Christoph Martin Wieland
Die Grazien
Christoph Martin Wieland

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Buch

Die Bewohner Arkadiens in diesen Zeiten waren gute Leute, größten Teils Hirten, aber weit davon entfernt, so zärtlich und witzig zu sein, und so schöne Monologen halten zu können, als die Myrtillen und Korisken des sinnreichen Guarini.

Doch, dies wollen wir ihnen gerne zugute halten, Danae: denn wie sehr wir auch für die geistvolle Poesie dieses Welschen Dichters, für die Magie seines Ausdrucks und die Musik seiner Verse eingenommen sind; so können wir uns doch nicht verbergen, daß die Vermischung der Arkadischen Einfalt mit der romantischen Spitzfündigkeit in Gedanken und Ausdrücken, die er seinen Liebhabern gibt, ungefähr eben die Wirkung auf uns mache, als wenn wir die künstliche Symmetrie, die in groteske Formen verschnittenen Bäume, und die in Einen Punkt zusammen laufenden, nach der Schnur gezogenen Hecken unsrer (ehmaligen) Lustgärten in Arkadische Gegenden versetzt sehen würden;

In Gegenden, wo die Natur, vom Zwange der Regeln entbunden,
    Als spielte sie nur, die großen Wunder getan,
Wozu die Kunst noch nie den Schlüssel gefunden,
    Und edel ohne Schwulst, harmonisch ohne Plan,
Den Reichtum mit Einfalt, den Reiz mit Majestät verbunden.
    In stille Matten, an denen ein rieselnder Bach
Durch junge durchsichtige Büsche sich windet,
    Und Wäldchen, wo der Hirt ein kühles Sonnendach,
Und Amor den Schlaf, und Begeistrung der PenserosoDer gefühlvolle Dichter. Anspielung auf Miltons Penseroso. findet.

Allein diesen lieblichen Gegenden des schönen Arkadiens fehlt' es noch an Einwohnern, die ihrer würdig waren. Noch glichen sie jenen unvollendeten Menschen, die, von Prometheus aus geschmeidigem Ton gebildet, auf den beseelenden Funken warteten, den er für sie aus der geheimen Quelle des himmlischen Feuers im Olymp zu stehlen unternahm.

Freiheit und Überfluß des Notwendigen teilte ihnen diejenige Art des Wohlstandes mit, welche die Grundlage der Glückseligkeit, aber nicht die Glückseligkeit selbst ist. Sie lebten friedsam unter einander; die Notwendigkeit hatte ihnen sogar die edleren Begriffe von einem gemeinsamen Besten, und dieses von Tugend und Verdienst gegeben; aber die Reize der verfeinerten Geselligkeit, diese kannten sie noch nicht. Ihre Jünglinge waren noch wild, ihre Mädchen blöde. Die Liebe war bei ihnen wenig mehr als die Sättigung eines tierischen Triebes; ihre Seele war noch nicht zur Idee einer feinen ausgesuchten Glückseligkeit aus der Wahl ihrer Gesellschaft

A nice and subtle happines, I see,
Thou to thyself proposest in the choice
Of thy associates –
Parad. Lost, B. VIII. v. 399.
(wenn ich mir einen Ausdruck von Milton eigen machen darf) erhöhet. Bei ihren Festen herrschte lärmende zügellose Fröhlichkeit, die sich oft, nach Thracischer Weise, in Schlachten mit Bechern und Krügen
Natis in usum laetitiae scyphis
Pugnare, Thracum est –
Horat. Od. I. 27.
, und allemal in einem allgemeinen Rausch endigte. Denn sie kannten noch für Sterbliche, und Götter selbst, keine größere Wonne. Das feinere Gefühl des Schönen und Anständigen, die edlere Liebe, die allein dieses schönen Namens würdig ist, den züchtigen Scherz und das witzige Lachen, und diese liebliche Trunkenheit, welche die Seele nicht ersäuft, nur sanft begeistert, sie (wie der Homerische Nepenthe) in süßes Vergessen aller Sorgen einwiegt, unfähig zur Traurigkeit macht, und jeder zärtlichen Regung und schuldlosen Freude öffnet, – von allem diesem wußten die guten Leute nichts. Zwar hatten die Musen angefangen ihnen ihre Gaben mitzuteilen; die Arkadier waren unter allen Griechen durch die Liebe zur Musik berühmt. Aber ohne die Grazien und Amorn in ihrer Gesellschaft ist es selbst den Musen nicht gegeben, die Verschönerung des Menschen zu vollenden.

So war es mit Arkadien beschaffen, als die Grazien, eh sie mit Amorn nach Paphos, dem Sitz ihrer schönen Mutter, zogen, den lieblichen Gegenden, wo ihre Kindheit in ländlicher Einfalt und Unwissenheit ihrer selbst dahin geflossen war, die ersten Wirkungen ihrer neuen Macht zurück lassen wollten.

Ein alter König in Arkadien hatte Wettspiele der Schönheit, aber nur für die Jünglinge, angeordnet; und der Tag dieser Wettspiele stand bevor.

»Warum schließen wir unsre Mädchen von einem Streit aus, der sie zum wenigsten so nahe angeht als uns?« – sagte Damöt zu seinen Landesleuten.

»Du hast recht«, antworteten die Arkadier: »die Mädchen sollen zu gleicher Zeit um den Preis der Schönheit streiten«, – »und aus des schönsten Jünglings Hand soll das schönste Mädchen einen Kranz von jungen Rosen, das Zeichen des Sieges, empfangen«, sprach Damöt.

Nichts konnte einfältiger sein als dieser Gedanke Damöts; und doch hatte ihn noch niemand gehabt. Sie wissen, Danae, daß dieses die allgemeine Geschichte der Erfindungen ist.

Aber auch Damöt würde ihn nicht gehabt haben. Die Grazien waren es, die ihn unbemerkt auf seine Lippen legten; und die Grazien waren es, welche die Arkadier so bereit und einstimmig machten, ihn auszuführen.

Die Nachricht von diesen neuen Wettspielen weckte die Arkadischen Schönen auf einmal wie aus einem tiefen Schlummer auf.

Bisher waren sie, wie Winckelmann von der Diana sagt, schön gewesen ohne sich ihrer Reizungen bewußt zu sein: oder, noch richtiger zu reden, ihre Schönheit hatte noch keine Reizungen.

Wenn, wie es oft geschah, an Festen zum Exempel,
In einem heilgen Hain (denn Tempel
    Gabs nicht in diesem Schäferland)
    Die schöne Welt sich bei einander fand,
Stieg unter hunderten nicht Einer jungen Dirne
    Der Einfall auf: Gefall ich oder nicht?
    Gefiel sie – gut! so hatt ihr fein Gesicht,
Der rote Mund, die weiße freie Stirne,
    Die schöne Brust, dies oder das, daran
    Die Schuld; sie hatte selbst zur Sache nichts getan.
Die Mädchen wußten nicht, daß große schwarze Augen
    Zu etwas mehr, als in die Welt hinaus
Einfältiglich dadurch zu gucken, taugen;
    Nicht, wie man einen Blumenstrauß
Mit Vorteil an den Busen stecket,
    Damit, durch eine kleine List,
Die Hälfte, die er nicht bedecket,
    Mehr als das Ganze istEine Anspielung auf den berühmten Vers des Hesiodus:
Νηπιοι ουδ' ισασιν οσω πλεον ημισυ παντος!
Die Toren, die nicht wissen, um wie viel die Hälfte mehr ist als das Ganze!
.

Aber nun gingen ihnen plötzlich die Augen auf. Der Wunsch zu gefallen hob jeden Busen und strahlte aus jedem Auge. Einzeln schlichen sie sich itzt in stille Gebüsche, an überschattete Bäche, oder in Grotten, wo herab murmelnde Quellen in spiegelhelle Brunnen sich sammelten. Dort beschauten sie sich selbst, dort schminkten sie sich, wie Hagedorns ländliche Dirne, aus der silbernen Quelle, und versuchten, wie sie den Blumenkranz aufsetzen wollten, damit er ihnen am besten lasse, und überlegten, wie sie mit guter Art diese Schönheit hervorstechen lassen, oder jenen Fehler verbergen könnten.

Unter allen diesen Schäferinnen hatte keine mehr Anspruch an den Preis der Schönheit zu machen, als Phyllis, eine junge Unempfindliche, welche das Vergnügen zu gefallen weniger als irgend eine von ihren Gespielen zu kennen schien. Der junge Daphnis, so schön und blöde als Phyllis schön und unempfindlich, liebte sie. Schon zwei Sommer schlich er ihr nach. Tausendmal hatte er sich ihr mit dem Vorsatze genähert, seine Liebe zu entdecken; aber noch nie hatte er den Mut in sich gefunden, ihn auszuführen.

Oft hatte zwar sein Blick die kühne Tat gewagt,
Oft Seufzer, Tränen oft, die ihm ins Auge drangen,
Sein stummes Leiden ihr geklagt:
Allein was konnte das bei einem Kind verfangen,
Dem die Natur noch nichts für ihn gesagt?

Itzt wurde Phyllis von ihm überschlichen, da sie allein am Rand einer Quelle saß.

Sie saß auf Blumen und Moos
In schönen Gedanken verloren.
Ein frischer Rot, als Auroren
In junger Rosen Schoß
Entgegen glänzt, umzog ihr liebliches Gesicht.
Sie schien zum ersten Mal zu fühlen,
Und sah – ganz Auge – nicht
Den Hirten; nein, die schönen Augen zielen
Nach einem Ast, wo, unverhüllt
Vom jungen Laub, zwei sanfte Täubchen spielen,
Der schönen Liebe schönstes Bild!

Schon eine Weile stand der junge Hirt, die Augen an die ihrigen geheftet, hinter dem leichten Gebüsche, und Amor, der unsichtbar neben ihm schwebte, haucht' ihm Gedanken ein, über die er, als hätt er gefühlt daß sie nicht sein eigen waren, sich zu verwundern schien. »Itzt«, dacht er, »itzt,

Da ihrer Wangen Glut, die wallende Bewegung
Der sanften Brust, des Herzens innre Regung,
Verrät; itzt da sie sich
Betroffen fragt: Wie ist mir? Was bedeutet
Der süße Schmerz, der mich
Zu seufzen zwingt? – itzt, Daphnis, zeige dich!
Itzt ist sie dich zu hören vorbereitet!«

Der junge Daphnis gab den geheimen Eingebungen des kleinen Gottes nach. Aber seine Blödigkeit war zu groß, um auf einmal zu weichen.

Er tritt hervor, mit vieler Sorgfalt zwar,
Damit sein Anblick sie zu sehr nicht überrasche;
Er fingert lang' an seiner Schäfertasche,
Stets lauter, sumst ein Lied, und hustet endlich gar.

Alles umsonst! In ihre Gedanken vertieft, sah und hörte die schöne Phyllis nichts.

Eine kleine Ungeduld wandelte den Sohn der Venus an. »Was zögerst du?« flüstert' er ihm ein; »zu ihren Füßen wirf dich!« – Und, mit einem kleinen Stoß, den ihm Amor gab, lag Daphnis, ohne selbst zu wissen wie, zu ihren Füßen.

Erschrocken schauert sie in sich hinein, will fliehn,
Und bleibt im Fliehn am Boden kleben.
Er klagt, und klagt so schön, daß ihn
Zu hassen, klagt so schön, daß ihm nicht zu vergeben
Nichts leichtes war. –

Pasithea, die jüngste von Amors Schwestern, war dem schwärmenden Bruder unsichtbar nachgefolgt. Und itzt, da, von Amorn angetrieben, der schöne Hirt die Knie des bebenden Mädchens mit zärtlichem Ungestüm umfaßte, itzt glaubte die Grazie, daß es Zeit sei, ihrer ehemaligen Gespielin beizustehen. Von ihrem sanften Anhauch glitschte eine zarte Flamme von schönem Unwillen aus den seelenvollen Augen des Mädchens, die über ihr ganzes reizendes Gesicht einen höhern Glanz verbreitete. Mit dem Stolze der Unschuld, aber mit bebender Hand, stieß sie den Jüngling zurück. Denn beinahe in dem nämlichen Augenblicke zerfloß ihr kleiner Unwille in Mitleiden und Liebe.

Amor schien alle seine Macht aufzubieten, um den jungen Hirten verführerisch zu machen.

Das Mädchen blickt erstaunt auf ihn,
Und wundert sich, noch nie bemerkt zu haben
Wie schön er ist, wie seine Wangen blühn,
Die krausen Locken, schwarz wie Raben,
Und schwarz sein Aug, und seinem runden Kinn
Von Amorn selbst ein Grübchen eingegraben.
Wie viel, sonst ungesehn, sieht itzt die Schäferin!
Ihr Auge schmilzt in immer sanftre Blicke;
Es war des Hirten Schuld, wenn er von seinem Glücke
Die Zeugen nicht in ihnen schwimmen sah.
Unschlüssig zieht sie die Hand von seinem Kusse zurücke,
Und selbst ihr Weigern lächelt – Ja!

Noch niemals war eine Schäferin in Arkadien so reizend gewesen; und noch kein Schäfer hatte empfunden was der Jüngling empfand: die feurigste Liebe, von der zärtlichsten Ehrerbietung gefesselt. Unfähig, ihre liebenswürdige Schwachheit zu mißbrauchen, schien er keine größere Wonne zu wünschen, noch zu kennen,

Als einen Blick, der ihm Gefühl gestand,
Und einen Kuß auf ihre schöne Hand.

Ich habe nicht nötig, Ihnen zu sagen, Danae, daß man so liebt, wenn die Grazien mit Amorn die Herrschaft über unsre Herzen teilen.

»Endlich darf ich hoffen«, sagte Daphnis, »daß Amor durch meine geheimen Tränen, durch die verhehlten Schmerzen zweier trauriger Jahre versöhnt ist! Täuscht mich eine betrügliche Hoffnung, Phyllis? – O dann laß mich, süßer Gott der Liebe, laß mich nie aus diesem beglückenden Traum erwachen!«

Ein zärtlicher Blick und ein sanfter Druck seiner Hand gaben ihm die Antwort des gerührten Mädchens.

»Aber, ach! Phyllis, der morgende Tag! Alle unsre Jünglinge wirst du versammelt sehen. Alle werden nur dir, nur dir gefallen wollen. Wie liebenswürdig wird sie dies Verlangen machen! Was wird, ach Phyllis, was wird dann aus deinem Daphnis werden?«

»Und du, Daphnis, du wirst alle unsre Mädchen versammelt sehen. Jede wird sich selbst für die Schönste halten wenn sie dir gefällt, und jede wird es zu sein wünschen, und Amorn heimlich Gelübde tun. Ich werde mich schüchtern hinter sie verbergen, und nicht Mut haben die Augen aufzuheben. Daphnis! werden dann die deinigen mich suchen, und, wenn sie mich gefunden haben, mir sagen daß du mich noch liebest?«

Die Antwort eines zärtlichen Liebhabers auf einen solchen Zweifel ist etwas zu bekanntes, Danae, als daß ich Sie damit aufhalten sollte.


 << zurück weiter >>