Ernst von Wolzogen
Die Kinder der Excellenz
Ernst von Wolzogen

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Sechstes Kapitel

»Ein sehr nettes Kapitel!« werden die jungen Damen sagen, welche es lesen.

Frau von Lersen hatte soeben ein sehr liebenswürdiges und überdies angenehm nach Heliotrop duftendes Briefchen von der Fürstin Berleburg-Dromst-Führingen erhalten. Die alte Dame bewies durch eine dringende Einladung zum Thee, daß ihre freundliche Aufforderung, sie doch zu besuchen, nicht bloße Redensart gewesen war. Die Excellenz teilte den Töchtern die Sache mit, fügte aber gleich hinzu: »Es kann natürlich nicht die Rede davon sein, daß wir hingehen. Wir machen der lieben Fürstin morgen unsern Besuch und bitten, uns entschuldigen zu wollen. Bodo kann uns ja an dem Abend vertreten, wenn er Lust hat!«

Trudi, welche damit beschäftigt war, gelbe Rüben über einer irdenen Schüssel, die sie auf dem Schoße hielt, abzuputzen, wetzte ihr Küchenmesser am Rande und sagte: »Schön, Mama! Zu der Prinzessin Bimbimbim gehe ich gern mit, aber es muß unzweifelhaft warmes Wetter sein, damit ich in dem Bismarckbraunen per Taille gehen kann. In dem alten Regenmantel sehe ich wie ein höheres Fabrikmädchen aus, und in der dicken Winterjacke jetzt Besuche machen, das wäre so gut, als wollte ich meinen Armenschein gleich beim Portier vorzeigen.«

Asta saß über ihre Stickerei gebeugt mit übereinandergeschlagenen Knieen am Fensterplatz. Die Mutter wartete darauf, ihre Meinung zu hören, über welche sie sich aber selbst noch nicht klar zu sein schien. Ihre rosigen, beweglichen Nasenflügel deuteten auf innere Unruhe. Jetzt ließ sie die schöne Rechte mit der Nadel auf dem Knie ruhen, blickte sinnend zum Fenster hinaus und sagte endlich: »Weißt du, Mama, ich möchte doch diesen Abend besuchen – wenn es für uns irgend möglich ist, ein leidlich anständiges Kleid dafür zu beschaffen.«

Die Baronin sah verwundert zu ihrem Kinde hinüber: »Du, Asta, du möchtest diesen Abend besuchen? Du, die kaum zu dem Bazar zu bewegen war, die sich immer über das öde Einerlei dieser Routs und Thees und so weiter lustig machte? Die Fürstin ist eine lebenslustige, sehr nette alte Dame, aber doch nicht übermäßig interessant. Viele junge Leute wird sie auch nicht bei sich sehen!«

»Da sollen wir die trojanischen Greise entzücken!« lachte Trudi. »Und denke bloß, Asta, wenn sie dich wieder alle nach der Sembrich fragten?«

Die schöne Schwester ballte ihre Arbeit ärgerlich zusammen und warf sie in ihren Nähkorb. »Das würde mir den größten Spaß von der Welt machen,« entgegnete sie etwas nervös. »Ich sage euch, ich bin so ausgezeichneter Laune, daß es mir ein Genuß wäre, ein paar Stunden die allerfadeste Konversation der Welt über mich ergehen zu lassen.«

Die Excellenz schüttelte den Kopf: »Aber, liebes Kind! Bloß darum das Geld für die Toilette auszugeben, wäre doch wirklich eine Thorheit. Wenn du keine andern Zwecke hast, als . . .«

»Ich habe aber vielleicht andre Zwecke, Mama!«

»So, wirklich? Erwartest du irgend wen dort zu treffen, der . . .«

»Ich interessiere mich für den Prinzen Führingen,« fiel Asta rasch ein, indem sie sich erhob und an den Blumen am Fenster zu thun machte.

Ueber Trudis ernsthaft lauschendes Gesichtchen glitt ein flüchtiges Lächeln. Aber sie lag mit verdoppeltem Eifer ihrer Arbeit ob.

»Den kennst du ja so gut wie gar nicht. Wie kommst du zu diesem plötzlichen Interesse?« forschte die Mutter.

»Neulich in Westend fuhr er die gelbe Coach, weißt du nicht mehr? Einen Viererzug zum Verlieben. Der Charles quint-Bart steht ihm à merveille, alles an ihm ist chic, vornehm, sicher – ich weiß nicht, warum mir der Mann nicht gefallen sollte, Mama!«

Trudi verriet durch ein unwillkürliches, leises Räuspern, daß sie sich soeben im Kopfe eine Notiz gemacht habe.

»Sagtest du etwas?« wandte sich Asta fragend nach ihr um.

»Ich – nein – ich schabe dir bloß Rübchen, Schwester-Herz,« versetzte die Jüngere mit neckischem Doppelsinn und entsprechender Gebärde.

»Ich verstehe doch nicht recht, was du vorhaben magst,« sagte die Excellenz nach einer kleinen Weile des Nachdenkens. »Aber wenn dir wirklich so viel daran liegt . . . ich will einmal rechnen, ob es sich ermöglichen läßt.« Damit erhob sie sich und ging in das kleine Vorderzimmer, wo ihr Schreibtisch stand.

Asta setzte sich Trudi gegenüber an den Tisch und sagte: »Für fünfzig Mark, mein' ich, könnten wir uns ganz passabel herausputzen. Bei Hertzog gibt es sehr hübsche Spitzenstoffe, das Meter zu fünf Mark. Davon lassen wir je ein paar Meter auf unsre alten Seidenen aufarbeiten. Was meinst du?«

»Nimm lieber die fünfzig Mark, wenn sie zu kriegen sind, für dich allein, Asta. Wenn man auf den Prinzenraub ausgeht, muß man schon etwas dran wenden. Ich bekomme dann wieder im richtigen Augenblick mein schreckliches Nasenbluten, weißt du!«

»Was willst du nur mit deinen ewigen Neckereien, Trudi?«

»Das soll nur heißen, daß ich mich wundere, wie sehr dir's trotz alledem der Buffalonier angethan hat.«

Asta wurde rot und pochte ärgerlich mit den Schuhspitzen gegen die Diele, während sie sprach: »Welche Idee! Mich kann es doch nur freuen, daß er sich so leicht getröstet hat. Bei der Achtung, die mir dieser Mensch anfänglich einflößte, hat mir der Gedanke wirkliche Pein gemacht, daß ich ihm durch meinen Korb einen großen Schmerz bereitet haben könnte. Wenn er sich aber so eilig zu trösten weiß – mit einem Fräulein Grigori!« . . .

»Nun, vielleicht wählte er die gerade aus Liebe zu dir,« versetzte Trudi mit klugem Lächeln. »Du hast mir ja selbst immer erzählt, wie sehr Adriane im Denken und Empfinden dir ähnlich gewesen sei.«

»Die Aehnlichkeit muß sich in den letzten Jahren gänzlich verloren haben,« spottete Asta und begann im Zimmer auf und ab zu gehen.

»Wirklich?« fragte Trudi ruhig, indem sie die letzte Rübe in Stückchen schnitt. »Sie macht sich ihre Talente zu nutze, um die Männer zu fangen; du wirfst dich in ein neues Halbklares, um den Prinzen Führingen in Versuchung zu führen!«

»Trudi!« Es wollte zornig überquellen über diese weichen, verheißungsvollen Lippen. Aber Asta hielt an sich – und dann versuchte sie zu lächeln und sagte: »Ach geh, du bist ein Kind, mit dir ist nicht zu reden!«

Da setzte Trudi die Schüssel auf den Tisch, stand auf und legte der großen Schwester zärtlich beide Arme um den Nacken: »O doch, Liebste, mit mir ist sehr gut zu reden! Schau mich nicht so zornfunkelnd an – und sei mir nicht böse. Ich wollte dich zum Sprechen bringen, weil du unglücklich bist, und weil du dich nicht allein quälen sollst. Ich bin wirklich nicht so kindisch, wie du glaubst. Seit mir die harmlosen Lieutenants fehlen, bin ich auch nicht mehr das harmlose Kommißmädel, wie Bodo mich immer nannte. Ich habe mir unsre Lage vielleicht ebensosehr zu Herzen genommen wie du – und besonders Mamas ewiges stummes Sorgen und Grämen. Mir war meist gar nicht danach zu Mute; aber ein lustiges Gesicht muß im Hause sein, sagte ich mir – ein Kind, vor dem man seine Schmerzen verbirgt, um's nicht früher als nötig aus seinem glücklichen Traume zu wecken. Ich habe mir den Schlaf schon lange aus den Augen gerieben, aber siehst du: mir steht das Kindliche – dir hätten sie es nicht geglaubt, liebe Schöne! – Drum schnitt ich mir die Haare ab – o, ich habe lange vor dem Spiegel gestanden und mir's überlegt! – und dann machte ich mich so lockenbubig zurecht und spielte euch immer einen rechten knusprigen Backfisch vor, noch sogar mit recht viel grüner Petersilie drum herum. Verrate mich aber ja nicht der Excellenz Mutter!«

Asta preßte ihre liebliche Schwester mit stürmischer Heftigkeit an die Brust und bedeckte ihr blondes, krauses Haupt, ihre Augen, ihre zarten Wangen mit unzähligen, raschen, unersättlichen Küssen. »Du Süße, du Gute, du Liebe!« stammelte sie dazwischen in atemloser Rührung. »Du bist ja soviel tausendmal besser als ich. Daß ich dich habe, daß ich dich nun kenne!«

»Und willst du mir jetzt gestehen, Große, daß ich dich auch kenne? Daß du nur darum dein Auge auf den Prinzen geworfen hast, weil du von Bodo weißt, daß er deiner Grigorescu so eifrig den Hof macht?«

»Nun ja, ich will dir nur gestehen, daß es mir – zum Aufschreien war, den Mann da gestern mit dem gleichgültigsten Gesicht von der Welt neben der Operetten-Diva sitzen zu sehen: den ersten Mann, der mir imponiert hatte, weil er eben so durch und durch ein Mann war. So fest und ungeniert, so unbeirrt durch fremde Meinungen, so sicher in seinem stolzen Selbstbewußtsein und doch dabei so naiv, so gar nicht eitel!«

»Und alles das genügte dir noch nicht, um den Mann zu lieben?«

Asta antwortete nicht gleich.

»Ich kannte ihn ja doch gar nicht. Was ich dir da von ihm rühmte, das war der erste Eindruck. Vielleicht, wenn er mir öfters begegnet wäre, wenn . . . aber der Unglücksmensch hat ja keine Zeit, ein Mädchen in sich verliebt zu machen! Sie soll ihn gleich heiraten, weil er mit seiner ehrlichen Miene versichert, daß er ein vortrefflicher Ehemann sein würde! Wie kann ich aber als Baronesse von Lersen mit meiner Schweizerpensionsweisheit und all dem schweren Gepäck von vornehmen Ueberflüssigkeiten nach Buffalo auswandern und mich plötzlich für Gas- und Wasserleitungen, Kanalisation und dergleichen Dinge interessieren; ohne eben bis zur Tollheit verliebt zu sein?«

Asta war schon wieder auf ihrem unruhigen Spaziergange begriffen, und Trudi mußte ihr nachgehen und sie beim Arm erfassen, um ihr mit lächelndem Vorwurf entgegnen zu können: »Ei Schwester, in den Prinzen scheinst du mir dann allerdings fast bis zur Tollheit verliebt zu sein, wenn du dir wirklich weis gemacht hast, daß er anbeißen wird, sobald du nur die Angel nach ihm auswirfst. Diese Herren lieben die Grigori und heiraten – die Prinzessin Y. Und wenn sie ja etwas ganz Tolles anstellen wollen, dann heiraten sie eher noch die Grigori, als die Freiin von Z, qui n'a pas le sou!«

»Du traust mir aber wenig zu, Trudi!«

»Zu viel Gutes, Asta, um dir so etwas zuzutrauen.«

Damit fand die Aussprache der beiden Schwestern für diesmal ihren Abschluß, denn es klingelte draußen und gleich darauf trat der Herr Musikdirektor Diedrichsen ein, um seine Gratisklavierstunde zu geben und überdies eine große Freudenbotschaft zu überbringen: Sein Sohn Hans hatte heute morgen seine Berufung zum Professor der Zoologie an der Berliner Hochschule erhalten!

Die Excellenz kam auch herein, und alle drei Damen wünschten dem stolzen, kleinen Vater von ganzem Herzen Glück.

»Warum ist denn der Herr Professor nicht selbst heraufgekommen?« fragte Trudi. »Ich hätte zu gern versucht, ob man ihm den ›Außerordentlichen‹ schon ansieht.«

»Er hat sich sofort in Frack und weiße Krawatte gestürzt und ist zum Minister gefahren, um sich für die Berufung zu bedanken. Aber er wird nicht verfehlen, den Gnädigen sofort seine Aufwartung zu machen, wenn er zurückkommt,« sagte der Alte mit drollig schlenkernder Verbeugung, welche weltmännische Geschmeidigkeit karikieren sollte. »Heute spielen wir erst einmal die Jubelouverture vierhändig zusammen, Fräulein Trudi, nicht wahr?«

»Mit Vergnügen!« Und das Mädchen suchte mit fröhlichem Eifer die Noten hervor. »Du solltest Mama ein bißchen spazieren führen, Asta. Unsre Spazierfahrt gestern ist dir so gut bekommen, Mama – wir leiden jetzt deine Stubenhockerei gar nicht mehr.«

Nach einigem Hin und Her von Entschuldigungen und Höflichkeiten gegen den Musikdirektor, machten sich die beiden Damen wirklich auf den Weg, und Lehrer und Schülerin blieben nun allein.

»So, nun wollen wir die Sache 'mal deixeln!« rief der alte Diedrichsen, seine Lieblingsredensart mit Genuß anbringend, und rückte sich den Klaviersessel zurecht. »Eins, zwei, drei, vier los!«

Mit dröhnender Begeisterung stürzte sich das komische Paar auf die Tasten. Aber schon bei der dritten Zeile machten sich Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf das Tempo geltend, und wie der Musikdirektor durch kräftiges Klopfen und nachdrückliches Kopfnicken das Gleichgewicht wieder herstellen wollte, griff Trudi sogar höchst energisch daneben.

»Aber, aber, aber!« rief der kleine Musiker entrüstet und stemmte, Trudi vorwurfsvoll anblickend, die Arme in die Seiten: »Bei so einer festlichen Gelegenheit spielt man doch ein bißchen ordentlich, denk' ich.«

»Er ist ja aber erst ganz unordentlicher Professor geworden,« lachte das Mädchen. »Da verdient er's noch gar nicht besser.«

»Sie kleiner Schelm, Sie!« Der Lehrmeister war entwaffnet und küßte die kleine, unaufmerksame Hand der Schülerin.

Ach, dem Baroneßchen schwirrten ganz andre Noten im Kopfe herum! – »Wissen Sie Meisterchen,« sagte sie, »bei einer richtigen Jubelouverture muß es schon ein wenig toll zugehen. Ich habe also ganz stilvoll gespielt.«

»Jubeln Sie wirklich so toll mit? Ach mein liebes, gnädiges Fräulein, dann kann der Meister Weber freilich nicht mitkommen; dann wollen wir doch lieber ein Wettspielen ohne Noten veranstalten, damit wir sehen, wer's mit unserm Hans am besten meint von uns beiden.«

Und ehe sie Zeit hatte, auf diesen übermütigen Vorschlag etwas zu erwidern, bearbeitete der drollige Mann schon die tiefere Hälfte der Klaviatur. In vollen Accorden ließ er ein trompetenhaftes Marschthema erschallen, während die Linke die Pauken und Becken schlug. Und nachdem er so einige Zeit ganz ausschweifend über das Thema der Vaterfreude phantasiert hatte, begann plötzlich Trudi in ganz andrem Takt völlig harmoniefremde Tonleitern zu spielen.

»Aber nein – pfui! – hören Sie auf Fräuleinchen!« rief Diedrichsen und hielt sich die Ohren zu. »Wenn Sie's mit meinem Hans nicht besser meinen!«

»Mehr darf ich mir doch nicht herausnehmen, dem eignen Vater gegenüber!« neckte Trudi. »Die Tonleiter ist die Grundlage aller musikalischen Gefühle – hören Sie doch, wie ich den Herrn Professor schätze! In A-dur, in Fis-moll, in H-dur, sogar in Dis-moll! Wenn das keine soliden Gefühle sind! Und weiter habe ich doch keine Rechte auf ihn!«

»O doch, liebes, kleines, gnädiges Fräulein!« sagte der Musikdirektor und kniff verschmitzt ein Auge zu, während der blonde Krauskopf der Schülerin sich etwas tiefer über die Tasten neigte, und sie fortfuhr, ihre Skalen durch den ganzen Quintenzirkel zu jagen.

»Mehr Recht, als der eigne Vater, fürcht' ich. Haben Sie denn gar nichts gemerkt? Oder wollten Sie . . . . Dürften Sie nichts merken? Ach, gehen Sie . . . warum antworten Sie gar nicht?«

»Ssst! Ich bin noch nicht herum!« sagte sie ernsthaft, ohne sich stören zu lassen. Der alte Herr erhob sich und legte sein glattes, rundes Gesicht in ärgerliche Falten. Er trat ans Fenster und blickte hinaus auf die hochinteressante Stromstraße.

»Wie ist das doch in As-dur, Meisterchen? Nehme ich hier den dritten oder den vierten Finger?« fragte Trudi vom Klavier her.

»Gar keinen Finger nehmen Sie – die ganze Hand sollen Sie nehmen, wenn er sie Ihnen anbietet.«

Trudi lachte laut auf. »Sind Sie nicht auch beauftragt, mir eine Liebeserklärung zu machen, Herr Musikdirektor?«

»Beauftragt? Natürlich, nein! Solche Sachen versteht mein Hans schon allein zu deixeln!« sagte der Alte mit wiederkehrender, lustiger Laune. »Aber da wir einmal im Zuge sind . . . Fräulein Trudi!«

Dabei kniete er mit einiger Schwierigkeit vor dem Mädchen nieder und erhaschte ihre warme, kleine Hand. »Ich habe kein Schloß und keine Krone, aber ein schuldenfreies Haus in der Stromstraße und einen sehr hübschen, ganz außerordentlichen Professor zum Sohne. Ich hätte nie gewagt, meine Augen bis zur Tochter einer Excellenz zu erheben, wenn ich nicht aus der Erfahrung von zwei Jahren zu der Ueberzeugung gekommen wäre, daß diese Excellenzentochter das bescheidenste, liebenswürdigste Menschenkind von der Welt und von ganz Moabit ist, das mit ebensoviel Vergnügen einen außerordentlichen Professor glücklich machen wird, wie einen ordentlichen Offizier oder so etwas – falls sie ihn nur liebt! Sie haben mir Hoffnungen gemacht, Fräulein Trudi. – Sie haben mich zu wiederholten Malen nicht nur Meisterchen, sondern sogar Papachen genannt – und darum finde ich auch jetzt den Mut, Ihnen meine glühende Liebe zu gestehen und Sie zu fragen: Wollen Sie mich zum Schwiegervater haben?«

Es war als ein übermütiger Scherz gemeint; aber der kleine, zärtliche Herr hatte sich zum Schlusse in ganz ernsthaften Eifer hineingeredet und erwartete mit der ängstlich gespannten Miene eines wirklichen, erzverliebten Freiers die Antwort. Und Trudi erhob sich mit schüchterner, errötender Befangenheit, der Rolle getreu, von ihrem Drehsessel, wandte sich halb von dem Knieenden, der noch immer ihre Linke festhielt, und flüsterte: »Sprechen Sie – mit Ihrem Sohne!«

Während der Musikdirektor sich lachend und stöhnend zugleich aus seiner unbequemen Liebhaberstellung aufrichtete, klopfte es an der Thür und einen Augenblick später stand der neue Herr Professor Diedrichsen mitten im Zimmer.

»Entschuldigen Sie nur, gnädiges Fräulein, wenn ich die Klavierstunde unterbreche. – Du Papa, Herr Müller ist unten, er will dich auf ein paar Minuten sprechen.«

»Was für ein Müller denn?«

»Weißt du nicht, Herr Müller, der . . .«

»Ach so! Der Herr Müller,« schmunzelte der Alte verständnisinnig. »Na, mit dem werde ich bald fertig werden – ich bin gleich wieder oben, Fräulein Trudi!« Und dann flüsterte er seinem Lohengrin ein Wort ins Ohr und trollte sich eilig hinaus. –

»Wollen Sie nicht gefälligst Platz nehmen, Herr Professor?« sagte Trudi förmlich und wies dem blonden Hans einen Stuhl am Tische an, während sie sich an dessen andrer Seite auf das Sofa setzte.

»Mein Vater hat Ihnen natürlich schon gesagt, daß meine Hoffnungen sich überraschend schnell erfüllt haben.«

»Mama und Asta werden sehr bedauern, Ihnen nicht auch gleich ihre Glückwünsche aussprechen zu können.«

»Sie sind so kühl und gemessen, Fräulein Trudi – freuen Sie sich nicht ein wenig mit mir?«

»O gewiß, Herr Professor. Aber Mama und Asta sind ausgegangen und da . . .«

»Das hat mir die Minna schon gesagt und ich habe mich sehr darüber gefreut, denn es verlangt mich so danach, von Ihnen allein zu hören . . .«

Hans war aufgesprungen und machte nun Miene, sich neben das vor Erwartung glühende Mädchen auf das Sofa zu setzen. Aber Trudi wehrte ihm das mit erheuchelter Aengstlichkeit und wiederholte nur: »Mama und Asta sind ausgegangen!«

»Nun ja, meinetwegen! Ich kann es Ihnen ja auch von diesem Stuhle aus sagen, was mir schon so lange auf dem Herzen liegt, und was auch Sie ahnen müssen: daß ich dich von ganzem Herzen liebe, Trudi!«

»Dich?« hauchte das Baroneßchen in seligem Schreck über den süßen, traulichen Klang dieses Wörtchens und legte ihren Lockenkopf in die hohlen Hände vor sich auf die Tischplatte.

Und nun setzte sich der Professor dennoch neben sie auf das Sofa, trotzdem Mama und Asta ausgegangen waren; ja, er legte sogar den Arm um ihre schlanke Taille und redete weiter: »Ja, dich liebe ich, Trudi, du süßer Schatz, und ›du‹ sage ich ganz leck zu dir, weil ich weiß, daß du mir das nicht übelnehmen wirst, so lange und so gut, wie wir uns kennen. Ich hätte es auch wohl schon früher sagen können, ohne daß du mir besonders böse gewesen wärest, aber ich wollte erst gegen deine siebenzackige Krone auch meinen Trumpf auszuspielen haben! Und Professor ist doch auch ein hübscher Titel! Daß du mir gut bist, das habe ich schon lange in deinen Augen gelesen, ob du aber auch meine Frau werden magst, Trudi, das mußt du erst noch ausdrücklich sagen. Willst du wohl, Mädchen?«

Aber sie verharrte in ihrer straußenhaften Unsichtbarkeit und die Hand des Liebenden, welche ihre Schulter drückte, fühlte, wie die zarte Gestalt leise erzitterte und die Schulter zuckte.

»Du weinst doch nicht, Trudi?«

»Doch,« sagte sie ganz leise und erhob langsam, tief aufseufzend, ihr glühendes Gesichtchen. Und wirklich, es rannen zwei Thränen über die Wangen; aber die weinenden Augen lachten, die zuckenden Lippen lachten, und was sie so beredt verschwiegen, das war ein jubelndes »Ja« auf die Frage des Geliebten.

Er ergriff ihre beiden Hände und versenkte seinen leuchtenden Blick in das feuchte Blau ihrer Augen.

»Und glaubst du, daß die Excellenz Mama nichts dagegen haben wird?«

Sie schüttelte energisch den Kopf.

»Ach, Trudi! Dann darf ich wohl . . .?«

Sie hob das Gesichtchen noch ein wenig höher und bot ihm die halb geöffneten Lippen dar. Aber der Professor hatte etwas andres gemeint, sprang vom Sofa auf, ohne ihrer verlockenden Einladung zu folgen, lief er zur Thür und sang mit dröhnender Stimme in den Flur hinaus: »Hojotoho!«

Und sofort echote der etwas brüchige Tenor des Papa Musikdirektors zurück: »Hojotoho! hoho!« Er mußte den Herrn Müller schon auf der Treppe abgefertigt haben – sonst hätte er unmöglich in dieser Geschwindigkeit wieder oben im Wohnzimmer bei Lersens sein können.

Er fand sie mitten im Zimmer stehend; der große, blonde Hans hielt Trudis Krauskopf mit beiden Händen fest und heftete Kuß um Kuß auf ihren gern gewährenden Mund, sodaß dem glücklichen Vater nichts übrig blieb, als die anmutige Gruppe zu segnen.

Und dann gab's ein Erzählen und Lachen und Küssen – Vater Diedrichsen ging auch nicht ganz leer dabei aus! – und dann kehrten die Excellenz und Asta heim, heuchelten großes Erstaunen und hatten ihre aufrichtige Freude daran.


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