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In den Himbeeren

Hohezeit, da die bildende Kunst der Natur ihr Meisterstück vollendet hat – Sommer, da alle bunten Blumen in Blüte stehn und die letzten Vögelchen flügge sind. Süß atmet an grillentönenden Abenden die Luft von Thymian und Minze der Bergwiesen, rot rispt das Weidenröschen im Windwurf; in der nebelnden Taufrühe des Luches zittern unter summenden Schnaken die silberweißen Gespensterflämmchen des Wollgrases, und es glimmen dort nachts die Geisterfunken der Glühwürmchen. Die Himbeere aber gibt dem Sommer die wahre Würze, spendet dem Bären das Geschenk der Vollendung, um dessentwillen er das Übermaß an Fleisch gern verleugnet und weitausholende Gänge in ferne Gebiete macht.

Bärinmutter hat, nachdem sie den Ort der unliebsamen Knallerei verlassen, den Verlust des dritten Jungen bald überwunden. Auch den Friedhof, auf dem sie mit den sieben Kühen den Totentanz aufgeführt, hat sie aus der Erinnerung gestrichen; denn dort wogte es schon am nächsten Tag laut von wuterstickten Vergeltungsschwüren der Abdecker, vom Geknurr der Hunderotten und Gekreisch von Steinadlern, Weißkopf- und Kuttengeiern, die sich an diesem Fleischherd drei Tage lang platzsatt fraßen, bis die Skelette von Milliarden von Maden überhügelt waren und gärende Jauche das ganze Wässerchen verseuchte. Raben korrten schwarz über dem Totenfeld.

Das mit den Hunden war Bärinmutter ja geläufig, einmal geht's eben spielend, ein andermal ist ein regelrechter Kampf durchzufechten, und oft genug entscheiden die Umstände zwischen ausgesprochenem Beutesieg oder beschämendem Rückzug. Die Alte hatte ihre Jungen genommen und war in ferne Bereiche gewandert, wo es wohl auch Hunde gab, doch dumme, und wo vor allem keine Knallpafferei die Nacht unterbrach und die Raubzüge ungemütlich machte. Dort war es ihr auch gelungen, eine schöne Sommerstrecke an Schafen zu erzielen, bis die fortgesetzten Einbrüche nicht nur die Hirten zu den äußersten Gegenmaßnahmen veranlaßten, sondern ihr selbst schon unheimlich wurden, denn solch leichtes Gelingen und tolles Waten in Blut hat immer noch den Rausch bis aufs höchste entzündet und nachher die kalte Ernüchterung gebracht.

Im Vertrauen auf ihren Glückserfolg war sie verwegener und unachtsamer geworden, bis ihr zuerst die Verlegung des Nachtlagers höher hinauf auf die Heide, dann die Verstärkung der Hundesippe durch schärfere Zupacker und schließlich auch die sorgfältigere Berücksichtigung und Betreuung der Wachtfeuer deutlich zu verstehen gaben, es könne noch Unliebsames nachkommen. Auch stieg das nächtige Mondlicht hoch hinauf bis zur Mitternacht und hatte ebensoviel Nachtzeit, um zu sinken – da schwoll die Himbeere, die Schossen neigten sich schwer unter dem Saftgewicht der roten Früchte, und drum begrenzten sich nun die weiten Nachtwanderungen des Dreierzuges auf kleinen Raum.

Allabendlich, wenn auf der steinichten Halde die Otter, mit Sonne vollgesogen, die Ruhespirale aufdreht und lebendig wird, wenn die verzerrten Baumschatten ineinander verschwimmen, wenn der gedrungene Bau des Feisthirsches mit reckendem Geäst plantschend aus der Schlammsuhle herauswächst, um träge und faul das fade Tageseinerlei gegen das nächtliche Wandern auf hochverkrauteter Lichtung einzutauschen, dann wird auch die Bärinmutter im schäbigen Sommerfell irgendwo unter rankender Alpenrebe mit ihren Jungen hoch, nimmt den Paß aus der dunkelfeuchten Bärenschlucht durch das schirmende Verhau von riesenhaftem Alpenampfer, Alpenmilchlattich, Wasserschierling und Pestwurz und trottet mürrisch und schwer schränkend dem für jedes Schalenwild schier uneinnehmbaren Bollwerk des Riesenwindwurfs zu, wo aus allen tiefgerissenen Bodenwunden, über alle Wurfböden und quergetürmten Fallhölzer hinweg die Himbeere baumelt. Gleich zum erstenmal sind die sonnenbrandigen Dürrbäume lebendig geworden unter davonstiebenden Stürmen, und gleichzeitig ist dem Bärentrupp herbe Luft in die Nüstern gefahren: die Witterung des hochgeweihten Reckens des Urwaldes, des Hirsches, dem der Bär trotz seiner überlegenen Kraft in Ausdauer und Geschwindigkeit des Rennlaufes nicht annähernd gewachsen ist. Prasselnde Fahrt verhallt ferne, der Schwarzspecht schneidet in scharfem Flug seinen Warnruf in die aufgeschreckte Stille, Rindenborke blättert knisternd vom käferstichigen Dürrling, und wieder lauscht die beruhigte Stille dem äußerlichen Frieden.

Auf den hochgestapelten Wurfstämmen turnen die drei tief und tiefer in den Windwurf hinein und mummeln, behagensvoll schmatzend, die roten Beeren.

Die Alte biegt sich manchmal würdevoll mit plumper Pranke ein früchtebehangenes Ästchen zu und streift mit dem Fang die süße Labe ein, Rauhbautz und Brüderchen Mutz setzen sich in gemütlich kindlicher Art auf die Keulen, klauben ausgreifend den lockeren Rotschmuck mit den kleinen Pranken von den Zweigen und führen ihn zierlich in die kleinen Mäuler. Die Seherchen glänzen angeregt. Das ist wohltuende Rast, freie Sorglosigkeit nach wetterhartem, schwer durchgehaltenem Streit. So futtern sie sich manch liebe Sommernacht durch die strotzende Erntefreude.

 

Eines brennenden Sommermückentages aber kommt in die reine Waldlust ein fremder Ton, erst leicht und fein, später füllig und schwül, stichig beißend; drückend zieht es aus dem Tal herauf, klumpige Feuerwolken wälzen sich aufschwellend in den hitzegrauen Himmel, brandiges Geschwade schweift über den nächsten Rücken, zerfließt über Tälern und Bergen zu düstergelbem Schleier, einem eintönigen schweren Schleier über glühroten Tiefen – Waldbrand ist ausgebrochen. Vor seinem kienigen Ruch schützen auch die verstecktesten Verstecke nicht. Überallhin breitet sich der lästige Brandnebel aus. Die Alte kennt ihn, und auch die Jungen haben ihn bei den Hirtenfeuern häufig gespürt. Sie wissen, daß er nichts an sich hat von tierischem oder menschlichem Leben und bloß leblosen Gegenständen anhaftet; ihr untrüglicher Sinn findet an und für sich nichts Gefährliches an ihm, aber er ist doch gewohnt, ihn mit dem Menschen in Zusammenhang zu bringen und daher ihn besonders aufmerksam zu beachten.

Die Alte hat ihn oft genug in stillen menschenleeren Nächten frühjahrs oder spätherbstens von hochaufflammenden, knackenden Wäldern und knisternden Grashängen empfangen und an seinem Ursprunge keine Spur warnender Gefahr gefunden; sie hat gar manchmal im Licht des Waldbrandes nach Hirten und Schafen gesucht, erfolglos gesucht. Nun knattert er funkenstiebend, mit aufgewachter Luft aus der stürzigen Tiefe heran, durch modriges Fallgehölz hindurch, aufbaumend an schirmigen Harzfichten, hier, dort, drüben, aus dem Wipfel zu baumgleicher Fackel sich in den tagerhellten Himmel werfend und im Versprühen tot zusammenfallend.

Heißer Staub wabert. Der Windwurf brennt, die Himbeere sengt, und Bärinmutter und ihre Jungen müssen ausgeräuchert ihr stilles Habe, ihr geruhig schützendes Dach verlassen ...


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