Wilhelmine von Bayreuth
Memoiren der Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth
Wilhelmine von Bayreuth

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Am selben Abend, als die Königin vor ihrem Spiegel mit ihrer Nachtfrisur beschäftigt war und die Bülow bei ihr saß, hörten sie im Nebenkabinett einen fürchterlichen Lärm. Dieses Kabinett war wundervoll mit Bergkristall und anderen höchst kostbaren Ornamenten ausgestattet, von den Gold- und Kunstgegenständen abgesehen, die sich in großer Zahl darin befanden. Unter diesen sehenswerten Schaustücken standen japanische und chinesische Vasen von ungeheurer Größe. Die Königin dachte zuerst, daß eine derselben herabgefallen und diesen Lärm verursacht habe. Die Bülow trat ein und war sehr überrascht, keinerlei Veränderung darin wahrzunehmen. Kaum hatte sie die Tür geschlossen und war wieder hinausgegangen, als der Lärm von neuem losging. Sie sah dreimal nach, von einer Kammerfrau der Königin begleitet, und fand stets alles in schönster Ordnung. Endlich hörte der Lärm hier auf, doch setzte ein andrer, noch ärgerer Lärm in einem Korridor ein, der die Gemächer des Königs von denen der Königin trennte und den Übergang bildete. Niemand ging hier durch als die Kammerdiener, und an beiden Enden hielten zwei Posten Wache. Die Königin, begierig zu wissen, woher der Lärm käme, befahl ihren Frauen, ihr zu leuchten. Die Furcht entlarvte die falsche Anhänglichkeit der Ramen; sie wollte der Königin nicht folgen und versteckte sich im Nebenzimmer. Zwei andere Kammerfrauen begleiteten die Königin mit der Bülow, und kaum hatten sie die Türe geöffnet, als sie schreckliches mit Geschrei vermischtes Wehklagen vernahmen, so daß sie vor Angst erzitterten. Die Königin allein behielt ihre Ruhe. Sie trat in den Korridor und ermunterte dadurch die andern, nach der Ursache zu suchen. Sie fanden alle Türen verriegelt; als sie sie geöffnet hatten, durchsuchten sie den Raum, ohne etwas zu entdecken. Die zwei Wachen waren halb besinnungslos vor Schrecken. Diese Leute hatten dieselben Jammertöne in ihrer Nähe vernommen, doch ohne etwas zu sehen. Die Königin fragte sie, ob jemand in die Zimmer des Königs eingetreten sei, sie versicherten ihr hoch und teuer das Gegenteil. Sie kehrte etwas angegriffen in ihre Gemächer zurück und erzählte mir diese Geschichte am darauffolgenden Tage. Obwohl sie nichts weniger als abergläubisch war, befahl sie mir, auf das Datum zu merken, um festzustellen, was dieser Heidenlärm bedeutet habe. Ich bin überzeugt, daß er eine ganz natürliche Ursache hatte. Der Zufall wollte jedoch, daß gerade an diesem Abend mein Bruder in Haft genommen wurde und daß bei der Rückkehr des Königs der schmerzlichste Auftritt in eben jenem Korridor erfolgte.

Da an diesem Tage kein Empfang abgehalten wurde, war in Monbijou Konzert. Die Musikliebhaber hatten die Erlaubnis sich einzufinden, und Katte fehlte nie. Nachdem ich lange am Spinett begleitet hatte, ging ich ins Nebenzimmer, wo gespielt wurde. Katte folgte mir und beschwor mich, ihn um Gottes willen, meinem Bruder zuliebe, einen Augenblick anzuhören. Dieser so teure Name ließ mich sofort stillstehen. »Ich bin aufs tiefste bestürzt«, sagte er, »über die Ungnade der Königin und die Eurer Königlichen Hoheit; man hat Ihnen einen falschen Bericht über mich erstattet; man glaubt, daß ich den Kronprinzen in seinen Fluchtplänen bestärke. Bei allem, was heilig ist, beteure ich Ihnen, daß ich ihm geschrieben und mich ausdrücklich geweigert habe, ihm zu folgen, wenn er die Flucht ergreifen will; und ich wette auf meinen Kopf, daß er es ohne mich nicht versuchen wird.« »Ich sehe ihn schon unsicher auf Ihren Schultern sitzen,« erwiderte ich, »und wenn Sie nicht bald andere Bahnen einschlagen, könnte es wohl sein, daß ich ihn bald vor Ihren Füßen liegen sehe. Ich kann nicht leugnen, daß wir beide, die Königin und ich, höchst unzufrieden mit Ihnen sind; ich hätte nie gedacht, daß Sie unbesonnen genug sein würden, von den Plänen meines Bruders überall zu sprechen und jedem seine Geheimnisse anzuvertrauen. Sie hätten ihm seine Wohltaten besser vergelten und die Unkorrektheit Ihres Verfahrens besser überlegen sollen. Vor allem, mein Herr, ist es durchaus ungehörig, daß Sie mein Porträt besitzen und sich dessen rühmen. Die Königin hat es von Ihnen zurückverlangt, Sie hatten ihr zu folgen und es zurückzugeben. Nur auf diese Weise konnten Sie Ihren Fehler gutmachen und bei ihr wie bei mir wieder in Gnaden kommen.« »Was den ersten Punkt angeht, Prinzessin, so habe ich nur mit Herrn von Lövener von den Angelegenheiten des Kronprinzen gesprochen; er kann nicht verdächtigt werden, und ich glaube nicht, daß die Königin es mißbilligt. Da ich selbst das Porträt Eurer Königlichen Hoheit und das des Kronprinzen kopierte, dachte ich nicht, mich eines Fehltritts schuldig zu machen, wenn ich es einige Freunde sehen ließ, um so mehr, als ich sie nur als Erzeugnisse meiner eigenen Arbeit vorzeigte; doch gestehe ich Ihnen, Prinzessin, sie herauszugeben träfe mich härter als mein Tod. Übrigens«, fuhr er fort, »habe ich viele Feinde, die mich um die Gunst des Kronprinzen beneiden und die, weil sie nichts gegen mich ausrichten können, zur Verleumdung greifen, aber ich wiederhole es, solange ich die Gnade dieses teuren Prinzen genieße, werde ich ihn stets von der Ausführung seines Vorhabens abhalten, obwohl ich im Grunde kein so großes Wagnis darin sehe. Welcher Schaden und welches Übel könnte ihm erwachsen, wenn man ihn einfinge? Er ist der Erbe des Throns, und niemand würde sich erkühnen, es mit ihm aufzunehmen.« »In der Tat, mein Herr,« erwiderte ich, »Sie spielen ein gewagtes Spiel, und ich fürchte sehr, daß ich nur allzu richtig prophezeie.« »Wenn ich meinen Kopf verliere,« erwiderte er, »so wird es um einer guten Sache willen sein, aber der Kronprinz wird mich nicht verlassen.« Ich ließ ihm nicht Zeit, mir mehr zu sagen, und wandte mich ab. Es war das letztemal, daß ich ihn sah, und ich war weit entfernt zu ahnen, wie meine Prophezeiungen sich bewahrheiten würden, da ich nur, um ihn einzuschüchtern, so gesprochen hatte.

Am 15. August, dem Geburtstag des Königs, kamen alle, der Königin zu gratulieren, und die Gesellschaft war sehr zahlreich. Ich hatte dabei wieder ein Gespräch mit Grumbkow. Er hatte seine Moral wieder vergessen und spaßte wieder; er amüsierte mich sehr, da er höchst geistreich war. Er erging sich wieder in Lobreden über den König, und als ich mich von ihm zurückziehen wollte, sagte er mir mit solchem Nachdruck, daß ich erstaunte: »Sie werden bald sehen, Prinzessin, wie sehr ich Ihnen ergeben bin und Ihnen zu dienen suche.« Ich antwortete ihm sehr verbindlich und wollte mich entfernen, aber die Bülow kam hinzu und fing an, ihn aufzuziehen; sie hatte sich mit ihm auf diesen Fuß gestellt und reizte ihn, sowie sie ihn sah. Ich hatte sie schon des öfteren gewarnt, den Spott zu weit zu treiben, indem ich ihr sagte, man müsse dem Beispiel der Indier folgen, die den Teufel anbeten, damit er ihnen nichts tue; allein sie achtete nur wenig auf meine Ratschläge. Der Streit, den sie an diesem Abend mit ihm führte, war sehr lebhaft. Ihr Gegner sagte ihr endlich dasselbe wie mir: »Binnen kurzem werde ich Sie überzeugen können, wie sehr ich Ihr Freund bin.« Es schien, als stecke ein geheimer Sinn hinter diesen zweimal wiederholten Worten, und ich fühlte mich beklommen.

Die Königin wollte uns tags darauf eine Überraschung bereiten. Sie gab in Monbijou dem König zu Ehren einen Ball. Der Speisesaal war mit Schildern und Lampions geschmückt, und die Tafel stellte ein Blumenbeet dar. Jeder von uns fand ein Geschenk unter seinem Gedeck. Wir waren alle in trefflicher Laune, nur die zwei Hofmeisterinnen, Frau von Kamecke und Fräulein von Sonsfeld, die Gräfin Fink und die Bülow schienen bedrückt; sie sagten kein Wort und klagten über Unwohlsein. Nach dem Souper fing der Ball von neuem an. Ich hatte sechs Jahre lang nicht mehr getanzt; es war ein seltenes Vergnügen, das ich rückhaltlos genoß, ohne auf das zu merken, was ringsum vorging. Die Bülow sagte mir mehrmals: »Es ist spät, ich wollte, das Fest wäre aus.« »Aber mein Gott!« versetzte ich, »lassen Sie mich doch nach Herzenslust tanzen. Wer weiß, für wie lange es sein wird.« »Ja, das könnte wohl sein«, bemerkte sie. Ohne darauf zu achten, fuhr ich fort, mich zu unterhalten. Nach einer halben Stunde mahnte sie von neuem. »So hören Sie doch endlich auf,« sagte sie mit unwilliger Miene, »Sie sind so vertieft, daß Sie gar nichts bemerken.« »Sie sind heute so übler Laune,« entgegnete ich, »daß ich nicht weiß, was ich davon halten soll.« »Sehen Sie die Königin an, Prinzessin, und Sie werden keinen Grund mehr haben, mir Vorwürfe zu machen.« Ich warf einen Blick nach ihr hin und erstarrte vor Schreck. Ich sah sie am Ende des Saales, bleicher als der Tod, im Gespräch mit ihrer Oberhofmeisterin und Fräulein von Sonsfeld. Da mein Bruder mir mehr als alles andere auf der Welt am Herzen lag, fragte ich sogleich, ob es ihn beträfe. Die Bülow zuckte die Achseln und sagte, sie wisse es nicht. Ein paar Augenblicke später brach die Königin auf und stieg mit mir in den Wagen. Sie sagte mir kein Wort während der ganzen Fahrt, was mich so beunruhigte, daß mich furchtbares Herzklopfen befiel. Sobald ich mich zurückgezogen hatte, ließ ich meiner Hofmeisterin keine Ruhe und verlangte zu wissen, was geschehen sei. Sie antwortete mit Tränen in den Augen, die Königin habe ihr Schweigen geboten. Da glaubte ich wahrlich, mein Bruder sei gestorben, was mich in solche Verzweiflung stürzte, daß Fräulein von Sonsfeld für angezeigt hielt, mich aufzuklären. Sie erzählte mir also, Frau von Kamecke habe am selben Morgen eine Stafette vom König mit Briefen für sich und die Königin erhalten. Der König habe ihr anbefohlen, die Königin langsam darauf vorzubereiten, daß er den Kronprinzen eines Fluchtversuchs halber habe verhaften lassen. Das Unglück meines Bruders durchbohrte mir das Herz; ich verbrachte die ganze Nacht in furchtbarer Aufregung. Die Königin ließ mich am frühen Morgen rufen, um mir den Brief des Königs zu zeigen. Er war offenbar im größten Zorn geschrieben und lautete wie folgt:

»Ich habe den Schurken von einem Fritz verhaften lassen; ich werde ihn behandeln, wie er es für sein Verbrechen und seine Feigheit verdient; ich erkenne ihn nicht mehr als meinen Sohn an; er hat über mich und mein ganzes Haus Schande gebracht, dieser Elende verdient nicht mehr zu leben.«

Ich wurde halb ohnmächtig, als ich dies las. Der Zustand der Königin und der meine hätten einen Stein erweicht. Sobald sie sich ein wenig erholt hatte, teilte sie mir mit, daß Katte verhaftet worden sei. Ich will die Umstände, wie wir sie später erfuhren, hier ausführlich berichten.

Herr von Grumbkow wußte seit dem 15. von der Katastrophe meines Bruders; er hatte seine Freude nicht verhehlen können und sie mehreren Freunden anvertraut. Herr von Lövener, der seine Spione besaß, erhielt davon Kenntnis. Er schrieb sogleich an Katte und riet ihm, sich sofort zu entfernen, da er unfehlbar verhaftet werden würde. Katte folgte dem Rat und bat den Marschall von Natzmer, der sein Korps befehligte, um Erlaubnis, nach Friedrichsfelde zu gehen, um dem Markgrafen Albert seine Aufwartung zu machen, was ihm gewährt wurde. Er hatte einen Sattel anfertigen lassen, in welchem er Geld und Papiere verbergen konnte. Unglücklicherweise war der noch nicht fertig, was ihn nötigte, darauf zu warten. Doch ließ er die Zeit nicht unbenutzt und verbrannte seine Papiere. Sein Pferd war endlich gesattelt; er war im Begriff, es zu besteigen, als der Marschall, von einer Wache begleitet, hinzukam, ihm seinen Degen abverlangte und ihn auf Befehl des Königs gefangen nahm. Katte ergab sich ihm, ohne eine Miene zu verziehen, und wurde unverweilt ins Gefängnis abgeführt. Man versiegelte seine sämtliche Habe in Gegenwart des Marschalls, der verzagter schien als sein Gefangener. Er hatte über drei Stunden gezögert, die Befehle des Königs auszuführen, um Katte Zeit zur Flucht zu lassen, und war sehr betroffen, ihn noch anwesend zu finden.

Ich kehre zur Königin zurück. Sie fragte mich, ob mein Bruder mir nie etwas von seinen Plänen gesagt habe. Ich teilte ihr sodann alles mit, was ich davon wußte, und entschuldigte mich, es ihr verheimlicht zu haben, aus Furcht, sie zu kompromittieren, falls es wirklich dazu kommen sollte. Ich sagte ihr außerdem, daß die Versicherungen Kattes mich gänzlich beruhigt hätten, da ich auf nichts weniger gefaßt war, als was ich eben vernommen hatte. »Aber«, sagte sie, »wissen Sie nichts über unsere Briefe?« »Ich habe oft mit meinem Bruder darüber gesprochen, und er hat mir versichert, daß sie verbrannt sind.« »Ich kenne Ihren Bruder zu gut«, versetzte sie, »und wette, daß sie unter Kattes Sachen sind. Wenn dem so ist, sind wir verloren.« Die Königin täuschte sich nicht; wir erfuhren tags darauf, daß sich bei Katte mehrere Kassetten meines Bruders vorgefunden hatten, die beschlagnahmt wurden. Diese Nachricht entsetzte uns. Nach langem Nachdenken wandte sie sich wieder an den Marschall von Natzmer, der ihr schon einmal in einem ähnlichen Fall behilflich gewesen war, wie ich früher erzählte. Sie berief auch ihren Hausgeistlichen, namens Reinbeck, um ihn zu bitten, den Marschall zu ersuchen, er möchte ihm die Kassette zustellen lassen, die ihre Briefe enthielt. Da Reinbeck erkrankt war, ließ er sich entschuldigen, wodurch die Angst der Königin noch vermehrt wurde. Glücklicherweise bot sich statt seiner ein Ersatz.

Die Gräfin Fink trat am folgenden Morgen bei mir ein. Ich erschrak über ihre veränderte Miene. Nachdem sie alle Anwesenden, außer Fräulein von Sonsfeld, hinausgeschickt hatte, sagte sie mir, sie sei das unglücklichste Wesen der Welt und müsse mir ihren Kummer anvertrauen. »Stellen Sie sich meine Verlegenheit vor«, sagte sie. »Gestern abend fand sich in meinem Zimmer eine versiegelte Kassette für die Königin, die man meiner Dienerschaft mit folgendem Billett überbracht hatte.« Sie gab es mir, es enthielt nur diese Worte:

»Haben Sie die Güte, gnädige Frau, diese Kassette der Königin zu übergeben; sie enthält die Briefe, welche sie und die Prinzessin an den Kronprinzen geschrieben haben.«

»Ich konnte nicht verstehen,« fuhr sie fort, »wer mir einen solchen Streich gespielt hat, denn die Überbringer trugen Masken. Nun weiß ich nicht, wozu ich mich entschließen soll. Lasse ich die fatale Sendung an den König gehen, so muß ich mir sagen, daß ich die Königin verrate, und gebe ich sie ihr zurück, so werde ich das Opfer werden. Beide Alternativen sind für mich so arg, daß ich mir keinen Rat weiß.« Wir redeten ihr so dringend zu, daß sie sich endlich bewegen ließ, es der Königin zu sagen, und legten ihr dar, daß sie dabei nichts wage, da ja das Paket an die Königin adressiert sei.

Wir begaben uns alle drei zu ihr hin. Ihre Freude über diese günstige Nachricht war so groß, daß sie ihre Sorgen erleichterte, aber nicht auf lange. Die Bedenken stellten sich der Reihe nach ein; und wir fragten uns, wie wir die Kassette heimlich ins Schloß bringen könnten, ohne bei der Menge von Spionen bemerkt zu werden. Und selbst wenn es gelänge, mußten wir nicht befürchten, daß Katte sie beim Verhör erwähnen würde? Wie würde es dann der Gräfin Fink ergehen, die unschuldigerweise in diese schlimme Angelegenheit hineingezogen wäre und sich nicht zu helfen wüßte? Wenn diese den geraden Weg ginge und sie der Königin offen auslieferte, würde der König es sofort erfahren und die Königin zwingen, das Werkzeug ihrer eigenen Vernichtung zu werden, indem sie ihm die Briefe übergäbe. Der Fall war schwierig, überall taten sich Abgründe auf. Endlich, nachdem wir alle Für und Wider überlegt hatten, wählte man den letzten Ausweg als den weniger gefahrvollen, in der Hoffnung, es würde sich noch irgendeine Möglichkeit darbieten, uns der Papiere zu bemächtigen. Die Brieftasche, denn um eine solche handelte es sich, wurde also in die Gemächer der Königin gebracht, und sie verschloß diese sogleich in Gegenwart ihrer Dienerschaft und der Ramen. Nachmittags hielten wir wieder Rat. Die Königin war der Meinung, daß sie die Briefe verbrennen und dem König einfach sagen sollte, sie habe es für kein Unrecht gehalten, da sie ohne Belang wären. Dieser Gedanke wurde von uns andern lebhaft verworfen, der eine meinte dies, der andere das; der ganze Tag verlief, ohne daß wir uns zu einem Beschlusse einigten.

Sobald ich mich zurückgezogen hatte, sagte ich Fräulein von Sonsfeld, daß ich einen unfehlbaren Ausweg wüßte, der aber sehr gefährlich wäre, wenn die Königin ihn der Ramen anvertraute. Ich erklärte ihr, daß, wenn man die Siegel entfernen könnte, ohne sie zu verletzen, es dann sehr leicht wäre, das Schloß der Brieftasche wegzufeilen, die Briefe herauszuziehen und sie bequem durch andere zu ersetzen, die man indessen schriebe. Meine Hofmeisterin lobte den Plan, und wir wollten ihn im Verein mit der Gräfin Fink der Königin vorschlagen und ihr das Ehrenwort abverlangen, daß sie es niemandem sagen würde.

Gleich am folgenden Tage führten wir, wie ausgemacht, unser Vorhaben aus. Wir sprachen so deutlich, ohne Namen zu nennen, daß die Königin merkte, wen wir meinten. Aber ihre Schwäche für die Ramen war so groß, daß sie nicht dergleichen tat; sie schwur uns aber ewige Verschwiegenheit und hielt diesmal Wort. Wir machten uns also gleich ans Werk. Die Königin verabschiedete ihre Damen und ihre Dienerschaft, nur ich blieb bei ihr. Wir hatten erst mit einem schrecklichen Hindernis zu kämpfen; die Brieftasche war so schwer, daß weder die Königin noch ich sie zu schleppen vermochten, so daß wir uns einem ihrer Kammerdiener anvertrauen mußten, einem alten treuen Lakaien, dessen Verschwiegenheit und Ehrlichkeit außer allem Zweifel standen. Lange Zeit hindurch bemühte ich mich, das Siegel abzuheben, erkannte aber voll Bangen die Aussichtslosigkeit. Jener Kammerdiener, namens Bock, besah das Wappen und erkannte es voll Freuden, indem er ausrief: »Ich trage ja ein ebensolches Siegel bei mir! Vor vier Wochen fand ich es im Garten zu Monbijou und habe es seitdem immer bei mir behalten, um seinen Besitzer ausfindig zu machen.« Wir verglichen die beiden Siegel, und sie erwiesen sich in der Tat als dieselben; wir nahmen an, daß sie Katte angehörten. Nachdem wir nun die Schnüre und das Schloß gesprengt hatten, machten wir uns an die Durchsicht der Briefe. Hierüber muß ich jetzt einiges berichten. Im Laufe dieser Memoiren erwähnte ich schon die wenig respektvolle Art, mit der wir oft vom König sprachen. Die Königin fand Vergnügen an unsern Späßen und überbot sie noch; ihre Briefe wie die meinen waren voll davon. Außerdem enthielten sie alle Einzelheiten der Intrige mit England sowie der Krankheit, die sie im vergangenen Winter vortäuschte, um Zeit zu gewinnen, kurz, die wichtigsten Geheimnisse. Bei meinen Briefen kam noch ein anderer Umstand hinzu. Der größeren Sicherheit wegen schrieb ich nur gleichgültige Dinge mit Tinte und bediente mich für die anderen des Zitronensaftes; indem man das Papier über das Feuer hielt, wurden die Schriftzüge sichtbar und leserlich. Das Thema dieser geheimnisvollen Schrift war gewöhnlich die Ramen. Ich gab ihr alle erdenklichen Namen und beklagte mich bitter über den Einfluß, den sie auf die Königin hatte; wir vereinbarten uns auch auf diesem Wege, was wir ihr sagen und was wir ihr verschweigen wollten. In meiner Aufregung hatte ich nicht bedacht, welche Wirkung die Lektüre dieser Briefe wohl auf die Königin haben könnte, erst als ich die Brieftasche öffnete, fiel es mir ein. Ein glücklicher Zufall rettete mich aus der Verlegenheit und Angst. Der Hausgeistliche Reinbeck ließ sich melden. Die Königin konnte nicht umhin, ihn zu empfangen, da sie tags zuvor nach ihm geschickt hatte. Sie war so verwirrt über alle Vorfälle dieser Tage, daß sie mir im Hinausgehen sagte:

»Verbrennen Sie um Gottes willen alle diese Briefe, daß ich keinen einzigen mehr sehe.« Ich ließ es mir nicht zweimal sagen und warf sie alle sofort ins Feuer. Es waren deren mindestens fünfzehnhundert von der Königin und mir. Kaum hatte ich meinen schönen Auftrag ausgeführt, als sie wieder eintrat. Jetzt hielten wir Durchsicht über die übrigen Papiere. Es waren Briefe von tausenderlei Leuten darunter, Billetdoux, moralische und geschichtliche Betrachtungen, die von meinem Bruder stammten; eine Börse mit tausend Pistolen, mehrere Edelsteine und Schmucksachen, und endlich ein Brief meines Bruders an Katte folgenden Inhalts, vom Mai datiert:

»Ich gehe fort, mein lieber Katte. Ich habe so sorgliche Vorkehrungen getroffen, daß ich nichts zu befürchten habe. Ich fahre über Leipzig, wo ich mich unter dem Namen eines Marquis d'Ambreville aufhalten werde. Keith ist schon benachrichtigt und begibt sich unmittelbar nach England. Verlieren Sie keine Zeit, denn ich rechne auf Sie in Leipzig. Adieu! Seien Sie guten Mutes.«

Wir warfen alle diese Papiere ins Feuer, die kleinen Arbeiten meines Bruders ausgenommen, die ich aufbewahrte. Dann machte ich mich gleich an das Schreiben der Briefe, welche die andern ersetzen sollten. Die Königin fing ebenso am folgenden Tage damit an. Wir waren vorsichtig genug, Papier von verschiedenen Jahrgängen zu nehmen, um nicht entdeckt zu werden. Drei Tage lang verbrachten wir mit dieser Beschäftigung und stellten an sechs- bis siebenhundert Briefe her. Es war wenig im Vergleich zu den verbrannten. Dies ersahen wir, als wir die Brieftasche wieder schließen wollten; sie war so leer, daß uns dies allein verraten konnte. Ich schlug vor, weiter zu schreiben, um sie besser zu füllen, aber die Angst der Königin war so groß, daß sie lieber allerlei Plunder hineinschob, als mit der Schließung länger zu warten. Ich widersetzte mich nach Kräften, jedoch vergebens. Endlich brachten wir die Tasche an Ort und Stelle zurück, ohne daß man die geringste Veränderung daran wahrnahm.

Der König kehrte indessen am 27. August um fünf Uhr nachmittags zurück. Seine Dienerschaft war vorausgeschickt worden. Die Königin ließ sie rufen, um Nachricht über meinen Bruder zu erfahren. Sie beteuerten, daß sie nichts von seinem Schicksal wüßten, er sei in Wesel zurückgeblieben, und was aus ihm geworden sei, hätten sie nicht erfahren. Aber es ist, glaube ich, an der Zeit, daß ich die Umstände seiner Flucht berichte, wie ich sie aus seinem eignen Munde und von Augenzeugen vernommen habe.

Zuerst wollte er sich schon in Ansbach davonmachen. Der Fehler, den er beging, als er dem Markgrafen seine Unzufriedenheit anvertraute, bereitete ihm das erste Hindernis. Dieser Fürst bemerkte seine tiefe Erbitterung gegen den König, vermutete etwas von seinen Plänen und störte sie, indem er die Pferde verweigerte, die der Kronprinz unter dem Vorwand eines Spazierrittes begehrte. Der König kannte ihm gegenüber keine Schranken mehr und hatte ihn öffentlich vor mehreren Fremden mißhandelt; er hatte ihm sogar wiederholt, was ich ihn selbst oft sagen hörte: »Hätte mein Vater mich behandelt, wie ich Sie behandle, ich wäre mehr als einmal geflohen, aber Sie sind nur ein feiger Patron.« Da aber mein Bruder in Ansbach nicht zu seinem Ziel gelangte, mußte er auf eine andere Gelegenheit warten, die sich ihm unterwegs leicht bieten konnte. Als er sich einige Meilen von Ansbach entfernt hatte, erhielt er die Stafette Kattes. Er erwiderte sogleich und meldete ihm, daß er in zwei Tagen zu entfliehen beabsichtige und im Haag mit ihm zusammentreffen wolle; durchkommen würde er gewiß, denn selbst wenn er verfolgt würde, fände er Zuflucht in den zahlreichen Klöstern, die an seinem Wege lägen. In seiner Aufregung vergaß er, den Brief nach Berlin zu adressieren. Doch gab es unglücklicherweise für ihn einen gleichnamigen Vetter Kattes, der zehn bis zwölf Meilen davon zu einer Rekrutenaushebung befehligt war. Die Stafette gelangte an ihn und überreichte ihm den Brief meines Bruders.

Mittlerweile war der König in die Nähe von Frankfurt gekommen und übernachtete mit seinem ganzen Gefolge in den Scheunen eines Dorfes. Mein Bruder, Oberst von Rochow und sein Kammerdiener teilten sich in eine derselben.

Ich erwähnte schon, daß Keith als Leutnant im Regiment Mosel stand. Der König hatte statt seiner dessen Bruder zum Pagen ernannt. Dieser war ebenso dumm, wie sein Bruder gerieben war. Der Kronprinz hatte ihn richtig eingeschätzt und ihm nichts von seinen Plänen anvertraut, er meinte jedoch, daß er eben seiner Dummheit halber seine Flucht mehr als ein anderer fördern könnte. Er machte ihm weis, daß er erfahren habe, es gäbe sehr hübsche Mädchen in einem benachbarten Marktflecken, er wolle dort auf Abenteuer ausgehen, er befahl ihm daher, ihn um vier Uhr morgens zu wecken und ihm Pferde zu verschaffen, was sehr leicht war, da gerade Pferdemarkt abgehalten wurde. Der Page gehorchte; doch statt meinen Bruder zu wecken, wandte er sich an dessen Kammerdiener. Dieser war seit langem ein Spion des Königs und schöpfte Verdacht; und um der Sache auf den Grund zu kommen, blieb er ganz still und stellte sich schlafend. Mein Bruder, der am Vorabend eines so gewagten Unternehmens nicht ohne Aufregung war, erwachte einen Augenblick später. Er steht auf, kleidet sich an, wählt statt seiner Uniform seine französische Tracht und verläßt die Scheune. Sein Kammerdiener, der alles beobachtet hatte, benachrichtigt schnell den Obersten von Rochow. Dieser eilt in großer Verwirrung zu den Generalen im Gefolge des Königs. Es waren: Bodenbrok, Waldow und Derschow (dieser der österreichischen Clique angehörig und ein würdiger Freund derer, die ihn beschützten). Nachdem sie sich zusammen beraten hatten, setzten sie dem Kronprinzen nach und suchten ihn im ganzen Dorf. Sie trafen ihn endlich auf dem Pferdemarkt, an einen Wagen angelehnt. Daß er französische Tracht trug, befremdete sie, und sie fragten ihn sehr ehrfurchtsvoll, was er hier tue? Der Kronprinz gab ihnen eine sehr barsche Antwort. Er sagte mir später, er sei in einer solchen Wut gewesen, sich entdeckt zu sehen, daß, wenn er Waffen gehabt hätte, er alles wider die Herren gewagt haben würde. »Um Gottes willen,« bat ihn Rochow, »kleiden Sie sich um, mein Prinz; der König ist wach und zieht in einer halben Stunde ab, was würde er sagen, wenn er Sie sähe?« »Ich verspreche Ihnen,« sagte der Kronprinz, »daß ich vor seiner Abreise zurück sein werde, ich will vorher nur einen kleinen Spaziergang machen.« So disputierten sie noch zusammen, als Keith mit den Pferden kam. Mein Bruder griff nach den Zügeln des einen und wollte sich hinaufschwingen. Die Herren hielten ihn davon ab, umringten ihn und zwangen ihn, zur Scheune zurückzukehren und seine Uniform anzulegen. Trotz seiner inneren Wut mußte er sich doch beherrschen. Sein Kammerdiener und General Derschow teilten dem König noch am selben Tage den Vorgang mit. Der König verbarg seinen Ärger, da ihm die genügenden Beweise wider meinen Bruder fehlten und weil er sich wohl dachte, daß er es bei diesem einen Versuch nicht bewenden lassen würde.

Am Abend kamen alle in Frankfurt an. Der König erhielt am folgenden Morgen eine Stafette vom Vetter Kattes mit den Briefen, die mein Bruder an den andern gerichtet hatte. Er teilte sie alsbald dem General Waldow und dem Oberst Rochow mit und befahl ihnen, auf seinen Sohn strengstens achtzugeben; sie hätten mit ihren Köpfen für ihn zu bürgen und ihn geradewegs auf eine Jacht zu bringen, die man für ihn bereithielt, da er den Weg von Frankfurt nach Wesel zu Schiff zurücklegen wollte. Diese Befehle wurden unverzüglich ausgeführt; dieser Auftritt trug sich am 11. August zu.

Der König blieb den ganzen Tag in Frankfurt und schiffte sich erst am folgenden Morgen ein. Sobald er meinen Bruder erblickte, stürzte er auf ihn los und hätte ihn erdrosselt, wäre General Waldow nicht herzugeeilt. Er riß ihn an den Haaren und richtete ihn so zu, daß die Herren aus Furcht vor den Folgen den König baten, daß der Kronprinz nach einem andern Schiff geführt werden dürfe, was endlich gestattet wurde. Man nahm ihm seinen Degen und behandelte ihn von da ab als Staatsverbrecher. Der König nahm seine Habe und Effekten in Beschlag; der Kammerdiener meines Bruders bemächtigte sich der Papiere. Er machte seine Schuld wieder gut, indem er sie in Gegenwart seines Herrn ins Feuer warf, wodurch er uns allen einen großen Dienst erwies. Der König war jedoch von einem solchen Zorn erfüllt, daß er über schlimmen Entschlüssen brütete. Mein Bruder hingegen zeigte sich ziemlich gefaßt, da er noch immer hoffte, der Wachsamkeit seiner Umgebung entrinnen zu können.

In solcher Verfassung erreichte man Geldern. Der König zog hier voraus, und mein Bruder folgte ihm mit seinen Wächtern. Sie willfahrten endlich seiner Bitte, erst zur Nachtzelt in Wesel anzukommen. Vor der Landungsbrücke, die hart vor der Stadt liegt, beschwor der Kronprinz die beiden Herren, ihn zu Fuß gehen zu lassen, damit er nicht erkannt würde. Sie ließen es zu, da sie nicht dachten, daß es irgendwelche Folgen haben könne. Kaum war er dem Tragsessel entstiegen, als er aus Leibeskräften zu laufen anfing. Eine starke vom Oberstleutnant Borck befehligte Wache ereilte ihn und führte ihn nach einem Hause in der Stadt, in nächster Nähe desjenigen, das der König bewohnte, dem man diesen letzten Fluchtversuch sorgfältig verheimlichte.

Der König verhörte ihn tags darauf in eigener Person. Es war nur der General Mosel zugegen, ein Offizier ohne Herkommen, der durch seine Tapferkeit und sein Verdienst diesen Grad erreicht hatte. Der König richtete im zornigen Ton die Frage an meinen Bruder, warum er desertiert sei. (Dies waren seine Worte.) »Weil Sie mich nicht wie Ihren Sohn behandelt haben,« erwiderte er im festen Ton, »sondern wie einen niedrigen Sklaven.« »Sie sind ja nur ein feiger und ehrloser Deserteur«, versetzte der König. »Ich habe so viel Ehre wie Sie,« entgegnete mein Bruder, »ich tue nur, was Sie eingestandenermaßen an meiner Stelle längst getan hätten.« Über diese letzte Antwort geriet der König außer sich vor Zorn, zog seinen Degen und wollte ihn durchbohren. General Mosel merkte seine Absicht,» er warf sich zwischen die beiden, um den Streich abzuwehren: »Töten Sie mich, Majestät,« rief er, »aber verschonen Sie Ihren Sohn.« Bei diesen Worten legte sich die Wut des Königs, und er ließ meinen Bruder wieder nach seinem Hause bringen. Der General hielt dem König eindringlich sein Verhalten vor und legte ihm dar, daß er über die Person seines Sohnes stets Herr sein würde; daß er ihn nicht verurteilen dürfe, ohne ihn vernommen zu haben; und endlich, daß er eine unverzeihliche Sünde beginge, falls er der Henker seines Sohnes würde. Er möge ihn doch ja von treuen und sicheren Leuten verhören lassen und ihn nicht mehr sehen, da er sich vor ihm nicht beherrschen könne. Der König sah ein, daß der General recht hatte, und fügte sich. Er blieb nur ein paar Tage in Wesel und machte sich wieder auf den Weg nach Berlin. Vor seiner Abfahrt gesellte er den General Dostow zu den zwei andern Wächtern meines Bruders mit dem Befehl, ihm nach vier Tagen zu folgen. In einem versiegelten Schreiben, das sie erst, nachdem sie sich einige Meilen von Wesel entfernt haben würden, öffnen sollten, bezeichnete er ihnen die Stelle, wo sie ihn hinzuführen hatten.

Mein Bruder war im ganzen Lande ungeheuer beliebt. Die grausame Behandlung, die ihm der König bezeigt hatte, rechtfertigte gewissermaßen sein Unternehmen. Man fürchtete für sein Leben, denn man kannte die Heftigkeit des Königs. Mehrere Offiziere, an deren Spitze der Oberst Gröbnitz stand, entschlossen sich, alles zu wagen, um ihn zu befreien. Sie hatten ihm bereits eine Verkleidung als Bäuerin sowie Stricke verschafft, um sich zum Fenster hinabzulassen, als der General Dostow diese schönen Pläne störte, indem er daselbst Eisengitter anbringen ließ. Dostow war ein Günstling und Gewährsmann des Königs, der sich diese unglücklicherweise stets unter den Bösen erkor; Dostow war ein leibhaftiger Helfershelfer des Satans, der ehrliche Leute ins Unglück stürzte und eine Geißel für die Bedrückten war. Die vier Tage waren verstrichen, und man führte nunmehr vorschriftsmäßig den Kronprinzen nach einem Städtchen namens Mittenwalde ab, sechs Meilen von Berlin.

Was geschah indes mit Keith? Ein Page des Fürsten von Anhalt, der bei der Gefangennahme des Kronprinzen in Frankfurt zugegen war und vierundzwanzig Stunden vor der Ankunft des Königs Wesel erreichte, besuchte Keith, der sein Kamerad gewesen war, und erzählte ihm ganz unbefangen die Katastrophe meines Bruders. Dieser ergriff am selben Abend unter dem Vorwand, einen Deserteur zu verfolgen, die Flucht und fand im Haag bei dem englischen Gesandten Lord Chesterfield Aufnahme. Der Oberst Dumoulin wurde beauftragt, ihn einzuholen. Er sputete sich so sehr, daß er eine Viertelstunde nach ihm eintraf und ihn am Fenster des Gesandtschaftspalais erblickte. Keith verließ sich jedoch nicht auf die schönen Zusicherungen Dumoulins, und so erlebte dieser den Verdruß, ihn am nächsten Tage in der Kutsche des Lord Chesterfield die Stadt durchfahren und sich nach England einschiffen zu sehen. –

Ich kehre zur Unterredung des Königs mit der Königin zurück. Sie war allein, als er bei ihr ankam. Wie er sie von ferne sah, rief er ihr zu: »Ihr nichtswürdiger Sohn ist nicht mehr; er ist tot.« »Was?« rief die Königin, »Sie wären so barbarisch gewesen, ihn zu töten?« »Jawohl!« fuhr der König fort, »aber ich will die Kassette haben.« Die Königin schickte sich an, sie herbeizubringen, und ich benutzte den Augenblick, sie zu sehen; sie war wie von Sinnen und rief nur immer: »O Gott, mein Sohn, o Gott, mein Sohn!« Mir verging der Atem, ich fiel bewußtlos in die Arme des Fräuleins von Sonsfeld. Sobald der König die Kassette erhalten hatte, zertrümmerte er sie, nahm die Briefe heraus und trug sie fort. Die Königin nahm den Augenblick wahr, zu uns zurückzukehren. Ich hatte mein Bewußtsein wiedererlangt. Sie erzählte uns, was sich eben zugetragen hatte, und ermahnte mich zur Selbstbeherrschung. Die Ramen richtete unsere Hoffnungen ein wenig auf, indem sie der Königin versicherte, mein Bruder sei am Leben, sie wisse es aus guter Quelle. Inzwischen war der König wieder erschienen. Wir eilten alle herzu, ihm die Hand zu küssen; aber kaum hatte er mich erblickt, als Zorn und Wut sich seiner bemächtigten. Er wurde ganz schwarz im Gesicht, seine Augen funkelten, und der Schaum trat ihm aus dem Munde hervor. »Infame Canaille!« rief er. »Sie wagt es, vor mir zu erscheinen? Fort mit ihr. Sie mag ihrem Schurken von Bruder Gesellschaft leisten.« Mit diesen Worten packte er mich bei der Hand und versetzte mir einige Faustschläge ins Gesicht, von denen mich einer so heftig an der Schläfe traf, daß ich umfiel und mit dem Kopfe gegen die Kante der Täfelung aufgeschlagen wäre, wenn Fräulein von Sonsfeld den Fall nicht aufgehalten und mich bei meiner Coiffüre ergriffen hätte. Ich blieb bewußtlos am Boden liegen. Der König, der sich nicht mehr beherrschte, wollte von neuem auf mich losschlagen und mich mit Füßen treten. Die Königin, meine Brüder und Schwestern, die zugegen waren, hinderten ihn daran. Sie umstanden mich alle, was den Damen von Kamecke und Sonsfeld Zeit ließ, mich aufzuheben. Sie brachten mich zu einem Stuhl in einer naheliegenden Fensternische. Aber da ich in demselben Zustand verblieb, schickten sie eine meiner Schwestern, ein Glas Wasser und Essenzen zu holen, mit deren Hilfe ich allmählich wieder belebt wurde. Sobald ich sprechen konnte, machte ich ihnen ihre Bemühungen zum Vorwurf, da mir der Tod tausendmal lieber wäre als das Leben, wie es jetzt geworden war. Unser Jammer war unbeschreiblich.

Die Königin schrie hell auf, ihre Selbstbeherrschung war dahin; sie rang die Hände und lief wie eine Wahnsinnige im Zimmer herum. Der Zorn hatte die Züge des Königs so sehr entstellt, daß er schrecklich anzusehen war. Meine Geschwister, von denen das jüngste erst vier Jahre zählte, umklammerten seine Knie und suchten ihn durch ihre Tränen zu erweichen. Fräulein von Sonsfeld stützte meinen Kopf, der von den Schlägen wund und verschwollen war. Kann man sich eine jammervollere Szene denken?

Der König hatte zwar einen anderen Ton angeschlagen: er gestand, daß mein Bruder noch am Leben sei –, aber die furchtbaren Drohungen, die er ausstieß, ihn töten und mich zeitlebens zwischen vier Mauern einsperren zu lassen, riefen diese Untröstlichkeit hervor. Er beschuldigte mich, an der Flucht des Kronprinzen, die er als ein Majestätsverbrechen betrachtete, beteiligt zu sein, einen Liebeshandel mit Katte geführt zu haben, von dem ich, wie er sagte, mehrere Kinder hätte. Meine Hofmeisterin, die solche Beschimpfungen nicht mehr mit anhören konnte, fand den Mut, ihm zu sagen: »Es ist nicht wahr, und wer Eurer Majestät solche Dinge hinterbrachte, hat gelogen.» Der König gab ihr keine Antwort und fuhr fort zu schimpfen. Die Angst, meinen Bruder zu verlieren, bewirkte, daß ich mich bezwang und so laut, als meine Schwäche zuließ, ausrief, daß ich den Herzog von Weißenfels heiraten wolle, wenn mir das Leben meines Bruders geschenkt würde. Der Lärm, den der König machte, verhinderte ihn, mich zu vernehmen. Ich war im Begriff, meine Erklärung zu wiederholen, als Fräulein von Sonsfeld es verhinderte, indem sie mir den Mund mit ihrem Taschentuch zuhielt. Wie ich den Kopf wandte, um mich davon zu befreien, sah ich den armen Katte, der, von vier Gendarmen eskortiert, die ihn zum König führten, den Platz überschritt. Bleich und gebrochen, wie er war, zog er noch den Hut, mich zu grüßen. Man trug hinter ihm die Koffer meines Bruders und die seinigen her, die man beschlagnahmt und versiegelt hatte. Gleich darauf wurde dem König seine Anwesenheit gemeldet. »Ich werde jetzt den Schurken von einem Fritz und die infame Wilhelmine überführen können. Die Beweise sollen mir nicht fehlen, um sie köpfen zu lassen.« Frau von Kamecke und die Ramen folgten ihm. Diese hielt ihn beim Arme zurück: »Wenn Sie den Kronprinzen hinrichten lassen wollen, so schonen Sie wenigstens die Königin; sie trägt keine Schuld an all diesen Dingen, und Sie dürfen mir wahrhaftig glauben; gehen Sie sanft mit ihr um, und sie wird alles tun, was Sie wollen.« Frau von Kamecke zog andere Saiten auf: »Sie haben sich bisher für einen gerechten und gottesfürchtigen König gehalten,« sagte sie zu ihm, »und Gott hat Sie dafür mit Segnungen überhäuft: aber wehe Ihnen, wenn Sie seine Gebote übertreten; fürchten Sie die göttliche Vergeltung! Sie hat zwei Herrscher heimgesucht, die, wie Sie es im Sinne tragen, das Blut des eigenen Sohnes vergossen: Philipp II. und Peter der Große sind ohne männliche Erben dahingegangen; ihre Staaten fielen äußern und innern Kriegen zur Beute, und beide Monarchen wurden aus großen Männern Schreckgestalten der Menschheit. Gehen Sie in sich, Majestät; Ihre ersten Zornesregungen sind noch entschuldbar, aber sie werden verbrecherisch, wenn Sie dieselben nicht zu überwinden suchen.«

Der König unterbrach sie nicht. Er blickte sie eine Weile an. Als sie ausgeredet hatte, brach er endlich sein Schweigen. »Sie sind sehr kühn, solche Worte mir gegenüber zu wagen,« sagte er, »doch verarge ich es Ihnen nicht; Ihre Absichten sind gut, und Sie reden offen mit mir, ich achte Sie um so mehr. Gehen Sie, meine Frau zu beruhigen.«

Dies Verhalten ist beiderseits so schön, daß man es nur zu lesen braucht, um es nach Gebühr zu würdigen. Die Mäßigung des Königs inmitten seines Grolles und der Mut der Dame, sich ihm auszusetzen, sind Züge, die ihnen auf immer zur Ehre gereichen. Wir staunten über die Unverfrorenheit der Ramen, die in Gegenwart der Frau von Kamecke von der Königin in solcher Weise zu reden gewagt hatte.

Sobald der König weggegangen war, trug man mich in ein Nebenzimmer, das er nie betrat. Ich konnte mich vor Zittern nicht auf den Füßen halten, und die Aufregung hatte meine Nerven so angegriffen, daß ich zeitlebens an den Folgen zu tragen hatte. Der König hatte Grumbkow, den General-Auditeur Mylius und den General-Fiskal Gerber, den Nachfolger des seit einigen Jahren verstorbenen Katsch, bei sich versammelt. Katte warf sich sogleich dem König zu Füßen. Dieser fühlte bei seinem Anblick von neuem allen Zorn in sich aufsteigen, und er versetzte ihm Stockschläge und Fußtritte und mehrere Ohrfeigen, daß ihm das Blut hervorströmte. Grumbkow beschwor ihn, sich zu mäßigen und zu gestatten, daß man ihn verhöre. Er gestand sofort alles, was er von der Flucht meines Bruders wußte und daß er daran beteiligt sei, beteuerte aber, daß sie niemals das geringste wider den König noch den Staat geplant hätten; sie hätten lediglich dem Groll des Königs entweichen, sich nach England flüchten und sich unter den Schutz dieser Krone stellen wollen. Als er dann nach den Briefen der Königin und den meinen befragt wurde, sagte er aus, er habe sie der Königin auf Befehl des Kronprinzen zustellen lassen. Man fragte ihn, ob ich von ihrem Plan gewußt hätte, was er lebhaft leugnete; ob er mir niemals Briefe meines Bruders übermittelt und ob ich ihm nie die meinigen anvertraut hätte? Er gab zu, daß er mir eines Sonntags einen Brief meines Bruders eingehändigt, als ich aus der Kirche gekommen wäre; er kenne dessen Inhalt nicht, und ich hätte ihm niemals Briefe zu bestellen gegeben. Er gestand, daß er mehrmals heimlich in Potsdam gewesen sei, um den Kronprinzen aufzusuchen, und daß Leutnant Spahn von der königlichen Leibgarde ihn verkleidet in die Stadt eingelassen habe,» Keith wäre als Gefährte ausersehen worden, und sie hätten zusammen korrespondiert.

Nach beendetem Verhör wurden meines Bruders sowie Kattes Sachen durchsucht, in denen sich nichts von Wichtigkeit vorfand. Grumbkow sah die Briefe der Königin und die meinigen durch und ärgerte sich, nicht zu finden, was er suchte. Er wandte sich in seinem Zorn an den König und sagte: »Majestät, diese verwünschten Frauen haben uns düpiert; in diesen Briefen steht nichts, was ihnen zur Last fallen könnte, und die, welche uns Aufklärung verschaffen könnten, sind gewiß vernichtet.« Der König kehrte zur Königin zurück. »Ich wußte es wohl,« sagte er, »Ihre nichtswürdige Tochter steht mit im Komplott. Katte hat gestanden, daß er ihr Briefe ihres Bruders zugestellt hat. Sagen Sie ihr, daß ich ihr ihr Zimmer zum Gefängnis anweise; ich werde befehlen, daß man die Wache verstärkt. Es mag zum Verhör mit ihr kommen, und ich will sie an einen Ort überführen lassen, wo sie ihre Untaten wird bereuen können; sie kann sich zur Abfahrt bereithalten, sobald sie befragt worden ist.« Dies wurde wieder in Zorn und Heftigkeit vorgebracht. Die arme Königin beteuerte ihre Unschuld; sie häufte Schmähungen auf Katte, daß er eine solche Lüge behauptet habe, und befahl der Frau von Kamecke, sich bei mir zu erkundigen, was daran sei. Ich war in großer Verlegenheit. Man wird sich erinnern, daß ich jenen Brief wegen der Schmähungen auf die Ramen, die er enthielt, der Königin nicht vorzuzeigen wagte. Ich glaubte mich verloren, da ich mich wieder im Begriffe sah, mit ihr entzweit zu werden. Doch besann ich mich, daß ja fast ein Jahr seit der Begebenheit verstrichen sei, und so hielt ich der Frau von Kamecke gegenüber unverfroren die Behauptung aufrecht, die Königin habe offenbar vergessen, daß ich ihr den Brief gezeigt hätte, es stünde nichts Geheimes darin, und die Art, wie Katte ihn mir vor aller Augen eingehändigt hätte, rechtfertige mich vollkommen, den Brief hätte ich allerdings verbrannt, doch stünde er noch so lebhaft vor meinem Gedächtnis, daß, wenn der König es wolle, ich Wort für Wort davon aufschreiben könne. Diese Antwort wurde alsbald dem König übermittelt, der sich einen Augenblick später zurückzog, um sich wieder mit den bei ihm Versammelten zu besprechen.

Die Königin suchte mich auf; Fräulein von Sonsfeld hielt so fest zu mir, daß wir die Königin überzeugten, sie sei von dem, was wir dem König melden ließen, unterrichtet gewesen. Die Königin entledigte sich unter einem Strom von Tränen seiner Aufträge an mich, schärfte mir sehr nachdrücklich ein, die Geschichte mit der Kassette verschwiegen zu halten und sie stets zu leugnen. Dann nahmen wir zärtlich voneinander Abschied; sie hielt mich lange umarmt. Ich bat sie flehentlich, sich zu beruhigen, und versicherte ihr, daß ich mich dem Willen Gottes und des Königs vollkommen ergebe und daß mir kein Unglück schwerer fiele als das, von ihr getrennt zu werden. Man trennte sie nur mit Mühe von mir. Ich wurde im Tragsessel nach meinem Zimmer gebracht angesichts einer großen Menschenmenge, die sich vor dem Schlosse versammelt hatte.

Die Gemächer der Königin lagen zu ebener Erde, und da die Fenster offen geblieben waren, hatten die Außenstehenden den ganzen Auftritt deutlich mit ansehen und anhören können. Da stets übertrieben wird, ging das Gerücht, ich sei tot so wie mein Bruder, was einen furchtbaren Lärm in der Stadt und allgemeinste Trauer hervorrief. Sobald ich in mein Zimmer zurückgekehrt war, verstärkte man die Wache vor allen meinen Türen, und der Offizier machte sieben- bis achtmal des Tages die Runde. Fräulein von Sonsfeld und die Mermann waren meine beiden treuen Gefährtinnen. Ich verbrachte eine schreckliche Nacht; es schwebten mir die trübsten Gedanken vor. Zwar flößte mir mein eignes Los keinerlei Befürchtungen ein – seit frühesten Zeiten war ich an Kummer und Verdrießlichkeiten gewöhnt, und ich erachtete den Tod als eine Erlösung; aber das Schicksal so vieler Personen, die mir teuer waren, lag mir so sehr am Herzen, daß ich tausend Todesqualen erlitt, wenn ich mir ihre verschiedenen Lagen veranschaulichte. Ich war außerstande, am nächsten Tage das Bett zu verlassen, da ich mich nicht auf den Füßen halten konnte und infolge der Schläge an schrecklichen Kopfschmerzen litt.

Die Ramen sprach bei mir vor, hatte sich eine traurige Miene zurechtgemacht und überbrachte mir mit den Grüßen der Königin die Weisung, daß ich am gleichen Tage von denselben Personen vernommen würde, die Katte verhört hatten. Sie forderte mich auf, auf alles, was ich sagen würde, wohl zu achten und besonders das Wort zu halten, das ich ihr gegeben hatte. Diese Meldung konnte alles verderben, da sie der Ramen deutlich genug zu erkennen gab, daß hier einige Umstände vorlagen, die von Wichtigkeit waren. Doch faßte ich mich schnell. »Entbieten Sie der Königin meinen ehrfurchtsvollen Gruß,« sagte ich, »und melden Sie ihr, daß es die beste Nachricht ist, die ich vernehmen kann; ich würde auf alle Fragen offen Antwort geben und meine Unschuld so deutlich an den Tag legen, daß man mir nichts anzuhaben vermöchte.« »Die Königin steht jedoch tausend Ängste wegen dieses Verhöres aus, denn sie fürchtet, daß Eure Königliche Hoheit dabei nicht festbleiben könnten.« »Es bedarf keines Festbleibens,« erwiderte ich, »wenn man sich nichts vorzuwerfen hat.« »Der König hat schreckliche Dinge vor; die Abreise Eurer Königlichen Hoheit ist beschlossen,« fuhr sie fort; »er will Sie nach dem Kloster, genannt zum Heiligen Grabe, schicken, wo Sie als Staatsgefangene behandelt, von Ihrer Oberhofmeisterin und Ihrer Dienerschaft getrennt und einem so strengen Leben unterworfen werden sollen, daß ich voll des Mitleids bin.« »Der König ist mein Vater und Herr,« versetzte ich, »er kann über mich verfügen, wie es ihm gefällt. Ich setze mein ganzes Vertrauen in Gott, der mich nicht verlassen wird.« »Sie stellen sich so mutig,« sagte sie, »weil Sie dies alles nur für leere Drohungen halten. Allein ich habe Ihren Verbannungsbefehl mit eignen Augen gesehen; und um Sie von der Wahrheit meiner Aussagen zu überzeugen, will ich Ihnen sagen, daß die arme Bülow vom Hofe verjagt und mit ihrer ganzen Familie des Landes verwiesen worden ist; Leutnant Spahn ist kassiert und nach Spandau geschickt; eine Geliebte des Kronprinzen soll ausgepeitscht und verbannt werden; Duhan, der Hofmeister Ihres Bruders, wurde nach Memel geschickt; Jacques, der Bibliothekar des Kronprinzen, erfuhr dasselbe Los; und Fräulein von Sonsfeld erginge es schlimmer als allen andern, wäre sie nicht diesen Sommer bei der Königin in Ungnade gefallen.« – Zu bemerken ist, daß die Königin sich nur deshalb gegen sie erzürnt hatte, weil sie damals behauptete, man habe unrecht gehandelt, Grumbkow vor meiner Verheiratung zu Falle zu bringen; man hätte zuerst trachten sollen, diese zu vollziehen und dann erst den Minister zu entfernen.

Ich weiß nicht, wie ich die Rede der unverschämten Ramen aushielt. Dennoch rettete mich meine Selbstbeherrschung; ich ließ die Megäre glauben, ich sei entweder unschuldig oder würde mich nicht einschüchtern lassen. Sie befreite mich endlich von ihrer greulichen Gegenwart.

Sobald sie draußen war, ließ ich die Maske fallen. Das Unglück so vieler ehrlicher Menschen schnitt mir ins Herz. Fräulein von Sonsfeld gegenüber legte ich meinen Gefühlen keinen Zwang auf, und die Trennung von ihr, die man mir angedroht hatte, machte das Maß meines Kummers voll. Ich begreife nicht, wie ich so vielen grausamen Leiden zu widerstehen vermocht habe. Der Tag verging unter Trauern und Weinen. Ich harrte derer, die mich vernehmen sollten. Doch vergebens, denn niemand meldete sich.

Am nächsten Tage kam die dienstbeflissene Ramen von neuem zu mir. Sie forderte mich im Auftrage der Königin wiederholt zur Standhaftigkeit auf und richtete mir aus, daß mein Verhör nicht stattgefunden habe, weil der König den Kronprinzen kommen lassen wolle, um ihn Katte und mir gegenüberzustellen; er würde zur Nachtzeit, um allem Aufruhr vorzubeugen, durch die Stadt geführt werden, und ich sollte mich bereithalten, am folgenden Tage auf die Beschuldigungen, die man gegen mich und ihn erheben würde, zu antworten. Ich behielt meine Fassung. »Legen Sie mich der Königin zu Füßen,« erwiderte ich, »und sagen Sie ihr, daß ich nichts verheimlichen werde, was ich weiß; daß ich sie flehentlich bitte, sich zu beruhigen, da ich mich in keiner Weise für schuldig halten könne.«

Meine Antworten betrübten indes die Königin. Sie glaubte, der Kummer und die Angst hätten mich verwirrt und ich würde bei der ersten Frage alle Geheimnisse enthüllen, die ich wüßte. Um Gewißheit zu erlangen, schickte sie mir nachmittags ihren treuen Kammerdiener Bock. Ich war hocherfreut, als ich ihn sah, und beklagte mich bitter bei ihm über die Königin, die mich durch die Aufträge der Ramen den größten Gefahren aussetzte. Ich bat ihn, die Königin meiner Verschwiegenheit zu versichern und sie auch zu bitten, nicht mehr so oft zu mir zu schicken, da es Verdacht erregen könne, und besonders niemandem zu sagen, was sie mir wissen lassen wolle, außer ihm allein, der die Geschichte mit der Kassette wüßte, über die ich mich der Ramen gegenüber nicht aussprechen könnte. Ich mußte es so wenden, um die Königin nicht zu beleidigen, die sehr gereizt gewesen wäre, hätte sie meinen Argwohn betreffs ihrer Favoritin gemerkt.

Ich brachte den ganzen Tag am Fenster zu in der Hoffnung, meinen Bruder zu erblicken. Sein Anblick war mir so teuer, daß ich nur deshalb den Wunsch einer Gegenüberstellung in mir hegte. Allein es sollte nicht dazu kommen: der König änderte seinen Entschluß und ließ ihm am 5. September nach Küstrin abführen, einer Festung, die an der Warthe in der Neumark gelegen ist.

Der Kronprinz war zuerst nach Mittenwalde in der Nähe von Berlin geführt worden, woselbst Grumbkow, Derschow, Mylius und Gerber ihn zum erstenmal vernahmen. Letzter jagte ihm großen Schrecken ein: da er ihn im roten Mantel aus dem Wagen steigen sah, hielt er ihn für den Henker, der ihn foltern solle. Eine elende Kiste diente ihm als Sitz, und er hatte die ganze Zeit über kein anderes Bett gehabt als den nackten Fußboden. Er bestand mutig sein Verhör, seine Antworten unterschieden sich nicht von denen Kattes. Man zeigte ihm die Brieftasche und fragte ihn, ob sie noch alle Briefe und Gegenstände enthielte. Mein Bruder hatte die Geistesgegenwart, zu erwidern, er sähe alle Briefe, nur bemerke er einige Schmucksachen, die er nicht kenne.

Diese Antwort öffnete dem Grumbkow die Augen und enthüllte ihm unsern Betrug. Es war nichts mehr zu machen; er sah ein, daß weder Drohungen noch Mißhandlungen uns jemals veranlassen würden, den wirklichen Inhalt der Brieftasche einzugestehen. Er drang noch mit einigen andern Fragen in meinen Bruder, erhielt aber nur stolze und sehr harte Antworten, so daß er die Geduld verlor und ihm mit der Folter drohte. Mein Bruder erzählte mir später, sein Blut sei ihm bei dieser Ankündigung erstarrt. Er wußte jedoch seine Angst zu verbergen und entgegnete, ein Henker wie Grumbkow könne ja nur mit Wohlgefallen von seinem Amte reden; er fürchte jedoch die Folgen nicht; er habe alles gestanden, obzwar er es bereue – »da es sich für mich nicht schickt,« sprach er, »mich so tief herabzulassen, einem Schurken wie Ihnen Rede zu stehen.«

Am nächsten Tage wurde er nach Küstrin gebracht, ohne Dienerschaft und seine Habe gelassen, so daß er nur behielt, was er am Körper trug. Als einzige Beschäftigung gab man ihm eine Bibel und ein paar Andachtsbücher, und sein Unterhalt wurde auf drei Groschen täglich festgesetzt. Das Zimmer, das ihm zum Gefängnis diente, war nur durch eine kleine Luke erhellt; er blieb den ganzen Abend im Finstern, und man brachte ihm nur zur Abendmahlzeit, die auf sieben Uhr festgesetzt war, Licht. Welch schreckliche Lage für einen jungen Prinzen, auf dem alle Hoffnung und Liebe eines ganzen Landes ruhten! Er wurde nach einigen Tagen nochmals vernommen. Zu bemerken ist, daß er während des ganzen Verhörs Oberst Fritz und ich Fräulein Wilhelmine benannt wurde. Grumbkow war zu gescheit, um nicht einzusehen, daß die vermeintliche Missetat meines Bruders im Grunde nichts wie jugendlicher Leichtsinn war, die man nicht verdammen konnte, wenn man bedachte, in welcher Lage er sich befunden hatte. Er brachte also den König dazu, daß er den Prozeß von einer andern Seite anfinge und meinen Bruder als Deserteur vor das Kriegsgericht stelle.

Mein Bruder war so empört über die unwürdige Behandlung, der man ihn unterwarf, daß die Kommissare nichts als Schimpfworte und Schmähungen aus ihm herausbekamen. Über ihre fruchtlosen Bemühungen erbittert, wandten sie ihren Zorn gegen Katte, den sie foltern lassen wollten. Sein Großonkel, der Marschall von Wartensleben, der mit Seckendorf sehr befreundet war, setzte mit seinen inständigen Bitten bei diesem Gesandten durch, daß ihm dies erspart blieb.

Mein Los war indessen stets das gleiche. Jeden Abend nahm ich von Fräulein von Sonsfeld und der Mermann zärtlichen Abschied, da ich nicht wußte, ob ich sie wiedersehen würde. Ich ließ der Königin meinen Schmuck, und was ich an Kostbarkeiten besaß, heimlich zustellen und schickte nächtlicherweile die Briefe meines Bruders, die ich mich nicht entschließen konnte zu verbrennen, an Fräulein von Jocour, die Gouvernante meiner jüngeren Schwestern. Meine Vorkehrungen waren somit getroffen, und ich harrte gefaßt meines Schicksals.

Der König reiste endlich ab. Am selben Abend suchte mich die Königin auf. Unser Wiedersehen war überaus zärtlich; sie sagte mir, daß sie nicht glaube, daß ich vernommen werden würde, der König habe sich in den letzten Tagen nicht mehr darüber geäußert. Sie erzählte mir auch, daß man die Rettung Keiths dem Fürsten von Anhalt verdanke; er habe ihn durch seinen Pagen von der Gefangennahme meines Bruders in Kenntnis gesetzt. Dieser Fürst hatte sich seit seinem Zerwürfnis mit Grumbkow gänzlich zu seinem Vorteil verändert; er intrigierte nicht mehr, sondern suchte allen Menschen nur Gutes zu erweisen. Ich hatte das Glück gehabt, ihn mit der Königin und dem Kronprinzen zu versöhnen, denen er ganz ergeben war. Da der König nicht persönliche Rache an Keith nehmen konnte, ließ er ihn in effigie hängen und degradierte seinen Bruder zum Sergeanten, zur Strafe dafür, daß er dem Kronprinzen die Pferde zugeführt hatte. Die Königin teilte mir noch eine, wie man bald sehen wird, sehr gewichtige Neuigkeit mit. Sie betraf die Verlobung meiner vierten Schwester mit dem Erbprinzen von Bayreuth, die der König tags zuvor verkündet hatte. »Gottlob!« sagte sie, »von dieser Seite habe ich nichts mehr für Sie zu befürchten; für Sophie ist es eine gute Partie, die aber für Sie nicht geeignet wäre.« Ein paar Tage später meldete sie mir mit zufriedener Miene, dieser Prinz sei in Paris an einem hitzigen Fieber gestorben. »Es tut mir sehr leid,« sagte ich; »es ist schade, man sagte ihm viel Gutes nach, und meine Schwester wäre sehr glücklich mit ihm geworden.« »Aber mich freut es,« fuhr sie fort; »ich befürchtete immer irgendeinen Hinterhalt, und es ist eine Sorge weniger.« (Die Nachricht war falsch; er befand sich tatsächlich sehr schlecht, doch kam er glücklich davon.) Die Königin fuhr am 13. September nach Wusterhausen. Wir schieden nicht ohne Tränen und vereinbarten, daß wir unsere Briefe durch den Kammerdiener Bock gehen lassen würden, dessen Frau sie in Berlin in Empfang nehmen sollte.

Ich gewöhnte mich ziemlich leicht an mein Gefängnis. Bisher war meine Zeit sehr friedlich verlaufen. Ich sah ab und zu meine Schwestern und die Damen der Königin; ich las, schrieb, komponierte Musikstücke und verfertigte kleine Arbeiten, um mich zu beschäftigen. Aber dies alles konnte mich nur auf Augenblicke zerstreuen; das Schicksal meines Bruders schwebte mir immerwährend vor Augen, und ich verfiel in tiefe Melancholie. Auch meine Gesundheit war sehr schlecht; es war mir eine solche Nervenschwäche geblieben, daß ich kaum gehen konnte, und ich zitterte so sehr, daß ich die Arme nicht zu heben vermochte.

Eines Nachmittags, als ich in meine Gedanken versunken dasaß, trat die Mermann bei mir ein; sie war leichenblaß und schien von einem heftigen Schrecken ergriffen. »Mein Gott,« rief ich, »was ist Ihnen? Ist mein Urteil gesprochen worden?« »Nein, aber das meine wird vielleicht bald über mich verhängt sein. Ich weiß mir keinen Rat. Ein Gendarmeriesergeant kam heute morgen zu meinem Mann, um ihm ein Paket von Katte zu überbringen, das, wie er sagte, von großer Wichtigkeit für Eure Königliche Hoheit sei. Mein Mann, der schon verdächtigt wird, weil er zu den Anhängern des Kronprinzen gehört, wollte die Sendung nicht annehmen und hat den Mann gebeten, abends wiederzukommen. An Eurer Königlichen Hoheit ist es, zu entscheiden, was geschehen soll; Sie kennen meine Anhänglichkeit, und ich bin entschlossen, sie Ihnen bis aufs Äußerste zu beweisen.« Ich war dieser Frau sehr zugetan, und sie hatte unleugbar große Verdienste. Die Gefahr, in die sie sich brachte, machte mich auf eine Weile unschlüssig. Fräulein von Sonsfeld, die zugegen war, fragte sie, ob sie nicht wisse, was in dem Paket enthalten sei? »Der Sergeant hat meinem Mann gesagt, es sei ein Porträt.« »O Himmel,« rief Fräulein von Sonsfeld, »es ist das Porträt Eurer Königlichen Hoheit, das ich dem Kronprinzen gab und das er Katte anvertraute, wie er mir selbst gesagt hat. Sie sind verloren, wenn es in die Hände des Königs fällt. Er beschuldigt Sie bereits, ihn zum Liebhaber zu haben; findet er nun gar das Porträt, so wird er ohne jegliches Verhör auf die grausamste Weise gegen Sie vorgehen. Wir müssen es unbedingt zurückhaben,« sagte sie zur Mermann; »indem Sie es annehmen, wagen Sie nicht mehr, als indem Sie es zurückweisen. Sie müssen also lieber das erste wählen, da Sie dann nur den Vertrauensbruch des Sergeanten zu befürchten haben, andernfalls aber Ihr Unglück unabwendbar ist; denn wenn die Prinzessin verloren ist, so sind wir es alle mit ihr, und ihre Unschuld sowie die unsere wird uns nicht das geringste nützen.« Die Mermann zögerte nicht länger und brachte mir das Porträt am selben Abend. Die Sache kam nicht an den Tag. Der Sergeant war zum Glück ein redlicher Mensch.

Die arme Frau wurde ein paar Tage darauf wieder von ebenso großen Befürchtungen gequält. Ein Unbekannter brachte ihr einen Brief. Groß war ihr Staunen, als sie sah, daß er einen zweiten an mich von der Hand meines Bruders enthielt. Sie brachte ihn mir sogleich. Er war mit Bleistift geschrieben. Ich habe ihn bis auf den heutigen Tag aufbewahrt; sein wörtlicher Inhalt ist folgender:


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