Ernst von Wolzogen
Der Thronfolger – Zweiter Band
Ernst von Wolzogen

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Zwölftes Kapitel.

In welchem die Hochzeitsglocken läuten, das Großherzgl. Hoftheater sich verjüngt und die Katz den Wolf stellt.

Die Vermählungsfeier der Prinzessin Georgine mit dem Geheimen Medizinalrat Professor Dr. Cordell war auf den ersten Mai angesetzt worden. Die gute Durchlaucht Chochotte wollte durch solche sinnige Wahl ausdrücken, daß mit dieser Vereinigung schöner Seelen für sie der wahre Lenz und Wonnemond ihres Lebens erst anhebe, während die bösen Spötter die Wahl ihres Hochzeitstages in witzelnde Verbindung mit der Walpurgisnacht brachten. Für die weitesten Kreise der Residenzbewohner war dieser erste Mai schon in der Erwartung zu einer Art Volksfest gestempelt worden. Die Bürgerschaft gab ihrer stolzen Befriedigung über dies denkwürdige Ereignis, daß ein zwar berühmt gewordenes, aber doch immer noch schlicht bürgerliches Kind ihrer Stadt eine Prinzessin aus dem großherzoglichen Hause zu seiner Hausfrau machen durfte, dadurch beredten Ausdruck, daß sie dem großen Psychiater als Hochzeitsgeschenk den Ehrenbürgerbrief überreichen ließ. Von der bei der Vermählung von Prinzessinnen sonst üblichen Ausstellung des Trousseaus hatte man in diesem besondern Falle Abstand genommen, weil er, wie die durchlauchtige Braut versicherte, in der kurzen Frist zwischen Verlobung und Vermählung nur zum kleinsten Teil hatte fertiggestellt werden können – oder aber, wie alle Welt behauptete, weil eben einfach nichts Besonders auszustellen und auch nicht mehr zu erwarten war. Uebrigens hatten die großherzoglichen Herrschaften, obschon sie von dieser Heirat nicht gerade entzückt sein konnten, – besonders deshalb nicht, weil der Herr Professor nicht daran dachte, seine Residenz aus Rücksicht auf den Hof anderswohin zu verlegen – doch ziemlich tief in die Tasche gegriffen und einige wertvolle Hochzeitsgeschenke beigesteuert. Am meisten hatte sich's der Bräutigam selber kosten lassen, indem er sich's angelegen sein ließ, die für seine hohe Gemahlin bestimmten Gemächer mit wahrhaft fürstlicher Pracht auszustatten. Besonders die ledergepolsterten Eichenstühle, auf deren jedem das Wappen der Prinzessin in farbiger, erhabener Ausführung angebracht war, sowie ein großes Oelgemälde, welches die Stammburg des herzoglichen Geschlechts darstellte und von einem namhaften Künstler herrührte, wurden viel bewundert. Am höchsten aber wurde es ihm, vornehmlich in bürgerlichen Kreisen angerechnet, daß er die ihm angetragene Erhebung in den Adelsstand abgelehnt hatte.

Der Verlauf der Festlichkeit entsprach im allgemeinen dem Stile einer fürstlichen Vermählung. Mittags um Zwölf wurde die Trauung auf dem Standesamt vollzogen, wobei nur wenige hochgestellte Personen als Zeugen anwesend waren, und wobei es sich die liebe Straßenjugend der Residenz nicht nehmen ließ, das Brautpaar bei der An- und Abfahrt mit lautem Hurrageschrei zu begrüßen. Darauf versammelte sich die auserlesene Hochzeitsgesellschaft, in welcher der Bruder des Bräutigams, ein behäbiger Landpastor, mit seiner bedenklich aufgedonnerten Gattin besonders auffielen, zu einem Gabelfrühstück im großherzoglichen Schlosse, wobei der Erbgroßherzog und seine Schwester die Wirte machen mußten, da der Großherzog und seine Gemahlin aus Gesundheitsrücksichten dem lärmenden Tage aus dem Wege gegangen waren. Dem Erbgroßherzog fiel naturgemäß die Aufgabe zu, die Gesundheit der Neuvermählten auszubringen. Man war allgemein äußerst gespannt darauf gewesen, wie er sich dieser schwierigen Aufgabe entledigen werde, und erwartete bestimmt, daß er die gute Gelegenheit, seine bekannten liberalen Anschauungen zum Ausdruck zu bringen, nicht ungenutzt vorübergehen lassen, ja man hoffte sogar, daß er irgend welche Anspielung auf seine eignen unbotmäßigen Herzensregungen miteinfließen lassen werde. Doch diese Erwartungen wurden nur sehr unvollkommen erfüllt. Zwar feierte der Thronfolger den Professor als eine Leuchte der Wissenschaft und behauptete, daß er und sein Haus es sich zur besondern Ehre schätzten, mit einem so hervorragenden Vertreter der Aristokratie des Geistes in verwandtschaftliche Beziehungen zu treten! im übrigen aber enthielt er sich sorgfältig aller pikanten sozialpolitischen oder gar persönlichen Bemerkungen. Der als gewandter Tischredner bekannte Bräutigam war im Ausdruck seines Dankes ebenso vorsichtig und taktvoll. Er ließ die hohe Familie seiner Braut leben, deren Mitglieder, das großherzogliche Paar an der Spitze, so manches erhebende Beispiel einer echt deutschen, christlichen Ehe und glücklichen Familienlebens gegeben hätten.

Nach Aufhebung der Tafel suchte Prinzessin Eleonore Gelegenheit, ihrem Bruder warm die Hand zu drücken und ihm für seine weise Mäßigung ihren Dank auszusprechen.

»Ich bin auch froh, daß es vorüber ist,« versetzte Georg Friedrich leise. »Es war wirklich nicht ganz leicht, sich mit Anstand aus der Affaire zu ziehen, ohne Papa zu kränken und den verwünschten Zeitungsschreibern Gelegenheit zu politischen Betrachtungen zu geben.«

Die Prinzessin lächelte ein wenig boshaft und erwiderte: »Siehst du, da hast du einen kleinen Vorgeschmack davon, wie es uns allen hier zu Mute sein würde, wenn du eine Hochzeit nach deinem Herzen unter uns feiern wolltest.«

Der Prinz biß sich auf die Lippen und machte eine rasche Wendung, daß die Sporen an seinen Husarenstiefeln zusammenklirrten. Er ließ die Schwester ohne Antwort stehen und durchschritt das Gemach, um mit dem Pastor Cordell ein gleichgültiges Gespräch anzuknüpfen. Daß sie es doch nicht unterlassen konnte, ihm bei jeder Gelegenheit einen Stich zu versetzen! Nach dem neuesten Streiche, den sie ihm gespielt, indem sie hinter seinem Rücken gewissermaßen seinen Freiwerber bei der Prinzessin Clementine gemacht hatte, konnte er nicht umhin, Eleonore als seine Feindin zu betrachten. Sie hatte ihn durch diesen Gewaltstreich in eine Lage versetzt, aus der nur ein andrer Gewaltstreich ihm herauszuhelfen vermochte. Wenn er es jetzt wagte, einen offenen Bruch mit dem befreundeten und verwandten Königshause dadurch herbeizuführen, daß er seine Schwester Lügen strafte, so mußte er auch den Mut haben, der Thronfolge zu entsagen und die Geliebte ohne Säumen zu seiner rechtmäßigen Gemahlin zu machen. Worauf sollte er denn jetzt noch warten? Auf den Tod seines Vaters vielleicht? – O nein! Wenn er erst selbst die Krone trug, dann war er noch viel weniger Herr seiner Entschlüsse – das fühlte er wohl. Aber er fühlte auch, wenn er daran zurückdachte, wie schwer jene erste Ankündigung seiner Absicht den Vater getroffen hatte; daß er es jetzt noch weit weniger übers Herz bringen würde, den Edlen, Gütigen so tödlich zu verwunden. Damals, im ersten Rausche wilder Leidenschaft, hatte er, ohne rechts und links zu blicken, auf das so verlockende Ziel eines märchenhaften Liebesglückes losstürmen können; nun aber, seit die blendende Erscheinung der Geliebten ihm ferne gerückt war, hatte er wieder sehen gelernt und mit Schrecken erkannt, an welch einem Abgrund er blindlings dahingetappt war. Noch immer war seine Liebe zu Melanie so stark, daß der Gedanke an eine kalte politische Heirat ihn mit unerträglichem Abscheu erfüllte und die Treulosigkeit gegen die Geliebte, die sich ihm voll begeisterten Glaubens an die Heiligkeit seiner Schwüre hingegeben hatte, ihm nicht geringere Gewissensnot bereitete, als die schmachvolle Auflehnung wider seine Kindes- und Fürstenpflicht, wozu die Treue gegen die Geliebte ihn gezwungen hatte. Zu all dieser Seelenqual kam auch noch das Bewußtsein der neuen Schuld, die er dadurch auf sich geladen, daß er trotz des seiner Mutter gegebenen Versprechens Melanie heimlich wiedergesehen hatte. Er hatte es gut gemeint mit diesem gefährlichen Schritt: er hatte geglaubt, die Verzweiflung, welche aus Melanies Briefen sprach, nur durch liebevollen, vernünftigen Zuspruch bekämpfen zu können. Er hatte gehofft, daß seine bloße Gegenwart genügen würde, sie so ruhig und vernünftig zu machen, daß er sogar wagen dürfte, sie um Entbindung von seinem Schwur zu bitten. Ach, er hätte ja tausend Gründe gefunden, um sich selber die Notwendigkeit des Schrittes darzuthun, zu welchem einfach die unerträgliche Sehnsucht ihn getrieben hatte! – Aber all die guten Gründe, so billig wie Blaubeeren, all die ernsten Vorsätze wurden achtlos über die Hecke geworfen, sobald er die Geliebte im dunklen Tann von Treysa in ihrem schwarzen Trauerkleide auf sich zueilen sah, und waren vollends vergessen, als er wieder die köstlichen Früchte ihrer Küsse von ihren fieberheißen Lippen pflücken durfte. Sie hatten sich gegenseitig berauscht an Zärtlichkeiten, an Beteuerungen ewiger Liebe – und er hatte angesichts ihrer seligen Zuversicht nicht den Mut gefunden, sie vorzubereiten auf das, was er als grausame Notwendigkeit kommen sah. Er hatte sich und die Geliebte mit der Hoffnung getröstet, daß die Zeit irgend welche Lösung aller Schwierigkeiten bringen würde, und ihr hatte im Glücksrausch des Augenblicks, in dem Bewußtsein, daß sie nach wie vor sein ganzes Herz besitze, dieser so ganz nebelhafte Trost genügt. Nur der augenblickliche Abschied zerriß ihr das Herz, sie dachte nicht daran, daß es vielleicht ein Abschied für immer sein könnte, und die zaghaften Andeutungen, die er ihr machte über die Schwierigkeiten, die sich noch zwischen ihnen auftürmen würden, hatte sie nicht verstanden oder nicht verstehen wollen. – Und für ihn hatte sich die Süßigkeit des heimlichen Wiedersehens alsbald in bitteren Wermut verwandelt. Das Herz voll peinigender Selbstanklagen, voll niederdrückender Schwermut, war er nach der Residenz zurückgekehrt, um hier als erste Neuigkeit zu erfahren, daß seine Schwester ihn sozusagen meuchlings verlobt habe! Hundert Rücksichten zwangen ihn nun, die Heirat mit der Prinzessin Clementine als eine Notwendigkeit anzusehen, der er sich nicht mehr lange entziehen konnte, wenn er nicht eine recht unglückliche, ja sogar lächerliche Rolle spielen wollte gegenüber den deutschen Fürsten und einer großen Öffentlichkeit, welche bereits durch Zeitungsnachrichten, die wohl mittelbar Prinzessin Eleonore veranlaßt hatte, aufmerksam gemacht worden war. – Und was es mit dieser Lächerlichkeit auf sich habe, davon hatte ihm heute das Gejohl der Straßenbuben angesichts der Hochzeit seiner Tante einen üblen Vorgeschmack gegeben. – O, was hatte diese unglückselige Leidenschaft, die einerseits alles, was in der Tiefe seines Gemütes an edler Begeisterung knospte, zur Blüte gebracht, auf der andern Seite für eine furchtbare Zerstörungsmacht entfaltet! Sie hatte die lauterste Freundschaft gemordet, die geliebte Schwester zu seiner Feindin, seine aufrichtig verehrten Eltern krank und traurig gemacht, seinen frischen, jugendlichen Schaffensdrang gebrochen, ja sogar seinen Lebensmut geknickt – und das alles nur, weil er unglücklicherweise ein Prinz, ein Thronfolger gar und kein gewöhnlicher Sterblicher war! – Selbstmordgedanken hatten sich seiner gleich nach seinem jüngsten Abschied von Melanie bemächtigt und wollten ihn nicht mehr loslassen. Er sehnte jetzt geradezu Kospoths angedrohte Herausforderung herbei – wie freudig wollte er sich ihm stellen und ihn noch flehentlich bitten, ja recht gut zu zielen!

In dieser Seelenstimmung hatte der unglückliche Prinz die schwierige offizielle Beglückwünschung des alten jungen Ehepaares übernommen, in diesem Zustande der Hilfs- und Trostlosigkeit des eignen Geistes mußte er die harte Fürstenpflicht erfüllen, sich liebenswürdig zu zeigen gegenüber all diesen Leuten, die ihm teils gleichgültig, teils einfach unangenehm waren.

Und Prinzessin Eleonore, die wohl ahnte, was in ihm vorging, beobachtete ihn scharf und sah sich gezwungen, ihn zu bewundern. Sie mußte sich mit Beschämung gestehen, daß sie nicht im stande gewesen sei, ihren Schmerz und ihren Groll mit solcher Selbstbeherrschung zu tragen. – –

Am Nachmittag fand in der gedrängt vollen Hauptkirche die Trauung durch den Herrn Generalsuperintendenten statt, über dessen erbauliche Rede die durchlauchtige Frau Geheimrätin, die in ihrem weißen Brautgewande, mit Myrtenkranz und Schleier zum Weinen komisch aussah, sich nicht versagen konnte, reichliche Thränen zu vergießen.

Am Abend fand im Hoftheater die erste Aufführung des neu einstudierten »Fliegenden Holländers« statt und trug begreiflicherweise, auch ohne daß es auf dem Zettel stand, den Charakter einer Galavorstellung, da alle die zahlreichen Teilnehmer an dem nach dem Theater stattfindenden Festmahle und auch viele der weit zahlreicheren Neugierigen in festlichem Gewande erschienen waren. In der Hofloge hatten der Erbgroßherzog und seine Schwester, sowie fast vollzählig die Hofchargen Platz genommen, während die Neuvermählten in einer benachbarten Loge des ersten Ranges saßen, die sie nur mit dem würdigen Landpastor und seiner beleibten Gattin teilten. Prinzessin Chochotte hatte diesen Theaterbesuch am Hochzeitstage ausdrücklich gewünscht, weil er ihr die beste Gelegenheit gab, der Oeffentlichkeit gegenüber mit einer gewissen Koketterie ihren freudigen Verzicht auf die Vorrechte ihres Standes zu bekennen.

Natürlich waren alle Augen und Operngläser andauernd auf die geheimrätliche Loge gerichtet, und die durch die starke Schnürung und die bräutliche Erregung heute in ganz besonders tiefem Inkarnat strahlende Durchlaucht trug dieser allgemeinen Aufmerksamkeit dadurch Rechnung, daß sie bald mit naiver Zärtlichkeit mit ihrem schönen weißbärtigen Gatten tuschelte, bald sich mit herablassendster verwandtschaftlicher Zutraulichkeit an ihre hochwürdige Frau Schwägerin wendete, welche, obwohl sie aus Angst beim Dejeuner den Speisen und Getränken nur sehr wenig zugesprochen hatte, dennoch vor Hitze und Befangenheit schier betäubt war.

Auf der andern Seite des ersten Ranges, welche altem Herkommen gemäß immer noch die bürgerliche genannt wurde, obwohl es schon längst nicht mehr zutraf, was ausländische Spötter behaupteten, daß nämlich die rechte Hälfte des ersten Ranges im großherzoglichen Hoftheater ausschließlich für den hohen Adel reserviert und nur der linke dem übrigen P. T. Publiko geöffnet sei – auf dieser linken Seite also saß in einer der ersten Logen, ihre sehr hübsche sechzehnjährige Tochter zur Seite, in tief ausgeschnittenem Festgewande und etwas allzu reichlich mit Schmuck behangen, die Primadonna, Frau Thea Lindner. Sie hatte sich die beiden Plätze zu dieser Vorstellung bereits eine Woche vorher bestellt und aus ihrer Tasche bezahlt. Sie wollte doch sehen, ob das Publikum, welches seit zwanzig Jahren ihre Leistungen auf dieser Bühne bewundert hatte, es wirklich wagen würde, dieser blutigen Anfängerin, dieser ebenso anmaßenden wie talentlosen Person, der Boland, Beifall zu klatschen in einer Rolle, die sie selbst vor kaum mehr als einem Dutzend Jahren kreiert und für welche sie sogar die wärmste Anerkennung Meister Richard Wagners selbst eingeheimst hatte. Sie wußte freilich, wie erbärmlich, feig und bestechlich dieses Publikum der Jugend und einem leidlich hübschen Gesicht gegenüber sei; aber wenn man sie, die Meisterin, in eigner Person im Theater sitzen sah, würde man doch wohl nicht die Stirn haben, dieser neuen Senta mehr als höchstens wohlwollende Aufmunterung zu spenden.

Der Herr, welcher den Holländer sang, war ehemals ein berühmter Barytonist gewesen, der auch heute noch durch vorzügliche Gesangskunst einigermaßen über die hereinbrechende Altersschwäche seiner Stimmmittel hinwegzutäuschen wußte. Auch ihm war in den letzten Jahren eine Rolle nach der andern abgenommen worden, und Frau Lindner fühlte sich als seine Schicksalsgenossin verpflichtet, ihm nach der großen Auftrittsarie auf das lebhafteste zu applaudieren, obwohl sie sich sagen durfte, daß ihre Stimme denn doch noch erheblich leistungsfähiger geblieben sei als die des bedeutend älteren Kollegen. Sie wagte sogar, nachdem sich der erste Beifallssturm ganz ungemein rasch gelegt hatte, das Signal zu einem zweiten zu geben, fand jedoch nur sehr vereinzelte Nachahmer. Dafür aber war man wenigstens auf ihre Anwesenheit aufmerksam geworden, die vor Beginn der Vorstellung bei der ausschließlichen Anteilnahme für die Neuvermählten doch wohl nicht sehr bemerkt worden war. Die gewohnheitsmäßigen Theaterbesucher lächelten sich verständnisinnig zu, da es für sie keiner weiteren Erklärung dieses auffälligen Ereignisses bedurfte. Und unter heimlichem Geraune bildeten sich schon jetzt unter den Zuhörern Zwei Parteien, welche, je nachdem sie dem Oberhofmarschall oder dem Intendanten näher standen, für die Lindner oder für die Boland zu stimmen beschlossen.

Aber schon, als sich zum zweitenmal der Vorhang hob und die jugendliche Senta mit ihrem zarten Profil, die Augen weit geöffnet und traumverloren auf das Bild des bleichen Seemanns gerichtet, sich in der Unbeweglichkeit eines lebenden Bildes den Blicken darbot, begann, durch den rührend schönen Anblick bestochen, dieser und jener von der Partei der Lindnerianer wankend zu werden. Und sobald sie die erste Strophe ihrer Ballade gesungen hatte, wußten jene Leute, daß ihre Sache verloren sei. Mochte es auch mit der Gesangskunst der Boland noch nicht allzu weit her sein, die frische Kraft und Schönheit ihrer Stimme, die leidenschaftliche Empfindung, die ihren Vortrag und ihr Spiel beseelte, wirkten unwiderstehlich hinreißend. Und so erhob sich denn gleich nach der Ballade, weit mehr aber noch nach dem großen Duett mit dem Holländer, dessen schöne Reste neben dem Glanz der Jugend vollständig verblichen, ein so begeisterter Beifall, wie ihn das großherzogliche Hoftheater nur äußerst selten erlebte. Die Partei der Jugend triumphierte und konnte sich nicht genug thun in lauten Zurufen, während die Alten fühlten, daß es geschmacklos gewesen wäre, diesen Sieg nicht anzuerkennen, und mit einem halb scheuen, halb mitleidigen Blick nach der Loge der Frau Lindner, möglichst unter Deckung, ihre Hände zusammenklatschten. Fünfmal mußte die Boland vor dem Vorhang erscheinen, und der alte Baryton war taktvoll genug, sie schon beim viertenmal allein gehen zu lassen. Und da flog ihr ein riesiger Lorbeerkranz mit breiten goldbedruckten Atlasschleifen vor die Füße.

Der Herr Hofgärtner, der gern ein wenig aus der Schule schwatzte, hatte schon einigen Herrschaften, die heute das Theater besuchten, verraten, daß der Herr Kammerherr von der Rast dieses umfangreiche Ruhmesgemüse für die neue Senta bei ihm bestellt habe. Es sprach sich also sehr rasch im Zuschauerraum herum, und aller Blicke richteten sich auf den dicken Baron, der mit seinem strahlendsten Lächeln in der Hofloge stand und aus Leibeskräften klatschte. Die Boland aber führte vor diesem Kranze eine niedliche kleine Komödie auf, indem sie erst, bescheiden abwehrend, die Hände von sich streckte und den Blick zur Seite wandte, dann aber, durch den ununterbrochen tosenden Beifall ermuntert, ihn mit einer kindlich befangenen Miene aufhob und einen um Entschuldigung flehenden Blick nach dem Platze der Primadonna hinaufwarf, welche sie soeben durch ihren großen Sieg entthront hatte.

Frau Lindners Gefühle zu schildern, fühlt sich der Griffel des Chronisten ohnmächtig. Als sie den weißen, faltenlosen Hals der gefährlichen Nebenbuhlerin so verführerisch sich vorstrecken sah, während der jungen Kehle die Töne so voll und warm entquollen, da wäre sie am allerliebsten gleich von ihrem Platze aus mit einem gewaltigen Katzensprung der Verhaßten mit Zähnen und Krallen an diese zarte, weiße Kehle gefahren. Sie war Künstlerin und urteilsfähig genug, um zu wissen, daß nach dieser glänzenden Leistung ihre erste Rolle am Hoftheater ausgespielt sei, daß nach dieser Probe als Senta die übrigen jugendlichen Wagnerpartieen ihr gleichfalls erbarmungslos abgenommen werden würden – und damit wurden ihrer künstlerischen Stellung die letzten Stützen entzogen. Sie sah ein, daß sie ihre Pensionierung nachsuchen, ihre Thätigkeit auf die Mitwirkung in Kirchenkonzerten beschränken und ihrer weiblichen Eitelkeit durch die Bewunderung, die der alte Graf Worbis ihren klassischen Formen zollte, werde genügen lassen müssen. Jede Beifallsäußerung traf sie wie eine körperliche Züchtigung und mit immer wachsendem Grimm bemerkte sie, daß niemand darauf achtete, wie sie bei jedem nicht ganz glockenreinen Ton, bei jedem nicht ganz kunstgerechten Atemzug der Boland die kläglichsten Gesichter schnitt, den Kopf schüttelte oder, mitleidig lächelnd, die Schultern hob. Als aber gar am Aktschluß die Hervorrufe nicht enden wollten – sie hatte in den letzten Jahren als Senta nie mehr als ihrer zwei erzielen können! – als gar der Riesenlorbeerkranz geflogen kam und sie den Blick der Siegerin auf sich gerichtet fühlte, da verlor sie vor Wut fast die Besinnung. Ein paar höhnische Lachtöne gellten in den lauten Jubel hinein, und sie klopfte mit ihrem Fächer auf die gepolsterte Brüstung, als wollte sie dadurch die Ruhe herstellen. Ihr Fräulein Tochter, dieses Zeichen zornigster Erregung gänzlich mißverstehend, hielt es vielmehr für eine starke Beifallsäußerung und beeilte sich, ihrer ehrlichen, naiven Begeisterung für die prächtige Kunstleistung, die sie sehr wohl zu würdigen wußte, durch lautes Händeklatschen Luft zu machen. Beim dritten Schlag schon platzte dem hübschen jungen Mädchen ein Handschuh, und beim vierten ereilte ihr rühriges Händchen gar der mütterliche Fächer mit einem so empfindlichen Klaps, daß sie sich nicht enthalten konnte, ein lautes erschrockenes »Au!« zu rufen.

Im Zwischenakt ging Frau Thea Lindner in die Konditorei, aß eine Portion Eis und trank eine ganze Flasche Selterwasser dazu. Sie nahm sich aufs äußerste zusammen und grüßte im Vorbeigehen alle Welt, Bekannte wie Unbekannte mit dem allerlieblichsten Lächeln, obwohl selbst ihre ältesten Freunde und Bewunderer ihr ängstlich auswichen, um nicht in die Verlegenheit zu kommen, nach ihrer Meinung über die Boland gefragt zu werden.

Das Töchterchen war in dem Gedränge auf den Korridoren von ihr getrennt worden und alsbald auf ihren Vater, den Lokalkomiker, gestoßen, welcher von der Parterreloge der Schauspieler aus das Gebahren seiner Gattin aufmerksam beobachtet hatte und nun voll Sorge herbeigeeilt kam, um sie nach Hause zu führen.

Das arme verängstigte Kind hing sich an seinen Arm und stieß schluchzend hervor, ohne auf die neugierigen Gesichter ringsum zu achten: »Ach, Papa, Mama hat mich so geschlagen! Nimm mich zu dir in die Loge, – ich mag nicht mehr neben ihr sitzen!«

»Ja, siehst du, Kind, Mama hat eben immer ein sehr schlagfertiges Urteil besessen. Das war eben ein Theatercoup von meiner Thea. Mach dir nischt draus, mein Tierchen – bei der Biene setzt's eben Stiche!« Und während der alte Komiker dem weinenden Mädchen, also witzelnd, das abgestrafte Händchen streichelte, standen ihm selber die Augen voll Thränen.

Und dann folgte er der Gattin in die Konditorei, zog sie dort in eine Ecke und beschwor sie, mit ihm das Theater zu verlassen.

»Was? Fliehen soll ich?« fiel ihm Frau Thea ins Wort. »Ich harre aus, und wenn es mich mein Leben kostet!«

»Was hast du nur davon?« versetzte der Gatte betrübt. »Du blamierst uns höchstens noch mehr.«

»O, fürchte nichts! Ich habe es überwunden. Ich werde mich mit dem Erz der Verachtung umpanzern und stolz erhobenen Hauptes den Kampfplatz verlassen. Morgen suche ich meine Pensionierung nach.«

»Du wirst doch nicht!« rief Herr Lindner erschrocken, »den Leuten den Gefallen thun? Versuch's doch erst einmal mit der komischen Alten; Herrjemerschnee nu ja! Ich habe doch auch in meiner Jugend mal den Romeo gespielt! Aber wie sie da mit faulen Aeppeln schmissen, habe ich doch nicht gleich die Kunst an den Nagel gehängt, sondern hab' mich einfach vom Kothurn auf die Socken gemacht.«

»So kann eben nur ein Mann reden, der niemals Verständnis gehabt hat für den Adlerflug des Genius,« versetzte Frau Thea pathetisch. »Soll ich mir jetzt die getollte Haube auf den Kopf setzen, der gewohnt ist, Kronen zu tragen?«

Herr Lindner schnitt eine schmerzhafte Grimasse und fiel rasch ein: »Höre, nur keine Anspielungen auf gekrönte Häupter!«

Sie maß ihn mit einem verächtlichen Blick, zuckte die entblößten klassischen Schultern und sagte, ohne seinem zweideutigen Scherze Beachtung zu schenken: »Ich habe das Recht, auf meinen wohlerworbenen Lorbeeren auszuruhen, dächte ich.«

»Erworbisten willst du wohl sagen?« gab er ironisch zurück und machte sich mit diesem schnöden Scherze aus dem Staube, als fürchte er, nun gleichfalls von ihrem Fächer ereilt zu werden. Seine gute Kleine nahm er mit in die Schauspielerloge – und Frau Thea verfügte sich wirklich ganz allein auf ihren Platz zurück.

Kurz vor Beginn des dritten Aktes ließ sie der Intendant Baron von Camp durch den Logenschließer herausrufen und ersuchte sie mit strengster Amtsmiene, sich aller Aeußerungen des Mißfallens zu enthalten. Ihr Betragen sei von den höchsten Herrschaften nicht unbemerkt geblieben, und er werde sich genötigt sehen, sie dafür in Strafe zu nehmen.

»Das dürfte dann auch das letztemal sein, daß Herr Baron dienstlich mit mir zu thun bekommen,« versetzte sie kalt lächelnd. »Ich gedenke um meine sofortige Entlassung zu bitten.«

Der Baron Camp zog die Augenbrauen hoch, verbeugte sich stumm und eilte davon, um diese Freudenbotschaft dem Fräulein Boland noch in die Garderobe überbringen und einen zärtlichen Kuß als Dank dafür ernten zu können.

Es gab heute wohl keinen glücklicheren Menschen unter den Zuschauern als den dicken Kammerherrn von der Rast – selbst die durchlauchtige Braut nicht ausgenommen, welcher die überraschend schlanke Taille des hochzeitlichen Gewandes derartige Folterqualen verursachte, daß nach Beendigung des Zweiten Aktes ihr gelehrter Gatte sich genötigt sah, sein erstes Machtwort zu sprechen und trotz ihres todesmutigen Widerstrebens mit ihr nach Hause zu fahren, unter dem Vorwande, daß ihre Wirtspflichten sie abriefen. Baron von der Rast aber lächelte heute sein sattestes Lächeln; er war der Einzige, von dem man sagen konnte, er habe ein wahrhaft hochzeitliches Gesicht mit ins Theater gebracht. Mit ungewöhnlicher Geschmeidigkeit bewegte er seinen gewichtigen Körper durch das in den Logengängen promenierende Publikum, sprach alle Welt auf den Erfolg seiner jungen Freundin hin an und ließ sich mit behaglichem Schmunzeln die neckende Bezeichnung als Vater der Debütantin gefallen, die ihm der spaßhafte Major von Bomst angehängt hatte.

Als er von weitem seinen verhaßten Nebenbuhler, den Intendanten, das Vorzimmer der großherzoglichen Loge betreten sah, konnte er sich nicht enthalten, die günstige Gelegenheit zu benutzen, um den Versuch zu machen, wenigstens einen Händedruck von seiner angebeteten Nachtigall, ein paar süße Dankesworte für den gespendeten Lorbeer zu erhaschen. Mit beängstigender Schnelligkeit sprang er die eiserne Wendeltreppe hinunter, welche vom ersten Rang nach der Loge des Intendanten führte, und betrat durch die kleine Pforte, welche nach der strengen Hausordnung des großherzoglichen Hoftheaters sich nur den Mitgliedern öffnen durfte, die Bühne. Es trat ihm auch sofort ein Wächter jener strengen Hausordnung in Gestalt des Beleuchtungsinspektors entgegen, welcher ihn höflich, aber entschieden darauf aufmerksam machte, daß er ihm den Zutritt nicht gestatten dürfe.

»Ich weiß, ich weiß, lieber Freund,« keuchte der Kammerherr atemlos, indem er dem Beamten gönnerhaft auf die Schulter klopfte. »Sagen Sie mir nur schnell, wo ist der Herr Baron? Ich habe einen Allerhöchsten Auftrag an Fräulein Boland auszurichten.«

Der Inspektor verbeugte sich. »Ah so – dann freilich. . . . Der Herr Baron ist nicht hier; aber ich will das Fräulein herausrufen. Wenn Sie vielleicht im Konversationszimmer einen Augenblick warten wollen?«

Der Kammerherr folgte dem Inspektor auf dem Fuße, unterwegs überaus freundliche Blicke an die zwischen den Coulissen herumstehenden Choristinnen austeilend, soweit sie jung und hübsch waren. Die Thür des Wartezimmers für die Mitwirkenden stand weit offen, und mitten im Zimmer im Kreise einiger Kollegen die glückstrahlende Senta.

Sobald die dicke Gestalt des Kammerherrn auf der Schwelle erschien, flog die kleine Boland auf ihn zu und packte ihn mit dem lauten Ausruf: »Ach, mein goldiges Gönnerchen, da ist es ja!« bei den Schultern. Sie brachte ihr hübsches Gesichtchen mit den von Glück und Schminke hochrot gefärbten Wangen nahe an das seine, guckte ihm zärtlich in die Augen, schüttelte ihn übermütig lachend und wandte sich dann wieder zu ihren Kollegen herum, indem sie halb ironisch, halb elegisch die Frage an sie richtete: »Ist er nicht süß?«

Ehe noch irgend jemand eine Antwort auf diese schwierige Frage gefunden, hatte die Boland schon ihrem Anbeter seinen eignen Riesenkranz, der den ganzen Tisch im Konversationszimmer bedeckte, um den Hals gehängt, so daß sein glühendes Antlitz wie eine seltsame Tropenpflanze aus dem dunkeln Grün hervorleuchtete und die mächtige rote Schleife seine Kniee zusammenzubinden schien. Vergebens war sein sanftes Sträuben, sie hielt ihn immer noch bei den Schultern fest und redete ihn aufs neue mit drolligem Pathos an: »Ich kröne das wahre Verdienst; denn Sie sind es gewesen, mein liebenswürdiger väterlicher Freund, der zuerst mit seltenem Scharfblick das noch verborgene Talent in mir erkannt und durch seine Teilnahme geweckt, mich in meinem künstlerischen Streben auf das wirksamste unterstützt hat. O, mein teurer Herr Kammerherr, wie soll ich Ihnen meine Dankbarkeit beweisen? Ich küsse Ihnen das Herz, mein hoher Gönner.« Und sie beugte sich ein wenig herab und berührte mit ihren geschminkten Lippen den heraldischen Vogel inmitten des großherzoglichen Hausordens, den er auf der linken Brust trug.

Der Baron von der Rast war durchaus nicht thöricht genug, um nicht zu merken, daß die siegestrunkene Sängerin sich in ihrem Uebermut einen etwas dreisten Scherz mit ihm erlaubte – die zuckenden Gesichter der umherstehenden Sänger, der durch die Thür hereinspähenden Chormitglieder zeigten ihm ja auch deutlich genug, wie diese Ansprache gemeint gewesen war. Er mochte sich nicht auslachen lassen von diesen Leuten, und andrerseits konnte er auch dem reizenden Kobold nicht böse sein. Als sie den Kopf emporhob, erfaßte er sie mit raschem Griff und drückte ihr einen schallenden Kuß auf die Wange.

»Dies Zeichen freudigster Anerkennung habe ich Ihnen im Namen unsrer verehrten Frau Thea Lindner zu überbringen,« sagte er und brachte durch diesen schnöden Scherz die Lacher auf seine Seite.

Nun drang die Boland mit Fragen auf ihn ein, wie man sich denn in den Hofkreisen und besonders wie ihre entthronte Vorgängerin sich über ihre Leistung geäußert habe. Dabei zog sie ihn nach einer Ottomane im Hintergrunde des kleinen Zimmers und nötigte ihn, neben ihr Platz zu nehmen. Dann steckte sie ihren hübschen dunklen Kopf mit unter den Lorbeerkranz und blickte halb schalkhaft, halb schmachtend zu ihm auf, wahrend er, mit ihrer Hand spielend, Bericht erstattete.

Er war noch im besten Erzählen begriffen, die Wahrheit aus seiner Phantasie geschmackvoll ergänzend, als völlig unangekündigt der Intendant hereintrat.

Einige Sekunden lang stand der Baron von Camp sprachlos vor Ueberraschung, als er des so traulich gesellten Pärchens in der üppigen grünen Umrahmung gewahr ward. Fräulein Boland sah es sofort seiner Miene an, wie wenig Geschmack er an dieser Überraschung fand. Sie beeilte sich, den Kopf wieder unter dem Kranze hervorzuziehen, und schritt auf ihn zu, um seinem Grimm durch irgend ein scherzendes Wort die Spitze abzubrechen. Aber der gestrenge Chef war durchaus nicht in der Laune, sich von seinem Liebling beschwatzen zu lassen. Er schob sie einfach beiseite und trat mit zornig zusammengezogenen Augenbrauen vor den Baron von der Rast, der jetzt, verlegen lächelnd, den Kranz von seinen Schultern nahm und sich gleichzeitig mit einiger Anstrengung von dem niedrigen Polster emporraffte.

»Sie sind erstaunt, mich hier zu finden, lieber Baron,« begann er möglichst harmlos. »Aber nach diesem pyramidalen Erfolge konnte ich es wirklich nicht unterlassen . . .«

»Herr von der Rast, die Hausordnung ist Ihnen sehr wohl bekannt!« unterbrach ihn der Intendant in einem Tone, der seine unterdrückte Eifersucht nur schlecht verbarg. »Ich muß Sie ersuchen, sofort die Bühne zu verlassen.«

»Na ja doch! werden Sie nur nicht gleich feindlich, lieber Herr Amtsbruder!« versuchte der Kammerherr zu scherzen. »Man wird doch mal seine reine Begeisterung in allen Ehren an den Mann . . . ich wollte sagen, an das Mädchen bringen können.«

»Sie wissen recht gut, daß das an meinem Institut nicht Sitte ist. Ich möchte wissen, woher Sie die Berechtigung für sich ableiten, hier einzudringen, da Sie doch zu den Mitgliedern des Theaters in absolut keiner andern Beziehung stehen als irgend ein Zuschauer.«

»Ich in keiner andern Beziehung . . .!? O, ich will . . .« brauste der Kammerherr auf.

Es war für die Umstehenden sehr spaßhaft anzusehen, wie die beiden wohlbeleibten Herren in ihren goldgestickten Galauniformen einander so wie die Kampfhähne auf Armlänge gegenübertraten. Der Baron von der Rast brach kurz ab – er merkte, daß er im Begriff gestanden hatte, sich eine arge Blöße zu geben. Er schluckte seinen Aerger hinunter und wandte sich mit seinem gewohnten Lächeln an die hinter ihm stehende Sängerin, beugte sich zu einem flüchtigen Kusse auf ihre Hand hinab und sagte: »Ich hätte nie geglaubt, daß eine so gewichtige Persönlichkeit wie ich so leicht hinauszuwerfen sei. Ich gratuliere Ihrem gestrengen Chef zu dieser Kraftprobe. Aber mein Unsterbliches lasse ich in Ihren schönen Händen zurück, mein Fräulein.«

Mit dieser sinnigen Aeußerung zog er sich würdevollen Schrittes zurück. Er wußte recht gut, daß der Intendant ihn haßte als den Mann, der, das schwarze Herz voll böser Wünsche, auf das Freiwerden seiner Stellung lauerte. Mit welcher Genugthuung er wohl die Gelegenheit ergriffen haben mochte, den verhaßten Anwärter auf seine Nachfolgerschaft von der Bühne zu weisen! Aber sein Abgang war nicht so übel gewesen! Es hatte den Herrn von Camp sichtlich geärgert, daß er nicht wie ein beschnieener Pudel davongeschlichen war. O, er wollte ihn noch weit mehr ärgern – und mit dem harmlosesten Lächeln von der Welt betrat er die Loge des Intendanten.

Auf einem erhöhten Lehnstuhl, hinter dem roten Vorhang wohl verborgen, saß die kleine Baronin Camp, eine einfache, zarte Dame, die mit ihrem grauen Haar viel älter aussah, als sie wirklich war, und auf einem niedrigen Stuhl vor ihr Wally von Katz, die, einer liebenswürdigen Regung folgend, gekommen war, um der wenig beachteten Baronin aus ihrem großen Sack voll Neuigkeiten ganz geschwind einige Leckerbissen zuzustecken.

Baron von der Rast schob den Kopf zur Thür herein und rief, der kleinen Hofdame vergnügt zulächelnd: »Ah, ich sehe, ich bin hier überflüssig! Der Kurier mit den neuesten Nachrichten vom Kriegsschauplatz ist ja bereits eingetroffen.« Dann aber, der freundlichen Aufforderung der Intendantin folgend, trat er doch näher und küßte der Dame die Hand. »Nun, was sagen Sie, gnädige Frau? Großer Sieg auf der ganzen Linie! Ich habe sofort eine chiffrierte Depesche an Seine Excellenz den Grafen Worbis abgesandt.«

»Daß Sie doch immer boshaft sein müssen!« sagte die Baronin und drohte ihm, matt lächelnd, mit dem Finger. »Ich muß sagen, mir thut die arme Lindner recht leid, obwohl sie sich, wie ich höre, etwas auffallend benommen hat.«

»O! wenn Sie sich nach der Aera Lindner zurücksehnen, meine gnädigste Frau – dazu könnte wohl Rat werden,« begann der Kammerherr geheimnisvoll. »Ich muß gestehen, unsre junge Diva hat es mir heute derartig angethan, daß ich die größte Lust hätte, sie Ihrem Herrn Gemahl abspenstig zu machen.«

»Wie das?« fragte die kleine Dame. »Sind Sie denn etwa ein verkappter Bevollmächtigter eines andern Theaters?«

Der Kammerherr schlug sich auf den Mund. »O weh! Ich habe schon zu viel gesagt! Verraten Sie mich nur nicht Ihrem Herrn Gemahl, gnädige Frau! Ich fürchte so wie so, wir werden hart aneinander geraten dieser reizenden Senta wegen. Ihr Herr Gemahl scheint sie ja sehr, sehr hoch zu schätzen.«

»Ja, allerdings!« versetzte Frau von Camp, ein wenig errötend. »Er hat sich ja auch sehr viel Mühe mit ihr gegeben, und gerade diese Partie hat er ihr in letzter Zeit nach der darstellerischen Seite hin so sorgfältig einstudiert . . . Sie war fast täglich bei uns! Ich glaube, mein Mann darf sich wohl einen Teil des heutigen Erfolges gut schreiben.«

Der Kammerherr begleitete die Rede der Baronin mit seinem gewohnten halb ironischen Lächeln und setzte dadurch die schüchterne Frau in einige Verlegenheit. Sie konnte ihn im Grunde ebensowenig leiden wie ihr Gatte, war aber in ihrer grenzenlosen Gutmütigkeit seiner versteckten Bosheit gegenüber völlig wehrlos.

Fräulein von Katz kam ihr geschickt zu Hilfe, indem sie das Gespräch auf das Brautpaar lenkte und allerlei nichtsnutzige, aber drollige Bemerkungen über die durchlauchtige Medizinalrätin, sowie über deren neue geistliche Verwandtschaft zum besten gab.

Das Gespräch wurde unterbrochen durch den Eintritt des Grafen Bracke, welcher im Auftrage der Prinzessin Eleonore erschien, um das Fräulein von Katz auf ihren Posten zurückzurufen.

»Uebrigens,« setzte der schmucke Adjutant, zu Herrn von der Rast gewendet, hinzu, »der Erbgroßherzog hat nach Ihnen gefragt.«

»Ich komme sofort,« versetzte der Kammerherr. »Nur noch wenige Minuten! Sie verzeihen – eine kleine verschwiegene Angelegenheit mit der gnädigsten Frau.«

»O, wir sind diskret!« sagte Fräulein von Katz, mit einem neugierigen Blick auf den dicken Baron, und dann huschte sie, von ihrem schüchternen Anbeter gefolgt, zur Thür hinaus.

Der Kammerherr horchte einen Augenblick hinaus und setzte sich dann mit geheimnisvoller Miene neben die schon wieder befangen errötende Intendantin.

»Ich habe mir vorhin eine unvorsichtige Andeutung entschlüpfen lassen, meine Gnädigste,« begann er gedämpften Tones. »Aber ich kenne ja Ihr gutes Herz und Ihre Verschwiegenheit, und das verleiht mir den Mut, Sie zu bitten . . . ah, hm! Kurz und gut: Wie denken Sie über Fräulein Boland? Ich meine nicht als Künstlerin – in Bezug auf ihre persönlichen Eigenschaften? Sie haben ja durch den täglichen, ich darf wohl sagen intimen Verkehr mit der jungen Dame gewiß Gelegenheit genug gefunden, sich über sie ein Urteil zu bilden.«

»O, ich kann nicht anders sagen,« versetzte die gute Baronin etwas unsicher, »sie hat mir von Anfang an einen recht angenehmen Eindruck gemacht.«

»In der That? – Ja, Sie müssen schon verzeihen, gnädige Frau, daß ich Sie mit dieser Affaire zu belästigen wage; aber der Scharfblick einer klugen, erfahrenen Dame ist der sicherste Pilot für einen verliebten Mann. Haha! Uebrigens, Ihr Herr Gemahl wäre wohl auch in dieser Sache etwas allzu sehr Partei gewesen,«

»Wie meinen Sie das?«

»O, ich . . . Wer sollte ein so bezauberndes Mädchen nicht entzückend finden? – Also, Sie meinen wirklich, gnädige Frau, daß Fräulein Boland . . . ah – Sie halten sie für comme il faut

»O gewiß – ein charmantes, heiteres Mädchen!«

»Nicht wahr? Wie freue ich mich, daß unsre Ansichten so übereinstimmen! Tausend Dank, meine gnädige Frau! Und – Diskretion, nicht wahr?« Der Kammerherr stand auf und verabschiedete sich mit einem Handkuß.

»Ja, haben Sie denn wirklich ernste Absichten?« wagte endlich die kleine Dame mit verlegener Neugier zu fragen.

Und der Kammerherr tippte bedeutungsvoll auf sein Herz und sagte: »Es gärt noch!« Dann machte er eine abermalige rasche Verbeugung und verließ die Intendantenloge. –

In demselben Augenblick, wo er über die Schwelle in den engen Vorraum trat, löste sich Wally von Katz mit einem kleinen erschrockenen »O weh!« aus den Armen des Grafen Bracke, der seinerseits noch viel tiefer errötete als das kleine Fräulein und sich mit einem verlegenen »Pardon!«, als hätte er ihm auf den Fuß getreten, vor dem Kammerherrn verbeugte.

Der riß seine kleine Aeuglein weit auf und drohte mit seinem breitesten Lächeln dem ertappten Liebespaar.

»Ei, ei! – Oder darf man gratulieren?«

Wally suchte in großer Hast ihr duftiges Spitzentüchlein hervor, kehrte ihr Gesicht nach der Wand zu und versuchte zu weinen. »Sie alter, gräßlicher Mensch, Sie!« schalt sie unter ihren Händen hervor, die sie kindisch an die Augen gedrückt hielt. »Natürlich bringen Sie das jetzt sofort in der ganzen Residenz herum!«

»O, bitte recht sehr! Sie kränken mich tief!« flüsterte der Kammerherr, dicht hinter sie tretend. »Sie haben nur zu befehlen, und Ihr süßes Geheimnis bleibt in meinem verschwiegenen Busen begraben bis zum jüngsten Tage!«

Dieser kleine Aufenthalt hatte genügt, um das zaghafte Gemüt des verliebten Husaren zur Entscheidung zu treiben. Mit leichter Befangenheit, die sein frisches Gesicht geradezu anmutig erscheinen ließ, trat er dem Baron einen Schritt näher und sagte: »O, bitte sehr! Sie brauchen Ihren verschwiegenen Busen gar nicht anzustrengen. Wir haben uns soeben zwischen Thür und Angel verlobt.«

»Bravo! bravo!« rief der Kammerherr ein wenig doppelsinnig, indem er zuerst Wally von Katz die Hand schüttelte. »Nein, was wird die durchlauchtige Medizinalrätin sich freuen, daß ihr bräutliches Glück so unwiderstehlich ansteckend auf die jungen Herzen wirkt!«

Und dann schritt er lachend voran und das junge Pärchen, ganz kecklich Arm in Arm, hinter ihm drein.

»Habe ich es so recht gemacht?« flüsterte Graf Bracke dem glückstrahlenden kleinen Fräulein unterwegs zu.

»Gräßlich lange hast du mich zappeln lassen,« tuschelte sie zurück, »Und ich glaube, wenn dieser alte Ekel uns nicht ertappt hätte . . .«

»O nein, gewiß nicht! Heute abend beim Balle wollte ich die Schicksalsfrage thun, auf Ehre!«

»Ja, ja, Sie hatten ja auch guten Grund, an Ihrer Unwiderstehlichkeit zu zweifeln, Herr Lieutenant! Wenn Sie mich nicht so heillos kompromittiert hätten, so würde ich mich natürlich noch sehr bedacht haben, ob ich es mit einem solchen notorischen Schmetterling wagen dürfte.«

»Ich Schmetterling? O, o! Höchstens äußerlich!«

»Also ein Lamm im Wolfskleide!« kicherte sie. »Nun, sei nur still! Ich weiß ja – du bist einfach süß, Wölfchen!« – –

Noch bevor der dritte Akt begann, hatte das Brautpaar die Glückwünsche der hohen und höchsten Herrschaften in Empfang genommen.

Der Erbgroßherzog aber winkte, ehe er seiner Schwester und den übrigen Herrschaften vom Hofe in die Loge folgte, den Kammerherrn von der Rast zu sich heran und fragte ihn, ob er keinen Brief für ihn abzugeben habe.

»Jawohl, Königliche Hoheit! Allerdings! Ich wagte nicht in Anwesenheit . . .«

Der Kammerherr kam ins Stottern, denn er hatte thatsächlich gar nicht mehr daran gedacht, daß er ein Schreiben Melanies bei sich trug.

Georg Friedrich biß sich auf die Lippen, überzeugte sich durch einen raschen Umblick, daß er unbeobachtet sei, und steckte dann das dargereichte Schreiben in größter Hast zu sich. Er schritt bis an die Flügelthür der Hofloge, blieb dort stehen, strich sich mit der Hand über die Stirn, sann einen Augenblick nach und sagte dann, zu dem Kammerherrn gewendet: »Ach, lieber Rast, gehen Sie doch hinein und sagen Sie meiner Schwester, ich hätte Kopfschmerzen. Ich wollte mir den dritten Akt in der kleinen Loge anhören.«

Der Baron verbeugte sich, und der Erbgroßherzog schritt rasch an ihm vorüber nach der äußeren Thür.

O, wie viel freudig erregte Gesichter gab es doch heute im großherzoglichen Hoftheater! Nicht einmal der unheimlich gellende Chor der gespenstischen Holländermannschaften vermochte dieses Wölfchen Bracke oder diese Wally von Katz mit achtungsvollem Schauder zu erfüllen! In der hintersten Stuhlreihe der Hofloge, ganz oben in der Ecke waren sie dicht zusammengerückt, und sie rieb, leise kichernd, ihre Schulter ein ganz klein wenig an seinem Aermel, und er trat sie, listig lächelnd, ein ganz klein wenig auf die Zehen – und das fanden diese lieben Kinder ungemein spaßhaft! Die andern Hofchargen in der Loge wie auch die Crême ringsum im ersten Rang wandten die neugierigen Blicke immer wieder von der Bühne ab und diesem jüngsten Brautpaar zu, und schienen an seinem kindischen Spiel mehr Gefallen zu finden, als an dem leidenschaftlichen Vorgang auf der Bühne.

Auch der Kammerherr von der Rast saß so behäbig auf seinem Sessel und lächelte so überaus wonnig, als würde nicht der fliegende Holländer, sondern eine pikante französische Komödie dort unten dargestellt.

O, dieser Baron von Camp! Wie der sich wohl giften würde, wenn ihm seine harmlose Gattin wiedererzählte, was er so geheimnisvoll mit ihr verhandelt hatte! O nein, er war nicht der Mann, um sich von einem Herrn von Camp ungestraft blamieren zu lassen!

Und das übrige Publikum freute sich des Sieges der Jugend im großherzoglichen Hoftheater und jubelte dem Fräulein Boland zu. Und das geistliche Ehepaar Cordell, das nach dem Weggang des jungen Paares in die erste Reihe eingerückt war, glaubte wenigstens in Vertretung lächeln zu müssen, obschon die Musik eben nicht nach des Herrn Pastors frühklassischem Geschmacke war und die Frau Pastorin mit der armen Senta ein Mitleid fühlte, wie etwa mit der heiligen Genoveva, die daheim auf der Pfarre über dem Sofa ihres Wohnzimmers hing.

Nur aus der großherzoglichen Prosceniumsloge starrte hinter der hochgezogenen Schiebewand hervor ein bleiches, verstörtes Antlitz teilnahmlos auf die Bühne hinunter. In seinen krampfhaft geballten Händen zerknitterte Georg Friedrich Melanies Brief, und lauter, gellender als das leidenschaftliche Wühlen des vollen Orchesters drang ihm der Verzweiflungsschrei der Geliebten, der aus diesen von Thränen verwischten Zeilen herausklang, durch die gemarterte Seele: Komm! Rette mich vor der Schande oder laß mich mit dir sterben!



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