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Auf Wildsauen

Stumm sind die schwarzen Wälder, und in der dumpfen Wildnis ist wieder das Brauen der bleichen Heiden, der brennendroten Buchenwälder, eh endlich das weiße Schlafen herabsinkt.

Mit fallendem Blatt aber pocht es steif zu Boden, kantig, schnörkellos – ein reiches Bescheren aus den tragenden Buchen – Samenmast, wie sie nur jedes dritte, vierte Jahr beschieden ist, einem knorrigen Wildschlag zu Lieb und Freude, der in seiner Härte und Keilstarrheit den spätesten Herbst als schönste Jahreszeit feiert: der Wildsau.

Ölige, fettige Frucht der Buchen und Eichen, von keinem Pflug, keinem Häufelspaten gezwungen, von keinem menschlichen Lesevorrecht bestritten; satte Schütte von Wildobst, und mitten im Überfluß der letzten Jahresspende das Schönste aller weltlichen Gelüste, die brünstige Gesellung und Befriedigung des edelsten Triebes, des Gattungstriebes, bis tief in die Pforten des löschenden Winters hinein: das hat das Schwarzwild für sich als spätestes Recht hinter allem im alten Jahr.

In schweren Zahlen, so bis zwanzig, dreißig rottet es sich zusammen, zieht, Sau hinter Sau, unter die Samenbuchen und kehrt den Wald von unterst zu oberst. Schwülherber Ruch erfüllt die Luft, und es ist ein derbes Quieken, Blasen, Fauchen, saugrobes Suchen und haufertiges Abwehren. So wie im Trieb, zieht die Rotte auch im Wandern ihren Wechsel gegen die Hauptrichtung des Windes, denn anders stolperte sie blind auf den in der Lauer wartenden Wolf oder Bären oder gar auf den der Brut gefährlichen Luchs. Dabei führt sie täuschende und verwirrende Schlingen und Kehren, die Luft schneidend, kurz mit ihr haltend, hätten doch Bär und Wolf den sicheren Vorteil für sich, wenn sie auf der Spur der Rotte gegen guten Wind folgten, ungewittert, unbemerkt vor dem letzten überraschenden Angriff.

Nicolaes herbstliche Nahrungssorgen und Erfüllungen treffen sich in der reichen Buchelmast mit jenen der Sau, und überall, wo er nur einherspürt in den kahlsichtigen Buchenweiten, da strömt wie in schlängelnden Adern und Pulsen kalter und warmer Schwarzwildruch durch den gekrumpelten Blätterdung zusammen, auseinander, staut zurück und fließt in scharfem Trab davon. Nicolae strömt über vor Suchlust und Beutegier. Wie er es immer getan, schöpft er den Wind, setzt sich gegen die Luft auf die Spur und trottet auf ihr scharf vorwärts. Da ein Schnörkel, er verliert den Wind, ein Schnitt quer durch die Luft, Herumfaseln, er verhofft, ist ganz irr. Kein Geräusch tönt. Endlich hat er nach vielem Hin- und Hergesuch den Ausgang aus dem Wirrsal. Weiter pirscht er unter Wind – neue Umbiegung, neues Quertreiben – er stutzt. Geräusch, dumpfes Blasen, und wie brechende Lahne saust die schwarze Wucht, der er in den Wind geraten, hinab, schwingt um und trabt krachend querhangs davon. Nicolae hat sich mit ganzer Macht in den gewohnten Schlagsprung geschmissen. Schon glaubt er, er habe ein Stück, da prescht es durch knarriges Haselgestrüpp; er saust splitternd nach, mitten in einen verrotteten Stubben, haut taub in die Luft, und ehe er es sich versieht, ist die Rotte davon. Keuchend hetzt er hinterdrein, ermüdet und gibt die Jagd auf.

Diesmal tröstet er sich in den Bucheln. Er ist nun bereits zu gewiegt, um das Schulbeispiel des Mißerfolges zu wiederholen. Nächste Nacht faßt ihn doch mächtig der Blutdurst und führt ihn auf Suchen und Spüren weit über Berge und Täler. Endlich findet er das frische Gebräch der Sauen. Jetzt schon vorsichtiger, drückt er die Nase vor den Wind, und als der Wechsel quer dem Wind durchreißt, um mit dem Luftfluß mitzugehen, zu stauen und auseinanderzutreiben, steht er von der Spur ab, er macht schön sorgsam unter Wind den Bogen um die Kehren und Windungen zurück, Haken und Gebräch ständig im Windfang, und kommt so schließlich näher und näher an die Verheißung heran. Immer wärmer steigt der Ausduft der Spur, und da streicht auch schon der weichenden Zurückhaltung die volle Luftwitterung der brechenden Rotte in die Nase. Grunzen, Knurpsen, zwischendurch unter abstrafendem Schlag Aufklagen, Rascheln in den Blättern, dunkeldumpfer Ruch, faßbar ein jedes Stück. Nicolae kauert hinter scharfer Schneide, hebt spannend den Kopf, äugt die satten, breiten Körper. Einer schwärmt, vertraut wühlend, näher heran, die weiche Luft trägt keine Gefahr. Selten wirft ein Stück auf. Groß und Klein grunzen in bunter Mischung. Aber der Räuber lauert zum Sprung. Das Krispeln des Laubes bei ihm wird ja von ihresgleichen sein. Unter ihm, über ihm prellen die Flügel der Rotte vor, und ohne daß sie es wüßten, schließen sie den braunen Klotz zwischen sich ein; der gibt sich wie ein Stück von ihnen. Immer noch regt er sich nicht. Er hat sich in guten und schlechten Zeiten beherrschen gelernt. Die schief über ihm sind ihm gewiß. Nun kann's gehen! Er richtet sich empor auf die vier Säulen, läßt sich fahren. Sein Schlag trifft, die Pranken umfangen, und da erst verrät der Klageschrei den Feind. Rottung, Gewühl, Spreizung, dumpfes Murren, schon rückt schwarz geschlossen die Masse vor, um ihn anzunehmen. Der Keiler stürmt blasend heran. Laut schmettert der Warnruf. Nicolae hebt sich, mit der einen Brante im Opfer, gelassen hoch, riesenhaft gewaltig. Was wollen die ihm anhaben? Und der törichte Keiler wäre, wenn er den Kampf wollte, nach dem ersten Seitensprung Nicolaes von hinten durch das Zangenpaar gepackt, und seine tödlichen Schlitzwaffen säbelten lahm in die Luft. Die Bachen überlegen nicht lange, wenden und überlassen, den Keiler mitnehmend, die Beute dem Räuber.

Nicolae hat drei Tage Fraß an ihr. Dann spürt er von neuem dem schwarzen Leben nach. Stück nach Stück fällt, die Rotte schrumpft, hält nicht mehr stand, wechselt weit weg, nützt Gelände und Umstände in steter Hut und entkommt oft genug der Gefahr ...

Schnee fällt, unlöschbar prägt sich die Spur in das Weißzeug. Nicolae sucht die Rotte bei Tag, findet sie eingeschoben in dichtes Fichtenmais. Wieder, wie manchmal vor den Schafen, duckt er sich an steilem Bruchorte zum Schlich, führt heimlich Brante vor Brante in Kreuzlage und schiebt sich rutschend über den Schnee vor. Er hat die Gelegenheit überschätzt. Ein schwaches Anstreifen nur an sparrigem Geäst, und mit Gedröhn fliegt die ganze Gesellschaft aus dem Kessel heraus und stiebt davon, er nach, kommt zu kurz, macht kehrt, um wenigstens den süßen Lagerduft abzuwittern. Da stößt ihn beinahe der nichtsahnende Keiler um, der abgesondert über seiner Rotte lag und nun verblüfft ihrem abgehenden Geräusch folgen will. Eräugen im Vorprall, Stürmen und Schlagen ist eins. Nicolae fängt wie ein Ringer in Abwehr den Stoß vor der Brust auf, geht mitgerissen eine eigene Länge nach, holt mit harkender Brante die Keilwucht ein, und schon sitzt er auf dem mächtigen Pflug, krallend in die zähen Schilder, eingrabend den Fang in den fedrigen Kamm; und er sitzt und lastet in herbstvollem Gewicht auf dem Keiler, und der Keiler pflügt mit der Last den Schnee, trägt den Bären den steilen Hang über Strupp und Stein geradeswegs bergan. Auf kleiner Bodenrast rüttelt und schmeißt der grimme Urian um sich, sprengt vor, und Nicolae gleitet von dem glatten Borstenkittel ab. Auge in Auge stehen sie, wutroten Kreis beiderseits um Seher und Lichter. Geifer spritzt, Gier lechzt, dumpf wetzt und schlägt das dampfende Gebrech. Auf Tod oder Leben! Was Keiler ist, kennt keine Furcht. Schon fährt er unter dem Feind in furchtbarem Sturm durch. Aber bevor der Todesschnitt in die Dünnung reißt, fliegt Nicolae ausweichend in den Busch, und zugleich trifft sein furchtbarer Schlag den Gegner zwischen die Lichter. Der stürzt geblendet in finstre Nacht, taumelt, reißt sich auf, fährt blind in den nächsten Fichtenbusch und hat schon den Feind auf sich. Nicolae reitet nicht mehr, voll umfaßt er den vollen, starren Leib, der sich nicht biegt, nicht windet, hebt ihn hoch empor und legt ihn sonder Mühe um. Die schneidescharfen Gewehre glänzen schäumend im Nebellicht, die kurzen Läufe starren. Nicolae legt sich mit ganzem Gewicht über das auf dem Rücken liegende ohnmächtige Opfer, bezwingt mit krallender Pranke das schlagende Gebrech, faßt tief mit den Reißzähnen den Brustkern und zermürbt im Nu den Korb zu Brei. Luft fährt in die Lunge, der Fang stößt nach, und über dem wehrhaften Ritter, dem mutigen Urgesellen, weben die Nebel deckendes Vergessen.

Nachdem sich Nicolae vollgerülpst, schaufelt er mit spatenhafter Stichkraft eine tiefe Grube, wirft den geschändeten Ritter hinein, hebt Dürrbäume und Holz herbei und beschwert die teure Beute; dann knackt er Fichtenäste, schichtet sie schön und weich über das Grab und recht zum Schluß einen Hügel Erde darüber. Zu guter Letzt setzt er sich selbst auf und spinnt in Schlaf ein.

 

Nicolae ist Sieger. Doch mitten über die Länge seiner Brante führt eine tiefe mörderische Hiebfurche. Er ist Sieger, aber die rote Wunde schmückt ihn mahnend, zum Zeichen, daß auch ihn Mut und Kraft oft genug über Gefahren führen, die zwischen Leben und Tod wie finstertiefe Abgründe empordräuen.

Nicolae hat den Beweis nicht lange nachher in der zerrissenen Felsschlucht – der sogenannten »Porca« – »Schwein« – selbst gefunden. Wie er so im Suchen und Fährten dahinlatscht, stößt ihm gepaarter Spurgeruch entgegen, Ruch von Bär und Hauend Schwein. Angeregt setzt er sich in scharfen Trott, und da kommt er mit einmal in den Dunstkreis eines vor kurzem verendeten Bären. Er überprüft die Lage und schlurt heran. Ein großer Ring- und Kampfplatz duftet ihm entgegen, zertrampelt und in flacher Breite von Bär- und Saulast zu hartem Schneebrett getreten. Der Keiler ist heil davon; mitten auf der Rundung aber liegt verendet der Bär. Aus der Dünnung fließt lang hin das hervorgequollene Gescheide. Nicolae nimmt die Nase voll. Er ist schwer hungrig. Eigentümliches Gelüste überkommt ihn, in das offen daliegende Fleisch und Blut hineinzugreifen; und er beginnt, anfangs zaghaft, zu schnüffeln, zu zerren, dann immer mutiger zu reißen. Es ist Fleisch und Blut und hat Geschmack. Bald frißt er schmatzend am verendeten Verwandten, und in drei Tagen hat er ihn ganz in sich bestattet.

Auch Nicolae wird klein in all seiner Größe, wenn die Not drückt. So tapst er schön die Schneespur eines Marderfängers im Hochgeficht aus, zertrümmert verächtlich die Stangenfalle und fängt sich selbst den Köder heraus, latscht weiter in der alten Trittspur, schlägt die nächste Schlagfalle zusammen und nimmt sich den Fleischbissen; und schließlich geht er die ganze Spur aus, denn er weiß nun, daß darinnen für ihn noch Brocken warten, bis er sämtliche Fallen überprüft und ihre Anbietung für sich beansprucht hat.


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