch Kyrus auf sie los, auf nichts bedacht als die Gefangenen nieder zu machen. Als die Feinde die Ihrigen in Noth erblickten setzten sie die Masse in Bewegung, in der Hoffnung, wenn sie ihren Anzug bemerkten, würden sie von der Verfolgung abstehen. Kyrus aber ließ sich dadurch nicht schrecken; voll Jubels rief er dem Oheim zu, setzte nach und brachte die Feinde durch sein gewaltiges Eindringen zu einer allgemeinen Flucht. Kyaxares rückte nach, vielleicht auch aus Schaam vor seinem Vater; auch die Andern folgten, indem in einem solchen Falle auch Die welche sonst dem Feinde gegenüber nicht eben die Tapfersten waren mehr Muth hatten. Als aber Astyages sah wie seine Leute unbedachtsam nachsetzten, die Feinde aber mit gesammter Macht in Reih und Glied vorrückten, so fürchtete er für seinen Sohn und für Kyrus, es möchte ihnen, wenn sie sich ohne Ordnung auf die Gerüsteten stürzen, übel ergehen, und zog daher augenblicklich gegen die Feinde aus. Diese aber stellten sich, als sie die Meder vorrücken sahen, mit vorgehaltenen Spießen und gespanntem Bogen auf, in der Hoffnung sie würden, wenn sie in die Schußweite gekommen waren, nach ihrer Gewohnheit Halt machen. Denn mehr als so weit näherten sie sich einander nie; und so neckten sie sich oft bis an den Abend. Als sie aber sahen daß ihre Leute zu ihnen zurückfliehen und daß von der einen 37 Seite Kyrus auf sie anrücke, von der andern Astyages mit der Reiterei auf die Entfernung eines Pfeilschusses angesprengt sei, so kehrten sie den Rücken und flohen. Die Meder setzten ihnen auf dem Fuße nach und fiengen Viele; was gefangen wurde oder niederfiel wurde niedergemacht, Mann und Roß. Und sie machten nicht eher Halt als bis sie das Fußvolk der Assyrer erreicht hatten. Hier aber fürchteten sie einen größeren Hinterhalt und machten daher Halt. Hierauf zog sich Astyages zurück, sehr erfreut über den Sieg der Reiterei. Was er zu Kyrus sagen sollte wußte er nicht; denn ihm hatte man das Ganze zu danken; aber er hatte sich auch als einen tollkühnen Wagehals gezeigt. Denn als die Andern bereits abzogen riet er allein noch herum und betrachtete die Gefallenen. Kaum konnten ihn Einige, die dazu Auftrag hatten, davon losreißen und zu Astyages führen. Er aber versteckte sich hinter seinen Führer, weil er sah daß der Großvater ein böses Gesicht über sein Beschauen der Gefallenen mache.

Dieß geschah in Medien; Alles führte den Kyrus im Munde; er war der Gegenstand aller Gespräche und Lieder. Astyages, der ihn schon vorher ehrte, war durch ihn nun ganz begeistert. Auch sein Vater Kambyses wurde durch diese Nachrichten erfreut. Als er aber hörte daß Kyrus schon Mannesthaten verrichte rief er ihn zurück, damit er die nach Persischer Landessitte ihm obliegenden Pflichten erfülle. Kyrus erklärte sich zur Abreise sogleich bereit, um sich nicht den Unwillen seines Vaters und die Unzufriedenheit des Staates zuzuziehen. Auch dem Astyages schien es nothwendig ihn jetzt zu entlassen. Da schenkte er ihm, weil er ihn liebte und große Hoffnungen von ihm hatte daß er dereinst den Freunden zur Stütze, den Feinden zum Schrecken werden werde, die Pferde welche er wünschte, und gab ihm noch verschiedenes Andere mit. Alles, Knaben, Jünglinge seines Alters, Männer und Greise, begleiteten den Kyrus zu Pferde; auch Astyages selbst; und Keiner soll mit trockenen Augen von ihm geschieden sein. Auch Kyrus selbst trennte sich unter vielen Thränen. Unter seine Kameraden theilte er viele Geschenke aus, von Dem was ihm Astyages gegeben hatte. Zuletzt zog er auch das Medische Kleid das 38 er anhatte aus und gab es Einem dem er zeigen wollte daß er ihn am meisten liebe. Diejenigen welche die Geschenke empfangen und angenommen hatten gaben sie wieder an Astyages ab, und Astyages sandte sie dem Kyrus zurück. Kyrus aber schickte sie wieder nach Medien mit der Bitte: »Großvater, wenn du willst daß ich wieder zu dir ohne Schaam komme, so laß Jeden was ich ihm gegeben behalten.« Astyages erfüllte diesen Wunsch des Kyrus.

Auch noch einer possierlichen Geschichte will ich erwähnen. Man erzählt sich, bei der Trennung hätten den Kyrus seine Verwandten der noch jetzt in Persien bestehenden Sitte gemäß geküßt. Ein Meder, ein sehr wackerer Mann, stand lange Zeit ganz hingerissen von der Schönheit des Kyrus. Als er aber sah wie die Verwandten ihn küßten blieb er zurück. Sobald aber die Andern sich entfernt hatten trat er zu Kyrus, und sagte: »lieber Kyrus, erkennst du mich allein nicht als deinen Verwandten an?« – »Wie?« erwiderte Kyrus, »bist denn auch du mit mir verwandt?« – »Allerdings.« – »Also sahst du mich wohl deßwegen so an? denn ich glaube das oft an dir bemerkt zu haben.« – »Gott weiß, wie oft ich dir nahen wollte; aber immer hielt mich die Scheu zurück.« – »Das hättest du nicht thun sollen,« sagte Kyrus, »zumal da du ein Verwandter zu mir bist;« und mit diesen Worten gieng er auf ihn zu und küßte ihn. Darauf fragte der Meder; »herrscht auch in Persien die Sitte die Verwandten zu küssen?« – »Allerdings, wenn sie einander nach einiger Zeit wieder sehen, oder von einander scheiden.« – »Da wäre es also Zeit,« sagte der Meder, »daß du mich wieder küßtest; denn wie du siehst reise ich jetzt ab.« Nun entließ ihn Kyrus mit einem zweiten Kuß und reiste ab. Aber kaum hatte er eine Strecke Wegs zurückgelegt, so kam der Meder wieder auf schwitzendem Pferde herbei. Als ihn Kyrus erblickte sagte er: »du hast wohl etwas vergessen das du mir sagen wolltest?« – »O nein, ich komme nur nach einiger Zeit wieder zu dir.« – »Die ist aber fürwahr sehr kurz, lieber Vetter,« erwiderte Kyrus. – »Wie? kurz?« sagte der Meder: »weißt du nicht daß mir sogar ein Augenblick ungeheuer lang erscheint, wenn ich dein holdes Wesen nicht sehe?« – Da 39 verwandelten sich des Kyrus Thränen in Lachen, und er gab ihm den Trost auf den Weg mit daß er nach kurzer Zeit wieder zu ihnen kommen wolle; »dann kannst du mich, wenn du willst, mit unverwandtem Blicke sehen.«

5.

So begab sich Kyrus nach Persien zurück und blieb daselbst noch ein Jahr in der Abtheilung der Knaben. Diese verspotteten ihn Anfangs, als habe er sich in Medien an ein wollüstiges Leben gewöhnt. Da sie aber sahen daß ihm Essen und Trinken so gut wie ihnen schmecke, und daß er, wenn man hie und da an einem Feste etwas besser aß, von seinem Theil eher noch hergab als mehr verlangte, daß er außerdem auch in allem Anderen sich vor ihnen auszeichnete, so beugten sie sich wieder unter ihn. Nachdem er diese Schule durchgemacht hatte trat er unter die Jünglinge ein und zeichnete sich auch unter diesen durch Aufmerksamkeit auf seine Pflichten, durch Ausdauer im Dienste, durch Ehrerbietung gegen die Aelteren und durch Gehorsam gegen die Vorgesetzten aus.

Im Verlauf der Zeit starb Astyages in Medien, und Kyaxares, des Astyages Sohn und Bruder von Kyrus' Mutter, bestieg den Medischen Thron. Zu gleicher Zeit kam der König von Assyrien, welcher die gesammten Syrer, einen bedeutenden Volksstamm, unterjocht, den König der Araber sich unterworfen, die Hyrkanier bereits unter seinem Scepter hatte, und mit den Baktriern im Kriege war, auf den Gedanken, wenn er die Meder schwächen würde, so würde ihm Niemand die Herrschaft über alle umliegenden Völker streitig machen. Die Meder galten nämlich damals für das mächtigste unter den umliegenden Völkern. Er schickte daher Gesandte an alle seine Untergebenen, an Krösus, König der Lydier, an den König der Kappadokier, an beide Phrygier, an die Karier, Paphlagonier, Indier, Kilikier, streute Verleumdungen über die Meder und Perser aus, und stellte ihnen vor, wie groß und mächtig diese Völker seien, daß sie sich mit einander verbündet und wechselseitige Heirathen geschlossen hätten, und daß, wenn man ihnen nicht zuvorkomme und ihre Macht schwäche, zu fürchten sei sie möchten ein Volk nach dem andern angreifen und unterjochen. Wirklich ließen 40 sie sich auch, die Einen durch diese Vorstellungen, die Andern durch Geschenke in Geld (denn auch daran ließ er es nicht fehlen), zu einem Bündniß bewegen. Als Kyaxares, der Sohn des Astyages, von diesen hinterlistigen Planen und den ihm geltenden Zurüstungen hörte machte er ebenfalls eiligst alle möglichen Gegenrüstungen und schickte Gesandte nach Persien, sowohl an das Volk als an Kambyses, den König, seinen Schwager. Auch den Kyrus ließ er bitten, er möchte suchen den Oberbefehl über die Krieger welche das Persische Volk ihm etwa schicken würde zu erhalten, um mit ihnen zu ihm zu stoßen. Kyrus war nämlich, nachdem er seine zehn Jahre unter den Jünglingen verlebt hatte, bereits unter den Männern. Kyrus nahm den Antrag an, und der Rath der Homotimen wählte ihn zum Anführer der nach Medien bestimmten Hülfsvölker. Sie erlaubten ihm sich zweihundert aus der Mitte der Edeln zu wählen. Von diesen zweihunderten durfte sich wieder Jeder vier, ebenfalls aus der Zahl der Edeln, aussuchen. Dieß machte Tausend. Von diesen Tausend sollte sich Jeder zehn Peltasten, zehn Schleuderer und zehn Bogenschützen aus dem gemeinen Volk der Perser wählen. So belief sich die Zahl auf zehntausend Bogenschützen, zehntausend Peltasten und zehntausend Schleuderer: dazu kamen noch die erstgenannten Tausend. Dieses Heer wurde dem Kyrus übergeben. Die erste Handlung nach seiner Ernennung war die Verehrung der Götter, und als ihm aus den Opfern günstige Vorzeichen geworden waren, so schritt er zu der Wahl seiner Zweihundert. Nachdem auch Diese, Jeder seine vier, gewählt hatten, versammelte er sie, und hielt zum Erstenmal folgende Rede an sie:

»Liebe Männer, ich habe euch gewählt, nicht als hätte ich euch jetzt erst als tüchtig erkannt, sondern weil ich sah wie ihr von Kindheit an Alles was der Staat für schön hält mit Freuden gethan, alles Schändliche streng vermieden habt. Warum ich aber diese Würde nicht ungern übernommen und euch hieher berufen habe, das will ich euch eröffnen. Ich habe die Bemerkung gemacht daß unsere Vorfahren uns in keinem Stücke nachstanden: übten ja auch sie Alles was zu einem braven Manne gehört unabläßig; daß sie aber damit dem 41 Gemeinwesen der Perser oder sich einen Vortheil erworben hätten, davon finde ich nirgends eine Spur. Und doch bin ich der Meinung, es könne nicht Zweck bei Ausübung irgend einer Tugend sein daß der Wackere gar keinen Vortheil vor dem Schlechten haben soll; sondern wer sich das Vergnügen des Augenblicks versagt thut das nicht um nimmer froh zu werden, sondern diese Enthaltsamkeit soll nur das Mittel zu höherer Freude in der Zukunft werden. Wer sich zu einem guten Redner bilden will übt sich nicht deßwegen um ohne Aufhören schönzureden, sondern in der Hoffnung durch Beredsamkeit dereinst viele Menschen zu mancher großen That zu bestimmen. Wer kriegerische Uebungen vornimmt thut dieß nicht um unaufhörlich zu kämpfen, sondern auch er lebt der Hoffnung als guter Krieger dereinst sich und dem Staat Reichthum, Glück und Ehre zu erwerben. Sollten aber Einige welche diesen Uebungen sich unterzogen haben sich von der Altersschwäche überfallen lassen, bevor sie irgend einen Nutzen davon erlangt, Die scheinen mir es gerade so zu machen wie wenn Einer der sich zu einem guten Landmann zu bilden strebt gut säete und pflanzte, wenn es aber zum Ernten kommt den Ertrag nicht einsammelte, sondern wieder in die Erde fallen ließe. Eben so würde ein Kämpfer der nach vieler Anstrengung sich des Sieges würdig gemacht, aber nie einen Kampf wagte, dem Vorwurfe der Thorheit nicht leicht entgehen können. Uns, Männer, soll es nicht so ergehen; vielmehr wollen wir, im Bewußtsein von Kindheit an alles Schöne und Gute geübt zu haben, auf die Feinde losgehen, von denen ich aus eigener Anschauung weiß daß sie im Kampfe mit uns als Schwächlinge erscheinen müssen. Denn der ist noch lange kein tüchtiger Kämpfer der gut mit dem Bogen schießen, Wurfspieße werfen und reiten kann, wenn es aber an die Anstrengungen kommt, hier es fehlen läßt; ein Solcher ist in Rücksicht auf Anstrengungen ein Schwächling: ebenso ist Der welcher da wo man wachen soll dem Schlaf unterliegt in Beziehung auf den Schlaf ein Schwächling. Und Wer auch in diesem Allem stark ist, aber nicht weiß wie man mit Bundesgenossen und Feinden umgehen muß, auch der verräth daß ihm die wichtigsten Kenntnisse abgehen. Ihr aber seid 42 mit der Nacht so vertraut wie Andere mit dem Tag: Anstrengungen sind euch nur die Führer zu einem angenehmen Leben; der Hunger gilt euch für's Zugemüse, das Wassertrinken könnt ihr besser als die Löwen ertragen. Aber den allerschönsten und zum Kriege tauglichsten Schatz habt ihr in eurer Seele niedergelegt: Lob macht euch mehr Freude als Alles. Wer aber das Lob liebt, der muß auch den Grund dazu erwerben und sich darum freudig allen Mühseligkeiten und Gefahren unterziehen. Sollte ich dieses gegen meine eigene Einsicht von euch sagen, so täusche ich mich selbst; denn wenn der Erfolg hinter meinen Erwartungen von euch zurückbleibt, so fällt die Schuld auf mich. Aber meine Erfahrung, euer Wohlwollen gegen mich und die Thorheit der Feinde gibt mir das Vertrauen daß ich mich in diesen schönen Hoffnungen nicht täuschen werde; vielmehr wollen wir gutes Muthes ausziehen, da ja auch der Schein einer ungerechten Begierde nach fremdem Gut von uns entfernt ist. Denn wir sind in dem Falle daß die Feinde, die Feindseligkeiten anfangend, uns entgegenrücken, die Freunde aber uns zu Hülfe rufen. Was ist nun gerechter als Unrecht abzuwehren, was schöner als Freunden zu helfen? Auch Das wird euch nicht wenig ermuthigen daß ich vor dem Auszuge den Göttern die gebürende Ehre erwiesen habe. Denn aus langem Umgang mit mir wisset ihr daß ich nicht nur in wichtigen, sondern auch in unbedeutenden Dingen stets mit den Göttern den Anfang zu machen suche. Und nun, was brauche ich noch weiter zu sprechen? Wählt ihr eure Männer, nehmt sie zu euch, treffet die übrigen Anstalten, und ziehet zu den Medern. Ich will jetzt zu meinem Vater zurückkehren und dann vorausgehen, um mich in möglichster Bälde von der Lage der Feinde zu unterrichten, und nach Kräften das Meinige beizutragen daß wir mit Gottes Hülfe den Kampf glorreich bestehen.« Also thaten sie.

6.

Kyrus gieng nach Hause, betete zur vaterländischen HestiaDer Grieche trägt die Namen seiner Gottheiten auf die Persischen über: das göttliche Urfeuer das die Perser verehrten nennt er Hestia; den Ormuzd Zeus., 43 zum vaterländischen Zeus und zu den andern Göttern, und trat hierauf den Feldzug an. Sein Vater begleitete ihn. So wie sie aus dem Hause traten erschienen ihnen günstige Blitze und Donner. Ohne auf weitere Vorbedeutungen zu warten zogen sie fort, da die Zeichen des größten Gottes offenkundig waren.

Unterwegs begann der Vater folgende Rede an Kyrus: »Daß dich die Gnade und das Wohlwollen der Götter begleitet, mein Sohn, das zeigen Opfer und himmlische Zeichen; und du weißst es auch selbst; denn wohlbedacht ließ ich dir darin Unterricht geben, damit du nicht genöthigt wärest durch andere Ausleger den Rath der Götter dir deuten zu lassen, sondern das Sichtbare sehend und das Hörbare hörend ihn selbst erkennest, und nicht in die Gewalt der Wahrsager kommest, wenn sie dich betrügen wollen, indem sie Anderes vorgeben als Das was die Götter anzeigen; damit du ferner, wenn du einmal ohne Wahrsager bist, nicht in Verlegenheit kommest, wie die göttlichen Zeichen zu nehmen sind, sondern dem durch die Wahrsagerkunst erkannten göttlichen Rath Folge leistest.« Kyrus erwiderte: »ich mache es mir wirklich auch, mein Vater, deiner Rede gemäß, zur beständigen Sorge die Gnade der Götter zu erhalten, damit sie uns ferner Rath ertheilen. Denn ich erinnere mich einst von dir gehört zu haben daß bei den Göttern wie bei den Menschen Derjenige billigerweise mehr erlangt der nicht dann erst schmeichelt wann er in Noth ist, sondern im höchsten Glücke der Götter am meisten gedenkt. Mit der gleichen Sorgfalt, sagtest du, müssen Freunde behandelt werden.« Darauf sagte Kambyses: »die Folge dieser deiner Sorgfalt, mein Sohn, wird sein daß du freudiger vor die Götter trittst, um zu bitten, und mehr Hoffnung auf Erfüllung deiner Bitten hast, weil du dir bewußt bist sie nicht vernachläßigt zu haben?« – »Allerdings, lieber Vater, ich stehe zu den Göttern in einem Verhältniß wie zu Freunden.« – »Nun denn,« sprach der Vater, »erinnerst du dich noch dessen worin wir einst übereinkamen, daß Die welche dasjenige kennen was die Götter verliehen haben glücklicher sind als Die welche es nicht kennen; daß Die welche arbeiten mehr ausrichten als Die welche unthätig sind; und daß Die welche aufmerksam 44 sind sicherer leben als die Unbekümmerten; und wie wir daraus schloßen daß erst Der welcher das was man von ihm fordern kann geleistet hat die Götter um Gutes bitten dürfe?« – »Ja wohl erinnere ich mich dessen,« sprach Kyrus: »deine Gründe waren ganz überzeugend. Ich weiß auch noch daß du hinzusetztest, daß es nicht einmal Recht sei die Götter zu bitten im Reitergefechte zu siegen, wenn man nicht reiten gelernt hat, oder ohne gelernt zu haben den Bogen zu führen, Diejenigen welche es verstehen zu besiegen, oder, wenn man das Steuerruder zu führen nicht versteht, die Schiffe glücklich zu leiten, oder ohne zu säen, reichlich zu ärnten, oder ohne im Kriege vorsichtig zu sein, gerettet zu werden. Denn das Alles sei gegen die göttlichen Gesetze: und Wer um Ungebürliches flehe, der, sagtest du, könne von den Göttern so wenig Gewährung seiner Bitte erwarten als die welche Ungesetzliches von Menschen erbitten. Das aber, mein Sohn, hast du vergessen, worüber wir einst gemeinschaftlich nachdachten, daß es ein schönes, eines Mannes würdiges Werk sei dafür zu sorgen daß er nicht nur als rechtschaffen anerkannt werde, sondern auch sammt seinen Hausgenossen die Lebensbedürfnisse in hinreichendem Maße besitze. Wenn aber schon dieß so hoch steht, so schien uns die Wissenschaft andern Menschen so vorzustehen daß sie alle Bedürfnisse im Ueberfluß haben und selbst ihre Bestimmung erfüllen, eine ganz bewundernswürdige zu sein.« – »Ja, beim Zeus, Vater,« erwiderte Kyrus, »ich erinnere mich auch darin mit dir übereingestimmt zu haben daß gut zu regieren etwas überaus Großes sei: und noch jetzt bin ich derselben Meinung, wenn ich über das Regieren an und für sich nachdenke. Wenn ich jedoch auf andere Menschen hinblicke und beobachte was das für Leute sind welche herrschen, und daß sie dennoch die Herrschaft behaupten, und mit was für Gegnern wir es zu thun haben werden, so scheint es mir schmachvoll zu sein sich vor solchen Leuten zu fürchten und nicht mit Freuden den Kampf mit ihnen zu bestehen. Denn wenn ich bei unsern Freunden hier anfange, so finde ich daß sie den Vorzug des Herrschers vor dem Beherrschten darein setzen daß er kostbarer esse, mehr Gold besitze, länger schlafe, und durchaus gemächlicher als die 45 Untergebenen lebe. Meine Meinung aber ist: nicht durch Unthätigkeit, sondern durch Vorsorge und Thätigkeit soll sich der Herrscher vor dem Beherrschten auszeichnen.« – »Aber, mein Sohn,« sagte Kambyses: »aber es gibt Fälle wo man nicht mit Menschen, sondern mit den Umständen selbst, über die man nicht so leicht Meister werden kann, einen Kampf zu bestehen hat. So weißt du z. B. daß es, wenn dein Heer keinen Unterhalt mehr hat, mit deinem Oberbefehl schnell ein Ende haben muß.« – »Damit, Vater, versprach Kyaxares die gesammte Macht die ich mitbringe zu versorgen.« – »Du verlässest dich also, mein Sohn, auf die Mittel des Kyaxares?« – »Ja.« – »Weißt du aber auch, wie weit diese reichen?« – »Nein, bei'm Zeus.« – »Und doch verlässest du dich auf dieses Ungewisse? – Ferner, siehst du nicht ein daß nicht bloß du einen großen Bedarf haben wirst, sondern daß auch sonst großer Aufwand zu machen ist?« – »Das sehe ich wohl ein.« – »Falls ihm aber die Mittel zum Aufwand ausgiengen oder er absichtlich einen Betrug spielen wollte, wie würde es dann mit deinem Heer stehen?« – »Offenbar gar nicht gut. Aber, lieber Vater, wenn du irgend eine Quelle die etwa auch ich eröffnen könnte weißst, so sage es, da wir noch auf heimischem Boden sind.« – »Du fragst mich, mein Sohn, wie du eine Quelle eröffnen könnest? Von Wem läßt sich dieß mehr erwarten als von Dem welcher über eine bewaffnete Macht zu befehlen hat? Du bringst eine Fußmacht mit, welche du gewiß mit keiner andern, ungleich zahlreichern, vertauschen würdest, und die beste Reiterei, die Medische, wird sich mit dir verbinden. Wird nicht da jedes der umliegenden Völker, theils aus Bestreben eure Gunst zu erwerben, theils aus Furcht zu euren Diensten stehen? Dieß mußt du gemeinschaftlich mit Kyaxares überlegen, damit euch die nothwendigen Mittel nie ausgehen; aber auch, um euch daran zu gewöhnen stets auf Quellen des Einkommens zu sinnen. Am allermeisten mußt du aber darauf bedacht sein mit der Anschaffung der Bedürfnisse nie so lange zu zögern bis die Noth treibt: sondern gerade im größten Ueberflusse mußt du darauf denken, ehe der Mangel eintritt. Denn Diejenigen an welche du dich wendest werden dir deine Bitte eher gewähren wann 46 sie dich nicht in der Noth sehen: und außerdem wirst du dir keine Vorwürfe von deinen Soldaten zuziehen. Auch bei Andern wirst du dadurch an Achtung gewinnen, und wenn du Diesen oder Jenen deine Macht lohnend oder strafend empfinden lassen willst, so werden die Soldaten dienstwilliger sein, so lange sie das was sie bedürfen empfangen. Bedenke auch wohl daß deine Reden mehr Nachdruck haben werden wenn du mit der That zeigen kannst daß Wohl oder Wehe in deiner Hand liege.« – Kyrus erwiderte: »neben manchen andern Gründen, mein Vater, gefällt mir dein Rath besonders darum wohl weil mir Keiner der Soldaten für das was ihnen jetzt zugesagt wird Dank sagen wird (denn sie kennen die Bedingungen unter denen Kyaxares sie zu Hülfe kommen läßt); was sie aber außer dem Versprochenen erhalten, das halten sie für Ehre und wissen dafür dem Geber den größten Dank. Wenn man aber im Besitz einer Macht ist, mit der man den Freunden nützen und damit sich selbst gegenseitigen Vortheil verschaffen und an den Feinden sich rächen kann, und sodann an der Herbeischaffung der Lebensmittel es fehlen läßt, ist das nicht eben so schmählich als wenn Einer Aecker und Arbeiter hat, mit denen er sie bebauen kann, und doch das Land unbebaut und somit ohne Ertrag liegen läßt? Daß nun ich es nie, weder in Freundes noch in Feindes Land, versäumen werde den Soldaten Lebensmittel anzuschaffen, davon darfst du überzeugt sein.«

»Nun, mein Sohn,« fuhr Kambyses fort, »erinnerst du dich nicht auch noch an andere Pflichten, deren Erfüllung uns einst als unerläßlich erschien?« – »Sollte ich mich denn nicht an die Zeit erinnern als ich zur Belohnung eines Mannes welcher sagte er habe mich die Feldherrnkunst gelehrt Geld bei dir holte? Während du es mir gabst fragtest du mich: »hat der Mann den du belohnen willst unter den Pflichten des Feldherrn auch der Haushaltungskunst erwähnt? Bedürfen doch die Soldaten der Lebensmittel eben so sehr als die Dienstboten in einem Hause. Als ich dir aber der Wahrheit gemäß sagte daß er dessen auch nicht entfernte Erwähnung gethan, so fragtest du mich wieder, ob er etwas von Erhaltung der Gesundheit und Stärke gesagt habe, indem 47 dieß eben so sehr als die Führung des Heers ein Gegenstand der Sorge des Feldherrn sei? Als ich auch darauf mit Nein antwortete fragtest du mich weiter, ob er mir einige Anleitung gegeben habe wie denn Bundesgenossen zu jedem Dienste des Krieges am besten gebildet werden können? Als ich auch dieß verneinte erkundigtest du dich, ob er mich etwa gelehrt habe, wie ich dem Heere Muth einflößen könne? indem du hinzusetztest, bei jedem Geschäft habe der Muth einen entschiedenen Vorzug vor der Muthlosigkeit. Als ich Dieses gleichfalls verneinte, so fragtest du, ob er mir einige Unterweisung darüber gegeben wie man ein Heer am besten im Gehorsam erhalten könne? Meiner Antwort zu Folge war auch hievon kein Wort vorgekommen. Nun fragtest du mich endlich, was denn die Gegenstände seines Unterrichts seien denen er den Namen der Feldherrnkunst gegeben habe? Ich antwortete: die Taktik. Da lachtest du und giengest mit mir Stück für Stück durch und setztest auseinander daß Taktik einem Heere nichts helfe ohne Lebensmittel, ohne Gesundheit, ohne Kenntniß der zum Behuf des Kriegs erfundenen Künste, ohne Gehorsam. Und nachdem du mir dargethan hattest daß die Taktik einen gar kleinen Theil der Feldherrnkunst bilde, und ich fragte, ob du mich in dem einen oder dem andern der genannten Stücke unterweisen könnest, so entließest du mich mit dem Rathe, ich solle mit Männern welche für gute Feldherren gelten reden und mich erkundigen, wie es sich mit jedem Einzelnen verhalte. Seitdem gieng ich mit Männern um, welche mir hierin als sehr einsichtsvoll geschildert wurden. In Rücksicht des Unterhaltes fand ich daß der von Kyaxares versprochene Vorrath hinreichend sei. In Betreff der Gesundheit aber bestimmte mich die fremde und eigene Erfahrung daß Städte welchen an der Gesundheit ihrer Bürger liegt Aerzte aufstellen, und daß Feldherren wegen der Soldaten Aerzte mit ins Feld nehmen, sobald ich zu dieser Würde gelangte, dieß zu meiner ersten Sorge zu machen. Und ich glaube, lieber Vater, Männer bei mir zu haben die in dieser Kunst ganz tüchtig sind.« Darauf erwiderte der Vater: »die Aerzte von denen du sprichst sind nur eine Art Ausbesserer zerrissener Kleider; sie heilen, wenn man krank ist. Dir aber liegt eine 48 höhere Sorge, die Sorge für die Gesundheit ob; denn du mußt dafür sorgen daß das Heer überhaupt nicht krank werde.« – »Und auf welchem Weg werde ich dieß erreichen können, mein Vater?« – »Wenn du, was doch wohl vorkömmt, längere Zeit auf einer und derselben Stelle bleiben willst, so mußt du vor Allem für ein gesundes Lager sorgen; und dieß kann dir nicht leicht fehlen, wenn dir daran gelegen ist; denn die Menschen sprechen ja unaufhörlich von ungesunden und gesunden Gegenden, und ein untrügliches Zeugniß für Beides gibt ihr Körper und ihre Farbe. Sodann aber ist es nicht genug blos die Gegenden ins Auge zu fassen, sondern du mußt dich auch der Art erinnern wie du für deine eigene Gesundheit sorgst.« Kyrus erwiderte: »hier ist die erste Regel, beim Zeus, sich vor Ueberfüllung zu hüten, denn das ist etwas Beschwerendes; sodann arbeite ich das Genossene hinaus; denn so, glaube ich, wird die Gesundheit dauerhafter, und man gewinnt an Kraft.« – »Auf gleiche Weise, mein Sohn,« sagte Kambyses, »mußt du auch für die Andern sorgen.« – »Werden aber auch die Soldaten, mein Vater, zu Leibesübungen Zeit haben?« – »Ja, fürwahr,« erwiderte der Vater, »nicht nur das, es ist sogar nothwendig; denn wenn ein Heer seine Pflicht erfüllen will, so darf es nie läßig werden den Feinden Unheil, sich Vortheil zu bereiten. Welche Last ist es auch nur Einen unthätigen Menschen zu ernähren! noch viel lästiger aber ist es ein ganzes Haus, und das Lästigste, ein unthätiges Heer zu unterhalten. Denn in einem Heere sind viele Esser, welche von sehr geringen Mitteln ausgehen und das was sie erhalten auf sehr verschwenderische Weise genießen; daher darf ein Heer nie unthätig sein.« – »Du willst wohl sagen, lieber Vater, daß ein unthätiger Feldherr eben so wenig als ein unthätiger Landmann etwas tauge. Bei einem thätigen Feldherrn aber stehe ich dafür daß er, wenn ihm nicht ein Gott im Wege steht, die Soldaten nicht nur mit allem Nöthigen versehen, sondern auch für ihr Wohlbefinden sorgen werde. Was aber die Vornahme der kriegerischen Uebungen betrifft, so glaube ich, dieser Zweck würde sich durch Ankündigung von Wettkämpfen und Aussetzung von Preisen am besten erreichen lassen, so daß Einem, auf den Fall 49 der Noth, Leute welche in Allem geübt sind zu Gebote stehen.« – »Gut gesagt, mein Sohn,« sprach der Vater; »wenn du dieß thust, so darfst du sicher hoffen, die Reihen deiner Soldaten werden, den Chören gleich, ihre Schuldigkeit gleichsam nach dem Takte thun.«

»Was aber die Ermuthigung der Soldaten betrifft,« sagte Kyrus, »so scheint mir hiezu das tauglichste Mittel wenn man den Menschen gute Hoffnungen einflößen kann.« – »Allerdings,« erwiderte der Vater; »aber es verhält sich damit ebenso als wenn Einer auf der Jagd bei seinen Hunden den Zuruf den er gebraucht so oft er ein Thier erblickt immer gebrauchen wollte. Anfangs werden sie ihm gewiß ganz willig folgen; wenn er sie aber oft täuscht, so folgen sie ihm zuletzt auch dann nicht mehr wann er in Wahrheit ein Thier sieht. Ebenso verhält es sich mit den Hoffnungen. Wenn Einer oft falsche Erwartungen von Vortheilen erregt hat, so findet er am Ende, selbst wann er gegründete Hoffnungen macht, keinen Glauben mehr. Man hat sich sehr zu hüten selbst etwas zu sagen was man nicht bestimmt weiß; Andere dagegen mögen hie und da mit derselben Aussage etwas ausrichten: aber wenn man selbst zu den größten Gefahren aufmuntert, so hat man streng bei der Wahrheit zu bleiben.« – »Ja, bei'm Zeus,« sagte Kyrus; »es ist wahr was du sagst; auch mir gefällt es so weit besser.«

»Was nun die Kunst betrifft die Soldaten beim Gehorsam zu erhalten, so glaube ich darin nicht unerfahren zu sein, mein Vater. Denn du lehrtest mich dieß von der frühesten Kindheit an, indem du mich zum Gehorsam gegen dich anhieltest; dann übergabst du mich den Lehrern, und auch Diese wirkten wieder auf denselben Zweck hin; als ich unter den Jünglingen war, so hatte der Vorsteher eben darauf ein strenges Auge. Auch scheint jenes Beide: befehlen und sich befehlen lassen, den Hauptinhalt der meisten Gesetze zu bilden. Bei näherem Nachdenken darüber glaube ich nun in Lob und Ehre für den Gehorsamen, in Schmach und Strafe für den Ungehorsamen das allgemein wirksamste Ermunterungsmittel zum Gehorsam zu erblicken.« – »Allerdings, mein Sohn,« sagte Kambyses, »zu einem erzwungenen Gehorsam ist dieß der Weg: aber zu einem freiwilligen Gehorsam, der 50 bei weitem den Vorzug verdient, führt ein anderer kürzerer Weg. Die Menschen gehorchen Dem von welchem sie glauben daß er ihren Vortheil besser als sie selbst verstehe mit dem größten Vergnügen. Außer vielen andern Beispielen kannst du dich hievon an den Kranken überzeugen, wie gerne sie Diejenigen holen lassen die ihnen vorschreiben was sie zu thun haben, wie willig auf dem Meere die Reisenden dem Steuermann folgen, wie unzertrennlich man von Denen ist welchen man zutraut daß sie den Weg besser wissen. Glaubt man dagegen durch Folgsamkeit einen Schaden sich zuzuziehen, so läßt man sich weder durch Strafen beugen noch durch Geschenke anreizen. Denn selbst Geschenke nimmt Keiner gern zu seinem eigenen Schaden.« – »Du willst sagen, lieber Vater,« erwiderte Kyrus, »daß, um folgsame Untergebene zu haben, nichts wirksamer sei als wenn man für verständiger als die Beherrschten gilt?« – »Allerdings.« – »Und wie könnte man sich wohl am schnellsten in diesen Credit setzen?« – »Mein lieber Sohn,« erwiderte der Vater, »der kürzeste Weg ist: die Kenntniß Dessen dir zu erwerben worin du für erfahren gelten willst. Wenn du dieß im Einzelnen betrachtest, so wirst du finden daß ich Recht habe. Denn wenn du für einen guten Landmann oder Reiter oder Arzt oder Flötenspieler oder irgend sonst etwas gelten willst, ohne es zu sein, so bedenke, wie vielerlei Mittel du versuchen mußt um dir diesen Schein zu erwerben. Und wenn du es wirklich, um dich in den gewünschten Ruf zu setzen, dahin brächtest daß dich Viele lobten, und du für jede dieser Künste allerlei Vorkehrungen getroffen hättest, so könntest du doch nur für den Augenblick täuschen; in Kurzem würdest du, wo du eine Probe gäbest, entdeckt und obendrein für einen Prahler gehalten werden.« – »Wie aber kann man sich gründliche Kenntnisse über das was Nutzen schafft erwerben?« – »Lieber Sohn, du mußt das was sich durch Unterricht erlernen läßt erlernen, wie du die Taktik erlernt hast. Was aber Menschen weder erlernen noch menschliche Weisheit vorsehen kann, das mußt du durch die Wahrsagerkunst von den Göttern erkunden: dann weißt du mehr als Andere. Das aber von dessen Trefflichkeit du dich überzeugt hast mußt du mit aller Sorgfalt zur Ausführung zu bringen 51 suchen. Denn Wer für das Nöthige sorgt, der verräth mehr Verstand als Wer es versäumt. – Die Liebe der Untergebenen aber, welche mir von der größten Wichtigkeit zu sein scheint, kann man, nach meiner Ansicht, auf keinem andern Weg erwerben als auf welchem man sich die Liebe von Freunden erwirbt: man muß als ihr Wohlthäter anerkannt werden. Aber, mein Sohn,« fuhr Kambyses fort, »es ist schwer immer die Mittel zu haben um wohlzuthun, wenn man wohlthun möchte; hingegen eine Theilnahme bei ihrem Glück, Mitleid bei ihrem Unglück beweisen; wenn sie in Noth sind, ihnen bereitwillig mit Hülfe beispringen; besorgt sein daß sie nicht in Schaden kommen, und sie davor zu verwahren suchen, das vielmehr sind die Dienste mit denen man ihnen an die Hand gehen muß. Ferner, im Dienste muß der Feldherr zeigen daß er im Sommer mehr Hitze, im Winter mehr Kälte, und überhaupt wenn es an die Strapazen geht, daß er auch da mehr aushalten könne. Denn das Alles trägt dazu bei die Liebe der Untergebenen zu erwerben.« – »Deine Meinung also, lieber Vater, geht dahin, der Herrscher müsse in Allem mehr aushalten können als die Untergebenen?« – »Allerdings. Doch laß dir darum nicht bange sein, mein Sohn; denn du mußt bedenken daß dieselben Anstrengungen gleiche Körper, des Befehlshabers und des Soldaten, nicht auf dieselbe Weise angreifen, sondern daß die Ehre und das Bewußtsein, nichts von dem was er thut bleibe verborgen, dem Feldherrn die Mühseligkeiten erleichtert.«

»Wenn aber, lieber Vater, die Soldaten, mit dem Nöthigen versehen, gesund, zu Anstrengungen tüchtig und in den Künsten des Kriegs geübt sind, ihre Ehre darein setzen sich hervorzuthun, und lieber gehorsam als ungehorsam sind, scheint es dir da nicht klug den Kampf mit den Feinden so bald als möglich zu wagen?« – »Allerdings,« erwiderte der Vater, »wenn man einen Vortheil erwarten kann; wo nicht, so würde ich mich um so mehr in Acht nehmen, je tüchtiger nach meiner Meinung ich und meine Untergebenen wären; wie wir auch sonst das was für uns den größten Werth hat so viel möglich in Sicherheit zu bringen suchen.« – »Aber wie kann man am ehesten, 52 mein Vater, einen Vortheil über die Feinde erringen?« – »Sohn,« erwiderte Kambyses, »da fragst du mich nicht mehr nach einer unbedeutenden und einfachen Sache; vielmehr bedenke wohl daß Der welcher es dahin bringen will listig, versteckt, schlau, ein Betrüger, ein Dieb, ein Räuber sein und den Feind in allen Stücken übervortheilen muß.« – Lachend sprach Kyrus: »Ach Herakles, was für ein Mann muß ich da werden.« – »Ein Solcher, mein Sohn, wie du sein mußt wenn du ein Muster von Gerechtigkeit und Gesetzlichkeit sein willst.« – »Wie kommt es doch daß ihr uns als Knaben und Jünglinge das Gegentheil davon gelehrt habt?« – »Gegen Freunde und Mitbürger sollt ihr auch jetzt noch so sein; aber weißt du denn nicht daß ihr, um den Feinden schaden zu können, viele Ränke lerntet?« – »Davon weiß ich nichts, Vater.« – »Wozu lerntet ihr denn mit dem Bogen und Wurfspieß schießen? wozu wilde Schweine durch Garne und Gruben und die Hirsche durch Fußeisen und Schlingen berücken? Warum habt ihr gegen Löwen, Bären und Pardeln nicht mit gleichen Waffen gekämpft, sondern euch immer einen Vortheil über sie zu verschaffen gesucht? Oder siehst du nicht daß das Alles lauter Hinterlist, Betrug, Täuschung und Uebervortheilung ist?« – »Allerdings,« erwiderte Kyrus, »bei Thieren; wäre aber der Schein auf mir daß ich auch nur die Absicht gehabt habe einen Menschen zu betrügen, so hätte ich gewiß Schläge genug bekommen.« – »Das gestatteten wir euch ja auch nicht, mit dem Bogen oder Wurfspieß nach Menschen zu zielen: sondern wir lehrten euch nach einem Ziele zu schießen, damit ihr zunächst den Freunden keinen Schaden zufüget, wenn es aber einmal zum Kriege käme, auch Menschen treffen könnet. Auch betrügen und übervortheilen lehrten wir euch nicht an Menschen, sondern an Thieren, damit ihr auch vermittelst deren den Freunden nicht schadet, aber für den Fall des Kriegs auch hierin nicht ungeübt seiet.« – »Wenn aber Beides nützlich ist, mein Vater, den Menschen wohl und wehe zu thun, so sollte man auch Beides an Menschen lehren.« – »Man sagt auch, lieber Sohn, zur Zeit unserer Vorältern habe ein Knabenlehrer gelebt welcher den Knaben die Gerechtigkeit so wie du sagst lehrte: man 53 solle nicht lügen und doch lügen, nicht betrügen und doch betrügen, nicht verleumden und doch verleumden, nicht übervortheilen und doch übervortheilen. Dabei machte er aber die Unterscheidung, was man gegen die Freunde und was man gegen die Feinde thun dürfe. Und er gieng noch weiter, und lehrte daß man auch die Freunde betrügen und ihr Eigenthum stehlen dürfe, wenn es ihnen zum Vortheil gereiche. Bei diesem Unterricht mußte er die Knaben unter einander selbst in jenen Fertigkeiten üben; wie man von den Griechen sagt daß sie bei'm Ringen verschiedene Ränke lehren und die Knaben darauf einüben diese gegen einander zu gebrauchen. Einige nun, welche zum Stehlen, Betrügen und Uebervortheilen glückliche Anlage hatten, etwa auch zum Gewinnmachen nicht ohne Talent waren, konnten sich nicht enthalten auch an den Freunden einen Versuch damit zu machen. In Folge dessen bildete sich das noch jetzt bestehende Gesetz die Knaben nur ganz einfach zu lehren, wie wir unser Gesinde zum Benehmen gegen uns selbst gewöhnen, die Wahrheit zu sagen, nicht zu betrügen, nicht zu stehlen, nicht zu übervortheilen, und sie im Uebertretungsfall zu strafen, um sie in Folge einer solchen Angewöhnung zu civilisirteren Bürgern zu machen. Wenn sie aber das Alter erreicht haben in welchem du jetzt stehest, so schien es nicht mehr gefährlich sie auch das was gegen den Feind als Recht gilt zu lehren. Denn da ihr in gegenseitiger Achtung vor einander aufgewachsen seid, so ist wohl nicht zu fürchten ihr werdet als Bürger euch zu einem rohen Benehmen hinreißen lassen. So sprechen wir ja auch von der Geschlechtslust nicht vor gar zu jungen Leuten, damit sie nicht, wenn zu ihrem starken Triebe Gewandtheit in der Ausübung sich gesellt, im Genusse unmäßig werden.« – »Nun denn,« sprach Kyrus, »da ich, wie du weißt, so spät in diese Ränke eingeweiht werde, so fahre doch, mein lieber Vater, ich beschwöre dich beim Zeus, ohne Rückhalt fort mir deine Erfahrungen mitzutheilen, damit ich Vortheile über die Feinde gewinne.« – »Nun so lege es mit aller Kraft darauf an mit geordneter Macht die Feinde ungeordnet, mit Bewaffneten sie unbewaffnet, mit Wachenden sie schlafend zu treffen; und überfalle sie von ihnen ungesehen in einer dir bekannten Stellung, und 54 gehe ihnen, während du selbst in Sicherheit bist, in ungünstiger Lage zu Leibe.« – »Aber, lieber Vater, wie kann man die Feinde über einem solchen Versehen betreffen?« – »Dazu, mein Sohn, müssen wir so gut als die Feinde viele Veranlassungen geben. Denn ihr Beide müßt speisen, schlafen, am frühen Morgen mit der gesammten Macht zur Herbeischaffung der Lebensmittel ausziehen, und die Wege, sie mögen sein wie sie wollen, gebrauchen. Auf das Alles mußt du dein Augenmerk richten, und auf der Seite wo du euch am schwächsten findest am meisten Vorsicht anwenden; den Feinden aber da wo du findest daß sie am leichtesten zu fassen sind am meisten zusetzen.« – »Sind das,« fragte Kyrus, »die einzigen Gelegenheiten einen Vortheil zu erringen, oder gibt es noch andere?« – »Noch eine Menge, lieber Sohn; denn in den genannten Fällen nehmen sich Alle gleich sehr in Acht, weil sie wissen daß es nöthig ist. Wenn man aber den Feind berücken will, so kann man ihn sicher machen und dann unbewacht antreffen; man kann sich verfolgen lassen und ihn dadurch in Unordnung bringen; man kann ihn durch Flucht in eine ungünstige Stellung locken und ihm hier zusetzen. So lernbegierig du aber, lieber Sohn, in allem Diesem bist, so darfst du doch nicht bloß das Erlernte anwenden, sondern du mußt auch selbst neue Kriegslisten erfinden: wie auch die Musiker sich nicht mit dem Erlernten allein begnügen, sondern auch andere neue Weisen versuchen. Und wenn schon bei den Musikern das Neue und Frische großen Beifall findet, so haben neue Erfindungen im Kriegswesen einen viel höhern Werth; denn mit diesen kann man die Feinde eher täuschen. Wolltest du aber auch, mein Sohn, nur die Kunstgriffe welche du mit glücklichem Erfolge gegen die kleinen Thiere gebrauchtest auf die Menschen übertragen, glaubst du nicht daß du damit schon viele Vortheile über den Feind gewinnen würdest? Denn im strengsten Winter standst du Nachts auf und giengst auf den Vogelfang aus: und noch ehe die Vögel sich rührten waren deine Garne bereits festgemacht, und der bewegte Vogelherd sah aus wie das übrige Land; du hattest Vögel abgerichtet, um dir zu deinem Nutzen behülflich zu sein und Vögel ihrer Art zu berücken. Du selbst standest auf der Lauer, 55 so daß du sie sahest, ohne von ihnen bemerkt zu sein, und du warst geübt vorher zu ziehen, ehe die Vögel davon flogen. Ferner für den Hasen, der in der Dunkelheit weidet und bei Tag davon läuft, hieltest du Hunde, welche ihn durch den Geruch aufspürten. Weil er aber schnell entfloh, sobald er aufgespürt war, so hattest du andere Hunde abgerichtet ihn im Springen zu fangen. Entkam er auch diesen, so pflegtest du seine Auswege und die Gegenden nach welchen die Hasen gerne fliehen zu erspähen und hier unsichtbare Netze aufzuspannen, und in der Eile der Flucht stürzte er selbst hinein und fesselte sich; damit er aber auch von da nicht mehr entkommen könnte, stelltest du Späher auf, welche aus der Nähe schnell herbeieilen mußten; du selbst kamst von hinten nach und setztest den Hasen durch ein ihm auf dem Fuße folgendes Geschrei in solchen Schrecken daß er ganz betäubt gefangen wurde; die aber welche vorne aufgestellt waren mußten schweigen und im Hinterhalt verborgen bleiben. Wolltest du nun, wie ich schon gesagt habe, diese Kunstgriffe auch gegen Menschen anwenden, gewiß du würdest keinen Feind mehr übrig lassen. Und sollte es denn einmal zwischen beiden Heeren auf freiem Felde unabweislich zur offenen Feldschlacht kommen, so machen die Vortheile die man sich lange vorher zu eigen gemacht hat viel aus. Ich meine damit, wenn der Körper der Soldaten wohl geübt, der Geist ermuthigt ist und die Kriegskünste wohl eingeübt worden sind. Auch das mußt du wohl bedenken daß alle Diejenigen von welchen du Gehorsam verlangst von dir dafür erwarten, du werdest an ihrer Stelle rathschlagen. Darum sei nie sorglos, sondern bei Nacht denke daran was deine Untergebenen bei Tage thun sollen; und bei Tag, wie du die Nacht am besten bestellen willst. – Wie man aber ein Heer in Schlachtordnung stellen, es bei Tag oder Nacht, auf engen oder breiten, auf gebirgigen oder ebenen Wegen führen, Lager schlagen, Tag und Nacht Wachen aufstellen, wie man gegen den Feind anrücken und sich zurückziehen, wie man an einer feindlichen Stadt vorbeiziehen, wie gegen die Mauern anrücken und sich zurückziehen, wie man durch Wälder und Flüsse zu setzen, wie man sich gegen Reiterei oder Wurfspießwerfer oder Bogenschützen decken müsse, welche 56 Stellung man zu nehmen habe wenn die Feinde sich zeigen während man das Heer in Colonne führt, oder wie wenn die Feinde von den Flanken oder von der Fronte sich zeigen, während man in Linie einherzieht: wie man die Plane der Feinde am ehesten merken und die seinigen dem Feinde am besten verbergen könne: was brauche ich dir dieses Alles erst auseinander zu setzen? Denn was ich weiß, das hast du schon oft gehört: und auch sonst hast du Keinen der in solchen Dingen für einsichtsvoll galt versäumt, sondern ließest dich von ihm belehren. Du mußt nun im vorkommenden Falle davon gebrauchen was dir jedesmal angemessen scheint.«

»Noch Eins, mein Sohn, lerne von mir, und zwar das Größte. Den Opfern und Vogelzeichen zuwider wage nie etwas, weder für dich noch für das Heer; bedenke daß die Menschen sich zu ihren Handlungen durch Vermuthungen bestimmen lassen, ohne genau zu wissen durch welche Handlung ihnen das Glück kommt. Die Erfahrung wird dir dieß bestätigen. Schon Viele, und zwar Männer die für sehr weise galten, haben Städten zu Kriegen gerathen welche dem angreifenden Theile den Untergang brachten. Schon Vielen die das Glück von einzelnen Menschen und Städten gehoben haben wurde mit den größten Uebeln vergolten. Manche wollten Leute mit denen sie in Freundlichkeit leben, denen sie Wohlthaten erweisen und dagegen empfangen konnten, lieber zu Sklaven als zu Freunden haben, und wurden dafür von Ebendenselben gezüchtigt. Vielen genügte ihr zugemessener Theil zu einem zufriedenen Leben nicht, und da sie Alles zu gewinnen strebten verloren sie auch Das was sie hatten. Viele giengen, nachdem sie das viel ersehnte Gold errungen hatten, durch dasselbe zu Grunde. So versteht menschliche Weisheit das Beste eben so wenig zu wählen als wenn Einer nach dem Loose Das worauf das Loos fällt thun wollte. Die ewigen Götter aber, mein Sohn, wissen Alles, Vergangenheit, Gegenwart, und was aus jedem von diesen hervorgehen wird; und wenn sie den sich berathenden Menschen gnädig sind, so geben sie ihnen Anzeichen was sie thun und was sie lassen sollen. Daß sie dieß nicht Allen thun ist gar nicht zu verwundern: denn sie sind nicht gezwungen für Die zu sorgen für welche sie nicht wollen.« 57

 


 


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