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Krieg dem Schafräuber

Ratlos, machtlos stehen Schafwirte und Hirten vor dem furchtbaren Schrecken der Herden. In ihrer Bedrängnis rufen sie wieder den Herrn Jagdpächter an und zeihen ihn der Zucht des verfemten Raubzeugs und des gottlosen Bündnisses mit den Finsternissen der Nacht, aus welchem Grunde ihn allein alle Verantwortung für den erlittenen Schaden treffe. Der Bär müsse noch vor Anrichtung größeren Unheils, dessen es schon seit langem übrig genug, unverzüglich vertilgt werden, sei es mit der Waffe, sei es mit Eisen oder Gift. Nur müsse er, der erprobte Jäger, dabei wohl acht haben, daß nicht ein einziger von den treuen Wachthunden zu Gefahr komme. Der Herr Jagdpächter hält geduldig allen Anklagen und Befürchtungen stand, meinend, er sehe wohl den triftigen Grund für alle Beschwernisse ein; doch da zu ihm selbst in seinem entfernt gelegenen Wohn- und Wirtschaftskreis bis jetzt weder ein einziges Gerücht über solcherlei Vergehen noch auch ein bezügliches Ansuchen gedrungen sei, müsse er dies der Faulheit und Sorglosigkeit, ja sogar Pflichtschwäche der Hirten zuschreiben und daher jedes Mitwissen abstreiten und jede Verantwortung ablehnen; er sei aber trotzdem gewillt, ihnen zu willfahren, liege ihm doch selbst eine leichte Bärenbeute zur Erhöhung seines weiten Ruhmes am Herzen. Was also von seinen anerkannten Kräften abhänge – hierbei streckt er sich, innerlich belustigt, mit Würde und Selbstachtung in die Höhe –, so werde er alles tun, hoffe aber auch mit ebensolcher Bestimmtheit – es streift ein zweifelnder Blick die ganz ergriffenen Kläger daß auch die Hirten ebenso handeln und alle seine Anordnungen streng befolgen würden.

» Da, domnule – ja, Herr, darauf sollt Ihr Euch verlassen!« beteuern sie gerührt und begeistert, voll Hoffnung und Vertrauen auf das gute Gelingen.

Der Herr Jäger aber schlägt sein Lager in einer der alten Arbeiterhütten aus Wegbauzeit auf und richtet sich für Wochendauer bei offener Feuerstätte häuslich ein, so gut und rasch es eben geht; dann überläßt er die Obhut der Hütte Sonne, Mond und Wolken und verschwindet in den schattendüstern Tiefen des Urwaldes. Er ist allein, er braucht bei seinem Vorhaben keine Mithilfe. Sein erstes ist, des Bären Wechsel zu erkunden, dabei sorglich vermeidend, irgendwelchen Verdacht des Bären durch unvorsichtiges Kreuzen seiner Wege heraufzubeschwören. Gar bald hat er festgestellt, daß der Bär seinen Paß nach vollführtem Raubzug stets auf dem breiten Rücken in kürzester Linie bergab nimmt, bei der Bachschnelle oder der Talverzweigung die steile Bergböschung der alten Brandfläche hinunterrutscht, wovon in den Grasschwaden ganze Schleifen sich einfurchen; dann die Schnellen durchschneidet und am jenseitigen Steilhang emporsteigt, um sich dort im dichtesten Fichtenjungmais ins Tageslager einzuschlagen. Die tiefen Mulden im Boden, Losung umher, sind die Zeichen, daß auch dieser Große, mehr noch wie jeder Kleine, nicht geschützt ist vor Zeugnis und Verrat.

Bevor noch Uraleule und Sperlingskauz ihren Raub beschließen, hat der Bär seinen Rückpaß vollführt; und lange nachdem schon Fledermaus und Ziegenmelker durch den Nachthimmel zucken, erhöht er sich im Lager, um auf dieser selben Lehne bergan zu steigen, im Rundwechsel Sennhütten und Herden zu überfallen und vor frühester Morgenstille über Steg und Bach den Kreis zu vollenden. Nie überflieht er dabei den Steg an der gleichen Stelle, immer zeigt der aufdämmernde Tag die frische Spurfurche um eine Bodenrippe oder Geländeeinsenkung weiter verschoben.

Der Jäger macht seine Erkundungen kurz nach Aufleuchten der ersten Farben, um seine Nachwitterung bis abends ganz erkalten zu lassen. Als er alles recht gründlich und peinlich erkundet hat, trifft er die Vorbereitungen bei der Herde selbst. Dem Bären etliche Tage den Raub unauffällig leicht werden lassen, ist Grundbedingung dafür, ihn für eine Zeit an ein und denselben Ort zu binden, denn jedweder Widerstand zäh wiederholt, verfehlt seine Wirkung schließlich nicht und verleidet den Genuß des Machtstolzes auch der selbstbewußtesten Kraft. Daher dürfe nicht übermäßiger Lärm als Ausdruck gestachelten Verteidigungswillens geschlagen werden; es müsse der Schuß im Gewehre bewahrt, ein Teil der Hunde über Nacht bei der Sennhütte angebunden werden. Ein Hund allein werde sich beim Einbruch des Bären weniger vorwagen, um ihn zu belästigen. Hinwieder müßten die Hüter aller übrigen Herden: Hirten, Hunde und ausgeliehener Schuß sich währenddem zu vermehrter Verteidigung anlassen. Nach ausdrücklicher Versicherung der Hirten, daß alldies geschehen sei und nun Frate Nicolae, der Bär, seinen nächtlichen Rundgang bei der auserwählten Sennhütte tatsächlich jede Nacht todsicher beginnen und nach vollführtem Raub auch beenden werde, so daß der Preis für die gebrachten Notopfer im erbeuteten Fell des Bären und in der endlich verdienten Ruhe sich nun reichlich finden solle, bereitet sich der Jäger für den untscheidenden Schlag vor.

Damit es ja recht leicht und rasch gelinge, wird die Herde noch näher in die Krummholzbucht hineingetrieben. So wird der Aufhauch der Schafe im Winde, der nun schon seit etlichen Nächten stets gegen die untere Zunge der Latschen bläst, unmittelbar dem von schräg unten kommenden Bären entgegenschlagen. Neben der Herde dösen wie gewöhnlich im Halbschlaf die beiden Hirten. Ein Hund, der bekannt ist als pflichtgetreuer Aufmerker gerade nach der gewöhnlichen Angriffseite hin, da er seinen Posten immer in der Nähe des gefährlichen Latschenkeiles sucht, wird das Geräusch des nahenden Bären rechtzeitig melden. Alle übrigen Hunde werden nach dieser Anzeige, angebunden neben dem Lagerplatz, den Feind kläffend erwarten. Der Jäger selbst hat seinen Stand über Wind und Herde gewählt, umgeben und gegen Sicht gedeckt von einem kniehohen Nestwall loser Krummholzäste. So verrät er, oder der Windrichtung bleibend, seinen Herrenduft nicht dem Angreifer und kann über das Blendwerk hinüber unbemerkt seinen Schuß dem breit vorbeiwechselnden Bären antragen, wenn der nach dem Raube siegesstolz, die Beute im Fang und nicht gefaßt auf weitere Belästigung, dem bergenden Krummholz zustrebt. Gegen alle finsternden Launen von Nacht und Wolke hält der Jäger den Scheinwerfer bereit, um in dessen Licht im gegebenen Augenblick den Bären mit dem Fadenkreuz des Zielfernrohres sicher fassen zu können.

Im Schein der letzten müden Flacker teilen die beiden Hirten christlich den Abendmais. Motten und Schnaken kreisen ums Licht. Finstere Nacht sinkt auf den zusammenschauernden Brand, kaltes Schweigen lastet sich mit der bangen Frage auf die beiden Hirtengemüter, ob die Hand des Jägers auch sicher die Kugel blitzen lassen werde, ob nicht ein schwerer Wundschuß ihnen selbst unter den Branten des rasend gemachten Untieres die letzte Stunde bringen mag.

Die unendliche Ruhe der Nacht streicht mit löschender Hand über alle Sonnen und Schatten des Jägers und vermählt ihn mit den ewigen Gängen und Wandlungen, Schrecknissen und Feindlichkeiten der Natur, daß auch ihn der Zweifel an sich und seinem guten Beginnen erfaßt. Dort hinter dem Brande kauern die beiden sündigen Menschen, die auch genug betrogen und gestohlen haben, und dort wird er kommen mit strafender Brante, der uralte Raubritter dieser Waldburgen, ein Räuber, weil nun einmal der Raub die Bestimmung eines jeglichen Wesens ist. Und er, der Jäger, hockt hier auf der Lauer zwischen den beiden Erbfeinden, um befangenen Sinnes, voreingenommen, Partei zu ergreifen. Auf wessen Seite ist denn das Recht? Und dann steigt wieder das Raubtier Mensch in ihm, das nicht fragt nach Recht und Sinn, Überlieferung und Mitleid. Er ist ja hier, um zu töten, in Machtbewußtsein zu schwelgen, ist hier, um zu siegen, im Ruhm sich zu erhöhen. Die Spannung wächst, Erwartung fiebert, heiß rollt das Blut.

Die Finsternis zerfließt, Fahle gießt über, weit an drübigen Waldhängen schauert die Mondflut tief und tiefer herab, steigt diesseits kantig empor, macht die Herde in ihr leuchtend aufschwimmen. Die Schattenspeere der einzelnen Wetterfichten schneiden in die anschwellende Silberströmung. Klärend fällt in die brauende Stille Hundegeglock von der Sennhütte herüber. Von ferner Alm zerknallt warnend ein spitzer Schuß wie Peitschenschmiß die wache Ruhe.

Bei der Sennhütte plötzliches Auffahren, Hundegeschmetter, Gebrüll und Getobe – Lup – ein Wolf ist dort eingebrochen –,und läutend jagt ihn die Meute hinunter in den Wald. Lange noch siedet im Fichtenmeer unter der Alm das heiße Gebläff, verbrodelt langsam und verfließt schließlich in deutlichem Nahen zu des Jägers Jagdbereich ...

Auf dem gewohnten Wechsel trottet, peinlich den Mondschatten suchend, am Krummholzrand oder der Alm Frate Nicolae zum Schlafplatz seiner Herde, der Herde der Jährigen, heran. Aufmerksam verfolgt er die Jagd hinter dem Wolfe.

Er duldet zwar den Grauhund nicht in seinem Bereich, und jener hält sich sorgsam fern von ihm und dessen Jährigen, wenn er um die Melkschafe der Sennhütte herumschnüffelt – jetzt aber ist Nicolae die Jagd in die Talgründe ganz genehm, beschäftigt sie doch inzwischen die Meute, an deren Geläut er gut die ganze vereinigte Hundeschar der beiden Herden erkannt hat.

Also vorwärts, bevor die Hunde zurückkehren!

In ausgreifendem Trott nähert er sich dem Lagerplatz. Doch schon pocht hie und da ein Köterlaut heran. Nicolae wird langsamer. So wie er immer tut, stürzt er sich nicht blindlings in die Flut. Von weitem schon nimmt er die Herde in die Nase und zerstückelt sie nach Form und Zugehör. Diese Seite wäre abgewonnen. Nun leise heran, daß er an der Ecke mit einmal ungemerkt hervortauchen kann. Leicht bewegen sich die Nüstern, die Seher glühen, die Gehöre spähen. Er vertieft sich auf die Keulen, äugt zurück, hinunter, setzt spielend weich, fast im Kreuzgang, Brante vor Brante, lauscht, duckt sich wie der Luchs.

Vor dem Krummholzeck ist eine kleine Bodenstaffel. An die schiebt er sich im Mondschatten heran, um den Blick in die Herde schief vor sich zu gewinnen. Er fühlt die alte Unbehaglichkeit, als er unter den schirmenden Latschenästen groß ins Freie hineinwächst.

Einen Gedankenblitz lang nur verhofft er. Da jault es vor ihm auf, und beim nächsten Kopfschwenken schon stürzt, wie aus dem Grund geschachtet, die ganze Hundemeute vor. So plötzlich überrascht, zieht er sich in den Schutz der Latschenäste zurück und tappt rauschend und knarrend von Geäst zu Geäst. Hoch schwanken unter den Tritten die Besen. Kein Hund wagt sich in das Gestrick.

Nicolae will die Kerle täuschen. Er will sie sich mit Krach und Gedröhn den Rand entlang nachlocken; dann will er in das Krummholz tief und rasch hineindringen, im Busch einen Bogen schlagen, zum Ausgangsort zurückwechseln und, während die Hunde immer noch am jenseitigen Rand verbellen, in die Herde einbrechen.

Plötzlich zerschlägt eine besondere Entdeckung seinen Schlachtplan: Er dringt in einen Windstreifen, der voll fremder Menschenwitterung ist, die nicht zu den Schafen gehört, einer Witterung, die aus einem Korb frisch gebrochener Latschenäste kommt, wie er ihn nun deutlich durch die Zweige abseits oder der Herde gewahrt, einer Witterung, wie sie fremdes, fahrendes Volk an sich hat, das niemals geheuer ist. Frate Nicolae besinnt sich nicht lange. Er achtet nicht mehr auf Hunde und ähnliche Maulhelden. Gewichtig und schwer wie jedesmal, wenn er nicht zu pirschen hat, kracht er durch und über das aufbäumende Latschengekrümm von dannen.

Der Jäger hört es, weiß die Deutung: Windverrat und Windsünden. Schon hatte er den Bären wie die finstere Unnacht vor dem Krummholz starren gesehen, schon zuckte die Hand am Züngel, da verschwand der Bär auch schon wie ein Geist vor der anstürmenden Hundekoppel.

Die Nacht versinkt. Der erste Schauer zieht durch die Pinselbürsten der Legföhre um den im Pelze ruhig eingeschlafenen Jäger. Perlender Tau liegt auf ihm, als er erwacht.

 

Wäre es wirklich schöner, wenn man jedes heiße Blut, jede höchste Kraft mit einem Handstreich billig löschen könnte, leicht, spielend, feig aus sicherem Hinterhalt mit Schieß-, Ziel- und Sehrohr, wie sie irgendeiner erfunden?

Ja, wäre es nicht um die Zwiesprache mit der Natur, solch selige Nacht wäre umsonst gelebt. So aber ist sie erlebt, und der Jäger schultert frohgemut die Büchse, nun selbst im Kreise von der Hunderotte verbellt. Die Schafe glocken auf, das Hirtenfeuer springt empor, der Treibruf schwillt bei der Melkhürde. In fernes Waldmeer taucht der letzte Stern. Wie stets, so hat auch diesmal der Hirte in den sorgsam gezogenen Kreis die Lücke gerissen; so wie er ja auch in jedem Hürdenrund irgendwo doch ein Loch für den Wolf, einen Einsprung für den Bären frei läßt. Daß die Hirten die Hunde entgegen dem Befehl nicht angebunden, hat Nicolae gerettet. Eine Woche lang wird er nun fernbleiben. Wenn er dann wiederkommt, ist der Jäger schon davon und die Hirten haben ihr altes Los.

Doch wie immer! Was nicht Frate Nicolae nimmt, verschwindet in ihrem eigenen Magen und Darm; und wenn auch der gute Frate Nicolae einmal vom Stammtisch ausbleibt, so wird doch noch immer ein Schaf auf sein Merkholz gekerbt. Drum ist es auch dem Hirten nicht ernst um die Vertilgung des Bären, denn wenn der ganz verschwände, mit wem hätte der Hirte die Sünden zu teilen, wem kreidete er seine eigene Schuld auf die Zechtafel?

So streiten sie denn mit viel Gehabe, Lärm und Geschrei in stetem Kampf gegeneinander und sind doch angewiesen aufeinander, und der Bär, der ehrlichere, edlere unter ihnen, nimmt alle Schuld auf sich.

Es ist stillschweigend ausgemachte Überlieferung, daß einer den andern neben sich leben läßt: » Sǎ trǎim toti – Wir sollen alle leben!«


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