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VII.
Gertrud.

Wenn der Weinglock letztes Läuten,
Das den Bürgern aus der Trinkstub,
Aus der Herberg und dem Kruge
Heimzugehen streng gebietet,
Kaum verhallt war, stahl sich Hunold
Längs den Häusern durch die Gassen,
Daß ihn auf verbotnen Wegen
Nicht des Mondes Licht verriethe,
Und zum Weserthore schlich er,
Wo im rohrgedeckten Hause
Fischermeister Rögner wohnte.

Von den Mädchen all und Frauen,
Die des Spielmanns Weisen lauschten,
Dachte Manche freundlich seiner,
Mancher hatt' ers angethan
Mit den zaubersüßen Klängen,
Und gewiß wohl mehr, als Eine
Hätte ihm von ihrem Munde
Nicht des Liedes Sold geweigert;
Keiner aber so von Allen
Hatt' er sich in's Herz gesungen
Wie der Tochter jenes Fischers.
Wenn die andern Mädchen lachten
Ob des Spielmanns seltnen Mären,
Lachte sie nicht mit und hörte
Nicht auf der Gespielen Scherze;
Sang er von dem Glück der Liebe,
Saß sie still im fernsten Winkel,
Aus den Lippen, halb geöffnet,
Drängte sich der rasche Athem,
Und ihr klopft' es unterm Mieder;
Sang er von dem Leid der Liebe,
Wurde thaubeglänzt ihr Auge,
Und es merkt's im Schatten Keiner,
Daß hinab des Mädchens Wangen
Heimlich manche Thräne rollte.
Um das ganze Wesen Gertrud's
Schwebte Duft und Glanz der Jugend;
Unbewußt der stillen Anmuth
Ihrer Haltung und Erscheinung
Hatte die bescheidne Knospe
In Natürlichkeit und Freiheit
Wunderlieblich sich erschlossen.
Schlank und kräftig war ihr Körper,
Rasch und rüstig die Bewegung
Bei der Arbeit wie beim Spiele
Und von angeborner Grazie
In des Tanzes lust'gem Reigen.
Wenn ihr rosig Mädchenantlitz,
Leicht gebräunt vom Kuß der Sonne,
Unter dicken blonden Flechten
So herzinnig, fröhlich lachte,
Daß die weißen Perlenreihen
Aus den vollen Lippen glänzten,
War's kein Wunder, daß so mancher
Von den jungen Meisterssöhnen
Nach dem Fischermädchen blickte.
Wulf, der tapfre Schmied, bemühte
Ganz besonders sich um Gertrud,
Aber seine tiefe Neigung
Fand im unbefangnen Sinne
Der Geliebten nicht Erwidrung.
Kindesunschuld, Weibesahnung
Blickten aus den blauen Augen,
Die mit ehrlichem Vertrauen
Heiter in das Leben strahlten.
Keiner Sehnsucht heiße Wünsche
Hatten noch im keuschen Busen
Dies Gemüth bisher gefangen,
Und wie eine Waldesquelle
Spiegelte es Welt und Menschen
In Gefühlen sorglos wieder,
Die voll Klarheit bis zum Grunde
Jeden Lichtstrahl aufzunehmen
Stets bereit und offen waren.
Um so tiefern Eindruck auf sie
Machte die Gestalt des Sängers;
Seine Augen, seine Lieder
Senkten ihr das zarte Körnlein
Stiller Liebe in die Seele;
Das schlug Wurzel, trieb und rankte
Blühend sich ums Herz der Jungfrau
Wenn tut Garten vor dem Hause
Sie des Vaters Netze stickte,
Summte sie die Melodien
Vor sich hin mit leiser Stimme,
Und des Fremden Bild und Wesen
Kam ihr nicht aus den Gedanken.
Eins von seinen Liedern hatte
Sich so tief ihr eingeprägt,
Daß sie es nach kurzem Suchen
Wort für Wort in dem Gedächtniß
Wiederfand, und unermüdlich
Sang sie's wieder nun und wieder.

Immer schaust du in die Ferne,
Wie die Wolken fliehn,
Wie am Himmel goldne Sterne.
Goldne Sterne
Ihre Bahnen ziehn.

Und die hohen Gipfel locken
Dich bergauf, bergab,
Knabe mit den braunen Locken,
Braunen Locken,
Nahmst den Wanderstab.

Hat ja nimmer dich gelitten
In des Vaters Haus,
Stürmtest fort mit raschen Schritten,
Raschen Schritten,
An dem Hut den Strauß.

Sprachst zu mir beim Händedrücken:
Kind, die Welt ist weit!
Und ich gab dir bis zur Brücken,
Bis zur Brücken
Weinend das Geleit.

Rosen hab' ich dir gebrochen,
Wie der Dorn auch sticht,
Was beim Abschied du versprochen,
Du versprochen,
O vergiß es nicht!

Ach! verweht sind Wort und Lieder
Und verrauscht das Glück,
Brauner Knabe, kehrst du wieder,
Kehrst du wieder
An mein Herz zurück?

Hunold's scharfer Blick entdeckte
Bald, wie seine Macht und Gaben
Dieser Jungfrau Herz umstrickten;
Ihm auch in der Seele regte,
Wenn er Gertrud sah, sich etwas,
Was er sich noch nicht gestehen,
Nicht mit Namen nennen mochte,
Und was in den Einsamkeiten
Tag für Tag ihn doch nicht losließ,
Bis es in der Liebe Banden
Auch des Sängers Herz geschlagen.
Einmal als beim Letztenläuten
Sich der Kreis der Hörer trennte,
Stand er neben ihr und raunte:
»Wart' auf mich im dunklen Gärtchen!«
Purpurgluth stieg ihr in's Antlitz,
Und sie zitterte und bebte,
Eilte heim und – harrte seiner.
Hunold kam, kam jeden Abend
In des Fischers Geisblattlaube,
Wo ihn Arme hold umfingen
Und zwei frische, rothe Lippen
Selig auf den seinen glühten.
Spielmann, spielst ein böses Stücklein
Mit dem blonden Fischerkinde!
Gilt ein Menschenherz nicht mehr dir,
Als die Laute an der Seite,
Die du schlägst mit kund'gen Fingern,
Daß sie klingt, wie dir's gefalle?
Rührst du gleich den Lautensträngen
Auch des Herzens goldne Saiten,
Daß sie jubeln dann und jauchzen
In der Freude Uebermaße,
Leise singen, klagen, flüstern
Wie der Abendwind im Rohre,
Und zuletzt mit jähem Aufschrei
Schmerzzerrissen, todgetroffen
Von des Sängers Hand, zerspringen?
Spielmann! Spielmann! meinst du's ehrlich?
Knüpfst ein junges Menschenleben
An dein unstät wagend Schicksal,
Und im Volke geht die Sage,
Treue wohne nicht beim Sänger.
Mehr als andern Staubgebornen
Zwar ist ihm die Macht gegeben,
Weiberherzen zu bezwingen,
Und wie Töne aus den Saiten
Kann er aus der Seele Tiefen
Liebe locken, Sehnsucht wecken;
Aber flüchtig wie die Klänge,
Kurz wie Worte ist sein Lieben,
Wie die Tonart, wie die Weisen
Aendern sich ihm Sinn und Wünsche,
Herz wie Laute sind ihm Spielwerk.

Gertrud aber liebte Hunold,
Liebte mit der ganzen Kraft
Ihrer ersten heißen Liebe;
In der vollen Gluth der Sehnsucht,
Die mit jeder Morgenröthe
Ihr im Busen neu erwachte
Und am langen, langen Tage
Wuchs noch, bis die Nacht herabsank,
Gab sie dem geliebten Manne
Willenlos und ohne Schranken
Leib und Seele ganz zu eigen,
Wie die Blume, die der Sonne
Sich erschließen und mit Freuden
Duften muß dem Abendthaue.
Und wo war der stärkste Zauber?
War es der, der ihm vom Munde
In beredten, süßen Worten
Und in goldnen Liedern strömte?
Oder der, der aus den Augen
Ihm so glühend und so mächtig
Sich in ihre Seele drängte?
Ach! sie wußt' es nicht, sie fühlte
Nur ihr ganzes Herz erzittern,
Wußte nur, daß sie die Seine,
Er der Ihre; außer dieser
War ihr keine andre Welt.

An dem Abend nach dem Tage
Der Begegnung auf dem Basberg
Mit des Schultheiß stolzem Sohne
War er nicht in froher Stimmung;
War's der Groll noch auf den Steinmetz
Wegen des mißlung'nen Fanges,
Waren es die Vogelstimmen,
Oder weil die Zeit des Kampfes
Mit den Ratten näher rückte, –
Hunold war zerstreut und wortkarg.
»In drei Tagen ist es Vollmond,«
Sprach er endlich, doch es kam ihm
Etwas zögernd von den Lippen.
»Kann ich dir dabei nicht helfen?
Fragte Gertrud schnell und dringend,
Ich weiß auch Bescheid mit Ködern
Und mit allen Fängerlisten;
Glaube nur, die stummen Fische
Sind so klug und scheu im Wasser
Wie die Ratten auf dem Lande,
Und es heischt Geduld und Vorsicht,
Jenen Schlauen beizukommen.
Thier ist Thier, und was die Einen
In's Gedränge bringt, das liefert
Auch die Andern wohl ans Messer,
Auf die Lockung und die Fallen
Nur kommt's an, die dazu nöthig;
Doch du hast verborgne Mittel,
Die wir hier zu Land nicht kennen,
Und die sorglich du geheim hältst.
Weih' mich ein in deine Künste,
Will verschwiegen sie bewahren,
Und du brauchst mich nicht zum Eifer
Noch zu spornen, auf die Mäuse
Hab' ich selbst den größten Aerger,
Denn mir machen sie vor Andern
Müh' und Arbeit und zerfressen
Nacht für Nacht des Vaters Netze.«
»Kind, entgegnete ihr Hunold,
Ich gebrauche keine Hülfe,
Die mir schädlich und dem Helfer
Selbst verderblich werden würde;
Ganz allein muß ich's bestehen,
Laß durch Nichts dich je verleiten,
In den ersten sieben Nächten
Nach dem vollen Licht des Mondes
In der Stadt mir zu begegnen,
Steh' auch nicht am Zaun und horche,
Denn du wagtest schier dein Leben;
Geh' in's Kämmerlein und leg' dich
Schlafen, doch für mich zu beten,
Liebchen, hast du auch nicht nöthig.«
Gertrud schauderte und schmiegte
Sich beklommen dicht an Hunold,
Ihn in übergroßer Liebe
Fest umklammernd, als ob angstvoll
Sie vor drohenden Gefahren
Ihn zu schützen sucht' und bangte,
Den Geliebten zu verlieren.
»Nicht mal für dich beten, Hunold?
Hauchte sie, o laß dich warnen,
Traue nicht den dunklen Mächten,
Die dich in den Abgrund ziehen,
Aus dem alle treue Liebe
Deiner Gertrud dich nicht rettet.
Thu' es mir zu Liebe, Hunold,
Und laß ab vom finstern Treiben,
Bist bewandert und erfahren
In so mancherlei Hantirung,
Ich bin auch gewöhnt an Arbeit,
Stark und flink in allen Dingen,
Laß uns ehrlich unsres Lebens
Brod und Unterhalt verdienen.
Ist auch hier nicht unsres Bleibens,
Gerne folg' ich dir in's Weite,
Wohin unsres Schicksals Sterne
Uns in alle Wege führen;
Hast ja meine ganze Liebe,
Will im Tod dich nicht verlassen,
Für dich schaffen, für dich darben,
Aber laß sich nicht der Böse
Zwischen unsre Herzen drängen.«
»Mädchen! liebes, holdes Mädchen!
Rief der Spielmann, was bedrückt dich?
Glaube doch an meine Liebe,
Die ich dir so oft geschworen!
Sieh, mein Wort gehört dem Rathe,
Und ich lös' es pünktlich, ohne
Mich dem Bösen zu verschreiben;
In mir selber wohnen Kräfte,
Die nicht Jedermann zu eigen,
Und, ein Erbtheil meines Stammes,
Manches thun, was Manchen wundert.
Hab's auch endlich satt, das Schweifen
Einsam, ruhlos in der Irre;
Du hast mich verwandelt, Gertrud,
Hast den Trotz mir in der Seele
Und den wilden Sinn bezwungen,
Deine Liebe ist wie Frühling
In den Busen mir gezogen,
Du nur wohnst in meinem Herzen,
Andres nicht als dich ersehn' ich.
Ist erst hier mein Werk vollendet,
Führ' ich in ein fernes Land dich,
Uns dort seßhaft anzusiedeln,
Daß du unsres Herdes Feuer
Mit getreuen Händen hütest.
Meine klingend reiche Löhnung,
Die ich mir vom Rath bedungen,
Giebt uns Zehrung auf der Reise,
Bis wir eine Stätte finden,
Wo wir uns das Nestlein bauen
Und in Lieb' und trautem Frieden
Glücklich unsre Tage fristen.«
Und nun plauderte er lockend
Ihr vom Glück geheimer Liebe,
Schilderte in holden Farben
Ihres Bundes frohe Zukunft,
Daß sie aller Furcht vergessen
Seine Worte athmend lauschte.
Und je süßer er die Freuden
Ihrer Einsamkeit ihr malte,
Desto mehr dämpft' er die Stimme,
Bis zum leisen Liebesflüstern
Sie herabsank, das beseligt
Gertrud trank mit durst'gem Ohre.

Plötzlich raschelt' es am Zaune;
Gertrud fuhr empor erschrocken,
»Ruhig, Liebchen! eine Ratte,
Sagte Hunold, in zehn Tagen
Wird sie nicht mehr dich erschrecken.«
In der Laube ward es stille.
Hinterm Zaune aber schlüpfte
Einer leise nach der Gasse
Und verschwand im tiefen Schatten.
Niemand, als der Mann im Monde
Sah ihn: es war Wulf der Schmied.


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