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Sorglos in der Kemenate
      
 Saß Regina einst am Wocken,
      
 Spann vom Flachse glatte Fäden
      
 Und Gedanken an den Liebsten,
      
 Als an allen Gliedern zitternd,
      
 Ohne Athem Dorothea
      
 Plötzlich in das Zimmer stürzte,
      
 Auf den Stuhl sank, schrie und ächzte:
      
 »Alle Heil'gen! alle Heil'gen! –
      
 Kind, ach Gott! ich bin des Todes! –
      
 Drunt im Keller – grauslich Wunder!
      
 Alle Heil'gen! alle Heil'gen!«
      
 Dann versagte ihr die Stimme,
      
 Und sie schnappte Luft und stöhnte.
      
 Aufgesprungen war Regina,
      
 Riß vom Schaff ein Maygollin,
      
 Füllt' es schnell mit starkem Würzwein,
      
 Der mit Pfeffer, Zimmt und Näglein
      
 Und Mußkatnuß auch versetzt war, 
      
 Hielt's der Alten an die Lippen
      
 Und sprach: »Schlucke, liebe Alte,
      
 Stärke dich und dann erzähle.«
      
 »Ach du lieber Himmel! Kindchen,«
      
 Hauchte Dorothea zitternd,
      
 Daß das Krüglein in der Hand ihr
      
 Mit dem Würzwein bebt' und schwappte,
      
 »Unten in dem Keller hab' ich
      
 Jetzt den bösen Geist gesehen;
      
 Eine Ratte mit fünf Köpfen
      
 Und wohl an die hundert Beinen,
      
 Wie ein Wagenrad an Größe,
      
 Schnob mich an mit Feuerspeien;
      
 Glaube, Kind! das ist der Böse,
      
 Der dem Hexenmeister beisteht
      
 In dem tagesscheuen Werke, –
      
 Ach! ich kann nicht mehr – ich sterbe.«
      
 »Altchen! hast dich wohl erschrocken,
      
 Komm nur zu dir, solche Geister
      
 Gehn nicht um bei hellem Tage,
      
 Wollen den Kobold bei Lichte
      
 Einmal näher uns betrachten,
      
 Komm herab, ich gehe mit dir.«
»Kindchen, um des Himmels willen!
      
 Wage nicht dein junges Leben,
      
 Schick' in's Kloster gleich zum Beichtmönch,
      
 Um den Teufel auszutreiben,
      
 Ruf' den Lorenz mit der Pike,
      
 Nimm das Crucifix zu Händen,
      
 Schlag' ein Kreuz und bet' ein Sprüchlein.«
Aber ein beherztes Mädchen
      
 War Regina, rief den Lorenz,
      
 Nahm die Leuchte, und nach langem 
      
 Weigern, Bitten, Warnen, Flehen
      
 Stiegen sie hinab zum Keller.
      
 An der Spitze schritt Regina,
      
 Kicherte und scherzte neckisch,
      
 Doch je tiefer sie herabkam,
      
 Um so lauter schlug ihr Herzchen,
      
 Und ihr Lachen selbst verstummte.
      
 Lorenz stieß mit seiner Pike
      
 Fest auf jede Treppenstufe,
      
 Als ob's mehr ihm drum zu thun sei,
      
 Mit dem lauten Waffenlärme
      
 Die Gespenster zu verscheuchen,
      
 Als sie kämpfend zu bestehen.
      
 Hinterdrein schlich, zähneklappernd
      
 Einen kräft'gen Segen murmelnd
      
 Und sich kreuz'gend, Dorothea.
      
 So kam an das tapfre Kleeblatt,
      
 Und Regina hob die Leuchte
      
 An der Schwelle schon des Kellers,
      
 Daß der Raum war hell beschienen.
      
 Ja, – wahrhaftig! da! da kroch es
      
 Langsam hin entlang der Mauer,
      
 Regte zappelnd zwanzig Füße,
      
 Hinten, vorne, an den Seiten,
      
 Hatte ringsum auch fünf Köpfe,
      
 Fünf leibhaft'ge Rattenschnauzen,
      
 Und in ein verwickelt Knäuel
      
 Waren sichtbar alle Schwänze
      
 In einander fest verschlungen.
      
 »Pik' ihn, Lorenz!« rief Regina,
      
 Doch da war es schon verschwunden,
      
 Hatte unter dem Gerümpel
      
 In die Mauer sich verkrochen.
      
 »'s ist der Böse, sagte Lorenz, 
      
 Und der Spielmann steht im Bunde
      
 Mit dem Satan, 's ist kein Zweifel.«
      
 »Sagt' ich's denn nicht gleich, Reginchen?
      
 Rief die Alte, siehst du, Kindchen,
      
 Siehst du! wolltest mich verspotten
      
 Und bist auch nun blaß geworden;
      
 Soll ich dir ein Tränklein brauen?
      
 Hänge dir ein Kräutersäckchen
      
 Auf die Herzgrub', daß der Schrecken
      
 Sich nicht in's Geblüt dir schlage.«
Doch Regina ging zum Vater,
      
 Ihm das seltne Stück zu melden.
      
 Hochauf horchte da Herr Wichard,
      
 Und statt mächtig zu erstaunen,
      
 Sank er in ein tiefes Sinnen,
      
 Schwieg und lächelte und nickte.
      
 Endlich sprach er: »Seid ihr sicher,
      
 Daß ihr richtig auch gesehen,
      
 Euch ein Blendwerk nicht getrogen?«
»Vater, wie ich Euch hier sehe,
      
 Sah ich es mit diesen Augen,
      
 Will's bei allen Heil'gen schwören.«
      
 »Dazu kann es vielleicht kommen,
      
 Sprach Herr Wichard, seid verschwiegen
      
 Von dem Fall und übermorgen
      
 Haltet euch bereit, zu Rathhaus
      
 In der allgemeinen Sitzung,
      
 Die ich auf der Zünfte Antrag
      
 Anberaumte, zu erscheinen
      
 Und das Märlein zu erzählen.«
      
 Sprach's und schritt vergnügt zum Schreine,
      
 Drin der Bacharacher hauste,
      
 Schenkte einen vollen Schauer 
      
 Sich zum Trost und trank bedächtig:
      
 »Spielmann! Spielmann! mich will dünken,
      
 Hast noch nicht die hundert Mark
      
 Hamelenscher Witt' und Wichte.«
Schön Regina kam zur Alten:
      
 »Dort'chen, sprach sie, Vater wurde
      
 Ganz vergnügt bei meiner Märe,
      
 Sagt, wir sollen's heimlich halten,
      
 Keinem Menschen davon sagen
      
 Und bereit sein, übermorgen
      
 In der Sitzung auf dem Rathhaus
      
 Die Geschichte zu erzählen.«
      
 »Ich kann schweigen! sprach die Gute,
      
 Aber Eines, Kindchen, sag' ich,
      
 Daß der Vater gar gelächelt
      
 Zu der schrecklichen Geschichte,
      
 Das hat etwas zu bedeuten,
      
 Gieb mal Acht, ob ich nicht Recht hab',
      
 Das hat etwas zu bedeuten!«
      
 Dorothea ging zum Garten,
      
 Wäsche auf den Zaun zu hängen,
      
 Und im Nachbargarten harkte
      
 Welkes Laub »des Rathes Amme«,
      
 Wie der weisen Frauen Hameln's
      
 Weiseste den Titel führte.
      
 »Frau Gevattrin, ein paar Worte!
      
 Rief hinüber Dorothea,
      
 Habt Ihr Ratten noch im Keller?
      
 Nein? gewiß nicht? ach! wie glücklich
      
 Seid Ihr! – ob wir welche haben?
      
 Nein! das sag' ich nicht, bewahre!
      
 Aber 's ist 'ne eigne Sache,
      
 Seht Ihr, – wenn ich reden dürfte, – 
      
 Aber nein! – o ich kann schweigen! –
      
 Frau Gevattrin wollt Ihr's keiner,
      
 Keiner Menschenseele sagen?
      
 Denkt Euch –« und nun aufgezogen
      
 Ward die Schleuse ihrer Rede
      
 Und das ganze Abenteuer
      
 In der weisen Frau verschwieg'nen,
      
 Treuen Busen ausgeschüttet.
      
 Man versprach sich nochmal Schweigen,
      
 Und dann schied man von einander.
      
 Dorothea, sehr erleichtert
      
 Nach der glücklichen Entbindung,
      
 Eilte spornstreichs in die Küche.
      
 Die Frau Nachbarin ließ aber
      
 Laub und Harke schnell im Stiche,
      
 Lief hinüber zur Frau Base,
      
 Trat mit raschem Gruß in's Stübchen:
      
 »Frau Gevattrin, ein paar Worte!
      
 Habt Ihr Ratten noch im Keller?«
      
 Nun schon fünfzehn aus den fünfen
      
 Jungfer Dorothea's wurden
      
 Und noch grauslicher die Schildrung.
      
 So gevatterte das weiter,
      
 Und die halbe Stadt bald wußte,
      
 In des Bürgermeisters Keller
      
 Sitzt der Satan in Gestalt
      
 Eines riesigen Rattenknäuels
      
 Mit unendlich vielen Beinen,
      
 Hundert Köpfen, tausend Schwänzen,
      
 Wahren Elephantenzähnen,
      
 Feuerrädern statt der Augen
      
 Und gewalt'gen Tigerkrallen.
      
 Allen war es ohne Zweifel,
      
 Daß das Ungethüm der Böse, 
      
 Dem der Fiedler sich verschworen,
      
 Daß mit seinem Höllenzwange
      
 Er beim Rattenfang ihm beisteh'.
      
 Wenigstens die ältern Weiber
      
 Hatten das unwiderleglich
      
 Festgestellt, doch bei den jüngern
      
 Hatte der gewandte Spielmann
      
 Einen Stein im Brett, sie glaubten
      
 Nicht so leicht an's Teufelsbündniß.
      
 Auch noch andre Freunde hatt' er
      
 In der Stadt; die muntern Kinder
      
 Hingen sich an ihn, wo immer
      
 Er sich blicken ließ, und folgten
      
 Lärmend ihm in hellen Haufen
      
 Durch die Gassen, schrie'n und baten:
      
 »Bundting, Bundting, blas' ein Stücklein!«
      
 Also nannten sie den Spielmann,
      
 Weil er manchmal statt in dunkler
      
 In ganz bunter Tracht einherging.
      
 Meist auch that er ihnen willig
      
 Den Gefallen, und sie lernten
      
 Bald von ihm die leichten Weisen,
      
 Sangen gern sie und marschirten
      
 Nach dem Takte seiner Pfeife.
      
 Ja, sie paßten auf den Weg ihm,
      
 Und wenn er vom Berg zurückkam,
      
 Standen sie schon vor dem Thore,
      
 Liefen jauchzend, freudestrahlend
      
 Ihm entgegen, und dann zogen
      
 Sie mit Sang und Klang zur Schenke,
      
 Bis ihr Liebling durch die Thüre
      
 Nun verschwand, sie freundlich grüßend.
      
 Ungern litten es die Eltern,
      
 Sahn verdrießlich aus den Häusern, 
      
 Wenn der laute Schwarm vorbeizog,
      
 Doch Verbote und selbst Strafen
      
 Halfen wenig; ihren Kindern
      
 War der liebe, lust'ge Sänger
      
 Schnell an's junge Herz gewachsen.