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Die Damen des Städtchens hatten eine große Vorliebe für Karen Thomsens Laden. Er blitzte von Reinlichkeit, und die Madam selber war so nett, ja, geradezu »süß«, und in ihrem Wesen so angenehm und gebildet. Zuweilen baten sie wohl, ob sie nicht ein wenig in die Stube gehen und ihre amüsanten Sachen und die alten, sonderbaren Möbel ansehen dürften.

»Was für ein Bild ist denn das da?« fragten sie regelmäßig und zeigten auf das Aquarell über dem Sekretär.

»Aber mein Gott, das ist ja das Gehöft!« sagte Karen.

»Das Gehöft – ? Ach so, der Mühlenhof da draußen?«

»Ja!«

»Ist es wahr, daß Ihr Sohn die Absicht hat, ihn wieder zu kaufen?« (Karen machte eine verneinende Bewegung mit der Hand.) »Ja, es heißt aber doch so!« (Karen verneinte noch eifriger.) »Man sagt, er spare Geld zusammen, um den väterlichen Besitz zurückkaufen zu können!«

»Hihi!« lachte Madam Thomsen und schüttelte energisch den weißen Kopf.

Aber die romantische Frau Lassen, die immer irgend etwas »Poetisches« hatte, wofür sie sich interessierte, und die sich eben erst so in Zollkontrolleur Knagsted geirrt hatte, fuhr, ohne sich an Madam Thomsens Ablehnung zu kehren, fort:

»Ach Gott, wie reizend muß es doch sein, so wieder in das Heim seiner Väter einziehen zu können, entzückend! Wenn es auch noch so klein ist; denn es ist ja nur ein kleineres Gehöft. Madam Thomsen. – Aber wenn man sich denkt, daß man wieder in denselben Stuben wohnt! Und unter denselben Bäumen sitzt! Und dieselben Äcker pflügt! Ich bitte Sie, Frau Heilbunth! Und des Abends, wenn die Sonne untergeht, das brüllende Vieh in die Ställe zieht, während die heiligen Schläge der Kirchenglocken über die dämmernde Landschaft hintönen, – ach!«

In Frau Lassens Hals setzte sich ein Begeisterungskloß fest, sie mußte innehalten.

Karen Thomsen aber saß ganz kühl da.

»Wir sind mit unserm Los zufrieden«, sagte sie. Und es war nicht möglich, mehr aus ihr herauszubringen.

Sonst war sie einer kleinen Unterhaltung durchaus nicht abgeneigt. Sie war ja den größten Teil des Tages allein, während Emanuel seinen verschiedenen Beschäftigungen nachging oder oben auf der Bodenkammer saß und seine Lederarbeiten anfertigte.

Zuweilen saßen fünf bis sechs Damen auf einmal in dem kleinen Wohnzimmer; und so kann man sich ja denken, wie die Münder gingen.

Es war wie ein Entenstieg zur Abendzeit! »Rapp, Rapp – Rapp«, ging es durcheinander, und die Damen ließen alle kleinen Ereignisse und Skandale des Städtchens Revue passieren.

Und Mutter Karen saß in ihrem Lehnstuhl am Fenster und lauschte lächelnd vergnügt.

Aber dann konnte plötzlich einmal eine der Damen auf den Einfall kommen, zu sagen:

»Ach, Madam Thomsen, Frau Brandstrup möchte so schrecklich gern Ihren Hahn einmal sehen.«

»Ach, ja, bitte«, bat Frau Brandstrup, die neu im Kreise war.

Sofort verschwand das Lächeln aus Karens Gesicht.

»Nein, nein«, sagte sie schnell und schüttelte entsetzt den Kopf. »Manuel mag es nicht.«

»Er ist ja aber nicht zu Hause, Madam Thomsen.«

»Nein, aber wenn er käme!«

»Ach liebe, gute Madam Thomsen!« bettelte Frau Brandstrup.

»Nur mal hineingucken?« sagte Frau Heilbunth.

»Das kann doch dem Tier wahrhaftig nicht schaden!« meinte Frau Lassen.

»Wir kaufen doch immer alles so getreulich bei Ihnen!« sagte Fräulein Rejersen, die schwerhörig war und deswegen ziemlich laut sprach.

Die alte Karen wand und drehte sich. Aber es endete stets damit, daß sie nachgab. Manuel hatte ja selber einmal gesagt, man dürfe die Kunden nicht vor den Kopf stoßen. Und wenn er es nun gar nicht einmal erfuhr – –!

Sie schlich durch den Laden hinaus, öffnete die Tür ein klein wenig und spähte nach beiden Seiten der Straße, ob der Sohn etwa im Fahrwasser zu erblicken sei.

Dann kam sie wieder herein.

»Nein, er ist nicht zu sehen«, sagte sie. Und ganz auf den Zehenspitzen ihrer grünen Morgenschuhe bewegte sie sich nach der Tür der Küche, während sie geheimnisvoll mit der Hand winkte.

»Kommen Sie dann nur«, flüsterte sie. »Aber Sie müssen sich beeilen, meine Damen!«

Und die Damen wurden von ihrem mystischen Gebaren angesteckt und folgten ihr schweigend mit lautlosen Schritten und erwartungsvoll weit geöffneten Augen durch die kleine Küche, in der eine Menge alter Kupfersachen ringsumher an den Wänden hing und wie lauteres Gold blitzte.

Draußen auf dem Hofe öffnete Karen die Tür zu dem Schuppen.

»Sst!« sagte sie.

Und die Damen scharten sich um sie und guckten Kopf an Kopf in den halbdunklen Raum.

»Da sitzt er«, sagte Frau Heilbunth leise. »Seht nur! Seht!«

Und dort saß Mortensen in seiner Ecke unter dem Fenster. Das Licht fiel nur spärlich durch die winzig kleinen Fensterscheiben. Unbeweglich saß er da, den Kopf auf die Brust gesenkt, die Augen geschlossen. Mager war er und abgezehrt. Kahle Stellen schimmerten rings auf dem Körper hervor; und an dem Schwanz hingen die beiden geknickten, zerzausten Federn. Aber die mächtigen Sporen an seinen Fersen schnitten einander wie zwei Sicheln. – Ein Don Quichotte unter den Vögeln!

Plötzlich öffnete der Schnabel des Tieres sich langsam und ruckweise, er machte einen Versuch, den Kopf zu erheben, und seine fast federlosen Flügel bewegten sich schwach.

»Jetzt kräht er!« flüsterte Madam Thomsen. »Das kommt, weil es hier heller geworden ist.«

Aber es kam nicht ein Laut aus der Kehle des Tieres.

Leise schob Madam Thomsen die Tür zu und befestigte den Haken. Und dann kehrte man wieder in das Zimmer zurück.

Hier erst lösten sich die Zungen der Damen wieder.

»Hu, wie schrecklich er aussah!« sagte Frau Brandstrup schaudernd.

»Abscheulich!« sagte Frau Heilbunth.

»Daß Sie den behalten mögen!« sagte Frau Lassen.

»Sie sollten ihn totschlagen!« schrie Fräulein Rejersen.

»Ihn totschlagen!« Mutter Karens Augen öffneten sich weit vor Entsetzen. »Wenn ihm etwas zustößt, dann –« (aber sie schloß schnell den Mund und schwieg).

»Was dann?« fragte man.

»Ach nichts,« lächelte die Alte in ihrer gewohnten, sanften, höflichen Weise, »das sind ja nur Narrenstreiche.«

»Ja, aber was ist es denn? Warum können Sie das abscheuliche Tier nicht totschlagen?«

»Sst! Sst!« sagte Karen und guckte unruhig nach der Tür, die zu dem Laden führte. – »Sie müssen nicht so reden, meine Damen! Wenn Manuel käme und es hörte!«

Und mehr konnten die Damen nicht aus ihr herausbringen.

Aber als die Fremden gegangen waren und Madam Thomsen wieder allein in der Stube sah, fing sie an, sich mit dem Gedanken zu beschäftigen: wenn nun dem Hahn etwas zustieß, so – denn das hatte Manuel ja selber gesagt, daß sie dann das Gehöft niemals bekommen würden. – Und dann konnte sie bis an ihr seliges Ende in Frieden hier sitzenbleiben. – Und dies elende Geschöpf ums Leben zu bringen, war ja –

Als aber die Alte in ihrem Gedankengang so weit gelangt war, faßte sie ein schauderndes Entsetzen, daß der liebe Gott ihre sündigen Gedanken lesen könne.

Und in ihrer Herzensangst fing sie an zu singen und den Takt mit dem Fuß dazu zu schlagen, um den Teufel und seine ganze böse Sippe aus dem Hause zu vertreiben.

»Wir sollen es dem lieben Gott überlassen«, murmelte sie und nahm ihre Näharbeit wieder auf. – »Ach ja! Ach ja! Wer nur den lieben Gott läßt walten –«

»Ahem, ahem, ahem. Krr!«

»Du mußt in den Ofen spucken, Mortensen.«

»Hm! Ja! – Pfui. Kuckuck. Ich wollt', der Teufel holte meinen Husten!«

Es war der alte Mühlen- oder Menschen-Mortensen, wie er auch genannt wurde. Er war zu Besuch bei Emanuel. Er kam zuweilen des Sonntags angehumpelt. Und dann zogen die beiden Männer sich auf Thomsens Mansardenstübchen zurück und redeten über die Zeit, die entschwunden war, und die Zeit, die kommen sollte.

Mutter Karen liebte diese Zusammenkünfte nicht, denn Mortensen fachte Emanuels fixe Idee mit dem Ankauf des Mühlenhofes zu neuer Glut an; und der Junge pflegte nach so einem Besuch so hochnäsig zu werden, daß man glauben konnte, er thronte schon als Grundbesitzer da draußen!

Wären sie dann doch wenigstens unten im Zimmer geblieben und hätten da losgepredigt! Dann hätte sie doch von Zeit zu Zeit ein wenig Wasser ins Feuer gießen können. – Aber stets mußten sie sich oben auf dem Boden verkriechen, obwohl Mortensens schwache Beine kaum die Treppe hinauf- und wieder herunterkommen konnten!

Madam Thomsen wandelte manchmal die Lust an, dem alten Mortensen Rattengift zu geben, wenn sie ihn da oben im Zimmer gerade über ihrem Kopf trampeln und husten und sich räuspern hörte.

Und sie konnte wohl die Fäuste ballen und zur Decke emporheben, von wo die Stimmen der Männer unaufhörlich zu ihr herabschallten wie ein summendes Murmeln. – – –

Emanuel saß am Tische unter dem einzigen Fenster des schrägen Daches. Er war eifrig beschäftigt, Leinwand auf die inneren Flächen eines seiner kleinen, eleganten Handkoffer zu kleben.

Der Menschen-Mortensen (diesen Namen hatte ihm Manuel gegeben, um ihn von dem Hahn zu unterscheiden) lag in einen alten Korbstuhl zurückgelehnt und rauchte aus seiner kurzen Pfeife. Er war einstmals ein großer, gutgewachsener Mann gewesen. Jetzt war er vom Alter gebeugt und zusammengeschrumpft. Das Haar hing ihm in langen, schmutziggrauen Zotteln um Ohren und Nacken, und sein Untergesicht war mit borstigen, grauweißen Bartstoppeln bedeckt. Keinen Zahn hatte er mehr im Munde, weshalb die Pfeifenspitze mit einem mit Bindfaden befestigten Lappen umwunden war. Seine alten Gaumen konnten es nämlich nicht aushalten, auf dem harten Horn zu beißen. Seine Augen waren blank und aufmerksam wie die eines Vogels; und seine Nase war krumm und spitz. Aber das Sonderbarste an ihm war doch sein Hals, der aus dem Rockkragen herausragte, lang und dünn, voller Runzeln und kleiner wunderlicher Beutel und Hautlappen, wie der Hals eines Kondors oder eines Kuhnhahns. Und dann war sein linkes Bein steif und doppelt so dick wie sein rechtes.

»Nein,« sagte Mortensen und erhob sich mit Anstrengung, so daß der Korbstuhl unter seinen Bewegungen knarrte, »die Menschen heutzutage. Manuel, sind, weiß Gott, nicht das Essen wert, das sie in sich hineinpfropfen.«

»Hier ist der Tabak«, sagte Manuel, nahm eine Tüte aus der Tischschieblade und reichte sie ihm. Es war Tabak zu zwölf Öre das Viertelpfund.

»Danke, Manuel! – Wo kann ich sie auskratzen?«

»In den Ofen hinein!«

Mortensen humpelte nach dem Ofen in der Ecke. Er war auf Socken. Er hatte ein Paar ungeheuerliche graue, wollene Strümpfe an. Die Holzschuhe hatte er unten gleich an der Ladentür ausziehen müssen.

»Aber dies Individuum ist denn doch das ärgste!« setzte er das Gespräch fort, während er die Pfeife stopfte. »Er hat kein Ehrgefühl, weißt du: und wer kann auf die Dauer ohne das leben? Er führt ein ganz gottloses Leben da drüben im Krug und kommt dann knallduhn und machtlos wie ein Hering nach Hause und wirft sich in die Kissen und wacht auf wie ein Schwein und fängt wieder von vorne an.«

»Aber du meinst doch, daß er sich bis zum Dezembertermin hält, was?«

»Sich hält, sich hält! Er, er kann wahrhaftig nichts dafür. Es ist ja ein ganz unverschämtes Glück mit der Ernte dies Jahr!«

Der Alte humpelte an Emanuel heran und legte ihm eine Hand auf die Schulter.

»Er ist das Salz nicht wert, das er ißt, Manuel«, sagte er.

»Mistlöcher!« erklärte Mortensen. »Was nützt es wohl, daß die Madam arbeitet wie ein Pferd! Hexen kann sie ja nicht, wenn der Mann ihr nicht beistehen will. Und nun kommt schon wieder was Kleines. Darauf versteht er sich!«

Manuel schüttelte den Kopf:

»Ja, es gibt viel Sünde auf dieser Welt –«

»Na ja, vermehren müssen wir uns ja: Aber es soll doch in nüchternem Zustand vor sich gehen! Ahem, ahem, Krrr!«

»Du mußt in den Ofen spucken, Mortensen.«

»Ja, – ich respektiere die Vorschriften. – Pfui. Kuckuck! – Der Teufel hole meinen Husten!«

Als der Alte seine Pfeife angezündet hatte, setzte er sich in den Stuhl und streckte das kranke Bein lang von sich.

»Es ist übrigens ein verteufelt guter Tabak, den du dir hältst«, sagte er und schmauchte wohlbehaglich. »Ja-a.«

»Und du rauchst selber immer noch nicht?«

»Nein, es schmeckt mir nicht!«

»Es schmeckt dir nicht?« – Mortensen riß die Augen ganz entsetzt weit auf. »Pfui, schäm' dich! Nicht schmecken! – Hätte ich meine Pfeife nicht, könnt ich nur gleich einpacken!«

»Die Menschen sind ja verschieden!«

»Nein, das sind sie nicht.«

Es entstand eine längere Pause. Thomsen arbeitete fleißig. Und der Alte dampfte drauflos.

Dann drehte er langsam seinen sonderbaren Vogelhals nach dem Fenster herum.

»Paff, paff, puh«! sagte er, »das Becken haben sie ja nun glücklich umgestoßen!«

Manuel flog von seinem Stuhl in die Höhe.

»Was haben sie getan?« fragte er. »Das Taufbecken?«

»Ja. Sie haben so lange daran herumgerickelt und gerackelt, bis es auf der Erde gelegen hat.«

»Das ist ein heiliges Gerät!« sagte der Kleine leichenblaß vor Erregung.

»Das ist es, ja; aber das ist denen verdammt gleichgültig.«

Thomsen fing an, seitwärts auf und nieder zu laufen.

»Hätte man ihn hier! Hätte man ihn hier!«

Und seine Finger krabbelten in der Luft herum.

»Ja«, nickte der Menschen-Mortensen verständnisvoll. »Er verdient es weiß Gott nicht besser!«

»Sich an einem heiligen Gerät zu vergreifen!«

»Ja, es war ein gutes Taufbecken!«

»Und es konnte ihn doch nicht genieren, daß es da draußen im Garten stand!«

»Nein! – Paff, paff! – Aber die Kinder haben es wohl eigentlich getan!«

»Einerlei, wer es getan hat!«

»Ach ja! Und er hat sie ja auch selber erzeugt, das Schwein!«

»Wenn man doch das Gehöft gleich im Augenblick zurückkaufen könnte!« sagte Emanuel und streckte die gefalteten Hände zur Decke empor. »Wenn man es morgen am Tage kaufen könnte!«

»Ja, er verkaufte nur zu gern!«

»Wenn er auf den Einfall kommen sollte, die Gebäude niederzureißen!«

»Nein, verrückt ist er, aber wahnsinnig ist er denn doch nicht. – Kauf' es doch, Manuel, kauf' es doch!«

»Womit sollte man es wohl kaufen!«

»Die Leute sagen, daß du Geld hast!«

»Die paar Groschen!« Thomsen packte plötzlich den Alten bei der Schulter und schüttelte ihn.

»Nein, aber wenn man in der Lotterie gewinnen könnte!« sagte er.

»Spielst du?«

»Nein!« sagte der Kleine resolut und begann seine Wanderung von neuem.

»Ja, dann kannst du natürlich nicht gewinnen!«

Wieder blieb Manuel stehen. Er sah seinem Gast starr in die Augen.

»Glaubst du an Offenbarungen, Mads Mortensen?«

»An Offenbarungen?«

»Ja. Was einem so des Nachts erscheint!«

»Ist dir denn jemand erschienen?«

»Ja!«

»Das ist doch des Satans!« Der Alte nahm die Pfeife aus dem Munde. »Was hast du denn gesehen?«

»Vater!«

»Deinen Vater? Das ist doch des Satans!«

»Und er sagte mir, ich sollte das Gehöft zurückkaufen.«

»Sagte er das?«

»Ja. Wenn erst drei neue Besitzer dagewesen wären, sagte er, sollte ich den Mühlenhof wiederhaben.«

Mortensen richtete sich ein wenig in seinem Stuhl auf, reckte seinen langen Hals nach Manuel hinüber und sagte in flüsterndem Ton: »Ich hab' ihn auch gesehen!«

»Du hast ihn auch gesehen?«

»Ja! – Ich sah ihn in der Nacht, nachdem sie das Taufbecken umgestoßen hatten. Ich saß in der Mühle auf einem Sack und schlief. Da hörte ich die Tür nach draußen knarren, das hatte der Wind getan. Aber als ich mich umwende, steht er an der Treppe, ganz leibhaftig, und sieht mich mit seinen Augen an, so daß es mir eiskalt am Rücken herunterlief. – Das war, hol' mich der Teufel, das Schrecklichste, was mir in meinem ganzen Leben passiert ist.«

»Sagte er denn nichts?« fragte Manuel; und auch seine Stimme war zum Flüsterton herabgesunken.

»Nein!«

»Tat er denn nichts?«

»Nein. – Er stand nur da. Und dann war er auf einmal weg! – Ich glaubte, es sei eine Mahnung, daß ich bald davon müßte. Denn die Jahre hat man ja!«

»Nein, das war es nicht!« sagte Manuel sehr bestimmt.

»Nein, natürlich nicht, natürlich nicht, wenn du ihn auch gesehen hast!«

Der Mühlen-Mortensen war ganz feierlich geworden. Und seine Pfeife war ausgegangen.

»Du solltest den Mühlenhof haben, wenn Cornelius fort wäre?« fragte er dann, bekam aber im selben Augenblick einen Anfall. Ahem, ahem, krrr, krrr, krrr! »Der Teufel hole meinen Husten! – Krrr, Pfui Teufel. – Nee, das ist wahr, ich sollte ja in den Ofen spucken! – Du solltest den Mühlenhof haben, sagte er, wenn dieser Didrik weg wäre?«

Thomsen nickte zerstreut. Sein Gehirn war ganz erfüllt von der Frage, was es wohl zu bedeuten haben könne, daß auch Mads Mortensen eine Offenbarung gehabt hatte.

»Ach, du hast aber kein Geld, um ihm den Hof abzukaufen?« fragte der Alte weiter.

Emanuel schüttelte den Kopf.

»Nein. Aber der liebe Gott wird mir schon helfen.«

»Ja–a! Er hilft uns allen ja! – Nein, wir müssen sehen, daß wir Cornelius auf eine andere Art und Weise beseitigen.«

»Wie sollte das wohl zugehen?«

»Ach, das läßt sich schon machen! – Darf ich mir die Pfeife noch einmal stopfen?«

»Ja, gern!«

Thomsen hatte sich auf seinen Stuhl an den Tisch gesetzt und verfolgte mit den Augen die Bewegungen des Alten, der durch das Zimmer humpelte, bis an den Ofen und wieder zurück.

»Nun?« fragte er dann, als Mortensen sich gesetzt und die Pfeife angezündet hatte. Was meinst du denn?«

Mortensen zwinkerte mit seinen klugen Vogelaugen und sah äußerst nachdenklich aus.

»Ja–a – Paff, paff!« fing er an und nahm ein paar Züge aus der Pfeife, die so kurz war, daß sie ihm ganz unter der Nase saß. – »Weißt du. – eine Maschine ist ja immer eine Maschine, Manuel!«

»Ja!«

»Da sind Räder, und da sind Walzen, und da sind Krummhölzer, und da sind Zapfen? – Und das alles greift ineinander und kann schnappen wie die Finger an einer Hand und festhalten – ahem – krrr, krrr! – Wie? – Und sich rund herumdrehen und mahlen und in Stücke zerreißen und zerquetschen!«

»Du sprichst von der Mühle?«

Thomsen starrte den Alten verständnislos an und ahnte nicht, wohinaus der mit seinem Gerede wollte.

»Ich spreche von der Mühle, ja!« nickte Mortensen,

– »denn, weißt du, das ist ja auch eine Maschine.«

»Ja – ja!«

»Weiß Gott, das ist eine Maschine! – Ich kam einmal mit meinem Rock zu nahe heran, und die Zähne faßten danach, und wäre dein Vater nicht dagewesen und hatte das Rad schnell angehalten, so hätte ich nicht mehr viel Hornfische gegessen – Krrr, Pfui Teufel!«

»Ja, die Eltern waren auch immer so bange, daß man der Mühle zu nahe kommen könnte, als man noch klein war.«

»Ja, Großvater und Mutter Karen! Ja, das weiß ich noch ganz gut. – Aber was ich sagen wollte – (Mortensens Augen wurden trübe und unsicher) – Cornelius kommt ja manchmal in die Mühle, wenn er auch seine Hauptzeit im Krug zubringt –«

Manuel schauderte. Es fing an, ihm zu dämmern.

»Cornelius?«

»Ja, Cornelius! Er ist eigentlich immer besoffen, – nicht? – Wenn man ein bißchen bei ihm herumfingerierte – wie?«

»Nein, nein!« sagte Thomsen hastig. Er war leichenblaß geworden. »Mit solchen Dingen darfst du keinen Scherz treiben, Mads Mortensen!«

»Scherz! – Ich treibe, weiß Gott, keinen Scherz!«

»Ja – aber –«

»Muß er denn nicht weg, ehe du den Hof bekommst?«

»Ja – aber –«

»Nun, da siehst du! – Ach was, ob so ein Maulesel auf diese oder jene Art –«

»Nein, nein, das will ich nicht!«

»Gut, Manuel, gut! Dann lassen wir die Krauseminze wachsen! – Aber dann kriegst du den Hof auch nicht! – Darf ich mir noch eine Pfeife stopfen?«

»Ja, gern!«

Mortensen kratzte und stopfte zum dritten Male.

»Paff, Paff!« begann er dann wieder. – »Nein? Soll ich ihm nicht einen kleinen Schubs geben?«

»Nein, hab' ich dir ja gesagt! Laß den Unsinn!«

»Na ja, dann halten wir den Mund! – Aber es war eigentlich nur um deinetwillen, daß man die Arbeit auf sich nehmen wollte! – Und natürlich auch ein klein wenig um meinetwegen; denn ich hab' ja zur Familie gehört, seit ich aus einer Kumme trinken konnte.«

»Man bekommt den Hof wohl auch auf andere Weise.«

»Na ja –«

»Und wenn es dann nachher da draußen spukte?«

»Dann brächten wir ihn noch einmal um. Manuel! Dafür gibt es Mittel!«

»Nein, nein, man würde weder Tag noch Nacht Ruhe haben.«

»Na, du wirst doch nicht gleich seekrank, wenn du eine Laus totknackst?«

Thomsen steckte die Finger in die Ohren und hätte am liebsten laut aufgeschrien.

»Ich will nichts mehr davon hören!«

»Dann schweigen wir davon, dann schweigen wir davon«, nickte der Alte.

»Du sagtest ja vorhin selber, daß er sich bis zum Dezembertermin noch halten würde.«

»Ja, das hab' ich gesagt!«

»Und, kommt Zeit, kommt Rat! Man wird schon Mittel und Wege finden!«

»Ahem, ahem, krrr, krrr! – Du kannst doch, soviel ich weiß, kein Geld sch –«

»Man wird schon Mittel und Wege finden!« wiederholte Emanuel, »bis zum nächsten Juni ist es noch ein halbes Jahr hin! Was kann nicht inzwischen alles geschehen!«

»Ach ja – das Taufbecken kann verkauft werden –«

»Verkauft werden!«

»Ja, neulich war da ein Quitätshändler draußen auf dem Hof und besah sich das Taufbecken und die Steine.«

»Das lügst du!«

Manuel packte seinen Gast beim Kragen und schüttelte ihn so, daß sein Kopf vom Halse herunterbaumelte.

»Aber Manuel, Ma–nu–el!« Thomsen ließ ihn los.

»Das lügst du!« wiederholte er.

»Ja, vielleicht habe ich gelogen, ja!« sagte Mortensen und brachte seinen Hals wieder in Fasson. – »Aber du kannst dich ja selbst danach erkundigen!«

»Das Taufbecken und Großvaters Tische?«

»Ja, Cornelius muß ja was haben, womit er ›Kimi‹ studieren kann, wie er es nennt!«

»Und wer – wer wollte sie kaufen?«

»Dieser haarige Zollverwalter –«

»Knagsted?«

»Ja, heißt er so?«

»Knagsted? Was wollte er mit den Sachen?«

»Seinen Garten damit aufputzen, denk' ich mir, ebenso wie –«

»Er hat ja aber keinen Garten!«

»So? – hat er keinen? Na, dann wollte er sie wohl nach Deutschland oder nach Serbien oder so wohin verkaufen. Diese Art Menschen kommen ja in der ganzen Welt herum.«

Thomsen stürmte wieder im Zimmer auf und nieder. Sein rundes, glattes Gesicht war dunkelrot. Und von Zeit zu Zeit holte er mit dem langen Arm aus und schlug gegen die Decke und die Wände der kleinen Kammer.

Der Mühlen-Mortensen aber saß unbeirrt in seinem Korbstuhl und rauchte seine Pfeife. Nur seine blanken Augen bewegten sich. Sie folgten aufmerksam allen Bewegungen des andern.

»Nun?« fragte er endlich.

»Die Welt wimmelt von Banditen!«

»Ach ja, ach ja! – Soll ich es denn tun?«

Manuel blieb stehen:

»Wozu brauche ich es überhaupt zu wissen?«

»Nein, – ach nein. – Aber es ist solch ein Trost, zu zweien zu sein!«

»Aber wenn er nun nachher spukt?«

»Dafür weiß ich Rat!«

»Und wenn es herauskommt?«

»Ich bin auch nicht von gestern!«

»Ja, aber wenn es doch herauskommt?«

»Ahem, ahem, krrr! – Ja, dann hab' ich allein darum gewußt. – Krrr! – Pfui Kuckuck! Der Teufel hol' meinen Husten! Na?«

Thomsen atmete hastig und pfeifend. Er hatte eine Hand gegen die Brust gepreßt, als empfände er einen Schmerz. Der Schweiß lief ihm über das Gesicht.

»Nun?« wiederholte der Alte.

»Man muß des Paters Ansicht hören!« sagte Emanuel kurz.

»Hm!«

»Vater hat einem den Rat gegeben, das Geld zusammenzusparen.«

»Ja, das sagtest du ja!«

»Du hast ihn ja auch gesehen!«

»Ja, ich habe ihn gesehen! – Und ich glaubte, es wäre eine Mahnung an mich. Aber dann hat es also Cornelius gegolten.«

»Davon weiß man nichts.«

»Ach nein, er sagte es ja nicht so geradezu!«

»Ist es Gottes Wille, daß – daß – dann erhält man Bescheid.«

»Ja, dann bekommt man wohl Bescheid – na, dann warten wir also noch!«

»Ja!«

»Hm! – Paff, paff! – Aber wenn sie nun das Taufbecken und die Tische –«

»Daraus wird nichts! Dann kaufe ich sie selber!«

»Na ja, – das kannst du ja auch! – Aber es wäre doch wohl billiger, das Ganze auf einem Brett zu kaufen!«

Manuel antwortete nicht. Er stand unter dem schrägen Dachfenster, den Rücken der Stube zugewendet. Und er zeichnete mit einem Finger Zahlen und Striche auf die kleinen betauten Fensterscheiben.

Der Menschen-Mortensen schielte nach ihm hin.

»Ja, dann gehe ich, Manuel«, sagte er und erhob sich aus dem Korbstuhl.

»Na –«

»Ich habe versprochen, vor vier zu Hause zu sein. Cornelius und die Frau wollen ausgehen, und da habe ich versprochen, nach den Kindern zu sehen.«

»So –«

»Ja, dann adieu, Manuel. Auf Wiedersehen!«

Emanuel wandte sich um.

»Adieu!« sagte er zerstreut.

»Ja, dann reden wir wohl mal darüber, wenn –«

»Ja, ja!«

Mortensen näherte sich dem Tische.

»Ich kann den Tabak wohl mitnehmen?«

Thomsen erwachte plötzlich aus seinen Gedanken.

»Den Tabak – ? Ja–a. – Man hatte ja eigentlich gedacht, du sollst ihn rauchen, wenn du hierherkämst –«

»Hm, – ja! – Aber meine Pfeife kann ich mir wohl noch mal vollstopfen?«

»Ja, stopf' sie nur voll, meinetwegen!«

Und Mortensen stopfte und zündete seine Pfeife an und humpelte von dannen.



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