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Der Fischer und seine Seele

Allabendlich fuhr der junge Fischer hinaus auf das Meer und senkte das Netz in die Flut.

Wenn der Wind vom Lande blies, fing er nichts oder selbst im besten Fall nur wenig. War's doch ein bitterer, schwarzflügeliger Wind, dem rauhe Wellen sich entgegen bäumten. Doch wenn der Wind landeinwärts blies, stiegen die Fische aus der Tiefe und schwammen in die Maschen seines Netzes. Und er trug sie auf den Marktplatz und verkaufte sie.

Allabendlich fuhr er hinaus auf das Meer. Und an einem Abend war sein Netz so schwer, daß er es kaum herein ins Boot zu ziehen vermochte. Da lachte er und sprach zu sich selber: »Wahrlich, entweder habe ich alle Fische gefangen, die da schwimmen, oder ein dunkles Ungeheuer geangelt, das die Menschen angaffen werden. Vielleicht auch etwas Grausiges, wonach die große Königin Verlangen tragen wird.« Und er nahm seine Kräfte zusammen und zog an den groben Tauen, bis auf seinen Armen die langen Adern deutlich hervortraten, wie Linien blauen Emails rund um ein erzenes Gefäß. Er zog an den dünnen Stricken und näher und näher kam der Kreis von flachen Korken, und endlich stieg das Netz an die Oberfläche des Wassers.

Aber es lag kein Fisch darin und auch kein Ungeheuer. Auch nichts Grauenvolles, nur ein kleines Meermädchen, das fest schlief.

Ihr Haar war wie ein nasses Flies von Gold, und jedes einzelne Haar war wie ein Faden feinen Goldes im Glase einer Schale. Ihr Leib war wie weißes Elfenbein. Ihr Schuppenschwanz war aus Silber und Perlen und rundum von grünen Algen und Seemuscheln umkränzt. Den Seemuscheln glichen ihre Ohren und ihre Lippen Seekorallen. Die kalten Wellen spielten mit ihren kalten Brüsten und Salz glitzerte auf ihren Augenlidern.

Sie war so schön, daß der junge Fischerknabe bei ihrem Anblicke voll des Staunens verstummte und die Hand ausstreckte und das Netz ganz nahe an sich zog. Tief beugte er sich über Bord und schloß sie in die Arme. Doch da er sie berührte, stieß sie einen Schrei aus, gleich dem Schrei der erschreckten Möwe, und erwachte und blickte ihn mit entsetzten Malven- und Amethystaugen an und rang mit ihm, sich ihm zu entwinden. Er aber hielt sie fest an sich gepreßt und wollte sie nicht lassen.

Und da sie sah, daß sie ihm auf keinerlei Art entrinnen konnte, hob sie an zu weinen und sprach: »Ich bitte dich, laß mich ziehen, denn ich bin die einzige Tochter eines Königs, und mein Vater ist alt und allein.«

Der junge Fischer aber erwiderte: »Ich lasse dich nicht, es sei denn, du gelobest mir, zu mir zu kommen, so oft ich dich rufe, und für mich zu singen. Denn die Fische hören gern dem Gesang des Meervolkes zu. Und meine Netze werden sich füllen.«

»Willst du mich in Wahrheit ziehen lassen, wenn ich dir dies gelobe?« rief die Meermaid.

»Ich will dich in Wahrheit ziehen lassen«, erwiderte der junge Fischer.

Da versprach sie ihm, was er von ihr verlangte, und schwor es mit dem Eid des Meervolkes. Und er löste nun die Arme von ihr, und sie stieg hinab zum Wassergrunde und zitterte in seltsamer Furcht.

*

Allabendlich fuhr der junge Fischer hinaus aufs Meer und rief das Meermädchen, und sie stieg aus den Fluten und sang für ihn. Rund um sie her schwammen die Delphine und ihr zu Häupten flatterten die wilden Seemöwen.

Sie aber sang seltsam schönen Sang. Sang sie doch vom Meervolke, das seine Herden von Höhle zu Höhle treibt und kleine Kälbchen auf den Schultern trägt; von den Tritonen, die lange grüne Bärte haben und behaarte Brüste und auf den gewundenen Muscheln blasen, wenn der König vorüberzieht; von dem Palast des Königs, der, von oben bis unten aus Bernstein ist, ein Dach durchsichtiger Smaragden hat, und mit glänzenden Perlen gepflastert ist; und von den Gärten der See, wo die breitgefiederten Fächer von Korallen den ganzen Tag lang auf und nieder gehen, wo die Fische gleich Silbervögeln hin und wider gleiten, die Anemonen fest in den Felsen wurzeln und die rosenroten Nelken im gewellten, gelben Sande.

Sie sang von den Riesenwalen, die aus den nördlichen Meeren kommen und scharfe Eiszapfen an ihren Kiemen hängen haben; von den Sirenen, die von solch wunderbaren Dingen singen, daß die Kaufleute die Ohren mit Wachs verstopfen müssen, um sie nicht zu hören, in die Tiefe zu springen und zu ertrinken; von gesunkenen Galeeren mit hohen Masten und erfrorenen Seefahrern, die sich an das Tauwerk klammern, und den Makrelen, die durch die offenen Ladelöcher ein und aus schwimmen; von den kleinen Entenmuscheln, die große Reisende sind und sich in die Kiele der Schiffe bohren und so rund um die Welt segeln; und vom Tintenfische, der am Klippenrande lebt, und die langen schwarzen Arme ausstreckt und die Nacht herniederrufen kann, wenn er will. Sie sang von Nautilos, der sein eigen Schifflein hat, das aus Opal geschnitten ist und mit einem seidenen Segel gesteuert wird, von den glücklichen Meermännern, die die Laute spielen und die große Seeschlange in Schlaf versenken können; von den kleinen Kindern, die glatte Meerschweinchen erhaschen und lachend auf ihren Rücken reiten; von den Meerjungfrauen, die im weißen Schaume liegen und nach dem Seefahrer die Arme strecken; und von den Seelöwen mit den gebogenen Fangzähnen und den Seepferden mit den wogenden Mähnen.

Und wie sie so sang, kamen alle Tunfische der Tiefe herbei, um ihr zu lauschen, und der junge Fischer warf sein Netz um sie und fing sie alle, und wieder andere traf er mit dem Speer. Und wenn sein Boot sich vollgefüllt hatte, stieg die Meermaid lächelnd hinab in die Tiefe.

Niemals aber kam sie ihm so nahe, daß er sie berühren konnte. Oft rief er sie und bat sie. Doch sie wollte nicht. Und wenn er sie zu ergreifen versuchte, tauchte sie ins Wasser, wie wohl ein Seehund taucht, und an jenem Tage sah er sie nicht wieder. Täglich aber klang der Klang ihrer Stimme seinem Ohre süßer. So süß klang ihre Stimme ihm, daß er seines Netzes und seiner List vergaß und sich um sein Handwerk nicht mehr kümmerte.

Mit roten Flossen und Augen von gewölbtem Golde zogen die Tunfische in Scharen vorbei, er aber achtete ihrer nicht. Sein Speer lag unbenützt an seiner Seite, und sein Korb aus geflochtener Weide blieb leer. Mit offenen Lippen und Augen, die vor Staunen dunkel wurden, saß er müßig in seinem Kahn und lauschte. Lauschte, bis die Meeresnebel über ihn hinkrochen und der wandelnde Mond seine braunen Glieder mit Silber färbte.

Und eines Abends rief er sie und sprach: »Kleines Meermädchen, kleines Meermädchen, ich liebe dich. Nimm mich zum Bräutigam; denn ich liebe dich!«

Doch das Meermädchen schüttelte das Haupt: »Du hast eine Menschenseele,« erwiderte sie, »wenn du nur deine Seele von dir senden wolltest! Dann könnte ich dich lieben.«

Und der junge Fischer sprach zu sich: »Was frommt mir meine Seele? Ich kann sie nicht sehen. Ich kann sie nicht fassen, ich kenne sie nicht einmal. Wahrlich, ich will sie von mir senden, und große Seligkeit wird meiner harren.«

Und ein Schrei der Freude rang sich von seinen Lippen, und aufrechtstehend in seinem buntbemalten Kahne streckte er die Arme dem Meermädchen entgegen.

»Ich will meine Seele von mir schicken,« rief er, »und du sollst meine Braut sein. Dein Liebster will ich sein, und in den Tiefen der See wollen wir beisammen wohnen, und du sollst mir all das, wovon du gesungen hast, zeigen, und ich will alles tun, was du begehrest und nichts mehr soll unser Leben scheiden.«

Und das kleine Meermädchen lachte laut auf vor Glückseligkeit und verbarg das Antlitz in den Händen.

»Doch wie soll ich meine Seele von mir senden?« rief der junge Fischer. »Sag« mir, wie ich es beginnen soll, und siehe, es soll vollzogen sein.«

»Ach! das weiß ich nicht«, sprach das kleine Meermädchen. »Das Meervolk hat keine Seele.« Und sie stieg hinab in die Tiefe und sah ihn sehnsuchtsvoll an.

*

Früh am nächsten Morgen schon, ehe die Sonne noch eine Manneshand hoch über dem Hügel stand, ging der junge Fischer zum Hause des Priesters und pochte dreimal an die Türe.

Der Novize spähte durch das Türfensterlein heraus, und da er sah, wer draußen stand, zog er den Riegel zurück und sprach: »Tritt ein!«

Und der junge Fischer trat ein und kniete auf den süß duftenden Binsen des Bodens nieder und rief den Priester an, der in dem heiligen Buche las, und sprach zu ihm: »Vater, ich liebe eine vom Meervolk, und meine Seele hindert mich an der Erfüllung meiner Sehnsucht. Sag' mir, wie ich meine Seele von mir senden kann. Denn in Wahrheit, ich brauche sie nicht. Was soll mir meine Seele? Ich kann sie nicht sehen, ich darf sie nicht berühren, ich kenne sie nicht.«

Und der Priester schlug sich die Brust und entgegnete: »Wehe! Weh! Aus dir spricht Wahnsinn! Vielleicht auch hast du von einem giftigen Kraute genossen. Ist doch das Edelste im Menschen die Seele und sie ist uns von Gott geschenkt worden, daß wir sie auf edle Art gebrauchen sollen. Es gibt nichts Herrlicheres als eine Menschenseele und kein irdisch Ding mag sich damit vergleichen. Sie wieget alles Gold der Erde auf und ist kostbarer als die Rubine der Könige. Darum, mein Sohn, wende du deine Gedanken ab von dieser Sünde, die von jenen ist, die nicht verziehen werden. Denn das Meervolk ist verloren, und verloren sind alle die, die sich mit ihm einlassen. Sie sind wie das Vieh auf dem Felde, das nicht Gutes vom Üblen unterscheidet. Und nicht für sie ist unser Herr gestorben.«

Die Augen des jungen Fischers füllten sich mit Tränen, als er die harten Worte des Priesters vernahm, und er erhob sich von den Knien und sprach zu ihm: »Vater, die Faune leben im Walde und sind froh; und auf den Felsen sitzen die Meermänner mit ihren Harfen aus rotem Golde. Laß mich einer von ihnen sein, ich beschwöre dich. – Denn ihre Tage verstreichen wie die Tage der Blume. Meine Seele aber? Was frommt mir meine Seele, wenn sie zwischen mir und dem steht, was ich liebe?«

»Die Liebe des Leibes ist gemein,« rief der Priester, die Stirn runzelnd, »und gemein und böse sind die heidnischen Wesen, die Gott durch seine Welt wandern läßt. Verflucht seien die Faune des Waldlandes, und verflucht seien die Sänger der See. Ich habe sie zur Nachtzeit gehört, und sie haben versucht mich von meinem Gebete zu locken. Sie pochen ans Fenster und lachen, sie flüstern mir das Märchen von ihrer verderblichen Lust ins Ohr. Sie versuchen mich mit Versuchung – und wenn ich beten will, grinsen mich Fratzen an. Sie sind verloren, sag' ich dir, sie sind verloren. Für sie gibt es nicht Himmel noch Hölle, und nicht hier noch dort werden sie Gottes Namen lobpreisen.«

»Vater!« rief der junge Fischer. »Du weißt nicht, was du sprichst. Einst fing ich in meinen Netzen die Tochter eines Königs. Sie ist schöner als der Morgenstern und weißer als der Mond. Für ihren Leib gäbe ich gern meine Seele hin und für ihre Liebe meine Seligkeit. Sage mir, wonach ich dich frage, und laß mich in Frieden ziehen.«

»Hebe dich weg,« rief der Priester, »deine Buhle ist verloren und du wirst mit ihr verloren sein.« Und er gab ihm keinen Segen, sondern trieb ihn von seiner Tür.

Und der junge Fischer ging hinab auf den Marktplatz. Und er ging langsam und beugte den Kopf wie einer, der in Sorgen ist. Und als die Kaufleute ihn kommen sahen, flüsterten sie miteinander und einer von ihnen kam ihm entgegen und rief ihn beim Namen und sprach: »Was hast du zu verkaufen?«

»Ich will dir meine Seele verkaufen«, antwortete er. »Ich bitte dich, kaufe sie mir ab, denn ich bin ihrer müde. Wozu brauche ich meine Seele? Ich kann sie nicht sehen, ich darf sie nicht fassen, ich kenne sie nicht.«

Die Kaufleute aber höhnten ihn und sagten: »Was frommt uns wohl eine Menschenseele? Sie ist kein Stück geprägten Silbers wert. Verkaufe uns deinen Leib zu eigen, und wir wollen dich in den Purpur des Meeres hüllen, einen Ring an deinen Finger stecken und dich zum Lustknaben der großen Königin machen. Aber rede uns nicht von deiner Seele, denn für uns ist sie nichts, auch hat sie keinen Wert für uns.«

Da sprach der junge Fischer zu sich: »Wie seltsam ist doch all dies! Der Priester sprach zu mir: ›Die Seele wiegt alles Gold der Welt auf.‹ Und die Kaufleute sagen, sie sei kein geprägtes Stück Silber wert.«

Und er verließ den Marktplatz und stieg nieder an das Ufer der See und begann darüber zu sinnen, was er tun solle.

*

Und zur Mittagsstunde kam ihm in den Sinn, wie ihm einst einer seiner Gefährten, der ein Meerfenchelsucher war, von einer jungen Hexe erzählt hatte, die am Ende der Bucht in einer Höhle wohne, und sehr geschickt in ihren Zauberkünsten sei. Und er machte sich auf und lief zu ihr; so sehr gelüstete es ihn, seine Seele los zu werden. Und eine Wolke Staubes folgte ihm, als er den Ufersand entlang eilte.

Aus dem Jucken ihrer Hand ersah die junge Hexe sein Kommen. Und sie lachte und löste ihr rotes Haar. Von ihrem roten Haar umwogt, stand sie unter dem Eingang der Höhle, und in den Händen hielt sie einen Zweig von wildem Schierling, der blühte.

»Was willst du? Was willst du?« rief sie, als er keuchend den Abhang heranklomm und sich vor ihr neigte. »Fische im Netz, wenn der Wind versagt? Ich habe ein Rohrpfeiflein: Blas' ich darauf, so kommen die Meeräschen in die Bucht gesegelt. Aber es hat einen Preis, schöner Knabe. Es hat einen Preis. – Was willst du? Was willst du? Einen Sturm, der Schiffe scheitern macht und Kisten voll reicher Schätze an das Ufer spült? Ich habe mehr Stürme als der Wind, denn ich diene einem, der stärker ist als der Wind. Und mit einem Sieb und einem Eimer Wasser kann ich die großen Galeeren nieder auf den Grund des Ozeans senken. Aber ich habe meinen Preis, schöner Knabe. Ich habe meinen Preis. – Was willst du? Was willst du? Ich kenne eine Blume, die im Tale wächst. Keiner kennt sie als ich. Purpurblätter hat sie und einen Stern in ihrem Herzen, und ihr Saft ist weiß wie Milch. Berührtest du mit dieser Blume die harten Lippen der Königin, so folgte sie dir all über die Welt. Aus dem Bette des Königs stünde sie auf, und all über die Welt hin folgte sie dir. Doch die hat ihren Preis, hübscher Junge. Die hat ihren Preis. – Was willst du? Was willst du? Ich kann eine Kröte im Mörser zerstoßen und Brühe daraus brauen, diese Brühe mit eines toten Mannes Hand umrühren. Spritzst du sie auf deinen Feind, während er schläft, so wird er sich in eine schwarze Viper wandeln, und seine eigene Mutter wird ihn erschlagen. Mit einem Spinnrad kann ich den Mond vom Himmel ziehen und im Kristall dir den Tod zeigen. – Was willst du? Was willst du? Nenne mir deinen Wunsch, und ich will ihn dir erfüllen und du wirst mir den Preis zahlen, süßer Knabe, du wirst den Preis zahlen.«

»Mein Wunsch steht nur nach einem kleinen Dinge,« sprach der junge Fischer, »doch hat der Priester mir darob gezürnt und mich davongejagt. Nach einem kleinen Dinge nur stehet mein Wunsch; doch haben die Kaufleute mich verhöhnet und es mir verweigert. Drum bin ich zu dir gekommen, wenngleich dich die Menschen böse schelten. Und welchen Preis du auch fordern magst: Ich will ihn bezahlen.«

»Und was wünschest du?« fragte die Hexe und trat dicht an ihn heran.

»Ich möchte meine Seele fort von mir senden«, erwiderte der junge Fischer.

Die Hexe erbleichte und schauderte und verhüllte das Angesicht mit ihrem blauen Mantel. »Schöner Knabe, murmelte sie, »du verlangst Entsetzliches.«

Er schüttelte die braunen Locken und lachte. »Ich brauche meine Seele nicht«, erwiderte er. »Ich kann sie nicht sehen, ich darf sie nicht fassen, ich kenne sie nicht.«

»Was willst du mir geben, wenn ich es dir sage?« fragte die Hexe und blickte ihn verlangend an mit ihren schönen Augen.

»Fünf Stücke Goldes«, sprach er. »Die Hütte aus Schilfrohr, worin ich lebe, und den bemalten Kahn, worin ich segle. Nur sage mir, wie ich meine Seele los werden kann. Ich will dir alles geben, was ich besitze.«

Sie lachte höhnisch auf und schlug ihn mit dem Zweig des Schierlings. »Ich kann die Blätter des Herbstes in Gold verwandeln,« erwiderte sie, »ich kann die bleichen Mondstrahlen zu Silber spinnen, wenn ich will. Der, dem ich diene, ist reicher als alle Könige der Erde und beherrscht ein jedes ihrer Länder.«

»Was denn soll ich dir geben,« rief er, »wenn dein Preis nicht Silber ist noch Gold?«

Die Hexe glättete sein Haar mit ihren schmalen weißen Händen: »Tanzen sollst du mit mir, schöner Knabe«, flüsterte sie und lächelte ihm zu, als sie sprach.

»Sonst nichts?« rief der junge Fischer verwundert und sprang auf die Füße.

»Sonst nichts«, entgegnete sie. Und wieder lächelte sie ihm zu.

»So wollen wir bei Sonnenuntergang an heimlicher Stelle miteinander tanzen«, sprach er. »Und haben wir getanzt, so wirst du mir verraten, was zu wissen mich verlangt.«

Sie schüttelte den Kopf. »Erst wenn der Mond voll ist! Erst wenn der Mond voll ist!« flüsterte sie. Dann spähte sie im Kreise umher und lauschte. Ein blauer Vogel stieg kreischend von seinem Neste auf und kreiste über die Dünen, und drei bunte Vögel rauschten durch das harte graue Gras und schrien einander zu. Kein Laut sonst war hörbar, außer dem Rauschen der Wogen, die sich stöhnend auf dem glatten Kieselgrunde wälzten. Da streckte sie die Hand aus und zog ihn eng an sich heran und legte ihre heißen Lippen dicht an sein Ohr.

»Heute nacht sollst du mit mir auf den Bergesgipfel kommen,« flüsterte sie, »es ist Sabbat und Er wird dort sein.«

Der junge Fischer erschrak und sah sie an. Doch sie wies ihm die weißen Zähne und lachte.

»Wer ist Er, von dem du sprichst?« so fragte er.

»Was kümmert es dich?« erwiderte sie. »Komm heute nacht! Unter den Ästen der weißen Buche sollst du stehen und auf mich warten. Läuft ein schwarzer Hund auf dich zu, schlag ihn mit einer Weidenrute, und er wird fortgehen. Schreit eine Eule zu dir, gib ihr keine Antwort. Sobald der Mond voll ist, will ich bei dir sein. Dann wollen wir zusammen im Grase tanzen.«

»Doch schwörst du mir zu sagen, wie ich meine Seele fort von mir senden kann?« fragte er dawider.

Sie trat in das volle Sonnenlicht hinaus und durch ihr rotes Haar wehte der Wind. »Bei den Hufen des Bockes schwöre ich es!« gab sie zur Antwort.

»Du bist die beste aller Hexen,« rief der junge Fischer, »darum will ich auch wahrlich heute mit dir auf dem Bergesgipfel tanzen. Ich wollte zwar, du hättest Gold oder Silber von mir erbeten; doch soll dir der Preis werden, nach dem du verlangest, denn es ist ja nur eine Kleinigkeit.«

Er lüftete die Mütze und neigte tief das Haupt vor ihr und lief zurück in die Stadt, von großer Freude erfüllt.

Und die Hexe blickte ihm nach, wie er so lief. Und als er ihr aus dem Aug' geschwunden war, trat sie wieder in die Höhle, nahm einen Spiegel aus einem Kistchen von geschnitztem Zedernholze, setzte ihn auf ein Gestell und verbrannte auf glühender Kohle Eisenkraut davor und starrte in die Ringel des Rauches. Und nach einer Weile krampfte sie zornig die Hände ineinander. »Er hätte mein sein sollen!« stieß sie leise hervor. »Ich bin so schön wie sie.«

*

Am Abend, als der Mond emporgestiegen war, kletterte der junge Fischer zum Berggipfel hinan und stellte sich unter die Äste der Weißbuche. Wie ein Schild spiegelglatten Metalles ruhte zu seinen Füßen das Meer, und die Schatten der Fischerboote zogen durch die kleine Bucht. Eine große Eule mit gelben Schwefelaugen rief seinen Namen, er aber antwortete nicht. Ein schwarzer Hund lief auf ihn zu und fletschte die Zähne, er schlug ihn mit einer Weidenrute, und winselnd schlich er sich weg.

Um Mitternacht kamen die Hexen wie Fledermäuse durch die Luft geflattert. »Pfui!« kreischten sie, als sie den Boden berührten. »Es ist einer hier, den wir nicht kennen.« Und sie schnüffelten herum und schwatzten miteinander und gaben sich Zeichen. Als letzte aber kam die junge Hexe, und ihr Rothaar wehte im Wind. Sie trug ein goldgewebtes Gewand, das mit Pfauenaugen bestickt war, und ein Häubchen aus grünem Samt auf dem Kopfe.

»Wo ist er? Wo ist er?« gellten die Hexen, als sie sie sahen. Sie aber lachte nur auf und lief auf die Weißbuche zu, nahm den jungen Fischer an der Hand und führte ihn hinaus ins helle Mondlicht und hub zu tanzen an.

In rasendem Wirbeltanze drehten und drehten sie sich, und die junge Hexe sprang so hoch, daß er die scharlachenen Hacken ihrer Schuhe sehen konnte. Da drang, mitten in den Tanz hinein, der Laut schnelleilender Hufe. Doch kein Pferd ward sichtbar; und er fürchtete sich.

»Schneller!« rief die Hexe und sie schlang ihm die Arme um den Hals, und ihr Atem brannte auf seinem Gesicht. »Schneller! Schneller!« rief sie, und die Erde schien unter seinen Füßen wie ein fliegendes Spinnrad, und seine Gedanken wurden wirr, und eine große Angst befiel ihn: gleichsam als starre ihn Böses an, – und zuletzt sah er, daß unter dem Schatten des Felsens eine Gestalt stand, die vorher nicht dagewesen war.

Es war ein Mann in einem schwarzen Samtgewande, nach spanischer Art geschnitten. Sein Gesicht war seltsam bleich. Seine Lippen aber waren wie eine stolze rote Blume. Er schien müde und lehnte sich zurück, achtlos mit dem Knopfe seines Dolches spielend. Auf dem Grase neben ihm lag ein Federhut und ein Paar Reiterhandschuhe mit goldenen Spitzen besetzt und mit Perlen bestickt, die ein seltsames Symbol bildeten. Ein kurzer, zobelgefütterter Mantel hing ihm von der Schulter, und seine zarten weißen Hände waren ringübersät. Schwere Lider schatteten seine Augen.

Der junge Fischer sah und sah ihn an wie einer, den ein Zauber hält. Endlich trafen sich ihre Blicke, und wohin er auch tanzte, immer fühlte er die Augen des Mannes auf sich ruhen. Er hörte die Hexe lachen, faßte sie um den Leib und drehte sie in tollem Wirbel.

Plötzlich bellte ein Hund im Walde, und die Tänzer hielten ein und traten je zu zweit vor den Mann hin, knieten nieder und küßten seine Hand. Als sie dies taten, glitt ein leises Lächeln um seine stolzen Lippen, wie Vogelschwingen über Wasser gleiten und es lächeln machen. Aber es lag Verachtung darin, und immerzu sah er den jungen Fischer an.

»Komm, laß uns anbeten!« flüsterte die Hexe und sie nahm ihn bei der Hand, und ein heißes Verlangen, zu tun wie sie sprach, ergriff ihn. Er folgte ihr. Doch da er nahe trat, ohne zu wissen weshalb, schlug er auf seiner Brust das Kreuzeszeichen und rief den heiligen Namen an.

Kaum hatte er dies getan, da kreischten die Hexen wie Falken auf und flogen von dannen, und das bleiche Gesicht, das ihn ansah, zuckte in einem Krampf des Schmerzes. Der Mann schritt auf ein kleines Gehölze zu und pfiff. Eine silbergezäumte Stute lief ihm entgegen. Und da er auf ihren Rücken sprang, wendete er sich nochmals um und blickte den jungen Fischer traurig an. Auch die Hexe mit dem roten Haare versuchte fortzufliegen, aber der Fischer erhaschte sie beim Handgelenk und hielt sie fest.

»Gib mich frei«, rief sie, »und laß mich gehen! Hast du doch genannt, was nicht genannt werden darf, und das Zeichen gemacht, das wir nicht ansehen dürfen.«

»Nicht doch,« erwiderte er, »nicht laß ich dich, eh' du mir das Geheimnis verraten.«

»Welches Geheimnis?« sprach die Hexe und rang mit ihm wie eine wilde Katze und biß sich die schaumbedeckten Lippen.

»Du weißt es«, antwortete er.

Ihre grasgrünen Augen wurden tränenschwer, und sie sprach zum jungen Fischer: »Verlange von mir was du willst, nur das nicht.«

Er lachte und hielt sie nur um so fester.

Und als sie sah, daß sie sich nicht zu lösen vermochte, flüsterte sie ihm zu: »Sag', bin nicht auch ich so schön wie die Tochter des Meeres und so begehrenswert wie jene, die in den blauen Wassern wohnt?« Und sie schmiegte sich an ihn und lehnte ihr Antlitz an das seine.

Er aber stieß sie stirnrunzelnd von sich und sprach: »Brichst du das Versprechen, das du mir gegeben hast, so erschlage ich dich, du falsche Hexe!«

Sie wurde grau wie eine Blume am Judasbaume und erschauerte. »Sei's denn!« murmelte sie, »es ist ja deine Seele und nicht meine. Tu, was du willst, mit ihr.« Und sie zog aus dem Gürtel ein kleines Messer, das einen Griff von grüner Vipernhaut trug, und gab es ihm.

»Was soll mir das?« fragte er sie verwundert.

Einen Augenblick lang schwieg sie, und ein Ausdruck des Entsetzens glitt über ihr Gesicht. Dann strich sie sich das Haar aus der Stirn, und seltsam lächelnd sprach sie zu ihm:

»Was die Menschen den Schatten des Körpers nennen, ist nicht der Schatten des Körpers, sondern der Körper der Seele. Gehe hinab an das Ufer der See und wende deinen Rücken dem Monde zu und schneide rings um deine Füße den Schatten ab, der deiner Seele Körper ist, und heiße deiner Seele dich verlassen, so wird sie es tun.«

Der junge Fischer zitterte. »Sprichst du wahr?« murmelte er.

»Ich sprach wahr. Und ich wollte, ich hätte es dir nicht gesagt!« rief sie und umfing schluchzend seine Knie.

Er schob sie von sich und ließ sie im hohen Grase liegen, steckte das Messer in seinen Gürtel, schritt an den Rand des Berges und begann hinabzuklettern.

Und die Seele in ihm rief und sprach: »Höre! Ich habe jahrelang in dir gewohnt und dir gedienet. Schicke mich jetzo nicht von dir! Denn was hab' ich dir Böses getan?«

Und der junge Fischer lachte: »Du hast mir nichts Böses getan, doch brauche ich dich nicht«, antwortete er. »Die Welt ist weit. Auch gibt es einen Himmel und eine Hölle und jenes dämmerdunkle Zwielichthaus, das zwischen beiden liegt. Geh, wohin du willst, aber störe mich nicht, denn mich ruft meine Geliebte.«

Und seine Seele flehte ihn jammernd an, er aber achtete ihrer nicht, sondern sprang von Klippe zu Klippe, sicheren Fußes wie eine wilde Ziege, und endlich kam er auf flachen Grund zu stehen am gelben Ufer des Meeres.

Mit bronzefarbenen Gliedern und wohlgestaltet, wie eine Statue von Griechenhand geschaffen, so stand er auf dem Sande, und wandte dem Monde den Rücken zu. Aus dem Meeresschaume aber streckten sich weiße Arme, die ihm winkten, und aus den Wogen stiegen dunkle Gestalten, die ihm huldigten. Vor ihm lag sein Schatten, welcher der Körper seiner Seele war, und hinter ihm hing der Mond in der honigfarbenen Luft.

Und seine Seele sprach zu ihm: »Mußt du mich wirklich von dir treiben, so schicke mich nicht fort ohne ein Herz. Die Welt ist grausam, gib mir dein Herz mit auf den Weg!«

Er schüttelte den Kopf und lächelte. »Womit sollte ich wohl meine Geliebte lieben, gäbe ich dir mein Herz?« fragte er.

»Nicht doch! Sei barmherzig,« sprach seine Seele, »gib mir dein Herz, denn die Welt ist grausam, und ich fürchte mich.«

»Mein Herz gehört meiner Geliebten,« erwiderte er, »und nun zögere nicht länger. Fort mit dir!«

»Soll ich nicht auch lieben?« fragte seine Seele.

»Hebe dich fort, denn ich kann dich nicht mehr brauchen!« rief der junge Fischer, und er nahm das kleine Messer mit dem Knopf aus grüner Vipernhaut und schnitt den Schatten rings um seine Füße ab. Da erhob sich dieser und stand vor ihm und sah ihn an und glich ihm selbst in allen Dingen.

Er schlich zurück und stieß das Messer in den Gürtel und ein Gefühl des Schauderns überkam ihn. »Hebe dich weg,« murmelte er, »und laß mich dein Antlitz nicht mehr sehen.«

»Nicht doch, wir müssen uns wiedersehen«, erwiderte die Seele. Ihre Stimme war leise und flötengleich, und ihre Lippen bewegten sich kaum, da sie sprach.

»Wie sollten wir uns wiedersehn?« rief der junge Fischer. »Du wirst mir nicht in die Tiefen des Meeres folgen.«

»Alljährlich einmal will ich an diese Stelle kommen und dich rufen,« sprach die Seele, »es kann sein, daß du mich dann brauchst.«

»Wie sollte ich dich brauchen«, rief der junge Fischer. »Doch sei dem so, wenn du es willst.« Und er tauchte hinab in das Wasser, und die Tritonen bliesen auf ihren Hörnern und das kleine Meermädchen stieg empor, ihm entgegen, und schlang die Arme um seinen Hals und küßte ihn auf den Mund.

Und die Seele stand am einsamen Ufer und blickte nach ihnen hin. Und als sie im Meere versunken waren, zog sie weinend ihres Weges, über das Sumpfland hin.

*

Und als ein Jahr verstrichen war, kam die Seele zum Ufer des Meeres herab und rief den jungen Fischer, und er stieg empor aus der Tiefe und sprach: »Warum rufst du mich?« Und die Seele antwortete: »Komm näher, daß ich zu dir spreche, denn Wunderbares habe ich geschaut.« Und er kam näher und lag im seichten Wasser und lehnte das Haupt auf die Hand und lauschte.

*

Und die Seele sprach zu ihm: »Da ich dich verlassen, wandte ich mein Antlitz gen Osten und wanderte. Von Osten kommt alle Weisheit. Sechs Tage lang wanderte ich und am Morgen des siebenten Tages kam ich an einen Hügel, der im Lande der Tataren liegt. Ich lagerte mich in den Schatten eines Tamariskenbaumes, um mich vor der Sonne zu schützen. Das Land war trocken und von der Hitze versengt. Die Leute schleppten sich über die Ebene hin wie Fliegen, die auf einer Scheibe blanken Kupfers kriechen.

Gen Mittag stieg eine Wolke roten Staubes am flachen Horizonte des Landes auf. Als die Tataren sie erblickten, strafften sie ihre bemalten Bogen und sprangen auf ihre kleinen Pferde und sprengten ihr entgegen. Die Weiber flohen schreiend zu den Wagen und verbargen sich hinter den Vorhängen aus Fellen.

Bei Dämmerung kamen die Tataren zurück, aber fünf von ihnen fehlten; und von denen, die zurückkamen, waren nicht wenige verwundet. Sie spannten ihre Pferde an die Wagen und fuhren eilig davon. Drei Schakale kamen aus einer Höhle und spähten ihnen nach. Dann zogen sie die Luft mit den Nüstern ein und trabten in entgegengesetzter Richtung davon.

Als der Mond aufging, ward ich eines Lagerfeuers auf der Ebene gewahr und lenkte den Schritt darauf zu. Auf Teppichen lagerten eine Schar von Kaufleuten. Ihre Kamele waren hinter ihnen an Pfählen festgebunden, und die Neger, die ihre Knechte waren, spannten Zelte aus gegerbten Tierhäuten auf dem Sande auf und errichteten eine hohe Mauer aus Stachelbirnen.

Als ich in ihre Nähe kam, erhob sich der Führer der Kaufleute und zog das Schwert und fragte nach meinem Begehr.

Ich erwiderte, ich sei ein Fürst in meinem Heimatlande, und sei soeben den Tataren entflohen, die versucht hätten, mich zu ihrem Sklaven zu machen.

Der Häuptling lachte und zeigte mir fünf Köpfe, die an langen Bambusrohren staken.

Dann fragte er mich, wer Gottes Prophet sei. Ich gab zur Antwort: ›Mohammed.‹

Als er den Namen des falschen Propheten hörte, neigte er sich tief und nahm mich bei der Hand und setzte mich an seine Seite. Ein Neger brachte mir Pferdemilch in einer hölzernen Schale und ein Stück gerösteten Lammfleisches.

Bei Tagesgrauen machten wir uns auf die Reise. Ich ritt auf einem rothaarigen Kamel, dem Häuptling zur Seite, und ein Läufer lief vor uns her und trug einen Speer. Zu beiden Seiten schritt Kriegsvolk, und die Maultiere folgten mit den Waren. Es waren vierzig Kamele bei der Karawane und der Maultiere waren zweimal vierzig an der Zahl.

Wir zogen vom Lande der Tataren in das Land derer, die dem Monde fluchen. Wir sahen die Greifen auf den weißen Felsen ihr Gold hüten und die schuppigen Drachen in ihren Höhlen schlafen. Als wir über das Gebirge schritten, hielten wir den Atem an, daß sich der Schnee nicht lockere und auf uns falle, und jedermann band sich einen Schleier aus Gaze vor die Augen. Als wir durch die Täler zogen, schossen die Zwerge aus hohlen Bäumen mit Pfeilen nach uns, und zur Nachtzeit hörten wir die Wilden ihre Trommeln schlagen. Als wir zum Turme der Affen kamen, setzten wir ihnen Früchte vor und sie taten uns kein Leid.

Als wir zu dem Turme der Schlangen kamen, setzten wir ihnen warme Milch in zinnernen Schalen vor und sie ließen uns vorüberziehen. Dreimal kamen wir auf unserer Reise an die Ufer des Oxus. Wir setzten auf hölzernen Flößen darüber mit großen Blasen luftgefüllter Häute. Die Flußpferde wüteten gegen uns und wollten uns töten. Als die Kamele sie sahen, zitterten sie.

Die Könige jeder Stadt heischten Zoll von uns, doch keiner ließ uns durch die Tore treten. Über die Mauer herüber warfen sie uns Brot zu, kleine honiggebackene Maiskuchen und Kuchen aus feinem Mehl mit Datteln gefüllt. Für je hundert Körbe voll gaben wir ihnen eine Bernsteinperle.

Wenn die Leute in den Dörfern uns kommen sahen, vergifteten sie die Brunnen und flohen auf die Hügelhöhen. Wir kämpften mit den Magadaern, die alt zur Welt kommen und von Jahr zu Jahr jünger werden, und die sterben, wenn sie kleine Kinder sind; und mit den Laktroen, die sich Tigersöhne nennen und sich gelb bemalen und schwarz; und mit den Auranthen, die die Leichen ihrer Toten in den Wipfeln der Bäume begraben, und selber in dunklen Höhlen wohnen, daß die Sonne, die ihr Gott ist, sie nicht töte; und mit den Krimanieren, die ein Krokodil anbeten und ihm Ohrringe aus grünem Glas geben und es mit Butter und jungem Geflügel füttern; und mit den Agazonbaten, die Hundeköpfe haben; und mit den Silbanern, die Pferdefüße haben und schneller laufen als Pferde. Ein Dritteil unserer Schar fand in der Schlacht den Tod, und ein Dritteil starb an Entbehrung. Die Übriggebliebenen murrten wider mich und sagten, ich habe Unheil über sie gebracht. Ich zog eine Hornnatter unter einem Steine hervor und ließ mich von ihr beißen. Als sie sahen, daß ich nicht erkrankte, befiel sie Furcht.

Im vierten Monate erreichten wir die Stadt Illel. Nacht war es, als wir an den Hain gelangten, der vor den Mauern liegt, und die Luft war schwül, denn der Mond stand unter dem Zeichen des Skorpions. Wir pflückten die reifen Granatäpfel von den Bäumen, brachen sie und schlürften ihren süßen Saft. Dann lagerten wir uns auf unsere Teppiche und warteten auf die Dämmerung.

Und als es dämmerte, standen wir auf und pochten an das Tor der Stadt. Es war aus rotem Erz und Seeungetüme und geflügelte Drachen waren hereingegossen. Die Wächter schauten von den Wällen herab und fragten nach unserem Begehr. Der Dolmetsch der Karawane antwortete, wir kämen von der syrischen Insel und brächten viele Waren. Sie nahmen Geiseln und sagten, sie wollten uns das Tor am Mittag öffnen, und hießen uns bis dahin warten.

Als es Mittag war, öffneten sie das Tor, und als wir einzogen, liefen die Leute in Scharen aus den Häusern, um uns zu sehen, und ein Marktschreier ging durch die ganze Stadt und blies auf einer Muschel. Wir standen auf dem Marktplatz und die Neger banden die Ballen bunten Tuches auf und öffneten die geschnitzten Truhen aus Sykomore, und als sie mit ihrer Arbeit fertig waren, zogen die Kaufleute ihre seltenen Schätze hervor: das gewächste Linnen aus Ägypten und das farbige Linnen aus dem Lande der Äthiopier, die purpurnen Schwämme von Tyrus und die blauen Tapeten aus Sidon; die kühlen Bernsteinschalen und die schönen Gefäße aus Glas und die seltsamen Gefäße aus gebranntem Ton. Vom Dache eines Hauses herab beobachtete uns eine Schar Frauen. Eine der Frauen trug eine Maske von vergoldetem Leder. Und am ersten Tage kamen die Priester und trieben Tauschhandel mit uns, und am zweiten Tage kamen die Edelleute, und am dritten kamen die Arbeiter und die Sklaven. Und so ist dies in ihrem Lande Kaufleuten gegenüber Brauch, solange diese in der Stadt verweilen.

Wir aber verweilten einen Monat lang. Und als der Mond schwand, wurde ich müde und wanderte fort durch die Straßen der Stadt, und kam zu dem Garten ihres Gottes. Lautlos glitten die Priester in ihren gelben Gewändern zwischen den grünen Bäumen hin, und auf einem Pflaster von schwarzem Marmor stand das rosenrote Haus, worin die Gottheit ihre Wohnstatt hat. Die Türen waren aus goldbestaubtem Lack, und Stiere und Pfauen waren in leuchtendem Golde und erhabener Arbeit darauf abgebildet. Das Ziegeldach war aus meergrünem Porzellan und die hervorspringenden Dachtraufen waren mit kleinen Glöcklein bekränzt. Wenn die weißen Tauben flatterten, berührten sie die Glöcklein mit ihren Schwingen, so daß sie erklangen.

Vor dem Tempel lag ein Becken klaren Wassers, das mit ädrigem Onyx gepflastert war. Ich lagerte mich an seinen Rand und strich mit meinen weißen Fingern über die breiten Blätter. Einer der Priester kam auf mich zu und trat hinter mich. Er trug Sandalen an den Füßen, eine aus weicher Schlangenhaut, die andere aus Vogelgefieder. Auf seinem Kopfe war eine Mitra aus schwarzem Filz mit silbernen Halbmonden besät. Siebenfaches Gelb war in sein Kleid gewoben und auch sein gekräuseltes Haar war mit Antimon gefärbt.

Nach einer kleinen Weile sprach er zu mir und fragte nach meinem Begehr.

Ich sagte ihm, daß ich die Gottheit zu sehen begehre.

›Der Gott ist auf der Jagd‹, sprach der Priester und blickte mich seltsam mit den schmalgeschlitzten Augen an.

›Sage mir, in welchem Walde, so will ich mit ihm reiten‹, erwiderte ich. Er kämmte die weichen Fransen seiner Tunika mit seinen langen spitzigen Fingern aus. ›Der Gott schläft‹, murmelte er.

›Sage mir, auf welchem Lager, so will ich bei ihm wachen‹, erwiderte ich.

›Der Gott ist beim Festmahl!‹ rief er.

›Ist der Wein süß, so will ich mit ihm trinken, und schmeckt er bitter, so will ich gleichfalls mit ihm trinken‹, war meine Antwort.

Er neigte voll Staunen den Kopf und nahm mich bei der Hand und hob mich auf und führte mich in den Tempel.

Und im ersten Gemache sah ich ein Götzenbild auf einem Throne von Jaspis sitzen, der mit großen Perlen aus dem Osten eingesäumt war. Es war aus Ebenholz geschnitzt, und seine Gestalt glich der Gestalt eines Mannes. Auf seiner Stirn saß ein Rubin, und dickes Öl tropfte aus seinem Haare auf die Schenkel nieder. Seine Füße waren vom Blute eines frischgeschlachteten Lammes rotgenetzt und um seine Lenden gürtete sich ein kupferner Gurt, der mit sieben Beryllen besetzt war.

Und ich sprach zum Priester: ›Ist dies der Gott?‹ und er erwiderte: ›Dies ist der Gott.‹

›Zeige mir den Gott,‹ rief ich, ›oder wahrlich, ich töte dich‹, und ich berührte seine Hand und sie wurde welk.

Und der Priester flehte und sprach: ›Es heile der Herr seinen Knecht, und ich will ihm den Gott zeigen.‹

Da hauchte ich mit meinem Hauch auf seine Hand, und sie ward wieder stark, er aber zitterte und führte mich in ein zweites Gemach, und ich sah ein Götzenbild in einem Lotuskelche aus Nephrit stehen, der mit großen Smaragden behangen war. Es war aus Elfenbein geschnitzt und seine Größe war zweifach Mannesgröße. An seiner Stirn hing ein Chrysolith und seine Brüste waren mit Myrrhen und Zimt geölt. In einer Hand hielt es ein krummes Zepter aus Nephrit und in der anderen einen runden Kristall. Es trug Stiefel von Kupfer und sein dicker Hals war mit einem Bunde Selenithen umwunden.

Und ich sprach zum Priester: ›Ist dies der Gott?‹ Und er erwiderte: ›Dies ist der Gott.‹

›Den Gott zeig' mir,‹ rief ich, ›oder wahrlich, ich erschlage dich.‹ Und ich berührte seine Augen: da wurden sie blind.

Und der Priester flehte und sprach: ›Es heile der Herr seinen Knecht und ich will ihm den Gott zeigen.‹

Da hauchte ich mit meinem Hauche auf seine Augen, und das Licht kam ihm wieder. Und er erzitterte von neuem und führte mich in das dritte Gemach. Und siehe! Kein Götzenbild stand darin, noch sonst ein Bildnis – nur ein Spiegel von rundem Metall, auf einem Altare von Stein.

Und ich sprach zum Priester: ›Wo ist der Gott?‹

Und er antwortete mir: ›Wir haben keinen Gott. Nur diesen Spiegel, den du siehst; denn dies ist der Spiegel der Weisheit, und er spiegelt alle Dinge wider, so im Himmel und auf Erden sind, nur das Gesicht dessen nicht, der hineinschaut. Dieses spiegelt er nicht wider, auf daß er, der hineinschaut, weise sei. Es gibt viele andere Spiegel, aber sie sind die Spiegel der Meinungen. Dieser nur ist der Spiegel der Weisheit. Und die, die diesen Spiegel besitzen, wissen jed' Ding, noch gibt es etwas Verborgenes für sie. Und die, die ihn nicht besitzen, haben nicht die Weisheit. Darum ist dies der Gott und darum beten wir ihn an.‹ Und ich blickte in den Spiegel, und es war, wie er gesprochen hatte.

Und ich tat etwas Seltsames. Doch ist meine Tat ohne Belang, denn in einem Tale, das nur eine Tagreise fern von hier liegt, habe ich den Spiegel der Weisheit verborgen. Nimm mich wieder in dich auf, laß mich dir dienen, und du wirst weiser sein als alle Weisen, und die Weisheit selbst wird dein sein. Nimm mich wieder in dich auf, und keiner wird dir an Weisheit gleichen.«

Der junge Fischer aber lachte. »Liebe ist besser als Weisheit,« rief er, »und das kleine Meermädchen liebt mich.«

»Nicht doch! Es gibt nichts, das der Weisheit gliche«, sprach die Seele.

»Die Liebe ist besser«, erwiderte der junge Fischer, und er tauchte in die Tiefe und weinend zog die Seele ihres Weges, über das Sumpfland hin.

*

Und als das zweite Jahr verstrichen war, stieg die Seele wieder zum Ufer des Meeres nieder und rief den jungen Fischer und er kam aus der Tiefe und sprach: »Was rufest du mich?«

Und die Seele erwiderte: »Komm näher, daß ich zu dir spreche, denn Wunderbares habe ich gesehen.«

Da kam er näher und lagerte sich im seichten Wasser und lehnte den Kopf auf die Hand und lauschte.

Und die Seele sprach zu ihm: »Da ich dich verließ, wandte ich mein Antlitz südwärts und wanderte. Aus dem Süden kommt jedwede Kostbarkeit. Sechs Tage lang zog ich die Landstraßen dahin, die zur Stadt Asthar führen, die staubigen, rotgefärbten Landstraßen dahin, die Pilger entlangziehen, und am Morgen des siebenten Tages hob ich die Augen, und siehe! zu meinen Füßen lag die Stadt, denn sie liegt in einem Tale.

Neun Tore führen in diese Stadt und vor jedem Tore steht ein Pferd aus Erz, das wiehert, wenn sich die Beduinen aus den Bergen herabstehlen. Die Mauern sind mit Kupfer beschlagen und die Dächer auf den Wachttürmen erzgedeckt. In jedem Turme steht ein Bogenschütze, dessen Hand den Bogen hält. Bei Sonnenaufgang schlägt er mit seinem Pfeile an ein Schallbecken, und bei Sonnenuntergang bläst er durch ein Horn von Horn.

Als ich eintreten wollte, hielten mich die Wachen an und fragten, wer ich sei. Ich gab zur Antwort, daß ich ein Derwisch sei und auf dem Weg nach Mekka, wo ein grüner Schleier wäre, worauf der Koran von Engelhand in Silberlettern gestickt sei. Sie waren voll des Staunens und baten mich einzutreten.

Drinnen aber geht es zu wie in einem Basar. Wahrlich, du hättest an meiner Seite sein sollen: Durch die engen Straßen flattern lustig Laternen aus Papier gleich großen Schmetterlingen. Bläst der Wind über die Dächer, so steigen und fallen sie wie farbenbunte Seifenblasen. Vor ihren Läden sitzen die Kaufleute auf seidenen Teppichen. Sie trugen geradlinige schwarze Bärte, und ihre Turbane sind mit Goldzechinen übersät, und lange Ketten aus Bernstein und geschnittenen Pfirsichsteinen gleiten durch ihre kalten Finger. Einige von ihnen verkaufen Galbanum und Narden und seltsame Wohlgerüche von den Inseln des Indischen Ozeans, und dick träufelndes Öl roter Rosen und Myrrhen und winzige, nagelförmige Nelken. Hält man an, um mit ihnen zu reden, so werfen sie kleine Stückchen Weihrauch auf ein Kohlenbecken und versüßen die Luft. Einen Syrier hab' ich gesehen, der hielt in der Hand eine dünne Rute, die einem Rohre glich. Graue Rauchfäden wanden sich daraus empor, und da sie brannte, glich ihr Duft der rosenfarbenen Mandelblüte im Lenz. Andere verkaufen silberne Armspangen, die allüber mit milchigblauen Türkisen besetzt sind, und metallene Knöchelspangen, die mit winzigen Perlen gefranst sind, und goldgefaßte Tigerklauen und die gleichfalls goldgefaßten Klauen der goldgelben Katze, des Leoparden, und Ohrringe aus durchlöcherten Smaragden, und Fingerringe aus gehöhltem Nephrit. Aus den Teehäusern kommt der Klang der Gitarre und die Opiumraucher blicken mit weißen, starrlächelnden Gesichtern auf die Vorübergehenden heraus.

Wahrlich! wahrlich! Du hättest bei mir sein sollen. Die Weinverkäufer erkämpften sich mit den Ellbogen den Weg durch die Menge und tragen große schwarze Schläuche auf den Schultern. Die meisten verkaufen Wein aus Schiraz, der süß wie Honig ist. Sie schenken ihn in kleine Metallschalen und streuen Rosenblätter darauf. Auf dem Marktplatze stehen die Obstverkäufer, die aller Art Früchte verkaufen: reife Feigen mit ihrem weichen Purpurfleische, Melonen, die nach Moschus duften und gelb wie Topase sind, Zitronen und Rosenäpfel und Bündel weißer Trauben, runde, rotgüldene Orangen und längliche Zitronen aus grünem Gold. Einmal sah ich einen Elefanten vorüberschreiten. Sein Rüssel war mit Karmin und Gelbwurz gefärbt und über seine Ohren war ein Netz hellroter Seidenschnüre gezogen. Er stand vor einer der Buden still und fing an die Orangen zu fressen, und der Mann lachte bloß. Du kannst dir nicht vorstellen, welch seltsames Volk dies ist. Fühlen sie sich froh, so gehen sie zu einem Vogelverkäufer und kaufen von ihm einen gefangenen Vogel und schenken ihm die Freiheit, daß ihre Freude größer sei. Und sind sie traurig, so geißeln sie sich mit Dornen, daß ihr Gram nicht geringer werde.

Eines Abends stieß ich auf Neger, die durch den Basar eine schwere Sänfte trugen. Sie war aus vergoldetem Bambusrohre, und die Stangen waren aus hellrotem Lacke mit erzenen Pfauen eingelegt. Vor den Fenstern hingen dünne Vorhänge aus Musselin, die mit Käferflügeln und winzigen Staubperlen bestickt waren. Und da sie vorüberzog, sah eine bleiche Zirkassin heraus und lächelte mir zu. Ich folgte, und die Neger beschleunigten die Schritte und murrten. Ich aber achtete dessen nicht. Ich fühlte eine große Neugierde in mir erwachen.

Endlich hielten sie vor einem viereckigen weißen Hause. Es hatte keine Fenster, nur eine kleine Türe, die der Tür eines Grabes glich. Sie setzten die Sänfte nieder und klopften dreimal mit einem kupfernen Hammer an. Ein Armenier in einem Kaftan aus grünem Leder spähte durch das Türfenster, und als er sie erblickte, öffnete er und breitete einen Teppich auf den Boden, und die Frau stieg aus. Beim Hineingehen wandte sie sich um und lächelte mir wieder zu. Ich hatte nie jemand gesehen, der so bleich war. Als der Mond aufging, kehrte ich zur selben Stelle zurück und suchte nach dem Hause. Doch es stand nicht länger an der Stelle. Als ich das sah, wußte ich, wer die Frau war, und warum sie mir zugelächelt hatte.

Wahrlich, du hättest mit mir sein sollen. Am Feste des jungen Mondes ging der junge Kaiser aus seinem Palaste hervor und trat in die Moschee, zu beten. Sein Haar und sein Bart waren mit Rosenblättern gefärbt, und seine Wangen mit feinem Goldstaub bestaubt. Die Flächen seiner Hände und seiner Füße waren gelb von Safran.

Bei Sonnenaufgang ging er aus seinem Palaste hervor in einem Gewande von Silber, und bei Sonnenuntergang kehrte er darein zurück in einem Gewand von Gold.

Das Volk warf sich auf die Erde und verhüllte das Angesicht. Ich aber wollte das nicht tun. Ich stand bei dem Brettverschlage eines Dattelhändlers und wartete. Als der Kaiser meiner gewahr wurde, zog er die gemalten Augenbrauen in die Höhe und wartete. Ich verharrte regungslos und erwies ihm keine Huldigung. Das Volk staunte ob meiner Kühnheit und riet mir, aus der Stadt zu fliehen. Ich achtete ihrer nicht, sondern ging hin und setzte mich zu den Verkäufern fremder Götter, die man um ihres Gewerbes willen in Abscheu hält. Als ich ihnen erzählte, was ich getan, schenkte mir ihrer jeder einen Gott und bat mich, von ihm zu gehen.

In jener Nacht, da ich in dem Teehause, das in der Granatapfelbaumstraße steht, auf einem Kissen ruhte, kamen die Wachen des Kaisers und führten mich in sein Schloß. Als ich hineinging, schlossen sie Türe um Türe hinter mir ab und legten eine Kette vor. Im Innern war ein großer Hof mit Säulengängen. Die Wände waren aus weißem Alabaster, hier und dort mit blauen und grünen Ziegeln eingelegt. Die Säulen waren aus grünem Marmor, und das Pflaster aus einer Art pfirsichblütenfarbenen Marmors. Ich hatte niemals Ähnliches gesehen.

Da ich durch den Hof ging, schauten von einem Altan zwei verschleierte Frauen herab und fluchten mir. Die Wachen eilten vorbei, und die Schäfte ihrer Lanzen dröhnten auf dem spiegelglatten Pflaster. Sie öffneten ein Tor aus gedrechseltem Elfenbein, und ich befand mich in einem wasserreichen Garten, der sieben Terrassen hatte. Er war mit Tulpen und Mohnblumen und silberknospenden Aloen bepflanzt. Gleich einer schlanken Säule aus Kristall hing ein Springbrunnen in der dämmerigen Luft. Die Zypressen glichen erloschenen Fackeln. Von einer herab sang eine Nachtigall.

Am Ende des Gartens stand ein kleines Zelt. Da wir uns näherten, kamen zwei Eunuchen heraus, uns entgegen. Ihre fetten Leiber schwankten, da sie gingen, und sie spähten mit ihren gelblidrigen Augen neugierig nach mir herüber. Einer von ihnen nahm den Hauptmann der Wache beiseite und flüsterte mit leiser Stimme ihm zu. Der andere kaute indessen duftende Pastillen, die er mit gezierter Handbewegung einer länglichen Dose von lilafarbigem Email entnahm.

Nach einigen Augenblicken verabschiedete der Hauptmann der Wache die Soldaten. Sie gingen zum Palast zurück. Die Eunuchen folgten ihnen langsam und pflückten im Vorübergehen die süßen Maulbeeren von den Bäumen. Einmal drehte sich der ältere der beiden um und lächelte mir mit bösem Lächeln zu.

Dann winkte mich der Hauptmann der Wache an den Eingang des Zeltes heran. Ohne zu zittern schritt ich hin, lüftete den schweren Vorhang und trat ein.

Da lag der junge Kaiser, auf ein Lager gefärbter Löwenfelle gestreckt, und ein Falke hockte auf seiner Faust. Hinter ihm stand ein Nubier mit steifem Turban, bis zu den Hüften nackt, in den gespaltenen Ohren schwere Ohrgehänge. Auf einem Tisch neben dem Lager ruhte ein mächtiger Pallasch aus Stahl.

Als der Kaiser mich erblickte, zog er die Stirne kraus und sprach: ›Wie nennst du dich? Weißt du nicht, daß ich Kaiser bin in dieser Stadt?‹ Ich aber gab keine Antwort.

Er deutete mit dem Finger auf den Pallasch, und der Nubier ergriff denselben und stürzte vor und hieb nach mir mit großer Wucht. Die Schneide sauste auf mich nieder und tat mir kein Leid. Der Mann stürzte zappelnd zu Boden, und wie er wieder aufstand, schlugen seine Zähne vor Grauen aufeinander und er verbarg sich hinter dem Lager.

Der Kaiser sprang auf die Füße und nahm von einem Waffenstande seine Lanze und warf sie nach mir. Ich fing sie im Fluge auf und brach den Schaft entzwei. Er schoß nach mir mit einem Pfeil, ich aber hob die Hände; da blieb er in den Lüften hängen. Dann zog er aus einem Gürtel weißen Leders seinen Dolch und grub ihn tief dem Nubier in den Hals, auf daß der Sklave von seiner Schande nicht erzähle. Der Mann krümmte sich wie eine zertretene Natter und roter Schaum rann ihm von den Lippen.

Sobald er tot war, wandte der Kaiser sich zu mir. Und als er sich den hellen Schweiß mit einem Tüchlein aus purpurgestickter Seide von der Stirne gewischt hatte, sprach er zu mir: ›Bist du ein Prophet, daß ich dich nicht töten kann, oder der Sohn eines Propheten, daß ich dich nicht zu verwunden vermag? Ich bitte dich, verlaß noch heute nacht meine Stadt, denn solange du in ihr wohnest, bin nicht ich ihr Herr.‹

Und ich erwiderte ihm: ›Für die Hälfte deiner Schätze will ich gehen. Gib mir die Hälfte deiner Schätze, so werde ich von hinnen gehen?‹

Er nahm mich bei der Hand und führte mich hinaus in den Garten. Als der Hauptmann der Leibwache meiner ansichtig ward, staunte er. Als die Eunuchen meiner ansichtig wurden, zitterten ihre Knie und sie stürzten vor Angst zu Boden.

Das Schloß birgt ein Gemach, das Wände aus rotem Porphyr hat und eine erzgeschuppte Decke, von welcher Lampen niederhängen.

Der Kaiser berührte eine der Wände und sie öffneten sich und wir gingen einen Gang entlang, der von vielen Fackeln hell war. Rechts und links in Nischen standen hohe Weinkrüge, mit Silberstücken bis an den Rand gefüllt. Als wir die Mitte des Ganges erreicht hatten, sprach der Kaiser das Wort, das sonst keiner sprechen darf. Alsobald sprang, von geheimer Feder gerührt, ein graniten Tor zurück und er verhüllte die Augen mit den Händen, auf daß seine Augen nicht geblendet würden.

Du vermagst wohl kaum zu ahnen, welch wunderbarer Ort dies war; da lagen Riesenschalen von Schildkrot, mit Perlen angehäuft, und große ausgehöhlte Mondsteine, worin sich rote Rubinen türmten. Das Gold stand in Koffern aus Elefantenhaut aufgespeichert und Goldstaub in ledernen Flaschen. Da gab es Opale und Saphire, diese in kristallenen Schalen, in Nephritschalen jene. Runde grüne Smaragden waren auf dünnen Elfenbeinplatten geschichtet, und in einer Ecke reihten sich seidene, hochgefüllte Säcke, einige voll mit Türkisen, andere mit Beryllen. Die elfenbeinernen Hörner waren mit purpurnen Amethysten hochgefüllt und die Hörner aus Erz mit Chalzedonen und Sarden. Die Pfeiler aus Zedernholz hingen schwer mit Schnuren gelber Luchssteine. In den flachen länglichen Schilden häuften sich Karfunkel; einige von der Farbe des Weines, von der Farbe des Grases andere. Mit all dem aber habe ich dir kein Zehntel all dessen, was da war, geschildert.

Und als der Kaiser die Hände vom Gesicht genommen hatte, sprach er zu mir: »Dies ist mein Schatzhaus und die Hälfte von allem sei dein, so wie ich dir verhieß. Auch will ich dir Kamele und Kameltreiber schenken, und sie sollen tun nach deinem Worte, und deinen Teil des Schatzes tragen, wohin du auch zu gehen verlangst. Heute nacht aber soll noch all dies geschehen, denn ich möchte nicht, daß die Sonne, die mein Vater ist, schaue, wie in meiner Stadt ein Mann lebt, den ich nicht zu töten vermag.‹

Ich aber erwiderte ihm: ›Das Gold, das hier liegt, bleibe dein, und auch das Silber bleibe dein. Dein auch mögen die kostbaren Juwelen bleiben und die Gegenstände ohne Preis. Ich trage nach all diesem nicht Begehr. Auch will ich nichts von dir nehmen, als diesen kleinen Ring vom Finger deiner Hand.‹

Und der Kaiser furchte die Stirne. ›Es ist nur ein Ring aus Blei,‹ rief er, ›und hat keinerlei Wert. Drum nimm deine Hälfte des Schatzes und meide meine Stadt.‹

›Nein,‹ erwiderte ich. ›Nicht will ich anderes nehmen, als diesen Ring aus Blei. Weiß ich doch, was drauf geschrieben sieht, und was es bedeutet.‹

Da bebte der Kaiser und blickte mich an und sprach: ›Nimm alle meine Schätze und geh' aus meiner Stadt. Auch die Hälfte, die noch mein ist, soll dein sein.‹

Ich aber tat etwas Seltsames. Doch davon will ich nicht sprechen, denn in einer Höhle, eine Tagreise von hier entfernt, habe ich den Ring des Reichtumes verborgen. Eine Tagreise von hier entfernt, liegt er verborgen und harret dein. Wer diesen Ring sein eigen nennt, ist reicher als alle Könige der Welt. Darum komm und nimm ihn, und alle Schätze der Erde sind dein.«

Der junge Fischer aber lachte. »Die Liebe ist besser als Reichtum«, rief er. »Und das kleine Meermädchen liebt mich.«

»Nein, nichts ist besser als Reichtum«, sprach die Seele.

»Die Liebe ist besser«, erwiderte der junge Fischer. Und er tauchte hinab in die Tiefe. Die Seele aber zog weinend ihres Weges über das Sumpfland hin.

*

Und da das dritte Jahr verstrichen war, kam die Seele herab zum Ufer der See und rief den jungen Fischer. Und er stieg empor aus der Tiefe und sprach: »Warum rufest du mich?«

Und die Seele erwiderte: »Komm näher, daß ich zu dir sprechen kann, denn Wunderbares habe ich gesehen.«

Und er kam näher und ruhte in dem seichten Wasser und lehnte das Haupt auf die Hand und lauschte.

Und die Seele sprach zu ihm:

»In einer Stadt, die ich kenne, ist eine Herberge, die am Flußrand steht. Dort saß ich mit Matrosen, die von zweifarbigem Weine tranken und Gerstenbrot aßen und kleine gesalzene Fische, die man auf Lorbeerblättern mit Essig herumreichte.

Und als wir so saßen und guter Dinge waren, gesellte sich ein alter Mann zu uns, der einen Lederteppich trug und eine Laute mit zwei Bernsteinhörnern. Und als er den Teppich auf den Boden gebreitet hatte, schlug er mit einer Feder auf die Drahtsaiten seiner Laute, und ein Mädchen mit verhülltem Antlitz lief herein und begann vor uns zu tanzen. Ihr Antlitz war mit einem Gazeschleier bedeckt, doch ihre Füße waren nackt. Nackt waren ihre Füße und sie glitten gleich zwei weißen Täubchen über den Teppich hin. Nie habe ich so Wunderbares gesehen. Und die Stadt, in der sie tanzte, liegt nur eine Tagreise weit von hier.«

Und als der Fischer die Worte seiner Seele hörte, kam es ihm in den Sinn, daß das kleine Meermädchen keine Füße hatte und nicht tanzen konnte. Und es überfiel ihn eine große Sehnsucht und er sprach zu sich selber: »Eine Tagreise nur ist es hin, und ich kann ja zu meiner Geliebten zurückkehren.« Und er lachte, hob sich in dem seichten Wasser hoch und schritt dem Ufer zu.

Und als er das trockene Ufer erreicht hatte, lachte er von neuem und breitete die Arme aus nach seiner Seele und die Seele stieß einen lauten Schrei des Jubels aus und eilte auf ihn zu und nahm von ihm Besitz. Und der junge Fischer sah vor sich auf dem Sande den Schatten seines Körpers ausgebreitet ruhen, welcher der Körper der Seele ist.

Und seine Seele sprach zu ihm: »Laß uns nicht zögern, sondern unversäumt fort von hier gehen, denn die Meergötter sind neidisch und haben Ungeheuer, die ihrem Gebote gehorchen.«

So eilten sie unverweilt von dannen und wanderten die Nacht lang. Und die ganze Nacht wanderten sie unter dem Monde und den ganzen Tag wanderten sie unter der Sonne dahin. Und am Abend des Tages gelangten sie in eine Stadt.

Und der junge Fischer sprach zu seiner Seele: »Ist dies die Stadt, worin sie tanzt, von der du mir erzählt hast?«

Und seine Seele erwiderte ihm: »Nicht diese Stadt ist es, sondern eine andere. Doch laß uns eintreten.«

So betraten sie denn die Stadt und gingen durch die Straßen, und da sie durch die Straße der Goldschmiede kamen, erblickte der junge Fischer einen schönen Silberbecher, der in einer Bude zur Schau gestellt war. Und seine Seele sprach zu ihm: »Nimm diesen Silberbecher und verbirg ihn.«

Da nahm er den Becher und verbarg ihn in den Falten seines Gewandes und sie gingen eilends aus der Stadt.

Und als sie eine Meile weit gegangen und fern der Stadt waren, furchte der junge Fischer die Stirn und warf den Becher von sich und sprach zu seiner Seele: »Warum hießest du mich diesen Becher nehmen und ihn verbergen? War es doch ein übel Ding, das ich tat.«

Seine Seele aber erwiderte ihm: »Sei ruhig, sei ruhig!«

Und am Abend des zweiten Tages kamen sie in eine Stadt und der junge Fischer sprach zu seiner Seele: »Ist dies die Stadt, in der sie tanzt, von der du mir gesprochen hast?«

Und seine Seele erwiderte ihm: »Nicht diese Stadt ist es, sondern eine andere. Doch laß uns eintreten.«

So schritten sie hinein und schritten durch die Straßen, und als sie durch die Straße der Sandalenhändler gingen, sah der junge Fischer ein Kind bei einem Wasserbrunnen stehen und seine Seele sprach zu ihm: »Schlage dies Kind!« Da schlug er das Kind, bis es aufschluchzte. Und da er dies getan, gingen sie eilends hinaus aus der Stadt.

Und als sie eine Meile weit gegangen und fern der Stadt waren, wurde der junge Fischer zornig, und er sprach zu seiner Seele: »Warum gebotest du mir, dieses Kind zu schlagen? War es doch ein übel Ding, das ich tat.«

Doch seine Seele entgegnete ihm: »Sei ruhig, sei ruhig!«

Und am Abende des dritten Tages kamen sie in eine Stadt, und der junge Fischer sprach zu seiner Seele: »Ist dies die Stadt, in der sie tanzt, von der du mir gesprochen hast?«

Und seine Seele erwiderte ihm: »Es kann sein, daß dies die Stadt ist, drum laß uns eintreten.«

So gingen sie hinein und schritten durch die Straßen. Doch nirgends konnte der junge Fischer den Fluß gewahren, noch die Herberge, die am Flußufer stand.

Und die Einwohner der Stadt blickten ihn neugierig an und Furcht faßte ihn und er sprach zu seiner Seele: »Laß uns von hinnen gehen, denn die, die mit weißen Füßen tanzet, ist nicht hier.«

Und seine Seele erwiderte: »Nicht doch, laß uns hier verweilen, denn die Nacht ist dunkel und Räuber werden am Wege sein.«

So setzte er sich auf den Marktplatz nieder und ruhte. Und nach einer Weile kam ein Kaufmann vorbei, der hatte einen Mantel aus Tatarentuch um den Leib geschlungen und trug eine Laterne aus durchlöchertem Horn an der Spitze eines knotigen Rohres. Und der Kaufmann sprach zu ihm: »Weshalb sitzest du hier auf dem Marktplatz, da doch die Buden verschlossen und die Ballen verschnürt sind?«

Und der junge Fischer erwiderte ihm: »Ich kann in dieser Stadt keine Herberge finden. Auch habe ich keinen Verwandten, der mir Obdach gäbe.«

»Sind wir nicht alle eines Blutes,« sprach der Kaufmann, »und hat nicht Gott uns alle erschaffen? Folge mir, hat mein Haus doch Raum für Gäste.«

Und der junge Fischer stand auf und folgte dem Kaufmann in sein Haus. Und als er durch den Garten von Granatäpfeln gegangen und in das Haus getreten war, brachte ihm der Kaufmann in einer kupfernen Schale Rosenwasser, daß er seine Hände wasche, und reife Melonen, daß er seinen Durst stille, und setzte eine Schüssel mit Reis und ein Stück gebratenen Lammes vor ihn hin. Und als er mit der Mahlzeit zu Ende war, führte ihn der Kaufmann in das Gastzimmer und hieß ihn schlafen und rasten. Und der junge Fischer dankte ihm und küßte den Ring an seiner Hand und warf sich nieder auf die Teppiche aus gefärbtem Ziegenhaar. Und als er sich mit einer Decke aus schwarzer Lammwolle zugedeckt hatte, schlief er ein.

Doch drei Stunden, ehe der Morgen graute, da es noch Nacht war, weckte ihn seine Seele und sprach zu ihm: »Stehe auf und gehe in das Gemach des Kaufmanns, in das Gemach, darin er schläft, und töte ihn und nimm ihm sein Gold, denn wir brauchen es.«

Und der junge Fischer stand auf und schlich zu dem Gemache des Kaufmanns. Und über den Füßen des Kaufmanns lag ein gebogenes Schwert und die Lade zu Häupten des Kaufmanns enthielt neun Beutel voll Goldes. Und er streckte die Hand aus und berührte das Schwert, und da er es berührte, fuhr der Kaufmann aus dem Schlaf empor und sprang auf, ergriff das Schwert und rief dem jungen Fischer zu: »Erwiderst du Gutes mit Bösem, und zahlst du mit Blutvergießen für die Güte, die ich dir erwies?«

Und es sprach die Seele zu dem jungen Fischer: »Triff ihn!« Da traf er ihn so hart, daß er bewußtlos niederstürzte. Dann ergriff er die neun Beutel Goldes und floh hastig durch den Garten von Granatäpfeln und kehrte sein Angesicht dem Sterne zu, der der Stern des Morgens ist. Und da sie eine Meile weit gegangen und von der Stadt entfernt waren, schlug sich der junge Fischer die Brust und sprach zu seiner Seele: »Weshalb hießest du mich den Kaufmann töten und sein Gold rauben? Wahrlich, du bist böse!«

Doch seine Seele entgegnete ihm: »Sei ruhig, sei ruhig!«

»Nicht doch!« rief der junge Fischer. »Ich kann nicht Ruhe finden, denn ich verabscheue all das, wozu du mich verlockt. Ich verabscheue auch dich und ich gebiete dir: Sag' mir, warum du solches an mir getan!«

Da entgegnete ihm die Seele: »Als du mich von dir sandtest, in die Welt hinaus, gabest du mir kein Herz mit auf den Weg. Und also lernte jene Dinge ich und lernte sie lieben.«

»Was sprichst du?« murmelte der junge Fischer.

»Du weißt es,« entgegnete seine Seele, »du weißt es wohl. Hast du vergessen, daß du mir kein Herz mitgabest? Ich glaube es kaum. Drum quäle dich nicht, noch quäle mich, sondern sei ruhig. Denn es gibt keinen Schmerz, den du nicht um dich verbreiten wirst, und keine Lust, die du nicht empfangen wirst.«

Und als der junge Fischer diese Worte hörte, erbebte er und sprach zu seiner Seele: »Wehe, du bist böse! Du hast meine Liebe in Vergessen ertränkt und hast mich mit Versuchungen versucht und hast meine Füße den Pfad der Sünde geführt.«

Und seine Seele entgegnete ihm: »Hast du vergessen, daß du mir kein Herz mitgabst, als du mich von dir sandtest in die Welt hinaus? Komm, laß uns in eine andere Stadt ziehen und fröhlich sein! Sind doch neun Beutel Goldes unser!«

Der junge Fischer aber nahm die neun Beutel Goldes, schleuderte sie zu Boden und trat sie mit Füßen. »Hebe dich weg!« rief er. »Nichts will ich fürderhin mit dir zu schaffen haben, noch will ich weiter deine Wege wandern. Nein, so wie ich einmal schon dich von mir gesandt, will ich dich jetzo von mir senden, denn du hast mir nichts Gutes getan.«

Und er stellte sich mit dem Rücken gegen den Mond, und mit dem kleinen Messer, dessen Knopf aus grüner Schlangenhaut war, versuchte er, vor seinen Füßen den Schatten des Körpers abzuschneiden, welcher der Körper der Seele ist.

Doch seine Seele wich nicht. Sie folgte nicht seinem Geheiße, sondern sprach: »Die Zauberformel, die dich die Hexe gelehrt, frommt dir nicht länger, denn ich kann dich nimmer verlassen, und nimmer vermagst du mich von dir zu senden. Einmal im Leben kann der Mensch seine Seele von sich senden, doch der sie wieder aufnimmt, muß sie für immerdar behalten, und dies ist seine Strafe und sein Lohn.«

Und der junge Fischer erbleichte und krampfte die Hände ineinander und rief: »Es war eine falsche Hexe, weil sie mir das nicht gesagt hat.«

»Schilt sie nicht falsch!« erwiderte die Seele. »Sie war dem treu, zu dem sie betet, und dessen Magd sie ewig sein wird.«

Und als der junge Fischer begriff, daß er nicht mehr seiner Seele ledig werden könne, und daß er eine schlechte Seele in sich trüge, die ewig bei ihm bleiben würde, fiel er zu Boden und weinte bitterlich.

*

Und es war Tag, als sich der junge Fischer wiederum erhob und also zu seiner Seele sprach: »Ich will mir die Hände binden, daß sie nicht zu tun vermögen nach deinem Geheiß, und meine Lippen versiegeln, daß sie nicht deine Worte sprechen! Und ich will wiederkehren zu der Stelle, allwo die, die ich liebe, ihren Wohnsitz hat. Zum Meer will ich heimkehren und zu der kleinen Bucht, wo sie zu singen pflegt. Und ich will sie rufen und ihr das Böse eingestehen, das ich getan, und das Böse, das du in mir wachgerufen hast.«

Und seine Seele versuchte ihn und sprach: »Wer ist denn deine Liebe, daß du zu ihr zurückkehren solltest? Die Welt hat viele, die schöner sind als sie. In Samaris sind Tänzerinnen, die tanzen wie alle Vögel und Tiere. Ihre Füße sind mit Henna bemalt und in den Händen halten sie kleine kupferne Klingeln. Sie lachen beim Tanze, und ihr Lachen ist so hell wie das Lachen des Wassers. Folge mir, so will ich dich zu ihnen führen, denn was soll all deine Sündenfurcht? Ist Köstliches nicht für den da, der es kostet? Wirkt die Süßigkeit, die man schlürfet, Gift? Klage nicht, sondern folge mir in eine andere Stadt! Ganz nah von hier liegt eine kleine Stadt, in der ein Garten von Tulpenbäumen steht. In diesem lieblichen Garten, höre, wohnen weiße Pfauen und Pfauen mit blaugefiederter Brust. Ihr Rad, wenn sie es sonnwärts spreizen, gleicht Scheiben aus Elfenbein und Scheiben aus Gold. Und die, die sie füttert, tanzt zu ihrer Lust. Sie tanzet auf den Händen und wieder ein anderes Mal tanzet sie mit den Füßen. Ihre Augen sind mit Antimon gefärbt und ihre Nasenflügel wie Schwalbenschwingen geschweift. Von einem Häkchen, in einem ihrer Nasenflügel, hängt eine Blume herab, die ist aus einer Perle geschnitten. Sie lacht beim Tanze, und die Silberringe um ihre Knöchel klingen gleich Silberglöckchen. Also quäle dich nicht länger, sondern folge mir in jene Stadt.«

Der junge Fischer aber antwortete der Seele nicht, sondern verschloß mit dem Siegel des Schweigens die Lippen und band mit engem Knoten sich die Hände und wanderte zurück zur Stelle, von wannen er gekommen war, hin zu der kleinen Bucht, allwo seine Geliebte zu singen pflegte. Und ständig versuchte ihn seine Seele auf dem Wege. Er aber gab ihr keine Antwort, noch tat er irgend etwas von dem Bösen, wozu sie ihn verleiten wollte: so groß war die Macht der Liebe, die er in sich trug.

Und als er am Ufer des Meeres angelangt war, lockerte er die Stricke von seinen Händen und löste das Siegel des Schweigens von den Lippen und rief das kleine Meermädchen. Sie aber hörte nicht auf seinen Ruf, wenngleich er den ganzen Tag lang zu ihr rief und flehte.

Und seine Seele spottete sein und sprach: »Wahrhaftig! Geringe Freude nur schenkt deine Liebe dir. Du gleichest einem, der zur Zeit der Wassernot Wasser in ein durchlöchertes Gefäß gießt. Du gibst alles, was dein ist, hin, und nichts wird dir dafür zurückgegeben. Dir wäre besser, du folgtest mir, denn ich weiß, wo das Tal der Lust liegt und welche Dinge dort geschehen.

Der junge Fischer aber antwortete seiner Seele nicht, sondern baute sich in einem Felsenspalt ein Haus aus Flechtwerk und wohnte dort ein langes Jahr. Und jeden Morgen rief er das Meermädchen und zur Mittagsstunde rief er sie wieder, und wenn die Nacht sank, sprach er ihren Namen. Doch niemals stieg sie aus dem Meere ihm entgegen. Und an keiner Stelle der See konnte er sie finden, wenngleich er sie in den Höhlen suchte und in den grünen Wassern, in den Tiefen der Fluten und in den Brunnen, die unten am Grunde sind.

Und immer wieder versuchte seine Seele ihn mit Bösem und flüsterte ihm Entsetzliches zu. Aber nichts vermochte etwas gegen ihn; so groß war die Macht seiner Liebe. Und als das Jahr verstrichen war, dachte die Seele bei sich: »Ich habe meinen Herrn mit Bösem versucht und seine Liebe ist stärker als ich. So will ich ihn denn mit Gutem versuchen. Mag sein, daß er mir dann folgt.«

Und so sprach sie zum jungen Fischer und sagte: »Ich habe dir von den Freuden dieser Welt erzählt, und du hast mir ein taubes Ohr zugekehrt. Laß mich dir nun von dem Leide der Welt erzählen, und vielleicht wirst du diesem lauschen. Denn in Wahrheit, das Leid ist der Herr dieser Welt, und keiner ist, der seinem Netze zu entschlüpfen vermöchte. Die einen haben keine Kleidung, die andern haben kein Brot. Witwen sitzen in Purpur und Witwen sitzen in Lumpen. Hin und zurück über die Sümpfe ziehen die Aussätzigen, und grausam sind sie gegeneinander. Die Landstraße auf und nieder schleichen die Bettler, und ihre Ränzel sind leer. Durch die Straßen der Stadt schreitet die Hungersnot, und vor ihrem Tore kauert die Pest. Komm, laß uns gehen und all dem Linderung schaffen und es ändern! Warum solltest du hier verweilen und deine Liebe rufen, da sie deinem Ruf nicht folgt? Was ist auch Liebe, daß du also hohen Wert auf sie legest?«

Der junge Fischer aber gab keine Antwort: so groß war die Macht seiner Liebe. Und jeden Morgen rief er das Meermädchen und zur Mittagsstunde rief er sie wieder, und nachts sprach er ihren Namen. Doch nie stieg sie aus dem Meere ihm entgegen und an keiner Stelle des Meeres konnte er sie finden, suchte er auch nach ihr in den Flüssen der See, und in den Tälern, die unter den Wogen liegen, und in dem Meere, das die Nacht purpurn färbt, und in dem Meere, das unter der Dämmerung ergraut.

Und als das zweite Jahr verstrichen war, sprach die Seele zu dem jungen Fischer, da es Nacht ward, und er einsam in seinem Hause von Flechtwerk saß: »Siehe! ich habe dich mit Bösem versucht und habe dich mit Gutem versucht, und deine Liebe ist stärker als ich, darum will ich dich nicht länger versuchen. Doch flehe ich dich an, laß mich in dein Herz, auf daß ich mit dir eins werde, wie ich vorher eins war mit dir.«

»Wahrlich darfst du hinein,« sprach der junge Fischer, »denn gar Furchtbares mußt du gelitten haben in den Tagen, da du ohne Herz durch die Welt geirrt bist.«

»Ach,« rief die Seele, »ich kann nirgends Eintritt finden, so überfüllt mit Liebe ist dein Herz.«

»Und doch wollte ich, ich könnte dir helfen«, sprach der junge Fischer.

Und da er so sprach, klang ein lauter Schrei des Schmerzes über das Meer herüber, ein Schrei, wie die Menschen ihn vernehmen, wenn vom Meervolk einer gestorben ist. Und der junge Fischer sprang auf und verließ sein Haus aus Flechtwerk und lief ans Ufer. Und die schwarzen Wogen liefen eilends ans Land und trugen ihm eine Last zu, die weißer denn Silber war. Weiß wie die Brandung war sie und wiegte sich wie eine Blume auf den Wogen, und die Brandung hob sie von den Wogen, und der Gischt hob sie von der Brandung und das Ufer nahm sie auf, und der junge Fischer sah zu seinen Füßen die Leiche des kleinen Meermädchens liegen. Tot lag sie da, zu seinen Füßen. Schluchzend wie einer, den das Leid zu Tode traf, warf er sich neben sie und küßte das kalte Rot des Mundes und spielte mit dem nassen Bernstein ihres Haares. Nieder auf den Sand, zu ihrer Seite warf er sich und weinte wie einer, der in Freuden erzittert, und mit seinen braunen Armen preßte er sie an seine Brust. Kalt waren ihre Lippen, doch er küßte sie; salzig schmeckte der Honig ihres Haares, aber er kostete ihn mit bitterer Freude. Er küßte die gesenkten Lider, und der wilde Schaum, der auf den Augenbechern lag, war nicht so salzig, als seine Tränen. Und der Toten berichtete er alles.

In die Muscheln ihrer Ohren goß er den herben Wein seiner Geschichte. Er schlang die kleinen Hände sich um den Hals und streichelte mit seinen Fingern das schlanke Rohr ihrer Kehle. Bitter, bitter war seine Freude, und voll seltsamer Fröhlichkeit war sein Schmerz.

Die schwarze See kam näher, und der weiße Gischt stöhnte wie ein Aussätziger. Mit weißen Klauen von Gischt kroch die See ans Ufer. Aus dem Palaste des Meerkönigs drang wieder der Schrei der Trauer, und weit draußen auf dem Meere bliesen die Tritonen heiser auf ihrem Horn.

»Fliehe!« sprach seine Seele. »Denn immer näher wälzt sich das Meer, und wenn du zögerst, wird es dich erschlagen. Fliehe fort, denn ich fürchte mich; sehe ich doch, daß dein Herz wider mich verschlossen ist, um deiner großen Liebe willen. Fliehe an einen sicheren Ort. Wahrlich, du darfst mich nicht ohne Herz in eine andere Welt senden!«

Der junge Fischer aber lauschte seiner Seele nicht, sondern rief das kleine Meermädchen und sprach: »Liebe ist weiser als Weisheit. Liebe ist kostbarer als Reichtum und schöner und lieblicher als die Füße der Menschentöchter. Feuersglut kann sie nicht zerstören, und die Wasser können sie nicht löschen. Ich rief dich bei der Morgendämmerung und du kamst nicht auf meinen Ruf. Der Mond vernahm deinen Namen. Du aber achtetest meiner nicht. Denn gar übel hatte ich dich verlassen, und zu meinem eigenen Verderben bin ich hinweggewandert. Doch war deine Liebe immer in mir und immer war sie stark, so daß nichts dagegen ankommen konnte, wenngleich ich das Böse gesehen habe und das Gute. Und nun, da du gestorben bist, will wahrlich auch ich mit dir sterben.«

Und seine Seele flehte, er möge sich retten. Er aber wollte nicht: so groß war seine Liebe. Und die See wälzte sich heran und warf ihre Wellen über ihn, und da er wußte, daß das Ende nahe war, küßte er mit brünstigen Lippen die kalten Lippen des Meermädchens, und das Herz in seinem Leibe brach. Und wie sein Herz also durch die Größe seiner Liebe brach, fand die Seele ihren Weg hinein und war in ihm, wie zuvor. Und das Meer bedeckte den jungen Fischer mit seinen Wogen.

*

Am andern Morgen aber zog der Priester aus, das Meer zu segnen, denn es war stürmisch gewesen. Und mit ihm zogen die Mönche und die Musikanten und die Kerzenträger und die Weihrauchschwinger und eine große Menge.

Und als der Priester zum Ufer kam, sah er den jungen Fischer ertrunken in der Brandung liegen, und von seinem Arm umklammert lag der Leichnam des kleinen Meermädchens. Da trat er finster zurück und schlug das Zeichen des Kreuzes und sprach gar laut und rief: »Nicht will ich das Meer segnen, noch was immer es birgt. Verflucht sei das Meervolk und verflucht seien die, die sich mit ihm einlassen. Er aber, der um der Liebe willen Gott vergessen hat und hier vom Gerichte Gottes samt seiner Buhle erschlagen liegt – nehmt seinen Leib und den Leib seiner Buhle empor und verscharrt sie in einer Ecke des Schindangers und setzt keinen Stein darüber noch sonst ein Wahrzeichen irgendeiner Art, auf daß keiner den Platz ihrer Ruhestatt wisse. Denn verflucht waren sie im Leben und verflucht seien sie auch nach dem Tod!«

Da tat das Volk, wie er befohlen hatte. Und in einer Ecke des Schindangers, wo keine süßen Gräser wuchsen, gruben sie eine tiefe Grube und senkten die toten Leiber darein.

Und als das dritte Jahr dahingegangen war, an einem Tage, der ein heiliger Tag, zog der Priester in die Kapelle, um dem Volk die Wundmale des Herrn zu zeigen und zu dem Volke über Gottes Zorn zu sprechen.

Und als er sich in sein Gewand gekleidet hatte und eintrat und sich vor dem Altäre neigte, sah er, wie der Altar mit seltsamen Blumen verziert war, die er nie zuvor gesehen. Seltsam anzuschauen waren sie und von wunderlicher Schönheit. Und ihre Schönheit verwirrte ihn, und ihr Duft war all seinen Sinnen süß. Freude erfüllte ihn, und er wußte nicht, worüber er sich freute.

Und als er den Tabernakel geöffnet und der Monstranz, die darin stand, Weihrauch dargebracht und dem Volke die schöne Hostie gezeigt und sie dann wiederum hinter dem Schleier verborgen hatte, begann er zum Volke zu sprechen. Die Schönheit der weißen Blumen aber verwirrte ihn, und ihr Duft schien all seinen Sinnen süß, und andere Worte drängten sich auf seine Lippen, und er sprach nicht vom Zorne Gottes, sondern von dem Gotte, dessen Name Liebe ist. Und weshalb er also sprach, wußte er nicht.

Und da seine Worte verklungen waren, weinte das Volk, und der Priester ging in die Sakristei zurück und seine Augen waren voll Tränen. Und die Diakone traten herein und fingen an, ihn zu entkleiden. Sie nahmen ihm die Alba und den Gurt ab, die Armstreifen und die Stola. Er aber glich einem Traumumfangenen.

Und als sie ihn entkleidet hatten, blickte er sie an und sprach: »Was sind das für Blumen, die auf dem Altare stehen, und woher sind sie?«

Sie antworteten ihm: »Wir wissen nicht die Art der Blumen, doch kommen sie aus der Ecke des Schindangers.«

Da zitterte der Priester, ging in sein Haus und betete.

Und am frühen Morgen, da es noch dämmerte, zog er aus mit den Mönchen und mit den Musikanten und mit den Kerzenträgern und mit den Weihrauchschwingern und mit einer großen Menge nieder zum Ufer der See und segnete die See und alle die wilden Geschöpfe, die sie birgt. Auch die Faune segnete er und die kleinen Wesen, die im Waldland tanzen und die helläugigen Wesen, die durch das Blattwerk spähen. Alle Geschöpfe in Gottes Welt segnete er. Und das Volk war voll Freude und Staunen. Nie wieder aber wuchsen Blumen irgendwelcher Art in der Ecke des Schindangers, denn das Feld blieb unfruchtbar, wie es zuvor gewesen, noch kam das Meervolk wieder in die Bucht, wie es ehedem zu tun pflegte, denn es zog in einen anderen Teil des Meeres.


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