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Zweites Kapitel. Die Begegnung.

Unschlüssig lagerten sich unsere Freunde an einer schattigen Stelle. Die auffallende Ruhe in der Niederlassung und der räthselhafte Rauch, der ununterbrochen zwischen den Palmen emporwirbelte, machten sie stutzig. Waren es friedlich gesinnte Eingeborene, die hier in einer Abgeschiedenheit, um welche sie Dichter und Philosophen hätten beneiden können, ihren Neigungen lebten, oder befand sich die männliche Bevölkerung der Hütten etwa auf einem kriegerischen Streifzuge? Diese Fragen legten sich sowohl Fürchtegott als Walter vor, und daß auch die Indianer nicht völlig sicher waren, ob man einen freundlichen oder feindlichen Empfang bei den Einwohnern des schönen Thales finden werde, ging aus dem vorsichtigen Umherspähen, dem lebhaften Gedankenspiel und dem gänzlichen Schweigen Beider nur zu deutlich hervor. Nach längerem Harren richtete Walter folgende Fragen an die Führer:

Kennt ihr diese Niederlassung?

Beide schüttelten das Haupt.

Wofür haltet ihr die Bewohner der Hütten?

In diesem Augenblicke verzog sich der Rauch, man hörte einen Gesang, verbunden mit verworrenem Rufen Vieler, das jedoch bald verstummte und durch singende Stimmen übertönt ward. Die Melodie, welche ein lauer West zu den Hügeln trug, ähnelte vollkommen einem Choralgesange, obwohl kein Wort davon zu verstehen war. Jetzt sprangen die Indianer freudig auf, indem sie sagten:

Es sind weiße Prediger, wir treffen Freunde!

Unverweilt brachen die Lagernden wieder auf und stiegen, obwohl mit Vorsicht, ins Thal hinab, indem sie alle Gebüsche möglichst vermieden. Nun ward es auch lebendig bei einzelnen Hütten. Man sah Frauen und Kinder vor den Thüren, und von dem Kreise, welchen die Palmengruppe bildete, schritten eine beträchtliche Menge festlich geschmückter Indianer, von mehreren Männer in europäischer Tracht begleitet. Diesem Trupp näherten sich jetzt die Ankömmlinge, schon von fern durch Zeichen des Friedens ihre freundlichen Gesinnungen verkündigend. Ernst gaben die Bewohner der Niederlassung ebenfalls durch Zeichen zu erkennen, daß man die Fremden gastlich aufnehmen werde.

Ein Viertelstunde später finden wir unsere Freunde im Innern einer der größten Wohnungen des glücklichen Dorfes wieder, umgeben von mehreren, meistentheils sehr ernst blickenden und eine stolze Würde zur Schau tragenden Indianern und drei Europäern. Fürchtegott empfängt so eben aus der Hand des Hausherrn die Friedenspfeife, die er mit seltsamen Gefühlen und mit einer Art Andacht annimmt, um der Sitte zu huldigen. Nachdem diese Ceremonie vorüber und somit ein friedliches Zusammenleben der Weißen mit den rothen Männern sicher angebahnt ist, wendet sich der Häuptling mit der Frage an unsere Freunde, was sie in diese entlegene Gegend geführt habe? Der Sprache unkundig verdolmetscht diese einer der Europäer, worauf denn Fürchtegott Ammer eine genügende Antwort gibt.

Die rothen Männer waren zartfühlend genug, nach diesem kurzen, politischen Examen sich zurückzuziehen, weil sie es den fremden Ankömmlingen ansehen konnten, daß diesen eine ungestörte Unterhaltung mit den vorgefundenen Landsleuten sehr erwünscht sein werde. Diese Landsleute waren umherziehende Missionäre, hatten so eben in der Mitte jener Palmen, über deren Wipfeln die Rauchwolke stand, eine Anzahl Männer getauft, und dabei mit Bewilligung der bekehrten Indianer Alles, was diese an ihr früheres Heidenthum später wieder hätte erinnern können, auf besonders zu solchem Zwecke errichteten Scheiterhaufen feierlich den Flammen übergeben. So erklärte sich die verrätherische Rauchsäule, deren Entstehung die Freunde sich nicht zu deuten wußten. Das Anstimmen des evangelischen Chorals »Nun danket Alle Gott« hatte die Feierlichkeit geendigt.

Fürchtegott pries sein gutes Glück und seinen Stern, der ihn so gut geführt hatte, und wendete sich mit Fragen an die Prediger-Missionäre, von deren Beantwortung seine ferneren Beschlüsse, sein weiteres Vordringen in die Wildniß abhängen mußten.

Sind Ihnen, werthe Landsleute, die Namen aller Missionäre, die in diesen Gegenden das Wort von Christus verkündigen, genau bekannt? sprach er zu dem Aeltesten und, wie es ihm scheinen wollte, auch Mildesten der drei Prediger. Er wählte diese, von Natur seinem Charakter eben nicht zusagende Redeweise, weil ihm die Phraseologie der ächten Herrnhuter alten Styls vollkommen geläufig war und ihm jetzt Alles daran lag, für fromm und rechtgläubig zu gelten.

Wenn der Heiland mein Gedächtniß nicht hat schwach werden lassen, wofür ich ihm ja auch danken würde als sein unwürdiger und demüthiger Knecht, versetzte der Prediger, so glaube ich mit gutem Gewissen diese Frage mit einem zuversichtlichen Ja beantworten zu dürfen.

Dann kennen Sie gewiß den gegenwärtigen Aufenthalt Ihres Collegen und Bruders im Herrn, des Predigers Johannes? fragte Fürchtegott, während sein Herz so heftig zu klopfen begann, daß er die Worte nur mit Mühe über seine Lippen bringen konnte.

Die sanften Züge des Missionärs nahmen einen wahrhaft verklärten Ausdruck an. Seine schwärmerischen Augen blickten in den tiefblauen Himmel, und während er die Hände betend zusammenlegte, erwiderte er:

O ja, dem Heiland sei Dank, den kenne ich.

Und geht es ihm wohl? fragte Fürchtegott hastig weiter.

Sehr wohl, lautete die Antwort.

Lebt er weit von hier?

Ein glückliches Lächeln überstrahlte das Antlitz des frommen Missionärs, während er versetzte:

Lieber Freund und Bruder in Christo, diese Frage kann ich unmöglich mit völliger Bestimmtheit beantworten. Ich hoffe und glaube, daß er nicht weit von hier weilt, ja für meine Seele ist die beglückende Annahme eine Erquickung, daß er unsere Unterredung vielleicht hört, indem er ja leicht mitten unter uns sein kann

Johannes! unterbrach Fürchtegott den Sprechenden.

Gewiß, fuhr der Missionär fort. Es hat dem Herrn gefallen, den frommen Dulder schon vor einigen Monaten abzurufen und jenen Schaaren der Seligen beizugesellen, die da ausruhen von ihrer Arbeit in der unmittelbaren Nähe ihres Heilandes und sich erquicken am Gesange des nie verklingenden Hallelujah.

Also todt! sagte Fürchtegott wie in Gedanken, und glühende Röthe überflammte sein bisher sehr bleiches Gesicht. Johannes, der Prediger ist gestorben!

Im Glauben an seinen Herrn und Meister, und beglückt und beseligt in dem Gedanken, Gott gedient zu haben, soweit seine Kräfte reichten.

Kennen Sie des Verewigten Ruhestätte? fragte Fürchtegott, mit festem Willen seine Bewegung bemeisternd.

Ich kenne sie, mein Freund, und will Ihnen den Ort beschreiben, denn ich darf wohl annehmen, daß ich in Ihnen einen sehr vertrauten Freund des Seligen vor mir sehe.

Statt einer Antwort machte Fürchtegott ein stummes Zeichen der Bejahung.

Nun so hören Sie und merken Sie genau auf meine Worte, begann der Missionär. Eine halbe Tagreise von hier flußaufwärts öffnet sich ein lieblich bewaldetes Thal, von steilen Felsgebilden und hohen Bergkuppen so wunderbar umrahmt, daß die heißen Strahlen der Sonne nur gebrochen in die kühlen Gründe desselben hinabdringen. Diese merkwürdig geschützte Lage verleiht jenem Thale eine wahrhaft paradiesische Temperatur und macht es zu einem der gesundesten Aufenthaltsorte in diesem so überheißen Lande. Dort lebte der fromme Johannes; dorthin kamen die von ihm und seiner treuen Gattin Bekehrten, um ihren Lehrer zu sehen, und Trost und Kraft aus dem Honig seiner Rede zu saugen. In jenem Thale unter zwei gewaltigen Sycomoren haben wir betend und weinend seinen verblichenen Leichnam in den Schooß der Mutter Erde gebettet, die ihn tragen und wiegen möge bis zum Tage der Auferstehung.

Der tiefinnige Ton des Sprechenden, der ungekünstelte Schmerzensausdruck in den so ruhigen Mienen des gottergebenen Missionärs machten auf Fürchtegott einen gewaltigen Eindruck. Auch Walter, der mehr zum Scherzen aufgelegt war und zu manchen Stunden dem ganzen Missionswesen mit scharfer Geißel zu Leibe gehen konnte, ward gerührt. In des jungen Ammer's Seele kreuzten sich nach Anhörung dieser Erzählung eine Menge Gedanken. Vergangenheit und Zukunft knüpften in schnell entstehenden und momentan ihn entzückenden Bildern einen wunderbaren Freundschaftsbund. Er sah sich im Geiste wieder daheim vor seinem innern Gesicht lag der stille Friedhof der herrnhuter Brüdergemeinde, ein Grabstein mit dunkeln Buchstaben schimmerte zu seinen Füßen, und jenseits desselben wandelten zwei Frauengestalten in Trauergewandung.

Er schwieg eine Zeitlang, in tiefes Sinnen verloren. Die reizvolle Umgebung, in die ein abenteuerlicher Drang oder göttliche Bestimmung ihn geführt, existirte nicht mehr für ihn, sein aufgeregter Geist schwärmte in ungemessenen Weiten. Endlich führte ihn die Berührung und ein sanftes Wort des Predigers wieder zurück in die Gegenwart.

Mein Bruder ist betrübt, sprach der fromme Mann. Es ist ihm in Johannes gewiß ein sehr lieber Freund gestorben.

Fürchtegott richtete zerstreut die Frage an den Missionär:

Was ist seit dem Tode Johannes aus dessen Wittwe geworden?

Erdmuthe lebt und lehrt, versetzte der Gefragte. Sie ist eine so edle, reine, große Seele, daß, wenn es Heilige gibt, sie dereinst gewiß einen Ehrenplatz unter denselben einnehmen wird.

Und wo lebt und lehrt Erdmuthe Gottvertraut? fragte Fürchtegott auf's Neue.

Sie hat ihre Hütte unfern des Thales, das ich dir beschrieben, und in dessen kühlem Schatten der Prediger Johannes ruht, aufgeschlagen. Du findest ihren Wohnort ohne Führer, mein Bruder. Merke auf meine Rede und präge dir fest ein, was ich dir sage. Hinter den Sycomoren am Grabhügel des Verewigten wirst du Spuren eines Pfades entdecken. Dieser Pfad führt an den schönen Abhängen des Thales fort bis zu einem hohen Plateau, das sich durch die Zahl und Größe seiner unvergleichlich schönen Cancantribäume auszeichnet. Dort lebt Erdmuthe, die fromme Dulderin, umgeben von einer Anzahl von ihr getaufter Indianer und Indianerinnen, die sie wie ein höheres Wesen verehren.

Ist sie glücklich? fragte Fürchtegott mit erschreckender Heftigkeit. Kann die zarte, europäische Frau glücklich sein unter Halbwilden?

Mein Bruder, versetzte der Prediger-Missionär. Du scheinst zu vergessen, daß die sie umgebenden Indianer Christen, fromme, herrnhutische Christen sind, wie wir selbst; daß sie im Bade der heiligen Taufe den alten Adam ausgezogen und einen neuen Menschen angelegt haben mit Beten und Seufzen, und du weißt ja wohl und begreifst, was da geschrieben steht im Worte Gottes: »Unter allerlei Volk, wer Gott fürchtet und Recht thut, der ist ihm angenehm!«

Fürchtegott fühlte, daß er unvorsichtig eine lieblose Aeußerung gethan hatte, die er jetzt wieder gut zu machen suchte.

Verzeihe, sprach er zu dem Missionär, deine Nachrichten haben mich zu gewaltig erschüttert und meinen Geist schier übermäßig angegriffen. Ich glaubte einen Freund in diese meine Arme schließen zu können, und finde statt seiner einen Grabhügel, dessen Blumen ich nur mit meinen Thränen benetzen kann. Diese Gewißheit, lieber Bruder, hat mich ungerecht gemacht. Auch ist meiner Sendung gewissermaßen die Spitze abgebrochen, denn ob die Wittwe des Predigers Johannes meine Aufträge ihrem ganzen Inhalte nach auszuführen vermag, ist mir im Augenblicke noch unklar. Nun aber, fuhr er fort und reichte dem Missionär die Hand, nun empfange von Herzen den Dank eines Bruders für deine Mittheilungen. Ich darf nicht länger hier weilen. Die Pflicht ruft mich, weiter zu wandern, um in Seinem Dienste als treuer Knecht erfunden zu werden. Dir, du wackerer Kämpfer im Heere des Herrn, wünsche ich Glück und Segen, damit du noch viele so schöne Tage sehen mögest, wie den heutigen, wo eine Schaar dem Herrn Gewonnener dankbar zu dir aufblickt.

Mit einem Bruderkuß verabschiedete sich Fürchtegott Ammer von dem Missionär und seinen Begleitern, rief dann seinen indianischen Führern zu, die inzwischen ein lebhaftes Gespräch mit ihren Stammgenossen geführt hatten, und schickte sich darauf zur Weiterreise an. Die Prediger und einige der Neubekehrten begleiteten die beiden Europäer bis an die Grenze der Niederlassung, während Frauen und Kinder aus dem Schatten ihrer Wigwams den Fremden neugierig nachsahen.

Als man sich getrennt hatte und die prachtvolle Niederlassung bereits einige hundert Schritt hinter unsern Freunden lag, berührte Walter den Arm Fürchtegott's und redete ihn folgendermaßen an:

Weißt du, Freund, daß du einen Weg dahinwandelst, der nicht eigentlich für so profane Füße, wie die deinigen, geebnet wurde? Du hättest Schauspieler werden müssen.

Der junge Ammer sah ihn mit großen Augen verwundert an.

Ganz gewiß, fuhr Walter fort. Wenn ich bedenke, wie natürlich du Ton und Haltung eines lehrbegierigen Herrnhuters, vielleicht ohne es recht zu wissen, im Gespräch mit dem Missionär annahmst, so möchte ich fast bedauern, daß ein so köstliches Nachahmungstalent der Bühne verloren gegangen ist. Oder steckt wirklich eine herrnhutische Ader in dir?

Fürchtegott lachte. Nein, Freund, erwiderte er. Ich bin ein zu großes Weltkind, liebe Glanz, Vergnügen, irdische Güter aller Art zu sehr, als daß ich mich dem geflissentlichen Kopfhängen mit Herz und Seele ergeben könnte. Aber du weißt, daß, wenn man ein großes Ziel erreichen will, man auch oft genöthigt ist, mit den Wölfen zu heulen. Ich füge mich einfach den Verhältnissen; ich bin fromm und gläubig, weil eine fromme Atmosphäre mich umfluthet. Schlürfe ich Seeluft, so klopft mein Herz anders und die Lippe spricht andere Worte, und falle ich räuberischem Gesindel in die Hände, so wäre es nicht unmöglich, daß ich mich, um Leben und Freiheit wieder zu erhalten, zum Schein an einer ihrer wenig lobenswerthen Unternehmungen betheiligte. Der weise Salomo oder war's ein Anderer, hat es ja schon gepredigt, man solle sich in die Zeit schicken.

Gut, versetzte Walter, ich kenne jetzt deine Weltansicht so ziemlich und will dir ob derselben keine Vorwürfe machen, eine Frage aber wirst du mir noch beantworten, nicht wahr?

Wenn ich kann, weßhalb nicht?

Hast du wirklich Aufträge der Brüder, die in diese entfernten Gegenden dich führen?

Zweifelst du daran?

Ja, seit der Unterredung mit dem Missionär.

Warum?

Weil du ihm tüchtig etwas vorgeflunkert hast.

Schadet ihm das? Nicht, daß ich wüßte, mir aber hat es viel genützt, denn ich nähere mich, durch seine Auslassungen trefflich unterstützt, viel rascher, als es ohne seine Weisungen hätte geschehen können, dem Orte meiner Bestimmung.

Also du bist gewiß und wahrhaftig beauftragt, unter die Heiden zu gehen und den Missionären Instructionen zu überbringen? Du, das arge Weltkind, ein Bote frommer Heidenbekehrer?

Und darüber geräthst du in so gewaltiges Erstaunen? sagte Fürchtegott. Ich hätte dir mehr Weltklugheit zugetraut. Weißt du denn gar nicht oder hast du es nie beachtet, weil es freilich nicht in dein Fach gehörte, daß die Obern dieser predigenden Missionäre sehr fromme Christen und nebenbei auch sehr kluge Handelsleute sind? Es ist gewiß ein Verdienst, Seelen zu retten, aber es macht viel Freude, sein Gut sich nebenbei mehren zu sehen. Wenn nun das Eine durch das Andere erreicht werden kann, glaubst du, es sei in diesem Falle der herrnhutische Bruder so thöricht, die Hand nicht auszustrecken nach dem Mammon, nicht niederzufallen vor dem goldenen Kalbe? Mein Freund, du irrst. Wir sind allzumal materiell gesinnte Menschen und ich bin ein Sendling unter die Heidenbekehrer, um weltliche Geschäfte besser noch als bisher in Flor bringen zu können. Jetzt kennst du das Ziel dieser abenteuerlich scheinenden Reise. Hab' ich's erreicht, so werde ich auf Flügeln des Windes diese schöne Wildniß verlassen, und vielleicht mich nach der Himmelsgegend wenden, unter deren Horizont das alte Europa liegt.

Walter hatte dem Freunde mit Aufmerksamkeit zugehört, jetzt sagte er, sich ein wenig auf's Aushorchen legend:

Also Handelsgeschäfte willst du unter den Heiden und mit den Heidenbekehrern machen? Und das ist Alles, was dich hierher treibt?

Ich hoffte auch alte Bekannte wieder zu sehen, sagte Fürchtegott kühl, wodurch sein Begleiter veranlaßt wurde, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben. Walter ahnte, daß der junge Kaufmann ein Geheimniß in seine Brust verschließe, das er einem Dritten entweder nicht enthüllen könne, oder nicht wolle. Mit weiteren Fragen in ihn zu dringen, schien nicht zeitgemäß zu sein.

Schon nach dreistündiger Wanderung erkannten die Reisenden, daß sie dem beschriebenen glücklichen Thale sich näherten. Sie befanden sich wieder vollkommen in der erhabenen Einsamkeit der tropischen Natur. Ungeheure Baumriesen ragten mit ihren schlanken Wipfeln in schwindelnde Höhe empor. Schlinggewächse, wie sie Fürchtegott nie gesehen, umrankten in zahllosen Windungen die colossalen Stämme und schütteten aus dem dunkeln Laubgewirr der Baumkronen ein reiches Füllhorn duftender Blüthen, das an zartem Pflanzengefaser netzartig zur Erde herabhing und wie ein colossaler Schleier im Luftzuge erzitterte. Oder prachtvolle Moose quollen schäumenden Bächen gleich aus dem breiten Geäst gewaltiger Bäume oder flatterten im Winde wie Bärte versteckter Riesen. Alles war wunderbar, fesselnd, großartig, aber keines Menschen Fuß weilte in dieser Gegend. Nur die Thierwelt schien sich wohl in dieser totalen Einsamkeit zu befinden, denn selbst die schüchternsten Vögel ließen sich durch das Erscheinen der fremden Wanderer nicht stören, sondern sahen mit klugen Augen ihnen neugierig nach und schüttelten höchstens ihr buntfarbiges Gefieder in der goldblauen, sonnendurchleuchteten Luft.

Gegen Abend betraten die Freunde das beschriebene Thal. Obwohl die Sonne noch ziemlich hoch stand, fiel doch schon seit längerer Zeit kein Strahl derselben in diese Bergbucht. Die Luft war von wohlthuender Weiche, die smaragdgrünen Bergmatten erquickten das Auge; das Gebüsch bildete köstliche Bosquets und die von dem hohen Bergrücken herabspringenden Quellen eilten unter Kichern und Plaudern dem größeren Bache zu, der mit seinen klaren Wellenaugen dies versteckte Paradies neugierig betrachtete.

Fürchtegott glaubte nicht mehr in Südamerika zu sein. Das war europäische Vegetation; so klang das Lied der Berggewässer, so rauschten die Bäume, so schlug der Buchfink, so hämmerten Specht und Häher. Ein glückliches Gefühl bemächtigte sich beider Freunde, und stumm reichten sie sich die Hände.

Nach halbstündiger Wanderung entdeckten sie die von dem Missionär ihnen bezeichnete Sycomoren-Gruppe, unter deren Schatten sich das Grab befinden sollte. Bald standen sie neben dem unscheinbaren Hügel, den eine liebevolle Hand mit Blumen besteckt hatte. Dies mußte erst vor Kurzem geschehen sein, denn viele waren noch fast ganz frisch. Mitten auf dem Grabe lag ein schmaler Stein, der in nicht sonderlich gerathenen Buchstaben die Worte trug:

»Dem Andenken des evangelischen Missionärs
Johannes Gottvertraut
seine dankbaren Jünger im Herrn.«

Obwohl Fürchtegott Ammer den Mann, der unter diesem Hügel schlief, nie mit Augen gesehen hatte, überwältigte ihn doch die Rührung und eine unwiderstehliche Macht drückte ihn beinahe gewaltsam auf die Kniee nieder. Walter folgte seinem Beispiele, während die dunklen Gestalten der beiden Indianer bewegungslos in einiger Entfernung stehen blieben.

Fürchtegott faltete die Hände zum Gebet, seine Lippen bewegten sich, hätte ihn aber Jemand gefragt, was er bete, in welche Worte er die Empfindungen seines Herzens an diesem Grabhügel kleide, so würde er darauf keine Antwort haben geben können. Er handelte wie ein Träumender, und als er jetzt gewahrte, daß ein paar Thränen seinen Augen entfielen, da sprang er rasch auf, kehrte dem Grabe den Rücken zu und schritt durch die Gruppe der Sycomoren, um den Pfad zu suchen, der nach dem mit so verführerischen Worten geschilderten Plateau geleiten sollte. Nach einigem Hin- und Hergehen fand man Fußspuren, die indeß schwer zu verfolgen waren in dem hohen üppigen Graswuchse, welcher das ganze gesegnete Thal erfüllte.

Den scharfen Augen der Indianer, von frühester Jugend an das Aufspüren schwer zu entdeckender Pfade gewöhnt, war es jedoch ein Leichtes, sich hier zurecht zu finden. Sie schritten voran, gefolgt von den Freunden, und schon nach halbstündigem Emporklimmen in schmaler, mehrfach sich windender Schlucht, erreichten die Wanderer die Hochebene. So viel Neues, Eigenthümliches und Wunderbares Fürchtegott in den letzten Tagen auch anzustaunen gehabt hatte, es ward jetzt durch den Anblick der vor ihm liegenden Landschaft doch gänzlich verdunkelt. Die am wolkenlosen Himmel langsam versinkende Sonne warf goldene Duftschleier über das ganze gegen Westen mäßig ansteigende Plateau, das von drei Seiten schön geformte Hügelzüge begrenzten. Die zahllosen Cancantribäume auf der mehrere Stunden breiten Hochfläche erschienen in diesem Abendsonnenglanz von blühenden Rosenlauben überwölbt zu sein, denn der Schnee ihrer die grünen Fächer überdachenden Blüthenfülle erschien rosig angehaucht. Hin und wieder zeigten sich grasende Heerden, und über den Rosenbaldachinen tanzten tiefblaue oder auch purpurfarbene Rauchsäulen, je nachdem sie ein Sonnenstrahl traf oder der feine Schatten einer schlanken Palme sie deckte. Diese Rauchsäulen verliehen der ganzen wunderbar reizenden Gegend einen ungemein friedlichen Anstrich. Es hätte nicht noch der mancherlei thierischen Töne, nicht des fröhlichen Jauchzens spielender Kinder bedurft, um den Freunden die Gewißheit zu geben, daß sie hier eine jener wenigen Oasen wirklichen Weltglückes betraten, an denen die Erde so reich sein könnte und die doch nur so selten zu finden sind, und fast immer nach kurzem Bestehen durch feindlich heranbrausende Stürme mit dem Flugsande der Unzufriedenheit oder der Mißgunst Fremder wieder überschüttet werden.

Ein schmaler Pfad, anfangs wenig betreten, später sich zum Wege ausbreitend, führte auf die schönste Gruppe der Cancantribäume zu, und bald bemerkten die Freunde mit freudigem Erstaunen, daß in der natürlichen Fächerumzäunung jedes dieser wunderbaren Bäume eine reizende Hütte stand, aus deren Schornstein Rauch aufwirbelte und durch das Laubwerk und das Blüthendach dringend, seinen weithin erkennbaren Wimpel stillen Friedens in die sonnige Luft emporflattern ließ.


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