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Des dritten Aktes zweiter Teil

Môle de Nivelle in Saint Jean-de-Luz. Steindamm in der Nähe des alten Hafens. Am Ende des Dammes versendet eine blau angestrichene Bogenlampe, die hin und her schwankt, ihr seltsames Licht. Im weißlichen Nebel der späten Nacht nimmt man die Silhouetten verfallener Speicherhäuser und die Masten von Fischerbarken wahr. Manchmal entschleiert sich ein Halbmond im zerreißenden Nebeldampf. Rhythmisches Anschlagen der Brandung gegen den Granit. – Jacobowsky und Szabuniewicz sitzen auf einer Landungstreppe, die tief in den Damm eingeschnitten ist und gute Gelegenheit zum Versteck bietet.

Jacobowsky Und Sie wissen wirklich nicht, Szabuniewicz, warum Sie seit einer Stunde schon hier sitzen ...

Szabuniewicz Befehl ist Befehl ... Ich denk nicht nach darüber ...

Jacobowsky Aber ich denk nach ... Man sagt mir »Vier Uhr früh, Môle de Nivelle!« Schluß! Es ist couvre-feu. Wer auf der Straße erwischt wird, na ... Und ich sträflicher Optimist falle dem Narren wieder herein und riskiere mein Leben auf Indianerpfaden hierher ... Wer mir das vor vierzehn Tagen gesagt hätte!

Szabuniewicz Warum haben Sie uns mitgenommen, der Herr, von Paris? ...

Jacobowsky Die Frage hat Hand und Fuß! Zur Erklärung unsrer unerklärlichen Eseleien bemühen wir meist die Prädestination ... Was wollen Sie mit dieser Hutschachtel und Handtasche?

Szabuniewicz Das ist unser ganzes Gepäck. Mehr haben wir nicht ...

Jacobowsky Unser?

Szabuniewicz Ich bin jetzt Eigentum von Madame ... Der Oberst hat gesagt vorgestern, weil er erniedrigt ist, gebührt ihm kein Kastellan mehr ...

Jacobowsky Und Madame hat Sie angenommen?

Szabuniewicz Mag sein ... Der Oberst hat nichts mehr als seine Geige ...

Jacobowsky Sie sind doch kein dummer Mensch, Szabuniewicz ... Haben Sie niemals Sorge, was mit Ihnen geschehen wird ...?

Szabuniewicz Das ist der Vorteil, der Herr, wenn man ein geborenes Eigentum ist ... Andre sorgen ...

Jacobowsky Was seh ich? Coco! Coco bei Ihnen ...

Szabuniewicz Ich muß ihn jetzt pflegen, obwohl mir das Hündlein die Existenz vergällt ... Schnauf nicht, fette Bestie!

Jacobowsky Coco nicht bei Madame! Das ist ein böses Omen! Und das Meer ist leer wie am dritten Schöpfungstag ...

Szabuniewicz Der Oberst hat von einem kleinen Motorboot gesprochen, das heimlich bei San Sebastian landen könnte ...

Jacobowsky Der Genieblitz eines Reiterhirns! Schon bei der Landung fängt der nächste spanische Gendarm Stjerbinsky ab, und Franco überstellt ihn gratis und franco den Nazis an der Grenze ...

Szabuniewicz Also dann wird vielleicht nach England geschwommen oder Amerika ...

Jacobowsky Ich kann nicht schwimmen ... In meiner Familie wurde leider das körperliche Training zugunsten einer völlig nutzlosen Intelligenz mißachtet ... Er schließt müde die Augen.

Stille und Brandung. – Marianne und Oberst Stjerbinsky kommen in flüsterndem Gespräch.

Oberst Stjerbinsky leidenschaftlich Dieses ›Ja‹ haben Sie mir noch immer nicht gesagt ...

Marianne Ich habe Ihnen hundert ›Ja‹ gesagt ...

Oberst Stjerbinsky Hundert aber nicht dieses!

Marianne Vor solch einem gefährlichen Abenteuer soll man praktisch sein und nicht feierlich ... Haben Sie meinen Mantel nicht liegen lassen, chérie, und die Handschuhe ... Nein! Sie sind wirklich sehr verändert ...

Oberst Stjerbinsky Ich bin sehr ungeduldig in meiner Liebe. Wissen Sie, daß jeder Schiffskapitän das Recht hat, ein Paar zu trauen? ...

Marianne Das weiß ich nur aus dummen Filmen. Für einen guten Katholiken ist die Ehe ein heiliges Sakrament ...

Oberst Stjerbinsky Das ist wahr. Aber was soll ich tun? Ich bin monogam geworden wie ein Wellensittich. Früher haben mich die Frauen belästigt mit ihrem Immer und Ewig! Jetzt quäle ich Sie: Marianne, Immer und Ewig! Ja? ... Ich bin doch ein ganz neuer Stjerbinsky ...

Marianne Woran erkenn ich den, mein Liebling?

Oberst Stjerbinsky Daß er glüht, Ihnen zu beweisen seine Liebe durch Opfer und durch was weiß ich ... Ruft halblaut He, Szabuniewicz, wo bist du?

Szabuniewicz Hier!

Oberst Stjerbinsky Ist Jacobowsky gekommen?

Jacobowsky ohne sich zu rühren Wartet! Wartet auf die dritte Möglichkeit, die es nicht gibt ...

Oberst Stjerbinsky Wo ist er? Woher kommt diese Stimme eines Ertrunkenen? ... Hängt Marianne den Mantel um Knöpfen Sie Ihren Mantel zu, Geliebte. Die Nacht wird immer kälter ... Vier blecherne Schläge einer Kirchenuhr Es ist vier!

Würfelspieler unversehens aus dem Nebel tauchend Die Uhr geht falsch ... Es ist erst drei Uhr sechsundfünfzig westeuropäischer Zeit ...

Oberst Stjerbinsky Diese Genauigkeit spricht sehr für eine günstige Zukunft der britischen Flotte.

Würfelspieler Danke ergebenst für diese wohlwollenden Auspizien! Sie hingegen scheinen es mit Zahlen und Ziffern nicht so genau zu nehmen, Oberst Stjerbinsky! Ich habe mich mit zwei Menschen verabredet und nicht mit vier! Hatten Sie nicht den Auftrag, den Mund zu halten?

Marianne Der Oberst hat das Geheimnis streng bewahrt, Monsieur!

Würfelspieler Wissen Sie, daß in diesem Augenblick die Gestapo vermutlich mein Hotelzimmer aufbricht?! Wir laufen ein Rennen mit dem Blitz! Und Sie haben den reizenden Einfall, sich eine Abschiedsgesellschaft auf den Pier einzuladen ...

Oberst Stjerbinsky Szabuniewicz vorschiebend Dies hier, Sir, ist Szabuniewicz, der Pole! Mein Vertrauensmann! Er ist völlig ›en règle‹, er lebt seit Jahren in Frankreich, er ist ungefährdet. Er wird hierbleiben. Im Namen Polens ernenne ich ihn zum Horchposten der Freiheit! Als geprüfter Irrenwärter hat er nämlich Zutritt zu den ersten politischen Kreisen ...

Würfelspieler Mich interessiert der Polizeibericht über Ihre Vertrauensmänner nicht besonders ...

Oberst Stjerbinsky Ich bin noch nicht fertig, Sir! Wir reisen nämlich nicht zu zweit, sondern zu dritt! Dies hier ist ein gewisser Herr Jacobowsky. Er begleitet uns nach England ...

Würfelspieler Meine herzlichen Glückwünsche! Darf ich mir erlauben, mit einiger Spannung zu fragen, auf welchem Schiff der gewisse Herr Jacobowsky Sie nach England begleitet?

Oberst Stjerbinsky Auf dem Ihrigen, Commander Wright!

Würfelspieler Welch eine liebe Überraschung für mich! Ich sehe mit Erheiterung, daß ich zum Agenten der Firma Cook avanciert bin und meinen Kopf riskiere, um eine charmante Vergnügungsreise zu veranstalten ...

Marianne Es ist doch nur eines wichtig, daß ein wertvoller Mensch mehr gerettet wird, Monsieur ...

Würfelspieler Nehmen Sie gefälligst zur Kenntnis, was wichtig ist! Wir retten aus dem Zusammenbruch englische Untertanen und alliierte Offiziere und niemand sonst. Nur bei den diversen Damen der Herren drücken wir möglichst ein Auge zu. Wir tun das nicht aus Menschlichkeit, sondern aus kalter Überlegung, denn in diesem Kriege, zu dem wir so wenig gerüstet sind, ist jeder erprobte Berufsoffizier von höchster Notwendigkeit. Wir können auch sehr grausam sein, wenn es sein muß. Bei einer der letzten Einschiffungen haben wir weinende Mütter und Kinder von Bord gejagt ... Ihnen, Colonel, stehen zwei Plätze zur Verfügung!

Oberst Stjerbinsky Was bedeuten Plätze auf einem Schiff?

Würfelspieler Man hat Sie mir so genau beschrieben, Herr, wie Sie zu sein scheinen ...

Oberst Stjerbinsky Dann wissen Sie auch, was am Brückenkopf von Péronne geschehen ist! Von der Schlacht um Frankreich geriet ich in die Flucht von Frankreich. Ich habe nichts Schlimmeres erlebt als diese zivilistische Flucht. Denn sie entehrt unsre Seele! Herr Jacobowsky hier hat während dieser Flucht niemals versagt. Er hat mir sogar durch seine findige Geistesart das Leben gerettet. Urteilen Sie selbst, Sir! Darf ein Soldat von ritterlicher Tradition darüber hinweggehn?!

Würfelspieler Das Problem verstehe ich. Es ist aber nicht meines!

Oberst Stjerbinsky Das Problem verstehn Sie nicht. Ich betrachte Herrn Jacobowsky genau wie einen Kameraden, der neben mir im Kampf stand an der Somme ...

Würfelspieler Auch das versteh ich. Es ändert aber nicht das geringste ...

Oberst Stjerbinsky Sie verstehn noch immer nicht, Commander Wright ...

Jacobowsky zwischen beide tretend Jetzt aber fallen Sie aus der Rolle, Colonel! Wir sind Gegensätze! Nicht wahr? Und Gegensätze müssen sich aufheben! Nicht wahr?! Ich habe manches von Ihnen gelernt. Ich liebe das Leben noch immer, doch ich hänge nicht mehr daran ... Dank also für Ihre erstaunliche Intervention. Aber ich möchte jetzt gehn ...

Würfelspieler auf seine Armbanduhr blickend Sie täten gut daran! Wer weiß, wer schneller ist, die Nazis oder mein Boot ...

Jacobowsky Wir haben schon einmal Abschied genommen, Madame, bei Donner und Blitz. Ersparen Sie mir den zweiten! In mir ist eine Ruhe, eine tiefe Ruhe, die Sie nicht begreifen könnten! Ich pirsche mich jetzt in mein Quartier. Vielleicht hab ich noch ein paar Tage Schonzeit. Es gibt drei Kinos hier, dort ist man gut verborgen. Dort kann ich darüber nachdenken, welch ein Haupttreffer es heute ist, allein zu stehn in der Welt ... Adieu! Wendet sich zum Gehn.

Marianne hält ihn fest Nein, Jacobowsky! Sie bleiben!

Jacobowsky sich losreißend Lassen Sie mich fort!

Marianne Ich lasse Sie nicht fort! Der Würfelspieler geht ans Ende des Damms und gibt mit seiner abgeblendeten Taschenlampe zwei kurze Lichtsignale Tadeusz Boleslav! Sie fordern Antwort auf Ihre Frage. Hier ist sie: Ja! Ich bin Ihre Frau und werde es sein, immer und ewig, denn ich habe meine Liebe geprüft ...

Oberst Stjerbinsky Dieses Ja ist so groß für meine Seele, daß ich erbebe ... Auf den Würfelspieler zeigend Kann er uns gleich trauen?

Marianne Nein ...

Oberst Stjerbinsky Dann ist unser erster Weg in England ...

Marianne Nicht in England, mein Geliebter, sondern in Frankreich! Wenn Sie zurückkehren als Befreier mit den Befreiern, dann wird unser erster Weg in die Kirche sein ... Ich habe meine Liebe geprüft. Jetzt prüfe ich die Ihre. Hab ich mir nicht das Recht dazu erworben von Saint Cyrill nach Saint Jean-de-Luz? Oberst Stjerbinsky senkt schweigend den Kopf Hier stehe ich am äußersten Ende Frankreichs und kann mich nicht losreißen. In meinem Rücken spür ich das schreckliche Schweigen der Zertretenen. Ich habe das Leiden zu Hause. Ich kann das Leiden nicht verlassen jetzt.

Oberst Stjerbinsky Sie opfern sich auf für Frankreich ...

Marianne Nein, Tadeusz, ich will nur Größeres von Ihnen und von mir! Ich kann nicht mit dem Mann gehn. Der Mann muß kommen um mich! ... Sie werden in wenigen Tagen an der Front sein irgendwo. Soll ich in der Fremde in einem Hotelzimmer sitzen vor Ihrem Bild und nichts tun? Ich will etwas tun, Tadeusz ... Sie werden für meine Sehnsucht der Preis dieses Kampfs sein. Und ich werde nicht für Sie das Weib sein, das täglich mehr zur Last wird im Exil ... Oberst Stjerbinsky schweigt Vor diesen Zeugen gebe ich Ihnen meinen Ring ... Tragen Sie ihn am kleinen Finger ... Nun? Wollen Sie mir nicht Ihren Ring geben? ... Oberst Stjerbinsky zieht langsam seinen Ring vom Finger und gibt ihn Marianne Ich werde ihn am Mittelfinger tragen bis zum Tod ... Und jetzt sagen Sie, daß Sie an mich glauben Tadeusz ...

Oberst Stjerbinsky zieht nach einem langen Schweigen Marianne an sich Meine schwermütige Seele hat das Opfer gebracht. Ich glaube an Sie ...

Würfelspieler schüttelt den Kopf Ein Treuschwur für die Ewigkeit ... Und wir können ausgehoben werden in der nächsten Minute ...

Jacobowsky mit trauriger Stimme Der Irrende Ritter soll den Drachen töten und die Prinzessin befreien ... Haben Sie mich aufgehalten, Marianne, damit ich wieder einmal Zeuge bin eines Grimmschen Märchens?

Marianne zum Würfelspieler Wie Sie sehen, Sir, der zweite Platz ist leer ...

Würfelspieler Er wird leer bleiben ...

Oberst Stjerbinsky Als Pole erblicke ich in dem Wunsch meiner Herrin einen strikten Befehl. Ich habe den Befehl, den Mann nach England zu bringen ...

Würfelspieler Bedauerlicherweise habe ich keinen solchen Befehl ...

Oberst Stjerbinsky verkniffen Wo bleibt Ihr Boot, Sir?

Würfelspieler Schwerer Seegang heute!

Oberst Stjerbinsky leise, heiser Um so besser! Da kann niemand schwimmen! Und Ihren Leuten sagen wir, daß die Gestapo Sie erwischt hat ... Springt ihm jäh an die Gurgel

Marianne Tadeusz ...

Szabuniewicz wirft sich dazwischen, keucht Mein Wohltäter! Fangen Sie nicht wieder an ...

Würfelspieler der elegant ausgewichen ist Sie können Ihrem Horchposten der Freiheit dankbar sein ... Hält ihm einen Schlagring unter die Nase Wenn ich mit den alliierten Nationen zu tun habe, pflege ich mich vorzusehen ...

Marianne lauschend Was ist das? ... Jesus Maria ...

Man hört in demselben Augenblick die preußische Pfeif- und Trommelmusik einer marschierenden Abteilung sich nähern.

Würfelspieler scharf flüsternd Fort vom Licht! ... Auseinander! ... Niederducken! Alle verschwinden auf den Landungsstufen, bis auf Jacobowsky Wenn die Boches zu dieser Stunde mit Musik marschieren, dann hat es den Tod zu bedeuten, dann schüchtern sie die Franzosen in ihren Betten ein, dann schwärmt die Gestapo aus ... Sie suchen mich ...

Oberst Stjerbinsky Wenn sie kommen, die Mappe ins Wasser, Szabuniewicz!

Musik und Marschtritt im Nebligunsichtbaren näher und näher. Jetzt sind sie auf der parallelen Hafenstraße. Das alte Pflaster knallt von den Soldatenstiefeln. Jeden Augenblick meint man, das tödliche Haltkommando vernehmen zu müssen. Und jetzt erschallt es wirklich: »Halt!« Und dann: »Lautsprecher vor!«

Lautsprecher mit schnarrender Stimme In der Umgebung von Saint Jean-de-Luz ist ein niederträchtiger Sabotageakt verübt worden. Da dieses Verbrechen erwiesenermaßen von Juden und Kommunisten ausgeht, haben sich alle ausländischen Nichtarier des Départements unverzüglich im Hofe der Kommandantur zu versammeln. Zuwiderhandelnde werden aufgegriffen und ohne Verhör erschossen.

Wiederum ein kurzes Kommando, Musik und Marschtritt. Die Truppe stampft weiter, entfernt sich, verhallt. Nur die spitzen Pfeifen und scharfen Trommeln werden als Echo vom alten Gemäuer noch lange zurückgeworfen. – Marianne und Würfelspieler tauchen als erste auf.

Jacobowsky mit äußerster Ruhe Sie suchen mich ...

Marianne dicht vor dem Würfelspieler Sie haben es gehört, Monsieur. Dieser Mann Jacobowsky hat keinen andern Platz mehr auf der Welt als den schmalen Damm hier, und den nur solange bis die Sonne aufgeht. Zehn Schritte vorwärts: das Meer! Zehn Schritte zurück: der Tod, und was für einer! Die Nazis haben ihm Ausrottung geschworen, und die halten ihren Schwur ... Warum kämpft England um Gerechtigkeit, wenn es das erste und älteste Opfer dem Drachen hinwirft?

Würfelspieler England kämpft um sein Leben. Frankreich hat das leider versäumt!

Marianne Frankreich wird solange leben, Monsieur, als es ein Herz hat, das schlägt.

Oberst Stjerbinsky die Mappe in der Hand Sie sind eisern, Wright, und ich bin eisern! Aber es kommt nicht darauf an, daß ich lebe. Meine Profession ist ja: Sterben! Es kommt nur darauf an, daß diese Dokumente sicher nach London gelangen. Übergeben Sie die Mappe also dem General Sikorsky persönlich und sagen Sie ihm, Tadeusz Boleslav Stjerbinsky ist geblieben in Frankreich ... Kommen Sie, Jacobowsky! Ich bringe Sie in die Stadt!

Jacobowsky faßt Stjerbinskys Hand Mein Freund und Gegensatz! Ich weiß, daß Sie es ernst meinen. All Ihre bunten Gedankensprünge meinen Sie immer ernst. Sie sind zwar ein recht unmoderner Offizier, aber wir brauchen Ihre Tapferkeit für unsre Sache, wir brauchen sie verzweifelt. Deshalb gehe ich nicht mit Ihnen in die Stadt ... Nicht wahr, das ist eine kleine Beruhigung für Sie, Mr. Wright! Haben Sie etwas gesagt?

Würfelspieler Nein!

Jacobowsky das Echo der Marschmusik etwas lauter Ja, Marianne, die Jacobowskys sollen ausgerottet werden unter dem offenen oder versteckten Beifall der Welt! Sie werden nicht ausgerottet werden, wenn auch Millionen sterben. Gott straft uns. Er wird wissen, warum. Er straft uns durch Unwürdige, die uns stärken, indem sie uns schwächen. Und dann vernichtet er sie voll Ekel immer wieder ... Wissen Sie, daß der Ewige Jude und der Heilige Franziskus auf dem Wege nach Amerika sind? Ich aber ... Kommen Sie näher zu mir, Tadeusz und Madame ... Beide treten ganz nahe zu ihm Zwischen einem Leben, das schlimmer ist als Tod, und einem Tod, der schlimmer ist als dieses Leben, flieg ich davon durch das kleine Loch, das Gott uns immer offen läßt ... Er hebt zwei Fläschchen mit Pillen hoch Was ist das?

Marianne Jacobowsky, geben Sie mirs!

Jacobowsky sehr laut Eine Elfengabe! Zwei Fläschchen! In dem einen ist Heilung! In dem andern Vernichtung! Das eine werde ich ins Meer werfen, das andre zu mir nehmen!

Der Würfelspieler läßt seine Taschenlampe lange aufleuchten.

Marianne Jacobowsky, solange ich ...

Jacobowsky Gerade um diese Gunst wollte ich Sie bitten, Marianne ... Bleiben Sie bei mir solange, bis es gewirkt hat!

Würfelspieler Cheerio, Jim! Righto, Bill! Es ist mir nicht unangenehm, daß ihr endlich kommt! Das Boot ist da. Zwei salutierende Ruder werden sichtbar ... Würfelspieler scharf zu Jacobowsky Welches von diesen Fläschchen werden Sie ins Meer werfen, Mister Jacobowsky?

Jacobowsky sieht den Würfelspieler mit einem raschen durchforschenden Blick an Dieses! Er schleudert eins der Fläschchen mit entschlossenem Schwung ins Wasser.

Würfelspieler Und was war drin?

Jacobowsky Das Gift!

Würfelspieler Sie haben gewonnen! Steigen Sie ein!

Jacobowsky Wer? Ich?

Würfelspieler Ja, Sie! Nicht die Argumente Ihrer Freunde haben mich überzeugt. Sie selbst haben mich überzeugt! Ihre Entschlußkraft und Ihr Lebensmut, Sie Ulysses! Und Sie wissen, was der andre denkt, noch ehe er's selbst weiß ... England kann Sie verwenden.

Jacobowsky bedeckt die Augen mit den Händen Das ist zu viel für einen nervösen Menschen ... Faßt sich schnell, zeigt das andre Fläschchen Also darum hab ich gestern diese Pillen gegen Seekrankheit einem Réfugié abgekauft, damit er eine Kleinigkeit verdient ...

Oberst Stjerbinsky hohnlachend wie früher Echt Jacobowsky! Wieso wußten Sie ...

Jacobowsky bescheiden Inspiration ist alles.

Szabuniewicz meckernd Ein Optimist ...

Oberst Stjerbinsky schlägt Jacobowsky auf die Schulter Freuen Sie sich nicht zu sehr, Jacobowsky ... Unser Duell ist nur aufgeschoben ...

Jacobowsky Unser Duell ist ewig, Stjerbinsky ...

Würfelspieler Jede Minute ist wichtig jetzt ... Es wird schon grau ...

Oberst Stjerbinsky Marianne in seinen Armen Marianne, meine Frau! Ich hab gebracht den Beweis meiner Liebe! Jetzt geben Sie mir ein Wort, das mich noch stärker macht!

Marianne Ich werde warten, Tadeusz, ich werde noch einmal warten, wie keine Frau je gewartet hat. Und ich werde nicht ruhen, und werde arbeiten und einen großen Empfang vorbereiten durch das ganze Land. Und wenn eines Morgens, wie jetzt, die Divisionen an allen Küsten landen und vorwärtsstürmen gegen Paris, dann werd ich aufschreien: Er ist darunter, Er ist gekommen für mich. Der Sieger! Mein Mann! ... Ich, ich glaube an Sie!

Würfelspieler reißt Stjerbinsky von Marianne weg Wollen Sie gütigst die große Oper abbrechen. Vielleicht lauscht schon die Gestapo mit Vergnügen ... Vorwärts, und ohne Abschied! Er drängt Stjerbinsky und Jacobowsky zum unsichtbaren Boot hinab.

Szabuniewicz Mein Vater und Wohltäter ... Er zieht seine Mundharmonika hervor und beginnt sehr schwach eine polnische Weise zu quäken.

Marianne ist auf die Spitze der Mole getreten. Sie steht schattenhaft da mit flatterndem Haar und Mantel im wachsenden Morgenlicht.

Marianne flüstert Komm wieder ... Komm bald ... Ich werde warten ... Ich werde arbeiten für den Tag des Empfangs ... Mit einem plötzlichen Tränenlächeln der Erinnerung Und neugierig sein, so neugierig ...

Oberst Stjerbinskys Stimme Ich komme wieder ...

Jacobowskys Stimme Madame la France ... Adieu et au revoir.

Szabuniewicz wechselt unbeholfen und ziemlich falsch aus dem polnischen Lied in die Marseillaise.

Marianne regungslos, den Blick in die Ferne Um Himmels willen, leise, Szabuniewicz, nur leise ...

 

Ende der Komödie


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