Christoph Martin Wieland
Araspes und Panthea
Christoph Martin Wieland

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Zweite Abteilung

1

Panthea. Araspes

Panthea. Das Bild, das du mir von Cyrus gemacht hast, ist so schön, als es ein muntrer Geist entwerfen kann, wenn die Freundschaft den Pinsel führt; und wofern es sich auch unter den Händen der Liebe verschönert hätte, so wäre es mir doch ein Beweis deines ruhmwürdigen Eifers für einen Fürsten, den du zugleich als deinen Freund liebst und als deinen zukünftigen Herrn verehrest. Vielleicht geziemt es mir am wenigsten, einigen Zweifel merken zu lassen, da ich in seinem Betragen gegen mich die stärkste Beglaubigung deiner Worte finden sollte. Aber vergib mir, Araspes, ich kann denjenigen für keinen wahren Helden halten, der im Streiten und Erobern eine Belustigung findet, anstatt durch die menschenfreundlichen Künste des Friedens einen ewig dauernden Ruhm auf das Glück der Völker zu gründen.

Araspes. Du scheinst den persischen Prinzen von dieser Seite nicht recht zu kennen. Du bist durch falsche Nachrichten getäuscht, wenn du ihn mit diesen wilden Helden vermengest, denen das rauchende Schlachtfeld ein lieblicher Anblick, und das Ächzen der Sterbenden Musik ist. Er sucht in der Glückseligkeit der Menschen seine eigene; und wenn er das Schwert zieht, so geschieht es, um dem Frieden mit seinem ganzen segensvollen Gefolge einen dauerhaften Sitz zu erstreiten.

Panthea. Aber ist nicht dieses, was du sagst, der schöne Schleier, womit auch Tyrannen die Ungerechtigkeit ihrer Gewalttaten zu verhüllen suchen? Wenn Gewinnsucht oder blinde Ruhmbegierde den Krieg beschlossen hat, so wird es niemals an einem Vorwande fehlen, wodurch wenigstens der Wohlstand geschonet wird, mit dem sich diejenigen am stärksten zu verschanzen pflegen, die sich am wenigsten Gutes bewußt sind. Ich zweifle aber sehr, ob sich der Fall öfters ereigne, daß der Krieg das einzige Mittel ist, sich vor dem Untergang, oder vor dem, was noch ärger ist als der Tod, vor Sklaverei, zu schützen. Wie viel gelindere Mittel sind in jedem Falle möglich! Und sollte nicht ein Menschenfreund geneigt sein, selbst mit Aufopferung großer Vorteile, das Leben so vieler Tausende, die Wohlfahrt ganzer Völker, zu erhalten? Was hat der ehrwürdige, friedsame Landmann verschuldet, dessen rastloser Fleiß der kargen Erde unsern Unterhalt abzwingt? Was haben die wehrlosen Weiber und die Säuglinge an ihrer blutenden Brust verschuldet, daß sie der Raubbegierde, dem Stolz, oder der Rachsucht etlicher Unmenschen aufgeopfert werden sollen? Rufe nur die schrecklichen Szenen, die du besser als ich kennest, vor deine Augen! – Menschen gegen Menschen, Brüder, die, ihrer Blutsfreundschaft uneingedenk, Wut und Verderben gegen einander schnauben; das Schlachtfeld mit Sterbenden bedeckt; die Ströme von Blut aufgeschwollen; die schauernde Luft vom Winseln der Verwundeten erregt, die dem langsamen Tode flehen, daß er sie von einem quälenden Überrest von Leben befreien wolle! O wie jammert jetzt die verlaßne Mutter, von den Leichen ihrer Kinder umgeben, um die verwelkten Hoffnungen ihrer Jugend, die gesunkenen Stützen ihres hilflosen Alters! Die zärtliche Gattin rauft auf dem Grabe des geliebten Mannes in stummer tränenloser Verzweiflung ihre unverschuldeten Haare, indem eine junge verwaiste Schar mit kläglichem Gewinsel ihren Vater von ihr fordert. Das jungfräuliche Mädchen, zu einer bessern Hoffnung geboren, wird gemißbraucht, in sklavischem Aufzug das Bett eines barbarischen Herrn zu besorgen, wofern sie nicht lieber durch einen freiwilligen Tod der schändlichen Dienstbarkeit zuvorkommt. Die heiligsten Bande, womit Liebe und Treue die geselligen Menschen vereinbart, werden frevelhaft zerrissen. Das keusche Weib wird aus den Armen ihres Ehemanns, die aufblühende Tochter aus den beschützenden Augen ihrer Mutter fortgeschleppt. Scharenweise fliehen die alten Bewohner aus ihren väterlichen Gütern, und sehen mit wehmütigem Blick in die Flammen zurück, die ihre stillen Hütten verzehren. Allenthalben schreckt sie das Bild der Zerstörung und des Todes. Das schöne Angesicht der Natur ist unkenntlich; Verwüstung trauert auf den Gefilden, die vor kurzem wie Paradiese in blühender Fülle standen; keine frohlockende Stimme, kein kunstloser Waldgesang der unschuldigen Hirtin, von sanfter Freude eingegeben, schallet mehr um die nackten Hügel und die unbewohnten Täler, die kürzlich von glücklichen Menschen wimmelten. – Es wäre Grausamkeit ein so unmenschliches Gemälde zu vollenden. – Aber laß mich die Frage erneuern, Araspes: Wie kann sich ein Menschenfreund entschließen, über ein friedsames Volk allen diesen Jammer aufzuhäufen und, wofern auch sein Zorn gereizt ist, den Übermut eines Einzigen an Hunderttausenden zu strafen?

Araspes. Wenn keine Lasterhaften wären, o Panthea, so würde der rechtschaffene Mann nie genötigt sein, sein Vaterland, seine Freiheit und sein Leben gegen gesetzlose Gewalttaten zu schützen. Aber so lang es Tyrannen gibt, die den Menschen seiner angebornen Rechte berauben, ihn zu den grasenden Tieren herab stoßen, oder mit unersättlicher Begierde nach dem Eigentum ihrer Nachbarn geizen, und den steigenden Flor eines freien Volks als eine Beleidigung ansehen, die nur das rächende Schwert aussöhnen kann: so lange ist es unmöglich, den Krieg aus der Menge der menschlichen Übel hinweg zu tun. Der eigne Vorteil eines Fürsten entscheidet hier nichts. Die Würde, die ihm zu behaupten auferlegt ist, erlaubt ihm nicht, den Wohlstand seines Volks einem Tyrannen Preis zu geben, oder sich, gleich einem unmenschlichen Vater, derjenigen zu entsagen, die durch die engesten Bande an seine Seele gebunden sind. Das Gemälde des Kriegs, das du so rührend entworfen und durch den gefühlvollen Ausdruck deiner Augen noch rührender gemacht hast, ist nur allzu ähnlich. Der Menschenfreund beklagt das Elend, welches er zu verursachen gezwungen wird, um ein größeres abzuwenden; und mitten im lauten Gepränge des Sieges schleichen sich mitleidige Tränen seine Wangen herab, die sich eines Lobes, das so teuer erkauft werden muß, schämen. Aber sage mir, sollten die Meder und Perser gleichgültig zusehen, wenn der assyrische König ihre Grenzen verwüstet? wenn er mächtige Fürsten durch erdichtete Klagen wider sie erhitzt? wenn er einen geheimen verräterischen Bund gegen sie anzettelt, und sich mit seinen schändlichen Mitverschwornen, von übermütiger Hoffnung gebläht, schon eh er gesiegt hat, in ihre Beute teilt? Sollten sie dem heran nahenden Untergang gleichgültig entgegen sehen; oder befiehlt nicht Pflicht, Ehre und Klugheit, einem solchen Feinde zuvorzukommen, und den abgewandten Streich auf sein eignes Haupt zu führen? Wenn Cyrus alle Drangsale des Kriegs über seine Feinde herwälzt, so errettet er in dem gleichen Augenblick ganze Völker, mit denen er durch engere Bande verknüpft ist, von eben diesen oder von noch größern Übeln, die er nur durch dieses Mittel von ihnen abwenden kann. Sein Glück, welches mit seinen Verdiensten einen Bund gemacht zu haben scheint, ist selbst seinen Feinden vorteilhaft. Er siehet nur diejenigen für Feinde an, deren Ehrgeiz und Raubsucht ihn genötigt haben das Schwert zu ziehen, welches er nur zum Schutz der Unschuldigen und Hülflosen, und zur Züchtigung der Bösen führt. Daher schont er der assyrischen Provinzen so sehr, als es die gesetzlose Notwendigkeit erlaubt; er hält die Gefangenen gnädig, und beschirmt einen jeden, der lieber seine Gnade als seinen Zorn verdienen will, im Besitze seines Eigentums. Ich versichere dich, Panthea, selbst die Assyrer, die ihn gesehen haben, lieben ihn, und sind bereit gegen einen so großmütigen Feind einen Landsherrn zu vertauschen, an den sie nur durch Auflagen und gewalttätige Bedrückungen erinnert werden.

Panthea. Ich gestehe dir, Araspes, daß ich, ehe du mich besser belehrtest, diesen jungen Helden für einen hochfahrenden, ruhmsüchtigen Jüngling hielt, der, von schimmernden Dunstbildern einer falschen Ehre angelockt, dem unbesonnenen Wunsche nachjage, sich ein grenzenloses Reich zu erstreiten, und seinen Thron auf den Nacken der bezwungenen Welt zu setzen. Ich hielt seine Klagen gegen den König von Assyrien für einen eiteln Vorwand, in welchen er seine wahren Absichten einhüllen wolle. Sowohl das allgemeine Gerücht, als sein letztes Betragen gegen die Armenier und Chaldäer, bestärkte meine Vermutung. Denn was ist glaublicher, als daß sich derjenige das größte Ziel verstecke, der einen so königlichen Geist in sich fühlt; dem Hindernisse und Gefahren nur Reizungen sind; der jede Gelegenheit zum Streiten für einen Ruf des Sieges ansiehet, und dem sein angeborner Mut und die rauhe persische Erziehung den Krieg eher zu einem Lustspiel, als zu einer beschwerlichen Arbeit gemacht haben?

Araspes. Erlaube mir nur, schöne Königin, mein Gemälde von Cyrus zu vollenden, so wirst du, anstatt ihn einiges Tadels schuldig zu finden, eher anstehen, ob du den für einen bloßen Sterblichen halten sollest, der in jeder Vollkommenheit so wenige, und in vereinigtem Besitz derselben keinen seines gleichen hat. Ich kenne ihn zu wohl, als daß ich zu viel versprechen sollte. Von dem Tage an, da er als ein noch junger Knabe an den Hof des Königs von Medien, seines Großvaters, kam, bin ich nie von seiner Seite gewichen. Mein günstiges Glück gab mir seine vorzügliche Liebe, und die Erlaubnis, ein vertrauter Zeuge aller seiner Handlungen, ja selbst ein Teilnehmer seiner geheimem Gedanken zu sein. Schon damals entwickelte sich der erhabne Charakter, der jetzt durch jeden neuen Anlaß zur Vollkommenheit ausgebildet wird. Sein Geist schien allzu feurig, die Grade langsam zu durchschleichen, durch welche der schwache Leib zur Blüte und männlichen Stärke heran wächst. Er zeigte in seinem Betragen eine Güte und Zärtlichkeit des Herzens mit einer unbiegsamen Standhaftigkeit und mit einer Kühnheit vereint, die nichts zu erschrecken vermochte; und die Vereinigung dieser sonst widerwärtigen Eigenschaften versprach schon damals unsern weisesten Alten einen zukünftigen Helden, der die Welt mit seinem Ruhm beschäftigen würde. Wie sehr hat er seitdem selbst unsere größten Erwartungen übertroffen, nachdem er die Jahre erreicht hat, in welchen der reife Jüngling sich in den Mann verliert! Seine großmütige Seele umfasset das menschliche Geschlecht. Sein Mitleiden eilt unerbeten jedem Hülfsbedürftigen entgegen. Seine Seele ergetzt sich am Anblick der Ordnung und des Wohlstands, die er gestiftet hat. Wie oft sah ich ein göttliches Lächeln über sein majestätisches Gesicht herab glänzen, wenn er diejenigen um ihre Gegenliebe als die einzige Belohnung ersuchte, die er, ohne daß sie es um ihn verdienten, glücklich gemacht hatte! Wie viel darf die Welt von einer solchen Güte erwarten, die von einem so mächtigen und tätigen Geiste regiert wird! Seine Erfindungskraft ist unerschöpflich an Mitteln, seine Absichten zu befördern. Er entschließt sich selten ohne eine langsame Beratschlagung mit sich selbst; obgleich, wenn es die Not erfordert, die Schnelligkeit seiner Gedanken dem Blitze gleich ist. Aber in der Ausführung eines Vorhabens deucht er mir nur mit den Göttern zu vergleichen, deren stille unsichtbare Wirksamkeit zu schlummern scheint, bis ihre geheime Arbeit uns unvermutet überrascht, und vollendet vor unserm erstaunten Auge da steht, ohne daß wir die Triebfedern wahrnehmen, wodurch sie herbei gebracht worden. Wenn ich alle diese Vorzüge, die ihn so weit über andre erheben, überdenke, so weissagt ihm meine Hoffnung ein Glück, das seiner würdig ist; und er scheint mir von dem obersten Beherrscher der Geister dazu bestimmt zu sein, einen großen Teil des menschlichen Geschlechts zu beglücken, und den Königen, die auf ihn folgen werden, ein Vorbild zu sein. Vielleicht ahndet seiner großen Seele etwas von den Absichten des Himmels mit ihm. Wie könnte er der einzige sein, der die Obermacht nicht merkte, die seine Weisheit, seine Beredsamkeit, seine Großmut, über die Herzen der Menschen ausübt? Cyrus hat nicht nötig die Völker mit Waffen zu bezwingen; seine unwiderstehliche Güte, und die durch so viel Anmut gemilderte Hoheit seiner Person wird sie mit sanfter Gewalt in den Schatten seines Thrones locken. Eine Reihe Begebenheiten, von denen ich vor kurzem Zeuge war, bestätigt meine Hoffnung. Du erwähntest ihrer, Panthea; aber mich dünkt, das Gerücht habe dir das Betragen des Cyrus in einem falschen Lichte gezeigt.

Panthea. Mich verlangt sehr, besser von dir berichtet zu werden, obgleich deine Erzählung mich schon ganz für deinen Helden eingenommen hat. Wie gefällt mir diese freundschaftliche Hitze, die deine Ausdrücke belebt und auf deinen Wangen glüht, wenn du von Cyrus redest! Die Liebe, die du für seine Tugend fühlst, ist mir ein Beweis von deiner eignen. Die Taten der Tugendhaften, von Freunden der Tugend gepriesen, sind die angenehmste Musik für meine Seele.

Araspes. Und ich, schöne Panthea, kenne kein Vergnügen, welches dem gleich wäre, deine Aufmerksamkeit mit dem Lobe des Cyrus zu unterhalten. Was ich dir jetzt erzählen will, wird dir in vollem Lichte zeigen, wie er sich seiner Obermacht über die geringern Menschen bedient. Der König von Armenien, welchen Astyages, der Vater des jetzigen Königs von Medien, als einen ungerechten Störer der nachbarlichen Eintracht, zum Vasallen gedemütiget hatte, weigerte sich, so bald ihm die Absichten der Assyrer bekannt wurden, den jährlichen Tribut zu bezahlen und die Hülfsvölker zu schicken, die er dem medischen Könige schuldig war. Diese Untreue schien bei den gegenwärtigen Umständen gefährlich; denn man sah wohl, daß der König von Armenien nur auf einen günstigen Wink des Glücks warte, um sich mit den Feinden der Meder und Perser zu vereinigen. Die Mittel, ihn zum Gehorsam zu bringen, waren entweder zu langsam oder zu gefährlich. Unentschlossen wankte Cyaxares schon etliche Tage von einem Vorsatz zum andern; als sich endlich Cyrus, der den kleinsten Aufschub in wichtigen Geschäften hasset, freiwillig anbot, den rebellischen König nicht nur zu seiner Pflicht zu nötigen, sondern ihn sogar zu einem getreuen Freunde des Cyaxares zu machen. Mit keinem größern Haufen, als der Vorwand einer Jagd auf den armenischen Grenzen unverdächtig machen konnte, rückte er, so unvermutet als eine erscheinende Gottheit, bis vor die Hauptstadt des Rebellen, der, ohne einen vergeblichen Widerstand zu wagen, kaum Mut genug behielt, auf die Flucht zu denken. Allein Cyrus hatte schon alle Auswege versperrt; die Gemahlin und die Kinder des Armeniers, welche mit seinen Schätzen ins Gebirge geflüchtet werden sollten, kamen in seine Gewalt. Der König selbst, auf einem Hügel, wohin er geflohen war, von allen Seiten eingeschlossen, mußte sich ohne Bedingung ergeben. Cyrus richtete ihn im Angesicht der Perser und Armenier, und fing ihn so geschickt in einem unsichtbaren Netze künstlicher Fragen, daß er sich selbst wider seine Absicht das Todesurteil sprach. Der Sieger schien anfangs zu zweifeln, ob er nicht der strafenden Gerechtigkeit den Lauf lassen sollte. Nicht als ob er wirklich unentschlossen gewesen wäre: er wollte ihm nur durch den Anblick des Todes einen tiefern Eindruck von seinem Verbrechen geben; und überdies war es ihm lieber, daß seine Gemahlin und Kinder die Begnadigung ihres Ehemanns und Vaters mehr ihren vorbittenden Tränen, als seiner Willkür, zuschreiben möchten. Er vergab endlich dem König von Armenien auf eine Art, worin Ernst mit Güte gemischt war; und doch so edel, daß er aus einem treulosen wankenden Vasallen einen Freund machte, der sich durch Dankbarkeit stärker gebunden hielt, als Furcht und Verträge binden können. Die Weisheit seiner Reden und die Billigkeit seiner Art zu handeln gewannen das Herz des überwundnen Königs, den die gefühlte Obermacht allein nur mit Mißtrauen und Abscheu erfüllen konnte. Er entdeckte dem großmütigen Überwinder die ganze Stärke seines Reichs, und überließ seine Schätze und sein Heer seiner Willkür; aber Cyrus bediente sich beider mit der weisen Mäßigung, die ihn im Glücke nie verläßt. Er ließ dem König die Hälfte seiner Völker, so bald er vernahm daß er mit den Chaldäern in Feindschaft lebe. Und so schied er, nachdem er in einem einzigen Tag alles in Ordnung gebracht, von Tigranes, dem ältesten Sohne des Königs, und einem Teile der armenischen Truppen begleitet, und ließ jedermann von seiner Großmut und Klugheit und von der männlichen Schönheit und Majestät seiner Gestalt entzückt.

Indessen arbeitete sein immer geschäftiger Geist schon wieder an einem großen Vorhaben. Er beschloß, die Wurzel der Zwietracht zwischen den Chaldäern und Armeniern auszureuten, welche beiden Völkern gleich verderblich war. Die Chaldäer, die nächsten Nachbarn der Armenier, sind ein streitbares Volk, rauh von Sitten, und Liebhaber der Freiheit. Sie bewohnen ein gebirgiges undankbares Land; glücklich, wenn sie es zu sein glaubten, da ihre Armut mehr in einer Unwissenheit der überflüssigen Dinge besteht, die unsere Wollust zu Notwendigkeiten gemacht hat, als in einem Mangel des wenigen, was die Natur fordert. Indessen machte sie doch sowohl die Unfruchtbarkeit ihres Landes als ihre Streitbarkeit zu beschwerlichen Nachbarn für die Armenier, die in den Künsten des Friedens geübter sind. Sie hielten die Berge, wodurch sie von Armenien abgesondert sind, beständig besetzt, und waren auf diesen Vorteil so trotzig, daß sie von keinem billigen Frieden hören wollten. Cyrus bediente sich seiner gewöhnlichen Behendigkeit, die dem Gerüchte von seinem Vorhaben immer vorzueilen pflegt. Er bemächtigte sich ohne Schwierigkeit dieser Berge; denn die Chaldäer, so bald sie geübtere Widersacher fanden als die unkriegerischen Armenier, sahen sich nicht zahlreich genug, einen langen Widerstand zu tun. Einige verloren das Leben, einige wurden verwundet; die meisten aber kamen unbeschädigt in die Gewalt der Perser.

Panthea. Mich wundert, Araspes, wie du deinen Prinzen ohne Verletzung seiner Gerechtigkeit und Güte aus dieser Unternehmung heraus wickeln wirst, die beim ersten Anblick sehr unregelmäßig erscheint.

Araspes. Ich zweifle sogar, ob man sie unregelmäßig nennen kann, da Cyrus, der die Stelle des Cyaxares vertrat, ein Recht hatte, den Armeniern, seinen Schutzverwandten, Sicherheit zu verschaffen. Aber höre nur den Verfolg. Er befahl sogleich, die Verwundeten aufs sorgfältigste zu pflegen und den Gefangnen die Fesseln abzunehmen. Er ging selbst zu ihnen, und sagte ihnen mit der Miene der Wahrheit, die niemand an seinen Worten zweifeln läßt:Die folgende Stelle ist wörtlich aus dem Xenophon übersetzt.

»Ich bin nicht gekommen, euch zu zerstören, oder der Freiheit zu berauben, die das angeborne Recht des Menschen ist; sondern im Gegenteil einen dauerhaften Frieden zwischen euch und den Armeniern auf euern gemeinschaftlichen Vorteil zu gründen. Die Erfahrung wird euch überzeugen, daß ich dadurch euere Rechte nicht verletze, wenn ich euch die Macht Böses zu tun benehme. Ehe ich mich dieser Berge bemächtigt hatte, wolltet ihr von keinem Frieden hören, weil ihr selbst von den Armeniern bedeckt waret, und so oft als es euch beliebte ihre Felder des goldenen Schmucks, und ihre Vorratskammern des Überflusses berauben konntet, den die Natur zur Belohnung ihrer Arbeit bestimmt hatte. Jetzt sehet ihr selbst, was euer eigner Vorteil fordert. Ich setze euch wieder in Freiheit. Fraget euere Landsleute, ob sie lieber in Streit oder in Freundschaft mit uns leben wollen. Wähler ihr das erste, so kommt nicht anders als mit den Waffen in der Faust zurück; verlanget ihr aber, wie wir, nach dem Frieden, so sollet ihr Ursache finden, euch dieser Wahl zu erfreuen.«

Als ihm die Chaldäer für diese gütige Begegnung danken wollten, setzte er hinzu: »Danket mir nicht für ein Betragen, welches ich euch als frei gebornen Menschen schuldig bin, und das der Absicht gemäß ist, weswegen ich euch so unvermutet überrascht habe. Ich hasse alle Gewalttaten; und wofern ihr es nicht selbst verwehret, so sollet ihr mich niemals anders als euern Freund erfahren.«

Indessen daß die Chaldäer, voll vom Lobe des Cyrus, zu ihren Landsleuten reiseten, kam eine Menge Arbeiter an, die er von dem armenischen König verlangt hatte, um eine feste Schanze auf diesen Bergen anzulegen. Sie war schon halb fertig, als die Chaldäer zurück kamen, und diesen seltsamen Fremdling, den ihre Einbildungskraft beinahe vergötterte, um den Frieden baten. »Ohne Zweifel«, sagte er zu ihnen, »verlanget ihr Frieden, weil ihr mehr Sicherheit im Frieden findet als im Kriege? Und wie, wenn euch der Friede noch größere Vorteile mitbringt, als ihr erwartet?« – »Desto mehr wird er uns willkommen sein«, versetzten die Chaldäer. – »Haltet ihr euch«, fuhr er fort, »nicht deswegen für arm, weil es euch an fruchtbarem Boden mangelt?« – Sie gestanden es ein. – »Wäret ihr also nicht zufrieden, wenn euch erlaubt würde, einen Teil der armenischen Felder zu bauen, unter der Bedingung, dem König die gleichen Abgaben zu entrichten wie seine Untertanen?« – »Allerdings«, antworteten die Chaldäer; »wenn wir nur sicher sind, daß wir keine Gefahr daher zu besorgen haben.« – Hier befragte Cyrus den König, ob er es zufrieden sei, den Chaldäern unter der gedachten Bedingung die Nutzung derjenigen Felder zu verstatten, welche, wie der Prinz unterwegs beobachtet hatte, ungebaut lagen? »Warum nicht?« antwortete der König; »meine Einkünfte würden dadurch beträchtlich wachsen. – Und ihr«, fuhr er fort, indem er sich zu den Chaldäern wandte, »wolltet ihr nicht dagegen den Armeniern erlauben, ihre Herden auf euern fetten Gebirgen weiden zu lassen, wofern sie versprechen, euch dafür einen billigen Zins zu bezahlen?« – »Wie sollten wir uns«, antworteten sie, »eines beträchtlichen Vorteils weigern, den wir nicht mit der geringsten Arbeit erkaufen müßten?« – Auch der König von Armenien ließ sich diesen Vorschlag gefallen, wofern seine Leute keine Gefahr dabei liefen. – »Wärest du nicht sicher«, fragte ihn Cyrus, »wenn du auf diesen Bergen eine Besatzung hieltest?« – Der König säumte nicht ja zu sagen; aber die Chaldäer widersetzten sich, und behaupteten, daß sie in diesem Falle nicht sicher wären. – »So werdet ihr also«, sagte Cyrus, »Meister von den Bergen bleiben wollen?« – Die Chaldäer gestanden, daß sie dieses wünschten; allein der König von Armenien konnte dieses, seiner eignen Sicherheit wegen, eben so wenig zugestehen. – »So höret denn«, sagte Cyrus, »was ich tun will: ich will diese Berge keinem von euch beiden zurück geben, sondern sie selbst bewachen lassen; und wenn ihr künftig mit einander zerfallen solltet, so soll der Unrecht Leidende allezeit meines Schutzes gewiß sein können.«

Dieser Vorschlag wurde von beiden Seiten gebilliget. Sie gestanden, daß er das einzige Mittel zu einem sichern Frieden sei. Beide Völker vereinigten sich hierauf in das engeste Bündnis, und beschlossen durch Vermählungen in Ein Volk zusammen zu wachsen, dessen Vorteile, so eng in einander verschlungen, keine Zwietracht mehr zulassen. Die Freude über diesen Vergleich verbreitete sich schnell durch beide Länder. Ein Geist des Friedens schien sie plötzlich angehaucht zu haben; alles erschallte von Lobsprüchen und Segnungen des jungen Helden, der unter ihnen erschienen war, ihre Glückseligkeit zu befestigen, und die Wohltaten des Friedens über sie auszuschütten. Seine großmütigen Gesinnungen bemeisterten sich auch der kleinsten Seelen, und die ehmals von der unedelsten Selbstheit getrieben wurden, begriffen jetzt, daß wir nur dann für unsern eignen Vorteil arbeiten, wenn wir andern nützlich sind, und daß nur der allgemeine Wohlstand das Glück einzelner Menschen sicher stellt. – Wie erfreue ich mich, Panthea, in deinem schönen Gesichte die Wirkungen zu lesen, die ich von meiner Erzählung hoffte!

Panthea. Ja, sie hat ihre Wirkung getan, Araspes! Ich erkenne in dem Betragen deines Fürsten die unzweideutige Miene eines wahrhaft großen Mannes. Diese Chaldäer hatten wohl recht, ihn für einen menschenfreundlichen Gott zu halten; denn es ist ein göttliches Geschäft, Eintracht und Ordnung unter den Menschen zu stiften, und eine göttliche Wollust, Glückliche zu machen. Der große Haufe der Sterblichen gleicht einem unbeseelten Leibe, wofern er nicht von einem Geist aus einer höhern Ordnung regiert wird, der seine Bewegungen lenket, seine Aufwallungen mäßigt, und seinen Bedürfnissen abhilft. Ohne einen Cyrus hätte die Zwietracht vielleicht diese beiden Völker aufgerieben, obgleich das Mittel, wodurch er sie in Harmonie stimmte, so leicht und einfältig scheint, daß es sich einem jeden von selbst hätte anbieten sollen. So schmiegen sich die heilsamsten Pflanzen unbemerkt unter unsern Füßen, bis ein Weiser, vertraut mit der Natur, ihre wohltätigen Kräfte entdeckt, und das erstaunte Volk belehrt, daß die Genesung unter seinen Tritten keime. Jetzt preise ich diesen erhabnen Stolz, wenn es Stolz ist, dieses edle Bewußtsein, wodurch er sich geboren fühlt die Angelegenheiten der Völker zu schlichten, ihnen Gesetze zu geben, und die Ungehorsamen mit liebreicher Gewalt zu nötigen, sich ihrer unerkannten Vorteile zu bedienen. Nur einem solchen Geist ist die Begierde zu herrschen anständig, den seine höhere Weisheit zum Ratgeber, und seine vorsorgende Güte zum Vater der Menschen macht.

Araspes. Ich kenne keine heftigere Begierde in seiner großmütigen Seele, als die Begierde von allen Menschen geliebt zu sein; eine Begierde, die ihn unaufhörlich anspornt, die Liebe zu verdienen, in welche er sein Glück und seine Ehre setzt. »Was für Vorteile«, hörte ich ihn einst sagen, »hat ein König vor dem unbillig verachteten Bewohner der Strohhütte, wenn es nicht der ist, daß er einen jeden so zu sagen nötigen kann, ihn zu lieben? Welch ein Vergnügen ist es, in jedem Gesichte, das uns umgibt, Zufriedenheit und stille Hoffnung lächeln zu sehen! Was für ein süßer Anblick ist mir die trunkne Freude eines Menschen, den ich mit einer unvermuteten Wohltat überrasche! Ich würde keine Ruhe haben, wenn ich auf der Stirn irgend eines Redlichen einen geheimen Kummer beobachtet hätte, ohne ihn zerstreut zu haben ehe die Sonne untergeht. Glaubet mir, meine Freunde«, fuhr er fort, – »doch ihr werdet es selbst erfahren – es ist eine Wollust im Wohltun, von welcher der König von Assyrien mitten unter seinen schönen Beischläferinnen nichts weiß. Wenn ihn die süßesten Gerüche aus Arabien umduften, wenn die niedlichsten Speisen und die geistigsten Weine seinen Gaum, und die lieblichsten Symphonien sein Ohr kitzeln; wenn seine lüsternen Augen unter tausend blühenden Schönen ungewiß irren, um diejenige zu suchen, welche sein ermüdetes Gefühl aufwecken soll: so genießt er Freuden, welche ein unangesehener Wurm, den doch die Natur vielleicht prächtiger geschmückt hat als ihn aller Übermut der Kunst schmücken kann, viel lauterer genießt, ohne von Ekel und ungesättigten Begierden zugleich gequälet zu werden. Aber die Freuden des Menschenfreundes und die Wonne eines Gottes strömen, nur im Grade verschieden, aus der gleichen Quelle. Ja, meine Freunde, ich fühle es, daß etwas Vergötterndes in diesen Empfindungen ist; mich dünkt, meine eignen Bedürfnisse nehmen ab, je mehr ich die eurigen vermindre, und meine Glückseligkeit werde immer unbegrenzter, je mehr ich andre glücklich mache.« – Du staunest, Panthea? dein Gesicht glänzt von tugendhafter Entzückung, sanfte Tränen gleiten deine glühenden Wangen hinab? Was für Rührungen –

Panthea. O Abradates, diese Züge bringen dein geliebtes Bild vor meine Augen! Wer hat dich jemals gesehen, ohne dich zu lieben? In welchem Auge glänzte dir nicht Beifall und Dank entgegen, wo du gingest? Stolz auf den süßen Vaternamen, verschmähtest du die eiteln Titel und das sklavische Gepränge, womit unwürdige Könige den Haß eines unterdrückten Volkes zum Heucheln zwingen wollen. Sollte so viel Tugend, ein so königliches Herz – nein! meine frevelhafte Furcht beleidigt den Himmel! Abradates lebt ein Freund des Cyrus zu werden. Cyrus mag ihn in andern Vollkommenheiten übertreffen; aber Großmut, Araspes, und jede menschenfreundliche Tugend haben sie in gleichem Maß aus den Händen der Natur empfangen. – Welch ein glorreiches Werk, wenn ich diese verschwisterten Seelen einander nähern könnte! Ja, wenn das Schicksal meine Hoffnung nicht täuscht, so hoffe ich ein Mittel zu werden, die edle Sehnsucht des Cyrus nach Liebe durch die Freundschaft eines Mannes zu bereichern, der es würdig ist an seinem Herzen und an seinen Taten Anteil zu haben. – Aber mich dünkt, ich höre ein Getümmel wie von wieder kommenden Siegern – ihre mutigen Rosse scheinen Triumph zu wiehern – ach! mein pochendes Herz! –

Araspes. Sei unbesorgt, o du, für welche der Himmel selbst, als für das schönste seiner Werke, sorget! Vielleicht bringen dir diese Ankommenden eine willkommene Botschaft. Mich dünkt, es sind die Meder, die von Verfolgung der flüchtigen Assyrer zurück kommen. Mein Freund Arasambes ist unter ihnen. Ich fliege, schöne Königin, um von ihm Nachrichten zu holen, die, wie ich hoffe, alle deine zärtlichen Sorgen in sanfte Ruhe wiegen werden.


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