Ernst von Wolzogen
Der Thronfolger - Erster Band
Ernst von Wolzogen

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Viertes Kapitel.

Handelt von Schlittenrecht und anderem Unfug mehr.

Um zwei Uhr des Nachmittags setzte sich von dem großherzoglichen Residenzschlosse aus die lange Reihe der Schlitten in Bewegung, welche die eingeladenen Gäste nach dem etwa zwei Meilen entfernten Lustschlößchen Monrepos entführen sollten. Eine große Schar neugieriger Residenzler hatte sich vor dem Schlosse versammelt und harrte in respektvoller Geduld des Aufbruchs der glänzenden Gesellschaft, von welcher für diesen besondren Zweck die ältesten Jahrgänge der Unvermählten, sowie die Eltern erwachsener Kinder ausgeschlossen waren. Die Einladungen waren namens des Erbgroßherzogs und der Prinzessin Eleonore ergangen – es sollte eben ein Fest der Jugend für die Jugend werden, und der aufmerksame Beobachter der paarweise in eignen oder vom Hofe zur Verfügung gestellten Schlitten herbeieilenden Gäste mochte wohl zu dem Schlusse kommen, daß für die eingeladenen Herren das vierzigste, für die Damen das dreißigste Lebensjahr als Altersgrenze angenommen worden sei. Es konnte daher nicht fehlen, daß das Erscheinen der Prinzessin Georgine, welcher der Gothaische Hofkalender mit rücksichtsloser Genauigkeit zweiundvierzig Sommer zumaß, ebenso wie die Beteiligung des Geheimen Medizinalrats Professor Doktor Cordell zu allerlei stacheligen Mutmaßungen und gekicherten Erklärungen Veranlassung gab. Auch unter den Teilnehmern an dem Ausflug selbst erregte die überraschende Anwesenheit dieser würdigen Herrschaften nicht geringe Heiterkeit, wenngleich der Flügeladjutant Prinz Usingen die offizielle Erklärung dieser auffälligen Inkonsequenz mit möglichst ernsthafter Miene dahin abgab, daß man die Gemüter ängstlicher Mütter durch Anstellung einer zweifellosen Anstandstante zu beruhigen und den bei Schlittenfahrten so beliebten Unglücksfällen durch Mitnahme einer gleichfalls zweifellosen ärztlichen »Autorität« vorbeugen zu müssen geglaubt habe.

Unter Führung von zwei Spitzenreitern im Kostüm des Zeitalters Ludwigs XVI. und unter Eskorte sämtlicher vier Kammerhusaren und noch einiger weiterer Reitknechte setzte sich der glänzende Zug pünktlich zur angegebenen Stunde in Bewegung. Aus der historischen Abteilung des großherzoglichen Wagenparkes waren einige Prachtstücke von Rokokoschlitten hervorgeholt und für diese Gelegenheit in stand gesetzt, ja sogar neu vergoldet worden. Der erste Schlitten, in welchem Georg Friedrich mit seiner Schwester saß, stellte einen goldnen Schwan mit sanft geblähten Flügeln dar; das zweite Prachtstück eine Muschel, aus welcher sich vorn mit nacktem Oberkörper eine jugendliche Frauengestalt emporreckte, auf deren hoch erhobenem rechten Arm sich ein paar Tauben niedergelassen hatten – also wohl so eine Art Geburt der Venus im Zopfgeschmack. In diesem kosigen Gefährt hatte sinnigerweise Prinzessin Chochotte Platz genommen, und an ihre erlauchte Seite war der Adjutant des Erbgroßherzogs, der niedliche Husarenlieutenant Graf Bracke, befohlen worden. Dann folgte im eignen Schlitten, den zwei prachtvolle Schimmel zogen, über deren Rücken sich eine blau- und orangegestreifte seidene Decke blähte, Prinz Usingen mit seiner schönen jungen Gemahlin. Auch von den übrigen zwölf Schlitten stammten noch mehrere aus der fürstlichen Remise; unter dem Rest waren, da sich unter der Hofgesellschaft nur sehr wenige reiche Leute befanden, welche sich den Luxus eines eleganten Schlittens gestatten konnten, mehrere Lohnfuhrwerke und sonstige wenig aristokratische Fahrzeuge vertreten, was aber die gute Laune ihrer Insassen keineswegs beeinträchtigte. Das gesunde Karmin, das aller Wangen, der Lieutenants wie der jungen Damen, heute so gleichmäßig frisch erscheinen ließ, stammte offenbar aus dem gemeinsamen Schminktopfe freudiger Erwartung. Unter den Insassen der Hofschlitten fielen als besonders hübsche Paare noch auf: das Fräulein von Katz an der Seite des schönen Medizinalrats, und Melanie von Treysa an der Seite des braungebrannten Orientreisenden Baron Kospoth. Man hatte absichtlich junge Ehepaare, Geschwister, Verwandte und unverdächtige gute Freunde zusammengepaart, um nicht etwa die moralische Entrüstung des soliden Bürgertums herauszufordern – für die Rückfahrt im Dunkeln plante man dagegen heimlich ganz andre Dinge.

Mit lustigem, hellem Geklingel jagte der glänzende Schlittenzug durch den Park, um dann, langsamer bergaufklimmend, an der Hofjägerei vorbei, die Chaussee zu erreichen, welche nach Monrepos hinausführte. Die anfängliche Fahrordnung löste sich bald genug auf, da die braven Mietgäule nicht gar lange mit den feurigen Trabern des fürstlichen Marstalles Schritt zu halten vermochten. Aber das übermütige Wettfahren erhöhte nur das Vergnügen, und zwischen den dunkeln Tannenwänden des Forstes, durch den die Fahrt der letzten halben Stunde ging, hallten die anspornenden Zurufe, das Lachen und Schwatzen nur um so fröhlicher wieder. Man legte die zwei Meilen in kaum mehr als einer Stunde zurück und langte vor dem Lustschlößchen an, als eben der matt glühende riesige Sonnenball sich anschickte, hinter die dunkelblaue Wand der Bergkette im Westen niederzusinken. Die zuerst Angekommenen stellten sich vor der Einfahrt auf, um, dem Beispiele der fürstlichen Herrschaften folgend, die Nachzügler mit einem Schnellfeuer von Schneebällen zu empfangen, wofür jene sich beeilten, Rache zu nehmen, so daß, als alle beisammen waren, ein wildfröhliches Kampfgetümmel auf dem tief verschneiten Rasenplan vor dem Schlößchen toste. Seine königliche Hoheit der Erbgroßherzog nahm es gar nicht übel, als ihm Wally von Katz durch einen wohlgezielten Wurf die Pelzmütze vom Kopfe schleuderte, und selbst Prinzessin Chochotte samt ihrem weißbärtigen Leibmedikus, welche beiden allein sich von dem Kampfgetümmel fernhielten, wurden hin und wieder von einem verirrten Geschoß getroffen und sahen sich genötigt, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Hier und dort wurden sogar in ganz homerischem Stile Einzelkämpfe ausgefochten, wobei die Herren allerdings galant genug waren, sich absichtlich den ungeschickten Würfen der Damen auszusetzen und mit ihren besser gezielten Geschossen den erbitterten Amazonen so wenig Schaden zuzufügen wie nur möglich. Auch Melanie von Treysa, welche durch das Erlebnis des Vormittags ernst gestimmt und unterwegs mit erklärlicher Befangenheit den Jugendfreund die Kosten der Unterhaltung fast allein hatte bestreiten lassen, auch sie wurde bald von dem lachenden Uebermute der andern angesteckt und beteiligte sich mit glühendem Eifer an dem lustigen Scharmützel. Vornehmlich lieh sie der Prinzessin Eleonore kräftigen Beistand, die es ganz besonders auf Hans Jochen abgesehen hatte. Er war schon recht übel zugerichtet, als sein fürstlicher Freund und Gönner ihm dadurch zu Hilfe kam, daß er einen Angriff auf Melanie eröffnete und dieser dadurch die Verfolgung des fliehenden Gegners unmöglich machte. Die Prinzessin dagegen, welche heute mit ihren frischen Farben wirklich sehr hübsch aussah, verfolgte Kospoth bis hinter das Schloß, wo er sich ihr endlich zu Füßen warf, um sich auf Gnade und Ungnade zu ergeben. Viel lieber hätte sie es freilich gesehen, wenn er, allen Respekt beiseite setzend, von dem Recht des Stärkeren Gebrauch gemacht hätte. Sie hatte es sich so hübsch gedacht, wie sie in mädchenhafter Angst vor ihm niederknieen und mit sprechendem Augenaufschlag um Gnade bitten wollte! Nun aber benahm er sich nur, wie sich jeder beliebige Höfling, der da weiß, daß es gefährlich ist, mit Fürstlichkeiten zu scherzen, auch benommen hätte. Er ließ sich willig von ihr die Hände mit ihrem Taschentuch zusammenbinden und als Gefangenen zu den übrigen zurückführen – ja, er versäumte es sogar, sich ihre zarte Fessel als Andenken auszubitten!

Die hereinbrechende Dämmerung machte der Schlacht ein Ende, und man beeilte sich nun, den erkämpften Hunger an den guten Dingen zu stillen, welche das vorausgeschickte Küchenpersonal mitgebracht und da drin im Schlößchen zu einem gar leckeren Stillleben aufgebaut hatte. Man speiste an kleinen Tischen, zu höchstens vier Personen in den behaglich durchwärmten Räumen des oberen Stockwerkes, wobei die Kavaliere selbst die Speisen für ihre Damen vom Büffett herbeiholen mußten. Dann ging es hinunter in den geräumigen Gartensalon, den freilich die beiden Kamine mit dem lodernden Klobenfeuer darin nicht allzusehr zu erwärmen vermochten, welchem Uebelstande man dadurch abzuhelfen suchte, daß man zur inneren Erwärmung fleißig Punsch und heiße Fettkräpfel herumreichen ließ. Mit besondrem Jubel wurde die drollige Ueberraschung aufgenommen, die der Erbgroßherzog, seinen Gästen dadurch bereitete, daß er eine ganz echte Bauernkapelle aus dem nächstgelegenen Dorfe hierher bestellt hatte, um den hohen Herrschaften zum Tanze aufzuspielen. Diese Banda nazionale setzte sich zusammen aus zwei Geigen, einer greulich quietschenden Klarinette, einer grausam verstimmten Trompete, einer Posaune und einem dreisaitigen Kontrabaß. Aber die frische Winterluft hatte die Nerven des jungen Volkes dermaßen gestählt, daß ihnen das ohrenzerreißende Gelärm dieser plebejischen Musik ein ganz außerordentliches Vergnügen bereitete. Es wurde in dem verhältnismäßig beschränkten Raume mit einer bei Hofe wohl kaum je gesehenen Ausgelassenheit und Unermüdlichkeit getanzt; selbst der Geheime Medizinalrat that es heute dem jüngsten Lieutenant gleich und mußte lachend zugeben, daß er gegen die gefährlichen Folgen der nassen Füße, die man sich vorhin geholt, kein wirksameres Mittel als dieses energische Tanzvergnügen hatte empfehlen können. Zum Schlusse des ländlichen Balles improvisierte der geniale Vortänzer, Graf Bracke, einen Kotillon ohne alle Apparate, der aber darum nur um so größere Heiterkeit erregte.

Der Zufall der letzten Tour sollte zugleich die Frage der Gruppierung auf dem Heimwege entscheiden. Der Erbgroßherzog mußte das Schicksal spielen und blindlings den Damen, welche Graf Bracke der Reihe nach aufmarschieren ließ, ihre Herren zuweisen. Das Ergebnis dieser blinden Wahl gesellte der Prinzessin Eleonore den Baron Kospoth, der Prinzessin Georgine den schönen Professor, und den Thronfolger selber dem zuletzt aufgeführten Fräulein von Treysa. Diese merkwürdige Feinfühligkeit des Zufalls konnte natürlich nicht verfehlen, etliches Mißtrauen zu erregen, und selbst die unschuldige Miene des kleinen Bracke vermochte die Zweifler nicht zu überzeugen. Freilich wäre jeder der anwesenden Herren sehr gerne mit der schönen Melanie gefahren – aber die andern jungen Damen waren ja auch recht nett, und so fügte man sich denn allerseits mit heitrer Miene der Laune des Zufalls, welcher gegen die geheimen Wünsche der fürstlichen Herrschaften eine so eigentümliche Zuvorkommenheit bewiesen hatte. Wenn irgend jemand, so war Kospoth fest davon überzeugt, daß der Erbgroßherzog das Spiel mit seinem Adjutanten abgekartet hatte, und die Eifersucht trieb ihm heiße Blutwellen ins Gehirn bei dem Gedanken, in wie enger Gemeinschaft die Geliebte sich nun gleich unter den goldnen Flügeln des Schwans mit dem verliebten Prinzen befinden würde, dessen stürmische Sinnlichkeit er auf der Reise genugsam zu beobachten Gelegenheit gehabt hatte.

Er benutzte die erste beste Gelegenheit, um sich an Melanie heranzudrängen und ihr erregt zuzuflüstern: »Das wird gefährlich, Melanie! Denke daran, daß ich mich vor Eifersucht verzehre!«

»Sie sind aber heute wirklich langweilig, Hans Jochen!« versetzte das schöne, vor übermütiger Jugendlust wahrhaft strahlende Mädchen ganz ärgerlich und so laut, daß die Zunächststehenden es hören konnten.

Das Fräulein von Katz hatte auch sehr wohl die unheimlich funkelnden Augen und das verräterische Spiel der Muskeln in Kospoths erregtem Gesicht beobachtet. Sie ergriff ihn zutraulich am Arme, als er sich anschickte, die Gruppe zu verlassen, und raunte ihm zu: »Hören Sie mal, lieber Baron, mit dieser Jammermiene dürfen Sie sich aber durchaus nicht zu meiner gnädigsten Herrschaft in den Schlitten setzen! Sie werden doch nicht so ungezogen sein, sie merken zu lassen, daß Sie lieber mit Melanie von Treysa gefahren wären? Ich kann Ihnen ganz im Vertrauen verraten, daß die Prinzessin sehr glücklich ist, daß gerade Sie ihr zugefallen sind. Und wenn Sie mal ein bißchen keck sein möchten – es wäre wahrhaftig höchste Zeit! Die Treysa hat wirklich recht, Sie sind schrecklich langweilig, Herr Professor.«

Der Tumult des Aufbruchs ersparte Hans Joachim die Verlegenheit, antworten zu müssen. – –

Mit Pechfackeln ausgerüstet stand die reitende Eskorte in Linie vor dem Schlosse aufmarschiert, um den Herrschaften beim Einsteigen zu leuchten. Es war ein phantastisches Bild von seltsam malerischer Wirkung, wie sich von den hoch erhobenen Pechfackeln der buntgekleideten Reiter die schwarze Rauchwolke kraus zusammenballte, sich rückwärts in einiger Entfernung herabsenkte auf den gespenstisch leuchtenden Schnee, um sich endlich zwischen den dunkel aufragenden Baumstämmen des Schloßparkes zu verkriechen – wie der Wiederschein des gelbrot schwälenden Feuers auf der Schneedecke hin und her huschte, seltsame, tanzende Lichtbilder darauf werfend – und wie dieses unheimliche feierliche Licht all die lachenden, lustigen Menschen, die aufgeregten Pferde, die bereits ungeduldig den bunten Federschmuck ihrer Köpfe schüttelten und ihre Schellen klingeln ließen, mit seinem roten Dunstschleier umhüllte, aus welchem nur die Rückstrahlungen besonders hervorspringender Teile des vergoldeten Zierats wie der metallenen Beschläge am Geschirr hell flimmernde Sterne auftauchen ließen.

Die Führung übernahm auch auf dem Rückwege wieder der Schwanenschlitten des Erbgroßherzogs, der mit zwei feurigen Isabellenhengsten bespannt war. Ihm folgte als zweiter ein gleichfalls noch dem vorigen Jahrhundert entstammender Hofschlitten, in welchem die von dem anstrengenden Tanz und ungewohnten Punschgenuß stark erhitzte Prinzessin Chochotte mit ihrem gelehrten Kavalier Platz genommen hatte, und erst als dritter in der Reihe der Venusschlitten, welchen diesmal Prinzessin Eleonore mit dem Baron Kospoth inne hatte. Graf Bracke hatte die kleine Katz zur Partnerin, Prinzessin Usingen den jüngsten Lieutenant der Garnison zum Kavalier erhalten, der der stattlichen, hohen Frau nur eben bis an die Schulter reichte und sich an ihrer Seite, von ihr sorgsam in das Eisbärenfell miteingewickelt, mit seinen glatten roten Wangen wie ein recht gesundes Riesenbaby ausnahm. Und so ging es fort in ergötzlich launischer Paarung bis zum fünfzehnten und letzten Schlitten.

Wie sorgsam hatte der galante Erbgroßherzog Melanies kleine Füße in den Pelzsack gesteckt, ihre ganze Gestalt mit Tüchern und Decken warm umhüllt und endlich den üppigen Zobelpelz über ihrer beider Kniee gezogen! Es war so wenig Raum auf dem schmalen Rücksitze des Schlittens, daß sich das Paar notgedrungen eng aneinander schmiegen mußte; zudem konnte Melanie, so fest eingewickelt, wie sie war, in all die kostbaren Hüllen, ihre Gliedmaßen kaum regen und mußte es sich gefallen lassen, daß Georg Friedrich sie wie ein Paket in seine Arme nahm und fest an sich drückte. Die eigentümliche Form des Schlittens brachte es mit sich, daß der rittlings hintenaufsitzende Kutscher die Insassen nicht sehen konnte, da sich die goldnen Flügel des Schwanes über deren Häuptern zu einer Art Baldachin zusammenwölbten.

Vor ihren Augen schimmerte matt das Gold des schlangenhaft gewundenen Schwanenhalses, die überlangen Schweife der rosiggelben Rosse ließ der ihnen entgegenblasende Wind oft über den Rand des Schlittens hinwegpeitschen; ihre dreifarbigen Federbüsche flatterten und ihre warme Ausdünstung umhüllte sie mit einer Nebelwolke. Etwa fünfzig Schritte vor ihnen galoppierten die Spitzenreiter, deren düster glühende Fackeln wie die roten Augen einer Lokomotive dem klingelnd dahersausenden Zuge voranleuchteten.

Und da waren sie wieder im dunkeln Tannenwald, zwischen dessen schwarzen Wänden der klare Nachthimmel gleich einem Prunkteppich von dunkelblauem Samt, mit silbernen Sternen bestickt, ausgespannt war. Und Melanie von Treysa schaute hinauf zu diesen Sternen und lächelte. Ein stolzes Frohgefühl, das sich sehnte, laut hinaufzujauchzen in die königliche Pracht dieses Himmelszeltes, hob ihr die junge Brust und jagte ihr das Blut rascher denn je zuvor durch die Adern. Sie seufzte tief auf: aber nicht in ängstlicher Befangenheit, zweifelnd an der Wirklichkeit des Märchenzaubers, der so berauschend alle ihre Sinne umfing, sondern im Gegenteil dies alles als etwas ganz Selbstverständliches, als eine ihrer Schönheit zukommende Huldigung empfindend. Sie dachte auch nicht daran, eine wie tiefe Kluft sie von dem Manne trennte, dessen heißer Atem ihre kalten Wangen streifte, dessen glühende Blicke – das empfand sie, obwohl sie zu den Sternen hinaufsah – unverwandt auf ihrem Antlitz ruhten. Sie fühlte sich geboren für den Platz an seiner Seite, und sie hätte sich keinen Augenblick gewundert, wenn diese tolle Fahrt sie geradeswegs zu einer stolzen Kathedrale gebracht und er sie an der Hand zu den Stufen des Hochaltars geleitet hätte, um sie dort krönen zu lassen als seine Königin. Freilich, wenn sie überhaupt im stande gewesen wäre nachzudenken, so hätte sie sich ausgelacht wegen solcher kindlichen Phantasieen – aber sie dachte eben gar nicht, sie empfand nur voll ihr üppiges junges Leben, die selige Wirklichkeit des Gegenwärtigen – und alles war so ungemein einfach und selbstverständlich!

»Ich fordre nun mein Schlittenrecht,« flüsterte Georg Friedrich ihr ins Ohr.

Bei dem Sausen des Windes, bei dem hellen Silbergeläute hatte sie ihn nicht verstanden, aber sie wandte ihre glänzenden braunen Augen von den Steinen zu ihm und blickte lächelnd zu ihm auf. Da fühlte sie plötzlich seine Lippen auf den ihren. Sie wußte nicht, wie ihr geschah – doch auch dies war so selbstverständlich – es mußte wohl zu dem übrigen so dazu gehören! Und sie duldete es ohne Widerstand, daß in langem, heißem Kusse sein Mund sich an dem ihren festsog.

»Ich liebe dich, Melanie! Dazu mußte ich die Welt durchreisen, um dich hier im heimischen Walde zu finden, mein süßes Kleinod! – Ich bin dein, du bist mein – du hast deinen kleinen Fuß auf meinen Nacken gesetzt – es ist gut so; laß mich so liegen, das Haupt vor dir in Demut gebeugt – ich bin dein Sklave, du Herrliche . . .«

Und der Prinz berauschte sich an seinen eignen schönen Worten, flüsterte und stammelte immer weiter. Alles, was von poetischer Einbildungskraft in seiner empfänglichen Seele schlummerte, wurde wach in dieser seligsten Stunde seines Lebens und fand ungesucht einen Ausdruck, wie er dem frivolen, verwöhnten jungen Manne bisher niemals eigentümlich gewesen war.

»Hast du es denn nicht auch gefühlt, Mädchen, vom ersten Augenblicke an, daß wir füreinander bestimmt sind? – Liebst du mich – sprich, Melanie, sage doch: liebst du mich nicht auch?«

Sie fand keine Antwort; halbverstanden nur klangen die berauschenden Worte des Prinzen ihr ins Ohr, gleichsam als tiefere Goldtöne sich abhebend aus dem silbernen Klingklang des Schellengeläutes, das mit seinem lieblichen Gekicher die kalte, schweigende Nacht so lustig belebte. Sie sprach kein Wort, sondern wischte nur immer wieder in traumverlorenem Lächeln nach jedem seiner Küsse die Tauspuren seines Schnurrbartes mit der weißen Federboa von ihren Wangen und Lippen. – – –

In dem Venusschlitten dagegen war es die Dame, welche fast ausschließlich die Unterhaltung führte; denn es wollte dem armen Hans Jochen durchaus nicht gelingen, seiner selbstquälerischen Verbitterung Herr zu werden und sich zur Erfüllung seiner Ritterpflicht zu zwingen.

Die Prinzessin begann von der Schönheit dieser Nacht zu schwärmen – er pflichtete ihr einsilbig bei. Sie beklagte in elegischem Tone das Los eines auf dem Throne geborenen Mädchens, dem es so selten vergönnt sei, rein menschliche Freuden nach Herzenslust harmlos zu genießen. Er entdeckte nicht den tieferen Sinn, den sie in ihren Worten versteckte, und fand als Erwiderung nur gleichgültige Redensarten. Sie fing an von ihrem Bruder zu sprechen und von dem tiefen Eindruck, den das schöne Fräulein von Treysa auf sein Herz gemacht habe – da verstummte er gänzlich.

Nun gab sie endlich ihr fruchtloses Bemühen auf, flüsterte, in sich zusammenschauernd: »Es ist doch bitter kalt!« und dann lehnte sie sich, ihren Pelzmantel fester um sich raffend, zurück und schloß die Augen.

Auch Kospoth drückte seine brennenden Lider zu und begann zu träumen. Vor seinem Blicke erschien die kleine fünfjährige Melanie, wie er sie auf sein Pony gehoben hatte und mit ihr im Parke von Treysa herumgetrabt war. Und dann sah er das reizend knospende junge Mädchen mit seiner raschen, anmutig tappigen Beweglichkeit, wie es zu den Weihnachtsferien aus der Dresdener Pension nach Hause gekommen, und sich selbst als hochgelehrten Studenten in höheren Semestern, der mit so lächerlichem Ernste beflissen war, ihre kindlichen Einbildungen zu zerstören und von allem Menschenthun, das sie bislang bewundert hatte, den Schleier wegzuziehen. Und endlich durchlebte er wieder den Augenblick des Wiedersehens bei Hofe und fühlte noch einmal das ganz wunderbar schnelle Wachstum seiner Liebe im rasch klopfenden Herzen nach, und in seiner lebhaften Einbildungskraft gestaltete er sich das Ende dieses Tages, von dem er so viel des Glückes erwartet hatte, so aus, wie er es sich auf dem Hinweg erträumte. Er wand seinen Arm um die Schultern der Geliebten, die sich so warm an seine Seite schmiegte, und dann – preßte er den ersten Kuß bräutlicher Liebe auf ihre ihm halbgeöffnet entgegenschmachtenden Lippen . . .

»Mein Gott! was haben Sie gethan?« seufzte die Prinzessin, indem sie sich sanft seinen Armen entwand. »Wenn das der Kutscher gesehen hat!« flüsterte sie, sich wieder zu ihm beugend, und sah ihn dabei mit so beglückter Befangenheit von der Seite an, daß er wohl merken mußte, wie wenig ernst es ihr mit ihrem Vorwurfe sei.

Hans Joachim riß ganz erstaunt seine Augen auf und konnte kaum begreifen, wie er zu der Kühnheit gekommen war, die Prinzessin zu küssen. »Verzeihung, Hoheit – ich glaubte . . . das Schlittenrecht . . .«

Da gab es plötzlich unmittelbar vor ihnen ein lautes Knacken und Krachen, gefolgt von dem angstvollen Gekreisch einer Frauenstimme.

Bei einer scharfen Biegung des Weges war der Schlitten der Prinzessin Georgine ziemlich unsanft gegen einen Baumstamm geschleudert worden, wobei die altersschwache Kufe zerbrach und bei dem plötzlichen Umkippen nach der äußeren Seite sowohl die gewichtige kleine Prinzessin wie der ehrwürdige Geheime Medizinalrat in den tiefen Schnee des Chausseegrabens geflogen waren. Der Kutscher war höchst unsanft mit der Nase gegen den hohen Rand des Schlittens gestoßen, hatte sich aber noch im Sattel zu halten vermocht und die Zügel nicht aus der Hand gelassen. Alle die nachfolgenden Schlitten machten natürlich an der Unglücksstätte Halt und die Herren sprangen heraus, um den beiden Beistand zu leisten. Doch als die qualmenden Fackeln der Reitknechte den mit dem Kopf voran im Schnee steckenden und sich mühsam herausarbeitenden Professor, sowie die verstörten Antlitzes wie ein verängstigtes Hühnchen im Graben sitzende Prinzessin beleuchteten, und als man sie endlich beide wieder auf die Beine gestellt und sich versichert hatte, daß sie sich nicht den geringsten Schaden gethan hatten, da war es niemand mehr möglich, seine Heiterkeit im Zaume zu halten. Unter unauslöschlichem Gelächter und Gekicher, in das die beiden Unglücksgefährten schließlich selbst mit einstimmen mußten, wenn sie ihre Verlegenheit nicht noch verschlimmern wollten, wurden sie getrennt in zwei der geräumigeren Mietsschlitten untergebracht. –

»Wo ist denn mein Bruder geblieben?« fragte die Prinzessin Eleonore erstaunt, als sich der Zug wieder in Bewegung setzte und sie nun ihren Venusschlitten an der Spitze sah.

Kospoth blickte erschrocken um sich – der goldne Schwan war samt den beiden Spitzenreitern im Dunkel der Nacht verschwunden!

Auch der Erbgroßherzog hatte das Krachen und Kreischen hinter sich sehr wohl vernommen, aber alsbald dem Kutscher Befehl gegeben, scharf zuzufahren und sich um nichts zu kümmern. Kaum zehn Minuten später langte sein Schlitten vor der Hofjägerei an. Dort half er Melanie aus ihren warmen Hüllen heraus und geleitete sie die Treppe hinauf.

Der Kammerherr Baron von der Rast hatte das nahende Geklingel gehört und war eiligst zum Fenster gelaufen, um den Zug vorbeikommen zu sehen. – Jetzt stand er, mit der Lampe in der Hand, oben auf der Treppe und leuchtete, mit faunischem Lächeln sich tief verneigend, seinem gnädigsten jungen Herrn und dessen holder Gefährtin entgegen.



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