Christoph Martin Wieland
Die Grazien
Christoph Martin Wieland

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Drittes Buch

»Nun bin ich frei«, rief Amor hüpfend, da sie ihn los gebunden hatten: »und sehet, schöne Schwestern, was für einen Gebrauch ich von meiner Freiheit mache!«

Er flatterte einer nach der andern in die Arme, und liebkosete ihnen so schön, daß sie nicht umhin konnten, ihn freundlich an ihren Busen zu drücken, und ihm alle die Küsse wieder zu geben, die er ihnen, ohne um Erlaubnis zu fragen, gegeben hatte. Ich wollte nicht allen, denen diese Methode gefallen könnte, raten, es ihm nachzutun. Man muß Amor sein, oder Amorn zum Fürsprecher haben, um sich einen so guten Erfolg versprechen zu können.

Itzt flog Amor wieder aus ihren Armen, band die auf dem Boden verstreuten Blumenkränze in eine lange Kette zusammen, umwand mit einem Teile davon seine schönen Hüften, und reichte lächelnd das andre Ende den Schwestern hin. »Freiwillig«, rief er, »will ich euer Gefangener sein!

Eure Ketten tragen
Ist so schön, so süß!
Niemals, seit ich Amor hieß,
Fühlt ich dies Behagen!

O! wie nenn ich euch, von euern Blicken,
Euerm Lächeln allem was ihr seid,
Diese unnennbare Süßigkeit
Mit Einem Worte auszudrücken?

Ich nenn euch Grazien, ihr holden Drei!
    So soll euch Gnid und Paphos nennen!
    Und selbst Cythere soll erkennen,
Daß sie durch Euch allein der Herzen Göttin sei!«

Die Grazien fühlten sich selbst noch nicht genug, um Amorn ganz zu verstehen. Aber sie verstanden doch genug, um das,

was er ihnen sagte, sehr schön zu finden. »Wer hätte gedacht«, rief Thalia, »daß Amor so artig wäre!«

In der Tat, der kleine Gott wußte selbst nicht recht wie ihm geschah. Er kannte sich nicht mehr, seitdem er bei diesen holden Mädchen war. Alle Schelmerei ging weg; er fühlte sich unfähig ihnen einen seiner Streiche zu spielen. Seine Empfindungen verfeinerten sich, und nahmen eine Farbe von Sanftheit und Unschuld an, wie man sagt, daß der Chamäleon die Farbe des Gegenstandes annehme, der ihm der nächste ist. Wären es gewöhnliche Nymphen gewesen, er hätte nicht zehn Minuten warten können, seinen kleinen Mutwillen auf Kosten ihrer Ruhe auszulassen. Aber diese lieblichen Mädchen, in denen alles, was naive Unschuld, gefällige Güte und frohe Heiterkeit Göttliches hat, wie in der Knospe eingewickelt lag, diese konnt er nur – lieben; so lieben, als ob es ihm geahnet hätte daß sie seine Schwestern wären; alle drei gleich zärtlich, und jede so sehr, daß die Eifersucht selbst hätte befriediget sein müssen, wenn diese unedle, sich selbst quälende Leidenschaft einen Platz in dem Herzen der Grazien finden könnte.

»Aber, was werden wir unsrer Mutter sagen, wenn wir mit Amorn zurück kommen?« fragte die kleine Pasithea.

»Wißt ihr, was wir tun?« sprach Thalia: »wir füllen diesen Korb mit Blumen, setzen Amorn drauf, und tragen ihn nach Hause, und sagen, daß wir ihn unter den Blumen gehascht haben, und fragen sie, ob sie jemals in ihrem Leben einen so artigen Vogel gesehen habe? – Oder was meint ihr?«

»Vortrefflich, Thalia!« rief Amor lachend: »ich will mich so leicht machen, als ob ich ein Schmetterling wäre; und für die Aufnahme bei eurer Mutter laßt nur mich sorgen! Sie soll mit mir zufrieden sein.« Dies sagend hüpft' er in den Korb, und lachend und scherzend trugen ihn die Grazien davon.

Die Schäferin, welche von den Grazien Mutter genannt wurde, war, zu ihrer Zeit, so schön gewesen, als man sich die Amme der Grazien, von Venus selbst ausgewählt, vorstellen kann. Aber sie fing an zu welken. Ihr Hirt war kein Seladon, kein Pastorfido, auch kein Geßnerischer Daphnis; doch wich er dem besten Theokritischen Hirten nicht. Noch immer liebt' ihn seine Lycänion; aber er war alt.

Lycänion stand unter der Hütte, als die Mädchen mit ihrem Blumenkorb und Amorn daher gehüpft kamen. »Liebe Mutter«, rief Thalia:

»Was wir dir für einen Vogel bringen!
Welche Locken! Was für schöne Schwingen!
Und ein Mädchengesicht!
Kann er dir nur halb so lieblich singen,
Als er lieblich spricht,
O, so sahst du keinen schönern nicht!
Was wir dir für einen Vogel bringen!
Gelbe, krause Locken, goldne Schwingen,
Und ein Mädchengesicht!'

»Venus sei uns gnädig!« rief Lycänion, da sie in den Korb hinein guckte: »was für einen Vogel habt ihr da! Arme Mädchen! Seht ihr nicht daß es Amor ist?«

»Ja wohl ist es Amor«, rief die kleine Pasithea, »aber der beste, freundlichste Amor von der Welt.

Nicht der böse, ungestüme, wilde,
Der die Mädchen frißt!
Mütterchen, es ist
Ganz ein andrer, lachend, sanft und milde.
Auf den Blumen im Gefilde
Lag er schlummernd da;
Und wir banden ihn mit Blumenketten,
Eh er sichs versah.
O! wie bat er uns! Allein wir hätten,
Als er sagte daß er Amor sei,
Ihn nicht los gemacht, wiewohl wir drei,
Er nur einzeln war; – er mußt uns schwören,
Eh er seine Arme frei bekam,
Uns kein Leid zu tun, und fromm zu sein und zahm.
Und er schwors; es war recht schön zu hören!
Und als ob wir seine Schwestern wären,
Liebt er uns, und führt uns bei Cytheren
Seiner Mutter ein;
Und wir sollen, wenn wir artig wären,
Ihre Mädchen sein!'

»Kinder, Kinder«, rief die Amme – welche nicht wußte daß ihre Pflegekinder die Töchter einer Göttin waren – »ihr habt euch hintergehen lassen! So lieblich er aussieht, so schlimm ist er.

    Ihr denkt, er ist ein Kind
    Und süßer Unschuld voll, wie Kinder sind?
Verlaßt euch drauf! Er lockt euch nur ins Netze!
Traut seinem schmeichelnden, glatten Geschwätze;
    Zu bald, zu bald gereut es euch!
    Er ist der Wassernixe gleich,
Die unterm Schilf am Ufer lauschet
    Und singt ihr Zauberlied,
Und, kommt ihr sie zu sehn, euch schnell entgegen rauschet,
    Und euch hinab ins Wasser zieht.«

»Ei, ei, Mütterchen«, rief Amor; »was für eine Beschreibung du von mir machst! Ich bitte sehr, erschrecke mir meine lieben Mädchen nicht! Ists billig, daß Amor es entgelten soll, wenn dir Hymen lange Weile macht? – Aber laß uns gute Freunde sein, schöne Lycänion! – He! Damöt, wo bist du, Damöt? – Wie gefällt dir diese junge Schäferin?«

»O Götter!« riefen beide zugleich aus, indem sie einander ansahen und umarmten: »Bist du Lycänion? – Bist du Damöt? – Welche Gottheit hat uns unsre Jugend wieder gegeben? – O! Amor, wir erkennen deine wohltätige Macht! Unser Entzücken allein kann dir unsern Dank ausdrücken!«

Wie gefällt Ihnen Amors Rache, schöne Danae? Stellen Sie sich selbst vor, welche Freude dieses unverhoffte Wunder verursachte.

Aber in dem nämlichen Augenblick erfolgte ein andres, welches Amorn selbst in angenehmes Erstaunen setzte. Die Hütte, worin sie waren, verwandelte sich plötzlich in eine große Laube, deren Wände und Dach aus Myrten, mit Efeu und Weinreben verwebt, dicht zusammen geflochten waren. Rings um hingen große Kränze von frischen Rosen, in Liebesknoten gewunden, an den Wänden herab; und ein Krug und etliche Geschnitzte Becher, die auf dem Tische standen, füllten sich von selbst mit dem besten Weine, der sprudelnd über den Rand der Becher sich ergoß.

Amor erkannte die unsichtbare Gegenwart seiner Mutter, und des schönen Bacchus des Freudengebers. Er sah die erstaunten Grazien an. Aber, wie erstaunt' er selbst, da er, wiewohl ihre Gestalt noch kenntlich blieb, die holden Mädchen zu wahren Göttinnen erhöhet sah!

Das Irdische schien wie eine leichte Hülle von ihnen abgefallen zu sein. Namenlosen Reiz atmend schwebten sie über dem Boden; in ihren Augen glänzte unsterbliche Jugend; Ambrosia düftete aus den flatternden Locken; und ein Gewand, wie von Zephyrn aus Rosendüften gewebt, wallte reizend um sie her.

»O! laßt euch umarmen«, rief Amor entzückt: »meine Augen öffnen sich; die Götter erklären uns das Geheimnis eures Wesens; umarmet mich, holde Grazien, ihr seid meine Schwestern

Sie umarmten ihn – Aber diese Szene, – wenn jemand sie malen kann, so muß es der Dichter sein, der Pygmalions Statue beseelt und die Vergötterung der schönen Ino so göttlich gesungen hat. Ich gestehe Ihnen, Danae, daß ich hier an der Grenze meiner Fähigkeit bin.


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