Ernst von Wolzogen
Die Kinder der Excellenz
Ernst von Wolzogen

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Erstes Kapitel.

Mit welchem die Geschichte plötzlich anfängt, indem die Lersens wieder unter die Leute kommen.

Am Hauptportal des Berliner Rathauses fuhren an einem der letzten Apriltage des Jahres 1886 zahlreiche Equipagen vor. Das Wetter war rauh und der fast senkrecht herabfallende schwere Regen spritzte von den glatten Granitplatten des Bürgersteigs hoch empor. Kutscher und Diener der vornehmsten Fuhrwerke steckten von den hohen Hüten bis zu den Knöcheln herab in gelbweißen Gummifutteralen und die weniger großartigen, sowie die vereinzelten Droschkenlenker erster Klasse waren bis zur Nasenhöhe in den überhängenden Mantelkragen untergetaucht. Die Lakaien sprangen vom Bock, sobald die dampfenden Pferde parierten, spannten ihre Regenschirme auf, öffneten mit kurzem Ruck die Wagenthüren und reichten dann die Linke hinein. Und in diese großen Lakaienhände legten sich schmale, schlanke Damenfinger, und leicht beschuhte Damenfüße streckten sich nach dem Trittbrett tastend unter sorgsam erhobenen Kleidersäumen hervor: eine reiche Auswahl elegantester Strumpfwaren, in allen Farben und Tönen von Schwarz bis Weiß, Füße und Füßchen von allen Größen und Formen. Und auf so verschiedenen Säulenpaaren, vom großmütterlich dorischen bis zum kindlichst korinthischen Stile, bewegten sich eilfertig unter den hochgehaltenen Schirmen mehr oder minder unförmliche Pyramiden von Kleidungsstücken dem schützenden Dache zu.

Eine gewöhnliche Droschke zweiter Klasse, welche jetzt eben vor demselben Portale hielt, nahm sich in der stolzen Reihe aristokratischer Kutschen fast unbescheiden einfach aus. Und doch hatte dieser triefende, zur Hälfte ausgeblichene, zur Hälfte gelb angelaufene Fliegenschimmel die Ehre gehabt, drei unzweifelhaft vornehme Damen von einer der äußersten Straßen Moabits bis hierher zu ziehen, nämlich die Generalswitwe Freifrau von Lersen, Excellenz, und ihre beiden Töchter, die Baronessen Asta und Trudi, deren Schönheit vielleicht noch nicht von allen Lieutenants der Garde vergessen war, obwohl sie schon zwei Winter hindurch nicht mehr in der Gesellschaft gestrahlt hatte. Das Amt des Schirmträgers übernahm für diese Damen ein ungewöhnlich beleibter Herr, nachdem er sich mit Vorsicht und Würde durch die enge Thür hinausgezwängt hatte. Ihm folgten die Excellenz Mutter, Asta und endlich leichten Sprunges Trudi, die es natürlich wieder nicht für der Mühe wert hielt, ihr Kleid ordentlich aufzuraffen, sondern einfach in ihrem sehr wohlfeil aussehenden Regenmantel, die Hände in die Vordertäschchen gesteckt und ein Schnupftuch um den blonden Krauskopf geschlagen, nachdem sie den Kutscher bezahlt, den Vorangegangenen nachlief.

»Du, Mama,« sagte Trudi, während sie alle vier die Treppe hinaufstiegen, »heute werde ich Tantalusqualen ausstehen müssen! Gott, wie lange habe ich keine Schlagsahne mehr zu sehen bekommen – und heute soll ich so zu sagen mitten drin sitzen und Konditormamsell spielen! Ob ich das wohl aushalte?«

Der dicke Herr lachte: »Na, Trudi, wenn du brav bist, kaufe ich mir einen Apfelkuchen bei dir und – schenke ihn dir.«

»Onkel Muz hat doch immer noch das großartigste Herz von der Welt,« rief das junge Mädchen lustig.

Und die Mutter wandte sich lächelnd zu ihr: »Sei nur nicht zu übermütig und ausgelassen heut in deiner Rolle, hörst du, liebes Kind? Bedenke immer, daß unser lieber Major euch nur gewissermaßen durch eine Hinterthür unter die Damen des Vereins bringt.«

»Na ja, wenn auch,« versetzte der Major. »Deswegen braucht ihr euer Licht doch nicht unter den Scheffel zu stellen, Kinder. Beweist dem Verein eure Dankbarkeit, indem ihr die brillantesten Geschäfte für seinen Bazar macht. Und dann, Asta, können Sie ja den älteren Damen ein paar liebenswürdige Redensarten zuwenden, nicht?«

Asta runzelte die Brauen ein wenig und erwiderte mit einem Anflug von Bitterkeit im Tone: »Sagst du das mir besonders, weil du weißt, daß mir das besonders schwer werden wird? Ja, Mama, ich empfinde es nun einmal als eine Demütigung, daß wir uns hier den Zutritt erschleichen . . .«

»Erschleichen!« unterbrach die Excellenz vorwurfsvoll.

»Nun ja – seit unsre Mittel es uns nicht mehr erlauben, die Beiträge für solche vornehmen Wohlthätigteitsvereine zu zahlen! . . . Es ist mir recht lieb, daß ich nur Weißwaren zu verkaufen habe – das wird wenigstens ein stiller Posten sein.«

»Wie du immer gleich bist, Asta,« schmollte die Schwester. »Ich freue mich ganz diebisch auf diesen Scherz.«

»Aber, liebes Kind, laß doch nur diese burschikosen Redensarten,« sagte die Mutter leise mit sanftem Vorwurf.

Sie waren in der Garderobe angelangt und entledigten sich ihrer vielfachen Hüllen. Asta, die hochgewachsene, dunkelblonde, entpuppte sich als ein holländisches Bürgermädchen, Trudi, die kleinere, mit dem blonden Krauskopf und den sehr dunkelblauen, fast schwarzen Augen als eine sehr niedliche, salonmäßig idealisierte Schweizerin. Ihre Excellenz, eine noch immer schöne Vierzigerin, sah in ihrem schwarzseidenen Kleide mit dem spanischen Spitzenschleier sehr vornehm aus. Wer sie genauer kannte oder wer längere Zeit mit ihr sprach, der bemerkte wohl an der müden Schwere, mit welcher die Lider auf den etwas umflorten, braunen Augen lasteten, daß diese Frau mancherlei Sorge und Kummer zu tragen habe; im übrigen aber konnte ihre Erscheinung nicht den Eindruck früh entsagender Hoffnungs- und Wunschlosigkeit machen. Und doch schleppte sich Frau von Lersen mit einer Last auf der Seele herum, einer von ihrem verstorbenen Gemahl ererbten Gewissenslast, von welcher ihre Kinder keine Ahnung hatten, und welche weit schwerer drückte, als die Notwendigkeit äußerster Einschränkung, welcher sie sich mit edler, klageloser Ruhe anbequemt hatte. Wenn sie daheim über ihrer Handarbeit saß, pflegte sie oft ganz ihre Umgebung zu vergessen und mit jenem müden Blicke lange zum Fenster hinauszustarren – und es war weder ihrem Sohne, dem Dragonerlieutenant Bodo, noch ihren beiden Töchtern jemals in den Sinn gekommen, die schweren Seufzer, die sich dann ihren Lippen entrangen, einem andern Grame zuzuschreiben, als dem ihrer Witwentrauer. Und diesen Gram wußten auch der leichtsinnige, nichts weniger als sentimentale Bodo und die sonst immer lustige Trudi zu ehren.

Und wie nun die Excellenz am Arme ihres Freundes, des »alten Muz«, d. h. des Majors a. D. von Muzell, den großen Saal betrat, in welchem der Bazar für Feierabendhäuser veranstaltet wurde, da seufzte sie auch heimlich auf. Empfand sie, wie ihre stolze Asta, ihre Einführung in diese Gesellschaft des selbstverständlichen Luxus, des sorglos üppigen Wohlthätigkeitssports als eine Demütigung? Aber sie hatte ja doch die Pflicht, ihre Töchter auf irgend eine möglichst wohlfeile Art mit der Gesellschaft in Berührung zu bringen, in welche sie nach Geburt und Erziehung gehörten. In ihrer engen Wohnung, drei Treppen hoch, weit draußen in der Stromstraße, konnte sie keine Gäste bewirten, und folglich durften sich auch die Mädchen nicht zu größeren Gesellschaften einladen lassen – abgesehen davon, daß ihr äußerst karges Taschengeld nicht den bescheidensten Kleiderstaat gestattete! Und sie waren doch beide so heiratsfähig – sechsundzwanzig und zwanzig Jahre! Irgendwo mußten sie doch Männer sehen – auch außerhalb der Rousseau-Insel, die ja leider nur in den billigen Eismonaten in Betracht kam! Die guten Kinder waren nichts weniger als Mannsanglerinnen, sie hatten die Herren im Gegenteil in den Tagen ihres Glückes, als der Vater noch lebte und ein glänzendes Haus machte, immer sehr gleichmütig herankommen lassen. Aber jetzt waren sie durchaus auf eine Heirat angewiesen; denn sie hatten beide eine so feine Erziehung genossen – Asta in der Schweizer Pension, Trudi daheim durch die Gouvernante – daß sie durchaus außer stande waren, sich irgendwie erwerbend zu beschäftigen! Sämtliche jungen, vornehmen Damen der modernen Kulturländer könnten allenfalls Blümchen auf Porzellan malen, einen englischen Roman schlecht übersetzen und ein armes Kind auf Klavier dressieren: aber eben darum sind diese Jammerkünste so brotlos! Talente haben sie alle – aber wie viele haben Talent? Und wenn das bißchen Pensionatswissen immer ausreichte, um damit als Erzieherin und Lehrerin aufzutreten, und wenn vornehme Familien ihre Gouvernanten nur aus den Kreisen verarmter Mädchen von Stande beziehen wollten – ach, du lieber Himmel! es dürfte ihnen schwer fallen, die nötigen Kinder für die vielen »Fräuleins« aufzutreiben! Also heiraten, heiraten – auskömmlich heiraten, oder? . . . Trostloses Oder! . . . – Ja, Ihre Excellenz hatten wohl Grund zu seufzen! – –

Die Lersens waren fast die letzten von den beim Verkauf beteiligten Damen. Man hatte sie offenbar mit einer gewissen Spannung erwartet, denn sobald sie in den großen Saal eintraten, wendeten sich die Blicke aller Anwesenden ihnen zu, das laute Geplauder verstummte für einige Sekunden, und dann, nachdem die erste flüchtige Prüfung anscheinend »befriedigend« bestanden war, eilten von allen Seiten alte Bekannte zur Begrüßung herbei. Gott, Lersens hatten früher ein so nettes Haus gemacht! Der General war bis in seine letzten Tage ein so geschmeidiger, fast jugendlich kecker, schöner Kavalier gewesen, hatte bei den Bällen, die er gab, selbst an den Rundtänzen mit schneidiger Unermüdlichkeit teilgenommen und es wie kein andrer verstanden, durch sein Beispiel den jungen Offizieren die appellmäßige Steifheit, von welcher sie sich sonst im gesellschaftlichen Verkehr in den Häusern ihrer hohen Vorgesetzten nur schwer oder gar nicht loszumachen vermögen, gänzlich abzugewöhnen. Die Generalin stand ihm mit vornehmer Sicherheit und stets sich gleichbleibender Liebenswürdigkeit zur Seite und die gefährliche Schönheit und geistige Ueberlegenheit Astas war ein Magnet für die Herrenwelt gewesen, um welchen das Lersensche Haus von vielen töchterreicheren beneidet wurde. Da war ganz plötzlich die Excellenz gestorben, und diesem Todesfalle war fast auf dem Fuße der Abbruch aller gesellschaftlichen Beziehungen, Verkauf der prächtigen Einrichtung, Uebersiedelung in eine geradezu plebejische Stadtgegend, mit einem Worte, ein Zusammenbruch der ganzen Lebensverhältnisse gefolgt, welcher in dem weiten Bekanntenkreise fast wie ein bedenklicher Bankerott besprochen wurde.

Aber es war nun zwei Jahre her – und das ist eine lange Zeit für das kurze Gedächtnis der guten Gesellschaft! Freilich hätte man sich der Lersens erinnert, wenn von ihnen die Rede gewesen wäre, aber es war eben schon lange nicht mehr die Rede von ihnen gewesen! Und nun tauchten sie hier plötzlich als Mitspielerinnen auf in der aristokratischen Komödie, genannt »Wohlthätigkeitsbazar!«

Also die guten Leute lebten noch? – Ja, allerdings – der Dragonerlieutenant Bodo von Lersen war ja seit einigen Monaten zur Central-Turnanstalt kommandiert und hier und da in Offiziershäusern bemerkt worden. Aber die Damen? – Sie lebten immer noch drei Treppen hoch weit draußen in Moabit, und beide Töchter noch unverheiratet?! – Wer weiß, ob sie nicht vielleicht Klavierstunden geben oder dergleichen! – Ja, haben denn die armen Mädchen überhaupt etwas anzuziehen? – Sehen wirklich noch recht nett aus für ihre Verhältnisse! – Asta macht's mit einem bißchen weißer Wäsche und reichlich bloßen Armen – die Arme waren ja schon immer ihre great attraction – haha! – Wissen Sie noch: die lebenden Bilder bei der Gräfin Wolffenstein? Ja, was haben ihr die weichen, kosigen Arme geholfen? Mit ihrem harten Kopf und ihrem kalten Geist stößt sie ja doch alle Männer wieder ab, die sie mit den Armen herangelockt hatte . . . Na, und die Kleine, – wie heißt sie doch? – hat sich ja recht entwickelt. War damals noch eine etwas reichlich unschuldige Fähnrichsflamme. Das Schweizerkleidchen hat sie sich für zehn, zwölf Mark zusammengebandelt. Armes Putchen, wer soll's nehmen?!

Dergleichen Gespräche und Betrachtungen huschten, leiser und lauter geflüstert, durch die Gruppen. Die jüngeren Damen und besonders die ganz jungen Komteßchen und Baroneßchen schauten auf den hohen Rat der Mütter, um nach deren Benehmen den Grad der Herzlichkeit, mit welcher sie den Lersens begegnen dürften, abzumessen.

Jetzt knicksten die drei Damen vor der alten Fürstin Berleburg-Dromst-Führingen, auf deren kleinem verwitterten Gesichtchen das Lächeln angeborener Liebenswürdigkeit den zahllosen feinen Runzeln die Richtung gegeben hatte, so daß die freundliche Dame nun als Greisin entschiedener lächelte, denn je zuvor. Sie ließ ihre achteckig gefaßten Augengläser aus der Perlmutterscheide herausschnappen, blickte mit ihren runden Vogeläugelchen flüchtig hindurch, und erhob sich dann mit Hilfe ihres Elfenbeinstabes hurtig von ihrem Ehrensessel, um der Excellenz-Witwe einen Schritt entgegen zu thun. Sie trug ein Kleid von perlgrauer Seide mit prachtvollen, matten alten Spitzen garniert, und die Orden an ihrer linken Schulter funkelten um die Wette mit dem Brillantenzweig, der ihr Gewand am Halse schloß.

»Das ist ja meine gute Lersen!« redete die Fürstin mit ihrer spinnwebfeinen, unfaßbar hohen Stimme sie an. »Meine liebe Excellenz, wo haben Sie bloß so lange gesteckt? Haben Sie die tour de monde gemacht, Südseeinseln annektiert, oder so etwas Zeitgemäßes? Ich weiß, ma foi, nicht mehr, wie lange ich Sie nicht gesehen habe! Wann starb doch mein guter General? Zwei Jahre ist das schon her – o! ich erinnere mich so gut – ich – sehe ihn noch so vor mir, ein Jüngling mit seinen weißen Haaren! Ein Soldat – o! und dabei doux comme un agneau gegen uns alte Leutchen! – Ach ja, sie sterben alle so wunderbar jung, ces vieux guerriers d'aujourd'hui – ich könnte schon lauter Excellenzen zu Enkeln haben! Ihre Töchter? Ah – ah! – Wie schön, wie allerliebst!« Das Augenglas schnellte wieder hervor und die lächelnde, alte Fürstin klopfte den Fräulein auf die Schultern und nannte mit drollig beschreibender Handbewegung Asta eine Rose, purpurn, samtweich, Trudi ein Maiglöckchen! »Macht immer Bimbimbim! Fenster und Thür sind auf; Liebe kann mit dem Maienwind herein, – Bimbimbim! Besucht mich doch, meine Lieben, ich mag so gern hübsche Jugend um mich sehen!«

Die beiden Mädchen küßten mit tiefer Verneigung die duftenden Handschuhe der munteren Greisin und zogen sich dann mit der Mutter zurück. Das herzliche Willkommen der alten Fürstin hatte viel dazu beigetragen, ihre anfängliche Befangenheit zu verscheuchen, und die mutwillige Trudi konnte sich nicht enthalten, die hohe Stimme der Patronin nachahmend, »Bimbimbim! bimbimbim!« zu machen, während sie ihren Verkaufsstand betrat, so gleichsam die Eröffnung ihres süßen Geschäftes einläutend.

Einzelne Damen, die es mit der Berleburgerin hielten, beeilten sich nun zwar, es an Liebenswürdigkeit gegen die Lersens der Patronin gleichzuthun, die größere Anzahl jedoch hatte es damit weniger eilig. Die Gräfin Wolffenstein, Gemahlin des Gesandten eines süddeutschen Bundesstaates, flüsterte der Oberstallmeister-Witwe, Frau von Bohnsdorf, mit jenem mitleidigen Lächeln, das so oft ihre etwas zu schwellenden Lippen umspielte, ins Ohr: »Ujegerl, was die Fürstin mit den Lersens Mädeln für ein Wesens macht! Wenn eins von uns einmal so eilfertig von der Bildfläche verschwunden ist, wie die da, dann pflegt's doch einen Haken gehabt zu haben. Man nimmt sich doch Zeit Und schaut sich erst einmal die Verhältnisse genauer an. Aber bei der Alten ist die Leutseligkeit bald ein bisserl gemeingefährlich!«

Die Bohnsdorf nickte beifällig: »Ja wirklich, Gräfin. An jungen Mädchen zum Verkaufen fehlte es uns doch wahrhaftig nicht, und ich hätte diese Lersens gewiß am allerletzten eingeladen. Der Major von Muzell soll's bei der Fürstin durchgesetzt haben – dort, der korpulente Herr, der immer um die schwarze Excellenz ist. Ich hörte, man habe ihm den Abschied sehr gern bewilligt. Und dann war er ja auch zu Lebzeiten des Generals deklarierter Hausfreund . . . Hm! Ich denke mir, er wird die großen, reifen Mädchen unter die Haube bringen wollen und dann seine alte Verehrung heiraten. Wissen Sie, ob sie geerbt haben, die Lersens?«

»O ja – Schulden vom Papa!«

»So so! Also darum?! Der General war ein bißchen ein viveur – lebte über seine Verhältnisse wahrscheinlich.«

»Na, dafür überlebten seine Verhältnisse ihn,« scherzte die Gesandtin, welche oft ganz witzige Einfälle hatte, besonders auf Kosten Abwesender. Und die Bohnsdorf kicherte hinter ihrem großen Fächer: »Nein, Gräfin, was Sie doch immer für gute Sachen sagen! Seine . . . hahaha! – Verhältnisse! Also in dieser Art war Excellenz Lersen auch?«

Die Gräfin zuckte die Achseln, als ob sie wer weiß was für Geheimnisse bewahre.

»Ja, ja, der gute General,« seufzte die Bohnsdorf. »Er hatte ein bißchen viel Temperament, das hab' ich immer gesagt! Nun, einem stattlichen Soldaten steht das ja sehr gut; aber wenn sich's auf die Töchter vererbt hätte! – Sehen Sie bloß, Gräfin, die kleine, kecke Person da in der Konditorbude! Natürlich, das ist ja die jüngste Lersen! Wie sie dem Ulanen den Teller auf Armeslänge entgegenhält. Wenn's auch für die Wohlthätigkeit ist – so etwas bleibt doch unpassend! – Und wie sie den Kopf beim Lachen hintenüber wirft! Ich muß doch meiner Leonie einen Wink geben!«

Die kleine, vertrocknete Oberstallmeisterin war sonst eine ganz harmlose Frau, aber sie besaß in ihrer Leonie eine Tochter von so vollendeter Reizlosigkeit, daß sich ein fast kindischer Groll gegen alle Mütter hübscher Mädchen in ihrem Herzen eingenistet hatte. Leonie überragte ihre kleine Mama um reichlich ein Dritteil ihrer ganzen Länge und tanzte nun schon elf Winter hindurch, ohne einen Liebhaber für ihre ansehnliche Mitgift gefunden zu haben. Heute hätte sie gar zu gern die so gangbaren Zuckerwaren zu verkaufen übernommen – nun hatten sie ihr die Trudi von Lersen da hinten aus Moabit vorgezogen und sie selbst mit den Wollwaren abgefunden! Uebrigens bekundeten die Vorstandsdamen ein feines Stilgefühl durch diese Wahl; denn die ›Bohnsdorfstange‹ war genau so langweilig, dauerhaft und warmsitzend, wie die naturwollene Handstrickerei der grauen Winterstrümpfe, welche sie feilzubieten hatte.

Unterdessen hatte das Publikum begonnen sich einzufinden. Zunächst kamen die zärtlichen Verwandten der verkaufenden Damen, welche neugierig waren auf den Eindruck, den die Nichten, Basen und Schwägerinnen in ihren bunten Trachten, in ihrer neuen Eigenschaft als dilettierende Geschäftsdamen machen würden. Es bildeten sich zahlreiche Familiengruppen bei den einzelnen Warenauslagen und jeder sagte den lieben Seinigen so viel Hübsches und Ermunterndes wie möglich. Mehrere wohlwollende Großpapas scherzten da mit jener halbneckischen Artigkeit, mit jenem freundlichen Lächeln, welches vornehmen, alten Herren so wohl ansteht, mit ihren Enkelinnen und Großnichten und griffen auch wohl zu den Börsen, um den Grund zur Tageskasse zu legen. Und die jungen Damen nahmen alle die verwandtschaftlichen Aufmerksamkeiten als ebenso bare Münze entgegen, wie die ersten Goldstücke. Die ganz schüchternen Neuen erröteten lieblich vor sittsamer Verlegenheit und freudiger Erwartung der verheißenen Triumphe, die Aelteren und Gewandteren betrachteten die guten Onkelchen und Tantchen als Probekunden, an denen sie ihre kleinen Versucherkünste, ihre liebenswürdigen Redensarten auf den Effekt prüfen konnten. Und dann lösten sich allmählich die Sondergruppen, man suchte und begrüßte die nähere Freundschaft und Bekanntschaft, beglückwünschte die Mütter, erfreute die würdigen Vorstandsdamen durch ungemessenes Lob des ›charmanten Arrangements‹, kurz, man schwelgte so gutmütig gedankenlos in Bewunderung und heiterster Zufriedenheit, daß die hierdurch erzeugte Eröffnungsstimmung eine so wohlthuende ward, wie man sie nur irgend von einem Wohlthätigkeitsbazar erwarten darf.

Allmählich, je näher die Stunde rückte, in welcher der Kronprinz mit seiner hohen Gemahlin zur eigentlichen, feierlichen Eröffnung erwartet wurde, fand sich jenes größere Publikum ein, auf dessen Kauf- und Unterhaltungslust die wohlthätigen Damen am meisten rechneten: die einzelnen Herren der Hof-, Militär- und Beamtenkreise. Alle die wohlbekannten, bei keiner derartigen Gelegenheit fehlenden Charakterköpfe und ausgeprägten Gattungsmenschen waren bald in beträchtlicher Anzahl zur Stelle. Vom wohlgepflegten, angegrautes Major bis zum schmächtigsten rehfüßigen Gardelieutenant, vom ernstesten, mehr oder minder geheimen Rat bis zum durchgescheitelten Allerwelts-Referendar mit der Renommierquart auf der glattrasierten Wange waren alle Schichten der gut situierten Gesellschaft, der noblen Berufe durch ihre Abgesandten vertreten.

An Astas Weißwaren und Trudis Zuckerbäckereien gingen die meisten Besucher zunächst noch vorüber. Manche stutzten, schienen sich der beiden Gesichter dunkel zu entsinnen, doch den Namen nicht finden zu können, andre, zumal von den jüngeren, erst neuerdings zur Gesellschaft gestoßenen Herren, setzten die Klemmer fester, schauten sehr interessiert darein und wandten sich dann mit eifrigen Fragen flüsternd an ihre Bekannten. Mit der Zeit fand sich aber doch ein kleiner Kreis von guten Freunden aus früheren Tagen zusammen, welche sich merklich freuten, die Lersens wiederzusehen.

»Ah, mein gnädiges Fräulein! Sind Sie es wirklich? Wie reizend, daß Sie sich endlich wieder unter uns sehen lassen! – Sie haben sich wohl mit Ihrer Frau Mutter im Ausland aufgehalten? Nicht? O, dann haben wir aber allen Grund, Ihrer verehrten Frau Mama böse zu sein, daß sie Sie uns so lange entzogen hat. Jetzt werden wir aber doch wieder häufiger das Vergnügen haben, nicht wahr? Wie, Sie leben ganz zurückgezogen? Ihre Frau Mutter bedarf der größten Schonung? Aber erlauben Sie, meine Gnädigste, Ihre Excellenz sehen ja ganz brillant aus, ich begreife nicht – o . . . o . . .« Diese und ähnliche Redensarten bekamen die beiden Baronessen einmal über das andre zu hören. Aber während Asta mit Anstandslügen über den wahren Grund ihrer Zurückgezogenheit hinwegzutäuschen suchte, plauderte Trudi munter die Wahrheit aus und belehrte die verblüfften Offiziere und Assessoren, daß man in der Stromstraße sehr hübsch billig wohne, daß ihre Mittel ihnen nicht erlaubten, gesellig zu leben, daß es aber jedenfalls heute »furchtbar nett« sei. Und dann lachten die Herren und aßen Apfelkuchen zum wohlthätigen Zweck, während Astas Stickereien nur sehr wenige Käufer fanden.


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