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VI.
In der Linde.

Um die hundertjähr'ge Linde
In des Bürgermeisters Garten
Spann sich Alterweibersommer,
Flatterte in weißen Fäden
Lang gezogen durch die Lüfte.
Vor der Thür war Sankt Micheli,
Doch des Herbstmonds helle Sonne
Brannte noch mit heißen Strahlen
Auf die Reben am Gelände
Drüben, die die Herrn vom Stifte
Weislich schon vor Jahren pflanzten.
Dorten mußte sie noch kochen
Jenen gelben Saft der Trauben,
Den die Herrn Canonici
Ueber alle Maßen liebten,
Wenn sie keinen bessern hatten.
Doch sie hatten meistens bessern,
Und man wußte es ganz sicher,
Daß am Tage von Sankt Urban,
Welcher Schutzpatron des Weinbau's,
Mit dem Probste sie in Andacht
Eine fromme Mette hielten,
Und höchst brünstige Gebete
Und sehr kräftige Gesänge
Stiegen dann aus den Gewölben
Nicht der Kirche, nein des Kellers
Zu dem Heil'gen auf und flehten
Laut um ein gesegnet Weinjahr.
Das Gehöft des Klosters aber
Mit den stattlichen Gebäuden
Sah man von der Lindenlaube.

Ach! das war ein traulich Plätzchen
Um den dicken Stamm des Baumes,
Und die breiten Aeste hielten's
Wie ein Nest in ihrem Schoße.
Gar geräumig war's, man konnte
Mit einander auch zu Dreien
Ganz Bequem rundum spazieren
Auf dem glatten, ebnen Boden,
Der aus Tannenholz gefügt war,
Mußte man sich hier und dorten
Auch vor einem Zweig mal bücken,
Der zu tief hinüber ragte.
Um die Laube war gezogen
Ein durchbrochenes Geländer
Als verläßlich starke Brüstung,
Daß sich selbst der Bürgermeister
Wuchtig darauf stützen durfte,
Sprach von oben er nach unten;
Uebertüncht mit brauner Farbe
War das Holzwerk und zum Zierrath
Abgesetzt mit dunklen Linien.
Wo's die Aeste nur erlaubten,
War auch an den Stamm gelehnet
Eine Bank herum gezimmert,
Und daneben an den Zweigen
Waren Bretlein festgenagelt,
Die als kleine Tische dienten.
An dem Platze, der die Aussicht
Weithin auf die Stadt gewährte,
Hatten große, dunkle Ringe
Auf dem Bretlein sich gebildet,
Denn da pflegte der Herr Wichard
Seinen Schauer hinzustellen,
Dem er gern hier oben zusprach.
Grade nach der andern Richtung
War der Lieblingssitz Reginens;
In die Ferne, nach den Bergen,
Auf den hellen Weserspiegel,
Wo die weißen Segel blinkten,
Ueber Aenger, Wald und Dörfer
Schweiften gerne ihr die Blicke.
In des Gartens hochgelegnem
Theile, nahe an dem Stadtwall
Stand die Linde, von der Laube
Sah man über alle Dächer.
Selber ward man kaum gesehen,
Wie der Vogel in den Zweigen
Saß man in dem Laubgezelte;
Sah man in den hohen Wipfel,
War's ein vielverschlungnes Wirrsal,
Und die grüne Dämmrung lockte,
Höher noch hinauf zu klimmen,
Um sich wie der muntre Fink,
Den man hörte, doch nicht sah,
Ganz im Laube zu verstecken.
Wenn der Wind es sanft bewegte,
Lugte wie ein blaues Auge
Wohl ein kleines Stückchen Himmel
Durch der Wölbung leises Schwanken,
Und der Blätter rege Schatten
Malten Herzen auf's Getäfel,
Die da zitternd, ruhlos tanzten,
Nah sich kamen, dann sich trennten,
Wie ja auch die Menschenherzen
Jetzt sich suchen, jetzt sich fliehen
Heimlich zitternd und erbebend.

Heute lächelte die Sonne
Freundlich auch dem Glück der Liebe.
Heribertus und Regina
Standen oben in der Laube
Der vieläst'gen Lindenkrone,
Und es kümmerte sie wenig,
Wenn manchmal aus dem Gezweige
Sich ein welkes Blättchen löste,
Leise knisternd auf die Bank fiel
Oder durch den Luftraum kreisend
In den Garten niederschwebte.
In die Obhut heil'ger Linden
Stellten frommen Sinns die Alten
Ihre hohen Götterbilder,
Sahen scheu hinauf und schwuren
Treue sich mit festen Eiden.
Auch in dieser Linde Wipfel
War zur Stund ein Bild zu schauen,
Hehr und herrlich wie die Götter,
Die in dunklen Hainen wohnten.
Wie des Epheus grüne Ranke
An den sturmerprobten Waldbaum
Sich mit tausend Fasern klammert,
Hielt Regina mit den Armen
Und mit Sinnen und Gedanken
Ihren Heribert umfangen,
Schmiegte sich an den Geliebten,
Lehnte sich in seinen Arm auch,
Den er wie zu Schutz und Stütze
Um die Schulter ihr geschlungen.
Also standen sie und schauten
Beide in die offne Landschaft,
Er in edler Mild' und Mannheit,
Bild der Kraft von hohem Wuchse,
Sie in voller Jugendschöne
Blühend, schwellend, wonneathmend.
Ueber ihren Häuptern grade,
Einem Baldachin vergleichbar,
Spannte sich ein Zweig der Linde,
Und der helle Glanz der Sonne
Gab ein Funkeln und ein Blitzen,
Wie von goldner Luft umsponnen
Waren die zwei Lichtgestalten.
Keiner sprach; – wozu auch Worte,
Wenn die Herzen voll zum Springen,
Wenn es innen jauchzt und jubelt,
Singt und klingt in allen Tönen,
Die in eines Menschen Seele
Das Berauschendste des Daseins
Weckt und stimmt zu süßem Schalle
Und in Wellen läßt erklingen,
Die im Strom der Zeit nicht enden.
Aber was in seiner Armuth
Nicht der Mund zu künden wußte,
Sprachen Sterne, schicksaldeutend,
Die ein Jeder von den Beiden
Sonnenklar an seinem Himmel,
In des Andern Antlitz winkend
Und verheißungsvoll sah leuchten.
Blickten sie sich in die Augen,
Ja dann schlug mit hellen Flammen
Sich das selige Geheimniß,
Das sie im verschwiegnen Busen
Treu bewahrten und doch nimmer,
Nimmermehr dort bergen konnten,
Weg und Steg von Herz zu Herzen;
All ihr Wissen war die eigne,
All ihr Wollen nur des Andern
Hochgemuthe, volle Liebe.

»Heribert, so stand ich manchmal,
Brach Regina nun das Schweigen,
Schaute hier von unsrer Linde
Nach dem Untergang der Sonne,
Wo weit hinter jenen Bergen
Fließt der Rhein, deß grüne Wellen
Dich auf dem Gerüst des Münsters,
Dacht' ich mir, zu Straßburg sahen,
Und dann klopfte mir das Herz:
Wenn er nur nicht fehltritt, sprach ich,
Und in seiner luft'gen Höhe
Ihn nicht Schwindel packt und Grausen.
Und dann schärfte sich mein Auge,
Und mir war, als säh' ich ferne,
Ferne einen Wandrer kommen
Von dem Teutoburger Walde,
Und der grüßte mich und winkte,
Und dann schloß ich beide Augen
Und sah dich, sah dich mir nahen.«
»Also dachtest du doch meiner?
Sagte Heribert, und bangtest
Um mich, wenn ich an dem Münster
Stieg die Leitern auf und nieder?«
»Ach! ich dachte ja nichts Andres,
Sprach sie, und mir träumte einmal:
Ich stand unten an dem Münster,
Blickte auf und sah dich stehen
Oben auf der höchsten Staffel,
Und ich rief dich laut beim Namen,
Du erschrakst, und weit hinüber
Bogst du dich, mich zu erspähen;
Da – o schrecklich! – sah ich plötzlich,
Wie du schwanktest, wollt'st dich halten,
Aber griffst nur Luft und stürztest
Hoch hinab, ich aber fing dich,
Fing dich auf mit offnen Armen,
Und mit einem Schrei erwacht' ich.«
»Nun, dein Traum ist aus, Geliebte,
Lachte Heribert, vom Münster
Komm' ich hoch herab und finde
Mich in deinen Armen wieder,
Die du liebend mir geöffnet.«
Und er drückte sie in Freuden
An sein Herz, und sie umschlang ihn,
Und es ruhte Mund auf Munde.
»Aber nun bleib' ich ja bei dir,
Fuhr er fort, auf Nimmerscheiden;
Hat der Vater zur Vertruwung
Dir den Tag schon angekündigt?«
»Meinen Vater, sprach Regina,
Drückt etwas, er ist so schweigsam
Wie sonst nimmer, und er setzte
Eine Frist uns und Bedingung,
Von der ich es nicht verstehe,
Wie sie unser Glück soll hindern
Oder einen Tag verzögern.
Weißt, ein Fahrender ist kommen,
Spielmann auch und Vogelsteller,
Der in unsrer Stadt die Ratten
Und die Mäuse will vertilgen
Mit des Rathes Brief und Urkund,
Und der Vater hat beschlossen,
Nicht die Lautmerung zu halten,
Eh' der Pakt nicht mit dem Fremden
Abgelaufen und gelöst ist;
Doch zehn Tage nach dem Vollmond,
Meint' er, kam' es zur Entscheidung.
Vor dem Fremden aber graut mir,
Sah ihn heut vorüber streichen,
Und mit seinen dunklen Augen
Blickte er mich an so seltsam,
Daß das Herz mir dabei klopfte.«
»Bin ihm heute auch begegnet,
Sagte Heribert, im Walde
Oben auf des Basbergs Gipfel,
Drohend waren Blick und Worte,
Und wir schieden nicht als Freunde.
Aber laß die Sorgen, Liebste,
Werde hüten dich und schützen
Vor des Falken grimmem Schnabel,
Flüchte dich in meine Arme
Nur, lieb Vöglein, bist hier sicher.« –

Also redeten und kos'ten
In der Lindenlaube fröhlich
Heribertus und Regina,
Sprachen von dem Glück der Zukunft
Und von Aufgebot und Brautlauf,
Und wie seine liebe Mutter
Alles sorglich schon bedachte,
Was zur jungen Wirthschaft nöthig,
Bis der Abendstern erglänzte
Und die gute Dorothea
Sie zum Imbiß dann herabrief.


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