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Zehntes Kapitel. Die überraschende Nachricht.

Christlieb Ammer gehörte zwar zu den aufgeklärteren jungen Leuten, dennoch war er weder ganz frei von Aberglauben, noch konnte er sich gewisser Einflüsterungen enthalten, an denen das Volk großentheils heute noch hängt, die es als Orakelspruch achtet.

Wir wissen, daß Christlieb zuerst die Bekanntschaft Zobelmeiers machte und daß dieser ihn veranlaßte, eine Terne im Lotto zu besetzen. Er that es, ohne zu gewinnen. Inzwischen war der Vater dem Beispiele des Sohnes gefolgt, hatte dabei dem Zufalle völlig freies Spiel gelassen, und siehe da, das launenhafte Glück warf ihm Hunderttausend in den Schooß!

Es ist Volksglaube, daß man mit erborgtem Gelde glücklich spielt; dasselbe gilt von Zahlen, die Jemand aufgedrungen worden oder die man irgendwo findet. Schon ein zufälliges Erlangen derselben wird für ein günstiges Zeichen gehalten. Ferner glaubt man fest daran, daß alles verbotene Spiel Glück bringe, selbst ein offenbares Unrecht, eine Unredlichkeit, die dabei mit unterläuft, kann das Glück eher anlocken und festhalten, als vertreiben.

Von diesen verführerischen Lockungen förmlich umstrickt, glaubte Christlieb Ammer einen Griff in die dunkel verhüllte Zukunft thun zu dürfen. Er hatte das Glück nicht aufgesucht, ein Fremder brachte Nummern, die es sich auserlesen haben konnte, in's Haus, spielte sie ihm in die Hände! Sollte er sie von sich weisen? Sollte er sie gleichsam auf die Straße werfen, damit ein Dritter sie auffange, der weniger skrupulös war, als er selbst? Und was ging ihn das Verbot an? Es bedurfte ja nur einiger Zeilen an Zobelmeier und Alles war bestens geordnet. So trug denn der Sohn eben so verschwiegen die Glücksnummern zur Thür hinein, wie sie einige Minuten früher der Vater zum Fenster hatte hinausflattern lassen. Das Thun Beider blieb Allen ein Geheimniß.

Schon während des Gesprächs mit dem Glassammler hatte es angefangen stark zu dunkeln; es war daher für heute an eine Rückkehr des jungen Ammer mit dem Herrnhuter nach Weltenburg nicht mehr zu denken. Frau Anna traf Anstalten, für Wimmer das Gastzimmer herzurichten, und Flora mußte für eine kräftige Abendmahlzeit die Sorge übernehmen. Ammer zeigte sich, nachdem eine offene Aussprache gegen den alten Freund ihm das Herz erleichtert hatte, völlig unbefangen und sogar cordial. Er war gesprächig, erzählte Anecdoten, brachte längst vergessene Geschichten aus früher Jugend wieder auf's Tapet und kam endlich auf den ermordeten Grenzjäger und die an dem Orte der Blutthat vorgefundenen Papiere. Plötzlich ward er ernst und sah nachdenklich vor sich hin.

Was ist dir, Vater? fragte Flora, den Abendtisch deckend.

Je mehr ich mir's überlege, sprach Ammer, desto mehr will mir's einleuchten, daß wir dem alten, geschwätzigen Narren die Papierstücke entweder gar nicht hätten zurückgeben oder ihn anhalten sollen, sie dem Gerichte auszuliefern. Sie gehören mit zu dem, was die klugen Herren von der Feder Corpus delicti nennen. Wer weiß, ob sie nicht gerade mit zur Entdeckung der Mörder beitragen könnten! Hm, hm! Ich denke, es kann nichts schaden, wenn ich mich selber noch aufmache und dem Leisetritt in's Gewissen rede. Am Ende gäbe es sonst noch ein Unglück mit dem fatalen Funde.

Du kannst ja lieber Jemand schicken, bemerkte Christlieb, oder ich will statt deiner hingehen.

Hast Recht, ruf mir den Färber.

Christlieb entledigte sich eiligst seines Auftrages, und ein paar Minuten später war der Färber, ein zuverlässiger und besonnener Mann, auf dem Wege zu dem alten Glassammler.

Wimmer streifte sein ihm zur Gewohnheit gewordenes, nach Frömmelei schmeckendes Wesen ab und war ungewöhnlich heiter. Die Reminiscenzen seines Freundes erweckten auch in ihm alte Erinnerungen, und so gab es denn bei Tische eine recht angenehme und erheiternde Unterhaltung. Flora und die Uebrigen verloren schon deßhalb ihre üble Laune, weil sie den Vater so gut gestimmt sahen, was eine nicht eben alltägliche Erscheinung war. Sie schlossen daraus, daß die Unterredung mit dem Herrnhuter seine Zweifel beseitigt, seine Bedenken gehoben, seine Bekümmernisse abgeworfen haben müsse.

Sage mir aber jetzt, alter Freund, sprach er während der Abendmahlzeit, warum mischt sich eigentlich Graf Alban in eure Handelsangelegenheiten? Ich habe früher immer geglaubt, dem sehr kenntnißreichen Herrn liege nur das Seelenheil der Brüder und derer, die sich im Stillen zu ihnen halten, am Herzen, und nun hat er doch seine Hand zwischen deren weltlichen Angelegenheiten.

Das ist mit wenigen Worten gesagt, erwiderte Wimmer. Die Brüdergemeinden besitzen keinen Mann, welcher die überseeischen Länder gründlicher kennen gelernt hat, als Graf Alban. Seine Erfahrungen, die er im Süden und Norden Amerika's als Missionär eingesammelt, die genaue Kenntniß der Zustände, Verhältnisse und Bedürfnisse aller wilden Völkerstämme jener unermeßlichen Länder befähigen ihn mehr als irgend Jemand, denen, die in irgend einer Weise mit denselben verkehren müssen, wohlwollende Winke zu ertheilen. Die Brüder thun deßhalb nichts, ohne zuvor seine Meinung gehört, seinen Rath eingeholt zu haben. Graf Alban ist dadurch für unsere Gemeinde eine Art Vorsehung geworden, und während er von Hause aus nur den heiligen Zwecken der evangelischen Mission dient, fördert er doch auch durch sein kluges und vorsichtiges Rathen deren weltliches Gedeihen, indem die Mittel der Brüder zur Bekehrung der Heiden sich mehren.

Graf Alban hat also keinen wirklichen Antheil an euern Geschäften? fragte Ammer.

Nicht den geringsten.

Und doch schrieb er mir damals, als mein Sohn die große Reise antreten sollte! Ihm vor Allen habe ich das hartnäckige Beharren des trotzigen Jungen auf seinem Vorhaben zu danken. Ich leugne nicht, daß mich dies beunruhigte, daß es mich ärgerlich machte, und wäre mir der lang aufgeschossene Bengel nicht stehenden Fußes auf und davon gegangen, so hätte es wohl sein können, der alte Ammer im Rohr wäre mit ein paar altlausitzischen Redensarten dem Herrn Grafen in die Stube gefallen.

Es geschah dies auf den Wunsch deines Sohnes, erwiderte Wimmer. Fürchtegott aber ist deßhalb vollkommen zu entschuldigen. Der willige, für seinen Beruf schon damals ich möchte fast sagen fanatisch eingenommene Mensch war sich bewußt, dein Mißfallen erregt zu haben. Er konnte sich's im Voraus sagen, daß du nie und nimmer freiwillig in eine so weite Reise, in ein so weit aussehendes Unternehmen willigen würdest. Er gestand mir und dem Grafen, daß die Stimmung zwischen dir und ihm, durch die Verhältnisse hervorgerufen, eine dergestalt gespannte geworden sei, daß es nur einer geringen Veranlassung bedürfe, um einen vollständigen, vielleicht nie wieder gut zu machenden Bruch herbeizuführen. Einem so großen Unheile wollte Fürchtegott vorbeugen, und deßhalb erbot sich Graf Alban, dir in der bewußten Angelegenheit zu schreiben. Anfangs war ich dazu entschlossen, indeß, du weißt, lieber Bruder, es hatte sich auch zwischen uns die erkältende Nebelatmosphäre des Mißtrauens bereits gelagert, und so glaubte ich, ein Brief von mir, auch wenn er noch so ruhig, überlegt und sanftmüthig abgefaßt wäre, würde dein Mißfallen erregen und ganz das Gegentheil von dem bewirken, was wir beabsichtigten. Daß ich dich richtig beurtheilt hatte, bewies der unfreundliche, leider auch zu übereilte Fortgang des ungestümen Fürchtegott.

Wider Erwarten der Uebrigen nahm Ammer diese Auseinandersetzung mit größter Ruhe, ja selbst mit nicht zu verkennender Freundlichkeit auf. Er nickte beifällig mit dem Haupte, ließ sich, was er nur bei guter Laune zu thun pflegte, von Flora seine Meerschaumpfeife reichen und erwiderte, als sie glücklich in Brand gerathen war:

Es hat doch sein Gutes, wenn ein paar Menschen, die einander lange kennen und zwischen denen etwas unklar geworden ist, sich unumwunden aussprechen. Hätte ich gewußt, was ich jetzt weiß, mir wäre viel Kummer erspart worden. Na, so schenk' ein, Anna, dir selber und auch der Florel dazu. Auf zukünftiges, gutes Einvernehmen und eine glückliche Heimkehr des Reisenden in's Vaterland und's Vaterhaus!

Mit Freuden und ohne Rückhalt ließen Alle diesem Trinkspruch die Gläser klingen. Wimmer ward sehr gerührt und mischte seinen Wein mit ein paar Thränen. Noch schlürften die Zufriedenen die goldenen Perlen vom Rhein, als der Färber von seiner Sendung zurückkam. Christlieb wechselte ein wenig die Farbe.

Na, hast du die Dinger? fragte Ammer, ohne aufzusehen. Was sagte Leisetritt?

Herr, erwiderte der Gefragte, der Glassammler läßt Euch sagen, es thue ihm grausam sehr leid, daß er weder Euch noch dem Gerichte den Gefallen thun könne, denn er habe das unnütze Geschmier auf dem Heimwege in 'n Mühlbach geschmissen.

Christlieb's Wangen nahmen ihre gewöhnliche Farbe wieder an, er athmete frei auf und schlürfte behaglich den Rest seines Weines.

Der Narr! brummte Ammer. Na, warte nur! Wenn ich dich wieder zu Gesicht kriege, will ich dir deinen Wirrkopf schon zurecht setzen. – Aber, was ist dir, Anton? Du siehst ja aus wie eine frisch gebleichte Leinwand!

Ja, ich hab' mich auch grausam sehr erschrocken, Herr!

Gibt's irgendwo Feuer? Sie zünden wieder an seit ein paar Monaten. Hab's lange merken können; wird sich wieder um die fremden Arbeiter aus dem Königreiche und aus Schlesien handeln.

Nein, Herr, es steht kein Feuerzeichen am Himmel. Ich habe noch 'was Schlimmeres vernommen.

Nun, was denn? Ist's ein Geheimniß, das Niemand mitgetheilt werden darf?

Das nicht, Herr, – Sie erzählten's vor dem Kretscham. Ein Reitender hatte es gebracht.

So erzähle doch, lieber Freund, warf Wimmer ein.

Es heißt, sie haben ihn.

Wen? sprach Ammer, die Mütze in den Nacken schiebend.

Den Mörder des Grenzjägers, sagte Anton.

Desto besser, so kommt kein Unschuldiger in Untersuchung und keines redlichen Mannes Ehre wird beschädigt. Wer ist's?

Ach, das eben hat mich erschreckt, daß ich noch jetzt wie Espenlaub zittere!

Na, na! sagte Ammer. Ein Mensch von deinem Knochenbau zittert wohl nicht gleich. Ist's ein Bekannter?

So bekannt, daß sein Name weit hinausreicht über die Grenzen des Landes. Der Herr erschrickt sich auch, wenn ich ihn nenne.

Ammer hörte auf zu rauchen und sagte: Nenne ihn. Ich will ihn hören.

Der Reitende, versetzte der Färber, der Reitende nannte den Advocaten Block!

Ein Blitzschlag aus heiterm Himmel hätte die Anwesenden nicht furchtbarer erschüttern können, als diese wenigen Worte. Ammer entfiel die Pfeife; sein Gesicht ward fast aschfarben. Anna faltete die Hände und schlug die Augen zum Himmel auf. Wimmer senkte seine Blicke und summte die Melodie eines ihm geläufigen Chorals. Die Uebrigen sprangen auf, um dem Vater nahe zu sein, dessen stark zitternde Bewegungen das Herannahen einer Ohnmacht vermuthen ließen. Ammer jedoch wehrte die Kinder ab und sagte mit so fester Stimme, als er es im Augenblicke vermochte:

Bleibt, bleibt! Ich komme auch darüber hinweg. Geliebt hab' ich ihn nie, den Block, aber daß er so 'was Schlechtes thun könne, das hätt' ich nimmer geglaubt!


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