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Schon war Herr de Sunneborne
      
 Heimgekehrt zu seinem Hause,
      
 Das am Markt ihm stattlich ragte,
      
 Als Herr Gruwelholt am Tische
      
 Einsam schreibend saß, doch schien's ihm
      
 Nicht die liebste Arbeit grade,
      
 Denn er hielt nicht viel vom Schreiben.
      
 Was gesprochne Worte wogen,
      
 Wußt' er, und ein gut Gedächtniß
      
 Hatte ihm Natur gegeben,
      
 Doch die Pergamente haßt' er.
      
 Solche Klexereien, meint' er,
      
 Ließen drehen sich und wenden,
      
 Könnten auch den bravsten Menschen 
      
 Unversehns zum Schelmen machen.
      
 Immer stand er auf dem Stocke
      
 Mit dem Rathstuhlschreiber, der ihm
      
 Viel zu viel Geschreibsel machte;
      
 Was für Ding' auch zur Verhandlung
      
 Vor dem hohen Rathe kamen,
      
 Sicher brachte Ethelerus
      
 Was Geschriebenes zur Stelle,
      
 Tippte mit dem Zeigefinger
      
 Auf Kapitel und Artikel,
      
 Stritt und legte aus und klaubte
      
 An der Worte Sinn und Deutung.
      
 Und mit höhnischem Gesichte
      
 Widersprach er eigensinnig
      
 Und schob seine Kritzeleien,
      
 Wie sie es im Rathe nannten,
      
 Stets wie Riegel oder Pflöcke
      
 Vor die muthigsten Beschlüsse.
      
 Dennoch war er unentbehrlich
      
 Im Collegium, schlau und findig
      
 Half er auch mit seinen Ränken
      
 Dem Senat aus mancher Klemme,
      
 Und nur Wen'ge gab's in Hameln,
      
 Die des Schreibens kundig waren.
      
 Zu den Wenigen gehörte
      
 Zwar Herr Wichard, doch zuwider
      
 War ihm das gelehrte Wesen,
      
 Und etwas bedeuten mußt' es,
      
 Wenn er sich zum Schreiben setzte.
      
 War's vielleicht sein letzter Wille,
      
 Den er zu Papiere brachte?
      
 Oftmals legte er bei Seite
      
 Seinen Federkiel und wischte
      
 Sich die Perlen von der Stirne, 
      
 Ging tut Zimmer auf und nieder
      
 Und dann seufzend wieder schrieb er.
In der Kemenate aber,
      
 Deren wohlvergittert Fenster
      
 Nach des Hauses Garten blickte,
      
 Saßen jetzt die beiden Frauen.
      
 Schweigsam war's in dem Gemache,
      
 Schön Regina saß am Fenster
      
 Und sah nieder in den Garten;
      
 Doch die bunten Asternbeete
      
 Fesselten nicht ihre Blicke,
      
 Und in tiefem Sinnen weilten
      
 Bis mit Fragen Dorothea
      
 Sie aus ihren Träumen weckte.
      
 Diese schaffte an der Kunkel
      
 Doch wie festes, dralles Garn sie
      
 Auch aus ihrem Flachse spulte,
      
 Des Gespräches dünner Faden
      
 Riß, kaum angeknüpft, schon wieder.
      
 Selten nur erhielt sie Antwort,
      
 Und dann leckte sie im Unmuth
      
 Immer rascher an die Finger,
      
 Die den Faden ründend drehten.
      
 Um des Flachses gelben Büschel
      
 War der Wockenbrief geschlungen
      
 Und mit himmelblauem Bande,
      
 Breiter Schleife, langen Enden
      
 Festgebunden; auf dem Briefe
      
 Waren wunderbare Blumen
      
 Und zwei Englein auch gemalet,
      
 Die mit dicken, rothen Backen
      
 Auf einander losposaunten. 
      
 Rastlos schnurrte ihre Spindel;
      
 Aber kam das Rad zum Stehen,
      
 Wenn ein falscher Tritt der Alten
      
 Aus dem Takt und Schwung es brachte,
      
 Gab es keinen Laut im Stübchen,
      
 Als daß unterm Schrein im Winkel
      
 Eine Maus am Holze nagte.
Dorothea frug schon wieder,
      
 Was des Herren Schultheiß Kommen
      
 Wohl für Ursach haben möchte,
      
 Bis ihr denn Regina sagte,
      
 Mit welch liebenswürd'gem Scherze
      
 Sie von Beiden aus dem Zimmer
      
 Sei heraus complimentiret.
      
 »So! also die Ohren klingen,
      
 Sprach Herr Sunneborne? Kindchen,
      
 Das hat etwas zu bedeuten!
      
 Bist nun zwanzig Jahr geworden,
      
 Und ich kann dir's nicht verdenken,
      
 Daß es dir im Kopf herumgeht,
      
 Was von dir sie sprechen könnten.«
      
 Also knüpfte Dorothea
      
 Wieder an den Redefaden,
      
 Und nun fand sie ein Kapitel,
      
 Drin wie Keiner sie zu Haus war,
      
 That sich auch was drauf zu gute,
      
 Und die Uhr war aufgezogen.
      
 »Kind! sprach sie, wenn Einem fangen
      
 Beide Ohren an zu klingen
      
 Oder auch nur eins von beiden,
      
 Da ist Vieles zu beachten:
      
 Wann und wo und wie es anfängt,
      
 Ob es eins nur ist, ob beide, 
      
 Ob das rechte oder linke,
      
 Und in welchem es zuerst klingt.
      
 Ist's das linke, so bedeutet's
      
 Selten Gutes, was geredet,
      
 Aber wenn dann auch das rechte
      
 Bald drauf einsetzt, hat man Einen
      
 Zur Vertheid'gung, der die Unschuld
      
 Gegen Ungebühr in Schutz nimmt.
      
 Aber wenn das rechte an fängt,
      
 So wird Gutes zwar gesprochen,
      
 Doch es ist dann schon Vergangnes
      
 Oder Sittsamkeit und Tugend,
      
 Um deßwillen man gelobt wird.
      
 Wenn nun aber beide Ohren
      
 Auf einmal zusammen klingen,
      
 Ja dann deutet's auf die Zukunft.
      
 Gieb genau nun Acht und horche,
      
 Welchen Ton das Klingen annimmt:
      
 Ist's ein Summen und ein Sausen,
      
 Dann droht Unheil uns vom Feinde,
      
 Der auf Böses sinnt und Schaden;
      
 Ist's ein feines Tiriliren
      
 Wie des kleinsten Mückleins Stimme,
      
 Kann man ein Geschenk erwarten
      
 Oder sonsten eine Freude,
      
 – Weiß nicht, meine alten Ohren
      
 Sind mir heute auch ganz närrisch,
      
 Höre was wie Silberklimpern –
      
 Aber – was ich sagen wollte,
      
 Aber ist's ein lustig Singen
      
 Wie von Harfen und Quinternen
      
 In der rechten Mittellage,
      
 So als ob man hoch im Himmel
      
 Gottes Englein spielen hörte, 
      
 Kindchen, ja! das ist das Schönste,
      
 Dann gedenkt in Lieb' und Treue
      
 Einer still und heiß des Andern;
      
 Ist der Eine eine Jungfrau,
      
 Kommt der Andre bald als Freier
      
 Und kommt dann auch nicht vergebens.
      
 Nun besinne dich und horche,
      
 Ob dir's klingt und wie sich's anhört.«
      
 »Liebe Alte, rief Regina,
      
 Freilich klingt mir's in den Ohren
      
 Und so überlaut und lustig,
      
 Daß ich Alles kaum verstanden,
      
 Was du mir davon erzähltest.«
»Siehst du, Kindchen! siehst, ich sagt' es,
      
 Das hat etwas zu bedeuten!
      
 Und nun brauch' ich nicht zu fragen:
      
 Wie weit ist es denn von Straßburg?
      
 Wieviel Tage muß man reisen
      
 Von dem Rheine bis zur Weser?
      
 Und wie lange – horch! da klopft es,
      
 Ein!« – da in der Thüre stand
      
 Heribert de Sunneborne.
»Alle Heil'gen! alle Heil'gen!
      
 Alle – ach! du meine Güte!
      
 Ach, da ist er! meine Ahnung!
      
 Siehst du, Kindchen! siehst, ich sagt' es,
      
 Das hat etwas – doch was sag' ich?
      
 Drauß im Garten wartet Lorenz,
      
 Daß ich ihm – ja was denn? daß ich –«
      
 Und schon war sie an der Thüre.
      
 Aber Heribert ergriff sie
      
 Schnell beim Arm und sagte freundlich
      
 »Habt Ihr es denn gar so eilig,
      
 Jungfer Dorothea? laßt mich 
      
 Doch nur guten Tag Euch bieten
      
 Und sagt selbst mir gute Märe.«
      
 Dann sich zu Regina wendend
      
 Grüßt' er herzlich sie und innig,
      
 Und Regina, tief erröthend.
      
 Schlug die dunklen Wimpern nieder,
      
 Fand nicht gleich die rechten Worte
      
 Zur Entgegnung, doch sie ließ ihm
      
 Ihre Hand, die sanft er drückte.
      
 Die Verlegenheit zu enden,
      
 Zog er nun hervor ein Päckchen,
      
 Kramte allerliebste Sachen,
      
 Die er mit aus Straßburg brachte,
      
 Vor den Augen aus der Frauen.
      
 Jungfer Dorotheen schenkt' er
      
 Einen schönen Kamm aus Schildkrot,
      
 Einen helfenbeinern Fürspan
      
 Und mit Silbergarn durchflochten,
      
 Eine Haubenschnur aus Basel.
      
 Doch Reginen auf die Locken
      
 Drückt' er einen goldnen Stirnreif
      
 Feinster genueser Arbeit.
      
 Dorothea schlug die Hände
      
 Einmal über's andre staunend
      
 Ob der Herrlichkeit zusammen,
      
 Sträubte sich, das anzunehmen,
      
 Nahm's dann doch, und überschwenglich
      
 Reich an Worten war ihr Danken.
      
 »Ach! was wird der Lorenz sagen!
      
 Rief sie, dem muß ich doch Alles –
      
 Ganz geschwind will ich's ihm zeigen.«
      
 Damit nahm sie die Geschenke
      
 Und entwischte aus der Kammer. 
      
Heribertus und Regina
      
 Waren nun allein; ein Blick nur
      
 Flog hinüber und herüber,
      
 Und beglückt in seine Arme
      
 Schloß der Bräutigam die Braut.