Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Kapitel

Das Mandanerdorf war glücklich erreicht, und alle hatten die freundlichste Aufnahme gefunden. Noch eine letzte Nacht hinter seinen schützenden Mauern und dann hinaus, der ungewissen Zukunft entgegen. Es war doch ein ernster Augenblick, sie sagten sich's heimlich alle.

Mr. Everett begrüßte Bob und die Pelzhändler, Hugo suchte den Biberfänger, um ihm und dem Honigesser ein Lebewohl zu sagen, Jonathan dagegen sprach unter vier Augen mit der Großen Klapperschlange in dessen Hütte.

»Du kennst mich, Schlange,« sagte er, »Wi-ju-jon hat ein gegebenes Versprechen noch niemals gebrochen. Deine Kanus gehen höchst wahrscheinlich verloren, aber ich ersetze dir die Felle, so wahr mir der Große Geist die Büffel dafür in den Weg schicken möge. Du sollst das Opfer nicht bereuen, alter Freund, weder du noch deine Krieger! – Wollt ihr uns aus der Not helfen?«

Klapperschlange reichte ihm die Hand. »Nicht nötig, davon zu sprechen, Wi-ju-jon,« sagte er. »In dieser Nacht, wenn ganz dunkel, alle Kanus hinbringen an Stelle, die hinter den Felszacken liegt. Weiß schon, weiß schon, unterhalb seichtem Übergang, wo Dakotas zusammentreffen mit Krähen, um Weiße zu töten. Ihr nur eins beachten müßt! – Ihr schneller hinkommen als Dakotas!«

Der Trapper schüttelte den Kopf und berichtete dem Häuptling über ihr Vorhaben.

Die Klapperschlange nickte. »Der Plan gut sein,« sagte er, »er mir sehr gefallen. Wi-ju-jon ihn erdacht haben?«

»Nein, Häuptling, nicht ich, sondern der Blitz, ein junger Krieger meines Stammes, der es aber im Kriege noch einmal weit bringen wird, wie ich glaube. Gott gebe nur, daß jetzt die Sache ein gutes Ende nimmt! – Also auf dich und deinen Beistand darf ich rechnen, Schlange?«

»Das gewiß. Nicht nötig, davon sprechen. Wir nur noch verabreden, wo Wi-ju-jon und seine Freunde die Kanus finden!«

Der Trapper wiegte den Kopf. »Nun, ich denke, am buschigen Ufer hinter der scharfen Ecke, wo das Wasser die Biegung macht!«

Klapperschlange streckte die Hand aus. »Hugh! Der Häuptling das nicht denken. Er so denken. Wi-ju-jon wissen, wo in Bucht das angeschwemmte Treibholz liegen?«

»Gewiß. Aber das ist für ein Versteck nicht hoch genug!«

»Das viel hoch genug. Abgestorbene Äste hintragen, wachsen Gras und Schilf und Ranken darauf, bauen Vögel ihre Nester, – ist das gute Stelle für hundert, vierhundert Kanu!«

»Schön. – Und dahin besorgst du sie, Schlange?«

»Dahin ich sie selbst rudern mit Sohn und Schwiegersohn. Eigene Hand das beste.«

Der Trapper dankte gerührt. »Du bist ein Ehrenmann, Schlange. Gott vergelte dir's reichlich! Und nicht wahr, für diese Nacht gibst du uns noch Quartier?«

»Wi-ju-jons Bett steht immer an selber Stelle, wo es finden, so oft er kommen – allein, mit Freunden, im Winter oder im Sommer, wie er will.«

Sie drückten sich die Hände, und dann schickte Klapperschlange von Hütte zu Hütte einen Läufer, um der Lederboote wegen mit den Kriegern zu unterhandeln. Noch vor Abend lagen alle am Wasser versteckt, bereit, während der Nacht stromab bis zu der zwischen dem Trapper und dem Häuptling verabredeten Stelle gerudert zu werden. Die Weißen selbst standen am Ufer und sahen, wie sich Klapperschlange mit seinem Sohne und seinem Schwiegersöhne daran machte, die Fortschaffung ins Werk zu setzen. Sie reichten vorher noch dem Alten die Hand.

»Wir müssen hier Abschied nehmen, Schlange. Sobald die Sonne aufgeht, besteigen wir unsere Pferde. Auf Wiedersehen also!« –

»Auf Wiedersehen!«

Niemand schlief in dieser Nacht. Ernster als seit vielen Wochen standen am Morgen unsere Freunde vor den Mandanern, um sich von ihnen zu verabschieden, beklommen und von bangen Zweifeln erfüllt. Es wehte kalt über das Wasser daher, Nebelmassen zogen und wallten wie weiße Gespenster durch die Luft. Doch es mußte, wenn auch schweren Herzens, geschieden sein, und so ging es denn nach vielen herzlichen Dankesworten in den taufrischen Morgen hinein.

Es wurde wenig gesprochen, der Tag verging ohne Störung, überall gesellten sich zu den Anführern die versteckten Läufer, und von jedem dieser Männer kam die Botschaft, daß die Krähen scharfe Wacht hielten. Im Lager des Fließenden Feuers mußte der Verdacht immer reger geworden sein, denn die Zahl der Kundschafter war verdreifacht, obgleich es zu Feindseligkeiten nicht kam. Gerade das beunruhigte den Trapper.

»Wir müssen mit den Freunden beraten,« sagte er gepreßt. »Nein, Kinder, nicht hier! – Dergleichen will ruhig erwogen sein.«

Sie gelangten ohne Unfall in das Dorf der Mönnitarier, wo Doppelgesicht am Beratungsfeuer der Ankommenden schon harrte. In aller Stille waren achtzig bis hundert Pferde auf der Prärie eingefangen worden und zusammengekoppelt in das Dorf gebracht. Sobald es dazu dunkel genug erschien, sollten sie unter Donnerwolkes und des Blitz Anführung seitab von der offenen Straße durch den Wald bis an die Stelle geführt werden, wo der Reiterzug nach dem Ufer des Knifeflusses hin den Weg verließ und wo andere Pferde die gerade Bahn weiter verfolgen und durch ihre Spuren die Krähen irre leiten mußten.

»Können nicht fehlschlagen dieser Plan!« meinte zuversichtlich der Punkah.

»Es ist gut,« sagte Doppelgesicht, »wenn wir vertrauensvoll vorwärts gehen, aber Vorsicht bleibt geboten. Was gibt Wi-ju-jon für Rat?«

»Ich meine so, Häuptling,« sagte der Trapper, »du mußt mit deinen Leuten einen Scheinangriff ausführen, und zwar in wenigen Stunden schon.«

»Hugh!«

»In dieser Nacht, es geht nicht anders. Die Kundschafter der Feinde stehen vor deinem Dorfe, sie lauern hinter jedem Baum, sie liegen im Walde bis zu den Mandanern hin versteckt, nicht wahr, Donnerwolke?«

Der Punkah nickte. »Sie dicht wie die Flocken im Winter.«

Auch Doppelgesicht bestätigte die Sache. Er hatte neben sich unter den Büschen ein paar Augen gesehen, die nahe in die seinigen blickten – der Feind lauerte überall.

Jonathan hob die Hand. »Die Krähen,« sagte er, »werden vor deinen Kriegern Schritt um Schritt zurückweichen; sie wollen ihre Kräfte nicht zersplittern im unnützen Kampfe mit den Mönnitariern, sondern nur an den Weißen Rache nehmen. Daher findest du in den Dickichten niemand und kannst zum Dorfe zurückkehren, wenn – die Pferde weit genug von hier sind, um unter dem Schutze der Nacht die Stelle vor den Gebirgszügen sicher zu erreichen. Unterhalb derselben wartet die Klapperschlange mit hundert Lederbooten.«

Der Punkah nickte. »Das gut,« sagte er wieder, »sehr gut!«

In jeder Hütte wurden also, nachdem die Läufer den Befehl des Häuptlings von Tür zu Tür getragen hatten, die Vorbereitungen für den Scheinfeldzug eifrig betrieben. Etwa dreihundert Mönnitarier, sammelten sich vor dem Dorfe und als der Abend hereinbrach, schwärmten sie aus in langer, unabsehbarer Linie, wobei ihnen die Punkahs und Schwarzfüße als Boten dienten.

Es war ein aufregender Augenblick. Donnerwolke und der Blitz standen neben den Pferden, bereit, ihren gefahrvollen Weg anzutreten, mehrere hundert unerschrockene Männer bildeten zwischen ihnen und den Anführern der Mönnitarier eine lebende Kette, deren einzelne Glieder von Mund zu Mund in kurzen Zwischenräumen Bericht erstatteten. »Doppelgesicht bis zum Fluß!« hieß es zuerst, »er den ganzen Weg frei halten.« Und dann kam neue Kunde. »Krähen weichen vor den herankommenden Mönnitariern.«

Eine dritte Meldung gelangte in das Hauptquartier. »Die Pferde können ihren Weg aufnehmen. Es regnet, Spuren verwischt – keine Gefahr!«

Donnerwolke reichte dem Trapper die Hand. »Wir treffen uns, wo Ausläufer von Felsen beginnen, morgen um diese Stunde.«

»Der Himmel gebe es,« murmelte Jonathan. »Auf Wiedersehen!«

»Auf Wiedersehen!«

Gegen Morgen kam Doppelgesicht zurück und mit ihm, Mann auf Mann, die Mönnitarier und Punkahs. Die Leute des Gelben Wolfes waren draußen geblieben, um zwischen den Vorposten der Krähen und dem Zuge der leeren, von Blitz und Donnerwolke geführten Pferde eine undurchdringliche Mauer zu bilden. Sie standen in langer Linie bis zu den Felsklippen und sollten auch in dieser Stellung ausharren, bis die Reiter erst in den Booten waren.

So konnte denn mit dem Erscheinen des neuen Tages die Reise vor sich gehen. Doppelgesicht und Hermelin zogen mit hinaus, um die Gefahren ihrer Gastfreunde zu teilen. Es regnete ziemlich stark, ein kühler Wind pfiff über die Wipfel daher.

Doppelgesicht gab das Zeichen, und der stattliche Reiterzug setzte sich in Trab. Von den Krähen zeigte sich keine Spur. Ein paar besonders kecke Burschen aus Donnerwolkes Schar waren unter dem Schutze der Nacht über den Fluß geschwommen und hatten das entgegengesetzte Ufer durchsucht. Sie fanden die Anzeichen eines schnell abgebrochenen Lagers, aber von den Dakotas selbst keinen einzigen mehr.

Es wurde im vollkommensten Frieden an diesem Tage zweimal haltgemacht, um zu essen. Man konnte getrost ein Feuer entzünden, denn es unterlag keinem Zweifel, daß die Krähen jeden Schritt ihrer Feinde auf das genaueste überwachten und aus dem Hinterhalt den offen reisenden Zug fortwährend beobachteten.

Gegen Abend kam ein Indianer und meldete, daß er die Große Klapperschlange wohlbehalten angetroffen. Alle Fahrzeuge waren ohne Hindernis unter das Treibholz gebracht und konnten binnen einer Viertelstunde wieder flott sein. Klapperschlange hatte keinen Feind bemerkt, er hegte die beste Zuversicht.

Und allmählich ging dies Gefühl der Sicherheit über in die Herzen unserer Freunde. Noch bis zwei Uhr nachts, dann war, wenn die Flucht auf dem Wasser gelang, wenigstens ein ganz bedeutender Vorsprung erreicht.

Nach dem Abendessen ging der Ritt über die baumlose Prärie. Die Nacht war halb dunkel, der Wind ging kalt, von fern umheulten Wolfsscharen den Zug. Sonst blieb alles still.

Stunde auf Stunde verrann, nichts zeigte sich!

Durch das Halbdunkel schimmerte ein dichter Wald mit seinen wogenden Wipfeln!

Unter ihnen lagen Blitz und Donnerwolke mit den Pferden. Ganz allein in der schweigenden Wildnis, verlassen von aller menschlichen Hilfe, hatten sie vierundzwanzig Stunden dort verbracht, immer den Tod vor Augen, bedroht in jeder Sekunde. Von ihrer Besonnenheit hing das Gelingen des ganzen Unternehmens ab.

Noch eine Stunde, dann hatte man sie erreicht.

Auf dem gefährdetsten Punkt am Waldessaum stand der Gelbe Wolf. Er reichte dem Häuptling und den Weißen die Hand. »Meine Leute schon ausgeschickt auf Kundschaft. Sechshundert Krähen und Dakotas liegen unter den Klippen, eine Hälfte rechts, eine links – der Weg führt mitten hindurch.«

Jonathans Herz klopfte. »Ein Höllenplan,« murmelte er.

»Ja, Höllenplan. Das wahr und darum Großer Geist ihn nicht gelingen lassen.«

Der Zug setzte sich wieder in Bewegung, bis dichter, undurchdringlicher Wald Männer wie Pferde in seinem Schatten verbarg. Die Reiter gingen jetzt, ihre Tiere am Zügel nach sich ziehend, Schritt um Schritt, jeder entschlossen, sein Leben so teuer wie möglich zu verkaufen, jeder aus das Schlimmste gefaßt.

Es war ein Losungswort verabredet: »Knifefluß!« – Wer das aussprach, der zeigte sich im Dunkel dem anderen als Freund. – –

Doppelgesicht und der Trapper gingen voran. Sie kannten die Gegend sehr genau. Hier, gerade hier mußten Blitz und Donnerwolke versteckt liegen.

Eine Hand faßte den Arm des Trappers. »Ich bin's, Donnerwolke! – Mir nach!«

Und »Knifefluß!« lief's leise von Mund zu Mund, »Knifefluß! – Hierher, es gehen Kundschafter voran.«

»Wo habt ihr denn die Pferde?«

»An der Hand. Ihnen sind die Mäuler verbunden und die Füße umwickelt.«

Wirklich lagen und standen alle diese geduldigen, vortrefflich erzogenen und geschulten Tiere, ohne den mindesten Laut von sich zu geben, neben ihren Herren unter den Bäumen.

Rechtsab glitten sämtliche Reiter mit ihren Tieren, um hier am Saume des Waldes dahinzuschleichen bis an den Fluß, wo die Freunde warteten.

Vor den Blicken des Trappers und seiner Begleiter dehnte sich der blaue, plätschernde Knifefluß. Aus dem Schatten trat Klapperschlange, während die andern in das Wasser plumpsten, um unter dem Treibholz hervor die Lederboote in den freien Strom zu bringen. Ein besseres Versteck konnte es nirgends in der Welt geben, bis an das Ende aller Tage hätten die Kanus hier liegen können, ohne jemals von menschlichen Augen entdeckt zu werden.

»Alles gut! – Alles gelungen!«

Ein Teil der Männer half den Söhnen des Mandanerhäuptlings die Fahrzeuge flottzumachen, ein anderer brachte Pferd auf Pferd quer über den Fluß an das entgegengesetzte Ufer. Der Strom machte in seinem Lauf an dieser Stelle eine scharfe Biegung – mit nur vierundzwanzig Stunden ungestörten Vorsprunges konnten die Weißen gerettet sein. Die Einschiffung begann.

Mandaner und Mönnitarier verließen hier den Zug, um in ihre unbeschützten Dörfer zurückzukehren. Beim Nachhausegehen sollten sie die Schar des Gelben Wolfes über das Wasser und den vorausgeeilten Freunden nachschicken.

Vier und vier bestiegen je ein Boot, Abschiedsgrüße flogen herüber und hinüber. »Solange ich lebe, werde ich der Hängematten im Schatten deines Hauses gedenken, Häuptling, solange ich lebe, der treuen Fürsorge, die du und dein Weib, deine Kinder mir angedeihen ließen. Gott lohne dir, du hast geholfen uns das Leben zu retten!«

»Leb' wohl, Hermelin!« rief Hugo. »Das Scheiden von dir wird mir schwer.«

»Uhu!« preßte der junge Indianer hervor. »Uhu – ich dich lieb haben! Leb' wohl! Leb' wohl!«

Bob stand abseits. Er wagte es nicht, den Mönnitariern die Hand zu geben. In seiner Brust tobte das ganze Weh vergangener Tage.

»Fluche mir nicht, Häuptling,« bat er noch vorm Scheiden. »Ich will, wenn ich meinen Vater jemals wiedersehe, ihn bitten, euch das geraubte Geld zu ersetzen.«

Doppelgesicht gab ihm freiwillig die Hand. »Leb' wohl,« sagte er. »Können auch Sohn guter Mensch sein, wenn Vater Schuft. Mönnitarier Bob nichts nachtragen.«

»O ich danke dir, Häuptling, ich danke dir!«

Jonathan mahnte zum Aufbruch. Die Lederboote wurden in die Mitte des Stromes gebracht, ein Signal setzte drüben die Männer bei den Pferden in Kenntnis, und schnell eilten die Fahrzeuge der veränderten Richtung entgegen.

Ein Läufer sagte es am Lande dem anderen, alle Schwarzfüße sammelten sich um ihren Häuptling, und die ganze Schar glitt lautlos ins Wasser, um an der entgegengesetzten Seite den Punkahs zu folgen. Zweihundert Krieger befanden sich in den Kähnen, ihrer sechzig bei den Pferden.

Über dem Strom lagerte die Stille der Nacht. Je zwei Indianer ruderten stehend, ein dritter kauerte im Hinterteil des Bootes, und der vierte saß zwischen ihnen für den Augenblick müßig. An Schlaf war während dieser Nacht nicht zu denken.

Vom anderen Ufer herüber tönte luftig der Schrei des Eichhörnchens – der Gelbe Wolf mit den Seinen war zu den Punkahs gestoßen.

»Jetzt fehlen nur noch Donnerwolke und der Blitz,« rief Hugo.

Alle schwiegen. Diese beiden Tapferen standen auf dem gefährlichsten Punkt des Unternehmens, das sagte sich unwillkürlich jeder der Geretteten.

Der Morgen dämmerte. Es mußte gegessen und auch mit den Bootsführern getauscht werden; die bisher auf den Rücken der Pferde gesessen in Ruhe die Reise fortgesetzt hatten, mußten nun die Riemen ergreifen und dafür ihre Plätze in den Sätteln den ermüdeten Schiffern abtreten; an alle aber wurde das Frühstück verteilt.

In sicherer Mitte auf dem Strome lagen enggedrängt die schlanken Lederboote, während am Ufer die Pferde weideten und ihre Gebieter den Umtausch bewerkstelligten. Es war jetzt mindestens acht Uhr morgens, und noch ließen sich Blitz und Donnerwolke nicht sehen. Wenn ihnen ein Unglück zugestoßen wäre!

Da schrie plötzlich ein Eichhörnchen hell herüber, und ehe noch der Trapper ein »Gott sei Dank, sie sind da!« aus tiefstem Herzen stammeln konnte, zeigten sich der Blitz und der tolle Punkah am Ufer.

Als echte Söhne der Wildnis gaben sie nur Zeichen, ohne irgendeinen Laut auszustoßen, ihr ganzes Benehmen aber verriet auf den ersten Blick, daß sie sich vollkommen sicher wußten. Ein Boot stieß ab, um die beiden Helden aufzunehmen, und fünf Minuten später befanden sie sich inmitten der Ihrigen.

»Das lustige Fahrt!« rief der Blitz. »Freilich kein Skalp und keine Beute, aber viel Spaß. Mir etwas Tabak geben, Wi-ju-jon?«

Er erhielt das Verlangte, und auch Donnerwolke sog in langen Zügen aus der Pfeife des Gelben Wolfes das geliebte, während der letzten Stunden entbehrte Labsal. Dann erst erlaubte sich Jonathan nach den Ereignissen des letzten Abends zu fragen.

»Ich erzählen!« rief der Blitz lachend. »Viel Spaß das!«

»Wir großes Feuer anzünden,« begann er, »stellen Pferde so, daß Krähen sie nicht sehen können, liegen eine Stunde, zwei Stunden in Versteck, denken immer, Wi-ju-jon und andere Krieger kommen weiter auf Fluß, Krähen können warten. Machen viel Vergnügen das für Häuptling und Blitz! Sie immer beobachten Dakotas und Krähen, wie ganz nahe heranschleichen, sie endlich sehen Fließendes Feuer und Steinernes Herz, kommen zusammen auf Kundschaft, haben lose Pferde hinter sich, ganz nahe. Da Häuptling ein Zeichen geben, er lachen leise für Blitz und deuten auf Felsklippe über Köpfen von Dakota und Krähe. Blitz ihn verstehen, er gleich wissen, was Donnerwolke will, und ihm nachklettern auf Felsen. Leise wie Fuß von Katze, niemand ihn hören.

Fließendes Feuer und Steinernes Herz stillstehen. Sie beraten. Schwarzfüße und Punkahs dumm wie Fische, sie sagen, nicht denken, daß Inschin hier warten. Stellen Vorposten ganzen Tag und schlafen wie Murmeltiere am Abend, wenn Feind wacht. Ihre Anführer Rock von Squaw tragen, sie dumm.«

»Sehr dumm. Was mein Bruder denken, wir angreifen?«

»Nein – warten, bis in Schlucht kommen.«

»Das Donnerwolke hören, seine Augen leuchten, er leise sagen zu Blitz: ›Mir nach!‹ und springen wie Pantherkatze von Felsen über Häuptlinge weg auf Pferd von Fließendem Feuer. Blitz folgen, so schnell er können, er nehmen Pferd von Steinernem Herz, und beide geben Kriegsgeschrei, daß die Luft zittern. Davon reiten wie Sturm, lachen viel – lachen immer noch!«

Und der Blitz gab sich dem Ausbruche seiner schrankenlosen Heiterkeit abermals hin.

Der Punkah lächelte still, aber in seinen Augen blitzte es. »Wollten zweihundert Skalpe nehmen – nun beinahe zu Tode geärgert und das viel gut.«

»Hat euch niemand verfolgt?« fragte Mr. Everett.

»Ja. Doch verfolgt, aber zu spät, in drei, vier verschiedener Richtung, nur nicht auf Spur von Häuptling und Blitz. Wir absteigen, legen Ohr auf Erdboden, hören es wohl, aber keine Gefahr entdecken können, zu dunkel, um auf Prärie finden Spur.«

»Dann mußtet ihr einen sehr bedeutenden Umweg machen.«

»Ja, viel Umweg. Reiten über verbrannte Strecke und gehen dann eine Meile im Bach. Wasser behalten keine Spur.«

»Und was habt ihr mit den Pferden angefangen?«

»Stechen tot!« antwortete kaltblütig der Blitz. »Doch nicht lassen Krähen und Dakotas Pferde.«

»Nun sag' einmal, Häuptling,« begann der Trapper, »was denkst du über unsere Lage? Haben unsere Gegner eine Spur?«

»Das ganz unmöglich. Wir eine Meile in Bach gehen, auch bleiben fürs erste auf Wasser!« riet er.

»Aber dann verfehlen wir die Schwarzfüße.«

»Das nicht nötig. Kundschafter sie treffen, ihnen alles sagen.«

Jonathan schüttelte den Kopf. »Das geht nicht, Punkah, das geht nicht. Sie sehen und schleichen wie die Katzen hinterher. Wir haben bis zum vollen Tageslicht acht Stunden Vorsprung gehabt. Sobald sich am Ufer die offene Prärie zeigt, müssen wir zu Pferde steigen. Dann bleibt uns genau die Zeit, die das Fließende Feuer braucht, um am Lande unsere Spur zu finden und aufzunehmen. Inzwischen können die Schwarzfüße zu uns stoßen, und reiten wir auf Tod und Leben, so ist es auch möglich, das Dorf der Schippewäer zu erreichen.«

.

Der Plan wurde angenommen. Ein paar Stunden angestrengten Ruderns vergingen noch, dann brachten die Reiter ihre Tiere über das Wasser und sämtliche Krieger verließen die Boote. Ohne Zeitverlust wurde der Weg über die Prärie eingeschlagen.

Sie ritten, bis der Zustand der Pferde eine Ruhepause gebot. Die Nacht verging ungestört. Unsere jungen Freunde fanden Pflaumen und wilde Birnen genug, um vorläufig auf Fleisch ganz verzichten zu können, aber sie bemerkten doch, daß die Nächte anfingen unangenehm kalt zu werden. Der September trat in seine Rechte, ganze Schauer von welken Blättern rauschten über ihre Köpfe herab.

Am Himmel erglänzte das erste Mondviertel und beleuchtete mit schwachem Schimmer die Prärie und den Wald. Stunde um Stunde verging, lautlos lagen neben den todmüden Pferden die Reiter im Gras, – da plötzlich hob der Gelbe Wolf den Kopf. »Hugh!«

Auch der Trapper hatte gehorcht. »Es sind Hirsche!« flüsterte er.

»Ich das nicht glauben. Ich hören Pferd.«

»Und doch sind es Hirsche! – Siehst du, Sagamore, siehst du!«

Ein Rudel jener schönen, schlanken Tiere, gegen Sonnenaufgang das Lager im Dickicht verlassend, brach hervor auf die Prärie. Halb geduckt, Kopf und Hals weit vorgestreckt, schienen sie zu horchen, zu spüren, sich unsicher zu fühlen, ihr Schritt war mehr schleichend als lebhaft.

»Sie auch hören Pferd!« beharrte der Gelbe Wolf.

Die Hirsche bemerkten von der Nähe unserer Freunde nichts, da ihnen glücklicherweise der Wind nicht entgegenwehte. Sie zerstreuten sich in der Umgebung des Lagers und weideten ruhig das hochstehende Gras.

Jonathan hatte Pfeil und Bogen ergriffen, schlich sich bis an die Grenze der offenen Prärie, warf sich auf sein Pferd und sprengte den Hirschen nach. »Ich muß den Sechzehnender unbedingt haben, Wolf. In seinem Rücken steckt ein Pfeil von den Punkahs. Das ist für die Krähen, wenn sie ihn finden, so viel wie eine breite Spur.«

Die Tiere flüchteten in rasendem Lauf über das Grasfeld, der angeschossene Bock blieb allmählich hinter seinen Gefährten etwas zurück, und Jonathan nickte zufrieden vor sich hin. »Er hat genug, der stattliche Bursche! Die Läufe tragen ihn nicht mehr! – Jetzt paß auf, Sagamore, er fühlt, daß sich die Entfernung zwischen ihm und uns zu seinem Schaden verringert, deshalb wird er den geraden Weg verlassen und entweder nach rechts oder nach links abbiegen, um durch einen plötzlichen Sprung seine Verfolger irrezuleiten. Du mußt eine Seite nehmen, ich behalte die andere.«

Der Blick des Indianers durchmusterte spähend das Dämmergrau der Prärie. »Ich Wi-ju-jon nicht gern allein lassen,« gestand er.

Der Trapper behielt immer den angeschossenen Hirsch im Auge. Die Herde war längst entkommen, nur das verwundete Tier mit dem Pfeil im Rücken jagte mit schwindenden Kräften gegen den Felsen.

»Da! da!« rief Jonathan, »ich wußte es.«

Und sein Pferd spornend, trieb er es in das Halbdunkel hinein, während er dem Häuptling zurief, den verwundeten Hirsch unter keiner Bedingung nach links durchbrechen zu lassen. »Kommt er, so gib es ihm, Sagamore! Laß ihn nicht entschlüpfen!«

Er sprang vom Pferde und folgte der Spur des stark blutenden Tieres bis an das nächste Unterholz.

Der Gelbe Wolf schaute zurück. Mit dem Pfeil auf der Sehne, unruhig spähend, wartete er der Dinge, die da kommen würden.

Aber blieb nicht der alte Trapper über Gebühr lange aus?

Der Gelbe Wolf ritt etwas näher an die vorderste Baumreihe heran. »Wi-ju-jon!« rief er mit unterdrückter Stimme, »Wi-ju-jon!«

Statt der Antwort durchbrach links von ihm ein Pferd das Gebüsch, und sein Reiter, ein dunkelhäutiger Indianer, hob den Arm mit dem Tomahawk.

Wie ein Panther zu Boden und auf den Dakota springen, war für den Schwarzfußhäuptling das Werk einer Sekunde. Seine eisernen Arme rissen im Fall den anderen mit sich zu Boden, er kniete auf der Brust des völlig Besiegten und ließ ihm nur gerade soviel Atem, um nicht zu ersticken.

»Wo Friedensmann?« knirschte er. »Mir es sagen oder sterben wie Hund.«

Die Augen des Überrumpelten leuchteten vor Haß und Grimm. »In Hand von Dakotas,« stammelte er schadenfroh. »Nie wiedersehen Freunde!«

»Das verhüte der Große Geist!«

Und von Sorge getrieben, stieß er in die Brust des wehrlos Daliegenden das Messer bis zum Heft.

Von der Prärie herüber erklangen Hufschläge. Es waren Dakotas, die den alten Trapper als Gefangenen mit sich führten. Der am Boden Liegende bezeugte es; sie mußten aus dem Versteck hervor den alten Jäger ergriffen und überrumpelt haben, ehe er einen Laut hervorzubringen vermochte.

»Ihnen nach!« – Der Häuptling rief es laut. Er fing sein Pferd und schwang sich auf dessen Rücken. Ein Schenkeldruck brachte das Tier in die offene Bahn hinaus. Hier legte der Gelbe Wolf, um den Schall zu verstärken, beide Hände an den Mund, und das Kriegsgeschrei der Schwarzfüße klang hinüber in das Lager seiner Untergebenen.

Einige Male wiederholte er den Ruf, dann drehte er das Tier und eilte weiter.

In das Lager der Schwarzfüße traf die Botschaft des Häuptlings wie ein plötzlicher Schuß.

»Feinde!« rief der Blitz, »Dakotas!«

Nach fünf Minuten hatten alle das Lager verlassen und sprengten auf der von Blitz und Donnerwolke genommenen Spur des Gelben Wolfes dahin. Trotz der rasenden Eile dieses Sturmlaufes zählten doch die Indianer die Fährten der vorausgeeilten Tiere; es waren zwanzig Reiter hier vorübergekommen, mehr nicht.

Der Blitz deutete mit der Rechten auf eine ferne, kaum am Horizont erkennbare Hügelkette. »Von daher Schwarzfüße kommen!« rief er. »Dakotas das nicht wissen, sie ihnen gerade entgegenreiten!«

»Das ist gut!« rief Mr. Everett. »Aber,« setzte er eben so schnell hinzu, »wird nicht, ehe sie hier sein können, die Sache sich längst entschieden haben?«

»Das nicht wissen. Absichten von Dakotas nicht kennen.«

Donnerwolke gab seinen Leuten ein Zeichen. »Ihr gehorchen, was Schwarzfußhäuptlinge befehlen,« rief er, »ich nicht warten können.« Und seinem Hengst die Sporen gebend, trennte er sich von der Schar, um in verdoppelter Eile vorauszufliegen. Der weite Büffelmantel umwallte die hohe, männlich schöne Gestalt, und nach wenigen Minuten war der tollkühne Reiter verschwunden.

»Krähen die Spur ihrer Leute verloren haben!« entschied der Blitz, »sie den ebenen Weg wählen, um nur vorwärts zu kommen. Nicht wissen, wohin sollen, sonst auf keinen Fall Dorf von Schippewäern so nahe gehen.«

Und wieder wurden die Pferde angetrieben. Jetzt erschien vor den Blicken der Reiter das kleine Häuflein flüchtender Dakotas, jetzt sahen sie hinter den dunkeln Gestalten die des Gelben Wolfes und des Punkahhäuptlings, – auf Tod und Leben jagten die Indianer, beide hochgeachtete Führer, den fliehenden Feinden nach.

Vor den Flüchtigen lag unübersehbar die weite Prärie mit dem Dorf der Schippewäer. Kein Gebüsch, keine Felswand bot Deckung, keine Überrumpelung durch andere Streifpartien war möglich; die Dakotas hatten auf die Schnelligkeit ihrer Pferde gehofft und sich darin vollkommen verrechnet.

Unter den Sioux entstand plötzlich eine Bewegung; das Häuflein teilte sich, und allen toddrohenden Musketenläufen, den vergifteten Pfeilen Trotz bietend, ritt aus den Reihen, sein Tier wendend, ein Indianer hervor, den Verfolgern gerade entgegen.

Einen Augenblick mochten diese glauben, es mit einem Wahnsinnigen zu tun zu haben, sie stutzten unschlüssig, dann aber erkannten alle zugleich die Absicht der Dakotas. Beide feindlichen Parteien hielten kaum dreißig Schritt voneinander entfernt auf der Prärie. Die Bogen der Schwarzfüße und Punkahs waren gespannt, die Kugelbüchsen ihrer Begleiter erhoben, dennoch regten die Dakotas keine Hand, um sich zu verteidigen, aber auf den braunen trotzigen Gesichtern lag ein höhnisches, haßerfülltes Lächeln.

Sie waren offenbar ihrer Sache sehr sicher.

Der vorderste Reiter, stolz und fest im Sattel erhoben, hielt vor sich den Gefangenen, den er gebunden seinen Verfolgern zeigte. Die Rechte umfaßte das Messer, dessen Spitze auf Jonathans Brust stand. Der Dakota sprach keine Silbe, aber jede Bewegung zeigte den unerbittlichen Entschluß, sich für die erste neue Feindseligkeit mit dem Leben des Trappers bezahlt zu machen.

Donnerwolke und der Gelbe Wolf hatten sich einander flüchtig genähert, es schien, als flüsterten sie, der Punkah stand jetzt auf dem Rücken seines Renners.

Es war ein Augenblick, in dem auch die Herzen der Tapfersten zitterten. Das Leben des alten Trappers hing an einem einzigen Haar.

»Hugh!« begann der Dakota, »wollen sich die Häuptlinge der Punkahs und Schwarzfüße verpflichten, die Dakotas frei, wohin es ihnen beliebt, ziehen zu lassen und ihnen für die Vereinigung mit ihren Freunden eine Frist von vierundzwanzig Stunden bewilligen, dann soll ihnen der Friedensmann unbeschädigt ausgeliefert werden. Wo nicht, so ist er der erste, der stirbt.«

Auf diesen Vorschlag schien der Punkah gewartet zu haben, für diesen Augenblick war er auf den Rücken seines Pferdes gesprungen. Ehe noch eine Antwort irgendwelchen Sinnes überhaupt möglich war, warf sich Donnerwolke mit jäher Gewalt auf den ahnungslosen Dakota, dem er das Messer entriß und es hoch in die Luft schleuderte, während zugleich der Gelbe Wolf den gefesselten Körper des Trappers ergriff, um ihn vom Pferde zu ziehen und dem Blitz und dem Schlauen Fuchs in die Hände zu schieben. Binnen Sekunden stand der Trapper, umgeben von den Schwarzfüßen und Punkahs, unbeschädigt da, Donnerwolke aber lag am Boden, und aus sechs oder zehn tiefen Wunden floß strömend das Blut über die Grasspitzen dahin.

Ein Wutgebrüll der Dakotas beantwortete die kecke Tat. Jetzt wurde an keine Verhandlung mehr gedacht, der Kampf war entbrannt und endete schon sehr bald mit der gänzlichen Vernichtung der Sioux. Jonathan nahm an dem allgemeinen Morden keinen Anteil. Er beugte sich liebevoll über den Gefährten so mancher Jagd, so manches langen und gefahrvollen Zuges durch die Wälder. »Punkah,« sagte er bekümmert, »Punkah, was hast du getan? Ist es denn nicht schlimmer, wenn du stirbst, als wenn ich dem Tode verfallen wäre?«

»Nein,« unterbrach der Sterbende, »nein, es nicht schlimmer, es besser so sein. Wi-ju-jon der Friedensmann, ihn lieben alle, – Häuptling schlechter Inschin – haben viel Sünde begangen!«

Die Unruhe der letzten Augenblicke packte ihn. Schwer sank sein Körper zurück in Jonathans Arme. Sein Atem wurde röchelnd, die weißen Schwingen des Todesengels nahten in rauschendem Fluge und trugen das erkaltende Herz empor in hellere, friedliche Regionen.

»Ich wieder den sonnigen Glanz sehen,« flüsterte der Punkah, »das ist das Wohnland – des Großen Geistes. Donnerwolke – viel glücklich!«

Der Trapper ließ den Körper des Entseelten sanft zurückgleiten auf den blutgetränkten Boden, er deckte den Mantel über das ruhig lächelnde Gesicht und kehrte den übrigen den Rücken, unfähig, den tiefen Schmerz seiner Seele zu verbergen.

Die Walstatt voll Blut und Trümmer, die Toten und Verwundeten mahnten zum Aufbruch, um so rasch als möglich das Dorf der Schippewäer zu erreichen und schon vorher auf weitem Blachfeld ihre Toten zu begraben.

Kein freudiges Wort, kein Frohlocken des Siegers ertönte auf dem Wege zum Schippewäerdorf. Aller Herzen trauerten um den toten Punkahhäuptling, der sein Leben für seinen Freund gern und freudig dahingegeben hatte.

Nach einiger Zeit war das Dorf der Schippewäer erreicht, das sie nach kurzem Aufenthalt wieder verließen, um sich in das Winterdorf der Schwarzfüße zu begeben, begleitet von Schwalbe, dem Häuptling der Schippewäer.

Der Sturm heulte, von fern vollführten Wölfe ihre abscheuliche Musik. Wie Schatten gingen die Gestalten der Häuptlinge und des alten Trappers zwischen Pferden und Menschen auf und nieder, Everett gesellte sich, um mit besserem Erfolg den Schlaf abzuschütteln, zu ihnen, während der Blitz, selbst gegen alle Einflüsse der Witterung vollständig abgehärtet, den schlummernden Hugo in seine Arme bettete und dann, nachdem er ihn gehörig bedeckt hatte, mit ihm um die Wette schnarchte.

Weder Mensch noch Tier überfiel in dieser Sturmnacht die Reisenden an ihrem einsamen Feuer. Als Hugo erwachte, trug die ganze Umgebung ein weißes Kleid, der erste Schnee war gefallen, und Millionen sechseckiger Sterne glitzerten in der Luft und auf allen Gegenständen ringsumher.

Winter – harter, eisiger Winter!

Noch ein ganzer langer Tag in Sturm und Schnee mußte durchlitten werden, dann tauchte gegen Abend das große Winterdorf der Schwarzfüße auf; das Ziel der Reise war erreicht. Aus den Blockhäusern drang wirbelnder Rauch und an den meisten Stellen ein friedlicher Feuerschein; es wurden Stimmen laut, einzelne Männer traten auf die Straßen hinaus, Kinder jubelten und riefen, hier und da begrüßte ein Hund den langvermißten Gebieter.

»Willkommen zu Hause!« sagte mit frohem Rundblick der alte Trapper. »Geht in die nächste Hütte, Kinder, ihr seid überall gern gesehen.«

Der Gelbe Wolf winkte schon von anderer Seite und brachte die Weißen in sein eigenes stattliches Haus. Am Feuer saß eine freundliche Matrone, seine alte Mutter, die eben für ihren heimkehrenden Sohn eine neue selbstverfertigte Tunika aus feinem Hirschleder mit Posen und anderen Zieraten schmückte. Ein großes Büschel brennender Kienspäne erleuchtete den traulichen Raum.

Zwei hübsche Mädchen, des Gelben Wolfes Schwestern, breiteten Matten aus feinem bunten Strohgeflecht auf den Boden und legten Büffeldecken daneben, dann brachten sie das Abendessen. Der Häuptling plauderte mit seiner alten Mutter. Hier konnte der sonst so ernste, verschlossene Mann scherzen und lächeln, hier erzählte er voll Feuer, was der Blitz und er selbst erlebt, seit sich die kleine Schar erlesener Tapferer im Mai von dem Stamm trennte, um mit den Weißen und dem Trapper an die Missourifälle zu ziehen.

Jonathan erhielt als das Oberhaupt der Familie am Feuer den Ehrenplatz. Die Witwe seines Bruders brachte ihm die ausgesuchtesten Bissen. Alles schwieg, so oft er sprach. Es war ein glückliches Familienleben, das der Stamm in seinen Winterquartieren führte, Hugo und Mr. Everett empfanden schon während der ersten Stunden dessen ganzen Zauber.

»Und hierher kommen Krähen und Dakotas keinesfalls?« fragte Everett den alten Trapper.

»Hierher? – Beseht Euch bei Tage die Umgebung, Sir, dann könnt Ihr Eure Frage selbst beantworten.«

Bob teilte später Hugos bequemes Lager hinter dem breiten Büffelvorhang, der um jedes Bett herum ein kleines Zimmer von dem allgemeinen Raume abschloß. Everett dagegen saß noch lange bei den beiden jungen Mädchen, Mairöschen und Goldkäfer, und seine Neckereien, sein Gesang und Lachen hielten die beiden Knaben noch längere Zeit wach, sie sprachen von diesem und jenem, endlich auch von Bobs verschollenem Vater. »Du hast natürlich über seinen Aufenthalt auch nichts erfahren, Hugo?« forschte unruhig der Sohn.

»Nicht das mindeste. Gott weiß, wo er sich befindet!«

Bobs heiße Hand legte sich auf die des anderen. »Du,« flüsterte er, »mir graut vor dem Gedanken eines Wiedersehens.«

Hugo suchte ihn zu trösten. »Das mußt du Gott anheimstellen, Bob. Wir können über unser Wohl und Wehe, soweit es die Zukunft betrifft, selbst sehr selten zutreffend urteilen, das weißt du!«

Immer neue Schneemassen folgten in ununterbrochener Reihe; unsere jungen Freunde schnitzten eifrig große Holzschaufeln und bahnten durch die Dorfstraßen erträgliche Wege, während Jonathan vom Morgen bis zum Abend in den verödeten Wäldern jagte und nur selten ohne Wild nach Hause kam. Jetzt wurden auch die Büffelbeeren eingeheimst. Everett saß mit Mairöschen und Goldkäfer unter den verschneiten Büschen und half ihnen, die durch den Frost nicht bloß genießbar, sondern sogar sehr wohlschmeckend gewordenen Beeren abzuschütteln. Dabei erzählte er ihnen eifrig von Neuyork und den Herrlichkeiten des zivilisierten Lebens, von Theater und Ball, so daß seine Zuhörerinnen lachend erklärten, er sei ein Lügner, denn solche Dinge, wie er sie gesehen haben wolle, gebe es auf der Welt gar nicht. »Weiße Squaw tanzen?« rief mit einem Anflug von Entrüstung Goldkäfer. »Das nicht wahr sein, das viel unanständig!«

»Durchaus nicht!« versicherte Everett, und zum Beweise, daß Tanzen etwas sehr Schönes sei, tanzte er ihnen mit Hugo einen Rundtanz nach dem anderen vor, bis ihre Gesichter glühten.

Die Schwestern des Gelben Wolfes lachten sie aus und behaupteten schelmisch nickend, die ganze Erzählung sei doch eine Fabel. »Squaw nicht so springen!« erklärten sie.

Jonathan kam mit einem Rehbock beladen aus dem Walde, als noch die jungen Leute im besten Tanze begriffen waren. »Morgen sollt ihr mit mir an den Fluß und Fische fangen,« sagte er gutmütig drohend, »euch sticht, wie ich sehe, der Hafer schon ganz gewaltig!«

Aber er lächelte doch, sein Gesicht hatte den früheren Ausdruck freundlichen Wohlwollens wiedergewonnen, seit er zu Hause war und im Frieden lebte. »Das Wild wird seltener und seltener,« setzte er kopfschüttelnd hinzu, »es kann die Schneemassen nicht mehr wegscharren. Ich habe schon gestern und auch heute erfrorene, verhungerte Hasen gefunden!«

»Aber wie soll es dann erst in zwei bis drei Monaten werden?«.

»Es müssen Büffelherden hierher kommen, oder wir sind verloren!« gestand Jonathan.

Am Abend im traulichen Schein des großen Feuers wurden Angelschnüre geflochten und Biberkästen gezimmert, während Everett, dem Mairöschen aus Büffeldärmen eine neue Gitarre gefertigt hatte, inmitten der Beeren aussuchenden Frauen sang und spielte.

Der Sänger traf eine Melodie, die auch die Knaben kannten, und diese fielen freudig ein. Die drei frischen jugendlichen Stimmen klangen im vollen Chore hinaus in die brausende, sturmdurchtobte Winternacht. Leise sanken die arbeitenden Hände der jungen Mädchen und des Großmütterleins müßig herab in den Schoß, mit glänzendem Auge lauschten sie dem ganz Ungewohnten. Draußen hob sich der Türvorhang, ein braunes Antlitz nach dem anderen sah hindurch. Everett hatte ein entzücktes, andächtig horchendes Publikum gefunden. Was er mit den beiden Knaben zur Gitarre sang, war ein Reiterlied in der Art unserer bekannten Körnerschen Dichtungen, und als er geendet, schimmerten in Mairöschens Augen klare Tränen. »Das verstehen können,« nickte sie, »es schöne Überlieferung sein!«

Everett nickte und spielte darauf ein Schelmenstückchen. Draußen tobte der Sturm und schüttete Lasten von Schnee auf das Dach. Man hörte jetzt schon hier im Dorfe das Heulen der hungrigen Präriewölfe. Jetzt konnten die Frauen den Wald nicht mehr betreten, der Schnee lag meterhoch, über seine Ufer drang der Gebirgsstrom, dessen Fälle so starke Macht besaßen, daß er von der Eisdecke selbst im härtesten Froste frei blieb.

Das Feuer durfte keinen Augenblick erlöschen. Zuweilen hatte morgens ein Biber die Pfote nach dem im Kasten befindlichen Köder ausgestreckt, um dann getötet zu werden und als Leckerbissen in Großmütterleins Küche zu wandern, aber im ganzen wurden doch die Nahrungsmittel immer spärlicher.

»Kämen doch Büffel hierher!« seufzte halb mutlos der Trapper.

»Ist etwas dergleichen zu erwarten, Alter?«

»Ja, du lieber Gott, irgendwo muß die bedauernswerte Kreatur das bißchen Gras unter dem Schnee doch hervorscharren; es könnte also auch hier sein. Die Hirsche sind dermaßen mager, daß man an ihnen kein Pfund Fleisch findet, die Bären schlafen in verschneiten, unzugänglichen Höhlen. Unsere ganze Hoffnung bleibt der Büffel.«

Aber Tag um Tag verstrich, ohne daß er sich zeigte. Der Dezember ging zu Ende, ein Weihnachtsabend, dem sogar das Brot zur Sättigung fehlte, wurde in halb wehmütiger Erinnerung früheren Lichterglanzes verlebt, ein neues Jahr begann, und mit ihm zog der bitterste Hunger in das unglückliche Dorf. Jetzt gruben die Männer mit Not und Mühe Wurzeln aus dem erstarrten Boden, sie erlegten jedes lebende Geschöpf, ob Geier oder Wolf, und trugen es eilends mit freudestrahlenden Gesichtern nach Hause, um ihre Lieben vor dem schrecklichsten Schicksal zu bewahren, ja sie rieben späterhin sogar die Rinde der Birke zu Mehl und aßen das harte Gemisch in Wasser gekocht, aber alle diese kleinen unzulänglichen Hilfsmittel verfingen nur für ganz kurze Zeit, dann war auch das zu Ende und die Sorge größer als je.

Im Dorfe begannen die kleinen Kinder und schwache ältere Personen zu sterben, näher und näher kam für den tapferen Stamm jener schreckliche Augenblick, wo auch der Widerstandsfähigste unterliegen und das Dorf in ein einziges großes Totenfeld verwandelt sein mußte.

Am Morgen des vierten Fasttages erhoben sich die jungen Leute beinahe taumelnd. Augen und Stirne brannten, die Hände waren unnatürlich kalt, das Bewußtsein umflort bis zu äußerster Gleichgültigkeit. Der Trapper und seine alte Freundin standen am Feuer nebeneinander. Sie schürte mit zitternden Händen die Glut, er zerschnitt eine große gegerbte Lederdecke in ganz feine Streifen.

»Was tut der Unglücksmensch?« murmelte Everett. »O mein Gott, ich glaube es zu wissen! Wir sollen alte Satteldecken essen.«

Jonathan setzte sich mit der kalten Pfeife zwischen den Lippen an das Feuer und starrte unbeweglich auf den Fußboden, die alte Frau dagegen schüttete weinend alle zerschnittenen Lederstreifen in den Suppentopf. Unsere Freunde sahen es wie im Traum.

Von Haus zu Haus ließ sich der Springende Hirsch, ein blinder Greis, führen, um die Notleidenden zu trösten. Auch in des Häuptlings Hütte kam der Patriarch. Er streckte beide Hände aus. »Wo bist du, Weiße Lilie?« fragte er in freundlichem Tone. »Die Augen meiner Seele sehen das schlanke liebliche Mädchen von einst, aber die des Leibes können das alte Mütterchen, die Witwe des Fliegenden Pfeiles, nicht mehr finden! – Komm, führe mich zu deinem Feuer!«

Die Alte und der Trapper waren beide dem verehrten Manne entgegengegangen. Er fühlte auf seiner Hand die warmen Tränen derjenigen, die er als Weiße Lilie begrüßt hatte. »Stamm so schweres Unglück tragen,« schluchzte sie bebend.

»Das weiß ich, meine Freundin, darum komme ich zu euch! Auch in der Hütte des Springenden Hirsches findet sich seit zwei Tagen nichts Genießbares mehr, auch er darbt, aber sein Geist erinnert sich der vergangenen Winter, in denen gleiche Not dies Dorf bedrängte. Aber der Große Geist ist kein Grausamer, er züchtigt nicht, er erzieht! – Hat die Weiße Lilie niemals an ihrem Feuer gesessen, ohne Speise wie heute? Hat sie nie ihre Kinder hungern sehen und geweint wie heute?«

Die alte Frau nickte vor sich hin. »Viele – viele Male!«

»Und der Große Geist schickte immer seinen mächtigen Beistand, nicht wahr? Die Weiße Lilie wird erfahren, daß auch jetzt Hilfe kommt. Ist der Gelbe Wolf nicht in seinem Hause?«

»Er durchstreift seit dem frühesten Morgen den Wald, Häuptling,« versetzte der Trapper. »Die Not der Seinen trieb ihn hinaus.«

»Gut, mein Sohn, dann bringe ihm, wenn er kommt, den Segen eines alten Mannes. Das Antlitz des Großen Geistes wird auch diesem Stamme wieder lächeln.«

Er gab allen einzeln die Hand, hieß Bob und Hugo in den Mauern des Dorfes willkommen und verabschiedete sich dann, um überall in jeder Hütte die Verzweifelten zu trösten.

Jonathan sah zu dem klaren Frosthimmel empor. So kalt, so schrecklich kalt konnte es noch viele Wochen bleiben.

O wenn ihn Gott einen Büffel finden ließ, aber alles Bitten blieb vergeblich. Großmütterchen kochte auch die drei letzten Decken, selbst Everett aß das schreckliche Gericht – dann schien die Stunde, die das Ende bringen mußte, gekommen zu sein.

Von draußen tönte das Wimmern der Totenklage, unheimlich nahe heulten die Wölfe, deren keiner sich schießen oder fangen ließ, dichter und dichter fiel der Schnee. Sie saßen beieinander in halbem Stumpfsinn, einen Tag und eine lange, schreckliche Nacht, sie wünschten nur eins, den Tod.

Da ertönte weit herüber ein Schrei, fröhlich, jubelhell, nicht in dem Tone des Entsetzens. Was mochte es sein?

Der Gelbe Wolf und der Trapper hoben zugleich den Kopf. Sie horchten. Und da kam es wieder, diesmal näher, deutlicher. Wie neubelebt sprang Jonathan vom Boden. »Ich höre die Stimmen des Fuchs und des Blitz! Sie rufen: ›Büffel! Büffel!‹«

»Ich es auch verstehen!« rief der Häuptling. » Eneuh! Eneuh

Und nun klang es schon ganz deutlich herüber, alle vernahmen die erlösende Botschaft: » Eneuh! Eneuh

Der Blitz streckte für Sekunden den Kopf in die Tür. »Sie sind da! – Tausend! Zehntausend! – Eneuh! Eneuh!«

Und fort stürmte er, um in jede Hütte das Jubelwort zu tragen.

An der Feuerstelle stand die alte Frau und hatte beide Hände zum Himmel erhoben, Tränen liefen über ihr runzliges Gesicht, kein Laut kam über ihre Lippen.

Goldkäfer und Mairöschen tanzten, sie lachten und weinten, bis Everett zu ihnen trat und plötzlich rief: »Ihr tanzt! Das dürfen rote Frauen nicht tun – oder –«

Und da ergriff jedes der Mädchen eine seiner Hände, so daß sie wie die kleinen Kinder im Kreise tanzten, zu glücklich, um zu schweigen und stillzustehen.

»Vorwärts!« mahnte der Trapper. »Es darf heute kein Mann draußen auf dem Jagdfelde vermißt werden.«

Auch Bob und Hugo suchten ihre Waffen und eilten hinaus. Die Schneeschuhe wurden angeschnallt, und mit fabelhafter Leichtigkeit ging es über die losen Schneemassen dahin.

Der Blitz hatte die Herde entdeckt, als er früh vor Tag hinausschlich, um nach ein wenig Birkenrinde zu suchen. Jetzt nach einer Stunde standen schon sechshundert Jäger in Schneeschuhen bereit, keinen der Hörnerträger entkommen zu lassen. Vergessen war alle Schwäche, alle Mutlosigkeit; der Gedanke an Fleisch für die Lieben zu Hause spornte auch den Verzagtesten an.

Die Büffel selbst boten mit ihren mageren Körpern ein Bild der strengen Zeit, und hinter der Herde, lauernd und lechzend, folgten Hunderte von abgemagerten Wölfen.

Die Jagd bereitete nur wenig Schwierigkeiten. Auf den großen Schneeschuhen glitten die Indianer ungefährdet bis in die unmittelbare Nähe der Büffel, denen sie bequem die tödlichen Kugeln und Pfeile ins Auge senden konnten. Heute zögerte man nicht, bis die gehorsamen Frauen nachkommen und die Beute in das Dorf holten. Größere Knaben waren dem Zuge gefolgt und schleppten sogleich heim, was die Jäger von den zuerst erlegten Tieren in aller Eile abschnitten und ihnen gaben. Während draußen die Jagd ihren Höhepunkt erreichte, brodelten schon im Dorfe die Höcker und Lendenstücke in den Kesseln aller Frauen. Der eingebrachte Segen war übergroß. Es war Fleisch für tausend Menschen auf Wochen hinaus. Die Wölfe erhielten diesmal von dem Fleische der erlegten Büffel nicht einen einzigen Bissen.

Nun hatte alle Not ein Ende, voll unendlichen Dankes gegen den Großen Geist feierten sie ein Opferfest, und alle sahen getrost dem kommenden Frühjahr entgegen.


 << zurück weiter >>