Ernst von Wolzogen
Die Kinder der Excellenz
Ernst von Wolzogen

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Drittes Kapitel.

Was ein harmloses Tischgespräch für seltsame Dinge zu Tage fördern kann, und was der Lieutenant Bodo sonst noch auf dem Herzen hat.

Vierzehn Tage nach dem geschilderten Bazar im Rathause, es war an einem Sonntage, fand sich der Dragonerlieutenant Bodo von Lersen bei seiner Frau Mutter zu Tische ein. Sie, sowie die beiden Schwestern bemerkten sofort, daß er nicht so frisch wie gewöhnlich aussehe. Er leugnete zwar entschieden, daß ihm etwas fehle, und war, um dies zu bekräftigen, ganz ungewöhnlich lustig und gesprächig. Aber seine Heiterkeit hatte etwas Gezwungenes an sich und die nervöse Unruhe in seinen Blicken, in allen seinen Bewegungen strafte seine Beteuerungen Lügen.

»Na Trudi,« sagte Bodo zu seiner »kleinen« Schwester. »Dir kann man ja zu deinen Erfolgen als Büffettmamsell gratulieren! Die Herren Kameraden haben sich dir zuliebe alle den Magen an deinen Süßigkeiten verdorben! Muß ja ein brillanter Kassensturz gewesen sein! Hast du auch alles richtig abgeliefert – nichts verloren?« Er deutete auf sein Herz.

»O nein, du,« versetzte Trudi und warf den hübschen Kopf in die Höhe. »Das verliere ich überhaupt nicht, das verschenke ich höchstens. Aber von deinen Herren Kameraden kriegt es keiner, daß du's nur weißt! Die kommen sich alle so unwiderstehlich und begehrenswert vor, daß sie ein Herz nicht einmal geschenkt nehmen, wenn's nicht noch tüchtig 'was dazu gibt.«

»Ja, so seid ihr nun, ihr kleinen Weiber! Denkst du, daß wir nicht selber lieber jeder seinen Herzensschatz heiraten möchten, als so einen dürren Einer mit möglichst vielen Nullen dran?«

»Na, für eine recht große Null ist wenigstens immer gesorgt, wenn einer von deiner Sorte heiratet!« rief Trudi spitzig.

»Potztausend!« fuhr der Bruder ärgerlich auf. »Du bemühst dich wohl jetzt, ebenso unausstehlich zu werden, wie früher Asta war?«

»Aber liebe Kinder,« mahnte die Excellenz von ihrem Fensterplatz aus. »Müßt ihr euch denn immer gleich zanken, wenn ihr nur fünf Minuten zusammen seid?«

»Ja, sage doch selbst, Mama,« sagte der Lieutenant. »Die Trudel war doch früher das feudalste kleine Kommißmädel, das man sich denken konnte, und jetzt . . .«

»Ja früher!« lachte die Blonde und machte sich mit dem Decken des Tisches zu thun. »Früher kannte ich auch noch keine Menschen, sondern nur Uniformen.«

»Haha! Und wo hast du denn jetzt auf einmal die wahren Menschen gefunden? Hier in dieser schönen Stromstraße vielleicht? Deinen Doktor Diedrichsen meinst du wohl, den Demokraten?«

»Doktor Diedrichsen ist gar kein Demokrat!«

»Ach was! Doktoren sind alle Demokraten, Atheisten und dergleichen – die Naturforscher ganz besonders, die glauben an gar nichts!«

»Bist du etwa so ein frommer Mann, Bodo?«

»Fromm? – Ein anständiger Mensch muß doch 'was glauben!«

»Ja, du glaubst, daß dir dein blauer Ueberrock famos steht, und daß du der schneidigste und stilvollste aller Lieutenants seist.«

Der Bruder hörte nicht auf ihre Bosheit: »Dieser Diedrichsen ist also der wahre Mensch! Seine Spezialität sind ja wohl Würmer? Pfui Teufel!«

»So, wirklich!« rief Trudi sehr aufgebracht. »Er beschäftigt sich mit höchst anständigen Säugetieren, daß du's nur weißt du – du . . . ach mit dir rede ich gar nicht!« Und damit lief sie aus dem Zimmer.

Bodo lachte ihr nach, als ob sein Witz sie besiegt hätte, und wandte sich dann an Asta, die mit einer Handarbeit ihrer Mutter still gegenüber saß. »Da hat mir dein Amerikaner wahrhaftig noch besser gefallen, wie dieser Lohengrünliche Hausgelehrte.«

»Mein Amerikaner?« fragte die schöne Aelteste, und schüttelte lächelnd den Kopf.

»Nu ja – er war doch kaum von dir fortzubringen! Nein, was unser alter Muz bloß alles für fabelhafte Bekannte aufgabelt! Ich schleifte ihn nachher noch mit Mühe und Not zu einigen der Hauptmädchen. Denke dir, alle die nobelsten Comtesseln und Baronesseln siezte er ganz gemütlich an! ›Gnädiges Fräulein‹ klingt ihm wahrscheinlich zu unrepublikanisch! Und wenn er wieder fortging, wollte er ihnen immer die Hand schütteln. Es war wirklich enorm scherzhaft!«

»Ich habe allen Grund, diesen Herrn ganz ungewöhnlich zu schätzen,« lachte Asta. »Er war der erste und einzige, der mich nicht fragte, ob ich die Sembrich schon gehört hätte – das werde ich ihm nie vergessen!«

»Was mir unser lieber Major von Herrn von Eckardt erzählte, hat mich auch für ihn eingenommen,« mischte sich die Excellenz ins Gespräch. »Er ist als vierzehnjähriger Knabe auf eignen Antrieb nach Amerika gegangen, nachdem sein Vater, ein Regimentskamerad eures Vaters übrigens, durch unglückliche Umstände sein Vermögen verloren hatte und daher nicht im Stande war, den einzigen Sohn für einen höheren Beruf vorbilden zu lassen. Er trat drüben bei einem Schlosser in die Lehre und brachte es durch seine große Geschicklichkeit, unablässigen Fleiß und Sparsamkeit dahin, daß er nun selbständiger, technischer Leiter einer großen Maschinenwerkstatt ist.«

»Der reine Musterknabe!« gähnte Bodo. »Die schwieligen Hände hat er nun freilich zum ewigen Angedenken behalten; aber sonst steckt doch noch – weiß der Teufel wo! – ein bißchen 'was Ritterliches in dem Menschen. Den möcht' ich als Einjährigen bei meiner Schwadron haben; ich glaube, aus dem formlosen Republikaner wäre da noch ein ganz leidlich patenter Kerl herauszuputzen gewesen. So weit hat ihn ja schon der Major gebracht, daß er sich seinen plebejischen Schlosserkragen abgeschnitten hat und sich einen ganz netten Schnurrbart angewöhnt. Ich habe übrigens schauderhaften Hunger, Mama – essen wir noch nicht bald?«

Trotz seines »schauderhaften« Hungers aß aber der junge Lersen nachher bei Tische auffallend wenig.

»Hast du enge Stiefeln, Bodo?« fragte Trudi über dem Braten.

»Wieso? Willst du wieder mit mir anbinden, du kleiner Kampfhahn?«

»Ich meine nur – weil du so ein gekniffenes Gesicht machst, als ob dich der Schuh gewaltig drückte.«

»O ahnungsvoller Engel, du!« dachte der Bruder Lieutenant und bemühte sich, durch Lachen und Spotten die Verräterei seiner Mienen wieder gut zu machen. Aber die bösen Schwestern hörten nicht auf, ihn zu necken. Asta, die seit jenem Bazar, zu dem sie so widerwillig gegangen war, in auffallend sanfter, heiterer Laune sich befand – Asta beteiligte sich nun auch an dem grausamen Spiel.

»Du bist gewiß wieder verliebt, armer Bodo – ich sehe dir's an! Denke dir, ich weiß auch in wen?!«

»So? Da bin ich doch begierig . . .«

»Bianka heißt sie mit Vornamen – siehst du, wie du rot wirst!«

»Wer hat dir denn das gesagt? Was für eine Bianka?«

»Ach, leugne doch nicht. Aus Abscheu vor der Operette schickst du doch gewiß nicht die vielen Bouquets an Fräulein Grigori?«

»Fräulein Grigori? Wer ist das?« fragte die Excellenz.

Und der hübsche, kleine Dragoner zupfte an seinem blonden Bärtchen und antwortete: »Die erste Sängerin des Walhallatheaters, Mama. Ich leugne nicht, daß ich sie entzückend finde. Diese Grazie, diese reizende Koketterie – Stimme hat sie ja freilich gar nicht! – und diese süperbe Figur. Die feurigen, südlichen Augen und dieser himmlische, dieser – wie soll ich sagen? – dieser mollige Accent!«

Frau von Lersen mußte lächeln. »Nun, ich habe nichts dagegen, wenn du dich für diesen – molligen Accent begeisterst. Aber ich bitte dich, lieber Bodo, laß dich nicht weiter mit dieser Person ein . . .«

»Person!« fuhr Bodo etwas gereizt auf. »Fräulein Grigori ist eine Dame, Mama, das weiß ganz Berlin! Ich wage auch nur, sie aus der Entfernung zu verehren; bei ihr einzudringen sans façon, wie sonst bei diesen Schönen, ist ganz unmöglich – sie soll sogar neulich den Prinzen Führingen abgewiesen haben.«

»So?« fragte Asta zweifelnd. »Sie hat aber doch bei seiner Tante, der alten Fürstin Belleburg, gesungen?«

»Woher wißt ihr denn das alles?« rief Bodo erstaunt. »Hat vielleicht der Major? . . .«

»O nein, wir haben ganz andre Verbindungen! Unsre Ohren reichen bis in die höchsten Kreise!« sagte Trudi geheimnisvoll.

»Gratuliere zu solchen langen Ohren,« lachte Bodo. Dann holte er aus seinem Taschenbuch eine Photographie hervor und überreichte sie seiner Mutter. »Urteilt selbst, ob ich einen schlechten Geschmack habe. Du solltest sie nur einmal sehen, Mama, du würdest sie nicht mehr ›Person‹ titulieren.«

»Allerdings – sehr interessantes Gesicht – nicht eigentlich schön,« meinte Frau von Lersen und gab das Photogramm an Asta weiter.

»Mein Gott – was ist das?« rief das schöne Mädchen aufs höchste überrascht.

»Was denn? Was hast du, Asta?«

»Ich kann mich kaum täuschen – das ist die Grigorescu – meine Adriane!«

»Die aus der Pension? Deine Genfer Busenfreundin? Die Tochter des Ministers?« riefen die Mutter und die Geschwister fast gleichzeitig.

»Ja doch, ja!« Asta war aufgesprungen und holte nun ihr Album herbei, um ein früheres Bild ihrer geliebtesten Pensionsfreundin mit dem der Operetten-Diva zu vergleichen. Trudi und Bodo erhoben sich nun gleichfalls vom Tische und blickten ihr über die Schulter. Es war kein Zweifel möglich: Adriane Grigorescu und Bianka Grigori waren ein und dieselbe Person!

»Donnerwetter, wenn das nicht ein Wink des Schicksals ist!« rief Bodo aus und streichelte zärtlich Astas Arm. »Du, Schwesterchen – du wirst nun doch deine alte Busenfreundin bald einmal aufsuchen wollen. Da erlaubst du wohl, daß ich, so zu sagen, als Anstandsherr mitgehe?«

»Wo denkst du hin!« rief Asta und machte unsanft ihren Arm los. »Ich sollte sie aufsuchen – sie, die sich so tief erniedrigt hat?«

»Erniedrigt? Erlaube gütigst!« eiferte der Lieutenant. »Heißt das etwa sich erniedrigen, wenn eine Dame ihre Talente ausnutzt, um sich ihren Unterhalt und ihre Lebensstellung zu verdienen? Denkt ihr vielleicht, ihr seid etwas Bessres, weil ihr hier als arme aber anständige Excellenzentöchter artig bei Mamachen sitzet und dem lieben Herrgott die Tage abstehlt?«

»Na, Bodochen, was das letztere betrifft . . .« schaltete Trudi spitzig ein.

Und die Mutter schüttelte den Kopf und sagte: »Du ereiferst dich sehr am unrechten Orte, lieber Junge. Du kommst aus deiner kleinen Garnison, das Theater und die Theaterleute sind dir etwas Neues, Unbekanntes. Dir erscheint das alles noch so ideal wie – wie etwa einem jungen Mädchen . . .«

»Das den Namen Joseph Kainz aus dem Theaterzettel schneidet und auf dem Butterbrot verzehrt,« warf wieder die naseweise Trudi dazwischen.

»Na, das nimm mir nicht übel, Mama,« versetzte der junge Offizier gekränkt. »Ein solches Lämmlein weiß wie Schnee bin ich denn doch wohl nicht. Ich weiß ganz gut zu unterscheiden. Und siehst du: der Grigori merkt man die Dame auf mehrere Kilometer Entfernung an.«

»Die Grigori! So von sich reden zu lassen! Jeder Schlächtergeselle, der sein Galeriebillet bezahlt hat, darf sagen: Das Frauenzimmer, die Grigori krächzt ja wie ein Rabe! O pfui! – Und das war meine teuerste Freundin, meine schöne, stolze Adriane! Le parfait de noblesse nannten sie uns beide in der Pension. Alle meine Gedanken fanden ein so starkes Echo bei ihr, sie war mir ein zweites, bessres Ich! Wie haben wir uns geliebt! Wie habe ich sie beneidet um ihre urwüchsige Grazie, ihr hinreißendes Naturell!«

»Ach ja!« seufzte Bodo.

»Aber, liebes Kind, rege dich nicht so auf. Du hast dich eben in ihr getäuscht!«

»Und wir glaubten uns so zu verstehen, so erhaben zu sein über die kleinliche Frauenzimmerlichkeit unsrer Mitschülerinnen – und nun? Ach laßt mich, laßt mich – es ist zu abscheulich.«

Und Asta, die so kalt gescholtene, ruhige Asta brach in zornige Thränen aus und verließ das Zimmer. –

Als die gute Trudi ihr nach ein paar Minuten folgte, um sie zu trösten, fand sie sie im Schlafzimmer auf ihr Bett gestreckt. Sie biß auf ihr Taschentuch, um ihr Schluchzen zu bemeistern. Die Schwester strich ihr zärtlich über das weiche, volle Haar und redete ihr liebreich zu.

Aber noch einmal wallte der Zorn in Asta auf: »Da hast du's, Trudi! Auch eine Excellenzentochter! Und wahrhaftig, Bodo hat ganz recht: Adriane hat noch das bessere Teil erwählt. Ich bin überzeugt, daß auch ihre Familie ein Unglück betroffen hat, wie uns. Ihre Eltern haben gewiß auch über ihre Verhältnisse gelebt. Aber sie brachte es fertig, ihre vornehmen Gesinnungen samt ihrer vornehmen Garderobe zum Trödler zu tragen und – eben die Grigori zu werden, die Allerwelts-Grigori. Wir dagegen, wir sitzen hier wie die Aschenbrödel im Märchen mit unsern kleinen Füßen und warten darauf, daß unsre Prinzen sich drei Treppen zu uns heraufbemühen! Bis dahin tragen wir unsre alten Kleider artig auf und nähren uns von Hoffnung und Erbsensuppe.«

»Ach, du komische, arme Asta! Unsre ewige Erbsensuppe hat mir heute wieder ausgezeichnet geschmeckt, und was die Prinzen betrifft: meiner braucht bloß eine Treppe zu steigen, und die Trudi wird ihm recht geschwind aufthun, wenn er bei ihr anklopft.«

»Was sagst du da, Liebchen?« Asta lächelte durch ihre Thränen.

»Ja, da's nun doch einmal heraus ist – ich liebe ihn, Asta! Den guten, langen, blonden Hans! Ach! Das Verliebtsein ist ein prachtvolles Gefühl! Du solltest es auch einmal versuchen.«

»Meine süße Trudi – manche Menschen haben kein Talent, glücklich zu sein. Ich fürchte, ich gehöre auch zu denen.«


Bodo war nun mit seiner Mutter allein.

»Erlaubst du, daß ich mir eine Cigarre anstecke, Mamachen?« begann er, indem er seine Ledertasche, auf welcher ein silbernes Achselstück mit der Nummer seines Regimentes befestigt war, hervorzog, und die darin enthaltenen Cigarren eine nach der andern ernsthaft prüfte.

Die Excellenz bewilligte gern seine Bitte und holte noch selbst eine Schachtel Zündhölzer herbei für ihn.

»Danke tausendmal, liebe Mama.« Er hielt das brennende Hölzchen empor.

»Deine Hand zittert ja, Bodo,« bemerkte die Freifrau aufblickend. »Hast du Katzenjammer? Ich hoffe, du gewöhnst dir hier kein so unregelmäßiges Leben an. Du weißt, deine Gesundheit ist nicht allzu robust und außerdem erlauben dir deine Mittel nicht . . .«

»Ja, besonders gegen Ende des Monats,« fiel der Sohn ihr seufzend ins Wort. »Beruhige dich nur, Mama, meine Gesundheit läßt nichts zu wünschen übrig. Ich zittere nur – vor dem Ersten, weißt du. Es sind da so ein paar verwünschte Rechnungen zu bezahlen, und ich weiß nicht recht . . .«

Der junge Offizier lächelte mühsam.

»Du hast Schulden, Bodo?«

»Ja, Mama – ich kann es nicht länger verschweigen. Das Leben in Berlin ist eben doch viel teurer, als ich glaubte, und man kann sich so schwer gewissen Anstandspflichten entziehen, weißt du.«

»Berlin teuer! O nein, ganz im Gegenteil, mein Junge. Wer hier billig leben will, kann es viel besser, als in einer kleinen Garnison. Hier bist du durch nichts gezwungen, es den reicheren Kameraden in irgend einer Richtung nachzuthun. Du hast tausend Entschuldigungen, wenn dich die Herren zu einer kostspieligen Zerstreuung verleiten wollen. Du kannst die Uniform ausziehen, sobald du deinen Dienst gethan hast und dadurch alle die Luxusausgaben sparen, die sonst der Offiziersrang fordert.«

»Aber beste Mama,« rief Bodo dazwischen und durchmaß mit großen Schritten das Zimmer. »Es ist doch gewiß keine Sünde, daß ich die Gelegenheit benutze, die mir dies Kommando in der Reichshauptstadt gibt, 'mal was andres von der Welt zu sehen und zu hören, als was mir Treptow an der Rega und Schwedt an der Oder bieten können! Man will doch als junger, schneidiger Offizier so zu sagen seine allgemeine Bildung bereichern, sein Leben genießen . . .«

»Nennst du das vielleicht deine allgemeine Bildung bereichern, wenn du alle Abende dieselbe alberne und frivole Operette anhörst und dabei den ›molligen Accent‹ dieser unglücklichen Grigorescu bewunderst?!«

Der Dragoner biß sich ärgerlich auf die Lippen und fuhr auf: »Ich weiß nicht, du und die Mädchen, ihr seid in eurer Zurückgezogenheit so scharf geworden, so ironisch – das war doch früher nicht!«

Die Excellenz trat vor ihren Sohn, ergriff mit warmem Druck seine Rechte und sprach: »O, mein lieber Bodo, wenn du doch endlich anfangen wolltest, unsre traurig beschränkte Lage ernst zu nehmen! Muß ich dich wirklich erst wieder erinnern, welche Entbehrungen sich deine guten Schwestern freiwillig auferlegt haben, um es mir möglich zu machen, dir eine kleine Zulage zu geben? Du weißt, wir haben gar keine Aussicht, unsre Vermögenslage je zu verbessern: wenn du also meinst, als Dragoner nicht auskommen zu können, so mußt du dich zur Infanterie versetzen lassen, oder gar einen andern Beruf erwählen.«

»Ich, Mutter – ich?!« brauste Bodo auf. »Da wäre ich ja nicht wert, meines Vaters Sohn zu sein. Für einen echten Lersen gibt's nur einen Beruf auf der Welt – und ich will ein echter Lersen sein. Mein Vater ist wahrhaftig auch kein Duckmäuser gewesen – im Gegenteil, soll's lustig genug getrieben haben in seinen jungen Tagen. . . .«

»Ja leider!«

»Leider? Er ist doch ein Reitergeneral geworden, wie ihrer die Armee nicht viele gehabt hat. Glaubst du, Papa wäre damit einverstanden gewesen, wenn sein einziger Sohn jetzt wie ein Dorfschulamtskandidat sein junges Leben vermückerte?«

»Und glaubst du, daß Papa damit einverstanden gewesen wäre, seine Familie in solcher Dürftigkeit zurückzulassen, wenn nicht seine lustigen Jugendstreiche es ihm unmöglich gemacht hätten, beizeiten für sie zurückzulegen? Ach Bodo, werde deinem teuren Vater in allen Stücken ähnlich, nur nicht in diesem einen! Die Verirrungen der Eltern sollen den Kindern zur Lehre dienen.«

»Verirrungen, Mama? Ich kann nicht glauben, daß mein Vater. . . . Was hat er gethan, das du eine Verirrung nennen müßtest?«

Frau von Lersen trat an das Fenster und blickte mit thränenumflorten Augen hinaus: »Laß uns nicht weiter davon sprechen, mein Kind. Halte deinen Vater in hohen Ehren, aber laß die kleinen Entbehrungen deiner Jugend dich lehren, deinen ererbten Hang zu leichtherzigem Genusse zu bemeistern. – Wieviel betragen deine Schulden?«

»Viertausend Mark, Mama!«

»Viertausend Mark! Bodo, Bodo! O mein Gott, – weißt du denn nicht, daß das mehr ist, als unser ganzes Jahreseinkommen beträgt?«

Die arme Excellenz mußte sich auf den nächsten Sessel niederlassen und rang verzweiflungsvoll die Hände im Schoß. »Wie hast du es nur fertig gebracht, eine solche Summe in so kurzer Zeit zu vergeuden?«

»Ja, siehst du, Mama; ohne Gaul hält es der Kavallerist eben doch nicht lange aus und dann . . . dann habe ich auch verdammtes Pech im Spiel gehabt.«

»Im Spiel? Aber Bodo, es ist euch doch so streng verboten? . . .«

»O natürlich nicht Hazard, Mama! Ein ganz harmloser Skat, bloß daß der Point fünfzig Pfennige kostete – weißt du, es waren ein paar reiche Herren von der Garde dabei; man konnte sich doch nicht lumpen lassen! Ich habe sonst immer so kolossalen Dusel im Skat gehabt, daß eigentlich gar kein Risiko dabei war. Da muß mich der Teufel reiten, daß ich ein Schwarz ansage – die vier Jungens hatte ich in der Hand – und da . . .«

»Bitte, verschone mich mit den Details. Wo hast du denn nur eine solche Summe leihen können?«

»Ich traf hier zufällig den kleinen Beseler vom Corps in Wahlstadt wieder, der wegen schwacher Brust abgehen mußte. Der ist jetzt bei der Reichsbank angestellt. Famoser Kerl übrigens. Und da Beseler zufällig auch dein Conto bei der Reichsbank kennt, so nahm er keinen Anstand, mir das Geld auf Wechsel zu verschaffen.«

»Mein Conto bei der Reichsbank?« Frau von Lersen war ganz bleich geworden und drückte ihre Schläfen mit den flachen Händen zusammen.

Der Lieutenant sah es nicht; denn nun war er an das Fenster getreten und blickte hinaus, um die Mutter nicht die Scham und Angst von seinen Zügen lesen zu lassen. »Ja, die dreißigtausend Mark,« sagte er fast tonlos.

Aber wie erschreckt er sich umwandte, als nach einer längeren, peinlichen Stille die bebende Stimme der Mutter an sein Ohr klang: »Mein Sohn, mein Sohn, was hast du mir da gethan! Von diesen dreißigtausend Mark gehört nicht ein Pfennig uns. Damit hat dein unglücklicher Vater sich die Ruhe seiner Seele nach dem Tode erkauft. Dies Kapital ist heilig – ich darf es nicht anrühren!«

»Mutter, was sagst du da?«

»Es muß noch mein Geheimnis bleiben, Bodo! Vielleicht, daß ich bald schon sprechen darf – vielleicht erfahrt ihr es erst nach meinem Tode. – Gib mir dein Wort, daß du den Schwestern nichts von dieser Summe sagen willst.«

»Ja, Mutter – mein Ehrenwort! – Aber wie, um Gotteswillen, – soll ich denn meine Wechsel bezahlen? In acht Tagen sind sie verfallen!«

»Ich kann dir nicht helfen, Bodo. Ich kann nicht. Ich darf nicht! Aber thu nichts Uebereiltes, rede erst mit dem Major. Du weißt, morgen ist sein Geburtstag. Gestehe ihm alles und dann . . .«

»Dem alten Muz alles gestehen? Ha, das wird ja ein wahres Fest werden für den alten Bullenbeißer! Eine schöne Predigt werde ich da zu hören bekommen.«

»Hast du sie nicht reichlich verdient? Schäme dich, Bodo, und sprich nicht so von unserm lieben Major. Er ist stets unser treuester Freund gewesen.«

»Ja, aber er borgt grundsätzlich keinen roten Heller.«

»Er wird dir einen guten Rat geben können.«

»Mit einem guten Rat kann ich mir noch keine Pistole laden.«

»Bodo, du sollst nicht so sprechen – ich verbiete es dir.«

Und der Lieutenant kniete vor seiner Mutter nieder und bedeckte ihre vornehme schmale Hand mit brennend heißen Küssen. »Ach liebe, gute Mama – sei mir nicht böse. Ich bin der unglücklichste Offizier in der Armee, wenn die Geschichte zum Klappen kommt, ich . . . laß mich gehen, laß mich! Ich höre Trudi lachen – ich kann sie jetzt nicht sehen! Ich gehe morgen zum Major! Adieu, Mama, und Verzeihung!«

Als wenige Minuten später Trudi das Zimmer wieder betrat, fand sie ihre arme Mutter in Thränen.

»Aber liebe, süße Excellenz Mamachen!« rief das reizende Mädchen herzlich bekümmert und war mit ein paar raschen Schritten an ihrer Seite.

»Du weinst doch nicht auch um die dumme Grigori? Herrjemine, da würde ich ja heute die einzig Vernünftige in der ganzen Familie sein! Höre doch bloß auf zu weinen – ich will mich ja auch ganz geschwind und artig verloben, wenn dich das wieder aufheitern kann, goldiges Mutterchen! Alles dir zuliebe.«

Und Frau von Lersen mußte durch ihre Thränen lächeln und küßte ihre herzige, neckische Trudi liebreich auf die Stirn.


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