Ernst von Wolzogen
Der Thronfolger - Erster Band
Ernst von Wolzogen

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Drittes Kapitel.

Treysas ziehen. Stillleben in der Hofjägerei.

Der alte General von Treysa hatte sich schon nach etwa vierzehntägigem Aufenthalt in der Residenz dazu entschließen müssen, sich wenigstens für den Winter mit seinen Damen seßhaft zu machen. Im Grunde genommen hatte er freilich schon nach der ersten Woche von dem Hofleben vollständig genug. Er brummte und wetterte schier den ganzen Tag über die sauren Pflichten, die ihm das höfische Gesellschaftsleben auferlegte, und machte auf der Straße einen weiten Bogen, sobald seine scharfen Jägeraugen einen »Schranzen« in der Ferne sichteten. Er scheute sich nicht, seiner Abneigung gegen diese Menschenklasse bei jeder Gelegenheit den kräftigsten Ausdruck zu geben; ja, er sagte es sogar einigen Hofleuten, ohne in seinem Grimme daran zu denken, daß er ja die Angeredeten mit einschließe, ins Gesicht, daß ihm »ihre Sippschaft speifatal« sei. Aber der wunderliche Alte vom Walde war über die Jahre hinaus, wo man einem dergleichen Grobheiten übel nimmt. Seine Entrüstung gab immer etwas zu lachen und so setzte man seinen Groll gegen die Schranzen in Gemeinschaft mit seinem Grimm gegen deutsches Reich, Parlamentarismus, Gewerbefreiheit, Freizügigkeit u. s. w., u. s. w. auf Rechnung seines querköpfigen Greisentums, ließ seinen Schwächen die weitestgehende Schonung angedeihen und kam ihm und den Seinen allseits mit der größten Liebenswürdigkeit entgegen.

Aber freilich, wer eine so ausnehmend schöne, kluge und herzliebe Tochter sein eigen nennt, der darf auf die unbedingte Hochschätzung seiner Mitmenschen rechnen, und wäre er ein leibhaftiger Oger. Melanie von Treysa war es thatsächlich in diesen vierzehn Tagen gelungen, nicht nur die gesamte Herrenwelt zu ihren Füßen zu bannen, sondern auch den instinktiven Widerstand fast aller Damen der Hofgesellschaft zu überwinden. Es gab eigentlich nur noch zwei Fräulein, deren Stimmen in dem gemischten Chor des Entzückens über Melanie von Treysa fehlten. Das waren die des Fräuleins von Katz, welches sich durch sie aus der Gunst des Thronfolgers verdrängt sah, und die der Komtesse Murbach, welche sich durchaus mit ihrer gesunden Fülle nicht versöhnen konnte. Daß der Erbgroßherzog sterblich in Melanie verliebt sei, lag bald für jedermann offen zu Tage, und daß er in seiner Stellung seine Schwärmerei kecker zum Ausdruck brachte, als die übrigen Opfer ihrer Anmut, das nahm ihm auch niemand ernstlich übel. Ihrem feinen Takt, ihrer gegen alle gleichen Freundlichkeit war es bisher gelungen, eifersüchtige Reibereien zwischen den Herren unmöglich zu machen. Ihre Stimmung wechselte zwischen ausgelassener Fröhlichkeit und einer stillen Nachdenklichkeit, die ihr noch weit lieblicher zu Gesichte stand; aber launisch, verstimmt war sie nie, und auch in ihrem Uebermute wußte sie stets eine sichere Grenze zu ziehen.

So handelten denn die großherzoglichen Herrschaften nur dem allgemeinen Wunsche entsprechend, wenn sie sich alle Mühe gaben, den alten General mit seinen Damen – auch Frau von Treysa hatte sich, trotzdem sie seltener in Gesellschaft erschien, viele Herzen erobert – an die Residenz zu fesseln. Der Erbgroßherzog fand nach einigen mißglückten Versuchen, den widerspenstigen alten Herrn durch kleine Gunstbeweise zu überrumpeln, endlich das richtige Mittel, indem er seinen Vater veranlaßte, ihm die seit einigen Monaten erledigte Stelle des Oberhofjägermeisters anzubieten, mit welcher außer dem Gehalt auch freie Wohnung in dem stattlichen, vor der Stadt am Ausgang des Parkes gelegenen Gebäude der Hofjägerei verbunden war. Der Prinz hatte selbst den alten Grimbart im Hotel aufgesucht und seiner Eitelkeit als unverwüstlichem Nimrod mit solchem Geschick zu schmeicheln gewußt, daß er endlich in die Falle gegangen war. Doch hatte er gebeten, die Uebernahme der Stellung nur als eine bedingte betrachten und sich davon zurückziehen zu dürfen, sobald eine geeignete jüngere Kraft dafür gewonnen werden oder er selbst sich ihren Verpflichtungen nicht mehr gewachsen fühlen sollte.

Am zwanzigsten Januar hatten sich die Treysas bereits recht gemütlich, wenn auch zum großen Teil mit geliehenen Möbeln, im ersten Stock der Hofjägerei eingerichtet. Man hatte ihnen ein paar gute Pferde aus dem großherzoglichen Marstall zur Verfügung gestellt; ein viersitziger Jagdwagen, ein Schlitten u. dgl. gehörten zum Bestande der Jägerei, so daß der alte Herr wieder täglich nach Herzenslust kutschieren konnte. Er ließ sich nun auch seinen alten Diener Friedrich mit seinen beiden Lieblingshunden, einem Teckel Namens Waldmann und einer Hühnerhündin Namens Diana, nach der Stadt kommen; und da er auch in seinem eignen Zimmer qualmen durfte, soviel er Lust hatte, so fehlte ihm eigentlich zu seiner vollkommenen Behaglichkeit nichts weiter als seine weiten, vielgeflickten Beinkleider und seine ebenso uralte Lodenjoppe, deren Benutzung in der Residenz sich seine Damen nachdrücklichst widersetzten. Bei Hofe begann sich der alte Herr, seit man ihn so gnädig in Amt und Würden eingesetzt hatte, immer seltener zu machen, indem er notwendige Inspektionsreisen vorschützte oder auch wohl sich ohne nähere Angabe von Gründen einfach entschuldigen ließ. Die Mutter mußte Melanie begleiten, soviel ihre Kränklichkeit dies zuließ, und war sie ans Zimmer gefesselt, so übernahm die liebenswürdige Prinzessin Usingen gern die Stellvertretung, so daß also die Gesellschaft ihren neuen, glänzendsten Stern selten oder nie zu vermissen brauchte.

Nur ein Umstand störte die Behaglichkeit der Treysas in ihrem neuen Heim – das war die Hausgenossenschaft mit dem dicken Kammerherrn Baron von der Rast, gegen dessen ewig lächelndes fettes Gesicht der alte General einen besonderen Grimm hegte, und dessen selbstgefälliges Wesen, verbunden mit einer gewissen weichlichen Lüsternheit, auch den beiden Damen nichts weniger als sympathisch war. Baron von der Rast bewohnte für gewöhnlich ein halbes Stockwerk des zur Zeit leerstehenden sogenannten Prinzessinnenpalais. Baulicher Veränderungen wegen, die dort vorgenommen wurden, hatte man ihn auf einige Wochen oder vielleicht Monate ausquartiert und ihm in dem geräumigen Oberstockwerk der Jägerei vorläufig drei Zimmer und eine Mansarde überlassen.

Der Kammerherr war Witwer und besaß eine einzige Tochter, Namens Doris, ein armes verwachsenes Mädchen von dreiundzwanzig Jahren, welches sich, durch seine Gebrechlichkeit von allen Vergnügungen seines Alters und Standes ausgeschlossen, mit ziemlichem Talent und rührendem Eifer auf die Malerei geworfen hatte. Fräulein Doris' bescheidenen Ansprüchen genügte die geräumige, nach Norden gelegene Dachstube vollkommen. Sie diente ihr gleichzeitig als Schlafzimmer wie als Atelier, und sie hatte sich mit gutem Geschmack bei geringen Mitteln ihre Einsiedelei so behaglich hergerichtet, daß sie sich gar nichts Besseres wünschte, als immer hier wohnen bleiben zu dürfen und nie mehr in das alte finstere Prinzessinnenpalais zurück zu müssen, wo es nächtens so unheimlich klopfte, raschelte und rumorte – wenn auch nicht von Poltergeistern und abgeschiedenen Seelen, so doch sicherlich von Holzkäfern und Mäusen.

Es hatte sich zwanzig Jahre hindurch ein dunkles Gerücht in der Residenz behauptet, daß die arme Doris von der Rast ihr Gebrechen der brutalen Behandlung verdanke, welche ihre selige Mutter von ihrem Gatten, dem damaligen Husarenoffizier, zu erdulden gehabt habe. Er schien an der unglücklichen Tochter gut machen zu wollen, was er an ihrer Mutter verbrochen hatte; denn was man auch sonst immer dem Baron Übles nachsagen mochte – und dessen war nicht wenig – gegen sein unglückliches Kind hatte er sich nie anders als von zärtlichster Besorgnis erfüllt gezeigt. Er hatte fast sein ganzes Vermögen in einem wilden Jugendleben durchgebracht, nun aber – und besonders, seit Doris erwachsen war und schmerzlicher zu empfinden vermochte, was alles ihr an Daseinsfreuden versagt blieb, opferte der alternde Lebemann bereitwilligst einen großen Teil seiner recht schmalen Einkünfte der Behaglichkeit und besonders der künstlerischen Ausbildung der Tochter. Andrerseits aber ging seine Selbstverleugnung doch nicht soweit, als daß er aus Rücksicht für die erwachsene Tochter seinen Junggesellengewohnheiten und besonders seinen innigen Beziehungen zu einigen gefälligen Dämchen vom großherzoglichen Chor- und Ballettpersonal so ganz entsagt hätte. Er vermeinte freilich diese seine Privatstudien mit großer Heimlichkeit zu betreiben, allein den Augen seines Kindes blieb doch nicht verborgen, was so ungefähr die ganze Residenz wußte. So konnte es nicht ausbleiben, daß Doris mit dem natürlichen Mißbehagen eines reinen Gemütes ihrem Vater innerlich fremd gegenüberstand, wie sehr sie sich auch bemühte, ihm ihre Dankbarkeit für die Gutthaten, die sie von ihm genoß, an den Tag zu legen.

Wie kühl und zurückhaltend auch immer die Treysas sich bisher zu ihrem einstweiligen Hausgenossen gestellt haben mochten, er ließ sich dadurch nicht abschrecken, sondern trug vielmehr einen Diensteifer für sie an den Tag, als hätte er es darauf abgesehen, sich ihre gute Meinung zu erzwingen, ihre höfliche Dankbarkeit nicht zur Ruhe kommen zu lassen. Er besorgte ihnen die Möbel, die Handwerker, die Dienstboten, er half eifrig beim Auspacken, faßte sogar beim Aufstellen schwerer Möbelstücke mit an und vertraute seine gewichtige Persönlichkeit mit Todesverachtung der schwanken Trittleiter an, um dem Faltenwurf der Gardinen und Portieren die letzte Vollendung zu verleihen. In allen Fragen des Geschmackes zog er zudem den künstlerischen Blick seiner Tochter zu Rate, und der bescheidenen Liebenswürdigkeit dieses hilflosen Geschöpfes gelang gar bald, was der übertriebene Diensteifer ihres Vaters allein doch vielleicht nicht erreicht hätte, nämlich die instinktive Voreingenommenheit der Damen gegen den Kammerherrn etlichermaßen zu überwinden. Sie sahen ja in der That nur Gutes von ihm und mochten sich daher mit dem Worte trösten: »Es muß auch solche Käuze geben!« Dem zähen Schranzenhasse des Generals war freilich selbst durch die traurig schönen Augen der armen Baronesse Doris nicht beizukommen.

Und diese schönen traurigen Augen der Buckligen hingen an der blühenden Gestalt, an dem von Jugendlust durchleuchteten Gesichte Melanies mit so rührender, scheuer Bewunderung, daß ihr weiches Herz sich voll innigsten Mitleides dem armen, freudlosen Mädchen zuneigte. Doris hätte nie gewagt, sich der stolzen Ballkönigin irgendwie aufzudrängen – um so tiefer beglückte sie die freiwillig entgegengebrachte freundschaftliche Teilnahme Melanies, der es gar bald zum Bedürfnis geworden war, alle ihre Erlebnisse bei Hofe und in der Gesellschaft bis auf die nichtigsten Einzelheiten aus den Gesprächen der Lieutenants und den Toiletten der Damen dort oben in der Eremitage der kleinen Malerin auszuplaudern und sich dadurch der Mühe, ein Tagebuch zu führen, zu überheben; denn sie konnte ganz sicher sein, daß Doris von der Rast jedes ihrer Worte in einem feinen Herzen so getreulich aufbewahrte, wie die Wachsrolle eines Phonographen. Wohl hatten von jeher einzelne besonders gutherzige Damen der Gesellschaft das stille, blasse Mädchen in seiner Einsamkeit aufgesucht oder beim Zusammentreffen im Freien ein wenig mit ihm geplaudert; aber ihnen allen war es nicht gelungen, jenen warmen Herzenston anzuschlagen, welcher allein einen Krüppel vergessen lassen kann, daß die ihm entgegengebrachte Freundlichkeit nur einen Ausfluß des Mitleids mit seinem Gebrechen bedeute. Melanie von Treysa aber fand, sobald sie die erste natürliche Scheu des Gesunden vor dem garstigen Siechtum überwunden hatte, eine wirkliche Freude an dem Umgang mit der Buckligen; denn sie fühlte es sehr wohl, wie wenig selbst das süße Unheil, welches ihre Schönheit und Liebenswürdigkeit in den Herzen so vieler Männer anrichtete, gegenüber jener tiefbeglückten Dankbarkeit bedeute, die ihr aus Doris' schönen Augen entgegenstrahlte.

Uebrigens hätte gewiß manch eines von den gutherzigen Mädchen der Hofgesellschaft sich recht gern öfters bei Doris blicken lassen, wenn nicht der üble Ruf ihres Vaters und seine zudringliche Galanterie gerade die besten unter ihnen abgeschreckt hätte. So kam es, daß die kleine Malerin recht häufigen Besuch hatte, so oft der Kammerherr verreist war oder man ihn aus irgend einem Grunde sicher nicht daheim wußte, sonst aber höchstens von einigen alten Damen einmal aufgesucht wurde. Melanie dagegen hatte es von Anfang an verstanden, den fetten Baron mit seinen dreisten Zweideutigkeiten dermaßen abfallen zu lassen, daß er hinfort nicht mehr wagte, sich anders als etwa mit seinen lüsternen Blicken irgend etwas Unziemliches gegen sie herauszunehmen. Es war wohl noch nicht häufig vorgekommen, daß dieser alte Vocativus sich durch ein schönes junges Mädchen einschüchtern ließ, und wenn dies dem Fräulein von Treysa gelang, so mochte dies wohl nicht allein in ihrer hoheitsvollen Tugend, sondern vielleicht nicht zum geringsten in dem Umstände seinen Grund haben, daß ihr in der Person ihres Freundes Hans Joachim von Kospoth ein Beschützer zur Seite stand, der gewiß nicht mit sich spaßen ließ, wenn er einmal ernstlich zu Hilfe gerufen wurde.

Hans Joachim fand sich nämlich jetzt fast täglich in der Hofjägerei ein, um mit dem alten General eine Partie Piquet oder mit seiner Gattin eine Partie Schach zu spielen und so nebenher mit Melanie zu plaudern. Da sie sich seit seiner Heimkehr von der großen Reise nicht gesehen hatten, so konnte ihm der Gesprächsstoff nie ausgehen. Er wußte viel und in höchst anziehender Weise von seinen Abenteuern, von seinen Beobachtungen über fremde Länder und Völker zu erzählen und bedauerte lebhaft, nicht als Mohr auf die Welt gekommen zu sein – obschon ihn die Sonne des Orients braun genug gebrannt hatte – um als ein neuer Othello das Herz dieser braunäugigen Desdemona zu bezaubern.

Von Tag zu Tage wurde sich der junge Weltverbesserer und Prinzenverführer mehr bewußt, daß er sterblich verliebt sei. Sein Herz hatte bisher noch kaum ein Bedürfnis nach Frauenliebe empfunden; denn seine Studien beschäftigten seinen rastlos arbeitenden Geist so ausschließlich, daß er in der That noch nicht dazu gekommen war, jene Leere im Gemüt zu empfinden, welche der Liebe den Boden zu bereiten pflegt. Sein Verhältnis zu dem andern Geschlecht war infolgedessen nur das rein physisch gesunde eines reichbemittelten Studenten gewesen, und seine orientalische Studienreise hatte nicht dazu beitragen können, dies Verhältnis zu vergeistigen. Und nun mußte es gerade das kleine wilde Mädchen sein, auf das er noch vor wenigen Jahren mit so onkelhaftem Wohlwollen herabgeblickt hatte, welches ihn jene von ihm oft verlachte Macht der Weiblichkeit in einer Weise empfinden ließ, daß er darüber schier alles vergaß, was er seine Lebensaufgabe, ja selbst, was er seine Überzeugung nannte.

Diese seine Lebensaufgabe erblickte er in der philosophischen und staatswissenschaftlichen Ausgestaltung sozialistischer Lehren, sowie in der Agitation zur praktischen Durchführung derselben, und er glaubte schon längst darüber mit sich einig zu sein, daß diese Aufgabe ihm nicht nur die Annahme irgend welcher staatlichen Anstellung, sondern sogar die Ehe durchaus verbiete. Er mußte nach allen Seiten hin freie Bahn haben, jegliche Abhängigkeit wurde zu einer Gefahr für seine Ideen. Und nun schleppte sich dieser selbe Hans Joachim von Kospoth wie irgend ein unglücklicher Brakenburg an den Augen dieses Mädchens so hin, ohne daß die Hoffnung, es bald sein eigen nennen zu können, irgend welche Nahrung erhalten hätte durch die leidenschaftslose Traulichkeit des täglichen Beisammenseins. Vor Neujahr hätten weder die herzlichsten Bitten des Thronfolgers noch die liebenswürdigen Bemühungen seiner Schwester ihn dazu vermocht, der Freundschaft des jungen Fürsten seine Freiheit zu opfern; nach Neujahr aber dachte er um so weniger daran, die kleine Residenz zu verlassen, je seltener die Versuche der prinzlichen Herrschaften wurden, ihn zum Bleiben zu überreden. Mit tiefer Beschämung hatte er es sich eingestehen müssen, daß er dem schadenfrohen Höflingsvolke gegenüber bereits anfange, die lächerliche Rolle eines Mannes zu spielen, der nur mit revolutionären Gedanken kokettiert hat, um seinem Strebertum ein pikantes Relief zu geben. Er wußte auch nur zu gut, daß nicht die aufrichtige Freundschaft, welche ihn mit Georg Friedrich, dem hochstrebenden, ungewöhnlich begabten Prinzen, verband, ihn sich solcher Mißdeutung furchtlos aussetzen ließ, sondern daß vielmehr diese Freundschaft von beiden Seiten bedenklich im Erkalten begriffen war, und zwar durch nichts andres als durch ganz triviale Eifersucht! Der verliebte Prinz fürchtete in Hans Joachim den Jugendfreund der Geliebten und Kospoth zitterte davor, daß die begreifliche Eitelkeit des neunzehnjährigen Mädchens die gefährlichen Huldigungen einer Königlichen Hoheit seinem ernsthaften, aber etwas scheuen Liebeswerben vorziehen könnte. Vorläufig hatte es allerdings noch ganz den Anschein, als ob die stete, feurige Umwerbung des ritterlichen Prinzen Melanies Denken und Empfinden in einer gewissen Betäubung erhalte, welche sie für die Liebesblicke andrer Männer blind machte, und ganz besonders für die des soviel älteren einstigen Spielgefährten. Das Necken und Schmollen wegen seiner früheren hofmeisterlichen Art hatte Melanie freilich inzwischen aufgegeben; es herrschte vielmehr ein ganz kameradschaftlich unbefangenes gutes Einvernehmen zwischen ihnen, und sie wußte es ihm aufrichtig Dank, daß er jetzt so ernst und anregend mit ihr zu sprechen wußte, ohne je den Schulmeisterton hervorzukehren. Sie besaß ja einen trefflichen Verstand und hatte viel gelernt, und sobald sie sah, daß er nicht mehr wie früher ironisch lächelte, wenn sie es wagte, ihre mädchenhaften Anschauungen in die Wagschale zu werfen, scheute sie sich auch nicht mehr, seine Ansichten zu bekämpfen und hinterher Belehrung von ihm anzunehmen; aber der Gedanke, Hans Jochen als einen Liebhaber zu betrachten, kam ihr um so weniger, als auch die Eltern ihren freundschaftlichen Verkehr als eine Selbstverständlichkeit anzusehen schienen, ohne Heiratsabsichten dahinter zu wittern. In Wahrheit hatte sich die Generalin nur durch die Bedenklichkeiten ihres Gatten einschüchtern lassen, sonst hätte sie wohl kaum gesäumt, ihre Tochter durch fleißiges Zureden dem Gedanken einer Vermählung mit dem Nachbarssohne günstig zu stimmen. Der alte Herr besaß nicht mehr die Energie, um dem freundschaftlichen Verkehr der beiden Hindernisse in den Weg zu legen, falls er ihm wirklich so gefährlich erschienen wäre, und so war auch die Mutter ganz zufrieden damit, ruhig zusehen zu dürfen, wie die Dinge sich von selbst entwickelten.

Melanie hatte nicht gesäumt, ihre neue Freundin Doris mit Hans Jochen bekannt zu machen, wohl wissend, daß sie ihr damit eine sehr große Freude bereitete. Die arme kleine Malerin hatte ja so gut wie gar keine Herrenbekanntschaften – und jetzt wurde ihr durch ihre angebetete Melanie der Mann zugeführt, von dem in der Residenz mehr gesprochen wurde, als von irgend einem andern, und dessen vielbeklagte Zurückhaltung und anscheinende Temperamentlosigkeit gerade die hübschesten und witzigsten jungen Damen zum Kampfe herausforderte. Doris von der Rast wagte im Bewußtsein ihrer mangelhaften, zumeist aus Romanen eingesogenen Bildung niemals, an dem mehr oder minder ernsthaften Meinungsstreit zwischen dem jungen Baron und ihrer überaus klugen Freundin teilzunehmen: sie war schon überglücklich, wenn sie still zuhören durfte – ganz besonders, wenn er von seinen Reisen erzählte. Dazu fand sie bald sehr reichlich Gelegenheit, seit sie, dem freundlichen Drängen Melanies nachgebend, das Wagnis unternommen hatte, sie zu malen. Hans Jochen stellte sich seitdem gar häufig schon des Vormittags in der Hofjägerei ein und begab sich, ohne erst die Eltern zu begrüßen, sogleich in das bescheidene Atelier hinauf, wo er die beiden jungen Damen meistens allein fand. Die bucklige kleine Künstlerin pinselte dann allerdings mit noch größerer Zaghaftigkeit als gewöhnlich an ihrem Werke herum, weil sie als selbstverständlich annahm, daß dieser bedeutende junge Mann, der die schönsten und geistvollsten ihrer Romanhelden in ihren Augen noch um Haupteslänge überragte, auch ein großer Kunstkenner sein müsse. Dies war nun allerdings nicht der Fall! denn Hans Jochen hatte die freie Zeit, die ihm neben seinen ernsten wissenschaftlichen Studien noch übrig blieb, hauptsächlich auf körperliche Uebungen verwandt und unter den Künsten nur die Musik, für welche er besonders veranlagt war, mit einigem Eifer gepflegt. Soviel sah er freilich auch, daß aus Melanies Bildnis sicherlich kein Meisterwerk werden würde; was er aber der ängstlich lauschenden Doris während der Arbeit darüber zu sagen wußte, das waren nur höchst laienhafte, aufmunternde Gemeinplätze. – – –

Es war in den Morgenstunden eines der letzten Januartage. Die helle Wintersonne ließ in dem keuschen Schneegewande der anmutigen Hügellandschaft Milliarden Diamanten aufblitzen, und ihre Wärme schmolz bereits die leichte weiße Wattenumhüllung auf den Aesten und Zweigen der Bäume und Sträucher des Schloßparks und ließ blitzende Tropfen von allen Spitzen, von den Nadeln der dunklen Tannen und von den leise im Winde flatternden Peitschenschnuren der kahlen Birken herabträufeln. Die leichten Wolkenballen wurden von dem frischen Südost gleichsam mit kindischen Pinselstrichen über das reine Himmelsblau hinweggewischt und nur einzelne verirrte graue Klexe schwammen vor diesem großen Pinsel eilfertig davon.

Hans Joachim von Kospoth schaute aus dem großen Dachfenster der Hofjägerei, von dem sich eine köstliche Fernsicht bot, mit leicht zugekniffenen Augen in die blendende Helle hinaus. Das Gespräch hatte heute nicht so recht in Fluß kommen wollen, wenigstens hatte er sich ungewöhnlich schweigsam verhalten, und auch Melanie hatte keine ernsthafte Frage aufzuwerfen gewußt, sondern nur immer wieder ihrer hochgespannten Erwartung von den Freuden der für diesen Nachmittag geplanten Schlittenpartie der Hofgesellschaft Ausdruck gegeben.

»Ach, gehen Sie, Sie sind heute langweilig, Hans Jochen!« rief Melanie, eine längere Gesprächspause ungeduldig unterbrechend. »Ich glaube wirklich, Sie wollen mir gar kein Vergnügen gönnen. Es ärgert Sie geradezu, daß ich mich auf heute nachmittag freue.«

Kospoth machte einige schwache Einwendungen, worauf sie scherzend erwiderte: »Es ist wirklich schrecklich: da hat man sich nun so viele Mühe gegeben, Ihnen den Schulmeister auszutreiben – aber es hilft alles nichts!«

Hans Jochen zuckte die Achseln: »Da mögen Sie wohl recht haben. Kein Wunder bei meiner Abstammung!«

»Wieso? Ihr Papa ist doch nichts weniger denn ein Pedant!«

»Nein, wahrhaftig nicht! Aber meine Mutter war eine geprüfte Erzieherin!«

»Nein, wirklich?« rief Melanie sehr erstaunt mit ungläubigem Lächeln. »Von Ihrer Frau Mama weiß ich eigentlich so gut wie gar nichts.«

»Und ich selbst kaum mehr!« fiel er rasch ein. »Ich habe auch erst in meinem einundzwanzigsten Jahre erfahren, daß ich eine Frau Mama gar nicht besitze! Ihnen hat man das wahrscheinlich aus Schicklichkeitsrücksichten vorenthalten, nicht wahr?«

Melanie errötete unter seinem forschenden Blicke und versetzte etwas verlegen: »Das wußte ich in der That nicht.«

»Und Sie bedauern mich wohl wegen meiner plebejischen Abstammung? – O, ich kann Ihnen sagen, ich freue mich des roten Blutes in meinen Adern. Ich glaube, ihm meine geistige Freiheit zu verdanken.« Er trat vom Fenster weg und neben die kleine Malerin, indem er lächelnd fortfuhr: »Fürchten Sie nichts, meine Damen, ich gedenke Ihnen keine Vorlesung über Darwinismus zu halten!«

Wieder trat eine kleine Verlegenheitspause ein, welche diesmal durch Doris unterbrochen wurde. Sie hatte längst bemerkt, daß Kospoths Seele heute durch irgend etwas bedrückt sei. Sie vermutete, daß er eine Gelegenheit suche, sich darüber mit Melanie auszusprechen. »Ich begreife nicht, wo das Mädchen mit dem Frühstück bleibt,« sagte sie und eilte hinaus, um die beiden allein zu lassen.

Melanie erhob sich von ihrem Stuhl, stieg von der großen Kiste herunter, die beim Malen als Podium diente, und trat nun ihrerseits ans Fenster, um in die funkelnde Ferne hinauszuschauen. »Es wird herrlich werden,« rief sie. »Einen schöneren Tag hätten wir uns gar nicht wünschen können!«

Da trat Hans Joachim dicht hinter sie und flüsterte ihr ins Ohr: »Und das Schönste an diesem Tage werden Sie wieder sein, Melanie.«

Sie blickte ihm lächelnd in die Augen und sagte: »Schämen Sie sich nicht, Herr Baron? Sie sind ja ein ganz gewöhnlicher Schmeichler!«

Sie hatte den Zeigefinger drohend erhoben. Er griff nach ihrer Hand, drückte sie warm in seinen beiden und versetzte: »Nein, das wahrhaftig nicht – aber ein ganz gewöhnlicher Mensch bin ich freilich, mit ganz gewöhnlichen Leidenschaften!«

»O! O! Das sollten Sie mir nicht eingestehen!« versuchte Melanie zu scherzen, um ihre wachsende Verlegenheit zu verdecken. »Wo soll denn da der Respekt hinkommen, Verehrungswürdigster?«

»Auf den Respekt will ich gern verzichten,« erwiderte er rasch, »wenn ich dafür etwas . . . . Trauen Sie mir wirklich nicht zu, daß ich eifersüchtig sein kann?«

»Eifersüchtig? O, ich bitte Sie! Auf wen denn? Bin ich nicht stets unter Ihren Augen? Sie wissen doch, daß ich niemand bevorzuge! Oder finden Sie mich vielleicht kokett? Haben Sie irgend etwas bemerkt, weshalb Sie glauben, als mein gestrenger Vormund einschreiten zu müssen?«

»Nicht wieder diesen Ton – ich bitte Sie, Melanie! Die Zeiten sind vorüber, wo ich mich so erhaben fühlte über die liebenswürdigen Thorheiten des kleinen Mädchens. Sie müssen es doch sehen und fühlen, daß ich nicht mehr der Alte bin. Es ist doch eigentlich eine Schande, daß ich immer noch hier herumlungere, faul wie ein englischer Gentleman von Beruf. Ich glaube, man hat mich hier schon im Verdacht, daß ich mir durch fleißiges Soupieren, Tanzen und so weiter ein Ritterkreuz und den Titel Kammerjunker verdienen will.«

»O, ich bitte Sie! Man weiß doch, wie unentbehrlich Sie sich dem Erbgroßherzog gemacht haben und . . . da ist es doch . . .«

»Der allerhöchste Wunsch muß mir Befehl sein,« fiel er, bitter lächelnd, ein. »Das wollten Sie sagen, nicht wahr? Ach, Melanie, Sie sind ja viel zu klug, als daß Sie meine Schwäche nicht längst durchschaut haben sollten! Und was den Erbgroßherzog anbetrifft – glauben Sie mir: ich bin ihm sehr entbehrlich!«

Melanie trat vom Fenster weg und setzte sich auf die niedrige Seitenlehne eines breiten Diwans, der nicht weit davon stand. »Ich glaube, Sie verkennen ihn,« sagte sie in ein wenig verweisendem Tone. »Wir sprachen noch neulich von Ihnen, und ich versichere Sie – er hängt an Ihnen mit solcher Bewunderung, mit solcher Freundschaft! Er ehrt Ihre radikalen Anschauungen, trotzdem er doch eigentlich als Thronfolger . . . nicht wahr? Er sagte, er wüßte wohl, daß Sie nicht zum Herrendienst geschaffen seien, daß er kein Recht hätte, Sie zu halten . . .«

»Ja, das hat er mir auch in letzter Zeit mehrfach gesagt,« unterbrach er sie, kurz auflachend. »Aber ich habe mich taub gestellt gegen den deutlichen Wink!«

»Nein, das ist nicht hübsch von Ihnen, Hans Jochen!« rief Melanie, indem sie ihre großen Augen vor seinem unruhig flackernden Blicke niederschlug. Mit den Ringen an ihren schlanken Fingern spielend, nahm sie dann, als er, ohne etwas zu erwidern, sich seufzend abwandte, wieder das Wort: »Sie wollen damit sagen, daß Sie fürchten, die Liebenswürdigkeiten, die Seine Königliche Hoheit an mich verschwendet, könnten meinem Herzen gefährlich werden. Fürchten Sie das wirklich? Ach Gott! Ich sehe wohl, Sie halten mich immer noch für ein ganz dummes kleines Mädchen!«

»Nein, das thue ich nicht! Nein, wahrhaftig nicht, Melanie!« rief er, indem er sich dicht neben ihr auf dem Diwan niederließ und ihre beiden Hände in die seinen nahm. »Aber sehen Sie, es wäre doch nur ganz natürlich, wenn diese feurigen Huldigungen eines Prinzen – eines Thronfolgers noch dazu – Ihrer Eitelkeit in einem Grade schmeichelten, daß Sie . . .«

Sie unterbrach ihn lebhaft: »Ja, das thun sie auch! Sie närrischer Mensch, wollen Sie es mir etwa zum Vorwurf machen, daß ich mit meinen neunzehn Jahren noch ein bißchen eitel bin? Ich gestehe Ihnen offen, es macht mir ein ganz ungeheures Vergnügen, zu empfinden, zu hören, zu sehen, daß man mich hübsch findet, daß man mich gerne leiden mag, daß man sich ein Vergnügen daraus macht, mich recht tüchtig zu verziehen. Na, und daß gerade ein Erbgroßherzog an der Tête meiner Anbeter marschiert, das macht mir wirklich ein ganz kindisches Vergnügen – Sie mögen mich gern deswegen auslachen! Denken Sie doch, wie nett das sein wird, wenn ich einmal eine Frau in gesetzten Jahren bin und mein Georg Friedrich als Großherzog stolz auf seinem Throne sitzt – haha . . . wenn ich dann seufzen kann: Ach Gott, ja! Als wir noch jung waren, Serenissimus und ich!«

Sie schloß ihre kleine Rede mit einem glockenhellen Lachen und wollte ihre Hände aus den seinen lösen, um ihren Platz zu verlassen; aber er hielt sie fest und zog sie wieder auf die Sofalehne zurück, indem er seufzend begann: »Sie würden also wohl dem Manne sehr böse sein, der es wagen wollte, Sie schon jetzt aus dieser lustigen Gegenwart herauszureißen und Ihnen eine Zukunft zu bieten, die vielleicht nur Grau in Grau . . . ja, Melanie, ich kann es nicht länger in mir verschließen, es drückt mir das Herz ab – ich bin rasend eifersüchtig – weil ich dich allein besitzen möchte – weil ich dich liebe, Melanie! – Mehr als alles in der Welt liebe ich dich, du Schöne, du Kluge, du . . . ich bin toll und trunken . . . hörst du, Melanie, ich liebe dich!«

Er zog die tief Erglühende halb zu sich herab und drückte einen Kuß auf ihre heiße Wange.

»Hans Jochen . . . ach! . . . was thun Sie!« Sie machte sich rasch, doch mehr verwirrt als gekränkt, von ihm los und eilte nach der Thür des Ateliers.

Er war mit ein paar Schritten an ihrer Seite und hielt sie wieder fest: »Bleibe, Melanie!« rief er mit bebender Stimme. »Ich kann nicht langer warten, ich muß dich heute fragen! Bist du mit denn böse, daß ich es gewagt habe? Kannst du mich nicht lieben?«

Sie besann sich ein kleines Weilchen, und dann reichte sie ihm beide Hände hin, sah ihm frei und ernst in die Augen und sprach: »Ich habe dich ja immer lieb gehabt, Hans Jochen, von klein auf – aber nicht so! Es kommt mir so überraschend . . . ich weiß selbst nicht . . . laß mir Zeit, daß ich mich fassen kann – ich . . . siehst du, ich kann dich doch nicht anlügen, und augenblicklich weiß ich wirklich die Wahrheit über mein Herz noch nicht! Wir sind ja so gute Freunde, nicht wahr? Wir können uns doch Zeit lassen?«

Auf der Treppe hörten sie ganz nahe den ungleichen Schritt der kleinen Malerin. Sie ließen sich los, und er trat vor die Staffelei, während sie rasch zum Fenster lief, um ihr heißes Gesicht gegen die kalten Scheiben zu drücken.



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