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In dem kleinen Thomsenschen Hause am Nonnentor herrschte die lieblichste Harmonie. Emanuel war, seit der liebe Gott ihn erhört hatte, die personifizierte Liebenswürdigkeit und Anhänglichkeit geworden. Nie mehr kam ein böses Wort über seine Lippen. Er scherzte den lieben langen Tag mit der guten Mutter Karen, und er war bemüht, ihr in jeder Hinsicht zu nützen und sie zu erfreuen.

Er hatte sich eine Art und Weise, sie zu behandeln, zugelegt, die aus der milden Herablassung eines Grandseigneurs, gemischt mit der ein wenig harselierenden Courtoisie eines liebevollen Sohnes, bestand.

Wenn sie ihm am Morgen seinen Kaffee brachte, hielt er seine kleine Stumpfnase über die Tasse und sog den Dampf mit allen Zeichen des Wohlbehagens ein.

»Der Java der Gnädigen entzückt einen!« sagte er und sandte ihr einen verliebten Blick zu. »Die Gnädige macht den besten Kaffee in der ganzen Welt!«

»Ach, Manuel!« lächelte Madam Thomsen und schlug mit der einen Hand nach ihm. – »Wie du nur redest!«

Im Innern aber war sie glückselig über die Galanterie des Sohnes.


Sie saß noch immer in dem großen Lehnstuhl am Fenster und nähte fleißig mit ihren geschäftigen Fingern. Jetzt arbeitete sie aber »für das Haus«. Zwischen Manuel und Wulfdine war es ja nämlich jetzt Ernst geworden. Thomsen war ein paarmal in Grästed zu Besuch gewesen, und als er das letztemal nach Hause kam, war die Sache klipp und klar.

Das war an einem Dienstag. Und am Sonntag kam Onkel Jakob mit »Dine« in des Schulzen Einspänner angefahren.

Thomsen hatte sich als angehender Bräutigam mit großem und kleidsamem Ernst aufgeführt. Jedesmal aber, wenn er mit seiner Braut gesprochen oder sie nur angesehen hatte, war sie zusammengeklappt und hatte das Gesicht mit den Händen bedeckt. Und wenn er seiner liebenden Sehnsucht Ausdruck verleihen und sie berühren wollte, kicherte sie krampfhaft und versank mehrere Fuß tief in den Erdboden.

»Aber, – hm, – ja, das wird sich schon geben!« meinte Onkel Jakob.

Und Manuel selber gefiel das Benehmen seiner Herzensdame. Er fühlte seine eigene Männlichkeit gleichsam kräftiger akzentuiert neben dieser mimosenhaften Verschämtheit.

Das sagte er zu dem Alten. Und alle Teile waren zufrieden.

Man redete ein wenig hin und her über die Angelegenheit, und es wurde beschlossen, daß die Hochzeit im Sommer, einen Monat nach dem Rückkauf des Mühlenhofes, stattfinden sollte. Dann hoffte man mit allem soweit in Ordnung zu sein.


Und nun saß, wie gesagt, Madam Thomsen da und nähte die Aussteuer.

Damit soll natürlich nicht gesagt sein, daß Wulfdine nicht allerlei mit in die Ehe brachte. Im Gegenteil! Aber es war ja immerhin angenehm, alles ein wenig reichlich zu haben. Und weder Manuel noch Mutter Karen hatten seit langer Zeit ihre Garderobe in bezug auf Leibwäsche erneuert.

Und jetzt war nicht mehr die Rede davon, daß der »Junge« in dieser Beziehung den Daumen auf den Beutel hielt. Fein und gut sollte die Leinwand sowohl zu den Frauen- wie zu den Männerhemden sein.

Während die Mutter mit ihrer Näharbeit beschäftigt war, saß Thomsen vor dem andern Fenster des Zimmers und schnitzte an einem Rahmen. Er hatte der »Gnädigen« den Rücken zugewendet, damit ihm das Licht von der rechten Seite auf die Hand fiel.

»Ob man nicht auch gleich ein paar Manschettenhemden nehmen sollte?« fragte er plötzlich und wandte den Kopf nach Mutter Karen um.

»Aber mein Gott, Manuel! Manschettenhemden!« sagte die Madam erschrocken. »Du kannst dir ja ein paar Kragen kaufen!«

»Das findet man bäurisch!«

»Dein Vater trug doch immer Kragen!«

»Man muß mit der Zeit fortschreiten, Mutter Karen!«

»Ja–a, das muß man wohl!«

»Und die Manschettenhemden sitzen besser so vor der Brust.«

»Dann nimm du Manschettenhemden, lieber Manuel. Aber ich kann sie nicht nähen. Du mußt wohl in ein Equipierungsgeschäft gehen.«

»Man wird sich die Sache überlegen«, nickte Manuel und fing wieder an zu schnitzen.

Das Feuer im Ofen prasselte, die Potpourrikruke duftete, und sie plauderten und sahen traulich beieinander.

»Mit dem Konsul da drüben soll es sehr schlecht stehen, Manuel.«

»So? Ja, er ist schon lange Todeskandidat gewesen.«

»Ja. – Und der Zollkontrolleur kommt gar nicht mehr hin, sagt Engeline.«

»Ja, wir Menschen sind ja recht unbeständige Wesen, Mutter Karen. Nur gut, daß wir beide zusammenhalten.«

»Ja, Gott sei Lob und Dank!« sagte Madam Thomsen mit Inbrunst. – »Ich danke dem lieben Gott immer wieder, daß es so zwischen uns geworden ist.«

Emanuel wandte den Kopf um und nickte ihr schräg über die Schulter zu.

»Ja, man ist ja oft recht häßlich gewesen«, sagte er. »Weißt da aber wohl, Mutter Karen, wer hier in diesem Rahmen sitzen soll?« Er lächelte verschmitzt.

»Nein, woher sollte ich das wohl wissen, lieber Manuel? Ich denke mir, Wulfdine?«

Thomsen lachte laut.

»Nein, nein«, sagte er. »Da ist ja eine kleine Dame, die zu allererst kommt!«

»Ach, du mit deiner Dame!«

»Und sie soll ihr feines schwarzes Kleid anhaben und ihre neue Haube aufsetzen. Und dann soll sie in Kabinett photographiert werden und hier sitzen.«

»Der ist viel zu fein für mich, Manuel!«

»Nein, nein! Das Beste ist nicht zu gut für die Beste! – Willst du nicht eine kleine Schaufel voll Kohlen aufwerfen?«

Madam Thomsen erhob sich sofort und parierte Order.

Auf dem Rückweg an ihren Platz strich sie Manuel zärtlich über den Rücken.

»Du bist ein guter Sohn«, sagte sie.

Thomsen nickte ihr über die Schulter zu.

»Man hat eine gute Mutter,« sagte er, »das ist die Sache!«

»Hi, hi, hi!« lächelte Madam Thomsen, und Tränen der Rührung traten ihr in die Augen. Dann setzte sie sich still in ihren Stuhl. Eine Weile war jeder schweigend mit seinen Gedanken beschäftigt, und im Zimmer wurde es wärmer und wärmer.

Dann erhob Madam Thomsen langsam den Kopf von ihrer Näharbeit.

»Manuel –«

»Ja – –«

Eine schwache Röte stieg in die Wangen der kleinen Frau.

»Ich möchte dich gern noch etwas fragen, Manuel.«

»Nun? Und was ist das denn?«

Thomsen arbeitete an einer besonders schwierigen Stelle des Rahmens.

»Nur frisch drauflos!« sagte er. »Ja, aber du mußt es mir nicht übelnehmen, Manuel.«

»Nein, nein, die Zeiten sind vorbei.«

»Ja, siehst du, ich wollte gern. – Hast du – du hast so lange nicht davon gesprochen, ob du – ob du deinen Vater gesehen, – ob er dich wieder besucht hat – –«

»Nein, er hat einen nicht besucht.«

»Ich finde, das ist sonderbar, Manuel, da ist doch so vielerlei, worüber er dir Bescheid sagen könnte –«

»Die Verstorbenen mischen sich nicht in Kleinigkeiten«, sagte Manuel sehr bestimmt.

»Nein, aber –«

»Und nun hat er einem ja zum Mühlenhof verholfen!«

»Ja–a. Aber schon allein deine Verlobung mit Wulfdine!«

»Wäre er in seinem Himmel damit nicht einverstanden gewesen, so hätte er wohl abgeraten.«

»Ja–a, aber er hat sich auch nicht darüber ausgesprochen, wann du den Hof übernehmen sollst.«

»Den übernimmt man, wenn man will!« sagte Manuel ein wenig abweisend. – »Und Mutter Karen soll nicht dasitzen und sich Sorgen machen. Man wird schon zugreifen, wenn der Geist es befiehlt.«

Madam Thomsen schwieg eine Weile.

»Aber Mortensen meint ja auch, daß du am besten tust, wenn du bis zum Juni damit wartest«, sagte sie dann.

»Man wartet, solange man Lust hat!« sagte Manuel mit einem Anflug seiner alten Heftigkeit, »und wandelt die Lust einen morgen an, so kehrte man sich den Teufel an Mortensens Redensarten! Punktum! Und nun reden wir nicht mehr darüber.«

Mutter Karen seufzte und schüttelte den Kopf.

Dies war die Klippe, an der sie regelmäßig scheiterte. In diesem Punkt war Manuel nicht zu erweichen. So sanft und friedfertig er im übrigen auch geworden war, über seine Absichten bezüglich des Mühlenhofes sprach er sich niemals aus. Und wenn ihm der Einfall kam, ihn morgen zu kaufen, so kaufte er ihn, und wenn ihm auch tausend Menschen davon abrieten! – »Ach du mein Gott, mein Gott, ja!«

Emanuel wandte den Kopf ein wenig um.

»Man möchte glauben, die Gnädige hätten geseufzt?« sagte er.

»Ach ja, das tat ich wohl!«

Thomsen erhob sich.

»Du bist ein undankbares Geschöpf, liebe Karen Thomsen!«

»Aber mein Gott, Manuel!«

»Ja, das bist du! Hat uns der liebe Gott denn nicht in jeder Weise beigestanden?«

»Ja, ja!«

»Und du schämst dich nicht zu stöhnen!«

Die kleine Frau faltete flehend die Hände.

»Aber wer soll die Bewirtschaftung da draußen übernehmen, Manuel?« sagte sie; das war der Gedanke, der sie Tag und Nacht plagte. »Wer soll die Bewirtschaftung des Gehöftes übernehmen? Du hast dich nie um die Landwirtschaft gekümmert, nein, das hast du nicht getan. Du hast dich ja nur mit dem Garten und den Gebäuden –«

Manuel schnitt ihre Rede ab, indem er ihr plötzlich die Hand hinhielt.

»Adieu!« sagte er ruhig. »Jetzt will man einen Spaziergang machen.«

»Du willst fortgehen, wo wir gerade –«

»Ja, man hat Bewegung nötig!«

»Ja, aber –«

»Adieu!« wiederholte er ohne allen Zorn, aber mit großer Würde. »In einer Stunde, wenn meine Frau Mutter ihre Vernunft wiedergefunden hat, wird sie ihren Sohn wiedersehen!«

Er machte eine kleine schiefe Verneigung und entfernte sich.

Dergleichen kleine Szenen konnten stattfinden. Wenn aber »der Junge« präzise nach einer Stunde wiederkam, klopfte er Mutter Karen lächelnd und liebenswürdig auf die Schulter und brachte ihr in der Regel einen Kuchen, eine Apfelsine oder eine Tüte Schokoladenplätzchen als Versöhnungsgabe mit.

Und das aß sie dann.



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