Ernst von Wolzogen
Die Kinder der Excellenz
Ernst von Wolzogen

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Zweites Kapitel.

In welchem der alte Muz den Töchtern der Excellenz einen merkwürdigen jungen Mann vorstellt und Ihre Excellenz selbst beinahe in Ohnmacht fällt.

»Nun wie geht's, Fräulein Asta?« fragte der alte Muz und lächelte der schönen Holländerin ermutigend zu.

Und des stolzen Mädchens dichte, dunkle Brauen zogen sich unwillig zusammen, als es dem beleibten, alten Freunde zuflüsterte: »Ich kann dir nur sagen, es kocht schon in mir. Alle fragen sie mich aus, wie nach einem auswendig gelernten Leitfaden. Ich weiß nicht, wie viele dutzendmal ich schon gelogen habe, daß Mama zu leidend sei, um an der Geselligkeit teilzunehmen – und wenn mich jetzt noch einer fragt, ob ich die Sembrich schon gehört habe, dann fange ich, glaub' ich, vor Zorn an zu weinen. Mir ist gerade so zu Mute. – Du hättest uns doch nicht hierherbringen sollen.«

»Aber, Kind – sei kein Kind!« suchte sie der Major zu beruhigen. »Ihr müßt doch einmal wieder unter Menschen, ihr müßt doch – wie soll ich sagen? – nun ja: gesehen werden . . .«

»Ihr müßt doch heiraten – willst du sagen,« unterbrach ihn Asta kurzweg. »Gewiß, das weiß ich, das will ich auch. Ich soll ja – Charakter haben – haha! Ich habe mir vorgenommen, einen Mann zu bekommen, so fest wie nur der stärkste Männerwille sich vornehmen kann, eine bestimmte hohe Stellung zu erringen. Aber diesen Unglücksmenschen werdet ihr mir nicht so wie ihr meint, so – mit Zuhilfenahme der öffentlichen Wohlthätigkeit verschaffen!« Das schöne Mädchen lachte wieder bitter auf; aber sie sah jetzt mit den warm geröteten Wangen um so schöner aus.

»Wenn er dich so sähe?« rief der Major mit einer drolligen Geste der Bewunderung aus.

»Welcher Er? Hast du vielleicht schon einen für mich auserwählt?«

»Hm! wer weiß!«, schmunzelte Muzell und drückte sein linkes Augenlid fest zu, indem er zugleich den herabhängenden rechten Schnurrbartzipfel in die Höhe pustete. Auf diese Weise pflegte er einen bedeutungsvollen Hintergedanken pantomimisch auszudrücken, und die Grimasse stand dem dicken Herrn so komisch zu Gesicht, daß Asta jedesmal darüber lachen mußte.

»Ich fürchte, Onkel Muz, du wirst wenig Glück mit Ihm haben,« versetzte Asta gutlaunig. »Du glaubst nicht, wie fad mir unsre ganze Herrenwelt heute wieder vorkommt, nachdem ich zwei Jahre lang nicht den Vorzug gehabt! Sie mögen sich durch Wissen und Talente unterscheiden, wie alle andern Menschen auch, aber uns Frauenzimmern gegenüber geben sie sich ordentlich Mühe, immer genau einer wie der andre zu erscheinen. Sie meinen vielleicht, weil wir die Uniformen lieben! Schade, daß es nicht Sitte ist bei diesen Herren, sich ihr notariell beglaubigtes Einkommen auf die Visitenkarte drucken zu lassen; dann gäb's doch einen Unterschied, an den man sich halten könnte!«

»Laß die Mama so etwas nicht hören – es möchte sie betrüben,« sagte der Major ernst. Aber dann spielte gleich wieder sein listig ironisches Lächeln über die vollen, roten Wangen, als er fortfuhr: »Ich wäre doch begierig, zu hören, wie so ein Mann für dich beschaffen sein müßte.«

Und Asta erwiderte, ohne sich einen Augenblick zu besinnen: »Wenn er sehr, sehr viel Geld hat, dann kann er meinetwegen horrent dumm sein, denn in diesem Falle würde ich meine freie Selbstherrlichkeit schon zu bewahren wissen. Will der Betreffende aber Geist haben, so bitte ich mir so viel aus, daß er mir imponiert, immer, unter allen Umständen, auch wenn er ein großer Taugenichts ist.«

»Und wie viel muß der mit dem imposanten Geist haben?«

»Natürlich reichlich genug zur standesgemäßen Lebensführung.«

»Standesgemäß?! Hol's der Teufel, das verdammte Wort,« brummte der alte Muz in seinen grauen Schnauzer: »Das hat schon schauderhaft genug aufgeräumt unter ehrlichen Eseln!« Und lauter setzte er hinzu: »Deine Ideen kommen mir ganz amerikanisch vor, Miß Asta. Komisch genug für ein preußisches Generalsmädchen!«

»Ganz recht, Onkel Muz,« sagte sie mit lebhafter Erregung. »Seit ich aus eigner, trauriger Erfahrung weiß, was unser schöner Idealismus im Verein mit uralten Vorurteilen für unglückselige Verhältnisse zu Stande bringt, seitdem bin ich als deutsche Romanheldin nicht mehr zu gebrauchen, und ich beneide die amerikanischen Damen aus voller Seele. Erzieht ihr uns zu Prunkstücken, dann müßt ihr auch dafür sorgen, daß wir auf einem soliden Sockel und in eine würdige Umgebung zu stehen kommen.«

Der alte Major lächelte so eigen vor sich hin: »Also ein Amerikaner – ein solider Sockel!? Schön, bon, gut Kind, ich verschaffe dir deinen soliden Sockel! Paß 'mal auf – ich backe ihn dir hier in meinem Hute zurecht wie der Zauberkünstler einen Eierkuchen!«

Eine alte Dame, welche etwas Gesticktes zu kaufen beabsichtigte, unterbrach das Gespräch und der Major zog sich mit einem ganz verschmitzten Gesicht zurück. Als er wenige Schritte weiter seiner alten Freundin, der Excellenz, begegnete, schwenkte er übermütig seinen besagten Zauberhut und raunte ihr zu: »Heute habe ich Glück, scheint's. Es kann noch toll genug heut kommen!«

Und ehe die überraschte Dame noch ein Wort der Verwunderung über diese wunderliche Anrede äußern konnte, war der alte Muz schon weit weg auf dem Weg nach dem Haupteingang, in dessen Nähe er sich nunmehr aufstellte, um mit der Miene eines alten Thorschreibers die Eintretenden zu mustern.

Frau von Lersen eilte nach Trudis Platz, um bei ihr Aufklärung zu suchen über die eben vernommenen Rätselworte. Aber die Leckerbude war gerade stark von Herren umlagert, unter denen sich eben auch zwei Gestalten befanden, welche sich von dieser gleichmäßig glänzenden Goldschnittgesellschaft so entschieden abhoben, wie ein Paar ehrliche Schulbände in einer eleganten Salonbibliothek.

»Ach, sieh da, Herr Musikdirektor!« rief die Excellenz überrascht und reichte einem weißköpfigen, glattrasierten Herrchen die Hand, welches sich mindestens sechsmal verbeugte und die Hand gar nicht wieder loslassen wollte. »Und Ihren Herrn Sohn haben Sie auch hierherbekommen? Das müssen wir Ihnen aber hoch aufnehmen, mein lieber Herr Doktor.«

»O, durchaus nicht, Excellenz,« erwiderte der jüngere, blondbärtige Herr. »Wo viele Menschen beisammen sind, lassen sich immer naturwissenschaftliche Studien treiben.«

Und die lachende Trudi fiel ein: »Du, Mama, ist das nicht nett von Diedrichsens? Sie hatten es mir aber auch fest versprochen, zu kommen und mein Geschäft durch Ihren Appetit in Blüte zu bringen. Der arme Herr Doktor hat schon drei Baisers mit Schlagsahne vertilgen müssen – man sieht's ihm auch noch an.«

Der junge Gelehrte errötete leicht und beeilte sich, die Schaumspuren von seinem üppigen Schnurrbart zu entfernen.

Der frühere Musikdirektor, jetzige Rentner Diedrichsen, war Lersens Hauswirt, und sein, ihn um ein Bedeutendes überragender, stattlicher Herr Sohn, war Privatdocent der Zoologie an der Universität. Der freundliche Alte gab Trudi aus Gefälligkeit Gesangunterricht und hatte auch seinen gelehrten Hans, seinen Stolz, seinen einzigen in die Familie eingeführt. Die Excellenz hatte gegen den Umgang mit diesen bescheidenen, herzensguten Menschen nichts einzuwenden gehabt und so war der Verkehr im Laufe des letzten Jahres ein ziemlich vertrauter und auch, durch die gehaltvolle und doch nicht pedantisch belehrsame Unterhaltung des Doktors ein besonders für Trudi geistig anregender geworden.

Der kleine Musikdirektor wandte sich an Frau von Lersen mit der Bitte, ihm einige der hervorragendsten Persönlichkeiten namhaft zu machen. Er lenkte ihre Aufmerksamkeit besonders auf eine Gruppe von Herren und Damen, welche gerade vor Anton von Werners Kongreßgemälde versammelt war.

»Wie merkwürdig, daß Ihnen gerade diese auffallen,« lachte die Excellenz. »Sagte Ihnen Ihr musikalischer Instinkt, daß dies unsre Hof-Wagnerianer sind?«

»Wirklich? Ach – nun kenne ich sie auch! Das muß unser Minister des Innern sein, nicht wahr? Und diese famose Brünnhilde mit den überlebensgroßen Augen, die da so auf den Schirm gestützt eifrig auf ihn einspricht?«

»O, das ist ja die Comtesse Gerhilde Wollin!«

»Wenn die Stimme hätte – Herr Gott!« rief der kleine Musikdirektor und fuhr sich mit der flachen Hand über den kurzgeschorenen Weißkopf. »Der möchte ich die Götterdämmerung einstudieren!«

Trudi hatte ihn gehört und flüsterte ihm hinter der vorgestreckten Hand zu: »Die Comteß soll Baßklarinette singen, sagt man. Immer: bu, bubu, budeldidu! Hören Sie sie bloß einmal reden.«

Und der alte Herr lachte seiner jungen Freundin zu und näherte sich der Wagnergruppe, als diese sich eben auflöste.

Die Brünnhilden-Comteß schob ihren Arm unter den der Gräfin Wolffenstein, welche just mit der Bohnsdorf dahergeschritten kam. »Nun, Gräfin, was wissen Sie Neues?« hörte Diedrichsen sie fragen; und wirklich ganz wie: bu, bubu, budeldidu!

»Neues? Nit grad vüll – Gerhildimauserl! Die Lersens sind wieder aufgetaucht; wenn Sie das interessiert.«

»Ja, denken Sie – und unsre gute Fürstin natürlich – Sie kennen sie ja doch! – ein Entzücken – als ob uns wer weiß was gefehlt hätte, weil die Lersens sich zurückgezogen hatten!« Das sagte die gute Bohnsdorf, welche eben erst Zeuge von Trudis glänzendem Geschäft gewesen war, nachdem ihr ihre Leonie mit feierlichem Lächeln berichtet, daß sie erst ein einziges Paar Socken an einen uralten a. D. abgesetzt habe.

»Aber die Lersens waren doch recht nette Leute, soviel ich mich entsinnen kann,« versetzte die Comteß. »Gute Familie . . .«

»Mag wohl sein,« beharrte die Bohnsdorf. »Aber ein Vater, den seine Verhältnisse ruiniert haben – Damen, von denen man jahrelang nicht erfährt, wo und wovon sie leben – hm! – Da sieht man sich doch als Fürstin und erste Vorstandsdame ein bißchen vor!«

»Wenn es nichts Schlimmeres ist!« lachte kräftig die Wollin. »Unsre liebe, alte Berleburg-Dromst-Führingen sieht noch ganz andre Leute bei sich. Ich war neulich auf ihrem ersten Rout – Mama zuliebe ging ich mit hin, wissen Sie. Und wie mich die Fürstin bemerkt, tippt sie mir so mit ihrem Lorgnon auf den Arm und flüstert mir ganz geheimnisvoll zu: ›Heute sollen Sie einmal Musik zu hören bekommen, meine Liebe!‹ – Daß sie von unsrer Kunst nichts versteht, weiß ich ja, aber ich dachte, sie wollte zum mindesten d'Albert, die Senkrah oder so etwas auftischen – und was war's schließlich? – Die vielbesprochene Dingsda, die Primadonna vom Walhalla-Theater sang uns französische Chansonetten vor: ›digué, ligué, vingué, mon bon‹ und solch Zeug – ohne alle Stimme noch dazu – es war einfach skandalös.«

»Was Sie sagen, die Grigori? Die schöne Wallachin oder was sie sonst ist?«

»Jawohl, dieselbe. Aber schön?! So gehen ihr die Backenknochen auseinander und die Augen schillern in allen Farben! Der gute Prinz Führingen machte ihr übrigens in einer Weise den Hof! . . . Muß in seinem Geschmack nach der Tante arten! Und denken Sie, die Dame wurde nettement und sans façon zur Gesellschaft gezogen, wie sonst kaum eine große Künstlerin.«

»Aber sie benahm sich ganz comme il faut, das muß ihr der Neid lassen,« bemerkte der Regimentsadjutant der Gardeulanen, der eben vorüberklirrte. »Pardon, meine Damen; aber ich mußte Ihre Konversation überhören; der Wahrheit die Ehre; die Grigori benahm sich wie eine große Dame! Man munkelt ja auch, daß sie ganz etwas Apartes sein soll – den höchsten Kreisen nahestehend!«

»Ja warum denn nit,« sagte die Gräfin Wolffenstein ironisch. »Solche Damen haben immer so viele weitläufige Onkels und entfernte Vettern, daß wir am Ende alle mit ihnen verwandt sein können.«

»O, o, o, Gräfin!« Man lachte und die Damen waren sehr amüsiert über die Wolffenstein, die immer so starke Sachen sagte.

»Sehen Sie dort, meine Gnädigsten,« rief der Adjutant. »Der kleine Provinzialdragoner da soll auch zu den Enthaupteten der Grigori gehören und mindestens seine ganze Kommandozulage in Blumen für die schöne Serbin anlegen.«

»Wer ist er?« fragte die Bohnsdorf.

»Der junge Lersen – wissen Sie, Bodo von Lersen, der einzige Sohn der verstorbenen Excellenz.«

»Lersen? Natürlich; der Apfel . . .« zischelte die Bohnsdorf im Weitergehen.

Die feinen Ohren des alten Musikmeisters hatten gerade genug von diesem interessanten Gespräch verstanden, um sich recht gehörig darüber zu ärgern. Seine lieben, verehrten Lersens nannte man so geringschätzig in einem Atem mit der ersten besten Abenteurerin; und dieser Schlingel, der Bodo! Er wußte, wie sauer es der armen Excellenz Mama wurde, die nötige Zulage zu erschwingen!

Plötzlich entstand ein merklicher Aufruhr in dem wohlgefüllten Saale. Die kronprinzlichen Herrschaften waren erschienen. Der patriotische Diedrichsen drängte sich in die erste Reihe der Spalier bildenden Menschen und hätte wahrscheinlich seinen Hut geschwenkt und Hurra gerufen, als der Thronfolger, seine Gemahlin am Arm, vorüberschritt, wenn ihm nicht ein freundlicher Referendar noch rechtzeitig einen kleinen, abmahnenden Rippenstoß versetzt hätte.

Und als sich die Gasse hinter den Fürstlichkeiten schloß, bemerkte der alte Diedrichsen unter den ersten der nachströmenden Herren den ihm wohlbekannten Major von Muzell, der den Arm eines jungen Mannes fast zärtlich durch den seinigen gezogen hatte. Und der alte Muz geleitete seinen Schützling geradeswegs nach dem Weißwarengeschäft der Baronesse Asta.

»Liebe Asta, erlaube, daß ich dir den Sohn eines lieben Jugendfreundes von mir vorstelle: Herr Rudolf von Eckardt aus Buffalo.«

»Aus Buffalo? Amerika?« Asta schaute mit lächelndem Zweifel auf den Major.

»Allerdings, mein Fräulein, – ich bin Amerikaner!« antwortete der Fremde und verbeugte sich kurz aber artig.

»Ich wußte nicht, daß du Freunde drüben hättest,« wandte sich Asta wieder an den Major und errötete tief in der Erinnerung an ihr vorheriges Gespräch.

»Ich wußte das auch nicht,« versetzte Muzell. »Bis mir dieser angenehme Republikaner hier zufällig in den Weg lief und ich ihn als den einzigen Sohn meines alten Eckardt von den niederschlesischen Siebenundvierzigern erkannte. Er ist kaum vierzehn Tage hier.«

»Ja, und Sie, mein Fräulein, sind die erste deutsche Dame, der ich vorgestellt wurde.« Der junge Mann, ein angehender Dreißiger mochte er sein, sprach langsam und vorsichtig, als ob er nur so der Gefahr, in einen nicht salonfähigen deutsch-englischen Slang zu verfallen, aus dem Wege gehen könnte.

»Du, sieh 'mal, Asta,« fiel der Major ein. »Da läßt sich eben der Kronprinz von Trudi ein Eis geben. Muß doch horchen, wie sich die Kleine benimmt. Entschuldigen Sie, Mister Eckardt!« Und damit war er auch schon fort.

Asta war mit ihrem hergezauberten Amerikaner so gut wie allein für einige Minuten, da der Hauptstrom der Besucher den hohen Herrschaften folgte, um Zeuge ihrer Liebenswürdigkeiten gegen die glücklichen jungen Mädchen zu sein.

»Ich fürchte, Herr von Eckardt,« nahm die Baronesse das Gespräch wieder auf, »wir deutschen Frauen werden Ihnen wenig gefallen, wenn Sie lange genug drüben waren, um ein wirklicher Amerikaner zu werden.«

»Ich bin seit meinem vierzehnten Jahre drüben und in allem, was die Auffassung des praktischen Lebens betrifft, ein ganzer Amerikaner geworden,« erwiderte der junge Mann. »Aber nun, wo ich im praktischen Leben so ziemlich das erreicht habe, was ich wollte, da fing mir an etwas zu fehlen – etwas, was wohl das besonders Deutsche sein muß, wie ich kalkuliere – so etwas Gemütliches – das Ideale, worüber man bei uns so gern lacht. Und das suche ich bei den deutschen Frauen, sehen Sie. – Ich bin gekommen, mir eine deutsche Frau zu holen – you know

Asta wurde wieder rot – ganz gegen ihre Gewohnheit. Aber es war doch wirklich ein zu auffallendes Zusammentreffen – die so klipp und klar ausgesprochene Absicht dieses Mannes und die Ankündigung des alten Muz!

Sie lachte, um ihre Verlegenheit zu verbergen. »Da seid Ihr eben am rechten Ort,« citierte sie scherzend.

»Hm!« machte der Amerikaner, sah sich flüchtig im Kreise um und strich sich seinen Schnurrbart

»Das sieht ja aus, als wollten Sie mit dem Schüler antworten: ›Aufrichtig, möcht' ich schon wieder fort,‹ neckte das schöne Mädchen belustigt.

Und er erwiderte: »O, das nicht, es sind sehr hübsche Damen hier, aber – aber eben nur Damen – und Damen, die gern etwas vorstellen wollen, was sie zu Hause nicht sind, I guess

»Da haben Sie allerdings recht, Herr von Eckardt. Aber Sie betonen das Wort Damen so, – mögen Sie keine Damen?«

»Eigentlich – nein!« war die bündige Antwort. »Damen, Ladys, haben wir bei uns auch sehr gut – das wäre kein glücklicher Artikel für den Import. Ich will mir eine Frau mitnehmen, wie ich sie so oft bei den deutschen Einwanderern der geringsten Klassen gefunden habe. So eine Frau, Miß, die nichts sein will, wie eben meine Frau – so recht meine Hälfte, you know; aber auch nicht meine bessere Hälfte, wie das Wort geht, sondern nur meine gute Hälfte – ebenso gut wie ich.«

Asta mußte herzlich lachen: »Entschuldigen Sie, ich lache Sie nicht aus, aber – Sie sind wirklich sehr gut!«

»O, ich denke, ich passiere,« versetzte Eckardt mit ganz ehrbarer Miene. »Und sehen Sie, was ich meine ist: Wenn ich auch nicht viel taugte, so sollte doch meine Frau ganz damit zufrieden sein und . . .«

»Auch nicht viel taugen – ja?«

»Wenn Sie mich recht verstehen wollen, ja! Bei uns drüben sind unsre Damen die einzigen Adligen, you know – sie allein haben alle Vorrechte einer höheren Menschenklasse und ihnen allein gesteht man sie so unterthänig zu, wie den Fürsten und Grafen in einem alten monarchischen Lande. Wir Männer sind das gemeine Volk, das dazu da ist, für sie zu arbeiten und sie dafür zu verehren.«

Jetzt wurde das Fräulein von Lersen ernst. Das war ja gerade das Ideal, welches sie von der Stellung der vornehmen Frau hegte, und von diesem Ideal wollte gerade dieser offenbar sehr kluge Mann gar nichts wissen.

»Mein Herr,« sagte sie lächelnd. »Ich fürchte fast, daß Sie aus dem Regen in die Traufe gekommen sind – Sie müßten denn bei den kleinen Pastorstöchtern nachfragen.«

»Aber, nein,« beharrte Rudolf mit ernstem Nachdruck. »Ich will gerade eine ganz vornehme Frau haben und it is all one to me – es ist alles eins zu mir, ob sie eine große Gräfin, oder eine kleine Pastorstochter ist. Sie soll sehr gescheit und für mich mit gebildet sein – denn dazu habe ich bis jetzt noch nicht viel Zeit gehabt. Sie soll mich lehren können, ohne deshalb sich mehr zu dünken, als ich . . . sie soll . . .«

»Sie soll, sie soll! O, Sie werden ein bösartiger Ehetyrann werden, Herr von Eckardt.«

»Gewiß nicht, aber sie muß nicht zum Dank für all ihre guten Eigenschaften, alle qualities and accomplishments meine gehorsamste Verehrung, sondern nur meine Liebe haben wollen! Sehen Sie, ich bin erst vierzehn Tage hier und noch so unbekannt. Dem lieben Herrn Major hab ich's auch gleich gesagt, was ich brauche, und Sie, Miß, sind die erste deutsche Lady, die ich kennen lernte, darum sage ich's Ihnen auch gleich, damit Sie mir helfen sollen, meine Frau zu finden, denn ich habe nicht mehr sehr viel Zeit zu verlieren. Wollen Sie?« Er streckte ihr die Hand über den Verkaufstisch zu.

Sie blickte zur Seite. Wie eigen sie seine drollige, ernsthafte Art berührte. Sie flüchtete ihre Bewegung hinter ein reizendes Lächeln und sagte: »Also bis zum Abgang des nächsten Dampfers habe ich Ihnen eine Frau zu verschaffen?«

»Come along, shake hands!« rief er recht unceremoniös, mit leichtgerunzelter Stirn.

Und sie mußte wirklich ihre feine, weiße Hand in seine große, grobe legen und sie tüchtig schütteln lassen. Und dann sagte sie, gleichfalls ernster: »Ich bin nun freilich für diese Aufgabe gar nicht besonders geeignet, ich habe wenig Bekanntschaften; wir sehen auch niemand bei uns, denn – wir sind arm!«

Es ging ihr so mühelos über die stolzen Lippen, das bittre Wort. Doch diesem erzoffenen Menschen gegenüber ward auch ihr die Offenheit natürlich.

In diesem Augenblick flog Trudi daher, ihre Bude achtlos im Stich lassend. Mit ausgelassener Hast, des Fremden nicht achtend, redete sie auf die Schwester ein. »Ach Asta, ich muß dir gleich erzählen, ich bin zu glücklich! Hast du gesehen, der Kronprinz? – Nein?! – Denke dir, er hat bei mir Eis gegessen und mir zwanzig Mark gegeben, und wie er fort war, hab' ich natürlich gleich den Löffel ausgeleckt.« Sie klatschte, hell auflachend, in die Hände. »Die Grete Rochwitz, die kleine Dicke mit dem gesunden Teint, kam wie ein Falke auf mich zugeschossen und riß mir beinahe den Eislöffel aus der Hand – aber da war die Arbeit schon gründlichst besorgt! Hat die sich aber gegiftet!«

Die Excellenz Mama trat nun auch hinzu, am Arm des alten Muz, und während die andren herzlich lachten über den hübschen Tollkopf, die Trudi, verwies sie ihr milde lächelnd die Ausgelassenheit.

»Erlaube, Mama,« fiel Asta ein, als die kleine Strafpredigt zu Ende war. »Onkel Muz war so freundlich, mir diesen Herrn zuzuführen: Meine Mama, Herr von Eckardt aus Amerika.«

»Herr von – Eckardt – aus – Amerika?!« stotterte die Excellenz. Sie ward plötzlich sehr blaß und stützte sich schwer auf den Arm des Majors.

»Fassung, liebe Freundin, Fassung!« flüsterte er ihr zu.

»Herr von Eckardt – Sie sehen mich sehr erfreut . . .«

»Der Sohn eines alten Regimentskameraden von mir. Ich las neulich zufällig seinen Namen in der Fremdenliste des Centralhotels. Aus Buffalo – fiel mir auf – erkundigte mich und – wahrhaftig, er war's. Der kleine Rudolf von Eckardt, der als Quartaner nach Amerika ging.«

»Entschuldigen Sie mich einen Augenblick, es ist hier so heiß . . .«

»Mama, was ist dir? Du wirst ohnmächtig.«

»O nein, nein! Ihr dürft eure Posten nicht verlassen, Kinder! Es ist nichts! Der Major wird mich auf eine Minute auf den Korridor führen.« – –

Und noch auf dem Wege dahin fragte die Frau, blaß, zitternd, aufs höchste aufgeregt: »Rudolf von Eckardt? Wirklich – unser Eckardt?«

»Ja, unser Eckardt! Ach, meine liebe Excellenz, wie mich das freut, daß ich den Jungen endlich gefunden habe – nach fast zwanzig Jahren!«

»Weiß er denn? . . .«

»Nichts weiß er – und er soll's auch erst erfahren, wenn Asta seine Frau ist.«

»Asta seine Frau? . . . Was haben Sie nur für Ideen – ich . . .«

»Die böse alte Schuld soll ihre Mitgift sein; dann haben Sie die Last von der Seele, und wir alle sind die dumme Geschichte los. Ach, wenn uns das Mädchen bloß den Gefallen thun wollte, sich recht unvernünftig in ihn zu verlieben, dann quittiert er Ihnen gewiß mit Freuden und tausend Dank obendrein! Aber, liebe Excellenz, nichts merken lassen, sonst stehe ich für nichts – Sie kennen ja Asta auch!«

»Ich kann's gar nicht fassen! Ich kann ihm gar nicht in die Augen sehen! Mir ist, als müßte er mich mit einem Blick zu Boden werfen, dieser Rudolf! – Asta und er! Sind Sie denn Ihrer Sache so sicher? Und woher denn?«

»Das sage ich Ihnen alles später. Asta – Amerikanerin!«

»Er war wirklich die ganzen zwanzig Jahre drüben? Was ist er denn dort gewesen?«

»Schlossergeselle.«

»Schlossergeselle?!!!«


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