Wilhelmine von Bayreuth
Memoiren der Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth
Wilhelmine von Bayreuth

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Die Ankunft des Königs von Polen stand nahe bevor; wir kehrten anfangs Mai nach Berlin zurück. Die Königin fand dort Briefe aus Hannover, in denen ihr angekündigt wurde, daß der Prinz von Wales sich inkognito nach Berlin verfügen und sich den Trubel und die Verwirrung, die während der Anwesenheit des Königs von Polen dort herrschen würden, zunutze machen wollte, um mich zu sehen. Über diese Nachricht empfand die Königin eine maßlose Freude; sie setzte mich sofort davon in Kenntnis. Da ich nicht immer ihrer Meinung war, fühlte ich mich nicht in dem Maße beglückt. Ich hatte stets einen Stich ins Philosophische, der Ehrgeiz gehört nicht zu meinen Fehlern; ich ziehe das Glück und die Ruhe der Macht und dem Glanz des Lebens vor. Ich liebe die Welt und ihre Freuden, aber ich hasse die leere Vergnügungssucht. Mein Charakter, so wie ich ihn hier beschreibe, eignete sich nicht für den Hof, dem meine Mutter mich zuführen wollte. Ich war mir dessen bewußt, und darum bangte mir davor, dort leben zu müssen. Die Ankunft mehrerer Damen und Kavaliere aus Hannover brachten meine Mutter auf den Gedanken, daß der Prinz von Wales sich unter ihnen befände. Kein Esel und kein Maultier, hinter dem sie nicht ihren Neffen wähnte; sie schwur sogar, sie habe ihn in Monbijou unter der Menge gesehen. Allein ein zweiter Brief aus Hannover klärte sie über ihren Irrtum auf. Sie erfuhr, daß dieses Gerücht nur durch einen Scherz entstanden sei, den der Prinz von Wales abends bei der Tafel gemacht hatte, wodurch die Meinung hervorgerufen wurde, er würde sich wirklich nach Berlin verfügen.

Der König von Polen kam endlich am 29. Mai an. Er stattete erst der Königin einen Besuch ab. Sie empfing ihn an der Tür ihres dritten Vorzimmers. Der König von Polen reichte ihr die Hand und führte sie in das Audienzzimmer, wo wir ihm vorgestellt wurden. Dieser König war fünfzig Jahre alt, von majestätischem Aussehen, leutselig und verbindlich in seinem Wesen. Er war für sein Alter sehr gebrechlich; seine furchtbaren Ausschweifungen hatten ihm ein Leiden am rechten Fuße zugezogen, so daß er kaum gehen noch lange stehen konnte. Der Brand war schon dazugetreten, so daß man, um den Fuß zu retten, zwei Zehen hatte abnehmen müssen. Die Wunde war stets offen, und er litt große Schmerzen. Die Königin bat ihn, sich zu setzen, was er lange nicht tun wollte; endlich, auf ihr Drängen hin, nahm er auf einem Taburett Platz. Die Königin setzte sich ihm gegenüber auf ein anderes. Da wir stehen blieben, entschuldigte er sich vielmals bei mir und meinen Schwestern wegen seiner Unhöflichkeit. Er betrachtete mich sehr aufmerksam und sagte jeder von uns etwas Verbindliches. Nach einer Stunde zog er sich zurück. Die Königin wollte ihn begleiten, aber er wollte es nicht dulden.

Alsdann meldete sich der Kurprinz von Sachsen bei der Königin zu Besuch. Er ist groß und sehr beleibt, sein Gesicht ist regelmäßig und schön, doch hat er nichts Einnehmendes. Er stellt sich bei allem, was er tut, sehr verlegen an; und um seine Schüchternheit zu verbergen, bricht er oft in ein gezwungenes, äußerst unangenehmes Lachen aus. Er spricht wenig; und es fehlt ihm die Gabe der Leutseligkeit und Verbindlichkeit, die seinem Vater eigen ist. Man könnte ihn sogar der Unaufmerksamkeit und Grobheit zeihen. Diese wenig angenehmen Außenseiten bergen jedoch hohe Eigenschaften, die erst hervortraten, als der Prinz König von Polen wurde. Er hat sich zum Grundsatz gemacht, sich als wahrhaft rechtschaffnen Mann zu zeigen, und nichts gilt ihm höher, als die Wohlfahrt seiner Untertanen. Die, welche sich seine Ungnade zuziehen, dürften sich andernorts gar glücklich schätzen; denn weit entfernt, ihnen etwas anzutun, setzt er ihnen große Pensionen aus. Diejenigen aber, denen er einmal seine Zuneigung schenkte, hat er niemals im Stich gelassen. Sein Leben ist sehr geregelt, man kann ihm kein Laster vorwerfen, und sein gutes Einvernehmen mit seiner Gemahlin muß ihm als Verdienst angerechnet werden. Diese Fürstin war außerordentlich häßlich, und nichts entschädigte sie für ihr unglückliches Äußeres.

Er hielt sich nicht lange bei der Königin auf. Nach diesem Besuche fielen wir wieder in unsere Öde zurück und brachten den Abend wie gewöhnlich in Zurückgezogenheit und fastend zu. Ich sage fastend, denn wir aßen kaum genug, uns zu sättigen. Aber hierüber ein andres Mal.

Der König und der Prinz von Polen soupierten jeder für sich. Am nächsten Tage, einem Sonntag, verfügten wir uns alle nach der Predigt in die großen Staatsgemächer des Schlosses. Die Königin, von ihren Töchtern und den Prinzessinnen von Geblüt begleitet, schritt von einem Ende der Galerie herauf, während von der andern Seite die beiden Könige vortraten. Ich habe nie etwas Schöneres gesehen. Alle Damen der Stadt in ihrem Schmuck bildeten der Galerie entlang Spalier; der König und der Prinz von Polen und ihr Gefolge, das aus dreihundert Würdenträgern, sowohl polnischen als sächsischen, bestand, trugen prachtvolle Gewänder; sie stachen sehr gegen die Preußen ab. Diese waren nur in Uniform, deren Besonderheit auffallend war. Die Röcke sind so kurz, daß sie unsern Vorfahren kaum zu Lendenschürzen gereicht hätten, und so eng, daß sie sich nicht zu rühren wagten, aus Furcht, sie zu zerreißen. Ihre Sommerhosen sind aus weißem Stoff, wie auch ihre Gamaschen, ohne die sie nicht erscheinen dürfen. Das Haar tragen sie gepudert, doch ungelockt und hinten mittels eines Bandes zu einem Schopf gebunden. Der König selbst war so gekleidet. Nach den ersten Begrüßungen stellte man alle die Fremden der Königin und dann mir vor. Der Herzog Johann Adolf von Weißenfels, sächsischer Generalleutnant, war der erste, mit dem wir bekannt wurden. Mehrere andere folgten dann; so der Graf von Sachsen und der Graf Rudofski, beide natürliche Söhne des Königs, Herr von Libski, später Primas und Erzbischof von Krakau, die Grafen von Manteuffel, Lagnasko und Brühl, Günstlinge des Königs, der Graf Solkofski, Günstling des Kurprinzen, und soundso viele andere Leute von Ansehen, die ich übergehe. Der Graf von Flemming fehlte im Gefolge: er war drei Wochen vorher in Wien zu allgemeinem Bedauern gestorben. Es wurde feierlich Tafel gehalten. Der König von Polen und meine Mutter, die Königin, saßen an einem Ende, mein Vater, der König, saß neben dem König von Polen, der Kurprinz neben ihm, dann folgten die königlichen Prinzen und das Gefolge; ich saß neben der Königin, meine Schwester neben mir und die Prinzessinnen alle ihrem Range gemäß. Man trank sich fleißig zu, man sprach wenig, und die Langeweile war groß. Nach der Tafel zog sich jeder zurück. Abends hielt die Königin großen Empfang. Die Gräfinnen Orzelska und Bilinska, natürliche Töchter des Königs von Polen, erschienen ebensowohl wie die vielberüchtigte Madame Potge. Die erstere war, wie gesagt, die Mätresse ihres Vaters, was grauenvoll ist. Ohne von regelmäßiger Schönheit zu sein, hatte sie etwas sehr Einnehmendes; ihre Figur war vollkommen, und sie hatte ein gewisses Etwas, das Teilnahme einflößte. Ihr Herz war ihrem ältlichen Liebhaber nicht zugeneigt; sie liebte ihren Bruder, den Grafen Rudofski. Dieser war der Sohn einer Türkin, die Kammerzofe bei der Gräfin Königsmark, Mutter des Grafen von Sachsen, gewesen war. Die Orzelska lebte auf großem Fuße und besaß vor allem einen herrlichen Schmuck, da der König ihr den seiner verstorbenen Gemahlin, der Königin, geschenkt hatte. Die Polen, die mir des Morgens vorgestellt worden waren, zeigten sich sehr überrascht, weil ich ihre barbarischen Namen aussprach und sie wiedererkannte. Sie waren über meine Liebenswürdigkeit sehr erfreut und sagten laut, daß ich ihre Königin werden müsse. Tags darauf war große Truppenschau. Die beiden Könige speisten zusammen ohne Gefolge, und wir zeigten uns nicht. Am folgenden Abend wurde die Stadt illuminiert; wir erhielten die Erlaubnis, sie zu besichtigen; ich habe nichts Schöneres gesehen. Alle Häuser in den Hauptstraßen waren mit Devisen und so vielen brennenden Lampions geschmückt, daß es das Auge blendete. Zwei Tage darauf war ein Ball in den großen Schloßsälen angesetzt; man spielte dabei Lotterie, und ich zog den König von Polen. Am folgenden Tage wurde in Monbijou ein großes Fest gegeben, die ganze Orangerie wurde illuminiert, was prächtig aussah. In Berlin nahmen die Feste nur ein Ende, um in Charlottenburg wieder anzufangen. Es gab deren mehrere sehr glänzende. Ich genoß davon nur wenig. Die schlechte Meinung, die mein Vater, der König, vom weiblichen Geschlecht hatte, war schuld, daß er uns in schrecklicher Unterdrückung hielt und daß die Königin wegen seiner Eifersucht größte Vorsicht bewahren mußte. Am Tage der Abreise des Königs von Polen hielten beide Könige, was man eine »Vertrauenstafel« nennt. Sie heißt also, weil dabei nur auserwählte Freunde zugezogen werden. Diese Tafel ist so eingerichtet, daß man sie mittels Rollen herablassen kann. Man braucht keine Dienerschaft: statt ihrer dienen trommelähnliche Dinger, auf die jeder Gast aufschreibt, was er essen will, und die er so hinabläßt; sie steigen dann mit dem Gewünschten wieder in die Höhe. Dieses Mahl dauerte von ein Uhr bis zehn Uhr abends. Bacchus kam dabei zu Ehren, und die beiden Könige spürten die Wirkung des göttlichen Saftes. Sie hoben die Tafel nur auf, um sich zur Königin zu verfügen. Dort wurde ein paar Stunden gespielt; ich kam daran, mit dem König von Polen und der Königin zu spielen. Er sagte mir viel Verbindliches und spielte falsch, um mich gewinnen zu lassen. Nach dem Spiel verabschiedete er sich von uns und ging, von neuem dem Gott der Reben zu opfern. Er reiste, wie ich schon sagte, am selben Abend ab. Der Herzog von Weißenfels hatte mir während seines Aufenthaltes in Berlin große Aufmerksamkeiten erwiesen. Ich hatte sie lediglich der Höflichkeit zugeschrieben und hätte mir nie träumen lassen, daß er es wagen würde, den Gedanken einer Heirat mit mir zu fassen. Er war der jüngere Sohn eines Hauses, das, obwohl sehr alt, nicht zu den vornehmsten Häusern Deutschlands zählt; ich war nicht ehrgeizigen, aber auch nicht niedrigen Sinnes, so daß ich die wirklichen Gefühle des Herzogs gar nicht erriet. Darin irrte ich mich, wie man später sehen wird.

Ich habe seit unsrer Abreise von Potsdam meinen Bruder nicht mehr erwähnt. Seine Gesundheit fing an sich zu bessern; aber er stellte sich kränker, als er war, um von der Festtafel, die in Berlin stattfinden sollte, dispensiert zu sein, da er nicht hinter dem Kurprinzen von Sachsen rangieren wollte, was der König unweigerlich von ihm gefordert hätte. Er erschien am darauffolgenden Montag. Seine Freude, die Orzelska wiederzusehen, und ihr Entgegenkommen, das sie ihm durch geheime Zusammenkünfte bewies, stellten ihn vollends her. Mein königlicher Vater verließ uns indes, um sich nach Preußen zu begeben; er ließ meinen Bruder in Potsdam, gestattete aber, daß er wöchentlich zweimal der Königin seine Aufwartung mache. Während dieser Zeit unterhielten wir uns vortrefflich. Der Hof war glänzend wegen der vielen Fremden, die herzuströmten. Überdies sandte der König von Polen seine geschicktesten Virtuosen an die Königin, wie den berühmten Weiß, der so herrlich Laute spielte, daß ihm kein andrer gleichkam und die nach ihm kommen, höchstens den Ruhm ernten können, seine Nachahmer genannt zu werden; dann Bufardin, der große Flötenbläser, und Quantz, der dasselbe Instrument spielte und ein großer Komponist war, dessen Geschmack und hohe Kunst der Flöte den Klang der schönsten Stimme verleihen konnte. Während wir in ruhigen Freuden unsere Tage verbrachten, suchte der König von Polen seinen Sohn zu bewegen, den Vertrag zu unterzeichnen, der meine Heirat betraf, aber so sehr er ihn auch bestürmte, der Kurprinz blieb bei seiner Weigerung. Da so der König von Preußen die Unsicherheit all der mir wie ihm darin gebotenen Vorteile erkannte, annullierte er alle Entschlüsse, die auf Grund jenes Vertrages gefaßt worden waren, und verhinderte meine Heirat. Die Königin und ich erfuhren erst viel später davon. Sie war hocherfreut, daß diese Unterhandlung ergebnislos geblieben war, sie intrigierte noch immer mit den Gesandten Frankreichs und Englands. Diese unterrichteten sie über alles, was sie unternahmen, stets, und da sie beim König ihre bezahlten Spione hatte, trug sie den Herren wieder alles zu, was sie ihrerseits vernahm. Aber der König vergalt ihr Gleiches mit Gleichem, ihm stand die Ramen zu Diensten, die Kammerfrau und Vertraute der Königin, die vor der Kreatur nichts geheimhielt und ihr allabendlich ihre geheimsten Gedanken sowie alle Schritte anvertraute, die sie tagsüber unternommen hatte. Die Person ermangelte nicht, durch den unwürdigen Eversmann und den elenden Holtzendorff, ein neues Ungeheuer von Günstling, den König zu benachrichtigen. Sogar mit Seckendorf stand sie in Verbindung, wie ich durch meine treue Mermann erfuhr, die sie täglich um die Dämmerstunde im Hause dieses Ministers verschwinden sah. Der französische Gesandte Graf von Rottenburg hatte längst herausbekommen, daß alle seine Pläne durch Verräter an Seckendorf gelangten, er setzte alle Hebel in Bewegung und entdeckte auf diese Weise die Intrigen der Ramen. Er wollte die Königin in Kenntnis setzen, aber der englische Gesandte Mr. Dubourgay, und der Dänemarks, namens Lövener, hielten ihn ab; sie waren alle drei aufs höchste erzürnt, sich so genarrt zu sehen. Ja, es kam zu einem Auftritt zwischen dem Grafen Rottenburg und mir. »Die Königin«, sagte er, »hat alle unsere Maßregeln zunichte gemachte; wir sind alle übereingekommen, ihr nichts mehr anzuvertrauen, aber wir wollen uns an Sie wenden, Hoheit. Wir sind von Ihrer Diskretion überzeugt, und Sie werden ebensogut imstande sein, uns richtig zu instruieren wie die Königin.« »Nein,« erwiderte ich, »machen Sie mir nie, ich bitte Sie, derartige Mitteilungen, ich empfange sie nur ungern von der Königin; ich weiß am liebsten von solchen Angelegenheiten nichts, ich habe nichts damit zu tun und mische mich nicht in Dinge, die mich nichts angehen.« »Sie betreffen aber Ihr Glück, Hoheit,« sagte der Graf, »wie das Ihres Bruders und der ganzen Nation.« »Zugegeben,« erwiderte ich, »aber ich habe mich bisher nicht mit der Zukunft befaßt, denn ich bin zum Glück ohne Ehrgeiz, und meine Auffassung hierüber ist von der anderer vielleicht sehr verschieden.« Auf diese Weise befreite ich mich von den Zudringlichkeiten des Gesandten. Der König war indes über alle Intrigen der Königin sehr ungehalten, doch ließ er sich trotz seines heftigen Temperaments nichts merken. Anderseits waren Grumbkow und Seckendorf über das Scheitern ihrer polnischen Heiratspläne nicht wenig in Verlegenheit. Es galt nun, eine andere Partie für mich ausfindig zu machen; denn sie wußten wohl, daß, solange ich nicht verheiratet sei, der König sich nie ganz für ihre Pläne gewinnen lassen würde. Er wünschte nach wie vor, mich mit dem Prinzen von Wales vermählt zu sehen, und nahm deshalb noch auf den König von England Rücksicht. Die beiden Minister schmiedeten also zusammen eine neue Intrige.

Der König war inzwischen aus Preußen zurückgekehrt, und sechs Wochen später befanden wir uns mit ihm in Wusterhausen. In Berlin hatten wir eine zu angenehme Zeit verlebt, als daß sie hätte von Dauer sein können, und aus dem Himmel, in dem wir gewesen waren, fielen wir jetzt ins Fegefeuer; dies wurde uns ein paar Tage nach unsrer Ankunft in dem schrecklichen Orte fühlbar gemacht. Der König hatte eine Unterredung mit der Königin, während der meine Schwester und ich ins Nebenzimmer geschickt wurden. Obwohl die Tür geschlossen war, ließ der Ton ihrer Stimmen bald erkennen, daß sie einen heftigen Streit hatten; ich hörte sogar oft meinen Namen nennen, worüber ich sehr erschrak. Dies Gespräch währte anderthalb Stunden, worauf der König mit zornigem Gesicht heraustrat. Ich kehrte sodann in das Zimmer zurück und fand die Königin in Tränen. Sobald sie mich sah, umarmte sie mich und hielt mich lange umfangen, ohne ein Wort zu sprechen. »Ich bin untröstlich,« sagte sie endlich; »man will Sie verheiraten, und der König ist auf die unvernünftigste Partie verfallen, die sich denken läßt. Er will Sie dem Herzog von Weißenfels geben, einem lumpigen Niemand, der nur von der Gnade des Königs von Polen lebt; nein, ich überlebe es nicht, wenn Sie sich dazu erniedrigen.« Ich glaubte zu träumen, als ich dies alles vernahm, so seltsam dünkte es mir. Ich wollte sie beruhigen, indem ich ihr versicherte, daß es dem König unmöglich damit Ernst sein konnte und daß er ihr dies alles nur gesagt habe, um sie zu erschrecken; dessen sei ich überzeugt. »Aber mein Gott,« rief sie, »der Herzog wird spätestens in einigen Tagen hier sein, um sich mit Ihnen zu verloben; nun heißt es Mut, ich werde Ihnen mit allen Kräften helfen, nur müssen Sie mir beistehen.« Ich versprach ihr alles, fest entschlossen, einer solchen Partie nicht zuzustimmen. Im Grunde gab ich nicht viel darauf, wurde aber eines Besseren belehrt, als am selben Abend Briefe aus Berlin an die Königin gelangten, die diese schönen Nachrichten bestätigten. Ich verbrachte eine schreckliche Nacht; die üblen Folgen waren mir nur zu gegenwärtig, und ich sah die Uneinigkeit voraus, die in unsrer Familie herrschen würde. Mein Bruder, der ein geschworener Feind von Seckendorf und Grumbkow und ganz für England eingenommen war, sprach sehr eindringlich mit mir. »Sie verderben uns alle,« sagte er, »wenn Sie diese lächerliche Heirat eingehen. Ich sehe freilich, daß uns allen viel Verdruß wegen dieser Sache bevorsteht, aber lieber alles ertragen, als in die Hände seiner Feinde fallen; England ist unser einziger Rückhalt, und wenn Ihre Heirat mit dem Prinzen von Wales nicht zustande kommt, ist es unser aller Unglück.« Die Königin äußerte sich in demselben Sinn, sowie meine Hofmeisterin; aber ich bedurfte all dieser Ermahnungen nicht, und die Vernunft sagte mir zur Genüge, was ich zu tun hatte. Der reizende Gatte, den man mir zugedacht, kam am Abend des 27. Septembers an. Der König meldete es alsbald der Königin und befahl ihr, ihn wie einen Prinzen, der als ihr Schwiegersohn ausersehen sei, zu empfangen, da beschlossen sei, mich ihm sofort zu verloben. Dies veranlaßte eine neue Szene, und zum Schlusse verharrten wieder beide auf ihrem Standpunkt. Am nächsten Morgen, es war Sonntag, gingen wir zur Kirche. Der Herzog wandte während des ganzen Gottesdienstes kein Auge von mir ab. Mir war schrecklich zumute. Seitdem diese Angelegenheit schwebte, hatte ich Tag und Nacht keine Ruhe mehr.

Sobald wir aus der Kirche zurückgekehrt waren, stellte der König den Herzog der Königin vor. Sie würdigte ihn keines Wortes und drehte ihm den Rücken zu. Ich hatte mich schnell davongemacht, um der Begegnung zu entgehen. Essen konnte ich nicht das geringste, und mein Aussehen wie meine Miene verrieten nur zu wohl, was in mir vorging. Die Königin hatte nachmittags wieder einen schrecklichen Auftritt mit dem Könige. Sobald sie allein war, ließ sie den Grafen Fink, meinen Bruder und meine Hofmeisterin rufen, um mit ihnen zu beraten, was hier zu machen sei. Der Herzog von Weißenfels galt für einen verdienstvollen, doch nicht sehr begabten Fürsten: alle waren der Meinung, daß die Königin mit ihm verhandeln solle. Graf Fink übernahm den Auftrag. Er stellte dem Herzog vor, daß die Königin sich nie zu dieser Heirat verstehen werde und daß ich eine unüberwindliche Abneigung gegen ihn hege; er würde, falls er bei seiner Absicht beharre, unfehlbar Zwietracht in die Familie bringen; die Königin sei entschlossen, es ihm außerordentlich sauer zu machen, wenn er darauf bestünde; sie sei aber überzeugt, daß er sie nicht zum Äußersten treiben wolle; sie zweifle nicht, daß er als Mann von Ehre lieber seine Anträge aufgeben als mich unglücklich sehen würde, und in diesem Falle würde sie alles tun, um ihm ihre Hochachtung und ihre Dankbarkeit zu beweisen. Der Herzog bat den Grafen Fink, der Königin zu erwidern: er könne nicht leugnen, daß er sich von meinen Reizen sehr gefesselt fühle, daß er jedoch nie das Glück angestrebt hätte, um mich zu freien, wären ihm nicht sichere Hoffnungen in Aussicht gestellt worden; da wir ihm aber beide abgeneigt seien, würde er der erste sein, der den König von diesem Plane abbringen wolle, und die Königin könne darüber beruhigten Herzens sein. In der Tat hielt er Wort und ließ dem König ungefähr dieselben Dinge sagen, die er dem Grafen Fink zu wissen gab, mit dem Unterschied, daß er den König bitten ließ, falls die Hoffnungen betreffs meiner Vermählung mit dem Prinzen von Wales zunichte würden, ihm den Vorzug vor andern Freiern – gekrönte Häupter ausgenommen – zuzubilligen. Der König war über dies Verfahren sehr überrascht, begab sich alsbald zur Königin und suchte sie vergeblich zu überreden, in diese Heirat einzuwilligen. Der Streit entspann sich von neuem. Die Königin weinte, schrie und flehte so lange, bis der König endlich nachgab, jedoch unter der Bedingung, daß sie an die Königin von England schriebe, um eine bestimmte Erklärung betreffs meiner Vermählung mit dem Prinzen von Wales zu fordern. »Ist die Antwort günstig,« sagte der König, »so löse ich auf immer jede andere Verbindlichkeit; wenn sie sich aber nicht endgültig erklärt, so mögen sie in England wissen, daß ich mich nicht länger narren lasse; sie werden ihresgleichen an mir finden, und ich will dann zeigen, daß ich Herr bin, meine Tochter zu verloben, wie es mir gefällt. Glauben Sie nicht, Madame, daß Ihr Wehklagen und Ihre Tränen mich dann noch beirren werden; sagen Sie nun Ihrem Bruder und Ihrer Schwägerin, wie es sich damit verhält, sie selbst werden unsren Zwist entscheiden. Die Königin erwiderte, daß sie bereit sei, nach England zu schreiben, und nicht zweifle, daß ihre Verwandten ihren Wünschen Gehör schenken würden. »Das wird sich zeigen,« sagte der König; »ich wiederhole es Ihnen noch einmal: kein Pardon für Ihr Fräulein Tochter, wenn die Antwort nicht befriedigend ist; und was Ihren schlecht beratenen Herrn Sohn betrifft, so denken Sie nicht, daß ich ihn mit einer Prinzessin von England vermählen werde. Ich will keine dünkelhafte Schwiegertochter, die nichts wie Intrigen an meinen Hof bringt, wie Sie; Ihrem Flegel von einem Sohn werde ich eher die Peitsche als eine Frau geben, er ist mir ein Greuel, aber ich werde ihn zurechtbringen (dies war sein üblicher Ausdruck). Zum Teufel auch, wenn er sich nicht bessert, so werde ich ihm auf eine Weise kommen, die er nicht erwartet.« Er setzte noch einige Schmähungen für meinen Bruder und mich hinzu, dann ging er fort.

Sobald er sich entfernt hatte, überlegte die Königin, was sie nun tun solle. Wir erwarteten nichts Gutes und dachten uns wohl, der König von England würde von meiner Heirat, ohne die meines Bruders, nichts wissen wollen. Da die Königin sich gerne Hoffnungen hingab, wurde sie gereizt, weil wir ihr die Hindernisse vor Augen hielten und die traurige Lage, in die sie wie ich geraten würden, falls die Antwort aus England nicht unsern Wünschen gemäß ausfiele. Sie wandte sich wider mich und sagte mir erzürnt, daß sie wohl merke, wie ich schon eingeschüchtert und entschlossen sei, den dicken Johann Adolf zu heiraten; daß sie mich aber lieber tot als mit ihm vermählt sähe, und mich tausendmal verfluchen würde, wenn ich fähig wäre, mich so weit zu vergessen, ja mit ihren eignen Händen möchte sie mich erdrosseln, wenn ich einer solchen Absicht fähig wäre. Dennoch ließ sie den Grafen Fink kommen, um ihn zu Rate zu ziehen. Dieser General sagte ihr dasselbe wie ich. Sie fing nun an, besorgt zu werden, besann sich eine Weile und sagte plötzlich: »Mir kommt ein Gedanke, der, wir mir scheint, uns sicher aus der Verlegenheit ziehen wird, aber an meinem Sohne ist es, ihn auszuführen: er muß an die Königin schreiben und ihr feierlich versprechen, ihre Tochter zu heiraten, sofern sie die Heirat seiner Schwester mit dem Prinzen von Wales zustande bringt, anders werden wir unsern Plan nie durchsetzen.« In diesem Augenblick trat mein Bruder herein. Sie machte ihm den Vorschlag; er zögerte nicht, ihr zu willfahren. Wir bewahrten alle ein tiefes Schweigen, und ich mißbilligte diesen Schritt durchaus, den ich für unheilvoll hielt, ohne ihn doch hindern zu können. Die Königin drang darauf, daß mein Bruder seinen Brief sofort schriebe. Sie fügte den ihren hinzu und ließ beide durch einen Kurier bestellen, den Herr Dubourgay heimlich absandte. Sie verfaßte einen andern Brief, den sie dem König unterbreitete und der mit der Post abging. Der Herzog von Weißenfels befreite uns auch von seiner lästigen Gegenwart, was uns Zeit ließ aufzuatmen, aber unsere Sorgen nicht von uns nahm.

Seckendorf und Grumbkow umschmeichelten mittlerweile den König; sie hielten zusammen häufige Trinkgelage. Als sie eines Tages wacker zechten, ließ man einen großen Becher in Form eines Humpens bringen, den der König von Polen dem König von Preußen geschenkt hatte. Es war ein Humpen aus vergoldetem Silber von getriebener Arbeit. Er enthielt einen andern Becher aus Gold, dessen Deckel aus einem mit Edelsteinen besetzten kuppelartigen Knopf bestand. Man leerte die beiden Gefäße mehrmals in der Runde; vom Weine erhitzt, sprang mein Bruder auf den König los und umarmte ihn wiederholt. Seckendorf wollte es verhindern, allein er stieß ihn unsanft zurück, fuhr fort, meinen Vater zu liebkosen, indem er ihm versicherte, daß er ihn zärtlich liebe, von der Güte seines Herzens überzeugt sei und die Ungnade, von der er sich täglich betroffen fühle, nur den bösen Eingebungen gewisser Leute zuschreibe, welche aus dem Zwist, den sie in der Familie nährten, Nutzen zu ziehen suchten; er wolle den König lieben, ehren und ihm zeitlebens unterwürfig sein. Dieser Ausbruch erfreute den König sehr und schaffte meinem Bruder auf vierzehn Tage einige Erleichterung, aber die Stürme folgten auf diese kurze Ruhezeit. Der König fing von neuem an, meinem Bruder auf das härteste zu begegnen. Nicht die geringste Erholung war ihm vergönnt; die Musik, die Lektüre, die Künste und Wissenschaften waren ebenso viele Verbrechen, welche ihm untersagt waren. Niemand wagte es, mit ihm zu reden; kaum, daß er die Königin besuchen durfte; sein Leben war das traurigste der Welt. Trotz des Verbotes des Königs befliß er sich der Wissenschaften und machte große Fortschritte. Da er aber so viel sich selbst überlassen blieb, ergab er sich den Ausschweifungen. Seine Hofmeister wagten nicht, ihm zu folgen, und so verfiel er ihnen völlig. Einer der Pagen des Königs, namens Keith, wurde der Vermittler seiner Vergnügungen. Dieser junge Mann hatte sich bei ihm so sehr einzuschmeicheln gewußt, daß mein Bruder ihn leidenschaftlich liebte und ihm sein ganzes Vertrauen schenkte. Ich wußte von diesem Lebenswandel nichts, hatte jedoch bemerkt, wie vertraulich er mit dem Pagen umging, und hielt es ihm öfters vor, mit der Bemerkung, daß solche Manieren sich für ihn nicht ziemten. Er entschuldigte sich jedoch immer damit, daß dieser Knabe als sein Zwischenträger walte und er ihn schonen müsse, da ihm durch dessen Benachrichtigungen viel Verdruß erspart bliebe.

Meine eignen Angelegenheiten beunruhigten mich indessen auch zur Genüge, mein Schicksal sollte sich nun entscheiden. Meine Abneigung gegen den Prinzen von Wales wurde durch die Lobreden der Königin nur noch vermehrt. Die Schilderungen, die sie mir von ihm entwarf, waren nicht nach meinem Geschmack. »Er ist gutherzig,« sagte sie, »aber von sehr geringem Verstand, eher häßlich als schön und sogar etwas verwachsen. Sofern Sie sich ihm nur gefällig zeigen und seine Ausschweifungen dulden, werden Sie ihn gänzlich beherrschen und nach dem Tode seines Vaters mehr König sein als er. Bedenken Sie nur, wie groß Ihre Macht sein wird; von Ihnen wird das Wohl und Wehe Europas abhängig sein, und Sie werden die Nation beherrschen.« Indem sie so zu mir sprach, verkannte die Königin meine wahren Gefühle. Ein Mann wie ihr Neffe hätte ihr zugesagt. Allein die Grundsätze, die ich mir über die Ehe gebildet hatte, wichen sehr von den ihrigen ab. Ich erachtete, daß eine gute Ehe auf gegenseitige Achtung und Rücksicht gegründet sein müsse. Ich wollte, daß sie sich auf gegenseitiger Zuneigung aufbaue, und mein Entgegenkommen wie meine Aufmerksamkeiten sollten nur die Folge davon sein. Nichts fällt uns schwer, wo wir lieben; aber kann man lieben, ohne wieder geliebt zu werden? Die wahre Liebe duldet keine Teilung. Ein Mann, der Mätressen hat, schließt sich an diese an; und in dem Maße verringert sich in ihm die Liebe für die rechtmäßige Gemahlin. Welche Achtung und Rücksicht könnte man einem Manne erzeigen, der sich gänzlich beherrschen läßt und das Wohl seines Landes vernachlässigt, um sich wilden Vergnügungen hinzugeben? Ich wünschte nur einen wirklichen Freund, dem ich mein Herz und mein ganzes Vertrauen zu schenken vermöchte; dem ich Neigung und Zuversicht entgegenbrächte und der mein Glück, wie ich das seine, machen könnte. Ich ahnte wohl, daß der Prinz von Wales sich nicht für mich eignete, da er nicht alle Eigenschaften besaß, die ich forderte. Anderseits entsprach mir der Herzog von Weißenfels noch minder. Von dem großen Mißverhältnis zwischen uns abgesehen, war auch der Altersunterschied zu groß, ich zählte neunzehn, er dreiundvierzig Jahre. Sein Gesicht war eher unangenehm als sympathisch; er war klein und schrecklich dick; er war weltgewandt, insgeheim aber brutal und bei alledem von sehr lockeren Sitten. Man stelle sich vor, wie mir im Herzen zumute war! Meine Hofmeisterin wußte darüber Bescheid, und nur ihr konnte ich mich anvertrauen.

Königin von preußen, Portrait: Pesne

Die Königin von Preußen, Portrait: Pesne

Durch den Hochmut der Königin wurden die Dinge vollends verdorben. Grumbkow hatte mit dem Gelde, das ihm vom Kaiser zugeflossen war, in Berlin ein sehr schönes Haus gekauft. Es war ihm gelungen, dieses auf Kosten aller regierenden Häupter auszustatten. Der verstorbene König von England und die Kaiserin von Rußland hatten dazu beigesteuert. Er bat nun die Königin um ihr Bildnis, das, wie er sagte, seinem Hause den größten Glanz verleihen würde. Die Königin versprach es ihm willig. Sie ließ sich gerade um diese Zeit von dem berühmten Pesne malen, und das Porträt war für die Königin von Dänemark bestimmt. Da nur der Kopf desselben fertig war, als sie nach Wusterhausen abreiste, befahl sie dem Maler, eine Kopie herzustellen, weil sie nur Fürstinnen Originale gäbe. Der Minister erschien eines Tages, um der Königin zu danken, und sprach seine Freude aus, ein so vollendetes Werk zu besitzen. »Es ist Pesnes Meisterwerk,« fuhr er fort, »man kann sich nichts Ähnlicheres und Gelungeneres denken.« Die Königin sagte leise zu mir: »Mir scheint, hier liegt das Mißverständnis vor, daß man ihm das Original anstatt der Kopie gegeben hat«; und zugleich fragte sie ihn laut. »Da der König«, erwiderte er, »die Gnade hatte, mir sein Bildnis im Original zu schenken, so darf ich wohl füglich das Porträt Eurer Majestät als gleiches Gegenstück besitzen, ich habe es vom Maler abholen lassen, es ist wundervoll.« »Und mit welchem Recht?« versetzte die Königin. »Denn ich zeichne keinen Privatmann mit einem Originale aus und gedenke nicht, mit Ihnen eine Ausnahme zu machen.« Sie wollte ihm bei diesen letzten Worten den Rücken kehren, aber er hielt sie auf und beschwor sie, ihm das Porträt zu überlassen. Sie verweigerte es auf höchst unfreundliche Weise und machte sehr bissige Bemerkungen über ihn, während sie sich zurückzog.

Sobald der König zur Jagd gegangen war, erzählte sie die Szene dem Grafen Fink. Dieser freute sich, Grumbkow, auf den er persönlich sehr geladen war, einen Streich spielen zu können, und redete der Königin zu, ihm die Unverschämtheit seines Verfahrens heimzuzahlen. Es wurde also beschlossen, alsbald nach ihrer Rückkehr nach Berlin einige Leute ihrer Dienerschaft zu Grumbkow ins Haus zu schicken, um das Porträt zurückzuverlangen und ihm zugleich sagen zu lassen, daß er weder Original noch Kopie erhalten solle, solange er ihr gegenüber sein Benehmen nicht ändere und ihr nicht die Achtung, die man einer Königin schulde, bezeigen lerne. Dieser glückliche Gedanke wurde gleich am nächsten Tage zur Tat. Wir kehrten an diesem Tage in die Stadt zurück; und die Königin schickte sich eiligst an, ihre Befehle zu erteilen, um ja nicht durch Vorstellungen, die ihr gemacht werden könnten, aufgehalten zu werden. Grumbkow, der vielleicht schon durch die Ramen von dem Vorhaben der Königin verständigt worden war, hörte die Ansprache, die ihm der Lakai der Königin hielt, mit ironischer Miene an. »Nehmen Sie das Porträt nur wieder mit,« sagte er, »ich besitze die so vieler andrer großer Fürsten, daß ich mich trösten kann, dieses entbehren zu müssen.« Doch verfehlte er nicht, den König von der Beleidigung, die ihm zugefügt worden war, in Kenntnis zu setzen, und zwar auf möglichst boshafte Weise; weder er noch seine Familie setzten mehr den Fuß zur Königin. Er äußerte sich in maßloser Weise gegen sie, und seine giftige Zunge war erfinderisch, die Königin ins Lächerliche zu ziehen; wenn er es sich nur damit hätte genügen lassen! Allein er rächte sich durch die Tat, wie wir in der Folge sehen werden. Die Gutgesinnten trachteten, diese Angelegenheit zu schlichten. Grumbkow berief sich beim König auf den Respekt, den er für alles hege, was ihn beträfe, und brachte etwas wie Entschuldigungen bei der Königin vor; diese gab ihm eine höfliche Erwiderung, was scheinbar ihrem Zwist ein Ende machte.

Da man in England mit der Antwort zögerte, fing die Königin an, sich zu beunruhigen. Sie pflog jeden Tag Unterredungen mit Herrn Dubourgay, die meistens zu nichts führten. Endlich nach vier Wochen liefen die langersehnten Briefe ein. Der eine, der zur Lektüre für den König bestimmt war, hatte folgenden Inhalt: »Der König, mein Gemahl,« schrieb die Königin von England, »ist durchaus geneigt, das Bündnis, das sein verewigter Vater mit Preußen geschlossen hat, noch enger zu gestalten und sich zur Doppelehe seiner Kinder bereit zu erklären; doch kann er keine entscheidende Antwort geben, bevor er das Parlament nicht einberief.« Dies hieß ausweichen und eine unbestimmte Antwort geben. Der andere Brief war nicht besser: er enthielt nur Ermahnungen an die Königin, sie möchte doch den Einschüchterungen des Königs betreffs meiner Heirat mit dem Herzog von Weißenfels mutig standhalten; die Partie sei wirklich nicht ernst zu nehmen und könne nur eine Finte des Königs sein. Der an meinen Bruder gerichtete Brief lautete auch nicht anders. Nie hat der Anblick des Medusenhauptes so großen Schrecken eingeflößt, wie ihn nun das Herz der Königin beim Lesen dieser Briefe erfüllte; sie hätte sie am liebsten verheimlicht und sich entschlossen, ein zweites Mal nach England zu schreiben, um günstigere Antwort zu erhalten, wäre sie von Herrn Dubourgay nicht verständigt worden, daß diesem die gleichen, dem König mitzuteilenden Nachrichten zugegangen seien. Die Königin sprach aufs eindringlichste mit dem Gesandten und verhehlte ihm nicht ihre Unzufriedenheit über die Handlungsweise, die der englische Hof ihr gegenüber an den Tag legte; sie trug ihm auf, ihrem Bruder, dem König, zu melden, daß alles verloren sei, wenn er nicht anders verführe.

Die Ankunft des Königs erfolgte einige Tage später. Kaum war er ins Zimmer getreten, als er sich erkundigte, ob der Brief aus England eingetroffen sei. »Ja,« erwiderte die Königin und erkühnte sich zu der Behauptung: »er ist nach Wunsch«, und sie reichte ihm den Brief. Der König nahm ihn, las und gab ihn ärgerlich zurück. »Ich sehe wohl,« sagte er, »daß man mich wieder hintergehen will, aber ich lasse mich nicht prellen.« Damit ging er hinaus und suchte Grumbkow auf, der in seinem Vorzimmer wartete. Er blieb zwei volle Stunden bei ihm und kehrte nach dieser Unterredung mit heiterer, offener Miene zu uns zurück. Er erwähnte die Sache nicht mehr und war mit der Königin sehr freundlich. Sie ließ sich durch seine Zärtlichkeit täuschen und vermeinte, daß alles zum besten läge. Aber ich traute der Sache nicht. Ich kannte den König, und seine Verstellungskunst weckte größere Besorgnisse in mir als seine Heftigkeit. Er blieb nur einige Tage in Berlin und kehrte nach Potsdam zurück.

Das Jahr 1729 fing gleich mit einem neuen Ereignis an. Herr de la Motte, ein hannoveranischer Offizier, kam heimlich nach Berlin und wohnte bei Herrn von Sastot, Kammerherrn der Königin, mit dem er nahe verwandt war. »Ich bin«, sagte er zu ihm, »mit außerordentlich wichtigen Botschaften betraut, die aber höchste Diskretion erfordern und mich nötigen, meinen Aufenthalt geheimzuhalten; ich habe einen Brief für den König, doch mit strengstem Befehl, ihn unmittelbar in seine Hände zu legen; deshalb habe ich mich an niemanden hier gewandt und habe hier keinerlei Bekanntschaften. Ich hoffe daher, daß Sie als mein Verwandter und alter Freund mich aus der Verlegenheit ziehen und die Depeschen dem König zukommen lassen werden.« Diese vertraulichen Eröffnungen erfüllten Sastot mit Neugierde. Er drang in de la Motte, ihm den Grund seiner Reise anzuvertrauen. Nach langem Widerstreben gestand de la Motte endlich, er sei vom Prinzen von Wales geschickt worden, um dem König zu melden, daß er entschlossen sei, heimlich und ohne Wissen seines königlichen Vaters aus Hannover zu entfliehen und nach Berlin zu kommen, um mich zu heiraten. »Sie sehen nun wohl,« sagte de la Motte, »daß der ganze Erfolg des Planes einzig davon abhängt, daß er nicht verraten wird. Da man mir aber nicht untersagte, es auch der Königin mitzuteilen, stelle ich es Ihnen anheim, sie zu unterrichten, falls Sie glauben, daß sie schweigen kann.« Sastot erwiderte, daß er der Sicherheit halber Fräulein von Sonsfeld ins Vertrauen ziehen und sie um ihren Rat fragen würde. Ich war einige Tage zuvor von einem heftigen Fieber und einer Erkältung befallen worden. Sastot traf Fräulein von Sonsfeld bei der Königin, der sie eben über mein Befinden Bericht erstattete. Sobald er mit ihr sprechen konnte, teilte er ihr die Ankunft de la Mottes und die Neuigkeiten, die er erfahren hatte, mit und bat sie, ihm zu raten, ob man es der Königin sagen solle. Sastot und Fräulein von Sonsfeld wußten beide, daß sie vor der Ramen nichts geheimhielt und daß also Seckendorf sicher alles erfahren würde. Aber nach reiflicher Überlegung beschlossen sie endlich, die Königin in Kenntnis zu setzen. Ihre Freude über diese Nachricht war unbeschreiblich; sie konnte sie weder vor der Gräfin Fink noch vor Fräulein von Sonsfeld verheimlichen. Beide mahnten sie zur Verschwiegenheit und hielten ihr die schlimmen Folgen vor Augen, die daraus entstünden, wenn der Plan bekannt würde. Sie versprach ihnen alles, und zu meiner Hofmeisterin sich wendend, sagte sie: »Gehen Sie zu meiner Tochter, sie auf die gute Nachricht vorzubereiten; ich werde morgen zu ihr kommen, um selbst mit ihr zu sprechen, aber trachten Sie besonders, daß sie bald wieder ausgehen kann.« Fräulein von Sonsfeld kam alsbald zu mir: »Ich weiß nicht, was Sastot hat,« sagte sie, »er gebärdet sich wie ein Narr, er singt, er tanzt, und dies vor Freude, wie er sagt, einer guten Nachricht halber, die er nicht verraten darf.« Ich achtete nicht darauf, und da ich nichts erwiderte, fuhr sie fort: »Ich bin doch neugierig, was es ist; denn er sagt, daß es Sie betrifft.« »Ach,« sagte ich, »was für eine gute Nachricht könnte mir in meiner gegenwärtigen Lage zugehen, und woher sollte Sastot solche erhalten?« »Von Hannover,« sagte sie, »und vielleicht vom Prinzen von Wales in Person.« »Ich sehe nichts so Glückliches dabei,« gab ich zurück; »Sie wissen zur Genüge, wie ich hierüber denke.« »In der Tat, Hoheit,« erwiderte sie, »allein ich fürchte sehr, daß Gott Sie strafen wird, weil Sie stets nur Verachtung für einen Prinzen finden, der Ihnen so ergeben ist, daß er die Ungnade seines Vaters, des Königs, nicht scheut und sich vielleicht mit seiner ganzen Familie überwerfen wird, um Sie zu heiraten. Zu welcher Partie wollen Sie sich denn entschließen? Es bleibt keine Wahl: lieben Sie den Herzog von Weißenfels, oder den Markgrafen von Schwedt, oder wollen Sie unvermählt bleiben? Wahrhaftig, Sie machen mich unglücklich, und im Grunde wissen Sie gar nicht, was Sie wollen.« Ich mußte über ihr Ungestüm lachen, da ich nicht annahm, daß sie Nachrichten von wirklichem Belange hatte. »Die Königin hat vermutlich solche Briefe wie vor sechs Monaten erhalten,« sagte ich, »und sie sind wohl der Grund Ihrer schönen Ansprache.« »Keineswegs,« versetzte sie; und nun erzählte sie mir von der Botschaft de le Mottes. Jetzt sah ich wohl, daß die Sache ernst war, und das Lachen verging mir. Dafür befiel mich ein heftiger Kummer, der meiner Gesundheit nicht förderlich war. Die Königin kam tags darauf zu mir. Nachdem sie mich mehrmals zärtlich umarmt hatte, bestätigte sie mir alles, was ich schon von Fräulein von Sonsfeld wußte. »So werden Sie denn endlich glücklich! Welche Freude für mich!« Ich küßte ihre Hände und benetzte sie mit Tränen. »Aber Sie weinen,« fuhr sie fort, »was ist Ihnen?« Ich machte mir ein Gewissen daraus, ihre Freude zu stören. »Der Gedanke, Sie zu verlassen,« sagte ich zu ihr, »betrübt mich mehr, als alle Kronen der Welt mich erfreuen könnten.« Meine Antwort rührte sie; sie liebkoste mich und ging dann weg. An diesem Abend hielt die Königin Cercle. Ihr Unstern wollte, daß Herr Dubourgay, der englische Gesandte, zugegen war. Er teilte wie gewöhnlich der Königin mit, was er von seinem Hof für Nachrichten erhalten hatte; so entspann sich ein Gespräch, bei dem die Königin, all ihrer Versprechen vergessend, ihm den Plan des Prinzen von Wales kundtat. Herr Dubourgay schien überrascht und fragte, ob sie es denn gewiß wüßte. »So gewiß,« sagte sie, »daß de la Motte von ihm hierher gesandt wurde und dem König schon die Mitteilung gemacht hat.« Dubourgay zuckte darauf die Achseln. »Wie unglücklich bin ich,« sagte er, »daß Eure Majestät mir etwas anvertraut haben, was Sie mir ebenso verheimlichen mußten wie Herrn von Seckendorf. Mein Gott, wie beklagenswert ist meine Lage, da ich mich genötigt sehe, heute abend einen Kurier nach England zu schicken, um meinen Herrn, den König, in Kenntnis zu setzen, der nicht ermangeln wird, die Pläne seines Sohnes, des Prinzen, zu durchkreuzen. Allein ich kann nicht anders handeln.« Man stelle sich den Schrecken der Königin vor! Sie bot alles auf, um Dubourgay von seinem Vorhaben abzubringen, allein er zeigte sich unerbittlich und zog sich auf der Stelle zurück. Zum Unglück hatte sie sich auch der Ramen anvertraut. Seckendorf, der durch diese Person von allem unterrichtet worden war, hatte sich nach Potsdam begeben, um den König zu benachrichtigen und ihn zu verhindern, daß er eine Antwort gebe. Die Gräfin Fink erzählte mir dies alles tags darauf. Die Mine war gesprengt, es blieb also nichts übrig, als zu trachten, daß die Indiskretion der Königin nicht zu Ohren des Königs gelange. Dieser kam acht Tage später nach Berlin. Trotz aller Einwürfe Seckendorfs ließ er de la Motte kommen, empfing ihn aufs beste und bezeigte ihm seine Ungeduld, den Prinzen von Wales zu sehen. Er gab ihm einen Brief für diesen Prinzen und trieb ihn an, so schnell als möglich abzureisen, um dessen Ankunft zu beschleunigen. Aber die Dinge hatten sich indessen sehr geändert. Das Zögern des Königs und die Unvorsichtigkeit der Königin ließen dem Schreiben des englischen Gesandten Zeit, nach England zu gelangen. Da es an den Staatssekretär gerichtet war, drang man in den König von England, ja nötigte ihn, einen andern Kurier nach Hannover zu senden, um dem Prinzen von Wales zu befehlen, unverzüglich nach England zurückzukommen. Dieser Kurier traf kurz vor der Abreise des Prinzen ein. Da er an das Ministerium geschickt worden war, blieb nichts anderes übrig, als sich dem Befehl zu fügen; und so war der Prinz genötigt, sich aufzumachen, während der König und die Königin in Berlin überglücklich ihn erwarteten. Ihre Freude verwandelte sich bald in Bestürzung durch die Ankunft einer Stafette, die ihnen die plötzliche Abreise des Prinzen nach England mitteilte.

Mit dem ganzen Geheimnis hatte es aber die folgende Bewandtnis. Die englische Nation verlangte dringend, daß sich der Prinz in seinem zukünftigen Königreich aufhalte. Sie hatte mehrmals sehr ausdrücklich bei dem König darauf bestanden, doch ohne einen günstigen Beschluß zu erlangen. Denn der König wollte seinen Sohn nicht nach England kommen lassen, weil er voraussah, daß seine Anwesenheit Parteiungen hervorrufen würde, die seinem eignen Ansehen nur zum Nachteil gereichen konnten. Er hatte jedoch eingesehen, daß er sich dem Wunsche der Nation nicht dauernd widersetzen durfte. So hatte er heimlich an seinen Sohn geschrieben, er möge sich nach Berlin verfügen und mich heiraten; doch verbot er ihm zugleich, ihn, den König, mit diesem Schritt zu kompromittieren. Auf diese Weise war ein guter Vorwand gefunden, um sich mit dem Prinzen von Wales zu überwerfen und ihn in Hannover zu lassen, ohne daß die Nation sich darüber beschweren konnte. Die Indiskretion der Königin und das Schreiben Dubourgays machten diesen ganzen Plan zunichte und zwangen den König, die Forderung der Engländer zu erfüllen. Der arme de la Motte mußte den Sündenbock abgeben; er wurde auf zwei Jahre in die Festung Hameln eingesperrt und dann kassiert. Aber mein Vater nahm ihn nach seiner Freilassung in seinen Dienst, und er steht heute noch an der Spitze eines Regiments. Dies alles verschlimmerte nur mein Los. Der König war mehr denn je gegen seinen Schwager aufgebracht und beschloß, nunmehr rücksichtslos vorzugehen, sofern ihm nicht durch meine Heirat Genugtuung geboten würde.

Wir folgten ihm bald darauf nach Potsdam, wo er an beiden Füßen von heftigen Gichtschmerzen befallen wurde. Diese Krankheit im Verein mit dem Ärger über seine zerstörten Hoffnungen machten, daß er von unerträglich schlechter Laune war. Die Leiden des Fegefeuers konnten den unseren nicht gleichkommen. Wir waren gezwungen, früh neun Uhr in seinem Zimmer zu erscheinen; wir speisten dort und durften es unter keinem Vorwand verlassen. Den ganzen Tag überhäufte er meinen Bruder und mich mit Schmähungen. Der König nannte mich nur noch die englische Canaille, und mein Bruder hieß der Schuft von einem Fritz. Er zwang uns, Dinge zu essen und zu trinken, die uns widerstanden oder die unsrer Konstitution zuwider waren, was uns manchmal nötigte, in seiner Gegenwart alles von uns zu geben, was wir im Magen hatten. Jeden Tag kam es zu bösen Auftritten, und man konnte nicht aufschauen, ohne irgendeinen Unglücklichen auf eine oder die andere Weise gequält zu sehen. In seiner Ungeduld hielt es der König nicht im Bett aus, er ließ sich in einem Rollstuhl durch das ganze Schloß fahren. Seine beiden Arme waren auf zwei Krücken gestützt. Wir folgten diesem Triumphwagen wie arme Gefangene, die ihres Urteiles harren. Der arme König hatte große Schmerzen, und eine schwarze Galle, die sich in sein Blut ergossen hatte, war Grund an seiner üblen Laune.

Eines Morgens, da wir zur Begrüßung bei ihm eintraten, schickte er uns weg. »Hinaus mit Ihren verwünschten Kindern!« fuhr er die Königin an, »ich will allein bleiben.« Die Königin wollte antworten, allein er gebot ihr zu schweigen und befahl, daß man bei der Königin auftrage. Die Königin war beunruhigt; aber mein Bruder und ich waren beide hocherfreut, denn wir wurden spindeldürr, so wenig hatten wir zu essen. Kaum waren wir aber bei Tische, als einer der Lakaien atemlos hereinlief. »Um Gottes willen, Majestät, kommen Sie,« rief er, »der König will sich erdrosseln.« Die Königin eilte sehr erschrocken hinzu. Sie fand den König, einen Strick um den Hals und dem Ersticken nahe, wäre sie nicht zu Hilfe gekommen. Er hatte starkes Fieber, und das Blut stieg ihm heftig zu Kopfe; gegen Abend fühlte er sich jedoch etwas besser. Wir waren alle hocherfreut, da wir hofften, seine Verstimmung würde sich jetzt legen; allein es kam anders. Er sagte mittags zur Königin, daß er Briefe aus Ansbach erhalten habe, die ihm mitteilten, daß der junge Markgraf im Mai nach Berlin zu kommen beabsichtige, um meine Schwester zu heiraten, und daß er seinen Hofmeister, Herrn von Bremer, senden würde, um ihr den Verlobungsring zu überreichen. Er fragte meine Schwester, ob sie sich freue und wie sie ihren Hausstand einzurichten gedenke. Meine Schwester hatte sich mit ihm auf den Fuß gestellt, daß sie ihm alles freiheraus sagte, sogar Wahrheiten, ohne daß es ihn erzürnte. Sie gab ihm also mit ihrer üblichen Offenheit zur Antwort, daß sie einen guten und reichlich bestellten Tisch führen würde, »der«, fügte sie hinzu, »besser als der Ihre sein wird; und wenn ich Kinder bekomme, so werde ich sie nicht malträtieren wie Sie, noch sie zwingen, Dinge zu essen, die ihnen widerstehen.« »Was meinen Sie damit,« fragte der König, »was ist es, das auf meinem Tische fehlt?« »Es fehlt daran,« sagte sie, »daß man nicht satt wird und daß das wenige nur aus schweren Gemüsen besteht, die wir nicht vertragen können.« Der König war schon über die erste Antwort aufgebracht, über diese letzte geriet er außer Rand und Band, aber sein ganzer Zorn fiel auf meinen Bruder und mich. Er warf erst einen Teller an den Kopf meines Bruders, der dem Wurfe auswich; dann ließ er einen in meine Richtung fliegen, und ich vermied ihn ebenso. Auf diese ersten Feindseligkeiten folgte nun ein Hagel von Schmähungen. Er wandte sich wider die Königin und warf ihr die schlechte Erziehung ihrer Kinder vor; und zu meinem Bruder gewendet, sagte er: »Sie sollten Ihre Mutter verwünschen, denn sie ist schuld an Ihrer schlechten Disziplin. Ich hatte einen tüchtigen Mann zum Hofmeister und erinnere mich stets einer Geschichte, die er mir in meiner Jugend erzählte: Es war einmal ein Mann in Karthago, der wegen mehrerer Verbrechen zum Tode verurteilt worden war. Auf dem Wege zum Richtplatz verlangte er, mit seiner Mutter zu sprechen. Man ließ sie kommen. Er näherte sich ihr, wie um ihr etwas ins Ohr zu sagen, biß ihr aber dabei mit den Zähnen ein Stück davon ab. ›Ich behandle dich also,‹ sagte er zu ihr, ›damit du andern Eltern als Beispiel dienst, die nicht Sorge tragen, ihre Kinder tugendhaft zu erziehen.‹ Merken Sie sich dies«, fuhr er, immer zu meinem Bruder gewendet, fort; und da dieser ihm keine Antwort gab, fing er von neuem an, uns zu schmähen, bis er nicht mehr sprechen konnte. Wir erhoben uns von Tische; und da wir an ihm vorbeigehen mußten, schlug er mit seiner Krücke nach mir, aber ich wich zum Glück aus, sonst hätte er mich zu Boden geschlagen. Er verfolgte mich noch eine Zeitlang von seinem Rollstuhl aus, doch die, welche ihn schoben, ließen mir Zeit, in das Zimmer der Königin zu entfliehen, das sehr entfernt lag. Ich kam halbtot vor Schrecken und so zitternd dort an, daß ich auf einem Stuhl zusammenbrach, unfähig, mich auf den Füßen zu halten. Die Königin war mir gefolgt und tat alles, um mich zu trösten und mich zu bewegen, zum König zurückzukehren. Die Teller und Krücken hatten mich so erschreckt, daß ich mich recht schwer entschloß, ihr zu willfahren. Wir gingen jedoch in das Zimmer des Königs zurück und trafen ihn in ruhiger Unterhaltung mit seinen Offizieren. Ich blieb nicht lange, weil mir schlecht wurde; und ich verfügte mich wieder in das Gemach der Königin, wo ich zweimal in Ohnmacht fiel. Ich blieb eine Weile dort. Die Kammerfrau der Königin, die mich aufmerksam beobachtet hatte, rief: »Mein Gott! Hoheit, was fehlt Ihnen? Sie sehen furchtbar aus!« »Ich weiß nicht,« sagte ich, »aber ich fühle mich recht elend.« Sie brachte mir einen Spiegel, und ich war sehr erstaunt, Gesicht und Hals voll roter Flecken zu finden; ich schrieb es der gehabten Aufregung zu und achtete nicht darauf. Aber sobald ich in das Zimmer des Königs zurückkehrte, verschwand diese Röte wieder, und ich fiel abermals in Ohnmacht. Es kam daher, daß ich eine ganze Flucht von ungeheizten Zimmern passieren mußte, in denen eine schreckliche Kälte herrschte. Nachts wurde ich von einem heftigen Fieber befallen und fühlte mich tags darauf so krank, daß ich mich bei der Königin entschuldigen ließ. Aber sie ließ mir sagen, daß ich tot oder lebendig zu ihr kommen müsse. Ich ließ ihr antworten, daß ich einen Ausschlag habe und unmöglich erscheinen könne. Doch ließ sie wieder denselben Befehl an mich ergehen. So schleppte man mich denn nach ihrem Zimmer, wo ich von einer Schwäche in die andere fiel; und in diesem Zustand wurde ich vor den König geführt.

Da meine Schwester mich so krank sah und mich für sterbend hielt, machte sie den König, der meiner nicht geachtet hatte, darauf aufmerksam. »Was fehlt Ihnen?« sagte er; »Sie sehen ganz verändert aus, aber ich werde Sie bald kurieren!« Und er ließ mir zugleich einen großen Becher voll alten sehr starken Rheinweins geben, den er mich auszutrinken zwang. Kaum hatte ich ihn geleert, als mein Fieber zunahm und ich zu phantasieren anfing. Die Königin sah wohl, daß ich weggebracht werden mußte; man trug mich in mein Zimmer und legte mich mitsamt meinem Kopfputz zu Bett, da ich strengen Befehl hatte, abends wieder zu erscheinen. Aber es währte nicht lange, bis mein Zustand sich arg verschlimmerte. Dr. Stahl, den man rufen ließ, hielt meine Krankheit für ein hitziges Fieber und gab mir mehrere Medikamente, die mein Übel nur noch steigerten. Ich verbrachte diesen und den folgenden Tag in fortwährendem Delirium. Sobald ich wieder zu mir kam, machte ich mich auf den Tod gefaßt. In solch kurzen Zwischenräumen ersehnte ich ihn sogar; und wenn ich Fräulein von Sonsfeld und meine gute Mermann weinend an meinem Bette sah, suchte ich sie zu trösten, indem ich ihnen sagte, daß ich von der Welt losgelöst sei und den Frieden finden würde, den mir niemand mehr rauben könnte. »Ich bin schuld«, sagte ich, »an allem Kummer, den die Königin und mein Bruder zu leiden haben. Wenn ich sterben soll, so sagen Sie dem König, ich hätte ihn stets geliebt und geachtet; ich hätte mir nichts gegen ihn vorzuwerfen, so daß ich hoffte, er würde mich vor meinem Tode segnen. Sagen Sie, daß ich ihn flehentlich bitte, mit der Königin und mit meinem Bruder besser umzugehen und alle Zwietracht und Feindseligkeit mit mir zu begraben. Dies ist mein einziger Wunsch und das einzige, was mich in meinem jetzigen Zustand noch bekümmert.« Ich schwebte vierundzwanzig Stunden zwischen Leben und Tod, worauf sich die Blattern bei mir zeigten. Der König hatte sich, seitdem ich erkrankt war, nicht nach mir erkundigen lassen. Als er aber vernahm, daß ich die Blattern hatte, schickte er seinen Chirurgen Holtzendorff zu mir, um zu hören, wie es mit mir stand. Dieser rohe Mensch richtete mir die härtesten Dinge von seiten des Königs aus und fügte selbst welche hinzu. Ich war so krank, daß ich nicht darauf achtete. Doch bestätigte er dem König, was diesem von meinem Zustand berichtet war. Seine Sorge, meine Schwester könnte von dem ansteckenden Übel befallen werden, ließ ihn alle erdenklichen Vorkehrungen treffen, aber auf eine Weise, die recht hart für mich war. Ich wurde alsbald wie eine Staatsgefangene behandelt; man versiegelte alle Zugänge nach meinem Zimmer und ließ nur von einer einzigen Seite den Zutritt frei. Die Königin wie ihr ganzer Hausstand erhielten strengen Befehl, nicht zu mir zu gehen, desgleichen mein Bruder. Ich blieb allein mit meiner Hofmeisterin und der armen Mermann, die in andern Umständen war und mich Tag und Nacht mit beispielloser Treue und Anhänglichkeit pflegte. Ich lag in einem Zimmer, in dem die bitterste Kälte herrschte. Die Suppe, die man mir brachte, bestand nur aus Wasser und Salz; und wenn nach einer andern verlangt wurde, hieß es, der König habe gesagt, sie sei gut genug für mich. Wenn ich gegen Morgen ein wenig einschlief, wurde ich vom Trommelgewirbel jäh aufgeweckt; allein der König hätte mich lieber umkommen lassen, als es abzustellen. Zum Unglück wurde auch die Mermann krank. Da alle Anzeichen auf eine Fehlgeburt schließen ließen, mußte sie nach Berlin gebracht werden, und es trat eine zweite Kammerfrau an ihre Stelle, die sich täglich betrank und somit außerstande war, mich zu pflegen. Mein Bruder, der die Blattern schon gehabt hatte, ließ mich nicht im Stich. Sobald er erfuhr, von welcher Krankheit ich befallen war, kam er heimlich zweimal des Tages, um mich zu besuchen. Die Königin, die mich nicht sehen durfte, erkundigte sich hinterrücks fortwährend nach mir. Neun Tage hindurch schwebte ich in großer Gefahr; alle Symptome meines Übels ließen den Tod erwarten, und alle, die mich sahen, waren der Meinung, daß, wenn ich davonkäme, ich traurig entstellt sein würde. Aber meine Laufbahn war noch nicht zu Ende, und ich war all den Schicksalsschlägen vorbehalten, von denen in diesen Memoiren die Rede sein wird. Dreimal hatte ich Rückfälle; waren die Blattern abgetrocknet, so brachen sie von neuem aus. Trotzdem blieben keine Narben zurück, ja, meine Haut war viel reiner geworden als zuvor.

Inzwischen kam Herr von Bremer im Auftrag des Markgrafen von Ansbach nach Potsdam. Er überreichte meiner Schwester den Verlobungsring, was ohne jegliche Zeremonie vor sich ging. Der König war von seiner Gicht vollständig hergestellt, mit seiner Gesundheit hatte sich auch seine Laune gebessert. Nur ich war noch der Stein des Anstoßes; Holtzendorff besuchte mich von Zeit zu Zeit auf Befehl des Königs, doch richtete er mir jedesmal unangenehme Dinge aus. Er suchte die Teilnahme, die er mir von seiten seines Herrn aussprechen sollte, stets in möglichst verletzende Worte zu kleiden. Dieser Mensch war eine Kreatur Seckendorfs und stand beim König so sehr in Gnaden, daß alles vor ihm kroch. Er benutzte seinen Einfluß nur, um Unglückliche zu machen, und hatte nicht einmal das Verdienst, ein guter Arzt zu sein. Mit meinem Bruder ging jetzt der König etwas besser um, auf Anraten Seckendorfs und Grumbkows, die den König vollständig beeinflußten. Die plötzlichen Sinneswandlungen, die sie schon bei ihm wahrgenommen hatten, hielten stete Furcht in ihnen wach. Sie besorgten mit Recht, der König von England könnte sich zuletzt doch zur Doppelheirat entschließen, so daß ihr ganzer Plan dadurch hinfällig würde. Von den fortwährenden Intrigen, welche die Königin bei dem englischen Hofe unterhielt, waren sie wohlunterrichtet, sowie von dem Briefe, den mein Bruder dorthin geschrieben hatte. So schmiedeten sie endlich den abscheulichsten all ihrer Pläne, um jegliches Übereinkommen mit dem König von England zu verhindern. Dieser Plan ging dahin, im preußischen Herrscherhaus vollständige Uneinigkeit zu säen und meinen Bruder so weit zu bringen, daß er infolge der Mißhandlungen seines Vaters sich zu irgendeinem raschen Schritte hinreißen ließ, wodurch er wie ich ihnen überantwortet würde. Der Graf Fink stand ihnen dabei im Wege. Mein Bruder achtete ihn; und seine Eigenschaft als Hofmeister verlieh ihm eine gewisse Autorität über seinen Zögling, wodurch er ihn abhalten konnte, nachteilige Handlungen zu begehen. Sie stellten also dem König vor, mein Bruder sei jetzt achtzehn Jahre alt und brauche keinen Mentor mehr, und indem man den Grafen Fink verabschiede, würde allen Intrigen der Königin, deren Agent er sei, ein Ende gemacht werden. Dem König leuchtete dies ein. Die beiden Hofmeister wurden also in allen Ehren verabschiedet; sie erhielten beide stattliche Pensionen und nahmen ihre militärischen Stellungen wieder ein. An ihrer Statt erhielt jetzt mein Bruder zwei militärische Begleiter. Der eine war der Oberst von Rochow, ein sehr redlicher Mann, doch herzlich unbegabt, der andere der Major von Keyserling, der auch durchaus rechtschaffen, aber leichtsinnig und geschwätzig war, den Schöngeist spielte und weiter nichts als eine umgestürzte Bibliothek war. Mein Bruder konnte sie beide gut leiden, aber Keyserling als der ausschweifendere und jüngere war ihm infolgedessen lieber.

Dieser geliebte Bruder verbrachte alle seine Nachmittage bei mir; wir lasen, schrieben zusammen und suchten unsern Geist zu bilden. Ich kann nicht verhehlen, daß unser Geschreibe sehr oft satirisch war, wobei der Nächste nicht verschont wurde. Ich erinnere mich, daß die Lektüre von Scarrons humoristischem Roman uns zu einer komischen Anwendung auf die kaiserliche Clique veranlaßte. Wir nannten Grumbkow den Ränkeschmied, Seckendorf den Plünderer und den König den Brummer. Gewiß war es strafbar von mir, die Ehrfurcht, die ich dem König schuldete, so zu verletzen; aber ich habe nicht die Absicht, mich selbst zu schonen noch mich zu entschuldigen. Wenn Kinder auch noch so viele Gründe zur Klage wider ihre Eltern haben, so dürfen sie doch nicht die schuldige Achtung vergessen. Ich machte mir seitdem die Fehler meiner Jugend in dieser Hinsicht oft zum Vorwurf, aber die Königin, statt uns zu rügen, ermunterte uns durch ihren Beifall, die schönen Satiren fortzusetzen. Ihre Hofmeisterin Frau von Kamecke blieb darin nicht verschont, obwohl wir große Achtung für die Dame hatten, konnten wir nicht umhin, ihre Lächerlichkeiten wahrzunehmen und sie zu bespötteln. Da sie äußerst dick war, nannten wir sie Madame Bouvillon, eine andere, ihr ähnliche Figur in jenem Roman. Wir trieben mehrmals in ihrer Gegenwart damit Scherz, so daß sie sehr neugierig wurde, wer denn diese Madame Bouvillon, von der so viel die Rede war, sei. Mein Bruder machte ihr weis, es sei die Camera Major der Königin von Spanien. Als eines Tages nach unserer Rückkehr nach Berlin Cercle gehalten wurde und vom spanischen Hofe die Rede war, ließ sie sich gar einfallen, zu bemerken, daß die Camera Majors alle aus der Familie der von Bouvillons seien. Alles lachte ihr ins Gesicht; und ich wußte vor Lachen gar nicht, wie ich mich halten sollte. Sie merkte wohl, daß sie eine Dummheit gesagt hatte, und informierte sich bei ihrer Tochter, die sehr belesen war, was denn damit sei. Diese enthüllte ihr das Geheimnis. Sie wurde sehr böse auf mich, da sie einsah, daß ich nur Possen mit ihr getrieben hatte; und nur mit Mühe konnte ich sie wieder versöhnen. Ein satirischer Charakter ist wenig achtenswert; man gewöhnt sich unmerklich daran und verschont dann weder Freund noch Feind. Nichts ist leichter, als die lächerlichen Seiten des Nächsten herauszufinden. Jeder hat die seinen. Es ist freilich unterhaltend, eine Person, die uns gleichgültig ist, auf geistreiche Weise zu foppen; aber zugleich ist es hart, zu denken, daß es einem selbst vielleicht einmal so ergehen wird. Wie sind wir Menschen doch blind! wir reiten auf den Fehlern der andern, während wir der eignen nicht achten. Ich habe mich von diesem Hange gänzlich befreit und verspotte nur noch gerne diejenigen Leute, die einen schlechten Charakter haben und durch ihre böse Zunge verdienen, daß man ihnen Gleiches mit Gleichem vergilt. Aber ich komme zu meinem Gegenstand zurück.

Da die Ankunft des Markgrafen von Ansbach nahe bevorstand und er die Blattern noch nicht gehabt hatte, hielten es der König und die Königin für ratsam, mich nach Berlin zurückzuschicken. Bevor ich abreiste, ging ich aber zum König. Er empfing mich wie gewöhnlich, das heißt sehr ungnädig, und sagte mir die härtesten Dinge. In ihrer Angst, er könne noch weitergehen, kürzte die Königin meinen Besuch ab und geleitete mich selbst in mein Zimmer zurück. Tags darauf begab ich mich nach Berlin, wo ich die Gräfin Amalie als die Braut des Staatsministers von Viereck antraf. Herr von Wallenrodt, ihr früherer Liebhaber, war gestorben. Es war einige Zeit her, daß man ihr eines Tages diese Nachricht mitteilte, als eben Cercle bel der Königin gehalten wurde. Da sie nicht einmal von seiner Krankheit etwas gehört hatte, machte ihr diese plötzliche Nachricht von seinem Tode einen solchen Eindruck, daß sie angesichts des ganzen Hofes in Ohnmacht fiel, wodurch ihr Verhältnis zu ihm ans Licht kam. Seit dieser Begebenheit hatte sie an Einfluß bei der Königin sehr verloren, und diese war recht froh, sie loszuwerden. Indes trafen der König und die Königin ein paar Tage nach mir in Berlin ein. Die Hochzeit meiner Schwester wurde mit großem Prunk gefeiert; und sie verließ uns vierzehn Tage später.

Nunmehr trat ich aus meiner Abgeschlossenheit hervor und folgte einige Zeit darauf der Königin nach Wusterhausen. Dort fingen die Streitigkeiten wegen meiner Verheiratung von neuem an. Den ganzen Tag gab es nur Zank und Ärger. Der König ließ meinen Bruder und mich beinahe Hungers sterben. Er verwaltete selbst das Amt des Tranchiermeisters; er servierte allen, nur uns beiden nicht; und wenn zufällig auf der Platte etwas übrigblieb, spie er hinein, um uns das Essen zu verleiden. Wir nährten uns beide nur von Kaffee und gedörrten Kirschen, wodurch mein Magen gänzlich verdorben wurde. Dafür wurde ich mit Schmähworten und Beschimpfungen gespeist, denn es wurden mir den Tag über alle erdenklichen Benennungen zuteil, und noch dazu vor allen Leuten. Der Zorn des Königs ging sogar so weit, daß er meinen Bruder und mich davonjagte und uns streng gebot, nur noch zu den Mahlzeiten vor ihm zu erscheinen. Die Königin schickte heimlich nach uns, während der König auf der Jagd war. Sie hielt dabei nach allen Richtungen Spione aufgestellt, die ihr meldeten, wann er wieder in Sicht war, damit ihr Zeit blieb, uns wegzuschicken. Durch die Nachlässigkeit ihrer Leute wären wir eines Tages auf ein Haar bei ihr ertappt worden. Ihr Zimmer hatte nur einen Ausgang; und er erschien so plötzlich, daß wir ihm nicht mehr ausweichen konnten. Die Angst machte uns entschlossen. Mein Bruder verbarg sich in einer Nische, die eine gewisse Bequemlichkeit bot, und ich kroch unter das Bett der Königin, welches so niedrig war, daß ich es kaum aushalten konnte und in eine sehr peinliche Lage geriet. Kaum hatten wir uns in diese schönen Zufluchtsorte zurückgezogen, als der König eintrat. Da er von der Jagd sehr ermüdet war, schlief er ein und schlummerte zwei Stunden lang. Ich erstickte fast unter dem Bette und konnte nicht umhin, von Zeit zu Zeit meinen Kopf hervorzustrecken, um Atem zu schöpfen. Wenn diese Szene einen Zuschauer gehabt hätte, wäre sie lächerlich genug gewesen. Endlich ging sie zu Ende. Der König entfernte sich, und wir kamen schnell aus unsern Höhlen hervor, indem wir die Königin beschworen, uns solchen Vorgängen nicht wieder auszusetzen. Es mag wohl seltsam erscheinen, daß wir nichts unternahmen, um uns mit dem König auszusöhnen. Ich sprach mehrmals mit der Königin darüber, aber sie wehrte es auf das bestimmteste ab und sagte, der König würde mir antworten, daß ich nur dann wieder seine Gnade erlangen könnte, wenn ich den Herzog von Weißenfels oder den Markgrafen von Schwedt heiratete, was die Lage nur verschlimmern würde und mich in größte Verlegenheit brächte. Diese Gründe waren einleuchtend, ich mußte mich fügen.

Nach all diesen Kümmernissen kamen einige frohe Tage. Der König begab sich nach Lübben, um mit dem König von Polen zusammenzukommen. Dort nun gelang es Grumbkow und Seckendorf, meinen Vater zu bewegen, mich in aller Form dem Herzog von Weißenfels zur Ehe zu versprechen, dem ich feierlich verlobt wurde. Der König von Polen wollte ihm einige Vorteile bewilligen, und der König von Preußen erachtete, daß ich mit 50 000 Talern jährlich sehr standesgemäß mit ihm würde leben können. In Dahme, einem kleinen Marktflecken, der dem Herzog gehörte und sein Erbteil war, machte der König halt; er wurde dort mit herrlichem Ungarwein bewirtet, was seine Freundschaft für den Herzog nur steigerte. Dieser aber hielt alle seine Ränke so geheim, daß wir erst einige Zeit darauf etwas davon erfuhren.

Mit der Rückkehr des Königs fingen die Mißhandlungen von neuem an; er konnte meines Bruders nicht ansichtig werden, ohne ihn mit dem Stock zu bedrohen. Dieser sagte mir jeden Tag, daß er alles vom König ertragen würde, außer von ihm geschlagen zu werden; und daß er, sofern es je zu diesem Äußersten käme, sich durch die Flucht einer solchen Behandlung entziehen würde. Der Page Keith stand nunmehr als Offizier in einem Regiment, das in Kleve einquartiert war. Sein Abschied hatte mir große Freude bereitet, weil ich hoffte, mein Bruder würde jetzt ein geregelteres Leben führen; allein es kam anders. Ein zweiter, viel gefährlicherer Günstling folgte dem ersten. Es war ein junger Gendarmeriehauptmann, namens von Katte, der Enkel des Marschalls Grafen von Wartensleben. Sein Vater, General von Katte, hatte ihn für die juristische Laufbahn bestimmt, ihn studieren lassen und später auf Reisen geschickt. Aber da man nur in der militärischen Laufbahn Karriere machte, wurde er wider Erwarten in diese hineingezogen. Er fuhr jedoch fort, sich dem Studium zu widmen. Er war belesen, geistreich und weltgewandt; er hatte sich viel in guter Gesellschaft bewegt und dort höfliche Manieren angenommen, was damals in Berlin ziemlich selten war, sein Gesicht war eher unangenehm als sympathisch; zwei schwarze Augenbrauen bedeckten ihm fast die Augen; sein Blick hatte etwas Unheilvolles, als künde er sein Schicksal voraus; eine gebräunte und blatternarbige Haut entstellte ihn noch mehr; er gab sich für einen Freigeist aus, und seine Liederlichkeit kannte keine Schranken; sehr viel Ehrgeiz und Leichtsinn kamen noch hinzu. Ein solcher Freund war nicht geeignet, meinen Bruder von seinen Verirrungen abzubringen. Ich erfuhr von dieser neuen Freundschaft erst bei meiner Rückkehr nach Berlin, wohin wir wenige Tage nach der Rückkehr des Königs aus Lübben reisten. Wir lebten dort ein Weilchen ziemlich still, als ein neues Ereignis unsere Ruhe störte.

Die Königin erhielt von meinem Bruder einen Brief, der ihr von einem Diener heimlich zugestellt wurde. Dieser Brief machte auf mich einen so tiefen Eindruck, daß ich den Inhalt desselben ungefähr im Wortlaut wiedergebe:

»Ich bin in der größten Verzweiflung. Was ich immer befürchtete, ist mir endlich soeben widerfahren. Der König hat gänzlich vergessen, daß ich sein Sohn bin, und mich wie den niedrigsten aller Menschen behandelt. Ich trat heute morgen wie gewöhnlich in sein Zimmer. Kaum hatte er mich erblickt, als er mich am Kragen packte und in der grausamsten Weise mit seinem Stocke auf mich losschlug. Ich suchte vergeblich, mich zu wehren; er war in einem so schrecklichen Zorn, daß er sich nicht mehr beherrschte, und er hielt erst inne, als sein Arm vor Müdigkeit erlahmte. Ich habe zu viel Ehrgefühl, um derartige Behandlungen zu ertragen, und bin entschlossen, auf diese oder die andere Weise ihnen ein Ende zu machen.«

Dieser Brief erfüllte die Königin wie mich mit größtem Kummer, aber er beunruhigte mich weit mehr als sie. Ich durchschaute deutlicher, was der letzte Satz bedeuten sollte, und erriet wohl, daß mit jenem Entschluß, sich seinen Leiden auf diese oder die andere Weise zu entziehen, mein Bruder nichts anderes beabsichtigte als die Flucht. Da ich die Königin so betrübt sah, nahm ich die Gelegenheit wahr, um ihr zu sagen, daß es besser wäre, meine Heirat aufzugeben. Ich stellte ihr vor, daß der König von England nicht willens sei, mich seinem Sohn zu geben, er würde sonst ganz anders vorgegangen sein, daß aber mein Vater mittlerweile sich immer mehr verbittere, sowohl gegen sie als gegen meinen Bruder und mich; da nun der letzte Schritt geschehen sei und er meinen Bruder tätlich mißhandelt habe, würde er mir und ihm gegenüber nur immer schlechter verfahren und vielleicht zu sehr unheilvollen Exzessen schreiten; zwar würde ich namenlos unglücklich sein, wenn ich gezwungen wäre, den Herzog von Weißenfels zu heiraten, ich sähe jedoch wohl ein, daß eines von uns dem Hasse Seckendorfs und Grumbkows geopfert werden müsse, und es wäre mir lieber, daß ich es dann sei als mein Bruder, daß ich endlich keine andere Möglichkeit erblicke, um den Frieden unsrer Familie wiederherzustellen. Die Königin geriet wider mich in heftigen Zorn. »Wollen Sie mir das Herz durchbohren,« sagte sie, »und soll ich vor Kummer sterben? Nie wieder sprechen Sie davon, und sollten Sie je eine solche Feigheit begehen, verfluche ich Sie; ich werde Sie als meine Tochter verleugnen und niemals dulden, daß Sie je wieder vor mir erscheinen.« Bei diesen letzten Worten veränderten sich ihre Züge so sehr, daß ich erschrak. Sie war in andern Umständen, was meine Besorgnis noch erhöhte. Ich suchte sie zu beruhigen, indem ich sie versicherte, daß ich nie etwas tun würde, was ihr den geringsten Verdruß bereiten könnte.

Fräulein von Bülow, erste Hofdame der Königin, genoß jetzt deren Gunst an Stelle der Gräfin Amalie, die bald nach meiner Schwester geheiratet hatte. Diese Person war gut und gefällig, sie tat niemandem etwas zuleide, aber sie war eine Intrigantin und indiskret. Die Königin benützte sie, um alles, was vorging, zu erfahren und es Herrn Dubourgay und Herrn von Kniephausen, dem ersten Staatsminister, mitzuteilen. Dieser war ein Mann von Geist und in den Geschäften sehr erfahren, dabei Grumbkows geschworener Feind, und gehörte also zur englischen Clique. Die Königin ließ ihm den Brief meines Bruders mitteilen und beriet sich mit ihm über die Schritte, die sie wagen könnte, um Gewalttaten des Königs zu verhindern. Kniephausen wußte durch die Bülow von allen Ränken der Ramen; er wußte, daß diese Frau mit Eversmann, dem Günstling des Königs, eng verbündet war, er wußte auch, daß der Hauptgrund aller unsrer Leiden in dem Vertrauen zu suchen war, das die Königin in diese Kreatur setzte, indem diese mit ihrem Genossen durch die falschen oder wahren Berichte über meinen Bruder und mich den König gegen uns erbitterte. Er meinte daher, man müsse die beiden um jeden Preis erkaufen. Der Königin gegenüber sprach er nur von Eversmann, da es ihm zu gefährlich schien, ihr die Ramen zu nennen; und er riet ihr, ihn dadurch für ihre Interessen zu gewinnen, daß sie ihm eine Summe Geldes von seiten des Königs von England verschaffe, die groß genug wäre, um ihn zu reizen. Die Königin lobte den Rat und sprach mit Herrn Dubourgay darüber. Nach vielen Schwierigkeiten ließ ihm dieser 500 Taler überweisen, während auf Drängen Kniephausens ebensoviel der Ramen zuerkannt wurde. Beide machten himmelhohe Versprechungen; aber sobald sie das Geld hatten, setzten sie den König von dem ganzen Handel in Kenntnis, während sie die Königin und Dubourgay mit falschen Mitteilungen hinhielten. Über diese Handlungsweise der Königin riß dem König vollends die Geduld. Er hielt sich von ihr verraten, da sie bereits angefangen hatte, die Dienerschaft zu bestechen; und wir werden im Jahre 1730, zu dem ich jetzt übergehe, sehen, wie er sich dafür rächte.

Der König begab sich nach Berlin, um die Weihnachtsfeiertage dort zu verbringen. Er war während dieser ganzen Zeit sehr guter Dinge; und obwohl er meinen Bruder und mich nicht gnädig empfing, verschonte er uns doch mit Beschimpfungen. Es war uns gelungen, meinen Bruder wieder zu beruhigen; und wir atmeten alle auf, da die Haltung des Königs uns jeden Verdacht nahm. Aber wer kann die Tiefen des menschlichen Herzens ergründen?

Der König kehrte nach Potsdam zurück. Einige Tage später erhielt Graf Fink einen Brief von ihm, und außerdem die Order, dieses Schreiben nur in Gegenwart des Marschalls von Borck und Grumbkows zu öffnen. Zugleich erhielt er das Verbot, bei Lebensstrafe jemandem von beiden Sendungen ein Wort zu verraten. Dieselbe Order war den zwei eben genannten Ministern zugegangen, mit dem Befehl, sich zum Grafen Fink zu begeben. Sobald sie beisammen waren, machten sie sich an die Lektüre jenes Briefes, dem auch einer an die Königin beilag. Der Inhalt des an den Grafen Fink gesandten war folgender:

»Sobald Borck und Grumbkow bei Ihnen gewesen sein werden, haben Sie sich alle drei zu meiner Frau zu verfügen. Sie werden ihr in meinem Auftrage sagen, daß ich von allen ihren Intrigen weiß, daß sie mir mißfallen und meine Geduld zu Ende ist; ich will nicht länger als Spielzeug meiner Familie dienen, die mich unwürdig behandelt, und ein für allemal meine Tochter Wilhelmine verheiraten. Als letzte Gunst will ich der Königin erlauben, noch einmal an den König von England zu schreiben und eine förmliche Erklärung von ihm betreffs der Heirat meiner Tochter zu verlangen. Sagen Sie ihr, daß, falls die Antwort nicht meinem Wunsche gemäß ausfällt, ich unbedingt darauf bestehe, meine Tochter mit dem Herzog von Weißenfels oder dem Markgrafen von Schwedt zu vermählen; daß ich ihr die Wahl zwischen beiden Partien lassen werde; daß sie mir ihr Ehrenwort zu geben hat, sich meinem Willen nicht länger zu widersetzen, und daß, sofern sie fortfährt, mich durch ihre Weigerungen zu reizen, ich auf immer mit ihr brechen und sie mit ihrer nichtswürdigen Tochter, die ich verleugnen werde, nach Oranienburg verbannen will, wo sie ihren Eigensinn bereuen mag. Kommen Sie als treue Diener meinem Befehle nach und trachten Sie, die Königin zum Gehorsam zu bewegen, ich werde es Ihnen Dank wissen. Andernfalls aber werde ich Ihr Verhalten Ihnen und Ihren Angehörigen zu vergelten wissen.

Ich verbleibe Ihr wohlgeneigter König
Wilhelm.«


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