Josef Victor Widmann
Maikäfer-Komödie
Josef Victor Widmann

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Elfter Auftritt.

Waldessaum in offener Gegend, mit dem Blick nach dem in allen Farben leuchtenden Abendhimmel.

Im Kranz der Wipfel nimmt der königliche Hof die Mitte ein. Daselbst auch die Fürstin Artemisia mit ihrem Gefolge. Ringsum in weiten Zwischenräumen das ganze Volk der Männer und der Mädchen, zu festlichem Schwärmen sich rüstend.

Kanzler (die Honneurs machend).
Die Welt war halb nur, Fürstin, eh' Ihr kamt.
Durch Euch erst rundet sie sich zur Vollendung.

Artemisia.
Ihr sagt zu viel.

Kanzler.
                          Noch lange nicht genug.
Ich schwör' es Euch: ein Hauch des Mißvergnügens
Lag über unserm Tag, ein Reif, ein Frösteln
Auf all dem Sonnenglück des neuen Lebens.
Ihr wischtet ihn hinweg, Ihr und die Euern.
Seht nur! der Himmel selbst hißt Purpurflaggen,
Zu ehren Euch. Die goldnen Fahnenstangen
Schmückt er mit flammenden Panieren. Seht!

Artemisia.
Ihr deutet artig jene Zauberspiele
Des Horizonts. Doch wär' unartig ich,
Vergäß' ich, daß noch fehlt, der diesem Fest
Erst vollen Glanz verleiht. 115

Kanzler.
                                          Der König kommt.
Es ward nach ihm gesandt.

Artemisia.
                                              Ich hofft', inmitten
Der Seinen ihn zu finden.

Kanzler.
                                          Er umarmt
Vielleicht Frau Einsamkeit zum letzten Male,
Weil nächstens er ihr ganz den Abschied gibt.

Artemisia.
Ich hab' ein Fräulein, das in Einsamkeit
Aus grüblerischem Hang sich gern versenkt.
Sie blieb zurück. Doch jetzt beschied ich sie.
Und eben kommt die Botin, die ich sandte.
Andrakia! Allein? Wo bleibt Anthusa?

Andrakia (die herbeigeflogen ist).
Die? Wo sie bleibt? O! . . . Aber nein, das kann ich
Vor allen diesen nicht, geheim nur sagen.
    (Spricht leise mit Artemisia.)

(Die Gigerln Kleps und Reps gehen vorüber.)

Reps.
Wie finden Sie die Püppchen? 116

Kleps.
                                                Appetitlich.
Die ist ein fesches Ding, die just zur Fürstin
Kam angeschwirrt.

Reps.
                                Nur uns nicht echauffieren!
Nur immer denken, wenn sie uns neu sind,
Sind wir's nicht minder ihnen. So zwei Kerle
Wie wir! . . . Zum Teufel auch! An jedem Arm
Hab' ich zehn Mädel, wenn ich will . . .

Kleps.
                                                              Macht sechzig.

(Gehn vorüber.)

Kanzler.
Der König, hohe Fürstin!

König. (Mit Adjutant von der Kron. Beim Gewahrwerden Artemisias zu sich.)
                                        Welch ein Weib!
Ah! – härtre Prüfung noch als die bestandne!
    (zu Artemisia)
Willkommen, Fürstin! Solcher Heerschar öffnen
Sich meine Staaten willig. Ihr bekriegt uns
Mit Waffen, denen niemand widersteht.
    (mit Blick auf die Schar der Mädchen)
Welch holde Völkerwanderung! 117

Artemisia.
                                                    Ich dank' Euch,
Daß Ihr ermutigt, die nur zaghaft nahn,
Und bitt' Euch: denkt von uns nicht zu gering.
Nicht unser freier Wille führt uns her.
Legenden erbten wir, uralte, heil'ge,
Die mir und meinem Volk Besuch befahlen
In Euerm Land.

König.
                          Ich weiß. In unsern Liedern
Auch wart ihr uns verkündet und verheißen,
Wart neben Sonne, Luft und Maiengrün
Der schönste Traum der langen, dumpfen Nächte.
Wohlan! Erfüllen wir die heil'ge Satzung
Und Prophezeiung unsrer beiden Völker.
Verbunden seien sie fortan Ein Volk,
Und eines schwärmerischen Festes Wirbel
Vermische die sich suchenden Geschlechter
Zu frohen Paaren ohne Zwang und Scheu.
    (leiser)
Zu Euch vergönnt ein Wort mir insgeheim.
    (führt sie abseits)
Begehrenswerter seid als alle Wesen
Auf Erden Ihr mir, Fürstin. Euch zu sehen
Und lieben war mir eins.
    (Hält inne.) 118

Artemisia.
                                          Fahrt fort, mein König,
Damit nicht, wenn Ihr schweigt, Ihr mich verlockt,
Zu früh Euch ein Geheimnis zu verraten,
Das mich beschämt.

König.
                                Bewahrt es, edle Fürstin.
Denn wißt: nicht würdig hin ich, es zu hören.
Ihr zweifelt, staunt und möchtet güt'ge Deutung
Der krausen Rede geben. Doch Ihr werdet
Unwillig mich verdammen, wißt Ihr erst,
Daß ich, obwohl entflammt zu Euch in Liebe,
Nicht freien darf.

Artemisia.
                            Ihr . . . dürft nicht? Ihr? der König?

König.
Der König. Recht! Da liegt's. Mein Königtum
Ist mehr als äußrer Rang und Macht und Freiheit,
Zu tun, was mir beliebt. Von Gottes Gnaden
Ist's eine gleichsam himmlische Substanz,
Die sich in mich gesenkt hat, mich durchdringt,
Eins ward mit meiner Seele, so daß König
Ich bin in jedem Atemzug und alles
Nur kann als König tun, den eignen Willen
Wie eine leere Form, wie eine Hülse
Mit dem erfüllend nur, was königlich. 119
Wohlan! Den Zweifel aus der Welt zu schaffen,
Den neid'schen Bastard, der den frommen Glauben,
Den echt gebornen Bruder, um sein Erbe
Betrügen will, – den teuflischen Versucher
Zu bannen, daß er nie sich mehr hervorwagt,
Das scheint mir königlich. Doch dies vollbring' ich
In Ehelosigkeit allein; sie weist mir
Den Weg zum künftig lebenden Geschlecht,
Dem jetzt noch ungezeugten, ungebornen,
Dem ich Prophet, Messias werde sein.
Nicht um Geringeres, geliebte Fürstin,
Verzicht' ich auf das Glück, das Eure Reize
So überreich mich schmerzlich ahnen lassen.
Und nun – nur eines noch laßt mich erbitten:
Seid gleichwohl dieses Festes Königin,
An meiner Seite thronend. Und Geheimnis
Bleib' allen diesen, was ich Euch vertraut.
Ihr schweigt? Seid Ihr gekränkt? O! sprecht, ich bitt' Euch!

Artemisia (kühl).
Behüte Gott mich, so romant'schen König
Im hohen Wandel auf sublimen Pfaden
Auch durch ein einzig Wörtchen zu beirren.

König.
Nicht so! Ihr tut mir weh. Sprecht anders. 120

Artemisia.
                                                                    Wie denn?
Ich muß doch schweigen schon, den Schein zu meiden,
Als wollt' ich sprechend werben, wo Ihr weigert.

König.
Fern liegt mir solcher Argwohn. Darum gönnt
Mir unumwundenen Bescheid.

Artemisia.
                                                  Erst schwört mir,
Daß Ihr nicht Euern Vorsatz brecht, was immer
Ich sage.

König.
                Das gelob' ich.

Artemisia.
                                        Wohl. – Doch nochmals:
Es ist nur Streitlust, Lust am Disputieren,
Nichts andres, was mich reden heißt. Ich hege
Hausbackenen Verstand, der ewig feind ist
Verzückter Träumerei, und übt' ihn öfter
An einem Fräulein, das, wie Ihr, phantastisch
Sich hoch und teuer led'gem Stand gelobt . . .

König.
Ich glaub', ich traf im Walde dieses Fräulein. 121

Artemisia.
Wohl möglich. Und wenn Ihr sie wieder trefft,
So findet Ihr sie einem der Geringsten
Von Euerm Volk in brünst'gem Drang verbunden.
Dies phantasier' ich nicht; sie ward gesehn.

König (betroffen).
Ist's möglich? Und sie nahm ich als das Zeichen
Des Himmels!

Artemisia.
                      Aber dies nicht wollt' ich sagen;
Es glitt mir nebenbei nur so heraus.
Ihr wollt, versteh' ich recht, die Lebensglut
Für eine zweite, künft'ge Weltfahrt sparen
Mit neuem Volke, dem Ihr offenbart,
Daß Ihr schon einmal Himmelsbürger wart,
Wie schön die Welt sei, die Ihr selbst erfahren?
Doch seht, wie sehr dabei Euch Logik fehlt:
Was Liebe sei, das könnt Ihr nicht verkünden,
Da Liebe niemals Euren Puls beseelt,
Euch niemals ihr Geheimnis ließ ergründen.
Und weiter: Ihr wollt so den Glauben stärken?
Mir scheint, daß Ihr hiedurch den Glauben schwächt.
Der Glaube, der nicht sieht, allein ist echt;
Man stützt ihn schlecht mit greifbar festen Werken.
Und wenn wir seine Quellen erst bemerken,
Sind sie schon nicht mehr rein. – Zuletzt noch eins:
Wenn diese Welt des hellen Sonnenscheins 122
Euch gut dünkt, ein begehrenswertes Leben,
Warum es dann nicht selbst auch andern geben?
Warum Schulmeister sein und Lehrpedant
Bei einem zu erwartenden Geschlechte,
Statt, wenn man diese Welt für schön erkannt,
Sie weiter selbst zu bau'n? Der Knecht zeugt Knechte,
Der König würde zeugen seinesgleichen
Und so mit seinem königlichen Ich
In ferne, künft'ge Weltäonen reichen,
Nicht als ein Dieb, der sich hinüberschlich,
Nein, ehrlich wandelnd auf der Gottesspur,
Stark durch die höchste Wahrheit, durch – Natur.

König.
Du Himmlische! Weh mir! . . . Wie konnt' ich nur . . .
Doch Gott gibt mir durch deinen Mund Bescheid!

Artemisia.
Was soll's? Ich hoff', Ihr haltet Euern Eid.

König.
Den ich getan berückt von falschen Zeichen?
Jetzt, da du seine Torheit aufgedeckt?

Artemisia.
Doch hab' ich praktisch nichts damit bezweckt.
Laßt nun das Fest beginnen. Schon erbleichen
Des Himmels Farben. Eures Wortes harren
– Seht Euch doch um! – die vielen armen Narren, 123
Die unbedenklich Eines nur verlangen.
Dies Eine – laßt es endlich sie empfangen.

König.
Nicht, bis du den erhörst, der sich vermessen
Sinnlosen Schwurs und jetzt vergeht in Reu.
Du kannst nicht fordern, daß das Volk sich freu'
In hohem Liebesrausch und ich, vergessen,
Einsam und unberührt von all der Lust,
Mich in ohnmächt'gem Drang verzehre.

Artemisia.
Von Anfang habt Ihr's anders nicht gewußt.
Ihr suchtet Liebe nicht, Ihr suchtet Ehre.

König.
Grausame! Wie, wenn allem Volk ich wehre,
Was du versagst dem König mitleidlos?

Artemisia.
Denkt nicht von Eurer Königsmacht zu groß.
Die Lieb' ist Weltregentin; von Trabanten
Ist sie umringt, wie keine Majestät,
Hat ihre residierenden Gesandten
In jeder Brust, daß, wer in Krieg gerät
Mit ihr, von seinen eigenen Vasallen
Verraten wird, bekämpft und überfallen.

König.
Ich weiß, daß ohne Lieb' ich bin verloren.
Darum erbarme dich. Es sinkt der Tag. 124
Den letzten Glanz aus seinen goldnen Toren
Schickt uns der Himmel. Durch den Blütenhag
Geht ein verlangend zitterndes Erschauern –
Du sagtest selbst, daß dich die Aermsten dauern . . .

Artemisia (unschlüssig).
Beredten Anwalt – zweier Völker Not –
Wählt Ihr. Und wenn ich's tät' um ihretwillen . . .

König (stürmisch).
Du tust's! Du tust's! Die Hochzeitsfackel loht!
So herrsche jetzt ein einziges Gebot:
Den Durst in einem Meer von Lust zu stillen.
    (Artemisia vorführend)
Hier, Völker, eure Königin!
Wollt unsern Bund ihr würdig grüßen,
So sucht auch ihr des Lebens Hochgewinn
Zu unsres Doppelthrones Füßen.

(Der Herold gibt auf einen Wink des Königs das Zeichen zum Beginn des Festes.)

Brummorchester (zum sofort anhebenden Tanz).

(Walzer.)

        Maikäferchen
        Eins zwei drei, eins zwei drei,
        Tanzend entstehen
        Schwärmend im Mai. 125
        Prallen zusammen wir
        Stehn gleich in Flammen wir,
        Maikäferchen
        Blühen im Mai.

        Suchen und Finden
        Eins zwei drei, eins zwei drei,
        Flugs sich verbinden
        Lehrt uns der Mai.
        Und in der Panzerbrust
        Blüht uns mit ganzer Lust
        Seliges Finden,
        Blüht uns der Mai.

(Einzelne Paare schwärmen vorüber.)

Kleps. (zu Andrakia).
Darf ich mit Ihnen hängen, liebes Fräulchen?

Andrakia.
Wie hängen?

Kleps.
                    Nun, in einem Liebesknäulchen.

Andrakia.
Mein Herr! Sie haben ein sehr freies Mäulchen.

Kleps.
Und Beine, sag' ich Ihnen, wie sechs Säulchen.

(Schweben vorüber.) 126

Reps (zu Phyllis).
Ihr Name, schönes Kind?

Phyllis.
                                          Ich heiße Phyllis.

Reps.
Dann wissen Sie gewiß, was ein Idyll is'.
Ich heiße Reps.

Phyllis.
                          Auch das klingt landwirtschaftlich.

Reps.
Drum hab' ich auch sofort in Sie vergafft mich.

Phyllis.
Wie hübsch, daß beide Namen pastoral.

Reps.
Versuchen wir die Schäferei einmal.

(Schweben weiter.)

Der lyrische Dichter Sylvan (zu Myrrha).
Entzückendes Gebild aus Himmelshöhn!

Myrrha.
Bin ich gemeint? Sie sprechen wunderschön.

Sylvan.
Ein Dichter bin ich. Willst mit mir du fliegen?
Dich auf den Schwingen meines Wohllauts wiegen? 127

Myrrha.
Von Wiegen sprechen, scheint mir noch verfrüht.

Sylvan. O! du naiv' entzückendes Gemüt!

(Schweben vorüber.)

Hofprediger (zu Hans von Maikerf).
Nein, guter Freund, habt keinerlei Bedenken,
Auf diese Mädchen Euern Blick zu lenken.
Wer fromme Seelchen will, schaff' erst die Leibchen,
Darin sie wohnen. Und dazu braucht's Weibchen.
Ich werde selbst mit so was mich bebürden.

Hans von Maikerf.
Habt Dank für Euern guten Rat, Hochwürden.
Mich machte stutzig erst dies wilde Schwärmen . . .

Hofprediger.
Mein wackrer Freund, das hilft so zum Erwärmen.
Gottselig Tanzen ist niemals verloren.
Bei »Christoterpe« denkt an Terpsichoren,
Wer für dergleichen hat die feinen Ohren.

(Beide vorüber.)

Hinterstoißer (hinter einer Tänzerin her).
Du dralles Mädel, dreh dich nicht so schnell,
Warum das ew'ge Wechseln nur der Stell?
Was not tut, hat doch seinen festen Platz
An dir und mir. Wozu denn erst die Hatz?
    (Ihr nach.) 128

(Die beiden Bürger mit Tänzerinnen.)

Zweiter Bürger.
Na! was hast denn du für eine?

Erster Bürger.
Eine, die mir sehr gefällt.

Zweiter Bürger.
Und ich gäb' um meine Kleine
Billig hin die ganze Welt.

Erster Bürger.
Der »Grüngoldne« ist vergessen,
Was?!

Zweiter Bürger.
          Ja wohl. Will eben messen,
Ob mein Schatz so lang wie ich.

Erster Bürger.
Mach' am rechten Ort den Strich!

(Beide ab.)

Brummorchester.
        Bräunlich Befrackte
        Eins zwei drei, eins zwei drei,
        Bleibt doch im Takte.
        Tanzt nicht zu frei. 129
        Wenn ihr euch taktlos zeigt,
        Wird's uns vielleicht zu dick,
        Und dann kontraktlos schweigt
        Eure Musik.
            (mit frischer Kraft einsetzend)
        Maikäferchen u. s. w.

Flügel-Adjutant von der Kron.
Platz für den König und die Königin!

(Das Königspaar tanzt vorüber.)

Kanzler (zu Medizinalrat von Zangen).
Wie schön schwebt unser Herrscherpaar dahin!

von Zangen (für sich).
Gottlob, daß Majestät auch den gesunden
Weg zur Unsterblichkeit nun hat gefunden.

Kanzler.
Was murmeln Sie?

von Zangen.
                                O! . . . nur, daß unser Prediger
Dort kommt dahergetanzt, nicht mehr als Lediger.

Hofprediger (mit Lainilla).
. . . Im Fleische wandelnd, doch ein Mann des Geistes,
»Die Liebe höret nimmer auf«, so heißt es.

Lainilla.
Ein bißchen schneller bitt' ich, Galoppade! 130

Hofprediger (für sich).
Bei der ist's um die schöne Salbung schade.

Lainilla.
Wie meinen Sie?

Hofprediger (galant).
                            Sie feurige Mänade!

(Schweben weiter.)

(Eine Tänzerin – Doris – kommt, sehr aufgeregt, allein dahergeflogen.)

von der Kron.
Dort naht ein hübsches Kind und noch allein.
Mein Fräulein, dürft' ich wohl Ihr Tänzer sein?

Doris.
O! Himmel! Wissen Sie nicht, was geschehn?

von der Kron.
Was denn?

Doris.
                  Es lassen sich Dämonen sehn.

von der Kron.
Dämonen?

Doris.
                  Ja, die unser Fest verwirren.
Ein scharfer Pfiff, zugleich ein Schwirren,
Ein Schatten, der auf Riesenschwingen
Durch unsre Reihen stürmt – 131

Kanzler (sich nähernd).
                                                Von was für Dingen
Nur phantasieren Sie?

Doris.
                                    Die ich erlebt,
So daß noch jeder Nerv mir bebt.
Wo kam mein Tänzer hin? Er war verschwunden
Im Augenblicke, da der Pfiff erklang.
Nur einen Ruck hab' ich empfunden,
Als jenes Schrecknis in die Reihen drang,
Das mir den Bräut'gam von der Seite riß.
Das war der Tod! Gewiß! Gewiß!

Kanzler.
Der Tod in diesem festlichen Gewimmel?
In unserm Paradies? In unserm Himmel?
Das kann nicht sein, da müssen Sie sich irren.
Beweisen werd' ich Ihnen, daß dies Schwirren . . .
Weh mir!

(Wird von einer Schwalbe durch die Luft davongetragen.)

Doris.
Das war's! Das war's! Derselbe Ton!

von der Kron.
Bei Gott, es riß ihn weg! 132

von Zangen.
                                        O! blut'ger Hohn!
Der Tod am Fest als ungebetner Gast.

(Man hört das »Widewitt« anderer Schwalben in der nächsten Gruppe.)

Doris.
Hört dort! Ein neues Opfer ward gefaßt.

(Erregtes Volk, durcheinander schwirrend.)

Stimme aus dem Haufen.
Was kann das sein?

Andre Stimme.
                                Geharnischte Gesellen,
Die mitten sich durch unsern Reigen schnellen.

Dritte Stimme.
Ja! Ja! mit Gabelschwanz und schwarz verkappt.

Sylvan, der Dichter (herbeistürzend).
Weh! meine Myrrha ward mir weggeschnappt!

Viele Stimmen im Hintergrund.
Helft! helft dem König!

Andre Stimmen.
                                      Helft der Königin! 133

von der Kron.
Die Majestäten!

König (von vielen umringt, erscheint in tiefster Erschütterung).
                          Alles ist dahin!

von der Kron.
Die . . . Fürstin . . .?

König.
                                Schweigt! – Was ich mit ihr verlor . . .
Weh mir! ich Tor! ich hundertfält'ger Tor!
    (Versinkt in Apathie.)

von Zangen.
Wie jäh hat sich in Leid die Lust verwandelt!
Und niemand, der uns hilft und rät und handelt.
    (Bemüht sich um den König.)

(Das Abendrot ist verglommen; die Wolken im Westen haben sich geballt. Bei schnell einbrechender Dunkelheit vereinzelte Blitze und fernes Donnern.)

Stimme im Hintergrund.
Dort kommt der rote Sepp geflogen.

Der rote Sepp.
Warum denn nicht? Hoch gehn des Festes Wogen.
Das ist ein Ball mit einem richt'gen Kehraus.
Tanzt selbst der Tod mit, warum gieng' ich leer aus? 134

von der Kron.
Du bist verhaftet, Spötter!

König (auffahrend).
                                            Er ist frei!
Er einzig ahnte, was dies Leben sei.

Der rote Sepp.
Steht's so? ja! die verkappten schwarzen Ritter!
Dort wieder einer, dort und dort und hier –
    (Schwalben schießen durch die Menge und fliegen mit Beute davon.)
Fürwahr! Das Maiengrün schmeckt bitter.

Hofprediger (mit zerquetschtem Leib niedertaumelnd).
Verflucht sei Gott, die Welt und ihr! (stirbt.)

Der rote Sepp.
Der auch! – Und wie vordem im Beten,
So nun im Fluchen nicht viel klüger.
Armseliger, betrogener Betrüger! –
Doch hier braucht's Täter, nicht Propheten.
    (Es wird dunkler, das Gewitter stärker.)
Auf, König! Mut! Sei endlich Realist
Und rette, was vielleicht zu retten ist.
Es mehren sich die Toten und die Siechen.
Die Führung nimm, laß uns wo unterkriechen.

(Neues Donnern.) 135

König.
Dies dumpfe, fürchterliche Rollen!
Ein göttliches nicht hören Wollen!
Ein unser armes Stöhnen
Mit Poltern übertäubend Höhnen.
Und immer dunkler wird das Weltenhaus.
Des Himmels letzte Lichter löschten aus.

Der rote Sepp.
Die Finsternis verscheucht auch unsre Feinde,
Der gelle Schlachtruf ist verstummt,
Da sich der Wald so dunkel jetzt vermummt.
Sieh, König! Die gerettete Gemeinde
Des Volkes drängt an dich heran,
Und jeder führt das Weib, das er gewann . . .

König.
Mich führt das Weib, das ich verlor,
An der Verzweiflung Höllentor.

Der rote Sepp.
Wenn erst die Sonne wieder scheint –

König.
Wie? Willst du trösten? Du der nur verneint?
Ruf gellend mit dem Sturm doch in die Wette:
»Die Sonne liegt auf ihrem Sterbebette!«
    (Blitz.)
Sieh, sieh! noch einmal glänzt ihr Angesicht,
Noch einmal in verklärtem Licht – 136

Der rote Sepp.
Die Sonne tut, was alle Wesen tun.
Sie geht, vom Tagewerk sich auszuruhn.
Und morgen bringt sie uns zurück,
Wenn wir's erleben, ein bescheidnes Glück.

König.
Glück? Da mit ihr, die mir entrissen,
Auch jede Lebenshoffnung schwand?

Der rote Sepp.
Und auch dein königlich Gewissen?

König.
Auch das ist ohne Glaube Tand.

Der rote Sepp.
So lebe schlecht und recht und nimm ein Weib;
Bräutliche Witwen gibt es hier in Menge;
Der Gatte kam abhanden im Gedränge,
Und jungfräulich blieb mancher schöne Leib –

König.
Nur zu! nur zu! Je plumper desto besser.
Zum Schlemmer mach' mich, zum gemeinen Fresser.
Doch wenn ganz unten du im Schlamm mich hast –
Gib acht, ob nicht ein Wirbel mich erfaßt,
Der mich noch einmal trägt empor,
So stolz, so kühn wie je zuvor. 137

Der rote Sepp (betroffen).
Was ist, daß plötzlich du ein andrer scheinst?
Dich faßt wohl schon der Wirbel, den du meinst?

König.
Ja! Der Gemeinheit ist's gelungen,
Mir neue Lebenskräfte zu verleihn;
Hält Unglück mich und all mein Volk umschlungen –
Wohlan, des Unglücks Zeuge will ich sein,
Will kosten alles, was uns aufbehalten
Von jenen uns verborgenen Gewalten
An weiterm Schrecknis und Verderben,
Will, wenn ich's hindern kann, nicht sterben;
Denn auch des Unglücks Zunge will ich sein
Bei einem kommenden Geschlecht.
O! dies erstrebt' ich erst als Gottes Knecht!
Wie anders geht es in Erfüllung,
Als ich in meinem frommen Sinn gedacht!
War dies des Weltenbilds Enthüllung?
O! Maiennacht! O! Maiennacht!

Der rote Sepp (herzlicher und achtungsvoller als bisher).
Wenn Ihr nur kühler könntet bleiben
Und nicht, wie ehedem das Glück,
Das Unglück müßtet übertreiben.
Die Welt ist schlecht in manchem Stück, 138
Doch nur für die, die just ein Weh betroffen.
Wer diesen schlimmen Tanz hat überlebt
Und Beine noch und Flügel rüstig hebt,
Kann neuerdings auf manches Hübsche hoffen.
Was sag' ich: »Hoffen?« Hört Ihr dieses Schroten
Der schmausenden Gesellen rings im Laub?
Sie ehren durch ein Leichenmahl die Toten,
Vergnügt, daß sie nicht selbst des Todes Raub.
Und erst was man nicht hört! Ein sel'ges Schweigen
Hängt Liebe nicht auf hunderttausend Zweigen
Und brütet brünstig in der warmen Nacht,
Die jedes Blatt zum Pfühl der Wollust macht?
Ein Liebesfest den ganzen Wald entlang!
Seht Euch's nur an, es lohnt gewiß den Gang.

(Es beginnt leise zu regnen, allmählich stärker.)

König.
Da du mich horchen heißest, – was ist das?

Der rote Sepp.
Aus Wolken fällt es naß auf Laub und Gras.

König.
Auf uns auch, nicht auf Laub und Gras allein.

Der rote Sepp (den alten Hubeland gewahrend).
He! du Wahrsager dort, was mag das sein? 139

Der alte Hubeland.
Was maint Ihr!

Der rote Sepp.
                        Dieses rauschende Gewimmel
Auf allen Blättern, dieses Naß vom Himmel?

Der alte Hubeland.
Ah! diese Tropfen? Ja! das kann begegnen!
Das hab' ich schon erlebt. Das nennt man regnen.

(Heftig einsetzender Platzregen, vor dem sich alle zu bergen suchen; zugleich tiefe Finsternis.)

* * *

Gesang des Regens im Walde.
Wir rauschen herab, wir rauschen hernieder,
Ein hilfebereites, unendliches Heer.
Wir lieben das Grün und den duftenden Flieder;
Wir rauschen herab, wir rauschen hernieder,
Dem Walde zur Labung und Wehr.

Wir hörten sie rufen, wir hörten sie klagen,
Die Blätter des Waldes, vom Feinde bedrängt;
Still mußten sie halten dem gierigen Nagen,
Sie wollten verzagen, wir hörten sie klagen,
In klammernde Kiefer gezwängt. 140

Da eilten herab wir, die wolkengebornen,
Die Wipfel all rauschten entgegen dem Guß.
Ihr Wipfel, ihr schwarzen! wir Eidesverschwornen
Sind eueres gleichen. Von Wolkengebornen
Empfanget den rettenden Kuß.



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