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Drittes Kapitel

Am anderen Morgen war Jonathans Hund verschwunden. Man rief und lockte, jeder Busch wurde aufgehoben, hinter jedem Stamm gesucht – Treu schien von der Erde verschwunden.

Das Auge des Gelben Wolfes durchspähte den kleinen Kreis, er legte die Hand auf Jonathans Schulter. »Wo weiße Schlange?« flüsterte er. »Er ihn töten!«

Da leuchtete zum ersten Male in den gutmütigen Zügen des alten Mannes ein Zorn, dem er nicht mehr zu gebieten vermochte. »Stuart Collins?« wiederholte er. »Mein Gott, hat denn niemand den Schurken gesehen?«

Die Männer zerstreuten sich nach allen Seiten, ohne indessen den Gesuchten entdecken zu können, wohl aber wurde schon sehr bald die Leiche des Hundes aufgefunden. Treu lag mit krampfhaft zusammengezogenen Gliedern und Schaum vor dem Maul tot am See.

Ein Indianer nahm gutmütig die Leiche des Hundes in seine kräftigen Arme und wollte eben zum Ufer hinübergehen, als plötzlich der Häuptling einen Warnungsruf ausstieß. »Hugh! – Berittene sind in der Nähe! – Sie kommen vom See her!«

Alles horchte, Jonathan hatte in diesem drohenden Augenblick sogar seinen Hund vergessen. »Nicht vom See!« sagte er nach kurzer Pause, »aus dem tieferen Walde herüber, Sagamore!«

»Von beiden Seiten! – Wir sind umzingelt! In das Gebüsch, in das Gebüsch!«

Zwei Sekunden später schien der Lagerplatz wie ausgestorben, aber zwischen den grünen Blättern hervor sahen die Läufe der Kugelbüchsen, und überall beobachteten spähende Blicke die Umgebung, aber nichts regte sich. Plötzlich gab der Gelbe Wolf ein Zeichen mit der Hand. »Was siehst du, Wolf?« fragte Jonathan. »Zu welchem Stamme gehören die Kerle?«

Der Häuptling legte zwei Finger auf seine Lippen. »Die dort von den Pferden springen, sind Sioux!«

»Häuptling! – Häuptling! – Das verhüte Gott.«

»Es ist so! – Der Gelbe Wolf sieht zwei von ihnen. Er erkennt die Eulenflügel – es sind Dakotas, und sie haben sechzig bis hundert Pferde hier versammelt!«

»Dann verhalten wir uns vollkommen ruhig, Sagamore! – Keinen Schuß, keine Bewegung, oder diese wandernden Räuber der Prärie erwürgen uns alle.«

Während dieser wenigen mit fieberhafter Hast geflüsterten Worte hatten die Sioux ihre Pferde verlassen und kamen jetzt dem Lagerplatz näher. Als sie die aufgespeicherten Felle sahen, entstand eine lebhafte Unterhaltung. Offenbar war die Freude sehr groß, dennoch aber mußte es etwas geben, worüber sie sich nicht einigen konnten. Endlich schlüpfte einer der jüngeren Krieger zurück in den eben verlassenen Wald, und die anderen schienen einer Botschaft, die er bringen sollte, zu harren.

»Hugh!« raunte der Gelbe Wolf. »Fragen weiße Schlange! – Er uns verraten.«

Jetzt trat einer der Wilden, ein Mann von hoher stattlicher Gestalt, leicht ergraut, in die Mitte des Lagerplatzes und sah spähend nach allen Seiten.

»Ist der Friedensmann hier?« fragte er mit lauter Stimme, »Wi-ju-jon, der Bruder der Schwarzfüße?«

Ohne eine Sekunde zu verlieren, trat der Trapper aus dem Gebüsch hervor. Seine Haltung war furchtlos und voll unbewußten Adels, sein Auge klar und offen.

»Guten Tag, Weucha!« sagte er ruhig. »Du hast den Friedensmann gerufen, und er steht vor dir. Was begehrst du von ihm?«

Der Dakota schien etwas verlegen und deutete dann auf die Felle. »Weucha ist ein großer Häuptling,« sagte er hochmütig. »Er kann es erlauben, daß Wi-ju-jon in seinen Jagdgründen Bären und Wölfe schießt, ohne selbst Mangel zu leiden, aber er will den Bleichgesichtern nicht gestatten, seine Felle wegzuschleppen. Hat Wi-ju-jon den Preis für diese Felle von seinen weißen Gefährten schon bekommen?«

Der Trapper schüttelte kühn und todesverachtend den Kopf. »Nein, Dakota,« versetzte er mit festem Tone, »die Sachen sind bis jetzt noch mein Eigentum.«

Der Indianer runzelte die Stirn. »So möge mein Bruder seine Genossen rufen,« beharrte er. »Sie sind hierhergekommen, um meines Bruders Felle zu kaufen, also haben sie auch Geld in ihren Gürteln. Wi-ju-jon soll es jetzt nehmen.«

Der Trapper sah voll ruhiger Würde in das finstere Auge des Wilden. »Ich verstehe dich, Dakota,« antwortete er, »du willst die Felle stehlen, aber doch diesem Verbrechen ein Mäntelchen umhängen, indem du nicht mir mein Eigentum raubst, sondern den Weißen. Wi-ju-jon lebt mit allen roten Stämmen im Frieden. Das weißt du und willst nicht, daß von dir gesagt werden könne, Weucha, der große Häuptling der Sioux, hat dem armen Trapper seine Pelze gestohlen, daher soll ich diese erst verkaufen und dann ruhig ansehen, wie deine Leute alles fortschleppen, nicht wahr?«

In den düsteren Augen des Wilden flammte es unheilverkündend. »Weucha spricht nur einmal, öfter nicht,« sagte er voll Zorn. »Wi-ju-jons Freunde sind hier herum versteckt, die Krieger Weuchas können sie suchen und töten.«

Es entstand eine Pause. Jonathan wußte, daß an eine Gegenwehr unter keinen Umständen gedacht werden konnte, er versuchte einen anderen Ausweg. »Wi-ju-jon ist der Eigentümer der Felle,« sagte er, »wohlan, Wi-ju-jon schenkt sie dir, wenn du versprichst, die Weißen unbehelligt ihres Weges ziehen zu lassen.«

Die Eulenfedern auf dem Kopfe des Indianers bebten. »Weucha nimmt keine Geschenke,« versetzte er, »das Volk der Dakotas ist reich, es braucht nur seine Jagdbeute oder das, was es im Kriege erobert. Will Wi-ju-jon jetzt die Felle verkaufen?«

Der Trapper sann nach. »Weucha,« versetzte er nach einer Pause, »ich weiß, daß wir uns in deinen Händen befinden. Ein schlechter, treuloser Mann hat uns verraten. Aber weshalb soll um eines Schurken willen Blut fließen? Nimm die Felle und laß uns ziehen!«

»Weucha betrachtet die Weißen als seine Feinde, er will Kriegsbeute erobern.«

Ein höheres Rot überflog auf einen Augenblick Jonathans ehrliches Gesicht. »Erlaubst du, daß ich mit meinen Freunden berate, ehe ich dir Antwort gebe?«

Der Indianer neigte das federgeschmückte Haupt. »Weucha berät mit den Seinen,« versetzte er, »möge Wi-ju-jon ein Gleiches tun.«

»Wi-ju-jon dankt seinem Bruder,« sagte er höflich, »er wird hierher zurückkommen.«

Und dann ging er auf einem Umwege langsam der Stelle zu, wo die drei indianischen Häuptlinge versteckt unter Gesträuch nebeneinander standen; er zog sie noch weiter in den Wald hinein.

Nach einigen Augenblicken der Beratung kehrte Jonathan zu Weucha zurück und sagte: »Meine Freunde beauftragen mich, dir folgende Mitteilung zu machen, Dakota. Sie erwarten dann aber auch deinerseits vollkommene Ehrlichkeit und Treue! – Höre also: Das Versteck ihrer Kleider und sonstigen Sachen nenne ich dir, die Felle sollen als Kriegsbeute, nicht als Geschenk dein eigen sein, dafür gestattest du uns auf das Wort eines Häuptlings freien ungehinderten Abzug und Frieden so lange, bis das Gebiet der weißen Niederlassungen erreicht ist. Jetzt wähle, Wi-ju-jon hat gesprochen!«

Der Dakota schien zu schwanken. In seinen tiefliegenden Augen funkelten Habgier und Grausamkeit.

»Die Weißen haben Waffen,« sagte er, »Munition, Pemmikan. Der Hunger zerfleischt seit Wochen das Volk der Dakotas. Weucha muß alles haben, was die Fremden besitzen, er kann ihnen nichts lassen.«

Jonathan schüttelte den Kopf. »Unsere Waffen, Dakota? Das ist unmöglich, ich kann dir ein solches Versprechen unter keiner Bedingung geben. Wie sollten wir auf dem Wege zu den weißen Niederlassungen unseren Hunger stillen, wie uns der wilden Bestien erwehren? Die Waffen müssen wir behalten.«

Ein Schrei der äußersten Wut brach über die Lippen des Wilden, er befahl, das Gebüsch zu durchsuchen. »Alle Weiße sind Gefangene,« rief er, »nur der Knabe nicht. Auch der Friedensmann kann unbehelligt gehen.«

»Warum das?!« schrie in diesem Augenblick aus dem Hintergründe hervor eine fremde Stimme. »Gerade dem alten Ränkeschmied solltest du das Maul stopfen, er ist der gefährlichste von allen. Nimm ihn, Weucha, nimm ihn!«

Jonathan sah furchtlos im Kreise umher. »Stuart Collins,« sagte er, »wenn dir dein Leben lieb ist, so halte dich gut verborgen. Ich habe noch nie auf einen weißen Mann geschossen, aber beim Himmel, du wärst, wenn ich dich jetzt sähe, ein Kind des Todes!«

Die Tetonkrieger hatten das Versteck der Weißen gefunden und zunächst Mr. Duncan und Hugo an das Tageslicht gezogen. Der alte Grenzer, noch erbittert von den ausgestandenen Leiden, wollte sich die Kugelbüchse durchaus nicht nehmen lassen, er rang mit seinem Besieger, Mr. Pitt leistete ihm Beistand, und als dennoch der Kampf zu ungunsten der beiden Weißen auszufallen drohte, da zog er eine Pistole hervor und sandte die Kugel einem Indianer auf drei Fuß Entfernung in die Stirn. Mit einem gellenden Schrei sank der Getroffene tot in das Gras.

»Oh, Mr. Pitt,« rief der Trapper, »o lieber Gott, was habt Ihr angerichtet!«

Noch waren die wenigen Worte seinen Lippen nicht entflohen, als sich Weuchas Arm mit dem schwerem Hammer erhob und todbringend herabsauste auf den Kopf des unglücklichen Pelzhändlers. Nur eine Sekunde – und neben der ersten Leiche lag die zweite, an der Lederkleidung des Häuptlings hing blutend ein frischer Skalp.

Weder Mr. Travers noch Everett oder die Deutschen leisteten den geringsten Widerstand. Die Dakotas banden ihnen die Hände und ließen sie aufsteigen, ja als Mr. Duncan anfing, in seines Herzens Empörung jetzt noch zu schimpfen und zu drohen, da erhielten alle ohne weiteres Knebel, auch Bob, den die Indianer unter dem tiefsten Gebüsch hervorgezogen hatten und auf ein Pferd warfen, ohne daß es Weucha bemerkte.

Eine halbe Minute später war der Platz leer, nur Jonathan und Hugo standen noch nebeneinander, und vor ihnen lag Mr. Pitts verstümmelte Leiche, während die Sioux ihren eigenen Toten mitgenommen hatten. Die beiden trugen mit vereinten Kräften die Leiche an jene Stelle, wo ursprünglich die Felle im Erdboden verborgen werden sollten und wo also die Grube bereits ausgeschaufelt war. Der Trapper legte unter Mr. Pitts Kopf ein Büschel frischer grüner Blätter, und dann faltete er die Hände, denen im Leben diese Bewegung vielleicht durch viele Jahre verloren gewesen war. »Wir haben kein Buch,« sagte er halblaut, »und kein Priester ist hier, um diesen Mann zu segnen, ehe er vor deinen Richterstuhl tritt. Großer Geist, dem die Erde und alles, was sie enthält, gehören, aber nimm darum nicht minder gnädig eine arme Seele auf! Laß sie Ruhe finden in deinem Schoße!«

Sie betteten auch den toten Hund mit in das Grab, dann ging es zum Dorfe der Dakotas. »Vorwärts, Junge,« rief der alte Jonathan Hugo zu, »vorwärts, wir müssen vor Abend die Sommerzelte der Schufte erreicht haben.«

Dann nahmen die beiden die Spur der Dakotas auf.

»Und nun gib acht, Junge,« sagte Jonathan, »die eine Seite nehme ich, die andere nimmst du; wir müssen den Schwarzfüßen ein Zeichen hinterlassen, wenn vielleicht Sturm oder Regen die Spuren der Betons und unsere eigenen verwischen sollte.«

Er knickte an dem nächsten Bäumchen einen in die Augen springenden Schößling, und weiterwandernd auf der Spur der vielen Pferdehufe, knickten Jonathan und Hugo sorgfältig von je zwanzig zu zwanzig Schritten einen Schößling. Kurze Zeit darauf hatte das Dunkel des Waldes ihre Gestalten vollständig dem Auge entzogen.

Die Vorangeeilten schritten mit den Gefangenen dem Dorfe der Dakotas zu. Weucha hatte bei der heutigen Verfolgung der ersten diesjährigen Büffelherde entschieden Unglück gehabt, um so reichlicher war jetzt der Fang ausgefallen. Die Stimmung der ganzen Bande war daher sehr gut und die Unterhaltung laut und lebhaft.

Nach etwa drei Stunden scharfen Rittes machten die Führer Halt, ein Feuer loderte auf, und zwischen heißen Steinen geriet das Büffelfleisch in einen Zustand, der zwischen roh und verbrannt eine nicht genau festzustellende Mittelstraße hielt. Ein naher Gebirgsbach lieferte Wasser, und das Mittagsmahl war fertig. Auf einen Wink des Häuptlings wurden den Gefangenen die Knebel abgenommen, und sie aßen, wobei Mr. Everett wie gewöhnlich allerlei Unsinn trieb.

Daraufhin sagte Mr. Duncan: »Ich kann Euch einen Vorschlag machen, der Euren Skalp retten wird. Ihr solltet den geistig Gestörten spielen, die Fertigkeit dazu besitzt Ihr, und ein Schwachsinniger ist dem roten Manne heilig.«

Mr. Everett war im Augenblick sehr ernst geworden. »Aber was läßt sich hier ausführen?« sagte er zögernd, »du lieber Himmel, wie viele meiner Fertigkeiten liegen brach.«

Mr. Duncan setzte hinzu: »Ich habe das Land als Pelzhändler nun schon mehr als zwanzig Jahre bereist und kenne die Natur dieser Kerle wie meine eigene Tasche. Betrügen lassen sie sich alle, sind in manchen Beziehungen nichts als große Kinder.«

Die Unterhaltung erfuhr auf diesem Punkt einen plötzlichen Abschluß. Weucha brach auf, und sämtliche andere folgten seinem Beispiel. Mr. Everett sollte seinen früheren Platz wieder einnehmen, er kam indessen dieser Anordnung zuvor, indem er ein lediges Pferd ergriff und sich hinaufschwang, um dann so unbekümmert den vordersten Reitern nachzusprengen, als sei das Tier sein Eigentum. Dabei saß er aber seitwärts wie eine Dame, denn seine Füße waren immer noch gefesselt, obgleich sich die Schnüre bedeutend gelockert hatten.

Weucha hatte inzwischen das sorglose Gesicht und die fröhlichen Blicke des jungen Neuyorkers heimlich beobachtet. Er gab seinem Genossen ein Zeichen. »Der Große Geist hat ihm die Waffe des Verstandes geraubt, der weiße Mann ist schwachsinnig,« raunte er.

Nach einer Weile ging es durch einen breiten Fluß. »So, so,« sagte Everett, »um den Schwarzfüßen die Möglichkeit eines Besuchs in aller Form abzuschneiden! Ich kann mir's denken, aber es stimmt nicht zu meinen eigenen Absichten. Aufgepaßt, Mr. Duncan, das Vergnügen wird den braven Eulenträgern versalzen.«

Er setzte sich fester in den Sattel und pfiff wohlgemut eine lustige Melodie. Als die ganze Schar etwa dreißig bis fünfzig Schritte in dem seichten Bette des Flusses dahingeritten war, hielt er einen Zweig, den er im Vorübergleiten gebrochen hatte, zu den Wolken hinauf, als wolle er einen eben durch die Luft segelnden Geier erschießen, bei dieser Bewegung aber ließ er sich mit ebensoviel Geschick als persönlichem Mut vom Pferde fallen, geradeweges in einen Busch hinein, den er natürlich mit lautem Aufschrei kräftig packte und an zehn Stellen zugleich zerknickte. Daß bei dieser Gelegenheit seine Taschenuhr zwischen die Blätter gefallen war und mit ihrer wertvollen goldenen Kette an dem verlassenen Busche baumelte, das hatte keiner der Indianer bemerkt, denn Mr. Everett verstand es ja ganz vorzüglich, die Gesellschaft durch Taschenspielerkünste zu unterhalten. Jetzt schien er sehr beleidigt.

»Das kommt von diesen verrückten Schnüren!« rief er voll Erbitterung und, indem er mit dem Messer das Band zerschnitt, »bindet es um eure eigenen Füße, ihr Halunken!«

Ein zorniger Blick traf die Indianer, Mr. Everett schwang sich mit lautem Zuruf auf das Pferd und ließ es tanzen, daß die Tropfen wie ein Sturzregen seine ganze Umgebung überschütteten. Er lachte vergnügt wie jemand, dessen Absicht glänzend gelungen ist.

Der zweite Häuptling, ein noch junger Mann mit wilden, blutdürstigen Zügen – das Steinerne Herz genannt – legte einen Finger auf den Arm des ersten. »Weucha mir sagen, was weiße Händler machen wollen mit schwachsinnigem Menschen in Wald?« fragte er lauernd.

Der Anführer beugte sich zu seinem Untergebenen vertraulich flüsternd herab. »Der große Häuptling der Dakotas weiß es, und er wird dem Steinernen Herzen alles mitteilen. Schwachsinniger Mann ist Sohn von weißem König; viele Schätze haben, Kleid aus Gold und Sonnenstrahl und Abendrot, große Medizin, viel Geld – alles verborgen in Wald.«

Das Steinerne Herz schien noch nicht überzeugt. »Was tun er bei Pelzhändler in Wald?« klang es abermals von seinen Lippen.

Weucha lächelte spöttisch. »Pelzhändler ihn geraubt,.« gab er zurück. »Verdienen Lösegeld.«

Das plötzliche »Hugh!« des anderen zeigte sein Einverständnis. »Weucha ihn töten?« fragte er.

Der Häuptling schüttelte den Kopf. »Er wie großes Kind, bleiben bei Squaw. Weucha Boten schicken zu weißem König, Adlerflügel heute noch hingehen und sagen: Schwachsinniger Mann bei Dakotas. Verdienen selbst Lösegeld und schöne Sachen.«

Das Steinerne Herz sah unwillig in die Prärie hinaus. Welch ein Fang war da seinem Genossen unerwartet in die Hände gelaufen!

»Wer das dem Häuptling sagen?« fragte er nach einer Pause.

»Der es ganz genau wissen. Alter weißer Mann kennen Schwachsinnigen, gehen mit hinaus in Wald, wollen ihn zurückbringen zu weißem König, dürfen nicht kommen an Feuer von Pelzhändler, schießen ihn tot, weil er Geheimnis verraten. Er Stuart Collins heißen, er dem Häuptling alles verraten, und ihn und Krieger zu Pelzhändler führen, aber er selbst frei und Sohn frei, Weucha das versprochen.«

»Und vergrabene Schätze nicht erhalten haben?« fragte mit plötzlichem gierigen Blick der andere. »Wo sie liegen?«

»Der Häuptling es erfahren,« sagte Weucha zuversichtlich. »Er weiße Männer an Marterpfahl stellen.«

Damit war die Unterredung der nie sehr wortreichen Indianer schon wieder beendet, und Mr. Duncan, der jedes Wort verstanden hatte, suchte jetzt hinter seinem lebendigen Schilde dem vermeintlichen jungen Prinzen ein Zeichen zu geben. Everett kam sorglos näher, und der ältere Genosse erzählte ihm von Collins neuestem Schurkenstreich und fügte auch hinzu, daß ihn bereits sämtliche Tetons seines Gesanges wegen für unzurechnungsfähig hielten.

Die Sonne hatte jetzt ihre Mittagshöhe erreicht und brannte heiß auf die Köpfe der Weißen herab.

Das Wasser nahm an Breite und Tiefe fortwährend zu. Den Blicken zeigte sich ein Waldrand mit anschließender grüner Wiese. Hier ließen die vordersten Indianer ihre Tiere das flache Ufer wieder betreten, alle übrigen folgten nach, und in verstärkter Eile ging es dem dichteren Gehölze zu.

Jetzt war der Waldsaum passiert, die Hunde bellten stärker, das Dorf des wandernden Stammes lag im Abendschein vor den Blicken der Reisenden, und alle machten Halt.

Mr. Everett hatte noch kein Indianerdorf gesehen. Er war daher sehr neugierig und ging langsamen Schrittes den Hütten näher. Aber deren Anblick war wenig schön, Armut und Hunger sahen aus jedem Winkel hervor. Die großen, schöngekleideten Frauen zogen sich beim Anblick der Weißen scheu in die Hütten zurück und kamen erst herbei, als das erbeutete Fleisch von den Pferden geworfen wurde, um einen Teil des ersehnten Labsals zu erlangen. Weucha selbst gab einer jeden, was sie haben sollte, dann befahl er, die Gefangenen außer Everett zu fesseln und in einer Hütte unterzubringen. Frauen und Kinder hatten den Platz geräumt, die Männer hielten vor der Medizinhütte offenbar eine sehr ernste Beratung.

Unter den windbewegten Fellen ihres Zeltes auf nackter Erde kauernd, hungernd und bis zur Hinfälligkeit erschöpft, an jedem Fuß die lederne Fessel, ihrer Uhren, Messer und ihres Geldes vollständig beraubt, so lagen die Weißen und sahen hinüber zu der aufregenden Szene am Feuer. Zwischen dem Steinernen Herz mit dem Raubtieraugen, dem Panther mit seinem falschen Lächeln und der Schlange mit ihren geschmeidigen Gliedern saß der Medizinmann, ein schlauer Geselle mit einer Unzahl von Zieraten und einem fürchterlichen Kopfputz. Über der Stirn war ein Wolfskopf mit aufgerissenem Maul befestigt, sowie verschiedene Schlangenhäute, Pantherkrallen und Bärenklauen. Auf den Schultern des Gauklers lag eine weiße Büffelhaut, etwas sehr Seltenes. Die Arme steckten in den Bälgen kleiner Hermeline, und über das Ganze schlang sich ein rasselndes, klapperndes Gewinde von Vogelschnäbeln und ausgeblasenen Eiern. So ausgerüstet, das Gesicht halb schwarz, halb gelb bemalt, saß der Zauberer vor dem offenen Eingang der Hütte und wartete, bis die Beratungspfeife, von Weuchas Hand dem Nächsten überliefert, wieder zu ihm zurückkehrte, dann kam die Reihe der weiteren Förmlichkeiten an ihn, und das Offene Auge erhob sich, um sie würdig auszuführen.

»Volk der Dakotas,« sagte er, als er in die offene Tür des Tempels trat, »eure Wintervorräte sind aufgezehrt, und der Hunger der Krieger ist groß. Eure Squaws und Papuse weinen, eure Jagd war vergeblich, denn nur einen einzigen Büffel brachten die jungen Männer in das Lager zurück. Es ist klar, daß der Große Geist euch zürnt und daß er entschlossen ist, euren Stamm zu vernichten. Der Große Geist muß versöhnt werden.«

Hier ließ das Offene Auge eine Kunstpause folgen, die Rothäute flüsterten miteinander, und endlich erhob sich Weucha, um dem Zauberer eine Frage zu stellen. »Weiß der große Medizinmann der Dakotas, wie es die Häuptlinge anfangen müssen, ihren Vater in den glücklichen Jagdgründen zu versöhnen?« sagte er zaghaft.

Das Offene Auge nickte würdevoll. »Weucha hat weiße Gefangene,« sagte er arglistig, »und diese Männer besitzen Schätze aus Gold und bunten Fellen. Es ist der Wille des Großen Geistes, für die Medizinhütte diese Dinge zu erwerben. Die Königskleider sind für das Offene Auge.«

Weucha schien ziemlich enttäuscht. »Hugh!« murmelte er, »ein Häuptling sollte das alles tragen. Überdies ist es vergraben, versteckt in der Prärie. Soll Weucha die weißen Männer an den Marterpfahl stellen, um zu erfahren, wo ihre Sachen liegen?«

»Jetzt!« flüsterte Duncan Mr. Everett zu, der die Kunst des Bauchredens verstand, »jetzt, Sir, aber macht Eure Sache gut, oder unser Leben ist keinen Strohhalm wert. Das Wort heißt › Ea‹.«

Der Neuyorker nickte. Wie vom Himmel kommend, erscholl plötzlich mit fester grollender Stimme der kurze, aber inhaltschwere Zuruf, ein lautes, allen Anwesenden verständliches Ea!

Sämtliche Indianer flogen von ihren Sitzen empor, der Medizinmann taumelte zurück. »Wer sprach da?« rief er mit dem Tone des Schreckens.

Aber niemand antwortete, nur der Wind rauschte zufällig stärker in den Baumzweigen und trieb neue Regenwolken über das lächelnde Antlitz des Mondes. Es war jetzt vor der Medizinhütte fast vollständig dunkel.

»Wer sprach da?« wiederholte das Offene Auge seine frühere Frage.

Nochmals fragte er mit lautem, sieghaftem Tone die Mächte des Schicksals, ob es ihr Wunsch sei, die gefangenen Weißen an den Marterpfahl gestellt zu sehen.

Everetts ungesäumte Antwort war ebenso bestimmt ein zweites: » Ea! – Ea!« –

Der Eindruck dieser neuen Stimme aus den Wolken zeigte sich sehr verschieden. Während der Medizinmann innerlich jubelte, regte sich in den Seelen der minder vertrauensvollen Krieger eine Flut von Zweifeln.

Einige durchsuchten die Umgegend, mehrere erkletterten die Bäume neben der Medizinhütte, und einer unter ihnen, das Steinerne Herz, trat zu den Gefangenen, die er fortwährend scharf beobachtete, und das Offene Auge wiederholte, vor Aufregung bebend, zum dritten Male die frühere Frage.

Totenstille herrschte ringsumher. Würde der Große Geist sprechen? –

Da tönte ein drittes zorniges, weithin hörbares » Ea«.

Jetzt war die Sache bewiesen. Das Steinerne Herz eilte zur Medizinhütte zurück, die auf die Bäume gekletterten Indianer fielen vor geheimem Grauen beinahe kopfüber aus den Zweigen heraus, die im Gebüsch versteckt waren, krochen mit einem zaghaften »Hugh!« wieder in den Kreis des Beratungsfeuers, und der Medizinmann seinerseits hätte am liebsten vor Freude ein Tänzchen vollführt, so sehr sah er sein Ansehen erhöht.

Weucha faßte sich zuerst. »Großer Geist sprechen!« sagte er langsam, »das Offene Auge weiter fragen. Warum Großer Geist zürnen Dakotas?«

Everett lachte vergnügt. »Weil die Dakotas einen schwachsinnigen Mann gefangengenommen haben!« antwortete er, wie es ihm Duncan vorgesagt hatte.

Die Indianer schwiegen lange. Geheime Furcht und der Wunsch, ein Lösegeld zu erreichen, kämpften in ihren Seelen, dann aber siegte doch die Rücksicht auf das Nächstliegende, den Hunger. Weucha gebot einem seiner Krieger, zu den Gefangenen zu gehen. »Der schwachsinnige Mann ist frei!« sagte er, »möge er tun, was ihm beliebt. Die übrigen Weißen bleiben Gefangene, aber wenn sie angeben wollen, wo ihre Schätze versteckt liegen, dann wird Weucha keinen von ihnen an den Marterpfahl stellen.«

Unsere Freunde berieten leise, ob es gut sei, das Versteck der Kleidungsstücke den Wilden zu verraten. »Am Ende hat Jonathan längst alles an irgendeinen anderen Ort in Sicherheit gebracht,« meinte Mr. Duncan. »Wir können immerhin die Wahrheit sagen.«

Die Indianer bekümmerten sich um ihre Gefangenen im allgemeinen sehr wenig. Diese waren mit Ausnahme Everetts so vollständig gefesselt, daß sie kaum zwei Schritte weit gehen konnten, man reichte ihnen einige notdürftige Nahrungsmittel, ausgegrabene Wurzeln oder halbreife Kornähren und Wasser, dann aber überließ man sie, ganz mit dem Büffeltanz beschäftigt, ihrem Schicksal und wunderte sich nur, daß der Neuyorker freiwillig im Dorfe blieb, obwohl ihn niemand am Fortgehen gehindert haben würde.

»Köstlicher Zustand,« lachte der junge Leichtsinnige. »Jetzt erst beginnt das Vergnügen.« Doch folgte bald eine Stunde der Prüfung. Die ausgesandten Indianer kamen wieder und stapelten vor dem Eingang der Medizinhütte alles auf, was Jonathan zwischen den Gebüschen der Halbinsel als unbrauchbar zurückgelassen hatte. Everett mußte nun Zeuge sein, wie sich der Medizinmann über alle diese Schätze hermachte. Stück nach Stück wurde hervorgeholt, und während die Squaws neugierig aus allen Hütten blinzelten, verfügte das Offene Auge über den Raub, so gut er es eben verstand.

»Mein kostbarer Pelz!« flüsterte Everett. »Der braune Heide, was wird er damit anfangen?«

Das Offene Auge musterte flüchtig den schwarzen Tuchüberzug, um dann auf dem Futter mit desto größerem Behagen zu verweilen. Er widerstand nur Sekunden. Ehe noch die Besichtigung vollkommen ausgeführt worden, lag schon der Mantel mit dem Pelz nach außen über seiner Schulter, und da er ein kleiner, zartgebauter Mann war, Everett aber ein Riese, so hatte er noch das besondere Vergnügen, die kostbare Hülle auf dem Boden schleppen zu sehen.

Auch ein Paar gestickter Hosenträger fanden Gnade vor seinen Augen. Mit einem Ruck flogen die Bänder über seine Achseln, er verknüpfte sie unter dem linken Arm und trug nun außer dem Pelz auch noch eine hochelegante Schärpe; jetzt war er zufrieden. Die später aus dem Reisesack hervorgezogenen Sachen wanderten meistens auf das Dach der Medizinhütte, so namentlich die Laterne, mehrere Bücher und eine Zigarrentasche, außerdem sämtliche seidenen Taschentücher. Der Medizinmann besah das letzte Stück, die Gitarre, in ihrem sargartigen Kasten. Dabei kam er mit den Saiten in Berührung und entlockte dem Instrument einen schrillen Mißklang. Das war zuviel. Eine Sekunde später hatte die Medizinhütte ihren Herrn und Meister ausgenommen, nur seine Nasenspitze sah zwischen den Fellen hervor – wollte jetzt sogar auch ein hölzerner Kasten sprechen?

Everett lachte wie ein Narr, selbst die übrigen konnten sich trotz ihrer unangenehmen und schwierigen Lage des Lächelns nicht erwehren. Das furchtsame Gesicht des Medizinmannes war urkomisch! Er trat näher wie jemand, der entschlossen ist, bei der ersten verdächtigen Bewegung des Feindes Reißaus zu nehmen, dennoch trieb ihn das Verlangen, sich dieser außerordentlichen Medizin zu versichern. Mit dem Zeigefinger über die Saiten fahrend, verschwand er blitzartig, als wieder ein Schrei des Instrumentes ihm antwortete.

Everett schluchzte vor Lachen. »Nun will ich ihm etwas vorspielen.«

Er trat hinaus und nahm das Instrument vom Boden, entlockte ihm ein paar schöne, volle Akkorde und ging über in eine Melodie, zu der er den Text mit seiner angenehmen Stimme sang; dann reichte er die Gitarre dem Zauberer, hinter dessen Rücken sie sofort verschwand. Das Offene Auge wollte diese Medizin um jeden Preis besitzen. Er überwand mannhaft seine Furcht vor ihr, aber er packte sie doch eilig in den Kasten und verscharrte ihn unter einem ganzen Haufen in der Hütte liegender Büffelfelle.

Everett ging dann mit dem Rechte, das ihm Weucha verliehen hatte, hinaus vor das Dorf, um den Büffeltanz der Eingeborenen mit anzusehen. Er wählte einen erhöhten Standpunkt, von dem aus er das ganze Feld überschaute. Ein seltsames Schauspiel entrollte sich vor seinen Blicken.

Jeder der zahlreich vorhandenen Siouxkrieger trug auf seinem Kopfe die Maske eines Büffels, jeder war mit Bogen und Pfeil bewaffnet und hatte auf der Schulter einen Büffelmantel. Etwa zehn oder zwölf dieser grell bemalten, mit Federn und Skalpen geschmückten Wilden vollführten ohne Musik in der Mitte des Platzes einen Tanz. Bald sprangen und hüpften die Krieger, bald liefen sie wie gehetzt, und dann vereinigten sie sich alle um einen bestimmten Mittelpunkt, in dem sie einen angenommenen Feind zu verfolgen und zu töten schienen. Das Kampfspiel war einförmig, aber doch auch wieder aufregend. Sobald nämlich ein Tänzer müde geworden war und des Ausruhens bedurfte, neigte er den Körper vorwärts gegen den Boden, worauf sofort ein anderer einen stumpfen Pfeil auf ihn abschoß und dadurch scheinbar den Getroffenen tot in den Sand streckte. Zwei Krieger nahmen nun den Körper und trugen ihn aus dem Kreise, zogen ihre Messer und vollführten in der leeren Luft alle jene Schnitte, mittels derer ein Büffel abgezogen und ausgeweidet wird, dann ließen sie ihn liegen, während ein neuer Tänzer mit frischen Kräften an seine Stelle trat.

Auf mehreren erhöhten Punkten standen unterdessen Wachen, die fortwährend die Umgebung durchspähten und die Pflicht hatten, sobald sie eine Büffelherde bemerkten, dies den übrigen durch Aufheben ihrer Mäntel kundzugeben. Jene wenigen schwiegen, die Tänzer im Tale aber schrien alle zugleich, so daß ein wahrer Höllenlärm die Luft durchbrauste.

Das war der Büffeltanz, eine Feierlichkeit, die niemals mißlingt, da man unermüdlich so lange fortkämpft, springt, brüllt und jauchzt, bis die Tiere kommen, sei es nun nach wenigen Stunden oder nach Wochen.

Am anderen Morgen begab sich Everett zum Strande hinab, als plötzlich ein kleiner glitzernder Gegenstand im Gras seine Aufmerksamkeit fesselte. Die Sonne traf mit ihrem Strahl etwas Glänzendes. Unwillkürlich trat er näher, aber fast hätte sich ihm ein Freudenschrei aus Herzensgrund auf die Lippen gedrängt – im Grase versteckt, zwischen Halmen und Blüten, lag seine Uhr.

Schnell hob er das Kleinod auf. Es war die Uhr, die er viele Meilen von hier am Ufer des Flusses in den Busch geworfen, um sie von Jonathan und den befreundeten Indianern als Spur der gewaltsam Entführten wieder auffinden zu lassen. Zwar stand jetzt das Räderwerk still, aber was schadete das? Die Schwarzfüße waren hier, und alle Not hatte ein Ende.

Everett lief, so schnell er konnte, zurück zur Hütte. »Kopf in die Höhe,« rief er schon unter dem Eingang, »ich bringe gute Nachrichten.«

Wie der Blitz erhob sich Mr. Duncan trotz Schwäche und Groll von seinen Fellen. »Still, Sir, still – oder –«

Und er deutete auf Bob, dessen tückisches, blasses Gesicht ein schadenfrohes Lächeln zeigte.

Bob verhöhnte ihn offen. »Strengt Euch doch nicht so an, Sir, Ihr müßt mich wohl mitnehmen, ob Ihr's nun gern oder ungern tut, sonst schrei ich Euch die ganze Bande auf den Hals.«

Mr. Hennings ballte die Faust. »Wir werden dich beizeiten knebeln, dessen sei sicher.«

Bob schüttelte den Kopf. Er strengte sich an, kein Wort, keine Bewegung Everetts zu verlieren, aber dieser kehrte ihm den Rücken und zeigte nur stumm den übrigen die Uhr, so daß ihn alle ohne weiteres verstanden. »Aber wo? – wo?« flüsterte Mr. Duncan.

»Vermutlich auf den Inseln. Ich will gleich hin und nachsehen.«

Das war zu leise gesprochen, um von dem Horcher in der Ecke verstanden zu werden. Everett ging zum Strande zurück. Schon in dessen Nähe hörte er das wohlbekannte Pfeifen des Eichhörnchens. Nun wußte er, daß die Schwarzfüße hier waren. Er bog das nächste Buschwerk zur Seite und sah voll Erwartung hinein. Die Schwarzfüße mit Jonathan und Hugo lagen wie Schlangen im Gras, Augen und Hände, Flüstern und Lächeln begrüßte ihn zugleich. »Stillschweigen,« raunte der Gelbe Wolf.

Sie waren sämtlich zwischen Schilf und Weidenzweigen fortgekrochen bis an einen Platz, von wo aus man am anderen Ufer ihre Stimmen auf keinen Fall mehr hören konnte; jetzt erst ging es an einen Austausch von Frage und Antwort.

»Wir begegneten einem Teile der Sioux und mußten uns mehr als vierundzwanzig Stunden versteckt halten,« erläuterte Jonathan. »Freilich sind wir unserer sechzig und ihrer waren nur acht oder zehn, aber sie hatten Pferde. Sie konnten möglicherweise unsere Spur verraten und alles im voraus verderben, daher ließen wir sie nicht nur ziehen, sondern erwarteten im sicheren Hinterhalt ihre Rückkehr. Wie kommt es übrigens, daß Ihr im Besitz Eurer vollkommenen Freiheit umhergeht?«

Everett zuckte die Achseln. »Die Herren Dakotas geruhen, mich für schwachsinnig zu halten,« versetzte er. »Mr. Duncan hat diese Idee hervorgerufen.«

Und nun erzählte er alles, was Mr. Duncan aus dem Gespräch Weuchas mit dem Steinernen Herzen entnommen hatte. »Die Sioux tanzen gegenwärtig ihren Büffeltanz,« setzte er hinzu. »Wie lange befindet Ihr Euch hier?«

»Seit Stunden,« antwortete der Trapper. »Wir haben bereits die Gegend nach allen Richtungen hin genau untersucht. Die Felle sind fort.«

»Wahrhaftig,« beteuerte Everett, »ich habe sie seit der ersten Nacht nicht mehr gesehen.«

»Versteckt,« schaltete der Gelbe Wolf ein, »gut verborgen vor Augen von Schwarzfüßen und von weißen Männern.«

»Aber Ihr wollt uns ja jetzt befreien, Old Jonathan. – Was habt Ihr denn über die Ausführung des Planes beschlossen?« fragte Everett.

Der Gelbe Wolf deutete zum Walde hinüber. »Sechzig Schwarzfüße dort,« versetzte er, »kommen in Büffelmaske, wenn Tag und Abend zusammenfließen zum Grau. Werden ihre Mäntel in die Luft werfen, Häuptlinge das verstehen, hinunterziehen mit Pferd und Büffel jagen – sie alle Skalp verlieren, sie tot, Schwarzfüße neues Gift an ihre Pfeile bringen, erschießen Dakota, nehmen Beute und befreien weiße Männer, suchen auch Wi-ju-jons Felle.«

Der Trapper setzte hinzu: »Wenn sich die Tiere zeigen, so ist das der günstige Augenblick, um aus dem Gefängnis zu entfliehen, Blitz und ich werden hier warten und Euch, sobald es notwendig sein sollte, zu Hilfe eilen.«

Everetts Herz schlug freudig. »Das ist ein guter Plan,« sagte er aufatmend.

Jonathan zog ein Messer aus der Tasche. »Durchschneidet die Fesseln nicht früher, als bis Ihr mein Signal hört,« warnte er. »Wenn das Eichhorn in der Nähe Eurer Hütte pfeift, dann ist die Stunde gekommen.«

Everett drückte allen nacheinander die Hände. »Ich werde Eure Worte genau beachten und das, was Ihr ratet, befolgen. Old Jonathan,« sagte er.

Nachdem Everett noch den Indianern die von ihm ausfindig gemachten Kanoes gezeigt, trennte er sich von ihnen und schwamm in der gewohnten Weise, mit schnell zusammengerafften Vogeleiern beladen, zum Ufer zurück.

Dieser Tag wurde lang; es schien, als wolle die Sonne niemals sinken. Messer und Uhr waren, nachdem die Gefangenen beides gesehen, sorgfältig unter den Fellen versteckt, und dumpfe Schwüle erfüllte rings die Hütte. Immer noch tanzten in den sengenden Sonnenstrahlen die Indianer, obgleich schon mehr als einer krank von den Seinigen zum Dorfe zurückgetragen worden war. Noch ließ sich kein Büffel blicken.

Endlich in der Frühe des anderen Morgens tönte von den gegenüberliegenden Hügeln ein plötzlicher Freudenruf. Sechs bis acht Mäntel zugleich flogen in die Luft. »Die Büffel! – Die Büffel!«

»Hugh!« schrie Weucha. »Hugh!«

»Sie kommen!« rief das Steinerne Herz, »sie kommen!«

Wirklich zeigten sich am Rande des Waldes die Gestalten mehrerer großer, ruhig werdender Tiere, und neuer leidenschaftlicher Eifer durchströmte die Herzen der Jäger. Wie verwandelt erschien das Treiben da unten; der Medizinmann taumelte gleich einem Trunkenen zu seiner Hütte, um dort beinahe leblos auf die Felle zu sinken. Jeder Mann eilte zu seinem Pferde und ergriff den Speer oder den Bogen.

Unsere Freunde in der engen Hütte hatten diesen Augenblick herbeigewünscht. Gottlob! Jetzt mußte die Zeit der Gefangenschaft bald ein Ende nehmen.

»Schneiden Sie die Riemen durch, Everett,« flehte Mr. Duncan, »ich halte es nicht länger aus, meine Füße brennen wie Feuer. Wenn ich sie nur noch werde gebrauchen können! – Oh! – Oh! – Diese Schmerzen!«

Und der alte Mann schauderte, als seine Finger das zerschundene, in Eiterung übergegangene Fleisch berührten.

In diesem Augenblick ertönte aus dem Dickicht zur Seite das Pfeifen des Eichhörnchens und lenkte die Aufmerksamkeit aller Gefangenen auf sich. Everett zerschnitt die Fesseln, packte den Jungen mit festem Griff am Arm und trat bis vor den Eingang der Hütte. »Mir nach,« rief er halblaut. »Nur eine Überrumpelung kann uns retten.«

Aber trotzdem wagte er selbst keinen Schritt. In geringer Entfernung stand der Medizinmann und beobachtete voll Erstaunen, was vorging.

»Jonathan!« rief Everett, »zur Hilfe! zur Hilfe!«

Und während er das sagte, stürzte er sich auf den Zauberer, um ihn zu Boden zu werfen. Ehe der Überraschte für irgendeine Gegenwehr Zeit behielt, hatten ihn die kräftigen Arme des jungen Neuyorkers derartig geknebelt, daß er gleich einem festgeschnürten Bündel abseits vom Wege im Gebüsch lag und weder seine Stimme noch seine Glieder gebrauchen konnte.

Der Trapper tauchte auf und wandte sich zu dem ächzenden Mr. Duncan. »Auf, Sir, auf,« ermunterte er, »das heilt alles, wenn wir es nur erst mit frischem Wasser und zerquetschten Blättern behandeln können. Und du, Schlingel,« setzte er seine Rede gegen den Sohn des Verräters fort, »du bemühst dich nicht einmal, deinem Nebenmenschen in der Not beizustehen, obgleich deine eigenen Glieder unversehrt sind? – Willst du wohl gleich anfassen!«

Bob schlich mürrisch herzu. Die Hoffnung, mit dem Trapper und den Schwarzfüßen auch seinen Vater hierherkommen zu sehen, schlug fehl, und nun gab es für ihn allerdings keinen Grund mehr, sich auf die Seite der Dakotas zu stellen. Als ihr Gefangener erwartete ihn ein schreckliches Los, die Weißen dagegen würden niemals ein Kind in der Prärie ohne Schutz zurücklassen, das wußte er sehr wohl und fügte sich sofort ihren Anordnungen. Während der Trapper und der Blitz Mr. Duncan trugen und Mr. Travers sich auf die Schulter des Neuyorkers stützte, ging er zur Seite des einen Deutschen; den anderen führte Hugo. Keiner der gänzlich erschöpften Gefangenen vermochte allein fortzukommen.

»Ist mein Vater nicht bei Euch geblieben, Sir?« fragte Bob. »Sollte ihm ein Leid zugestoßen sein?«

Jonathan zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht, Junge. Bei mir kann Stuart Collins niemals leben – niemals, was auch geschehe. Und nun schwelge, Junge! Wir müssen jetzt im Kanu über den Fluß fahren. Wo hast du das Boot, Blitz?«

Der Indianer schob die überhängenden Zweige einer alten Weide zurück und enthüllte zwei Rindenkanus, die er aus dem Versteck zwischen den Inseln herübergebracht hatte. Mr. Duncan wurde hineingelegt, die anderen sprangen so gut es ging nach, der Blitz warf sich in das Wasser und einige Ruderschläge brachten die Flüchtlinge in das tiefere Wasser, wo sie wenigstens nicht überrumpelt werden konnten. Nach kaum zwei Minuten war das jenseitige Ufer erreicht. Der Indianer und der Trapper zogen die leichten Fahrzeuge in einen der vielen vorhandenen Kanäle und versteckten sie zwischen dem Schilf.

Niemand sprach, alle arbeiteten emsig, alle horchten unausgesetzt. Wenn drüben am festen Lande der gellende Kriegsruf der Dakotas erscholl, dann war die Flucht entdeckt und dann begann eine Verfolgung auf Leben und Tod.

Noch war alles totenstill, nichts regte sich. Da erklang plötzlich hinter den Flüchtlingen das wohlbekannte indianische Kriegsgeheul, langgedehnt und markerschütternd, geschwellt von dem unbezähmbaren Hasse der doppelt und dreifach Betrogenen.

Noch konnten die Dakotas nicht nahe sein, noch hatten sie vielleicht nicht einmal die Spuren der Flüchtigen entdeckt, aber dennoch würden sie jetzt gleich zur Verfolgung schreiten und, da die Umgebung der Hütte kein Kennzeichen des plötzlichen Aufbruches trug, ohne Zweifel über den Fluß schwimmen.

»Schnell, um Gottes willen, schnell!« flüsterte Jonathan, als er das erste Erschrecken überwunden hatte. »Unser Leben hängt am seidenen Faden!«

Alle, selbst die Verwundeten ruderten mit dem Aufgebot ihrer letzten Kräfte. Die beiden kleinen Kanus flogen wie lebende Wesen pfeilschnell über das Wasser dahin; in wenigen Minuten war der Strand erreicht, kräftige Arme trugen den alten Grenzer in das nächste Gebüsch, die Fahrzeuge wurden aus dem Flusse gehoben und versteckt, dann traten die Männer zu schneller Beratung zusammen.

Die Nacht sank herab. Als sich Jonathan dem schützenden Versteck näherte, schlugen plötzlich die Büsche zusammen; es war, als sei ein größeres Tier oder ein Mensch eilig hindurchgegangen.

»War hier irgendein lebendes Geschöpf, Sir?« fragte er hastig Everett.

»Es schien mir so!« rief dieser, »aber ich sah nichts.«

Jonathan durchsuchte erfolglos die nächste Umgebung. »Wahrscheinlich ein Wolf,« meinte er dann, »angreifen wird uns die Bestie in dieser Jahreszeit nicht, aber sie könnte das Versteck den Indianern verraten. Schade, daß ich keine Pfeile bei mir führe!«

Er horchte noch eine Zeitlang und begann dann in der Meinung, daß sich der Wolf entfernt haben müsse, mit dem Neuyorker so gut als möglich den Strand zu beobachten. Die vier anderen saßen in einer Gruppe beisammen, und nur Bob saß etwas abseits von den übrigen. Niemand beobachtete ihn.

Da war es dem Knaben, als bewegten sich vor ihm die Zweige; auch bemerkte er einen Finger, der sich warnend erhoben hatte – den Finger eines weißen Mannes.

Blitzartig durchfuhr Bobs Seele ein Gedanke. Wenn es der Vater wäre, dessen Hand da dem Sohne winkte! Wenn der Versteckte sein Vater war, dann gestaltete sich vielleicht sehr bald alles anders.

Im Gebüsch spielte der Abendwind; selbst das gute Gehör des Trappers unterschied nicht, daß eine Hand leise die Blätter trennte und daß zwischen ihnen ein weißes Gesicht sich hindurchzwängte, das den Knaben grüßte. Dieser erkannte sofort seinen Vater, beachtete ihn jedoch fast gar nicht.

»Bob!« rief Everett, plötzlich an den Jungen erinnert, »Bob, wo bist du? – Komm hierher!«

Das war kaum hörbar geflüstert, aber Stuart Collins verstand es doch. »Geh! Geh!« sagten seine Hände, seine Augen, »geh um Gottes willen, oder ich werde entdeckt.«

Zögernd erhob sich der Knabe. Das alles sollten die Weißen entgelten!

Everett schob Bob zur Seite unter die Zweige. »Still!« raunte er, »ein Laut, Junge, und meine Finger liegen an deiner Kehle.«

»Da sind die Wilden!« klang es wie ein Hauch über Jonathans Lippen.

Die Wellen rauschten stärker, eine dunkle Gestalt nach der anderen hob sich aus dem Wasser hervor, ihrer dreißig bis fünfzig kamen die Dakotas, nackt bis auf den Gürtel, mit Bogen und Pfeilen in den Händen, über den grasbewachsenen Strand daher. Sie bückten sich sogleich, um eine Spur zu finden, liefen kreuz und quer und steckten endlich die Köpfe zusammen. Einer deutete zurück zum anderen Ufer, einer aus die dunkle umbuschte Inselgruppe und einer zum Walde.

Jonathan hielt immer den Finger am Drücker. »Wir können gerettet werden,« murmelte er, »vielleicht finden uns die Teufel nicht.«

Weucha und das Steinerne Herz gingen jetzt mit mehreren anderen zum Ufer zurück, sie untersuchten nochmals ringsumher den Boden und kamen dann zu dem Schlusse, daß sich die Flüchtlinge weiter in die Prärie hinein zu den Schwarzfüßen entfernt haben müßten.

»Hälfte von Krieger gehen Fluß hinab bis an seichte Stelle,« befahl Weucha, »Hälfte gehen mit Häuptling zur Prärie. Wir die Weißen finden – sie martern.«

Im Augenblick, wo der Dakota diese Worte sprach, gelang es dem Sohne des Verräters, sich durch eine schnelle Wendung aus Everetts Nähe zu entfernen. Er sprang rückwärts ins Gebüsch und rief mit lauter Stimme: »Hierher, Weucha! Hierher! – Die Weißen sind dir ganz nahe!«

Fast im gleichen Augenblick hörte man die Stimme seines Vaters: »O Bob! Bob! Was hast du getan? – Hierher, mein Junge, komm zu mir!«

Und jetzt erst erkannte der junge Sünder seinen verhängnisvollen Irrtum. Seine Hände hielten Mr. Markmanns Arm umfaßt, er hatte sich im Dunkel geirrt und eine falsche Richtung eingeschlagen, zwischen ihm und seinem Vater standen zehn Wilde, ehe er nur die Lage ganz begriff.

Ein Schrei von seinen Lippen erstarb im Toben der nun folgenden Szene, – es wäre unmöglich zu schildern, mit welch satanischer Genugtuung die Dakotas über ihre Feinde herfielen.

Stuart Collins trat aus dem Gebüsch heraus. Der Elende hob wie beschwörend beide Arme. »Friedensmann,« rief er, die Anrede der Indianer benutzend, »Friedensmann, sprecht ein Wort zu dem Häuptling. Er achtet Euch, er wird Eure Stimme nicht überhören!«

Niemand hörte ihn, niemand beachtete sein Flehen. Der Trapper wurde von den Stößen der wütenden Dakotas weitergetrieben; er wollte sprechen, aber die Wilden ließen ihm keine Zeit. Er mußte alle seine Selbstbeherrschung aufbieten, um nicht einen nutzlosen, von vornherein gegen ihn entschiedenen Kampf hervorzurufen.

Bob schrie laut: »Vater, Vater, wo bist du?«

Stuart Collins packte den Häuptling und suchte ihn festzuhalten. »Denk an dein Wort, Mensch, denke daran und wenn du auch ein Heide bist! – Nein, nein, ich lasse dich nicht, du sollst mir mein Kind wiedergeben oder sterben!«

Weucha sah verwirrt in das blutüberströmte, kaum noch menschenähnliche Gesicht. An diesen Mann hatte er kein Recht – sollte er ihn mitnehmen?

Aber nein, das wäre in seinen Augen ein Unrecht gewesen. »Geh!« rief er, »geh!«

Und als Stuart Collins wie verzweifelt an ihm festhielt, packte er den Überlästigen, um ihn von sich zu schleudern. Der lederne Rock zerriß in der Gegend des Gürtels; ein breiter, mit Messingnägeln beschlagener Riemen wurde sichtbar, und kleine Knöpfe von gleichem Metall schimmerten dem Wilden entgegen. »Hugh!« rief er, »was das sein? – Medizin?« –

Stuart Collins trat zurück. »Was soll ich dir bezahlen, Dakota?« rief er. »Nenne die Summe und gib mir den Jungen!«

Die tiefliegenden Augen des Wilden blitzten. Er sah sich um, ob niemand zugegen sei, und als er die ganze Masse der übrigen am Ufer bemerkte, schien sein Entschluß gefaßt. Den widerstandslosen Stuart Collins hinterrücks in das Gras werfen und ihm mit Gewalt den Gürtel entreißen, war das Werk einer halben Minute. Der Dakota verbarg den geraubten Schatz unter seinem Fellgewande und eilte mit den Sprüngen eines Hirsches den Vorangegangenen nach. Schnell hatte ihn das Dunkel verschlungen.

Stuart Collins taumelte auf. Er stürzte zum Ufer, er schrie und weinte, er fluchte und betete in einem Atem, aber kein Schiff trug ihn hinüber zum anderen Strande, keine Stimme antwortete der seinigen, nur die Wasservögel kreischten, und der Abendwind trieb die Wellen über seine wunden Füße.

Stuart Collins krümmte sich unter der Wucht dieser Stunde. Als die Sonnenstrahlen neu wieder aufgingen, irrte er scheu am Ufer auf und ab, halb wahnsinnig, außerstande, sich zu trennen von der Stätte, die ihm alles geraubt, sein Kind und sein Geld.

Eine schreckliche Nacht ging zu Ende, um für die Gefangenen Weuchas einem noch schrecklicheren Tage zu weichen. Man hatte ihnen keine Hütte, keine Felle mehr angewiesen, sondern jeden von ihnen an den Pfahl gefesselt, der für sie zum Marterpfahl bestimmt war. Es handelte sich nicht um ein Lösegeld, sondern nur noch um den Genuß befriedigter Rache. Die Schwarzfüße hatten am vorigen Abend ihre Kriegslist derartig geschickt ausgeführt, daß acht Dakotas in den Hinterhalt gelockt und von den Pfeilen der triumphierenden Gegner getötet wurden. Weucha teilte seine Leute, er wollte einige den Flüchtigen und einige den Bisons nachschicken, aber da verrieten plötzliche Schauer vergifteter Pfeile die ganze wohlangelegte List, acht oder zehn Dakotas stürzten, doppelt so viele lagen verwundet am Boden, und ehe nach der ersten jähen Überrumpelung noch Minuten verflossen, hatten die Schwarzfüße eine Anzahl von Skalpen erbeutet und waren zwischen den Baumstämmen verschwunden, sobald sie dem Trapper und dem Blitz für die Befreiung ihrer Freunde die notwendige Frist verschafft zu haben glaubten.

Mit welchen Gefühlen die besiegten und nach den Begriffen indianischer Kriegführung entehrten Dakotas in ihr Dorf zurückkehrten, das bedarf keiner Schilderung. Es lagen neun Leichen nebeneinander, die Totenklage der Frauen widerhallte schaurig von den nahen Felswänden, ein riesiges Feuer warf seine Strahlen über die trostlose Gruppe dahin, und finster blickende Wilde standen beieinander, um die Befehle des Häuptlings zu vernehmen.

Rache! Das war der einzige Gedanke, der alle diese grimmigen Herzen in ungestüme Bewegung versetzte.

Der Zug wurde unternommen. Wie er durch Bobs Verrat ausfiel, das haben wir schon berichtet.

Jonathan sah hinüber zu den Wilden, die sich vor der Beratungshütte sammelten. »Wir werden nur sterben,« sagte er, »wenn es der Wille des Großen Geistes ist. Daran können weder Schwarzfüße noch Dakotas das geringste ändern. Aber solange der Mensch lebt, darf er hoffen und auf Rettung sinnen. Ich behaupte, daß unter den Eulenträgern da in diesem Augenblick Dinge vorgehen, die mit unserer Angelegenheit nichts gemein haben.«

Die Vermutung des Trappers schien sich mehr und mehr zu bestätigen. Dieser Versammlung fehlte der Medizinmann, sie hatte also nicht den Charakter einer Beschwörung, sondern den einer Gerichtssitzung.

Als Weucha erschien, glich sein düsteres, von ergrauendem Haar umrahmtes Gesicht einer Wetterwolke. Er schwieg wie die übrigen, aber seine Blicke, seine gefurchte Stirn verrieten den Zorn, der ihn beherrschte; die Faust lag geballt, und die Haltung war herausfordernd und trotzig.

»Hm, hm,« meinte Jonathan, – »es ist gegen diesen Mann eine Anklage im Werke.«

»Alle Wetter,« rief plötzlich Everett, »erinnert Ihr Euch des Streites zwischen ihm und dem Steinernen Herzen?«

Der Trapper nickte. »Ja, ja, das ist's. Das Steinerne Herz möchte Häuptling werden, – hm, hm, Weucha ist verloren um dieser neun Toten willen.«

»Da kommt das Steinerne Herz!« rief Hugo.

Das Feuer vor der Hütte brannte, die Pfeifen sandten leichte graue Rauchwölkchen in die Luft empor, und schweigend saßen die Krieger. Jetzt erhob sich das Steinerne Herz und sagte: »Meine Brüder vom Stamme der Dakotas mögen vernehmen, was ihnen ein Häuptling zu sagen hat. Es ist Sitte unter den roten Männern, einen Anführer zu erwählen, wenn er durch seine Geburt zu diesem Range berechtigt ist und wenn er durch Tapferkeit beweist, daß er ihn auszufüllen vermag. Es ist aber auch Sitte, ihm einen Nachfolger zu geben, wenn das Alter kommt und sein Gehirn schwach macht, seine Klugheit gefangennimmt unter dem Eigensinn. Jedes Geschöpf wird alt, ehe es in das Land der Geister übergeht, seine Zähne fallen aus, seine Haare bleichen, das Mark in den Knochen vertrocknet. So ergeht es auch den Häuptlingen, sie lassen sich betören und bringen Unglück über den ganzen Stamm, weil ihre Augen schwach wurden und ihr Kopf träge.« Dann fuhr er fort, Mr. Everett als Medizinmann zu schildern, der auch die Schuld trage, daß der Stamm wochenlang keine Büffel habe jagen können.

Tiefe Stille folgte diesen Worten, selbst Weucha schwieg, als habe er nichts gehört. Wahrscheinlich verbot ihm sein Stolz, sich hineinzumischen, ehe die Anklage ausgesprochen worden war, aber sowohl er wie auch Jonathan wußten jetzt schon mit vollkommener Sicherheit, was folgen werde, und der Trapper sagte das auch seinen Freunden. »Dieser schlaue Kerl geht Schritt für Schritt, aber er gelangt ans Ziel, dessen bin ich sicher. Und nun kommt es, Sir, Ihr seid als große Doppelmedizin geschildert, das war der Anfang, Ihr habt Tausende von Büffeln nur durch Eure Kunst verschwinden lassen, das galt als Aufreizungsmittel. Gebt acht, die Anklage gegen Weucha, der Euch für schwachsinnig hielt, bildet den Schluß.«

Und so geschah es wirklich. Der Redner deutete auf die Toten, seine Stimme erhob sich zum lauten, drohenden Tone. »Meine Brüder mögen entscheiden, ob Weucha noch immer fähig ist, ihr Anführer zu bleiben. Er hat einen Zauberer für einen Schwachsinnigen gehalten, er hat die Warnung eines Häuptlings mißachtet. Können die tapferen Dakotas unter den Befehlen eines Toren stehen?«

Weucha konnte nicht länger schweigen, er trat in den Kreis des Feuers und sah lange von einem der Anwesenden zum anderen. Sein Gesicht zeigte deutlich, daß er nichts mehr hoffte.

»Hat nicht die Stimme des Großen Geistes gesagt, Weucha solle den schwachsinnigen Mann in Freiheit setzen?« fragte er gleichsam ohne tieferen Anteil.

Das Steinerne Herz neigte den Kopf. »Der Große Geist spricht nie,« antwortete er. »Die Stimme war Zauberei!«

Weucha schüttelte den Kopf und trat zu Mr. Everett. Er deutete mit dem Finger auf seine Brust. »Dies ist Weucha,« sagte er stolz, »der große Häuptling der Dakotas vom Missouri.«

Everett lächelte. »Wünscht Ihr irgend etwas zu wissen, Freund?« fragte er achselzuckend. »Ich bin außerstande, Eure Sprache zu verstehen.«

Weucha war des Englischen so wenig mächtig als der Neuyorker seiner eigenen Mundart. Er mochte erkennen, daß hier die Beihilfe des Trappers nicht entbehrt werden konnte, daher wandte er sich zu diesem. »Mein Bruder, der Friedensmann, spricht die Sprache aller roten Stämme,« sagte er höflich, »will er dem Häuptling der Dakotas übersetzen, was das Bleichgesicht antworten wird?«

Jonathan schüttelte ruhig den Kopf. »Nein, Teton, auf keinen Fall. Es sei denn, du ließest allen Gefangenen die Fesseln so weit abnehmen, daß sie ihre Hände frei gebrauchen können, auch mir und dem Medizinmann. Tust du das nicht, so suche dir den Dolmetscher wo anders.«

Weucha winkte einigen seiner Leute und gab ihnen kurze Befehle. Als die Fesseln fielen, sanken sowohl Mr. Duncan als auch Bob und Mr. Travers, unfähig sich zu halten, auf den feuchten Boden. Die schrecklichen Wunden an ihren Fußgelenken bluteten bei jeder Bewegung.

Jonathan nickte. »Das war gut, Teton, ich danke dir, aber es ist trotzdem noch nicht genug. Laß deine Squaws ein Gefäß mit Wasser bringen und gib mir ein paar grüne Blätter, hörst du. Die Schwären bedürfen der Pflege.«

Der Häuptling lächelte spöttisch. »Der Friedensmann braucht sich um die Füße seiner Freunde nicht zu bekümmern,« sagte er langsam, »ihr Skalp ist in größerer Gefahr.«

Jonathan zuckte die Achseln. »Ich glaube es nicht, Teton,« versetzte er gelassen. »Deine Leute werden niemals wagen, einen Medizinmann oder seine Freunde zu beleidigen.«

Weuchas Auge blitzte. »Der Weiße ist kein Medizinmann!« schrie er. »Das lügen die anderen, um dem Häuptling zu schaden. Er ist schwachsinnig.«

Jonathan wurde um so kälter, je mehr sich der andere erhitzte. »Laß die Squaws Wasser und Erlenblätter bringen, Teton,« wiederholte er ruhig.

Und Weucha bewilligte, mehr und mehr in die Enge getrieben, auch das.

Jonathan lächelte. »Das war das zweite, Teton, jetzt löse einmal die letzte Fessel des Friedensmannes, damit er hingehen und seinen Freunden helfen kann. Später magst du sie wieder anlegen.«

Weucha schüttelte zuerst den Kopf, er zögerte, aber schließlich fügte er sich, um doch wenigstens mit dem Medizinmann sprechen zu können, und so gelang es dem Trapper, wenn auch unter eigenen starken Schmerzen, zu seinen unglücklichen Gefährten zu kriechen und die offenen Wunden zu behandeln. Jonathan opferte einen Teil seiner eigenen Kleidung und band mit den so gewonnenen Streifen die zerquetschten Erlenblätter auf das zerrissene Fleisch.

Der Rest des Wassers und der Erlenblätter wanderte, nachdem auch die beiden Deutschen sich versorgt hatten, in Hugos Hände. »Bei mir ist's nicht so schlimm,« nickte unser Freund, »ich war immer daraus bedacht, soviel als möglich frische Blätter oder Wasser zwischen meine Haut und die Fesseln zu bringen.«

»Ist mein weißer Bruder wirklich ein Medizinmann?« fragte jetzt energisch der Häuptling, »und hat er noch eine andere Medizin als die Gitarre?«

Everett zog statt der Antwort ein Fernglas hervor und schraubte es mit plötzlichem Ruck zur fünffachen Länge. »Will mein Bruder, der Häuptling der tapferen Dakotas, sehen, was aus den roten Männern wird, wenn der Weiße sie in das Glas steckt?« – übersetzte Jonathan.

»Hugh! Das auch Zauberglas? – Indianer sterben?«

»Nicht unbedingt, nur wenn es der Medizinmann befiehlt. Du kannst ungestraft das Glas betrachten.«

»Ihr sehen?« flüsterte drüben das Steinerne Herz mit satanischem Frohlocken, »ihr sehen? – Das Schwachsinniger?«

Die Schlange schüttelte den Kopf. Es ließ sich für Weuchas verlorene Sache jetzt beim besten Willen nichts mehr tun. Klüger war es schon, sich der ausgehenden Sonne zuzuwenden.

»Hugh,« murmelte er, »Medizinmann schlau. Er Dakotas täuschen, er singen und spielen wie Pappus, in alle Hütten laufen, Blumen pflücken – er schwachsinnig scheinen.«

Das Steinerne Herz nickte hochmütig. »Aber kluger Häuptling das durchschauen,« sagte er. »Gleich durchschauen. Weucha viel alt, er zu dumm werden.«

Dieser sah mittlerweile in das Fernglas, obwohl ihm bei der Gelegenheit die Haare zu Berge standen und kalter Schweiß seinen ganzen Körper bedeckte.

»Was gewahrt mein Bruder?« fragte in bedeutsamem Tone Jonathan.

»Der Häuptling sieht seine Freunde,« erklärte endlich Weucha, »aber – sie sind Pappuse geworden. – Hugh!«

Jonathan schüttelte den Kopf. »Du irrst gänzlich, Dakota. Es ist weit schlimmer als du glaubst. Wären deine Krieger nur Pappuse, dann ginge noch alles an, aber sie sind statt dessen schon auf dem langen Pfade, der zu den Jagdgründen der Seligen führt, sie sind so weit von hier entrückt, daß du sie nur noch wie kleine zwerghafte Gestalten siehst, eben weil mein Freund sie in sein Zauberglas gesteckt hat. Wenn er es will, dann entschwinden sie deinen Blicken vollständig.«

Der Wilde sah bald in das Fernrohr, bald zu der Gruppe der wartenden Krieger hinüber; in seiner Seele schienen allmählich Zweifel zu entstehen. »Aber wie hat der weiße Medizinmann die Dakotas ergreifen können?« fragte er endlich. »Er ist gefesselt und nicht von seiner Stelle gekommen!«

Diesen Einwand hatte Jonathan erwartet. »Das wird so gemacht, Teton,« antwortete er, das Glas in der Hand umdrehend, »schau her!«

Weucha fuhr plötzlich zurück. »Ganz nahe heran!« rief er. »Anfassen können. Steinernes Herz groß wie ein junger Eichbaum.«

Ein leises Hugh entschlüpfte den Lippen des Letztgenannten. Was da im Kreise der Gefangenen vorging, wurde ihm immer merkwürdiger, aber dennoch fehlte es ihm an Mut, sich dem Zauberglase zu nähern. Er war Weucha an geistiger Kraft überlegen, aber die Verachtung gegen den Tod konnte er nicht teilen, obgleich ihm die Stelle, auf der er stand, zu brennen schien, so sehr wurde er von der Neugier gequält.

»Weißer Mann Doppelmedizin,« raunte er, »Weucha nicht mehr Häuptling.«

Dieser kehrte in den Kreis der Häuptlinge zurück. Er mußte es gestehen, der weiße Mann war nicht schwachsinnig.

Das Steinerne Herz empfing ihn mit verletzender Anmaßung. Nachdem eine Zeitlang geraucht und geschwiegen worden war, begann er von neuem zu sprechen.

»Meine Brüder, die Dakotas, haben gesehen, daß der Weiße ein Medizinmann ist,« fuhr er fort, »ein doppelter sogar, sie sehen aber auch etwas anderes, Schreckliches, – die Leichen von neun Kriegern, die durch die Freunde dieses Mannes in den Tod getrieben wurden. Es waren Schwarzfüße, deren Pfeilen sie erlagen, Memmen, Hunde, Räuber, Stinktiere, eine Bande von Dieben, denen das Steinerne Herz mit seinen Leuten die Büffelhörner vom Kopfe reißen und ihre Skalplocken an den Mähnen seines Pferdes befestigen wird. Eines einzigen Mannes Unverstand brachte diese neun Krieger in das Verderben! Wer ist der Mann? Meine Brüder mögen sprechen und entscheiden, sie wissen alles. Ich bin zu Ende.«

Jetzt erhob sich ein anderer. »Ich bin die Donnerwolke,« sagte er, »ich treffe den Schuldigen. Ein Zauberer kam und zwitscherte vor den Ohren des Häuptlings ein Lied. Häuptlinge sollten offene Augen haben und taube Ohren, wenn die Worte, die hineinfallen, gar zu süß klingen. Häuptlinge sollten blind sein und offene Ohren haben, wenn die Stimme eines Bruders sie warnt. Wenn der Büffelstier alt geworden ist, verlassen ihn Gesicht und Gehör, und die Wölfe fressen den Starken. Meine Brüder haben gehört, was die Donnerwolke sagt.«

In dieser verblümten, aber dennoch allen Eingeweihten vollkommen verständlichen Sprache redeten nacheinander noch mehrere der angesehensten Häuptlinge, und als sich kein einziger für den in Ungnade gefallenen Weucha zu erklären wagte, wurde über sein ferneres Schicksal endgültig abgestimmt. Das Steinerne Herz wurde zum Anführer des Stammes in aller Form ernannt.

Auch der neue Häuptling machte die Probe mit dem Zauberglas und entdeckte dabei etwas Neues. Er trug den Kopf höher als jemals, Schlange blinzelte in einem fort, und Donnerwolke rauchte, daß sich die Luft um ihn bläulich grau färbte.

»Meine Brüder werden eine gute Nachricht empfangen,« sagte der neuerwählte Anführer. »Das Zauberglas kann die nicht rufen, die es nicht sieht, – es kann überhaupt keinen rufen. Weucha hat gelogen!«

Der Häuptling sprang auf wie vom Blitz getroffen. »Weucha – lügt?« stammelte er. »Wer das sagt, ist ein Hund, ein Fuchs, aber kein Mann.«

Das Steinerne Herz blieb sehr gelassen. »Es doch so sein,« beharrte er, »ich es wissen.«

Im Augenblick entstand eine Pause, die niemand unterbrach. Erst nach Minuten nahm Schlange das Wort. »Ich auch anderen Zauber finden!« sagte er mit einem Blick des größten Triumphes. »Ich Buchzauber finden.«

Und er hielt Everetts Notizbüchelchen, das diesem aus der Tasche gefallen und von den Wilden aufgefunden worden war, hoch empor, dann schüttelte er es und drehte und wendete die Blätter nach allen Seiten. »Nichts schaden!« rief er. »Nicht verbrennen Hand von roten Mann. Alle Krieger sehen Zauberbuch!«

Weuchas Stirn strahlte. »Dann auch kein Zauberer!« rief er. »Armer Tor, Schwachsinniger, spielt mit Sachen für Pappus! – Das Steinerne Herz nicht Anführer!«

Ein grimmiger Blick des Letztgenannten traf ihn sogleich. »Er Betrüger, Spion für Weiße, er Weucha hintergehen, das ist es, und Weucha viel alt, sein Gehirn weich wie Grünkorn! Er lieben sehr die Weißen, glaube ich.« Die Beschuldigung des Steinernen Herzens, Weucha nehme Partei für die Weißen, glich vollkommen einer Anklage auf Landesverrat, und indem das Steinerne Herz sie aussprach, vernichtete er die Häuptlingswürde seines Nebenbuhlers, während er zugleich seine eigene Treue, seine Kraft und Befähigung in das hellste Licht stellte.

»Der Häuptling liebt seine roten Brüder,« fuhr er fort, »er möchte den Pappusen die Jagdgründe ihrer Väter erhalten, er möchte die Bleichgesichter bis an den Rand des großen Salzwassers jagen und sie an den Marterpfahl stellen.« Ein leichtes Murmeln durchlief den Kreis. Die Aussicht auf die beliebte Volksbelustigung stimmte alle Herzen leichter.

Weucha sagte nichts, aber Haß und Zorn erstickten ihn fast.

Unterdes gab das Steinerne Herz den Befehl zum Anfang der Folter. Zunächst begannen die jungen Männer einen Freudentanz. Jonathan verstand sehr wohl, was jetzt vorging, er hatte überhaupt nichts anderes erwartet und spähte unruhiger in den Wald hinein. Ob der Gelbe Wolf zögern würde, dem Bruder seines Vaters zur Hilfe zu eilen?

Plötzlich sprangen zehn Dakotas aus den Reihen der Tanzenden hervor und eilten mit Bastschnüren in den Händen zu den Gefangenen. Diesmal wurden alle, selbst die Bewußtlosen, so fest an ihre Pfähle gebunden, daß sie nur die Köpfe drehen konnten. Ein allgemeines Schreien und Stampfen von mehreren hundert Füßen mischte sich in das Gerassel der Trommel. Es war ein Toben, das die Nerven betäubte und das Herz mit Empörung erfüllte.

Bob hatte sich aufgerichtet, seine Farbe glich der einer Leiche. »Sollen wir gemartert werden, Sir?« fragte er leise mit scheuem Tone.

Jonathan vermied es, den Knaben anzusehen. »Ich glaube so,« antwortete er.

Bobs Zähne schlugen hörbar aneinander. »Da bringen die Wilden grünes Holz!« flüsterte er nach einer Pause, »zum Scheiterhaufen für uns.«

Der Trapper seufzte. »Kind,« sagte er, liebevoll in Hugos blasses Gesicht sehend, »Kind, hätte ich dich doch nicht mit hierher genommen! Es ist alles die Schuld eines einzigen Mannes – Gott vergebe ihm.«

Jetzt bildete sich die Linie der jungen Leute, die bestimmt waren, die Gefangenen geistig zu foltern, indem sie diese von einer Todesangst in die andere trieben, ohne ihnen jedoch auch nur ein einziges Haar zu krümmen; die Krieger schwangen Beile und Messer, spitzten Pflöcke und sammelten Büsche von den Dornensträuchern.

Wieder andere trugen Holz herbei, grünes, feuchtes, das nie zur Flamme auflodert, sondern glimmend einen Rauch verbreitet, der die Lungen zerreißt und die Augen blendet. Eine braune Hand legte unter den Stoß das brennende Scheit, und kleine, silbergraue Wolken wirbelten empor. Noch eine Viertelstunde, dann hatten die Brände den Fuß der Pfähle ergriffen, dann züngelten sie empor zu den Gliedern der Gefangenen und verursachten neue schreckliche Wunden.

Aber sogleich würden wieder braune Hände bereit sein, um sie hinwegzureißen, die Opfer durften noch nicht sterben, das Schauspiel sollte tagelang seine blutdürstigen Zuschauer ergötzen.

Everett unterdrückte einen Seufzer. »Seht Ihr denn die Sache so verzweifelt ernst an, Alter?« fragte er.

Jonathan nickte. »Schaut um Euch, Sir! Alle diese Beile und Messer werden in den nächsten Minuten um unsere Köpfe fliegen.«

Zuerst kam der Vollmond, ein herkulischer Indianer mit großem, breitem Gesicht. Er wählte den Kopf des Trappers, und der gefährliche Wurfhammer schlug haarscharf über des alten Mannes Stirn in die Baumrinde. Ein allgemeines Freudengeheul folgte der glänzenden Tat. Vollmond holte darauf zum neuen Wurfe aus, diesmal jedoch mit dem Messer.

»Mein Bruder sollte bester zielen,« sagte der Trapper. »Besitzt der Dakota zu wenig Geschicklichkeit, um das Haar seines Feindes mit dem Beil abzuschneiden? Die Schwarzfüße verursachen denen, die sie martern, leichte Wunden und gießen dann kochendes Öl hinein! – Der Dakota ist ein Stümper, er sollte den Squaws bei ihren Arbeiten helfen.«

Everett fiel von einem Erstaunen in das andere. »Jonathan,« rief er, »Ihr reizt ja die Brut! – So sucht doch nicht ihre Wut noch mehr anzufachen!«

Aber das war tauben Ohren gepredigt. Der Alte stand, abgehärtet durch Erziehung als Schwarzfuß, unentwegt wie ein Fels in der Brandung. Die Wilden hatten zwar von keinem der Weißen eine Bitte oder einen Angstschrei gehört, aber von dem Trapper Spottreden bis zum letzten Augenblick, da die hereinbrechende Dunkelheit für diesen Tag dem schrecklichen Spiel ein Ende bereitete.

Von einem etwas entfernt stehenden Baume pfiff jetzt ein Eichhörnchen.

Der Trapper fuhr auf wie zu einem Freudenruf. Er mäßigte kaum das »Endlich!«, welches ihm aus dem Herzen kam. Der nächste Augenblick jedoch brachte ihm und den übrigen die Gewißheit, daß es nicht das verabredete Zeichen, sondern wirklich eine Tierstimme war.

Drüben streckte sich einer der Dakotas nach dem anderen nach diesem Tage voll Genuß und Anstrengung müde auf das Bett in der Fellhütte.

Weucha hatte stundenlang grübelnd allein gesessen, bald Hoffnungen, bald Befürchtungen durchfluteten sein Gehirn. Mehr als einmal tastete er verstohlen unter der Tunika auf seinem Körper herum und schien dann einen Augenblick sehr zufrieden.

Als nur noch die beiden mit der Bewachung des Lagers betrauten Krieger am Feuer saßen, erhob er sich und nahm seinen Platz neben ihnen.

»Langmesser alter Krieger, der Starke Rabe auch, beide Pappuse gewesen mit Weucha, junge Krieger mit ihm, alt mit ihm. Er Langmesser und Starkem Raben vertrauen?«

Die beiden anderen nickten. »Dakota schon wissen, was Weucha sagen wollen,« versetzte das Lange Messer. »Nicht gut für Stamm, haben so jungen Anführer.«

Und: »Nicht gut!« fügte auch der Starke Rabe hinzu.

Die Pfeifen dampften um die Wette. Alle drei Wilde hatten einander vollkommen verstanden, sie verschwendeten daher an die Sache kein Wort weiter. Weucha aber fuhr fort: »Ich Krieger etwas fragen wollen!« Und als die beiden alten Leute ehrerbietig schwiegen, fügte er hinzu: »Es gut sein, Wi-ju-jon martern?«

Der Starke Rabe schüttelte den Kopf. »Sehr schlimm sein, sehr übelnehmen Großer Geist das vom roten Krieger. Wi-ju-jon Friedensmann, er guter Mann!«

»Er sehr gutes Herz haben,« setzte das Lange Messer hinzu. »Er Freund von allen Stämmen. Nicht martern Wi-ju-jon!«

Weuchas Auge blitzte. »Hugh!« rief er, »warum denn Stimme gegeben Steinernem Herzen? He?«

Der Starke Rabe wiegte den Kopf. »Dakota schweigen, ihm keine Stimme geben, stumm wie Fisch.«

»Langes Messer auch so tun!« nickte der zweite. »Kennen sehr viele, die nicht gegeben haben Stimme.«

Weucha überlegte wieder, dann sagte er langsam und mit großem Nachdruck: »Wenn junger Häuptling bringen Unglück über Stamm, wenn er sehr Irrtum gehabt haben – dann vielleicht Dakotas zurückkehren zu altem Häuptling.«

Das Lange Messer blinzelte schlau. »Wir dazu helfen können?« fragte er. »Langmesser immer Freund von Weucha, er das wissen.«

Weucha schob die lederne Gewandung beiseite und brachte Stuart Collins wohlversehene »Geldkatze« zum Vorschein, dann nahm er aus deren Tiefen eine Handvoll Goldmünzen und ließ die roten Fluten spielend über seine Finger gleiten. »Meine Brüder das kennen?« raunte er.

Die Blicke der beiden Indianer hasteten magnetisch gezogen an den verlockenden runden Stücken. »Woher Weucha gutes Mittel nehmen?«

»An anderer Seite von Fluß gestern es finden,« versetzte in bestimmtem Tone der Häuptling.

Die beiden Krieger hatten vielleicht bei dieser Antwort ihre eigenen Gedanken, sie begnügten sich aber als kluge Leute mit einer im Augenblick sehr naheliegenden Frage. »Weucha blanke Scheiben geben, wenn Krieger in dieser Nacht keine Augen haben, keine Ohren? – Hören nichts, sehen nichts? Weucha hingehen und die Fesseln lösen?«

Der Häuptling nickte. »So tun – alles für Stamm. Langes Messer und Starker Rabe nicht hören, nicht sehen, das wollen?«

Der Erstgenannte deutete auf den Ledergürtel. »Wie viele blanke Scheiben Weucha armem Indianer geben?« fragte er.

Der Häuptling griff tief hinein in die Münzen. »Was fassen kann in Hand!« versetzte er. »Dafür alles kaufen, viel reich werden.«

Er verschloß den Gurt und brachte ihn wieder unter das lederne Gewand. »Zuerst Gefangene befreien,« setzte er hinzu. »Alles getan haben, dann gutes Mittel geben. Dakota hier sitzenbleiben.«

Und als sich die beiden Krieger einverstanden zeigten, schlich er durch das Halbdunkel der Nacht hinüber zu den Gefangenen. Wie aus dem Boden gewachsen stand er plötzlich vor ihnen. »Hugh! – Weiße Männer viel still! – Wie Fisch im Wasser!«

Er sah jedem einzelnen ins Gesicht. »Dakota Gefangene befreien!« setzte er hinzu, und er begann ohne weiteres die Bastseile an den Gliedern der Gefangenen zu lösen. »Friedensmann gehen können,« sagte er kurz, »Freunde auch. Nicht wiederkommen, das Bedingung.«

In diesem entscheidenden Augenblick erhob sich Bobs Stimme. »Mr. Jonathan,« flüsterte er, »hört mich – ich glaube, die Schwarzfüße sind in der Nähe.«

Das Erstaunen des alten Trappers war maßlos. »Du?« fragte er, »was weißt du von ihnen?«

Bob deutete auf ein nahes Gebüsch. »Dort stecken sie, Sir – sicherlich.«

»Aber weshalb glaubst du das, Junge?«

»Sie haben Euch von Zeit zu Zeit ein Zeichen gegeben, Sir, Ihr merktet es nur nicht. Ich sah zuweilen kleine Steine aus dem Gebüsch hervorrollen, gerade vor Eure Füße. Menschenhände warfen sie, das ist ganz gewiß.«

»Wahrhaftig,« rief Hugo, »das habe ich auch gesehen!«

Wieder entstand eine Pause. Weuchas Blicke glitten von einem zum anderen. Aus dem Blätterwerk erklang die Stimme eines Eichhörnchens. Es war, als wolle das Tier seine Kameraden warnen.

Jonathan lächelte zufrieden. »Der Dakota soll sein Häuptlingswort geben!« setzte er rasch hinzu, »das bricht kein roter Mann.«

Wieder pfiff es. Diesmal mit zwei Stimmen; man hörte, daß sich die Tierchen bissen.

Jonathan schüttelte jetzt ganz überzeugt den Kopf und sagte zu Weucha: »Der Friedensmann hat von seinen Freunden, den Schwarzfüßen, eine Botschaft erhalten.«

Weucha neigte den Kopf mit den aufrechtstehenden großen Eulenflügeln. »Das gut sein,« versetzte er, innerlich sein Mißgeschick verwünschend, »Schwarzfüße kommen, das glauben, aber ob siegen gegen Dakotas, das noch nicht wissen. Besser, in dieser Nacht friedlich fortgehen als morgen durch Blut, he?«

Jonathan nickte. »Gewiß ist es besser, Dakota. Ganz gewiß, aber wir haben allein keine Mittel, um unsere hilflosen Freunde fortzuschaffen. Kann der Friedensmann seine Freunde rufen?«

Weucha neigte den Kopf. »Ein Dakota hat nur eine Zunge,« sagte er stolz.

»Nun, dann in Gottes Namen. Komm heraus, Sagamore!«

Unter den Blättern erschien jetzt die hohe, schöne Gestalt des Schwarzfußindianers mit den Büffelhörnern und der reichen, fürstlich geschmückten Kleidung. Auge in Auge standen sich die beiden wilden Häuptlinge gegenüber, trotzig und unbeugsam, malerisch gruppiert neben den Gefangenen und in dem wechselnden Schatten des Wachtfeuers, an dessen Rand zwei Krieger mit gesenkten Köpfen saßen – anscheinend im festen Schlafe. Sie waren Widersacher, diese beiden Söhne der Wildnis, Todfeinde, die vielleicht schon nach wenigen Stunden im blutigen Strauße miteinander ringen würden, die aber jetzt einander höflich begrüßten, ruhig und ehrlich, ohne Hintergedanken. Auch der Blitz und der Schlaue Fuchs waren aus dem Blätterwerk hervorgetreten.

»So leb' denn wohl, Teton,« sagte Jonathan. »Mögen deine Gründe sein, welche sie wollen – wir danken dir.«

Je zwei und zwei ergriffen jetzt die Männer ihre hilflosen Jagdgefährten, während die beiden Knaben bemüht waren, den minder schwer verletzten Deutschen eine Stütze zu sein. Weucha stand und sah mit dem Gefühl innerster Befriedigung einen nach dem anderen an sich vorübergleiten.

Langsam ging der Häuptling hinüber zu den beiden Wachthabenden am Feuer. Ohne zu sprechen, ließ er Langmesser und den Starken Raben hineingreifen in den Schatz unter seinen Kleidern.


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