Christoph Martin Wieland
Betrachtungen über J. J. Rousseau's ursprünglichen Zustand des Menschen
Christoph Martin Wieland

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11.

Die Thorheit des Philosophen Jean Jaques, so wenig Ehre sie der Menschheit macht, ist doch am Ende weiter nichts 191 als lächerlich; aber diejenige, welche uns Swift in Gullivers Reisen aufdringen will, ist hassenswürdig.

Die Freunde dieses außerordentlichen Mannes – vor dessen Genius sich der meinige so tief bückt, daß ich es kaum wage ihn zu tadeln, so sehr er's auch in diesem Stücke verdient – möchten seine YahoosIn dem letzten Bande von Gullivers Reisen bringt Swift seinen Reisenden in das Land der Houyhnhnms, und indem ich dieser gedenke, muß ich einen Fehler verbessern, zu welchem in der früheren Abhandlung »platonische Betrachtungen über den Menschen« bei Erwähnung der Yahoos Herder veranlaßt hat. Nicht die Yahoos sind bei Swift die mit menschlichen Anlagen (und zwar nur mit den guten und nicht mit den schlimmen) ausgestatteten Pferde, sondern die Houyhnhnms sind dieß, und die Yahoos dagegen Wesen von Menschengestalt, im ganzen Wesen aber den Affen gleicher, als den Menschen. Die Houyhnhnms wollen daher auch an deren mögliche Cultur eben so wenig glauben, als sie begreifen können, wozu es den Europäern nützlich oder nöthig seyn könne, Verbrechen zu begehen, dergleichen ihnen geschildert werden. Die von Herder angeführte Stelle war von dem Herausgeber eigentlich für diese Stelle angezeichnet worden, wo sie dienen sollte, auch Swiften in ein günstigeres Licht zu setzen, als in welchem ihn hier Wieland sah. gerne dadurch rechtfertigen, daß sie uns bereden wollen, sie für eine satirische Erfindung zu halten, wodurch er blos die Häßlichkeit des Lasters und die wichtige moralische Wahrheit, daß der Mensch dadurch unter das Vieh herabgesetzt werde, in das helleste Licht habe setzen wollen.

Aber Niemand, der den dritten Theil der Reisen Gullivers mit einiger Aufmerksamkeit gelesen hat, wird sich eine Sache überreden lassen, welcher der Augenschein auf allen Blättern widerspricht.

Swift, dessen eingewurzelter Menschenhaß außerdem durch so viele eigne Geständnisse in seinen vertrauten Briefen nur allzuwohl bestätiget ist, scheint nichts Angelegeneres gehabt zu haben, als seinen Lesern auch nicht die Möglichkeit eines Zweifels übrig zu lassen, ob die besagte Erfindung aus einem andern Geiste geflossen seyn könnte, als dem Haß der menschlichen Natur – einer so unnatürlichen Leidenschaft an einem Menschen, daß Swift vermuthlich, so wie er der Erste ist, der Einzige bleiben wird, der diesen abscheulichen Triumph über die Natur zu erhalten fähig war. Denn mit dieser, nicht mit der zufälligen Verderbniß derselben, hat er es zu thun. Seine Yahoos sind von Natur die übelartigsten, boshaftesten und unfläthigsten von allen Thieren; und diese Yahoos sind ihm gerade das, was Rousseau natürliche oder wilde Menschen heißt. Unser ganzer Vorzug vor ihnen besteht, nach ihm, blos darin, daß wir uns durch Kunst und 192 mit der Länge der Zeit einiger Funken von Vernunft bemächtiget haben, die uns aber zu nichts dienen, als unsre natürlichen Untugenden zu vergrößern und sie mit noch einigen neuen zu vermehren, welche die Natur uns nicht gegeben hat.

Rousseau ist also, in Vergleich mit Swift, noch sehr gnädig mit uns zu Werke gegangen. Der Rousseauische Mensch ist von Natur ein harmloses, gutartiges Thier, wenigstens so gutartig als irgend ein anderes von der grasfressenden Art; die Gesellschaft allein ist die Quelle seiner Verderbnisse. Der Swiftische Yahoo hingegen ist das abscheulichste unter allen Ungeheuern, von Natur und durch Kunst; die letztere vergrößert seine angeborne Häßlichkeit, indem sie dieselbe schminken will. Rousseau formirt seinen Wilden, indem er so lange von einem Menschen herunterschnitzelt, bis nichts übrig bleibt, als das Thier; Swift seinen Yahoo, indem er dem Menschen alles Schöne abstreift, alles Gute bis auf die zartesten Fasern aus seinem Herzen herausreißt und aus allen möglichen Lastern und Häßlichkeiten, welche er von den verdorbensten unsrer Gattung (von Ungeheuern, die zu allen Zeiten und unter allen Völkern seltne Erscheinungen gewesen sind) abgezogen hat, ein Ungeheuer zusammensetzt, dessen Daseyn, wenn es erwiesen werden könnte, ein unüberwindlicher Einwurf gegen das Daseyn Gottes wäre. Rousseau will uns überreden, zu den Thieren in den Wald zu gehen, weil er sich in den Kopf gesetzt hat, daß er uns dadurch glücklich machen würde; Swift macht uns zu Scheusalen, deren sich die Natur schämt, die der Abscheu der ganzen Schöpfung sind, die sich selbst eines in dem andern verabscheuen; und wenn er eine menschenfreundliche Absicht dabei gehabt hat, nun, wahrhaftig! 193 so hat er ein Mittel dazu gewählt, wobei es unmöglich war, seinen Zweck – nicht zu verfehlen!

Doch es kann keine Frage seyn, was seine Absicht war. Seine Galle, seinen von vielen Jahren her gesammelten Haß gegen seine Landsleute und besonders gegen die Hofpartei unter Georg dem Ersten auszulassen und sich auf einmal für tausend wirkliche und eingebildete Beleidigungen zu rächen, das war seine Absicht; aber nur ein so hartes Herz, wie das seinige, war fähig, diese Rache an der menschlichen Natur zu nehmen.

Unglücklicherweise für ihn selbst hat er dieser unwürdigen Leidenschaft nicht Genüge thun können, ohne seinem eigenen Nachruhm mit dem nämlichen Streiche, den er auf seine ganze Gattung führt, eine tödtliche Wunde beizubringen. Er mußte ungerecht gegen seine Mitmenschen und ein Lästerer gegen die Natur werden, um ein Geschöpf, an welchem, bei allen seinen Schwachheiten, Thorheiten und Mängeln, ein Sterne so viel Liebenswürdiges sieht, zu einem so gräßlichen Mittelding von Affe und Teufel umzuschaffen. Er mußte erst alle Proportionen der menschlichen Form zerstören, alle ihre Züge und Lineamente verzerren, alle die feinen Schattirungen verwischen, durch welche die Natur unsre Vollkommenheiten und unsre Mängel, wie ein geschickter Colorist abstechende Farben, in einander verblendet und durch tausend fast unmerkliche Mischungen im Ganzen die reizendste Harmonie zuwege bringt; mit einem Wort, er mußte das schönste Werk der Natur, um einen Yahoo daraus zu machen, verstümmeln, zerkratzen, übersudeln; – und wie hätte er sein Genie, seinen Witz, seine Kenntnisse, welche vielleicht noch kein Schriftsteller in solchem Grade beisammen gehabt hat, anders anwenden können, wenn seine Absicht gewesen wäre, sich selbst 194 mitten unter dem menschlichen Geschlecht eine unzerstörbare Schandsäule aufzurichten?

Wenn die Gutherzigkeit des berühmten Genfer Bürgers der mindesten Zweideutigkeit unterworfen wäre; so könnte man sich kaum verwehren, zu denken, er habe eine Swiftische Absicht dabei gehabt, da er seinen primitiven Menschen in den Pongo's von Majomba und Kongo gefunden zu haben glaubt. Denn in der That, wenn etwas in der Natur ist, das dem Menschenhasser Gulliver eine Idee zu seinen Yahoos geben konnte, so müßten es die Paviane seyn, von deren Brutalität die Reisebeschreiber aus dem Munde der Neger Beispiele erzählen, welche sie dieses Namens würdig machen. – Aber der ganze Zusammenhang der Rousseauischen Theorie beweiset, daß er keinen solchen Gedanken hatte.



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