Wilhelmine von Bayreuth
Memoiren der Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth
Wilhelmine von Bayreuth

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Am folgenden Morgen kam Herr von Comartin, Oberst der herzoglichen Wache, und verlangte mich zu sprechen. Er fing damit an, daß er sich wegen seines Auftrages an mich tausendmal entschuldigte; der Herzog gebärde sich wie ein Wilder; er wolle fort und ließe mir sagen, daß er nicht ans Heiraten denke, vielmehr im Zölibat leben wolle, und daß mit einem Wort alles, was sich tags zuvor zugetragen habe, nur ein Spaß gewesen sei. Comartin riet mir, die Sache sehr von oben herab zu nehmen und zu tun, als ob sie mir ganz gleichgültig wäre. Ich antwortete ihm, daß ich seines Rates nicht bedürfe, und er solle nur dem Herzog sagen, ich hätte ihm viel Ehre zu erweisen geglaubt, indem ich ihm meine Schwägerin geben wollte; es läge mir durchaus nichts an einer Verbindung mit ihm, und er würde mir einen großen Gefallen erweisen, wenn er schleunigst wieder abreiste. »Machen Sie ihm auch ein Kompliment in meinem Auftrage,« sagte der Erbprinz, »und melden Sie ihm, daß ich nicht versäumen werde, ihm bald selbst zu zeigen, wie sehr ich über sein Benehmen erfreut bin.«

Ich ließ den Markgrafen benachrichtigen, aber zugleich bitten, die Sache vorerst zu ignorieren, da ich noch hoffe, sie wieder in Gang zu bringen. Ich täuschte mich nicht. Comartin kam gleich wieder, bat mich im Namen seines Herrn um Verzeihung, und ich möchte ihn doch um Gottes willen mit dem Erbprinzen wieder versöhnen. Der Herzog folgte ihm auf dem Fuße. Ich spielte eine ganze Weile hindurch die Spröde, aber endlich ließ ich mich erbitten und der Erbprinz desgleichen. Wir machten zusammen aus, daß die Hochzeit am nächsten Tage, den 7. April, gefeiert werden solle.

Ich ließ der Prinzessin in meinem Zimmer das Staatskleid anlegen, ihre Haare frisieren und wollte ihr eine Herzogskrone mit meinen Juwelen aussetzen. Bis jetzt waren wir glücklich mit ihr gefahren, sie hatte sich ruhiger und vernünftiger gezeigt; als ich ihr aber die Krone aufsetzen wollte, fing sie wie eine Verrückte zu schreien und zu weinen an, floh von einem Zimmer ins andere, warf sich vor jeden Stuhl hin, den sie sah, und verrichtete davor ihr Gebet. Fräulein von Sonsfeld, die den meisten Einfluß auf sie ausübte, fragte sie, was sie denn habe? Sie antwortete ihr, man wolle sie umbringen; sie sähe sich überall von Feinden umringt, die sie erdrosseln wollten. Wir redeten ihr so lange zu, daß wir endlich auf den Grund ihres panischen Schreckens kamen. Die Prinzessin hatte ihren verstorbenen Bruder gesehen, als er aufgebahrt lag, und auf einem Kissen neben seinem Sarge dieselbe Juwelenkrone, die sie heute tragen sollte. Wir hatten alle Mühe, sie endlich zu beruhigen. Sie war schön wie ein Engel. Sobald sie angekleidet war, kamen der Markgraf und die beiden Herzöge, sie bei mir abzuholen. Wir führten sie in mein Audienzzimmer, woselbst sie ihren Verzicht leistete. Gleich darauf wurden sie in demselben Zimmer eingesegnet. Es folgte ein großes Bankett. Abends nach dem Souper war Fackeltanz, und ich führte dann die Braut in ihr Zimmer, um sie zu entkleiden, während die Prinzen beim Herzog dasselbe Amt verrichteten. Alles hatte sich zurückgezogen. Sobald sie zu Bette lag, ließ ich den Herzog ersuchen, zu kommen. Ich wartete eine ganze Stunde lang, es kam niemand. Ich schickte ein zweitesmal nach ihm. Der Erbprinz brachte mir die Meldung, der Herzog führe sich auf wie ein Wilder und weigere sich, zu Bett zu gehen; sie hätten schon alle ihre Beredsamkeit aufgeboten, ohne etwas zu erreichen. Auf diese Weise hielt er uns bis um vier Uhr morgens hin. Der Erbprinz mußte ihn wieder einschüchtern und ihm drohen, daß er sich mit ihm schlagen würde. Sobald er zu Bette war, zog ich mich zurück.

Die Ermüdungen und Nachtwachen machten mich vollends krank. Alle Medikamente, die ich nahm, nützten mir gar nichts, und ich war immer leidend.

Tags darauf ging es von vorne an. Der Herzog beschwerte sich über seine Gattin; sie habe sich geweigert, die Ehe mit ihm zu vollziehen. In dieser Weise ging es fort, solange sie in Bayreuth blieben. Ich wollte mich nicht hineinmischen. Der Markgraf und der Erbprinz sahen sich zuletzt genötigt einzugreifen. Endlich, am 14. April reiste er ab, was ein großes Glück für uns war; denn er hätte uns noch ganz wirr gemacht, wenn er länger geblieben wäre. Da die Herzogin noch keine Hofdame hatte, war ich froh, unter diesem Vorwand Flora von Sonsfeld auf einige Zeit entfernen zu können. Ich gab ihr Urlaub auf sechs Wochen. Der Erbprinz gab seiner Schwester das Geleite bis nach Koburg, wo er sich nur einige Tage aufhielt.

Der Markgraf begab sich nach Himmelkron und der Erbprinz und ich nach der Eremitage. Dort empfing ich einen Brief von der Königin, der mich sehr befremdete. Sie teilte mir die Verlobung meiner vierten Schwester Sophie mit dem Markgrafen von Schwedt mit, demselben, der mir bestimmt gewesen war. Sie lobte ihn über alles. Sie wäre nie gegen ihn gewesen, schrieb sie, wenn sie ihn früher gekannt hätte. Ich staunte über die Wandelbarkeit aller menschlichen Dinge und besonders des menschlichen Herzens. Der Markgraf hatte durch die Berichte, die er der Königin erstattete, so sehr ihre Gunst errungen, daß sie endlich in seine Heirat mit meiner Schwester einwilligte. Aber sobald er verlobt war, zeigte er sich wieder in seinem wahren Licht, was zur Folge hatte, daß ich wenige Tage später einen andern Brief der Königin erhielt, der den ersten widerrief und mir die greulichsten Dinge über diesen Prinzen aussagte. Ich war untröstlich über diese Heirat, meiner Schwester wegen, die ich zärtlich liebte. Sie war nicht schön, aber ihr guter Charakter, ihre Sanftmut und tausend gute Eigenschaften entschädigten sie reichlich. Es gelang ihr wenigstens, einen solchen Einfluß auf ihren Gatten auszuüben, daß er ihr gegenüber fromm wie ein Lamm wurde; trotz aller Mühe aber, die sie sich gab, vermochte sie nicht, ihn von seinen Fehlern zu befreien; er ist immer der gleiche, ausgenommen, daß er seiner Frau gegenüber ein Engel ist, die sehr glücklich mit ihm lebt.

Wegen des Feldzuges des Erbprinzen warteten meiner neue Sorgen. Er intrigierte hinterrücks, um vom Markgrafen die Erlaubnis zu erhalten, ihn mitzumachen, und ich meinerseits intrigierte, um es zu verhindern, so daß wir uns gegenseitig hintergingen. Allein ein zweiter Brief, den ich vom König erhielt, schnitt mir ins Herz. Er war folgenden Inhalts:

»Ich ziehe in sechs Wochen an den Rhein, meine liebe Tochter. Mein Sohn und meine Vettern begleiten mich; und mein Schwiegersohn muß auch mit mir ziehen. Soll er seinen Kohl in Bayreuth bauen, während alle Fürsten des Reiches Krieg fuhren? Er wird in der Welt für einen Feigling gelten, der keine Ehre im Leibe hat. Alle Gründe, die der Markgraf geltend macht, taugen nichts. Geben Sie ihm diesen Brief zu lesen und sagen Sie ihm, daß er seinem Sohne Schande bringt, falls er ihn abhält, in den Krieg zu ziehen. Geben Sie mir rasche Antwort und seien Sie überzeugt, daß ich« usw.

Mein Gott, wie wurde mir, als ich diesen Brief las! Ich vergoß Ströme von Tränen. Der Erbprinz sprach sehr eindringlich mit mir und sagte mir, daß ich ihn zwingen würde, aus Bayreuth zu fliehen und ohne die Einwilligung seines Vaters in den Krieg zu ziehen, falls ich diesen nicht bestimmen wollte, es ihm zu erlauben. Ich erwiderte ihm, alles, was er von mir verlangen könne, sei, daß ich nichts dagegen unternehmen wolle, daß ich aber dem Markgrafen nicht zureden würde, ihn gehen zu lassen. Ich schickte ihm den Brief des Königs zu. Er schrieb mir und bat mich, in die Stadt zurückzukehren, wo er mir vieles mitzuteilen habe und die Minister in dieser Angelegenheit zu Rate ziehen wolle.

Ich begab mich also am 14. Juni nach Bayreuth. Der Markgraf zeigte mir den Brief des Königs, der ungefähr denselben Wortlaut hatte wie der meinige, und auch einen des Grafen Seckendorf. Dieser General bat ihn, sich um Gottes willen den Wünschen des Königs nicht zu widersetzen; indem er den Erbprinzen von der Kampagne zurückhielt, würde er ihm viele schlimme Händel zuziehen; die Jahreszeit sei schon vorgerückt; der Krieg könne nicht von langer Dauer sein, und er hoffe, daß ihm sein Sohn gesund und wohlbehalten und ruhmgekrönt zurückkehre. Er fragte mich, was ich von all dem hielte? Ich erwiderte, daß ich die Entscheidung ganz in seine Hände lege, er sei der Vater, und ich sei überzeugt, daß er alle Für und Wider reiflich überlegen würde, bevor er seinen Entschluß fasse. Er schien mir sehr beunruhigt. Man war in der Tat im ganzen Lande sehr dagegen, daß sein Sohn in den Krieg zöge, und sagte offen, daß, wenn er ihn gehen ließe, es ein Beweis sei, daß er ihn nicht liebe. Er erwiderte also dem König, sein Vorschlag sei von solcher Tragweite, daß er sich nicht so schnell entschließen könne. Der Erbprinz war indessen über die Unschlüssigkeit des Markgrafen in schlimmster Laune. Er bestürmte ihn täglich, seinen Wünschen zu willfahren.

Der König hatte sich mittlerweile schon aufgemacht, um zur Armee zu stoßen. Mein Bruder und alle andern Prinzen folgten ihm einige Tage später. Der König hatte seine Marschroute durch Kleve genommen. Mein Bruder schrieb mir, er würde die seinige über Bayreuth nehmen; da ihm aber der König strengstens untersagt hatte, sich dort aufzuhalten, bäte er mich, am 2. Juli mich in Berneck einzufinden, das zwei Meilen von Bayreuth entfernt liege und wo er einige Stunden bleiben würde. Diese Gelegenheit, meinen so teuren Bruder wiederzusehen, ließ ich nicht unbenützt; ich machte mich am frühen Morgen mit meiner Hofmeisterin, Herrn von Voigt und Herrn von Seckendorf auf den Weg. Der Prinz nahm einen Kammerherrn mit, und Baron Stein sollte meinen Bruder im Auftrag des Markgrafen willkommen heißen.

Ich traf um zehn Uhr ln Berneck ein. Es herrschte eine sehr große Hitze, und ich war schon von dem weiten Wege sehr ermüdet. Ich stieg in dem Hause ab, das für meinen Bruder bereitet worden war. Wir warteten bis um drei Uhr nachmittags auf ihn. Endlich riß uns die Geduld, und wir setzten uns zu Tische. Währenddessen brach ein furchtbares Gewitter los. Ich habe nie ein so schreckliches erlebt; der Donner fand an den Felsen, die Berneck einschließen, seinen Widerhall, und es war, als sollte die ganze Welt zugrunde gehen; auf den Sturm folgte ein Wolkenbruch. Es war vier Uhr und ich konnte nicht begreifen, wo mein Bruder so lange blieb. Ich hatte mehrere Reiter nach ihm ausgeschickt, sie kehrten aber nicht zurück. Endlich machte sich der Erbprinz, so sehr ich ihn auch bat, es nicht zu tun, auf, ihn zu suchen. Ich wartete bis neun Uhr abends, ohne daß jemand wiederkam, und war in großer Aufregung. Diese Wolkenbrüche sind ln solchen gebirgigen Gegenden sehr gefährlich; die Wege sind dann im Nu überschwemmt, und es geschieht oft ein Unglück. Ich dachte nicht anders, als daß meinem Bruder oder dem Erbprinzen etwas zugestoßen sei. Endlich um neun Uhr kam die Meldung, daß mein Bruder seine Route geändert und nach Kulmbach gezogen sei, wo er übernachten wollte. Ich wollte hin; Kulmbach liegt vier Meilen von Berneck entfernt, aber die Wege sind erbärmlich und reich an Abgründen. Alle widersetzten sich daher meinem Wunsche, und ich mußte wohl oder übel einsteigen, um nach Himmelkron zu fahren, das nur zwei Meilen entfernt ist. Wir glaubten unterwegs, ertrinken zu müssen: die Gewässer waren überall so angeschwollen, daß die Pferde sie nur schwimmend passieren konnten.

Ich kam endlich um ein Uhr morgens an. Ich warf mich alsbald auf ein Bett; ich war sterbenselend und um meinen Bruder und den Erbprinzen in tödlicher Sorge. Letzterer erschien endlich und nahm mir dadurch eine Last vom Herzen. Er kam um vier Uhr, doch ohne mir Nachricht von meinem Bruder zu bringen. Ich wollte eben einschlafen, da ich mich etwas beruhigt fühlte, als mir gemeldet wurde, Herr von Knobelsdorff sei angekommen und wünsche, mich im Auftrag des Kronprinzen zu sprechen. Ich sprang aus dem Bette und eilte ihm entgegen. Er sagte mir, daß mein Bruder mich erst am folgenden Tag treffen zu können glaubte und deshalb in Hof Rast gehalten hätte; wenn ich wollte, würde er sich in einen Ort nahe bei Bayreuth verfügen, Punkt acht Uhr dort eintreffen und einige Stunden bei mir verweilen. Es blieb mir also keine Zeit zum Schlafen, und ich setzte mich in den Wagen, um das Stelldichein nicht zu versäumen.

Mein Bruder überhäufte mich mit Zärtlichkeit, fand mich aber in einem so jämmerlichen Zustand, daß er sich der Tränen nicht erwehren konnte. Ich konnte mich nicht auf den Beinen halten und war alle Augenblicke einer Ohnmacht nahe. Er sagte mir, daß der König auf den Markgrafen sehr gereizt sei, weil dieser seinen Sohn nicht in den Krieg ziehen lasse. Ich gab ihm alle Gründe des Markgrafen an und fügte hinzu, daß er nicht unrecht habe. »Dann soll er aber doch seinen Abschied nehmen«, sagte er, »und sein Regiment dem König wieder zurückgeben; seien Sie übrigens seinetwegen beruhigt, denn ich weiß aus bestimmter Quelle, daß die Sache nicht sehr blutig verlaufen wird.« »Man will aber doch Philippsburg belagern«, entgegnete ich. »Ja,« sagte mein Bruder, »doch wird man es nicht zur Schlacht kommen lassen, um diesen Platz zu entsetzen.« Hier trat der Erbprinz ein und flehte meinen Bruder an, ihn doch um Gottes willen von Bayreuth loszumachen. Sie gingen beide ans Fenster und blieben dort lange im Gespräch. Endlich sagte mir mein Bruder, er würde einen sehr verbindlichen Brief an den Markgrafen schreiben und ihm so gute Gründe für den Feldzug angeben, daß er der Wirkung seines Schreibens sicher sei. »Wir werden zusammenbleiben,« sagte er, zum Erbprinzen sich wendend, »und es wird mir zur Freude gereichen, immer meinen lieben Bruder in meiner Nähe zu haben.« Er schrieb den Brief und gab ihn dem Baron Stein, damit dieser ihn dem Markgrafen überreiche. Wir nahmen zärtlichen Abschied voneinander, der nicht ohne Tränen verlief. Er versprach mir beim Abschied, sich die Erlaubnis des Königs zu erwirken, auf dem Rückweg nach Bayreuth zu kommen. Es war das letztemal, daß er sich mir gegenüber als der alte zeigte; er hat sich seitdem sehr verändert.

Wir kehrten nach Bayreuth zurück, wo ich so schlimm daran war, daß man einige Tage lang an meinem Aufkommen zweifelte. Dennoch kam ich auch dieses Mal davon; doch befiel mich das schleichende Fieber stärker denn zuvor.

Ich habe von Flora von Sonsfeld lange nichts mehr erzählt. Sie war von Weimar zurückgekehrt, wo sie den Herzog und die Herzogin ruhig und friedlich zurückgelassen hatte. Ich hoffte immer, daß die Trennung die Liebe des Markgrafen zu ihr abschwächen würde; allein ich hatte meine Rechnung ohne den Wirt gemacht, er war bei ihrer Rückkehr verliebter denn je. Man sagt, es gäbe keine häßliche Liebe: es gibt aber sehr unangenehme, und diese hier durfte als eine solche gelten. Die Leidenschaft des Markgrafen ließ sich nicht länger zurückhalten. Er steckte den ganzen Tag bei seiner Schönen, machte ihr moralische Vorhaltungen und ließ sichs genügen, ihr die Hände abzuküssen. Er warf sich jeden Tag in einen neuen Anzug und ließ sich sein Haar auffärben, um jünger zu erscheinen. Wenn er sie nicht besuchen konnte, flogen die Billetdoux, die höchst zärtlich, jedoch so abgeschmackt waren, daß einem ganz übel davon wurde. Seine Ziele seien, schrieb er, alle nur auf eine Heirat gerichtet, da seine Liebe eine ganz übersinnliche sei. Dies mochte zutreffen, denn er war schon so erschöpft, daß er nur noch aus Haut und Knochen bestand, da er schon einer ausgesprochenen Schwindsucht verfallen war. Uns mißfiel dies alles sehr. Die Flora liebte ebenso, wie sie geliebt wurde, und ich fürchtete, daß sie endlich den Wünschen ihres wunderlichen Liebhabers willfahren würde.

Der arme Fürst wurde zudem von einem neuen Kummer betroffen, der ihm sehr zu Herzen ging und an dem ich den größten Anteil nahm. Es war die traurige Nachricht vom Tode des Prinzen von Kulmbach. Sein Adjutant überbrachte ihm die Meldung. Dieser Prinz fiel am 29. Juni in der Schlacht bei Parma, die unter dem Befehl des Generals Merci geführt wurde. Er hatte sich schon der französischen Batterien bemächtigt, als ihn zwei Schüsse in den Graben hinstreckten. Man trug ihn in ein benachbartes Landhaus. Die Chirurgen teilten ihm mit, daß er nur noch einige Stunden zu leben hätte, da seine Wunde tödlich sei. »Ich habe die Freude,« sagte er, »auf die Weise zu sterben, die ich mir stets wünschte, und bins zufrieden, wenn wir nur Sieger bleiben.« Dies waren seine letzten Worte; er verlor das Bewußtsein, und ein paar Augenblicke später hauchte er das Leben aus. Der Marschall Merci und fünfzehn hervorragende Generale fielen in dieser Schlacht. Die Franzosen behaupteten das Schlachtfeld, und man muß ihnen den Sieg wohl zugestehen, denn die Verluste der Österreicher waren unerhört. Der Erbprinz und ich wurden durch diesen Tod in tiefste Betrübnis versetzt. Ich vergoß viele Tränen um ihn; denn ich hatte an ihm einen wahren Freund und einen Prinzen verloren, der dem Hause zur Ehre gereichte. Die Leiche wurde heimlich nach Bayreuth überführt.

Der Brief meines Bruders an den Markgrafen hatte indessen gewirkt, und die Ausrüstung des Erbprinzen wurde mit Eifer betrieben. Es hatte sich meiner die schwärzeste Melancholie bemächtigt. Der Tod des Prinzen von Kulmbach war mir stets vor Augen; ich fürchtete, daß den Erbprinzen dasselbe Schicksal treffen würde. Mein schlechter Gesundheitszustand war mir jetzt ein Trost. Starb er, so durfte ich hoffen, ihn nicht lange zu überleben. Bisher hatte sich der Arzt damit begnügt, mich innerhalb zehn Monaten achtmal zur Ader zu lassen. Er erkannte mein Übel nicht und glaubte, daß es von zu vielem Blut herkäme; dabei gab er mir Stärkungsmittel einzunehmen, die mir nur für einige Stunden halfen, meinen Zustand aber verschlimmerten. Er wollte deshalb eine andere Kur unternehmen und verordnete eine Trinkkur. Wir gingen mit dem Markgrafen nach der Brandenburg, wo ich die Kur am besten gebrauchen konnte. Aber mein Magen war zu schwach, um das heilende Wasser zu vertragen, und ich mußte am dritten Tage wieder aufhören.

Mittlerweile war die Leiche des Prinzen von Kulmbach in Bayreuth eingetroffen. Man bahrte ihn in der Kapelle auf, denn die Vorbereitungen zu seinem Begräbnis, das mit großem Pomp gefeiert werden sollte, waren noch nicht beendet. Der Markgraf war noch immer von diesem Verluste tief betrübt. Er magerte zusehends ab. Der Arzt erklärte ihm, daß sein Zustand gefährlich sei und unheilbar würde, falls er nicht aufhören würde zu trinken. Aber der Markgraf war so daran gewöhnt, daß er keinen Tag zubringen konnte, ohne sich zweimal zu betrinken.

Endlich rückte der unselige Tag der Abreise des Erbprinzen heran; es war der 7. August. Nur wer so stark zu lieben weiß wie ich, wird mir nachfühlen können; ein tausendfacher Tod ist mit dem Schmerz nicht zu vergleichen, den ich erlitt. Ich stand ganz unter dem Eindruck der traurigen Ereignisse und war sicher, daß ich den Prinzen nicht wiedersehen würde. Er riß sich von mir los und war selbst über meinen Zustand so ergriffen, daß er nicht wußte, was er tat. Man führte ihn halb besinnungslos zu seinem Tragsessel, und ich selbst blieb in einer Verfassung zurück, daß sich die Steine hätten erbarmen können. Dieser Zustand währte vier Tage lang. Endlich suchte ich mich zu fassen, meinen Schmerz innerhalb gewisser Schranken zu halten und mich zu mäßigen.

Ich habe bisher über diese Rhein-Kampagne nichts berichtet, da ich meine Erzählung nicht unterbrechen wollte. Ich will hier nur die hauptsächlichen Daten verzeichnen.

Dem Herzog von Bevern war im vorhergehenden Jahre der Oberbefehl des kaiserlichen Heeres anvertraut worden. Diese Armee bestand nur aus zwanzigtausend Mann, hatte lediglich eine verteidigende Haltung eingenommen und nicht verhindern können, daß die Franzosen unter dem Herzog von Bervick den Rhein passierten. Der Prinz Eugen wurde dann an Stelle des Herzogs von Bevern gesetzt. Bei seiner Ankunft zeigte er sich mit den getroffenen Maßnahmen sehr wenig einverstanden. Er gab alsbald die Stellung von Stockhof auf. Die Franzosen verfolgten die Kaiserlichen, doch ohne ihnen die geringsten Verluste beibringen zu können. Obwohl das Reich bisher von Frankreich noch nicht angegriffen worden war, erlangten die Intrigen am Wiener Hof das Übergewicht über die politischen Bedenken der Fürsten, die sich unüberlegt in diesen Krieg hineinmischten, indem sie dem Kaiser Truppen zur Verfügung stellten. Sechstausend Dänen, zehntausend Preußen und die Truppen des Reiches retteten im geeigneten Augenblick den Prinzen Eugen aus seiner schlimmen Lage. Dennoch konnte er nicht verhindern, daß die Franzosen Kehl einnahmen und Philippsburg belagerten. Diese Festung ergab sich nach sechswöchiger standhafter Verteidigung. Der Marschall von Bervick und der Prinz von Lixin fanden bei dem Ansturm ihren Tod. Der Erbprinz traf zwei Tage nach der Einnahme dieser Festung ein. Der König tat alles, um den Prinzen Eugen zu bewegen, eine Schlacht zu wagen, um die Festung dadurch zu retten; doch wollte dieser sich nicht dazu entschließen und stellte dem König vor, daß im Falle einer Niederlage ganz Deutschland den Franzosen offen stünde und sie jeden Ort, der ihnen beliebte, einnehmen könnten.

Der Erbprinz wurde vom König und von meinem Bruder aufs beste empfangen. Mein Bruder lieh ihm ein Zelt, da seine Ausrüstung noch nicht angekommen war. Er fand das Aussehen des Königs sehr verändert und ihn abgemagert. Dieser litt an einer gichtigen Hand und trug schon damals die Krankheit in sich, an der er sterben sollte. Er konnte den ganzen Feldzug nicht aushalten, war genötigt, heimzukehren und sich vorläufig nach Kleve zu begeben. Er zeigte sich vor seiner Abreise dem Erbprinzen gegenüber außerordentlich herzlich und befahl ihm, sich auf dem Rückweg in Bayreuth aufzuhalten. Der Erbprinz war bald bei allen Generalen und Offizieren des Heeres beliebt. Er legte in militärischen Dingen großen Eifer und eine große Lernbegierde an den Tag. Sein Lebenswandel, seine Höflichkeit und sein leutseliges und einnehmendes Wesen erwarben ihm alle Herzen. Ganz anders war es mit meinem Bruder. Der hatte sich mit dem Prinzen Heinrich, dem Bruder des Markgrafen von Schwedt, angefreundet. Das einzige Verdienst dieses Prinzen bestand in seiner Schönheit. Er war lasterhaft, hatte einen schlechten Charakter und stets eine niedrige Gesinnung gezeigt, die ihn verächtlich machten. Trotzdem wußte er sich bei meinem Bruder so sehr in Gunst zu setzen, daß er ihn zu den greulichsten Ausschweifungen verführte. Damit nicht genug, machte er über alle ehrlichen Leute seine Glossen und ließ nur seinesgleichen gelten; kurz, mein Bruder wurde ganz anders, als er bisher gewesen war, und erregte überall Widerwillen. Der Erbprinz erhielt auch seinen Teil wie die andern.

Als er eines Tages mit dem Herzog Alexander von Württemberg, meinem Bruder und mehreren Fürsten und Generalen zur Rekognoszierung des Feindes ausgezogen war, stießen sie auf Franzosen, die sich jenseits des Rheines postiert hatten. Der Erbprinz fing an, eine Zeichnung ihres Lagers zu entwerfen, ohne zu merken, daß mein Bruder sich etwas entfernt hatte. Ein junger Husar, den er bei sich hatte, ließ sichs sehr zur Unzeit einfallen, mit einer Hakenbüchse Schüsse auf den Feind abzugeben. Die Herren Franzosen erwiderten sofort, und bald flogen die Kugeln rings um den Erbprinzen. Er wollte nicht zurückweichen und vollendete ruhig seine Zeichnung, nicht ohne dem Husaren einen starken Verweis wegen seiner Unvorsichtigkeit zu erteilen. Als er seine Zeichnung beendet hatte, setzte er sich aufs Pferd und stieß wieder zum Kronprinzen. Dieser erging sich indessen mit dem Prinzen Heinrich in sehr bissigen Bemerkungen über den Vorfall. Der Erbprinz vernahm sie. Er sagte dem Kronprinzen, wie sich die Dinge zugetragen hatten; und da er sah, daß dieser nicht abließ, mit dem Prinzen Heinrich, der ihn spöttisch ansah, zu flüstern, setzte er hinzu: »Ich weiß, wer Eurer Königlichen Hoheit Lügen über mich aussagt, und werde diesem Wahrheitsliebe beizubringen wissen und ihn lehren, keine Verleumdungen auszustreuen.« Mein Bruder schwieg sowie auch der Prinz Heinrich, dem diese Worte gegolten hatten.

Tags darauf zog der Erbprinz den Prinzen Heinrich auf schonungsloseste Weise vor allen Generalen auf. Dieser zog aber gelinde Saiten auf und riet meinem Bruder, den Erbprinzen, der sehr unzufrieden mit ihm wäre, etwas zuvorkommender zu behandeln.

Ein Kurier, der einige Tage später eintraf, brachte Meldung von dem traurigen Zustand des Königs. Er war bis nach Kleve gekommen, hatte aber dort bleiben müssen, da sein Übel sich sehr verschlimmerte. Der Körper fing an zu schwellen, die Arzte hielten ihn für wassersüchtig und fanden zu schlimmen Befürchtungen Anlaß.

Ich komme wieder auf Bayreuth zurück. Da die Leiche des Prinzen von Kulmbach am 25. August beigesetzt werden sollte, begaben wir uns nach Himmelkron, um bei der Feierlichkeit nicht anwesend zu sein. Seit der Abreise des Erbprinzen merkte ich, daß die Liebe des Markgrafen noch heftiger wurde. Flora von Sonsfeld konnte nicht umhin, die Gefühle, die sie ihm entgegenbrachte, zu zeigen; gewisse Worte, die sie fallen ließ, ließen nur allzuwohl erkennen, daß sie der Versuchung, Markgräfin zu werden, unterliegen würde. Der Fürst wurde immer schwächer. Sein Arzt, der der größte Ignorant war, den es je gegeben hat, versprach ihm, durch Bäder und ein gewisses Getränk, das er für ein Universalmittel hielt, Heilung zu verschaffen; es bestand aus abgekochten Tannenzapfen. Der Markgraf und ich begannen gleichzeitig unsere Kur; aber wohlmeinende Leute warnten mich zu meinem Glücke, da ich mich ums Leben brächte, falls ich damit fortführe. Man warnte auch den Markgrafen, aber er war in diesen Arzt so vernarrt, daß er seine Bäder weiternahm, obwohl er täglich Ohnmachten hatte. Er ließ Tag und Nacht arbeiten, um Himmelkron instand zu setzen. Er hatte dort neue, reich mit Gold ausgestattete Spiegelzimmer herrichten lassen. Nun wollte er auch einen prachtvollen Garten und eine Menagerie anlegen; an einer Reitbahn wurde schon gebaut.

Dies alles schien mir auf seine Heirat hinzudeuten und darauf, daß er sich ganz in Himmelkron festsetzen würde. Die Marwitz bestätigte mir diese Vermutung und warnte mich immerfort. Sie war sehr geistreich und gesetzt, ich konnte mich auf sie verlassen und gewann sie täglich lieber. Da sie stets auf der Lauer lag, merkte sie, daß viele Leute in diese Intrige verwickelt waren, unter anderm Herr von Hesberg, der ehemalige Hofmeister des Prinzen Wilhelm. Ich kannte ihn als einen sehr ehrenhaften Mann und zögerte nicht, mit ihm die Sache zu bereden; doch wollte ich noch warten, bis ich von Himmelkron zurück sein würde.

Ich begab mich dorthin am 24. August mit meiner Hofmeisterin und der Marwitz und verbrachte eine denkbar langweilige Zeit. Der Markgraf war in einem furchtbaren Zustand; sein Gedächtnis wurde so schwach, daß er die meiste Zeit nicht wußte, was er sagte. Nach Tisch, wenn er getrunken hatte, verfiel er in nervöse Zuckungen, die mich sehr erschreckten; denn ich glaubte jeden Augenblick, er würde wieder von jenen Anfällen betroffen werden, die er in seiner Jugend gehabt hatte. Er war den ganzen lieben Tag in meinem Zimmer, was mich sehr störte.

Wir kehrten am 4. September endlich nach Bayreuth zurück, wo ich eine geheime Unterredung mit Herrn von Hesberg hatte. Er gestand mir, daß er wisse, was ich ihm sagen wollte, und daß Fräulein von Sonsfeld ihn schon ins Vertrauen gezogen habe. Ich erfuhr folgendes. Seitdem ich zum ersten Male jener Intrige ein Ende gemacht hatte, war der Markgraf unablässig um Flora von Sonsfeld bemüht gewesen; sie hatte sich eine Zeitlang gesträubt, hatte sich aber endlich bereit erklärt, freilich nur unter der Bedingung, daß ich meine Einwilligung geben würde; da der Markgraf einsah, daß er sie schwerlich zur Fürstin erheben könnte, beschloß er, um allen Hindernissen vorzubeugen, sie zur Gräfin von Himmelkron zu ernennen; er wollte sich mit ihr dorthin zurückziehen und ihr ein großes Kapital anweisen, das er auswärts anlegen wollte; der Markgraf warte nur auf die Rückkehr des Erbprinzen und die Abreise meines Bruders, um uns diesen Vorschlag zu unterbreiten, und sei fest entschlossen, falls wir Schwierigkeiten machten, sich zu rächen und unsre Einwände nicht zu beachten.

Dies alles stürzte mich in größte Besorgnis. Es wäre mir ein leichtes gewesen, der ganzen Intrige ein Ende zu machen, indem ich dem König Kenntnis davon gab; allein ich konnte mich aus Anhänglichkeit für meine Hofmeisterin nicht entschließen, sie und ihre ganze Familie dem Zorn des Königs auszusetzen. Ich beschloß also, alles auf eine Karte zu setzen, und ließ Flora von Sonsfeld rufen. Ich sagte ihr geradeheraus, daß ich von alle den Geschichten mit dem Markgrafen wisse; ich hätte ihr schon einmal deutlich gesagt, daß ich nie und nimmer in diese Heirat einwilligen würde; falls sie darauf bestünde, zwänge sie mich, den König zu benachrichtigen, alle ihre Zusammenkünfte mit dem Markgrafen müßten ein Ende haben, denn sie schädigten ihren Ruf, und sie sollte den Zustand des Fürsten wohl überlegen; dieser stünde ja am Rande seines Grabes und könne nicht mehr leben. Falls sie ihn aus Liebe nähme, würde sein Tod ihr viel schmerzlicher nach ihrer Heirat als vorher sein, und falls es aus Eigennutz geschähe, so dürfte sie zeitlebens auf mich rechnen, da ich bestrebt sein würde, sie für das Opfer, das sie brächte, zu belohnen. Ich flocht viele verbindliche Redensarten ein, und halb in Güte, halb mittels Drohungen entriß ich ihr wieder das Versprechen, daß sie den Plan aufgeben wolle. Daß sie immer gehofft habe, ich würde mich erweichen lassen, und daß die Liebe des Markgrafen sie allerdings sehr rühre, gestand sie mir ein, sie müßte jedoch vorsichtig zu Werke gehen, damit sein Unwille nicht auf uns zurückfiele; »denn«, sagte sie, »wenn er wüßte, daß Ew. Königliche Hoheit sich seinen Plänen entgegensetzen und schuld sind, daß ich sie zurückweise, würde er sich zum Äußersten hinreißen lassen.«

Sie wußte in der Tat eine so kluge Haltung einzunehmen, daß sie den Markgrafen bis zu seinem Tode hinhielt und uns durch ihren Einfluß allerlei gute Dienste erwies. Es fehlte ihr nur der Titel einer Markgräfin, denn sie besaß ganz deren Autorität; nichts geschah gegen ihren Willen, und alle Gnaden gingen durch ihre Hand. Die erste Freude, die sie mir erwies, war, daß sie den Markgrafen veranlaßte, den Erbprinzen zurückzurufen. Die Franzosen kantonierten bereits, und es gab im Heere nichts mehr zu tun. Dennoch erwirkte sie dies nur mit großer Mühe.

Ich hatte das Glück, diesen teuren Prinzen am 14. dieses Monats wiederzusehen. Er hatte sich allgemein beliebt gemacht. Ich erhielt von mehreren Seiten Briefe über ihn, die seine Haltung während des Feldzuges wie seinen militärischen Eifer lobten. Er war stärker geworden und sah sehr gut aus. Über meinen Bruder äußerte er sich sehr unzufrieden: er habe sich so zu seinem Nachteil verändert, daß ich ihn kaum wiedererkennen würde, er machte sich auch nichts mehr aus mir und sei mit einem Worte ein ganz anderer geworden. Diese Nachricht betrübte mich sehr. Allein ich schmeichelte mir, daß ich das Herz meines Bruders während seines Aufenthaltes bei uns wieder erobern würde.

Der Zustand des Königs war kläglich. Man hatte ihn nach Berlin gebracht. Alle Arzte, die ihn umringten, hielten sein Übel für unheilbar.

Der Markgraf schwand zusehends dahin. Da sein Zustand ihm nicht erlaubte, meinen Bruder zu empfangen, und um ihm aus dem Wege zu gehen und eine neue Kur anzufangen, begab er sich nach dem Parke, wo er ein sehr schönes Haus hatte. Allein er konnte seine Kur nicht fortsetzen, er wurde von einem Blutsturz befallen, der für sein Leben fürchten ließ. Alles riet ihm, seinen Arzt zu entlassen. Man brachte ihn so sehr gegen diesen Unglücklichen auf, daß dieser fast ins Gefängnis gekommen wäre. Die andern Ärzte waren der Meinung, daß die verordneten Bäder den Markgrafen so zugerichtet hätten. Goerkel behauptete das Gegenteil; er begründete die Heilsamkeit seiner Bäder folgendermaßen: »Man konserviert die Körper, indem man sie einbalsamiert; daraus schließe ich, daß, falls es mir gelänge, ein lebendes Wesen einzubalsamieren, dasselbe mehrere hundert Jahre alt werden könnte; nun ist aber der Tannenzapfen das beste Mittel gegen die Zersetzung. Ich verfuhr somit weise und berufsmäßig, indem ich dem Markgrafen und der Erbprinzessin dieses Mittel verordnete.« Ich lachte nicht wenig über diese schöne Methode, die mich und den Markgrafen zu Mumien gemacht hätte.

Wir erhielten um diese Zeit Nachrichten aus Italien. Sie lauteten für die Österreicher günstig. Graf Königsegg überraschte das Heer des Marschalls von Broglio und des Königs von Sardinien, indem er seine Truppen über den Fluß Oglio setzen ließ. Der Marschall entfloh mit einem nackten und einem bekleideten Fuß. Die ganze Armee der Alliierten geriet in Verwirrung. Man erzählte sich, es sei höchst komisch anzusehen gewesen, wie die österreichischen Husaren in den galonierten Fräcken der französischen Offiziere einhergingen. Diese verschafften sich einige Tage darauf Genugtuung. Während Graf Königsegg sie verfolgte, lieferten ihm die Franzosen vor Guastalla eine Schlacht und schlugen ihn. Prinz Ludwig von Württemberg und mehrere andere tapfere österreichische Generale fielen in diesem Kampf.

Inzwischen traf mein Bruder am 5. Oktober bei uns ein. Er schien mir ganz außer Fassung, und um jegliche Unterredung mit mir abzubrechen, sagte er mir, daß er dem König und der Königin schreiben müsse. Ich ließ ihm Federn und Papier bringen. Er schrieb in meinem Zimmer und brauchte eine gute Stunde, um zwei Briefe zu verfertigen, die nur zwei Zeilen lang waren. Er ließ sich dann die Mitglieder des Hofes vorstellen und begnügte sich damit, sie alle spöttisch anzuschauen, worauf wir zur Tafel gingen. Er sprach nur, um sich über alles, was er sah, lustig zu machen, und über hundertmal die Worte »kleiner Fürst« und »kleiner Hofstaat« einzuflechten. Ich war empört und konnte nicht begreifen, wie er sich mir gegenüber so plötzlich verändern konnte. Der Etikette gemäß dürfen Offiziere nur vom Hauptmann ab an der Tafel eines Prinzen speisen; die Leutnants und Fähnriche sind davon ausgeschlossen und nehmen am dritten Tische Platz. Mein Bruder hatte einen Leutnant in seinem Gefolge; er ließ ihn an unserm Tisch sitzen, indem er äußerte, die Leutnants des Königs dürften sich wohl mit den Ministern des Markgrafen messen. Ich schluckte diese Unfreundlichkeit hinab und tat nicht dergleichen.

Als ich nachmittags allein mit ihm war, sagte er mir: »Unsere Majestät ist dem Ende nahe und wird diesen Monat nicht überleben. Ich weiß, daß ich Ihnen große Versprechungen machte, doch werde ich nicht imstande sein, sie zu halten; ich will Ihnen die Hälfte der Summe schenken, die Ihnen der König geliehen hat, ich glaube, daß Sie vollen Grund haben werden, zufrieden zu sein.« Ich sagte ihm, daß meine Liebe für ihn nie eigennützig gewesen sei und ich nie etwas anderes von ihm verlangen würde, als daß er mir seine Zuneigung bewahre, daß ich aber keinen Heller von ihm haben wollte, falls es ihm irgendwie ungelegen wäre. »Nein, nein,« erwiderte er, »diese hunderttausend Taler sollen Sie haben; sie sind Ihnen bestimmt. Man wird sehr erstaunt sein,« fuhr er fort; »denn ich werde ganz anders verfahren, als man erwartet: man glaubt, daß ich alle meine Schätze vergeuden und daß man das Geld auf der Straße finden werde, aber das fällt mir nicht ein; ich will meine Armee vergrößern und alles auf demselben Fuß lassen. Der Königin denke ich alle Ehren zu erweisen, die sie nur wünschen kann; doch werde ich nicht dulden, daß sie sich in meine Angelegenheiten mischt, und wenn sie es dennoch tut, will ich es ihr schon austreiben.« Ich fiel wie aus dem Himmel, als ich dies alles hörte, und wußte nicht, ob ich träumte oder wachte. Er fragte mich dann über unser Land aus; ich sagte ihm, wie es sich damit verhielt. »Wenn Ihr Tor von einem Schwiegervater tot sein wird,« sagte er, »so rate ich Ihnen, Ihren Hofstaat aufzulösen, wie einfache Edelleute zu leben und Ihre Schulden zu bezahlen; Sie brauchen doch im Grunde nicht so viel Gefolge, und Sie müssen auch die Gehälter derer vermindern, die zu behalten Sie nicht umhin können; Sie sind von Berlin her vier Gänge gewohnt, das ist hier mehr als genug, und von Zeit zu Zeit werde ich Sie nach Berlin kommen lassen, auf die Art sparen Sie dann Kost und Haushalt.«

Das Herz war mir schon lange schwer, und ich konnte mich der Tränen nicht erwehren, als ich all diese Ungehörigkeiten vernahm. »Warum weinen Sie?« fragte er. »Aha! ich sehe, Sie sind melancholisch, solche üble Launen muß man verscheuchen, die Musik wartet auf uns, und ich werde Sie mit meiner Flöte aufheitern.« Er reichte mir die Hand und führte mich in das nächste Zimmer. Ich setzte mich an das Spinett und benetzte es mit meinen Tränen. Die Marwitz stellte sich vor mich, um mich vor den Blicken der andern zu verbergen.

Am vierten Tage nach seiner Ankunft lief eine Stafette der Königin ein, die ihn beschwor, zurückzukehren, da der König mit dem Tode ringe. Diese Nachricht betrübte mich vollends. Ich liebte den König und sah wohl ein, daß ich nach der jetzigen Wendung der Dinge nicht mehr auf meinen Bruder zählen durfte. Während der letzten zwei Tage seines Aufenthalts war er jedoch ein wenig freundlicher mit mir geworden. Ich liebte ihn zu sehr, um ihm nicht viel zugute zu halten, und ich glaubte schon, daß alles wieder beim alten sei; allein der Erbprinz machte sich keine Illusionen und sagte mir manche Dinge voraus, die sich später bewahrheitet haben. Mein Bruder reiste also am 9. Oktober wieder ab, und ich wußte nicht, was ich von ihm halten sollte.

Der Markgraf kam zwei Tage später nach Bayreuth zurück, und ich traute meinen Augen nicht, als ich ihn wiedersah. Nie im Leben habe ich eine solche Veränderung an einem Menschen wahrgenommen: sein Gesicht war so verzerrt, daß er nicht zu erkennen war. Er kam, sich ein wenig bei mir auszuruhen. Dabei wetterte er die ganze Zeit gegen seinen Arzt und beschrieb mir seine Krankheit bis ins kleinste. Sie wurde bald so schlimm, daß er das Zimmer nicht mehr verlassen konnte. Ich besuchte ihn jeden Tag. Seine Laune war furchtbar; er quälte uns bis aufs Blut. Wir wagten mit niemandem mehr zu sprechen, um den Betreffenden nicht in Ungnade zu bringen und er glaubte in seinem Argwohn, daß wir mit aller Welt gegen ihn intrigierten. Man durfte nicht lachen; sobald wir ein wenig heiter waren, sagte er, es sei aus Freude über seine Krankheit. Um diesen Quälereien ein Ende zu machen, sahen wir niemanden mehr, und der Erbprinz und ich verkehrten nur noch mit meinen Damen, es waren die einzigen Wesen, die wir sahen.

Mir speisten allein. Ich las, arbeitete und musizierte jeden Tag, wir spielten Blindekuh und sangen oder tanzten, kurz, wir trieben alle erdenklichen Torheiten, um die Zeit totzuschlagen. Ich muß hier eines ziemlich interessanten Zwischenfalles gedenken, den ich bisher unerwähnt ließ, um meine Erzählung nicht zu unterbrechen.

Ich habe den Charakter der verwitweten Markgräfin von Kulmbach, die in Erlangen lebte, bereits geschildert. Sie hatte sich in einen gewissen Grafen Hoditz verliebt, einen Mann aus sehr vornehmem schlesischen Hause, der aber ein ausgemachter Abenteurer und Wüstling war. Da man den Lebenswandel der Markgräfin längst kannte und sie stets einen Anbeter haben mußte, so kümmerte sich der Markgraf nicht weiter darum. Anfangs wahrte sie einigermaßen den Anstand, aber ihre Leidenschaft für ihren Liebhaber wurde so mächtig, daß sie beschloß, ihn zu heiraten. Der Graf wußte die Sache so geschickt zu lenken, daß ihr Plan erst ruchbar wurde, als sie ihn schon ausgeführt hatten. In einer dunklen Nacht verließen die beiden Liebenden das Schloß und entfernten sich mittels eines nachgemachten Schlüssels durch die Gartentür. Trotz des strömenden Regens gingen sie zu Fuß in ein kleines, zu Bamberg gehöriges Dorf, das eine halbe Meile von Erlangen entfernt lag. Die Frau Markgräfin trug weiter nichts als einen baumwollenen Rock und ein kurzes Leibchen aus gleichem Stoff. Sie trafen zwei katholische Geistliche im Dorfe zu, von denen sie sich trauen ließen, worauf sie wieder auf dieselbe Weise nach Erlangen zurückkehrten. Der Sekretär der Markgräfin und einige Leute von ihrer Dienerschaft, die ihnen gefolgt waren, dienten hierbei als Zeugen. Der Graf reiste ein paar Tage später nach Wien. Seine Neuvermählte schenkte ihm einen Teil ihrer Juwelen und verpfändete den Rest, um seine Reise zu bestreiten. Die Sache machte viel Aufsehen. Da der Sekretär der Markgräfin wohl einsah, daß er von seiner Herrin nichts mehr zu erwarten hatte, zeigte er den Vorfall dem Markgrafen an.

Dieser schickte sofort den Baron Stein nach Erlangen, um Erkundigungen einzuziehen. Die Markgräfin gestand ohne weiteres ihre Heirat ein. Man machte ihr eindringliche Vorstellungen über das Unpassende ihres Vorgehens, wie über die üblen Folgen, die es nach sich ziehen würde, und machte sich erbötig, die Heirat, die kirchlich nicht vollgültig war, aufzuheben, denn die beiden Priester hatten vom Bischof von Bamberg keinen Dispens erhalten. Doch alle Mahnungen waren vergebens. Sie antwortete, daß sie mit ihrem geliebten Grafen lieber von trocknen» Brote leben, als ohne ihn über die ganze Welt gebieten wolle. Da der Markgraf einsah, daß er nichts ausrichten würde, ließ er den Herzog von Weißenfels benachrichtigen. Dieser schickte einen seiner Minister nach Erlangen, dessen Bitten und Vorstellungen sich aber als ebenso nutzlos erwiesen wie die des Barons Stein. Sie verließ das Schloß, um ihrem Gatten nachzureisen, allein ihre Gläubiger, die sehr zahlreich waren, verlegten ihr den Weg. Um von ihnen loszukommen, ließ sie ihnen ihre sämtliche Habe zurück. Sie begab sich nach Wien, wo sie den lutherischen Glauben abschwor und zum Katholizismus übertrat. Dort lebt sie noch heutigentags von den Gnadengeschenken des dortigen Adels, im größten Elend und allgemein verachtet. Ihr Gatte tat ihr schön, solange sie noch einige Groschen besaß. Sie sah sich genötigt, alle ihre Kleider zu verkaufen, um die Ausgaben des Grafen zu bestreiten, der sie dann grausam im Stiche ließ.

Der Anfang des Jahres 1735 war dem Markgrafen nicht günstig. Seine Gesundheit wurde zusehends schlechter, und er konnte das Bett nicht mehr verlassen; dabei hatte er tausenderlei Launen; er glaubte nicht, daß er sterben würde, und machte täglich neue Pläne, um Himmelkron zu verschönern. Er wollte es prachtvoll ausbauen und hunderttausend Gulden dafür ausgeben. Seine Ordensstiftung erwähnte ich schon, er wollte sie nun in eine Pfründe umwandeln und gewisse Lehensgüter hierzu verwenden. Damit noch nicht genug, kaufte er auch eine Menge Pferde und ließ verschiedene Staatswagen bauen, weil er, wie er sagte, als großer Herr auftreten wollte, kurz, hätte Gott ihn nicht zu sich berufen, so würde er das ganze Land ruiniert und uns als Bettler zurückgelassen haben. Da alle, die in seinen Diensten standen, wohl einsahen, daß er nicht mehr gesund werden konnte, wandten sie sich an den Erbprinzen. Dieser suchte hinter seinem Rücken den Ausbau von Himmelkron und die Ordenspfründe zu vereiteln. Zeitweilig war der Markgraf sogar wirr im Kopfe; alles ging darunter und drüber, und er erschwerte uns noch das Leben auf alle erdenkliche Weise. Ich will hier eine Weile von ihm absehen, um mich mit den Vorgängen in Berlin zu befassen.

Der König litt noch immer an der Wassersucht. Er hatte furchtbare Schmerzen, die Beine waren ihm geplatzt, er mußte sie in Kübel stellen, um das Wasser, das aus ihnen hervorquoll, abstießen zu lassen. Da er sich immer kranker fühlte, beschloß er, die Heirat meiner Schwester Sophie mit dem Markgrafen von Schwedt zu vollziehen. Sie wurden am 7. Januar vor seinem Bette eingesegnet. Eine Geschwulst, die sich an einem seiner Beine bildete, schien den Ärzten zu einem Geschwür ausarten zu wollen, so daß sie einen Einschnitt vornahmen. Die Operation dauerte lange und war schmerzhaft. Der König hielt sie mit heroischer Standhaftigkeit aus und ließ sich einen Spiegel reichen, um dem Chirurgen besser zusehen zu können. Mein Bruder meldete mir mit jeder Post, daß der König nur noch vierundzwanzig Stunden zu leben habe, aber er verrechnete sich; denn durch die Unmenge Wasser, die der König verloren hatte, und die Geschicklichkeit der Ärzte wurde er vollkommen wiederhergestellt. Man erachtete diese Heilung völlig als ein Wunder. Ich war darüber hocherfreut.

Alle meine Schwestern begaben sich nach Berlin, um den König zu seiner Genesung zu beglückwünschen. Ich konnte ihm meine Freude darüber nur schriftlich bezeigen, da ich mich bei dem gegenwärtigen Zustand des Markgrafen nicht von ihm entfernen konnte. Obwohl sterbend, wünschte dieser Fürst sein neues Ordensfest feierlich zu begehen. Alle Ritter desselben empfingen den Orden von seiner Hand. Er lag zu Bette, als er die Huldigungen des ganzen Hofes entgegennahm. Dieser Orden besteht in einem weißen Kreuz; der rote Adler, der die Wappen des Hauses trägt, hängt an einem roten, goldberänderten Bande und wird am Halse getragen; der Stern ist aus Silber, der rote Adler bildet den Mittelpunkt mit der lateinischen Inschrift: In Treue fest. Abends fand große Tafel bei mir statt und ein Ball, der nur eine Viertelstunde dauerte.

Ich erhielt um diese Zeit einen Brief der Herzogin von Braunschweig, der mir den Tod ihres Gatten anzeigte. Er war erst seit einem Jahre zur Regierung gelangt. Diese Nachricht erfüllte mich mit aufrichtiger Betrübnis, und ich bin mit der Herzogin bis zum heutigen Tage in inniger Freundschaft verbunden geblieben. Ihr Sohn, Prinz Karl, wurde durch diesen Tod regierender Herzog. Meine Schwester durfte von Glück reden, sofern man anläßlich des Verlustes eines so wackeren Fürsten also sprechen darf, denn sie sah sich zwei Jahre nach ihrer Verheiratung und wider jede Erwartung als regierende Herzogin.

Die Krankheit des Markgrafen verschlimmerte sich inzwischen so sehr, daß man ihm riet, einen sehr geschickten Arzt, der in Erfurt weilte, rufen zu lassen. Der Arzt, der an Stelle Goerkels getreten war, hieß Zeitz. Er war klug, wußte mehr als sein Vorgänger, seine Methode war aber ebenso lächerlich. Zudem hatte er einen schlechten Charakter und keine Religion, folglich keinen Zügel, um sich zu bemeistern. Nicht jedem ist es gegeben, einen blinden Glauben zu haben; man wird sogar gewöhnlich finden, daß die, die am wenigsten glauben, moralischer sind; aber ein bösartiger Mensch, der keine Religion hat, ist ein sehr gefährliches Mitglied der Gesellschaft. Die meisten Leute wissen nicht, was sie glauben: die einen verwerfen die Religion, weil sie sich ihrer Leidenschaft entgegensetzt, – die andern aus Mode; wieder andere, um für aufgeklärte Geister zu gelten. Solche Leute sind mir sehr zuwider, doch kann ich jene nicht tadeln, die sich die Erforschung der Wahrheit zum Ziele nehmen und sich von allen Vorurteilen befreien wollen. Ja, ich bin überzeugt, daß Leute, die gewohnt sind nachzudenken, nicht umhin können, tugendhaft zu sein; indem man die Wahrheit sucht, lernt man richtig urteilen, und indem man richtig urteilt, gerät man ganz von selbst auf die Bahn der Tugend. Ich ließ mich aber von meinem Thema ablenken und nehme es wieder auf.

Herr Juch, der Arzt, den man hatte rufen lassen, sagte dem Markgrafen ganz offen, daß er von dieser Krankheit nicht davonkommen könne und daß er nur noch einige Wochen zu leben habe. Zeitz hingegen versicherte ihm, er würde ihn wieder auf die Beine bringen. Er schenkte dem letzten Glauben. Dies ist natürlich; wir glauben gerne, was wir hoffen. So gab er wettere Befehle für den Ausbau von Himmelkron und brachte die Angelegenheit betreffs der Ordenspfründe ins reine.

Die Prinzessin von Ostfriesland, die von dem traurigen Zustand ihres Vaters Nachricht erhalten hatte, machte sich auf den Weg, um nach Bayreuth zu kommen. Der Erbprinz und ich waren deshalb sehr beunruhigt. Sie konnte uns beiden den größten Schaden zufügen, indem sie ihren Vater beredete, sein Testament zu ihrem und ihrer Schwester Gunsten abzufassen. Fräulein Flora von Sonsfeld wußte es so zu wenden, daß sie dem Markgrafen vorhielt, es würde eine zu starke Gemütsbewegung für ihn sein, wenn er seine Tochter sähe; übrigens würde sie allerlei Ansprüche erheben, die dem Lande nachteilig wären, die ihr aber der Markgraf nicht gut verweigern konnte – kurz, sie stellte es so geschickt an, daß der Fürst der Prinzessin eine Stafette schickte, um sie zu bitten, nicht zu kommen. Die Botschaft traf sie halbwegs in Halberstadt; sie sah sich also genötigt umzukehren.

Die Liebe des Markgrafen zu Flora von Sonsfeld war stets gleich mächtig; allein sie hielt das Wort, das sie mir gegeben hatte, und teilte mir alle Unterredungen mit, die sie mit ihm führte. Ohne sie wäre es uns schlimm ergangen, er hätte sich zu allerlei Ausschreitungen hinreißen lassen, denn er behandelte uns unter aller Würde. Wir faßten uns in Geduld, besonders ich, da ich einer baldigen Befreiung entgegensah. Doch muß ich es dem Erbprinzen nachrühmen, daß ich ihn nie wider seinen Vater murren hörte, außer an dem Tage, wo dieser ihn schlagen wollte, und daß er stets die größte Ehrfurcht für ihn bewahrte. Daß sein Vater dem Tode nahe war, sah er selbst ein. Er wußte nur oberflächlich über die Angelegenheiten des Landes Bescheid und pflog täglich geheime Unterredungen mit Herrn von Voigt, der ihm über die Lage der Dinge Aufklärungen gab. Ich kannte den Charakter des Erbprinzen von Grund aus und wußte, daß er sich nie beherrschen lassen würde. Ich war fest entschlossen, mich in nichts hineinzumischen; Intrigen sind mir verhaßt wie der Tod, anderseits wollte ich aber das Ansehen, das mir zukam, behaupten und nicht zulassen, daß man sich in Dinge mischte, die mich angingen. Ich weiß nicht, ob Herr von Voigt dem Erbprinzen einredete, daß ich zu regieren gedächte, oder ob er selbst auf diesen Gedanken verfiel, jedenfalls merkte ich, daß er nicht mehr so offen mir gegenüber war. Ich war deshalb besorgt, ließ mir aber nichts merken.

Die Marwitz sagte mir eines Tages: »Der Erbprinz ist noch zu impulsiv, um in alle Geschäfte der Regierung einzudringen, Ew. Königliche Hoheit werden ihm dabei sicher zur Seite stehen müssen; er ist noch jung, weiß nicht Bescheid und hat keine Erfahrungen; ich furchte, er wird viele Fehler begehen, wenn er Ihre Ratschläge nicht befolgt.« »Ich versichere Ihnen, meine Liebe,« sagte ich, »daß Sie hierin sehr im Irrtum sind; ich werde mich in nichts hineinmischen, und der Erbprinz wird meine Ratschläge nicht einholen.« Sie stand überrascht. Der Erbprinz trat eben ins Zimmer. Sie richtete ungefähr dieselben Worte an ihn, die sie mir gegenüber geäußert hatte, und ich wiederholte dem Prinzen, was ich ihr geantwortet hatte. Er schwieg; er war sehr frostig gegen mich geworden. Ich schob es auf all die Dinge, die ihm jetzt im Kopf heimgingen. Bisher hatte er mir nie etwas vorenthalten, sondern mir seine geheimsten Gedanken anvertraut; aber er teilte mir weder seine Zukunftspläne mit, noch fragte ich ihn danach.

Als wir eines Tages bei Tische saßen, schickte man eilig nach uns und meldete uns, daß der Markgraf im Sterben läge. Wir fanden ihn in einem Lehnstuhl liegen; ein Erstickungsanfall hatte ihm fast das Leben geraubt; sein Puls glich dem eines Sterbenden. Er sah uns alle an, ohne ein Wort zu sagen. Man hatte einen Geistlichen gerufen, was ihm aber zu mißfallen schien. Der Geistliche hielt ihm eine ziemlich schöne Ansprache über seinen Zustand und sagte ihm, es sei der Augenblick für ihn gekommen, Rechenschaft vor Gott abzulegen, er müsse sich dem höchsten Willen unterwerfen, der ihm Kraft geben würde, mutigen Herzens dem Tode entgegenzusehen. »Ich war gerecht,« sagte er, »mildtätig mit den Armen, – ich habe kein sittenloses Leben geführt, sondern die Pflichten eines rechtliebenden Fürsten erfüllt; so habe ich mir nichts vorzuwerfen und kann ruhig vor Gottes Richterstuhl erscheinen.« »Wir sind alle Sünder,« gab ihm der Geistliche zurück, »und selbst der Gerechte fällt siebenmal des Tages, und selbst wenn wir alle unsere Pflichten erfüllten, sind wir dennoch unnütze Diener vor dem Herrn.« Wir merkten alle, daß ihm diese Ansprache mißfiel. Er wiederholte mit noch heftigerem Nachdruck: »Nein, ich habe mir nichts vorzuwerfen, mein Volk wird um mich trauern können wie um einen Vater.« Er schwieg eine Weile, worauf er bat, wir möchten uns zurückziehen. Man brachte ihn zu Bett, und wir waren sehr überrascht, als man uns abends mitteilte, es ginge ihm viel besser. Zugleich sagte man uns, er habe seine Leute sehr scharf zurechtgewiesen wegen der Beunruhigung, die sie hervorgerufen, und besonders, weil sie den Geistlichen gerufen hätten. Sein Übel schien sich vermindert zu haben, verstärkte sich aber am 6. Mai wieder so sehr, daß Zeitz ihm, der ihm stets Hoffnungen gemacht hatte, nun selbst seinen Tod ankündigte. Er verfiel in tiefes Nachsinnen und wollte an diesem Tage ganz allein gelassen werden. Er war unsäglich schwach.

Tags darauf ließ er den Erbprinzen und mich rufen. Er hielt seinem Sohn eine lange Rede über die Art, wie er regieren solle, und sagte mir, er habe mich stets zärtlich geliebt; er erkenne meinen Wert an; er beschwöre mich, seinen Sohn stets anzuhalten, die Grundsätze zu befolgen, die er ihm angegeben habe. Er wünschte mir viel Glück und bat mich, eine Dose, die er mir gab, als Andenken von ihm anzunehmen. Wir knieten beide vor ihm nieder, er gab uns seinen Segen und umarmte uns. Wir brachen in Tränen aus. Ich war von seinen Worten so gerührt, daß ich, falls es in meiner Macht gewesen wäre, sein Leben verlängert haben würde. Er bat uns dann, nicht wieder zu ihm zu kommen, bevor er im Sterben läge, und zu mir gewendet: »Ich bitte Sie dringend, Prinzessin, gewähren Sie mir diese Bitte.« Er ließ alsdann meine Tochter kommen, der er auch den Segen erteilte, dann nahm er von allen meinen Damen Abschied, Flora von Sonsfeld, die krank war, ausgenommen. Die Minister kamen ebenso an die Reihe. In einer langen Ansprache führte er alle Wohltaten an, die ihm das Land schulde, und wiederholte ungefähr, was er dem Geistlichen gesagt hatte. Er legte ihnen eindringlich das Wohl seines Landes ans Herz, sowie die Anhänglichkeit, die sie für ihren neuen Gebieter an den Tag legen sollten, und sagte ihnen dann ein letztes Lebewohl. Er fand die Energie, von seinem gesamten Hofe Abschied zu nehmen, vom ersten Minister bis zum letzten Diener herab. Es rührte mich sehr, doch muß ich gestehen, daß ich sein ganzes Verfahren recht prahlerisch fand, denn er hob jedem gegenüber die Sorge hervor, die er um das Wohl seines Landes getragen habe. Man wird in der Folge sehen, daß er noch nicht zu sterben glaubte; alles, was er tat, geschah nur, um Komödie zu spielen. Nach dieser traurigen Zeremonie fühlte er sich äußerst schwach. Sobald sie beendet war, bat er uns, ihn allein zu lassen.

Die Arzte machten uns darauf aufmerksam, daß sein Ende jeden Augenblick eintreten könne. Um näher bei ihm zu sein und das Versprechen erfüllen zu können, das wir ihm gegeben hatten, bei seinem Ende zugegen zu sein, logierten wir uns in die anstoßenden Gemächer ein und legten uns nachts ganz angekleidet aufs Bett.

Da er am nächsten Tage eine zunehmende Schwäche fühlte, ließ er den Erbprinzen rufen, dem er in Gegenwart der Minister die Regentschaft übergab, worauf er bat, man möchte ihn mit allen geschäftlichen Dingen verschonen. Ich ging jeden Morgen und Abend in sein Vorzimmer, um mich nach ihm zu erkundigen, denn es durfte nur der Erbprinz unangemeldet zu ihm hinein. Kaum hatte er ihm die Regentschaft übergeben, als er es bereute und nicht umhin konnte, seinen Sohn zu brüskieren, sooft er ihn erblickte. Er erkundigte sich sogar bei einigen Herren seines Hofes, die stets um ihn waren, und bei seiner Dienerschaft, ob denn sein Sohn schon den Herrscher spiele, und fügte hinzu, er sei wohl überfroh, sich als sein eigener Herr zu fühlen. Man erwiderte ihm der Wahrheit gemäß, der Erbprinz habe gelobt, keinen einzigen Befehl zu erlassen, solange sein Vater noch am Leben sei, und nichts Geschäftliches erledigen zu wollen.

Seine Krankheit zog sich bis zum 16. Mal hin, an dem wir abends um neun Uhr schleunigst gerufen wurden. Wir fanden lm Vorzimmer alles im Gebet versammelt; man hörte ihn schon von weitem röcheln, denn er litt furchtbare Qualen. Er sagte zu seinem Sohne: »Mein teurer Sohn, ich ersticke, ich kann die Pein nicht mehr aushalten, sie bringt mich zur Verzweiflung.« Er schrie und heulte, daß es entsetzlich anzuhören war; zu drei Malen verlor er das Bewußtsein und fand es wieder. Er sprach bis zu seinem letzten Atemzuge und verschied endlich am Morgen des l7. Mal um halb sieben Uhr. Ich war ergriffen, wie nie zuvor in meinem Leben. Ich hatte nie jemanden sterben sehen; der Eindruck war so stark, daß ich nicht mehr davon loskommen konnte.

Der Erbprinz war untröstlich. Wir hatten alle Mühe, ihn aus dem Sterbezimmer zu entfernen und ihn in seine eigenen Gemächer zurückzuführen, wo er über eine Stunde lang brauchte, um seine Fassung wiederzuerlangen. Der ganze Hofstaat war ihm gefolgt. Sobald er etwas ruhiger geworden war, teilte ihm Herr von Voigt mit, daß er den Ministerrat zu bestätigen habe. Der Markgraf zögerte eine Zeitlang, dann nahm er mich beiseite und fragte mich, was ich davon hielte. Ich gab ihm entsprechend Antwort und meinte, daß die Sache nicht so eilig sei; sein Vater sei erst seit einer Stunde tot; meines Erachtens sollte man ein gewisses Dekorum wahren und nicht so große Eile bezeigen, die Regierung anzutreten, dafür sei auch morgen Zeit, und es bliebe ihm auf diese Weise alle Muße, reiflich zu überlegen, welche Personen er im Amt haben wollte. Mein Rat erschien ihm gut. Er war sehr angegriffen und ich desgleichen, da ich die ganze Nacht durchwacht hatte und meine Gesundheit sehr schwach war. Um alle Zudringlichkeiten jener Herren abzuwehren, legte er sich hin, um einige Stunden auszuruhen; aber man drang so lange in ihn und hielt ihm so lange alle Schwierigkeiten vor Augen, die es nach sich zöge, falls er die Minister in Ungewißheit ließe, daß er sie endlich in ihrem Amte bestätigte. Es waren die Herren Stein, Voigt, Dobeneck, Hesberg, Lauterbach und Thomas.


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