Ernst von Wolzogen
Der Thronfolger – Zweiter Band
Ernst von Wolzogen

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Fünfzehntes Kapitel.

Des alten Jägers letzter Schuß. Abrechnung zwischen zwei Zeitaltern.

Die Sonne neigte sich zum Untergang. Durch den hochstämmigen Buchenwald hindurch leuchtete die purpurne Glut und troff wie Blut hernieder an den glatten grauen Leibern der gewaltigen Baumriesen. Kospoths Auge wurde geblendet von dem Flimmern und Flackern durch das bewegte Laub, von dem raschen Wechsel des graugrünen Dämmerlichts mit dem feurigen Widerscheine der Himmelsbrunst, als er, alle Sinne und Nerven gespannt, den nächsten besten Waldweg, der die Richtung auf Niklasrode einschlug, entlang lief und dabei fortwährend rechts und links ausspähte, jeden Kreuzweg, jede Schneise mit raschem, durchdringendem Blick bis ans Ende verfolgend. Grüne Kreise schwammen vor seinen Augen, wenn er sie von dem blutroten Westen fort einer andern Richtung zuwandte. – Dann mußte er still stehen und die Hände auf die Lider drücken, um den blendenden Farbenspuk los zu werden. Und jedesmal fürchtete er, daß gerade während eines solchen Aufenthaltes der Prinz irgendwo vorübergegangen sein oder gar ihn bemerkt haben und ihm entschlüpft sein könnte. Seine Pulse hämmerten vor Aufregung. Jeder Schlag seines Herzens klang ihm in den Ohren wider – wie ein Stoßgebet um Erfüllung seines brennenden Wunsches! Wenn es ihm gelang, Georg Friedrich zu sprechen, ehe er mit Melanie zusammenkam, dann durfte er doch noch hoffen, das Entsetzliche abzuwenden!

Aber nirgends wollte sich die hohe, schlanke Gestalt des Prinzen erblicken lassen. Kein Mensch begegnete ihm auf seinem einsamen Wege, den er hätte um Auskunft fragen können. Und als er endlich nach fast halbstündigem Laufen erhitzt und atemlos den Waldrand erreichte, da mußte er zu seinem Schrecken bemerken, daß er in der Aufregung die Richtung verfehlt hatte. Die Krähenhütte, die er auf gut Glück zum Ziel gewählt hatte, mußte erheblich weiter südwärts liegen. Er ging also am Waldrande entlang ohne Weg und traute sich nicht einmal auf das freie Feld hinaus, um nicht etwa zu früh bemerkt zu werden. Ueber trockene Zweige und altes Laub stürzte und stolperte er vorwärts. Da endlich, nach abermals zehn Minuten anstrengenden Marsches, als er sich eben durch ein dichtes Haselgebüsch hindurch gearbeitet hatte, sah er die Krähenhütte vor sich liegen. Er schaute nach allen Seiten um – keine menschliche Seele weit und breit! Er ging um das Häuschen herum – er drückte auf die Thürklinke – die Thür war verschlossen. Nichts – umsonst – verfehlt!

Er stieß einen tiefen Seufzer aus und schwankte wieder nach der Vorderseite, um sich auf der Rasenbank dort niederzulassen, völlig erschöpft, wie er war. Er nahm den Hut ab, trocknete sich die Schweißperlen von der Stirn und bemühte sich, seiner fiebernden Erregung Herr zu werden, ruhig nachzudenken. Aus dem nahen Dörfchen, da unten am Fuße des Hügels, klangen so friedlich die Abendglocken herauf, im Grase zirpten die Grillen, und eine müde Lerche senkte sich nahe vor ihm flatternd und zwitschernd zu ihrem Neste hinab. So friedfertig schickten Wald und Au sich an, zur Ruhe zu gehen – und dort das arme, gequälte Menschenherz, das auch wohl um diese stille Abendstunde sich verzweifelt an die leere, knöcherne Brust des Todes werfen wollte. Ach, vielleicht während er hier rastete und den Grillen lauschte, war das Schreckliche schon geschehen, das zu verhindern er davongestürzt war! Melanie, die zum Aeußersten Entschlossene, zurückzuhalten, sollte den beiden alten Herren geglückt sein, nachdem all sein liebendes Bemühen erfolglos gewesen? Vielleicht war sie jetzt schon an einer ganz andern Stelle des Forstes mit dem Geliebten zusammengetroffen und tauschte die letzten Küsse und Liebesschwüre mit ihm oder überredete ihn gar, mit ihr gemeinsam das ewige Vergessen zu suchen! Oh, nur schnell fort von hier, aus dieser entsetzlichen Friedensstille! Auf nach einer andern Richtung – irgendwohin – gar weit vom Schlosse konnten sie sich nicht entfernt haben – irgendwo mußte er sie doch noch treffen!

Und er schüttelte die Mattigkeit von sich, erhob sich rasch und wollte eben um die Hütte herum wieder dem Walde zueilen – als er plötzlich ganz in der Nähe Schritte sich nahen hörte! Lauschend blieb er stehen.

Da – jetzt hielt der Schritt an der Rückseite des Häuschens – und jetzt wurde ein Schlüssel knirschend in dem verrosteten Schlosse herumgedreht und dann die Thür aufgestoßen. Mit wenigen großen Schritten erreichte Kospoth die Thür und – stand dem Erbgroßherzog gegenüber!

Georg Friedrich – er war im Jagdanzug, jedoch ohne Gewehr – prallte zurück, als er so gänzlich unvermutet die hohe Gestalt des einstigen Freundes auf der Schwelle erscheinen sah. Aber nur wenige Pulsschläge lang blieben seine weitgeöffneten Augen mit diesem Ausdruck erschrockenen Staunens auf Hans Joachim ruhen; dann trat er entschlossen auf ihn zu – und ein fast verächtliches Lächeln verzerrte seinen hübschen Mund, als er die ersten Worte fand.

»Ah so – eine Falle also!« rief er Kospoth entgegen. »Du hast ja gedroht, mich über den Haufen zu schießen, falls ich an ihr zum Schurken würde. Hier ist der Schurke – schieß zu! Du hast ja auch das beste Recht dazu – ich will mich nicht wehren! Zum Sterben bin ich ja auch hierhergekommen. . . . Also bitte – wir wollen nicht lange rechnen – ich glaube dir's gern, daß die Summe stimmt: ich bin ein Schurke und damit basta!«

»Nein, Georg, das bist du nicht – mein armer, armer Freund! Wie bin ich glücklich, daß ich dich noch hier treffe, damit ich dir sagen kann: verzeih mir meine Drohung von damals! Ich war ja selbst von Leidenschaft so verblendet – aber nun komme ich, um dir aufs neue die Hand entgegenzustrecken, um dir zu helfen, wenn du dir helfen lassen willst!«

Mit solchen milden, aus tiefstem Herzen bebend hervorquellenden Worten hatte er sich dem Prinzen genaht und mit warmem Drucke seine Hand ergriffen. Und Georg Friedrich traute seinen Ohren nicht, blickte mit schier hilflosem Staunen zu ihm auf und vermochte nichts zu erwidern, als nur immer: »Ja, aber – ich begreife nicht . . . dir soll ich verzeihen – dir?«

Da zog ihn Hans Jochen hinaus aus dem dumpfen, finstern Räume, geleitete ihn auf die Rasenbank und nötigte ihn, dort neben ihm Platz zu nehmen.

»Eine Frage zunächst,« begann er, indem er eine Hand fast zärtlich auf des Prinzen Schulter legte: »Hattest du dich mit Melanie auf diese Stunde und hierher verabredet?«

Georg Friedrich nickte Bejahung.

»Und weißt, mit welchem wahnsinnig verzweifelten Entschluß sie hierher kommen wollte?«

»Sie wird also nicht kommen?« fragte der Prinz rasch. »Hat sie dich beauftragt? . . .«

Kospoth setzte ihm den Zusammenhang auseinander und dann fügte er hinzu: »Sage mir aufrichtig: bist du ihrer Einladung gefolgt, um sie abzuhalten von dem verhängnisvollen Schritt, und wolltest du etwa gar mit ihr? . . .«

»Ich bin schachmatt – ich sehe keinen Zug mehr für mich,« versetzte der Thronfolger mit einem halb verlegenen Seufzer.

»Nun ja, du hast die Dame verloren – aber doch noch Offiziere genug! Ein ordentlicher König wehrt sich sogar noch ganz allein solange wie möglich. Und schließlich – laß die Partie selbst remis sein! Dann baut man eben das Spiel von neuem auf! – Ja, lieber Georg, es ist ja so begreiflich, daß du matt und müde bist von dem aufreibenden, harten Kampfe; aber eben daß du so hart gekämpft hast, das verpflichtet dich, die Waffen nicht aus der Hand zu legen, ehe die ganze Kriegsarbeit gethan ist! Hast du denn nicht bemerkt, wer mit dir kämpft? – Deine Schwester, Georg, deine hochherzige, kluge Schwester!«

Und dann erzählte Kospoth dem verwundert Aufhorchenden, wie durch Eleonores beredte Verteidigung die Verblendung des eifersüchtigen Hasses von ihm genommen und seine Seele zur Vergebung, zu neuer Hoffnung gestimmt worden war.

»Meine gute, kluge, starke Schwester!« sprach Georg Friedrich halb vor sich hin. »Du wärst der bessere Thronfolger von uns beiden!«

»Nein, gib dich nicht selbst so mutlos auf!« mahnte Kospoth milde. »Du wirst sehen, du wirst gestählt aus diesem harten Kampf hervorgehen. Charaktere werden im Feuer des Leides geschmiedet, Georg! Wenn du auch die letzte, schwere Pflicht noch gethan haben wirst . . .«

»Du meinst?«

»Melanie zu sagen, daß sie leben muß, trotzdem deine höhere Pflicht dich zwingt, ihr dein Wort zu brechen! – Komm mit mir nach Volkramstein, sei unser Gast – und dann, wenn der Arguseifer des alten Generals wieder nachgelassen hat, dann werdet ihr euch wohl sehen können.«

»Ich soll sie sehen?«

»Ja, wenn du mir dein Wort gibst, mit allem Ernste gegen ihre Selbstmordgedanken anzukämpfen! Du hast Gewalt über sie – dir wird sie gehorchen.«

Georg Friedrich schüttelte traurig zweifelnd den Kopf.

»Nun, wenn wirklich alles vergebens bleibt, dann muß auch das ertragen werden! Das haben wir beide dann ja zusammen zu tragen!«

Mit abgewandtem Gesichte griff der Prinz nach Kospoths Hand. – Und so saßen sie schweigend lange Zeit.

Da zuckten sie plötzlich gleichzeitig zusammen und sahen einander erschrocken ins Gesicht.

Ganz in ihrer Nähe, im Walde hinter ihrem Rücken war ein Schuß gefallen. Wer konnte zu dieser Dämmerstunde hier pürschen gehen?

Von unheimlicher Ahnung getrieben, gingen die beiden dem Knall nach auf dem Waldweg nach der Krähenhütte, den Kospoth als denjenigen erkannte, der ihn direkt vom Schlosse hergeführt hätte. Und etwa dreißig Schritte waldein auf diesem Wege stand hoch aufgerichtet, trotz der Dämmerung noch deutlich erkennbar, auf die Büchse gelehnt, die hohe Gestalt des Generals von Treysa.

Hans Jochen sprang voraus und packte den greisen Jäger rauh am Arm. Mit Anstrengung nur gelang es ihm, die Worte hervorzuwürgen: »Worauf haben Sie da geschossen?«

Da lachte der Alte leise, unheimlich boshaft vor sich hin, deutete mit dem Zeigefinger der Rechten zitternd nach vorn und auf den Boden und stammelte: »Den haben wir – hehe! Mitten zwischen die Lichter – paff! plautz – da lag er – wie der – hna! Dingda – der ungarische Bär und so weiter. – Oho, ich – ich mwa! hab' noch die Augen offen – o ja! Hmummum, hier wird nicht mehr – hna! äh! Dingda – Caffarelli gespielt auf Treysa!« Und dabei reckte er sich stolz empor und erhob drohend die Büchse in die Luft.

»Was? Sie wollten doch nicht den Erbgroßherzog . . .?«

»Ja, dem wollt ich eins – haha . . . da liegt er, da!«

»Herr des Himmels!« schrie da hinter ihm der Prinz auf. »Hat der Mann einen Menschen erschossen?«

Der General stutzte bei dem Tone dieser Stimme und wandte sich rasch dem Sprecher zu. Kaum aber hatte er den Erbgroßherzog, den er getötet zu haben vermeinte, in ihm erkannt, als er mit einem heiseren Schrei das Gewehr an seine Backe riß . . .

Doch ehe er noch den Finger an den Abzugsbügel zu bringen vermochte, verzerrte sich plötzlich, wie vom Blitz getroffen, sein Gesicht und er stürzte der Länge nach zu Boden.

Weder Kospoth noch der Prinz bekümmerten sich um ihn, sondern rannten vorwärts bis an die nahe Biegung des Weges, wo sie erst, als sie auf etwa zehn Schritte heran waren, eine dunkle Masse sich von dem grünen Moose abheben sahen.

Das Gesicht nach unten gekehrt, den schönen Kopf von der mörderischen Kugel ihres Vaters durchbohrt, lag Melanie von Treysa da – tot! – – –

Als etwa zehn Minuten später der Baron Kospoth mit dem alten Friedrich herbei kam, da standen die beiden jungen Männer noch immer bei der Leiche Brust an Brust gedrückt, sich mit den Armen fest umklammernd, als müßte einer an dem andern festhalten, um nicht von dem ungeheuern Schmerz zu Boden geschleudert zu werden!

Nun erst, nachdem auch die beiden Neuhinzugekommenen sich überzeugt hatten, daß jede Spur des Lebens aus dem schönen Körper des unseligen Mädchens entflohen war, dachten sie daran, sich nach dem Mörder umzusehen. Das weiße Haupt, von dem im Fallen der Hut heruntergeflogen war, nach oben gerichtet, lag der alte General quer über den Weg, Kolben und Lauf seiner Büchse noch krampfhaft mit den langen, knochigen Fingern umkrallt. Der Schlag hatte ihn getroffen, als ihm in dem Augenblicke, da er des Erbgroßherzogs ansichtig geworden, seine fürchterliche That so plötzlich blendend, markerschütternd, wie ein Blitz zum Bewußtsein gekommen war. Aber er war nicht tot. Alle seine Glieder zuckten noch fortwährend in dem ohnmächtigen Bemühen, sich aufzuraffen, seine Augen blickten unheimlich weit aufgerissen voll Entsetzen unter den buschigen, weißen Brauen hervor und seine Kinnbacken bewegten sich, unverständliche Laute in dem zahnlosen Munde zerkauend, hin und her.

Sein alter, treuer Diener kam selbst fast von Sinnen über das Furchtbare, das sich hier vollzogen hatte, und die jüngeren Männer wurden dadurch gezwungen, die eigene Lähmung des Entsetzens, den Herzkrampf des grausamsten Leides von sich abzuschütteln, um dem völlig fassungslosen Alten mit ruhigem Zuspruch beizustehen. Aber er war nicht zu bewegen, mit ihnen nach dem Schlosse zurückzukehren, um einen Wagen herbeizuschaffen – er wollte inzwischen die Totenwacht halten bei seiner jungen Herrin, und des Mörders greises Haupt auf seinem Schoße betten, bis die andren zurückkämen.

Baron Kospoth wollte dem General die Büchse aus den Händen winden, um sie mit sich zu nehmen, – aber da fiel ihm der alte Friedrich in den Arm, löste selbst die krampfhaft widerstrebenden Finger von der Mordwaffe und dann schoß er den zweiten Schuß in die Luft ab, packte den Lauf bei der Mündung und schmetterte in rasender Wut mit einem derben Fluche die Büchse gegen einen Buchenstamm, daß der Kolben zersplitterte – und dann trat er wie ein Rasender mit dem Stiefel auf das lose Rohr, und schleuderte es endlich, da es nicht biegen noch brechen wollte, von sich, soweit seine schwache Kraft es vermochte.

»Du Aas, du verfluchtes!« knirschte er in ohnmächtiger Wut, während ihm die Thränen stromweis die runzeligen Wangen herabliefen. Dann erst kauerte er sich am Wegrand in das weiche Moos und hob schluchzend das Haupt seines Herrn auf seinen Schoß.

Im Innersten erschüttert, taumelten die drei andern Männer auf dem düstern Waldsteige davon dem Schlosse zu, und unterwegs gab Baron Kospoth, der ältere, die Erklärung dieses entsetzlichen Ausgangs.

Der General hatte mit Gewalt Melanie auf ihr Zimmer gesperrt und die Thür hinter ihr zugeschlossen, und dann war er, scheinbar zufrieden, mit ihm, dem Baron, in das nach vorn herausliegende Wohnzimmer zurückgekehrt, hatte ihm ganz harmlos eine neue Zigarre angeboten und war, abgerissene, unverständliche Sätze vor sich hinmurmelnd, eine ganze Weile, heftig gestikulierend, vor ihm im Zimmer auf und ab geschritten. Dann hatte er gebeten, ihn für einen Augenblick zu entschuldigen, und war hinausgegangen.

Erst als er eine Viertelstunde vergebens auf seine Rückkehr warten ließ, war er, Kospoth, stutzig geworden und hatte in immer steigender Angst sämtliche Räume des Hauses durchsucht. Zuletzt hatte er auch an die verschlossene Thür von Melanies Schlafgemach gepocht, ohne eine Antwort zu erhalten. Die Thür war auch von Innen verriegelt. Mit Hilfe des alten Friedrich hatte er gewaltsam das Schloß erbrochen – und das Zimmer leer gefunden. Aber die Fenster standen offen und von den dünnen Leisten des Weinspaliers darunter zeigten sich einige zerknickt, Laub und Ranken heruntergerissen. Melanie war durch das Fenster in den Garten geflohen! Und dann hatte er in atemloser Eile mit dem alten Diener den Weg nach der Krähenhütte eingeschlagen.

Der unheimlich durch den schlummernden Wald hindröhnende Knall der Büchse hatte ihnen schon auf halbem Wege ein furchtbares Zu spät! entgegengerufen.

Und wieder suchten sich die Hände der beiden jungen Männer, um in ihrem warmen Drucke Mut und Kraft zum Weiterschreiten zu suchen. Und dann preßte der Erbgroßherzog den grünen Jägerhut an sein wildpochendes Herz, den Melanie auf ihrem Todesgange getragen und der durch seine männliche Form in dem unsicheren Dämmerlicht die Sinnestäuschung des greisen Jägers veranlaßt haben mochte. Dicht über der Krempe war ihr die Kugel in den Kopf gedrungen, und die ganze Stirnseite des leichten Filzes war von ihrem Blute durchtränkt.

Sobald die drei Herren auf dem Schlosse angelangt waren, befiel den Prinzen eine so bedenkliche nervöse Erregung und zugleich fiebernde Mattigkeit, daß gar nicht daran zu denken war, ihn wieder zu der Unglücksstätte zurückkehren zu lassen. Der alte Kospoth übernahm allein die traurige Pflicht, die letzte Heimfahrt der letzten Treysas anzuordnen. Den Leuten gab er, wie sie es verabredet hatten, die Erklärung, daß der General auf die Pirsch gegangen sei, und seine Tochter, die ihm ohne sein Wissen nachgefolgt sei, in seinem altersschwachen Uebereifer erschossen habe.

Und als der Wagen aus dem Hofe hinausgerasselt war, da machte sich Hans Joachim daran, den kleinen Jagdwagen des Generals selbst anzuschirren, um den kranken Prinzen nach Volkramstein hinüber zu geleiten, weil er unter diesem Dache den Kranken vor dem Grimme des alten Friedrich nicht sicher glaubte. Die Wirtschafterin mußte ihm helfen, den an allen Gliedern Schlotternden in das Wägelchen hinein zu heben. Dann setzte er sich selbst neben ihn und ergriff die Zügel.

Schwer lehnte sich der Prinz gegen seine Schulter, wie ein müdes Kind, dem nach einem lustigen Tage auf dem Heimwege die Augen zufallen.

»Du bist befreit – du wirst es überwinden!« sagte Hans Jochen leise vor sich hin – und dann seufzte er tief auf. Aber Georg Friedrich hatte ihn nicht mehr vernommen. –

In Volkramstein hoben sie ihn bewußtlos aus dem Wagen. – – –

Wochenlang lag der Thronfolger an einem hitzigen Nervenfieber danieder. Und da es unmöglich war, ihn nach der Residenz zu schaffen, so mußte sein Leibarzt und auch eine treue Pflegerin auf Volkramstein Wohnung nehmen – die Prinzessin Eleonore! – – –

Sobald er wieder sicher auf den Beinen stand, reiste Georg Friedrich mit seiner Schwester zu längerem Aufenthalt in die steirischen Alpen, um erst nach Monaten wieder in die Residenz zurückzukehren, und zwar – als Verlobter der Prinzessin Clementine! Der furchtbare Schmerz, den er in so jungen Jahren erdulden mußte, hatte Georg Friedrich zum Manne gereift, und mit Stolz und freudigster Erwartung für seine Zukunft als Herrscher blickten die Residenzler zu ihrem Thronfolger auf.

Der General von Treysa erlangte weder den Gebrauch seiner geistigen noch seiner körperlichen Kräfte wieder; aber es dauerte noch Jahr und Tag, ehe ihn, den letzten reckenhaften Zeugen einer sittenlosen Vergangenheit, der erlösende Tod aus der Haft des Irrenhauses befreite. – –

Schloß und Herrschaft Treysa fiel damit an den Lehnsherrn zurück, und auf Bitten ihres Sohnes rief die gütige Großherzogin dort eine wohlthätige Stiftung für mittellose Genesende ins Leben.

Der Kammerherr von der Rast hatte den allerhöchsten Wunsch, sich aus der Nähe des Hofes zurückzuziehen, nicht erst abgewartet, sondern sich vielmehr beeilt, schon bald nach dem tragischen Ende seiner Tochter das freundliche Anerbieten des gottbegnadeten Fräuleins Boland und gleichzeitig eine mäßig besoldete Stellung als Vergnügungsdirektor in einem vielbesuchten Badeorte anzunehmen. Im Winter folgte er seiner reizenden Gemahlin ins Engagement, und die Qualen der Eifersucht, die sie ohne jegliche Gewissensbisse ihren beleibten Schleppenträger erdulden ließ, erklärte die hohnlachende böse Welt als eine gerechte Strafe für die zahllosen Sünden seiner kammerherrlichen Vergangenheit. – – –

Hans Joachim von Kospoths Name, sonst so häufig in der sozialistischen Presse genannt, ist seither ganz daraus verschwunden. Sein jugendlicher Idealismus, der ihn zu einem ebenso überzeugten wie praktisch eifrigen Parteigänger gemacht hatte, war verraucht – das arme gequälte Herz hatte seinen so wohlgeschulten Verstand ein wenig zu unsanft in die Lehre genommen! Er sah ein, daß das Beurteilen von Menschen und Verhältnissen nach irgend einem philosophischen System, nach einer Parteischablone zu eitel Ungerechtigkeit und unfruchtbarem Doktrinarismus führe. Seine herben Erfahrungen hatten ihn zum Manne gereift, und er schämte sich jetzt seiner knabenhaften Lehrwut. Er bemühte sich zunächst einmal zu vergessen, was er aus Büchern und schwungvollen Reden von angeblichen Wahrheiten sich angeeignet hatte, und machte sich daran, seine Lehrzeit als Prophet einer besseren Zukunft von vorn zu beginnen, indem er in der unendlichen Verschiedenheit der Erscheinungen das Bleibende, das allgemein Menschliche zu erkennen versuchte. Statt statistische Tabellen zu studieren, beschloß er sich selbst als Arbeiter in eine Fabrik zu begeben, statt von Menschenwürde und Völkerverbrüderung zu schwärmen, selbst einmal in die Kolonieen zu gehen und dem Civilisationswerk Kärrnerdienste zu leisten. Fort mit dem Pathos und der Schulweisheit! Gerechtigkeit und Liebe, das sollte fortan in seinem ernsten Streben das A und das O bedeuten.

 

Ende.

 


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