Christoph Martin Wieland
Die Grazien
Christoph Martin Wieland

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An Danae

Geschrieben im Jahre 1769

Ich weiß nicht, woher Sie es nehmen, schöne Danae, daß ich mehr von den Grazien wissen müsse als ein andrer: genug, Sie wollen es so, und Sie bedienen sich eines meiner eigenen Grundsätze, um alle die Bedenklichkeiten zu vernichten, die ich mir darüber machen könnte, Ihnen, die mit allen Ihren Vortrefflichkeiten doch nur eine Sterbliche sind, die Geheimnisse meiner geliebten Göttinnen zu verraten.

»Der poetische Himmel (sagen Sie) hat, wenn ich Ihnen selbst glauben darf, ganz andere Gesetze des Wohlanständigen, als diejenigen, wornach menschliche Sitten und Handlungen beurteilt werden. Die Göttin der Liebe hat keine Ursache zu erröten, daß sie den Adon zum Glücklichsten unter den Sterblichen gemacht hat. Gesetzt also auch, Sie wüßten von ihren Grazien mehr, als eine Sterbliche gern von sich wissen ließe, so würd es doch keine Unbescheidenheit sein –«

Verzeihen Sie mir, Danae! Warum sollten die Grazien nicht eben so wohl ihre Mysterien haben, als Isis und Ceres? Und sollt es einem Dichter zu verdenken sein, wenn er zu gewissenhaft wäre, die Geheimnisse der liebenswürdigsten Göttinnen vor profanen Augen aufzudecken?

Doch, dies ist hier der Fall nicht! Vor Ihnen, schöne Danae, können die Grazien keine Geheimnisse haben wollen; oder welche Sterbliche dürfte sich Hoffnung machen zu selbigen zugelassen zu werden, wenn diejenige nicht dazu berechtigt wäre,

Die, mit dem Gürtel der Venus geschmückt,
Die Seelen fesselt, die Augen entzückt?

Nein, Danae! wenn Ihrem Verlangen nicht genug geschieht, so muß es bloß daher kommen, weil ich mit diesen reizenden Gespielen Amors und der Musen nicht so vertraut bin, als es Ihnen beliebt vorauszusetzen.

In ganzem Ernst, ich besorge, es ist mehr als Bescheidenheit in diesem Geständnisse. Warum, ich bitte Sie, warum wenden Sie sich nicht an einen Dichter, von welchem Sie stärkere Beweise haben, daß ihm die Grazien hold sind? – Sie denken doch nicht, daß ich den Kardinal von Bernis meine? Nein! dem Abbé mocht es erlaubt sein, von ihnen zu singen; aber dem Bischof, dem Kardinal – »Wer weiß?« sagen Sie. »Er mag immer der feinste Konklavist, der geschmeidigste Hofmann, und ein Meister in der Kunst, die zwei großen Nebenbuhlerinnen um die Herrschaft der Welt mit einander zu vergleichen, sein: ich wollte doch nicht dafür stehen, was er tun würde, wenn ihn die Grazien Homers, die er als Abbé so schön besang, den Grazien des heiligen Thomas ungetreu machen wollten!«

Wie dem auch sein mag, genug, Sie wollen keine Französischen Grazien; sonst würd ich Ihnen den angenehmen Dichter vorschlagen, der Zelis im Bade so reizend gesungen, und die Deutsche Selima durch seine Nachahmung verschönert hat. Sie wollen die Griechischen Grazien, die Grazien, die den Anakreon singen, den Xenophon schreiben, den Apelles malen lehrten; die Grazien, denen Platon opferte, und die sein Meister geschnitzt hatte; diese wollen Sie besungen haben, und in unsrer Sprache!

Gut! und Sie wenden sich nicht an den Dichter der Grazien?

»Meinen Sie Gleim oder Jacobi

Ich danke Ihnen für diesen Zweifel, Danae; er vergütet das Unrecht, das ich einem von beiden getan hätte; ich, der stolz darauf ist, beide meine Freunde zu nennen, und es so gern der spätesten Nachwelt sagte, daß wenigstens drei Dichter in unsern Tagen gelebt haben, welche sich so liebten, wie die schwesterlichen Musen sich lieben; drei Dichter,

Die, von den Grazien selbst mit Schwesterarmen umschlungen,
Von gleicher Liebe der Musen beseelt,
Zur Dame ihrer Gedanken die freundliche Weisheit gewählt,
Die glücklicher macht und Witz mit Empfindung vermählt,
Und schönen Seelen, sich selbst, und bessern Zeiten gesungen.

In der Tat, Danae, ich habe Lust, Sie zu dem einen oder dem andern von meinen Freunden zu weisen, oder vielmehr an beide zugleich. Amöbäische Lieder von Gleim und Jacobi, und die Grazien der Inhalt! Was für Lieder würden das sein! Würdig, von Philaiden gesungen, und, von den seelenvollen Fingern einer D**n oder G**g auf dem melodischen Klavier begleitet zu werden.

Aber Sie wollen sich nicht abweisen lassen, Danae! Sie wollen zu keinem Wettstreit von poetischer Bescheidenheit Anlaß geben. »Gleim und Jacobi«, sagen Sie, »würden mich an den Vater der Musarion zurück weisen, und am Ende würde niemand dabei verlieren als ich.«

Wohl! Sie verdienen für Ihren Eigensinn durch – meinen Gehorsam bestraft zu werden; und auf der Stelle sollt es geschehen, wenn es nur auf einen muntern Entschluß ankäme. Aber die Geschichte der Grazien zu schreiben, setzt Offenbarungen voraus, die nur von ihnen selbst herrühren können. Und glauben Sie wohl, daß diese Göttinnen so fertig sind, einem jeden zu erscheinen, der ihnen ruft? Ich besorge sehr, daß sie manchem, der vertraulich genug von ihnen spricht, ganz unbekannte Gottheiten sind. Nichts ist freilich leichter als immer von Pierinnen und Charitinnen zu schwatzen, und auf allen Seiten Musen und Busen zusammen zu reimen. Das gibt einem doch die Miene, als ob man mit den Grazien, und den Musen, und den schönen Busen wenigstens so bekannt sei, als die Dichter, welche Günstlinge der ersten sind, und die Lieblinge der letzten zu sein verdienen. Aber ich wollte für mehr als Einen dieser guten Sänger schwören, daß die Muse, die ihn begeistert, mit ihren Grazien und mit ihrem Busen, weder mehr noch weniger als eine – Trulla oder Maritorne ist.

»Das mag sein«, sagen Sie: »aber man wird doch, ohne Ihrer Bescheidenheit Gewalt anzutun, voraussetzen dürfen, daß Sie von dieser Seite keine Vorwürfe zu besorgen haben?« –

Stille! schöne Danae! Sie sollen alles wissen, was mir eingegeben werden wird. Aber erst lassen Sie uns, als Platons echte Schüler, den Grazien opfern, ohne welche, und Amorn, und die lächelnde Venus, unser Vorhaben nicht vonstatten gehen kann.


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