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Die besondere Rakete

Man rüstete zur Hochzeit des Königssohnes, und so gab es große Festlichkeiten. Er hatte ein ganzes Jahr auf die Braut gewartet, und endlich war sie gekommen. Sie war eine russische Prinzessin, und den ganzen Weg von Finnland her war sie in einem von sechs Renntieren gezogenen Schlitten gefahren. Der Schlitten hatte die Form eines großen goldenen Schwans, und zwischen den Flügeln des Schwanes lag die kleine Prinzessin selbst. Ihr langer Hermelinmantel reichte ihr bis zu den Füßen, auf ihrem Kopfe saß eine kleine, aus Silber gewebte Haube, und sie war so bleich wie der Schneepalast, in dem sie immer gelebt hatte. So bleich war sie, daß alle Leute darob sich wunderten, als sie durch die Straßen fuhr. Sie ist wie eine weiße Rose, sagten alle und sie warfen Blumen von den Balkonen.

Am Tor des Schlosses stand der Prinz und erwartete sie. Er hatte verträumte veilchenfarbene Augen, und sein Haar glich gesponnenem Golde. Als er sie sah, ließ er sich auf ein Knie nieder und küßte ihre Hand.

»Dein Bild war schön,« murmelte er, »aber du bist noch schöner als dein Bild.« Und die kleine Prinzessin errötete.

»Sie glich vorhin einer weißen Rose,« sagte ein junger Page zu seinem Nachbar, »aber nun ist sie wie eine rote Rose.« Und der ganze Hof war entzückt.

In den nächsten drei Tagen gingen alle umher und sagten: »Rote Rose, weiße Rose, weiße Rose, rote Rose!« Und der König gab Befehl, daß die Löhnung des Pagen verdoppelt werden sollte. Da er aber überhaupt keine Löhnung bekam, so nützte das nicht viel, aber man betrachtete es als große Ehre, und der Staatsanzeiger nahm pflichtschuldigst Notiz davon.

Als die drei Tage vorüber waren, wurde die Hochzeit gefeiert. Es war eine wunderbare Zeremonie, und die Braut und der Bräutigam gingen zusammen unter einem Baldachin aus Purpursamt, der über und über mit kleinen Perlen bestickt war. Dann gab es eine Hoftafel, die fünf Stunden dauerte. Der Prinz und die Prinzessin saßen ganz oben in der großen Halle und tranken aus einer Schale von klarem Kristall. Nur treue Liebende durften aus dieser Schale trinken, denn wenn falsche Lippen ihren Rand berührten, wurde sie grau und trübe und wolkig.

»Es ist ganz klar, daß sie einander lieben,« sagte der kleine Page, »so klar wie Kristall.« Und der König verdoppelte ein zweites Mal sein Gehalt. »Welch eine Ehre!« riefen alle Hofleute.

Nach dem Bankett sollte ein großer Ball sein. Die Braut und der Bräutigam sollten den Rosentanz zusammen tanzen, und der König hatte versprochen, die Flöte zu spielen. Er spielte sehr schlecht, aber niemand hatte je gewagt, ihm das zu sagen, denn er war eben der König. Er kannte eigentlich nur zwei Stücklein und war nie ganz sicher, welches er gerade spielte. Aber das schadete nichts, denn alle Leute schrien, was immer er auch tat: »Entzückend, entzückend!«

Der letzte Punkt des Programms war ein großes Feuerwerk, das genau um Mitternacht abgebrannt werden sollte. Die kleine Prinzessin hatte noch nie ein Feuerwerk gesehen, und so hatte der König dem königlichen Hoffeuerwerker den Auftrag gegeben, am Tage der Hochzeit seine Künste zu produzieren.

»Wie schaut ein Feuerwerk aus?« fragte die Prinzessin, als sie eines Morgens auf der Terrasse spazieren gingen.

»Ein Feuerwerk ist wie das Nordlicht«, antwortete der König, der immer auf Fragen antwortete, die an andere Leute gerichtet waren. »Ich selbst ziehe es sogar den Sternen vor, denn man weiß immer, wann so ein Feuerwerk losgeht, und es ist so schön wie mein eigenes Flötenspiel. Das Feuerwerk mußt du unbedingt sehen.«

Am Ende der königlichen Gärten war daher ein großes Gerüst errichtet worden, und sobald der königliche Hoffeuerwerker alles in Ordnung gebracht hatte, begannen die Feuerwerkskörper miteinander zu reden.

»Die Welt ist wirklich sehr schön!« sagte ein kleiner Schwärmer. »Schaut doch nur diese gelben Tulpen an. Sie könnten nicht schöner sein, wenn es wirkliche Raketen wären. Ich bin sehr froh, daß ich Reisen gemacht habe. Das Reisen bildet in wunderbarer Weise den Geist und räumt mit allen Vorurteilen auf.«

»Die königlichen Gärten sind nicht die Welt, du närrischer Schwärmer«, sagte eine dicke römische Kerze. »Die Welt ist ein riesiger Platz, und man braucht mindestens drei Tage, um sie gründlich kennen zu lernen.«

»Jeder Winkel, den man liebt, ist für einen die Welt«, sagte ein nachdenkliches Feuerrad, das in seiner Jugend an einer alten Holzschachtel befestigt worden war und sich nun seines gebrochenen Herzens rühmte. »Aber die Liebe ist nicht mehr modern, die Dichter haben sie getötet. Sie haben so viel darüber geschrieben, daß niemand ihnen mehr glaubte, was mich gar nicht wundert. Wahre Liebe leidet und schweigt. Ich erinnere mich, daß einmal – aber wozu darüber reden? Die Romantik gehört der Vergangenheit an.«

»Unsinn,« sagte die römische Kerze, »die Romantik stirbt niemals aus. Sie gleicht dem Monde und lebt ewig. Braut und Bräutigam zum Beispiel lieben einander herzinniglich. Ich habe alles über sie heute morgen von einer braunen Patrone gehört, die zufälligerweise in derselben Lade lag wie ich und die neuesten Hofnachrichten kannte.«

Aber das Feuerrad schüttelte den Kopf: »Die Romantik ist tot, die Romantik ist tot, die Romantik ist tot«, murmelte sie. Sie gehörte eben zu jenen Leuten, die glauben, daß, wenn man eine Sache immer und immer sehr oft wiederholt, sie endlich wahr wird.

Plötzlich hörte man ein scharfes trockenes Husten, und alle blickten sich um. Das Husten kam von einer schlanken, hochmütig blickenden Rakete, die am Ende eines langen Stockes angebunden war. Sie hustete immer, bevor sie eine Bemerkung machte, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

»Hm, hm«, sagte sie, und jeder spitzte die Ohren, mit Ausnahme des armen Feuerrades, das immer noch den Kopf schüttelte und murmelte: »Die Romantik ist tot!«

»Ruhe, Ruhe!« schrie der Schwärmer. Er hatte politische Anwandlungen und hatte an den Wahlen hervorragenden Anteil genommen. So kannte er denn die gebräuchlichen parlamentarischen Ausdrücke.

»Ganz tot!« wisperte das Feuerrad und schlief ein.

Sobald tiefe Stille eingetreten war, hustete die Rakete ein drittes Mal und begann. Sie sprach mit einer tiefen klaren Stimme, als ob sie ihre Memoiren diktierte, und blickte immer über die Schulter der Person, mit der sie gerade redete. Alles in allem hatte sie höchst vornehme Manieren.

»Wie glücklich doch der Königssohn ist,« bemerkte sie, »daß er just an dem Tage heiratet, an welchem ich losgelassen werden soll. Wenn man die ganze Sache mit Absicht angelegt hätte, so hätte sie für ihn gar nicht besser ausfallen können; aber Prinzen haben eben immer Glück.«

»O Gott,« sagte der kleine Schwärmer, »ich dachte, die Sache läge umgekehrt, und daß wir zu Ehren des Prinzen abgebrannt werden sollten.«

»Das trifft vielleicht bei Ihnen zu,« sagte die Rakete, »ich bin sogar überzeugt, daß dem so ist. Aber bei mir liegen die Dinge doch anders. Ich bin eine ganz besondere Rakete und stamme von ganz besonderen Eltern. Meine Mutter war das berühmteste Feuerrad ihrer Zeit und war berühmt wegen ihres graziösen Tanzens. Als sie vor dem Publikum auftrat, drehte sie sich neunzehnmal um sich selbst, bevor sie ausging, und jedesmal warf sie sieben rote Sterne in die Luft. Sie hatte dritthalb Fuß im Durchmesser und war aus dem besten Schießpulver gemacht. Mein Vater war eine Rakete wie ich und von französischer Abkunft. Er flog so hoch, daß man allgemein fürchtete, er würde nie mehr zur Erde kommen. Er kam schließlich doch herunter, denn er war liebenswürdig von Natur, und er löste sich in einem höchst glänzenden Schauer von goldenem Regen auf. Die Zeitungen besprachen seine Leistung in den schmeichelhaftesten Worten, ja der Staatsanzeiger nannte ihn sogar einen Triumph der pylotechnischen Kunst.«

»Pyrotechnisch, pyrotechnisch meinen Sie wohl«, sagte ein bengalisches Licht. »Ich weiß, es heißt Pyrotechnik, denn es steht so auf meiner Kapsel.«

»Ich aber sage pylotechnisch«, antwortete die Rakete sehr gemessen, und das bengalische Licht war so geknickt, daß es sofort die kleinen Schwärmer zu brüskieren begann, um zu zeigen, daß es doch auch Amt und Würden hätte.

»Ich sagte also,« fuhr die Rakete fort, – »was sagte ich denn?«

»Sie sprachen über sich selbst«, sagte die römische Kerze.

»Natürlich. Ich wußte, daß ich ein interessantes Thema behandelte, als ich so roh unterbrochen wurde. Ich hasse die Roheit und schlechte Manieren, denn ich bin sehr empfindlich. Niemand in der ganzen Welt ist wohl so empfindlich wie ich.«

»Was heißt empfindlich?« sagte der Schwärmer zur römischen Kerze.

»Empfindlich ist jemand, der, weil er selbst Hühneraugen hat, immer anderen Leuten auf die Zehen tritt«, antwortete die römische Kerze, und der Schwärmer platzte beinahe vor Lachen.

»Bitte, worüber lachen Sie nur?« fragte die Rakete, »ich lache doch nicht!«

»Ich lache, weil ich glücklich bin«, antwortete der Schwärmer.

»Das ist ein sehr eigennütziger Grund«, sagte die Rakete ärgerlich. »Welches Recht haben Sie, glücklich zu sein? Sie sollten an andere Leute denken. Sie sollten zum Beispiel an mich denken. Ich denke immer an mich und ich erwarte, daß jedermann das gleiche tut. Das nennt man Sympathie. Es ist eine sehr schöne Tugend, und ich besitze sie im hohen Grade. Nehmen Sie zum Beispiel an, es würde mir heute nacht etwas passieren. Welch ein Unglück wäre das für die ganze Welt! Der Prinz und die Prinzessin würden nie mehr glücklich sein, und ihr ganzes eheliches Leben wäre gestört. Und was den König betrifft, so weiß ich, er käme nicht darüber hinweg. In der Tat, wenn ich beginne, über die Bedeutung meiner Stellung nachzudenken, bin ich fast zu Tränen gerührt.«

»Wenn Sie aber anderen Leuten ein Vergnügen machen wollen, so bleiben sie gefälligst trocken«, sagte die römische Kerze.

»Gewiß!« rief das bengalische Licht, das nun besser aufgelegt war, »das lehrt schon der gemeine Menschenverstand.«

»Der gemeine Menschenverstand?« sagte die Rakete verächtlich. »Ihr vergeßt, daß ich ganz und gar nicht gemein bin, sondern etwas ganz Besonderes. Gemeinen Menschenverstand kann jeder haben, vorausgesetzt, daß er keine Phantasie hat. Aber ich habe Phantasie, denn ich denke niemals an die Dinge, wie sie wirklich sind. Ich denke immer an sie, als ob sie ganz anders wären. Was nun mein Trockenbleiben betrifft, so ist niemand hier, der überhaupt meine gefühlvolle Natur begreifen kann. Glücklicherweise ist mir das höchst gleichgültig. Die einzige Sache, die einen im Leben aufrecht erhält, ist das Bewußtsein der ungeheuren Inferiorität aller anderen, und das ist ein Gefühl, das ich immer gepflegt habe. Aber niemand unter euch hat ein Herz. Ihr lacht und seid glücklich, just so, als ob der Prinz und die Prinzessin nicht eben geheiratet hätten.«

»Warum auch nicht?« rief ein kleiner Feuerball. »Das ist eine sehr freudige Gelegenheit, und wenn ich in die Luft steigen werde, will ich allen Sternen davon erzählen. Ihr werdet sehen, wie die Sterne blinzeln werden, wenn ich ihnen von der hübschen Braut berichte.«

»Das nenne ich eine banale Weltanschauung«, sagte die Rakete. »Aber ich habe von Ihnen nichts anderes erwartet. In Ihnen ist nichts, Sie sind hohl und leer. Können nicht vielleicht der Prinz und die Prinzessin in eine Gegend ziehen, wo ein tiefer Fluß ist, können sie nicht vielleicht einen einzigen Sohn haben, einen kleinen blondgelockten Knaben mit Veilchenaugen, wie der Prinz sie hat? Kann das Kind nicht eines Tages mit der Amme spazieren gehen? Kann nicht vielleicht die Amme unter einem Fliederbusch einschlafen? Kann nicht der kleine Bub in einen tiefen Fluß fallen und ertrinken? Welch ein schreckliches Unglück! O über die Ärmsten, die ihr einziges Kind verlieren! Es ist zu schrecklich! Ich werde nie darüber hinwegkommen.«

»Aber sie haben ja gar nicht ihren einzigen Sohn verloren«, sagte die römische Kerze. »Es ist ihnen überhaupt kein Unglück zugestoßen.«

»Das habe ich ja auch gar nicht gesagt,« erwiderte die Rakete, »ich sagte nur, daß ihnen ein Unglück zustoßen könnte. Wenn sie ihren einzigen Sohn verloren hätten, hätte es gar keinen Zweck, ein Wort weiter über die Sache zu verlieren. Ich hasse Leute, die wegen vergossener Milch weinen. Wenn ich aber daran denke, daß sie den einzigen Sohn verlieren könnten, bin ich im höchsten Affekt.«

»Das glaube ich«, sagte das bengalische Licht. »Sie sind wirklich die affektierteste Person, die ich kenne.«

»Und Sie sind die roheste Person, die ich kenne,« erwiderte die Rakete, »und Sie können meine Freundschaft für den Prinzen überhaupt nicht begreifen.«

»Aber Sie kennen ihn ja überhaupt nicht«, brummte die römische Kerze.

»Ich habe nie behauptet, daß ich ihn kenne«, antwortete die Rakete. »Und ich glaube wohl, daß ich durchaus nicht sein Freund wäre, wenn ich ihn kennen würde. Es ist sehr gefährlich, seine Freunde zu kennen.«

»Denken Sie lieber daran, trocken zu bleiben«, sagte der kleine Feuerball. »Das ist die Hauptsache.«

»Eine Hauptsache vielleicht für Sie, aber ich weine, wann es mir paßt.« Und wirklich brach die Rakete in wirkliche Tränen aus, die gleich Regentropfen an ihrem Stock herunterrannen und beinahe zwei kleine Käferchen ersäuft hätten, die gerade daran dachten, hübsch gemeinsam nach Hause zu gehen, und sich nach einem trockenen Nestchen umsahen.

»Sie scheint in der Tat eine echt romantische Natur zu sein,« sagte das Feuerrad, »denn sie weint, wo gar kein Anlaß zum Weinen ist.« Und das Feuerrad seufzte tief und träumte von der hölzernen Schachtel.

Aber die römische Kerze und das bengalische Licht waren sehr empört und riefen in einem fort: »Unsinn! Unsinn!« so laut sie nur konnten. Sie waren nämlich sehr praktische Naturen, und wenn ihnen etwas nicht in den Kram paßte, so nannten sie es gleich Unsinn.

Dann ging der Mond auf wie ein wunderbarer silberner Schild. Und die Sterne begannen zu leuchten, und Musik drang aus dem Palaste.

Der Prinz und die Prinzessin führten den Tanz. Sie tanzten so schön, daß die hohen weißen Lilien durch das Fenster guckten und zusahen, und der große rote Mohn wiegte den Kopf und schlug den Takt.

Dann schlug es von der Turmuhr zehn und dann elf und dann zwölf, und mit dem letzten Schlag der Mitternacht strömte alles auf die Terrasse hinaus und der König schickte nach dem königlichen Hoffeuerwerker.

»Laßt das Feuerwerk beginnen«, sagte der König, und der königliche Hoffeuerwerker machte einen tiefen Bückling und stieg hinab bis ans Ende des Gartens. Er hatte sechs Diener mit sich und jeder trug eine flammende Fackel am Ende einer langen Stange.

Es gab nun wirklich ein wunderbares Schauspiel.

»zzz!« machte das Feuerrad, als es sich zu drehen begann. »Bumbum!« machte die römische Kerze. Dann tanzten die Schwärmer über den ganzen Platz, und die bengalischen Lichter tauchten alles in Rot. »Leb' wohl!« rief der Feuerball, als er emporstieg und kleine blaue Funken streute. »Bang, bang!« antworteten die Feuerfrösche, die sich riesig freuten. Und alles hatte einen großen Erfolg mit Ausnahme der besonderen Rakete. Die war so naß vom Weinen, daß sie überhaupt nicht losging. Das beste in ihr war das Schießpulver, und das war von Tränen so durchnäßt, daß es zu nichts mehr nütze war. Die ganze arme Verwandtschaft, die sie sonst keines Blickes würdigte, flog in die Luft empor gleich wunderbaren goldenen Blumen mit feurigen Blüten.

»Hurra, hurra!« schrie der Hof, und die kleine Prinzessin lachte vor Vergnügen.

»Gewiß hebt man mich für eine ganz besondere Gelegenheit auf,« sagte die Rakete, »das ist offenbar der Sinn des Ganzen.« Und sie sah hochmütiger drein denn je.

Am nächsten Tag kamen die Arbeiter, um alles abzuräumen. »Das ist gewiß eine Deputation,« sagte die Rakete, »und ich will sie mit gebührender Würde empfangen.« Und sie steckte die Nase in die Luft und runzelte ernst die Stirn, als denke sie weiß Gott über was nach. Aber die Arbeiter nahmen keine Notiz von ihr, und erst als sie sich schon entfernen wollten, bemerkte sie einer. »Schau,« rief er, »eine schlechte Rakete!« Und er warf sie über die Mauer in den Graben.

»Schlechte Rakete, schlechte Rakete!« sagte sie, als sie durch die Luft wirbelte. »Unmöglich. Die rechte Rakete, das wollte der Mann offenbar sagen. Schlecht und recht klingt sehr ähnlich und bedeutet oft auch dasselbe.« Und damit fiel sie in den Schlamm.

»Hier ist es nicht sehr hübsch,« bemerkte sie, »aber das ist gewiß ein eleganter Badeort und man hat mich hergeschickt um meiner Gesundheit willen. Meine Nerven sind gewiß sehr zerrüttet und ich brauche Ruhe.«

Da schwamm ein kleiner Frosch mit glänzenden Äuglein in einem grünscheckigen Rock zu ihr hin.

»Ein neuer Ankömmling, wie ich sehe,« sagte der Frosch, »schließlich gibt es doch nichts Besseres als Schlamm. Habe ich nur Regenwasser und einen Graben, dann bin ich ganz glücklich. Glauben Sie, daß es heute nachmittag regnen wird? Ich hoffe bestimmt darauf, aber der Himmel ist ganz blau und wolkenlos. Wie schade!«

»Hm, hm!« sagte die Rakete und begann zu husten.

»Welch eine entzückende Stimme Sie haben,« rief der Frosch, »sie klingt beinahe wie Gequak. Und Quaken ist natürlich das musikalischste Geräusch der Welt. Sie werden ja heute abend unseren Gesangverein hören. Wir sitzen im alten Ententeich beim Pächterhaus, und sobald der Mond aufsteigt, beginnen wir. Unser Gesang ist so hinreißend, daß alles wach in den Betten bleibt, um uns zuzuhören. Gestern hörte ich, wie die Frau des Pächters zu ihrer Mutter sagte, daß sie unsertwegen nicht eine Sekunde schlafen konnte. Es ist doch sehr angenehm, wenn man so beliebt ist.«

»Hmhm, hmhm!« sagte die Rakete und war sehr ärgerlich, daß sie kein Wort einwerfen konnte.

»Eine entzückende Stimme in der Tat!« fuhr der Frosch fort. »Ich hoffe, Sie kommen heute abend hinüber zum Ententeich. Ich muß jetzt nach meinen Töchtern sehen. Ich habe sechs sehr schöne Töchter und ich fürchte, es könnte ihnen der Hecht begegnen. Das ist ein gräßliches Ungeheuer und er würde keinen Augenblick zögern, sie zum Frühstück zu verspeisen. Also auf Wiedersehen, ich habe mich sehr gefreut, daß ich mich mit Ihnen unterhalten konnte.«

»Eine nette Unterhaltung«, sagte die Rakete, »Sie haben die ganze Zeit allein gesprochen. Das nenne ich keine Unterhaltung.«

»Einer muß zuhören,« antwortete der Frosch, »und ich besorge das Sprechen gern allein. Man erspart damit Zeit und vermeidet eine Diskussion.«

»Aber ich liebe Diskussionen«, sagte die Rakete.

»Ach, lassen Sie doch«, sagte der Frosch liebenswürdig. »Diskussionen sind sehr gewöhnlich, denn in guter Gesellschaft haben alle Leute genau dieselben Ansichten. Also nochmals auf Wiedersehen. Dort sehe ich meine Töchter.« Und der kleine Frosch schwamm fort.

»Sie machen einen ganz nervös«, sagte die Rakete, »und haben gar keine Lebensart. Ich hasse Leute, die immer über sich selber sprechen wie Sie, wenn man von sich sprechen will, wie ich. Das nenne ich eigennützig, und Eigennutz ist eine verabscheuungswürdige Sache, besonders für jemanden von meinem Temperament, denn ich bin wegen meines sympathischen Wesens bekannt. Sie sollten sich wirklich an mir ein Beispiel nehmen. Sie könnten kein besseres Vorbild finden. Da Sie nun eine solche Gelegenheit haben, sich zu bilden, sollten Sie sie rasch benützen, denn ich gehe in kürzester Zeit an den Hof zurück. Ich bin sehr gut angeschrieben bei Hofe. Mir zu Ehren haben der Prinz und die Prinzessin gestern geheiratet. Natürlich wissen Sie von all den Dingen nichts, denn Sie sind ja bloß ein Provinzler.«

»Sie regen sich unnütz auf, wenn Sie mit ihm sprechen«, sagte eine Libelle, die an der Spitze eines großen braunen Rohrkolbens saß, »er ist nämlich schon fort.«

»Das ist sein Schade und nicht meiner«, antwortete die Rakete. »Ich werde nicht aufhören zu reden, nur aus dem Grunde, weil er nicht zuhört. Ich höre mich selbst sehr gerne, es gehört zu meinen größten Genüssen. Ich führe oft lange Selbstgespräche und ich bin so klug, daß ich oft kein einziges Wort von dem verstehe, was ich spreche.«

»Dann sollten Sie Vorträge über Philosophie halten«, sagte die Libelle, und sie breitete ein Paar entzückender Florflügel aus und erhob sich in die Luft.

»Wie dumm von ihm, daß er nicht dageblieben ist«, sagte die Rakete. »Solch eine Gelegenheit, seinen Geist zu bilden, findet er nicht oft. Übrigens, was geht's mich an! Ein Genie wie das meine findet doch eines Tages gewiß die richtige Anerkennung.« Und sie versank etwas tiefer im Schlamm.

Nach einiger Zeit kam eine große weiße Ente herangeschwommen. Sie hatte gelbe Beine und Schwimmfüße und galt wegen ihres Watschelns als große Schönheit. »Quak, quak, quak,« sagte sie, »wie komisch Ihre Gestalt doch ist! Darf ich mir die Frage erlauben, ob Sie so geboren wurden oder ob Sie durch ein Unglück so geworden sind?«

»Es ist sonnenklar, daß Sie immer auf dem Lande gelebt haben,« antwortete die Rakete, »sonst würden Sie wissen, wer ich bin. Aber ich entschuldige Ihre Unbildung. Man kann wirklich von anderen Leuten nicht erwarten, daß sie so besonders sind wie man selbst. Sie werden gewiß überrascht sein zu hören, daß ich bis in den Himmel fliegen kann und dann in einem Schauer von goldenen Regen herunterkomme.«

»Na, davon halte ich nicht viel,« sagte die Ente, »da ich den praktischen Zweck nicht einsehen kann. Wissen Sie, wenn Sie Felder pflügen könnten wie der Ochs oder einen Wagen ziehen wie das Pferd oder die Schafe bewachen wie der Schäferhund, das wäre etwas.«

»Meine Liebe,« rief die Rakete in einem sehr hochmütigen Ton, »ich sehe, Sie gehören zu den unteren Klassen. Eine Person von meinem Range ist niemals nützlich. Wir haben gewisse Talente, und das ist mehr als genügend. Ich habe persönlich gar keine Sympathie für irgendeine Beschäftigung, am allerwenigsten für die Beschäftigungen, die Sie zu empfehlen scheinen. Ich war immer der Ansicht, daß Handarbeit nur die Zuflucht von Leuten ist, die nichts anderes zu tun haben.«

»Schön, schön«, sagte die Ente, die von sehr friedfertigem Naturell war und niemals mit irgend jemand Streit anfing. »Jeder hat eben seinen Geschmack. Ich hoffe übrigens, daß Sie sich bei uns niederlassen werden.«

»O nein,« rief die Rakete, »ich bin bloß zu Besuch, ein vornehmer Besuch. Ich finde diesen Ort eigentlich langweilig. Es ist hier weder Gesellschaft noch Einsamkeit. Es ist alles so vorstädtisch. Ich werde wahrscheinlich an den Hof zurückkehren, denn ich weiß, daß ich bestimmt bin, in der Welt großes Aufsehen zu machen.«

»Auch ich habe einmal daran gedacht, mich dem öffentlichen Leben zu widmen«, bemerkte die Ente. »Soviel Dinge müßten gründlich reformiert werden. Vor einiger Zeit habe ich auch bei einer Versammlung die Rednertribüne bestiegen und wir haben Resolutionen angenommen, die alles verurteilten, was wir nicht mochten. Aber sie scheinen nicht sehr gewirkt zu haben. Nun bin ich nur für Häuslichkeit und kümmere mich um meine Familie.«

»Ich bin für die Öffentlichkeit geschaffen,« antwortete die Rakete, »und ebenso alle meine Verwandten, selbst die bescheidensten unter ihnen. Sooft wir erscheinen, erregen wir große Aufmerksamkeit. Ich bin selbst noch nicht in die Öffentlichkeit getreten, aber wenn ich dies tun werde, wird es ein wunderbarer Anblick sein. Was aber das häusliche Leben betrifft, so wird man dadurch rasch alt, und unser Geist wird von höheren Dingen abgelenkt.«

»Ach, die höheren Dinge im Leben, die sind schön,« sagte die Ente, »und das erinnert mich daran, wie hungrig ich bin.« Und sie schwamm die Strömung hinunter und sagte »Quak, quak, quak«.

»Kommen Sie zurück, kommen Sie zurück,« schrie die Rakete, »ich habe Ihnen eine Menge zu sagen«. Aber die Ente schenkte ihr keine Aufmerksamkeit. »Ich bin froh, daß sie fort ist«, sagte die Rakete zu sich selbst. »Sie ist entschieden sehr kleinbürgerlich veranlagt.« Und sie sank ein bißchen tiefer in den Schlamm und begann über die Einsamkeit des Genies nachzudenken, als zwei kleine Buben in weißen Kitteln gelaufen kamen mit einem Kessel und trockenem Reisig.

»Das muß die Deputation sein«, sagte die Rakete und suchte sehr würdevoll dreinzusehen.

»Hallo,« schrie einer der Buben, »schau doch den alten Stock. Wie ist der hergekommen?« Und er fischte die Rakete aus dem Graben.

»Alter Stock«, sagte die Rakete. »Unmöglich. Gewaltiger Stock wollte er offenbar sagen. Gewaltiger Stock ist sehr schmeichelhaft. Er hält mich gewiß für einen Würdenträger bei Hofe.«

»Wir wollen ihn ins Feuer schmeißen«, sagte der andere Bub. »Er soll helfen, den Kessel sieden zu machen.«

Sie schichteten also das Reisig zusammen und legten die Rakete drauf und zündeten das Feuer an.

»Das ist großartig«, schrie die Rakete. »Sie lassen mich los bei hellem Tageslicht, so daß jedermann mich sehen kann.«

»Jetzt werden wir uns schlafen legen,« sagten die Buben, »und wenn wir aufwachen, wird der Kessel sieden.« Und sie legten sich ins Gras und schlossen die Augen.

Die Rakete war sehr naß, und so dauerte es lange, bis sie Feuer fing. Aber endlich brannte sie doch.

»Nun gehe ich los!« schrie sie, und sie machte sich steif und starr. »Ich weiß, ich werde viel höher steigen als die Sterne, viel höher als der Mond, viel höher als die Sonne. Ich werde wirklich so hoch steigen, daß – f<! f<! f<!« Und sie stieg geradeaus in die Luft. »Entzückend,« schrie sie, »nun werde ich ewig so weiter steigen. Ich mache wunderbare Wirkung.«

Aber niemand sah sie.

Dann begann sie ein merkwürdiges Prickeln am ganzen Körper zu fühlen.

»Nun werde ich gleich explodieren!« schrie sie. »Ich werde die ganze Welt in Brand setzen und solch einen Lärm machen, daß man ein ganzes Jahr von nichts anderem sprechen wird.« Und in diesem Augenblick explodierte sie auch. Krach! machte das Schießpulver. Aber niemand hörte den Knall. Nicht einmal die beiden kleinen Buben, denn sie schliefen fest.

Und alles, was von der Rakete übrig blieb, war der Stock, und dieser fiel auf den Rücken einer Gans, die eben am Rande des Grabens spazierte.

»Großer Gott,« schrie die Gans, »es beginnt Stöcke zu regnen«, und sie schoß ins Wasser.

»Ich wußte ja, daß ich ein großes Aufsehen machen würde«, keuchte die Rakete und ging aus.

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