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Niederstürzende Wälder

Schmelzwasser braust zu Tal, der Tann rauscht auf, die Almen dunsten in nackter Neugeburt. In den Blumen steigt der Saft.

Alles, was Nicolae bisher an rücksichtslosen Eingriffen in sein Heimatreich erlebt hat, wird übertroffen von der Sturzflut fremder Gewalten, der uneindämmbaren Überschwemmung der Wälder. Da kommen sie gezogen in lärmenden Scharen: Weg- und Bahnarbeiter im Arbeitsgrau, in stickigem Ruch. An der Talmündung geht die Kanonade los. In der Luft ist ein Nachzittern wie Zuckung sterbender Riesenleiber.

Weiter oben aber hört sich der taktmäßige Schlag vielfacher Hiebe, zwischendurch krachendes Brechen, donnernder Aufschlag, dann wieder eintönige Ruffolge, langgezogen, schläfernd, den ganzen Tag.

Nicolae steht hoch oben über dem Geschehen, weit noch von dem Eindrang in die große Abgeschiedenheit jener Täler und Hänge.

Noch einmal hat er, nachdem er in neuer Höhle fern von hier den Winterschlaf erkoren und gefunden, seine alte Heimat aufgesucht. Dabei ist ihm mancher jugendvertraute Ort fremd geworden; anders sieht er aus als früher, nicht mehr zu erkennen. Wo er, Nicolae, unter bärtigen Urfichten leise und leicht in weichem Moos trottete, wo der heimliche Störenfried, der alte Hahn, mit viel Gehabe und Geläufe flügelspreitend den morgendlichen Heimwechsel manchen Getieres durchschnitt, da breitet sich freie Lichtung aus; weit überspannt die offene Luft den kahlen Ort mit seinen zerstreuten Strünken, seinem knackenden Schlagabraum. Am unteren Rand des Haues liegen in Reih und Glied gestapelt die Blochen, die zu den Wurzelstöcken gehörten. Streifen und Schleifen durchziehen Wald und Hau.

Wie er mißtrauisch und vorbehaltlich das hochgehäufte Geknäck unter die Sohlen nimmt, um rasch über diese Spuren der Schändung und Zerstörung hinüberzukommen, reißt es ihn beinahe wieder zurück, als er an ein langes Holzgebilde stößt, eine aus mehreren Langblochen zusammengesetzte Rinne, die sich oben und unten in hoher Überbrückung des Tales weit verliert. Es ist starres, reines Holz und wieder so ein toter Bau von Menschenhand, deren er schon einige kennt und von denen er nicht viel hält. Trotzdem scheut er das Ding zu sehr, um einfach darüber hinwegzuwechseln. So folgt er einstweilen dessen Verlauf bergab, und da trifft er auf eine gleichartige riesige Holzschlange, die, breiter und voller am Bauch, im Bachbett liegt und in ihrem Leib gefangenes Wasser zischend zu Tal leitet. Erst als Nicolae sieht, daß sie oben und unten kein Ende findet, schnellt er sich von Kante zu Kante über das Wasser hinüber, gleitet aber aus und tritt rückwärts in den schießenden Gischt, daß die Springflut hoch an ihm hinaufspritzt und er beinahe mitgeschwemmt wird. In raschem Entschluß wirft er sich mit krallendem Eingriff über den Bord, wobei er mitten in die volle Schmelzkuhle des Baches plumpst. Mißmutig rappelt er sich heraus, schüttelt sich die Flut aus dem Winterfell, steigt den Hang hinauf, überquert den Rücken und gelangt ins Haupttal. Da traut er seinen Sehern nicht, denn dort, wo über scharfer Klamm die breite Ausweitung ist, wo er früher über stilles, wohltuendes Plätschern besonders gerne seinen Wechsel nahm, glänzt hoch bis an die Hänge ein Wasserspiegel. Ruhe ist zwar jetzt nächtens umher, doch deuten frische Menschenspuren auf Besiedlung des Ortes. Ohne sich weiter umzusehen, läßt er den unbehaglichen Ort zurück. Er fühlt sich wie verschlagen, verirrt, fremd, wo er immer zu Hause war und Heimrecht hatte. Er weiß, daß jener Schlagtakt unten, jenes Knittern, Brechen, dumpfe Aufdröhnen dasselbe anzeigt, was hier im Herbst die Schläge meldeten und was er jetzt vor und unter seinen Sohlen sieht. In den Tiefen entsteht es, breitet sich Tag für Tag weiter aus, zieht unaufhaltsam heran. Der Wald wird lebendig von unerforschlichem Getue, die Bäume sterben unter fremdem Anbiß, die Luft haucht Gift und Tod. Das ist nicht mehr seine Welt; diese Heimat bietet ihm nicht mehr Frieden und Schutz alten, bergenden Heimbaches.

Nicolae trottet für immer davon aus den niederstürzenden Wäldern seiner Jugendzeit.


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