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Der Garten

Unser kleiner Garten liegt hoch oben am Berg, über der Kirche! Die Sonne sieht ihm frühmorgens in die Augen, und der blaue See lacht ihn an! Auf dem alten Apfelbaum sitzt eine blinzelnde, gelbe Katze, und auf dem magern Kirschbaum zwitschert ein Fink. Er singt dem Garten zuliebe, als Dank für den Schutz, den er ihm gewährt, denn ringsherum schießt und fängt man die Vögel, und der arme Kirschbaum hat es zu büßen, kann sich der Raupen nicht entledigen und ist zerfressen und rotgesprenkelt, daß er einem in der Seele weh tut. Er wächst unter der ersten Terrasse und guckt, neugierig, wie Kirschbäume nun eben sind, über die Mauer, und beschattet unsere Pflänzlein mehr als ihnen lieb ist. Nur der Oleander steht in der Sonne und leuchtet. Seine rosafarbenen Blüten gleichen jungen tanzenden Mädchen, so hell und farbig sind sie.

Als wir im Mai das kleine Eiland zu bebauen anfingen, fehlte uns eigentlich alles: gute Erde, der Wohltäter (der liebe Mist), Stecklinge, alles! Für das Säen war die Zeit vorbei, und verpflanzen, wenn man nichts hat, ist schwer. Und doch, wie schön war der Garten! Die Laube überrankt von Glyzinien und gelben Röschen, später von Geißblatt und Jasmin.

Es wurde einem seltsam zumute da oben in dem Garten, der über Dorf und Kirchplatz hinwegsah. Man schlich sich hinauf, um allein zu sein, und um das selige, andächtige Gefühl in sich aufzunehmen, das einen überkam, wenn man von der Stille und dem warmen Atem der Natur empfangen wird. Man lag unter der rosenbesäten Laube und wollte nichts. Der kleine Garten wurde ein Wallfahrtsort. Gedanken, die man von unten mitgebracht, schmolzen. Man wurde gut und konnte nichts dafür. Es gibt Orte, wo man böse wird und auch nichts dafür kann.

Wir trugen alles, was wir fanden, in unser Gärtlein! Es war jedesmal eine Freude und ein Jubel, wenn eines etwas entdeckt, das zur Schönheit unserer hängenden Gärten beitragen konnte. Zu kaufen war nichts, wie auf Robinsons Insel. Wir rupften Unkraut, schleppten Steine fort, und mit jedem welken, unnützen Kräutlein und jedem Stein, der an den Ort der Verdammnis getragen wurde, wuchs unsere Liebe zu unserm Paradiesgärtlein. Ach ja, das ist das rechte Wort. Wie die Kinder mußte man da herumgehen. Ein Paradiesgarten darf nicht groß sein, Übermut hat keinen Platz darin und Habsucht auch nicht. Und am wenigsten darf Hochmut sich breitmachen. Ganz klein muß das Gärtlein sein und eine lange, lange Treppe, zertreten und voll Gräslein, muß zwischen dem Rebgelände hinaufführen. Ein schmale Türe muß da sein, und ein kleines Willkommensglöcklein muß läuten! Kein Schloß an der Türe, nur ein Riegel, denn wer hinauf zum Paradiese steigt, der soll eingelassen werden.

Ein kleines Gartenhaus aus Stein ist ja eigentlich schon zuviel, gehört eigentlich nicht hinein. Aber wenn man so gerne einmal da oben schlafen möchte? Wenn einem die nahen Kirchenglocken in den Traum hinein läuten sollen? Wer da oben, so nahe dem Himmel, vertraulich mit dem lieben Gott reden möchte?

Es ist so still, so ganz still im Gärtlein. Die eigenen Gedanken hört man kommen und gehen, und man muß scharf aufpassen, daß sie die Harmonie nicht stören. Vor der kirschrot gestrichenen Türe, zwischen der Gartenmauer und dem Zaun des Rebberges steht ein kleines, schmales, hölzernes Bänklein. Da kann man, ehe das Glöcklein »herein!« ruft, sich einen Augenblick besinnen, ob man bereit ist. Ob das Herz voll Freude sei, und besonders voll Dank. Es braucht nur ein paar Herzschläge dazu.

Die erste Blume, die zu blühen anfing, war eine altmodische Kornrade von feurigem Purpurrot. Zugleich drängte sich aus der steinernen Treppe, die zur zweiten Terrasse führte, ein Löwenmäulchen durch die Fugen. Lange und fröhlich lobte es seinen Schöpfer durch sein Dasein. Die hängenden Rosen sandten verblühend ihre fallenden Blätter über den Garten, und in einer vergessenen Ecke stand Petersilie. Wirkliche, echte Suppenpetersilie. Das war eine herrliche Entdeckung, und stolz trugen wir das krause Sträußlein nach Hause. So ein Strauß verbindet die Welt mit dem Paradies. Er sagt: Alles ist wertvoll, nicht das Schöne allein. Er sagt: Tu' du nur nicht so! Du issest auch gern eine gute Suppe. Er sagt: Sieh, du besorgst mich nicht, und pflegst mich nicht, und ich bin doch da.

In einer andern Ecke, unten an der Gartenmauer wächst Salbei. Wir wußten nicht recht, wozu Salbei dienen kann. Aber unsere Großmütter wußten es einstmals, und irgendwo in einem alten Kochbuch ist sicherlich ein Rezept zu finden, das ihm zu seinem Recht verhilft. Und wiederum an einem Mäuerlein, im Sand, steht ein kleiner Myrtenbusch. Dies Sträuchlein rührte uns! Auch so ein altmodisches Großmutterpflänzlein mit einem Heiligenschein! Was wissen wir noch von der Myrte? Aber wir haben einen letzten Rest von unserm geschenkten Geißmist zusammengeholt und ihn liebevoll um den dünnen Stamm herum eingegraben zum Andenken an unserer schönen Großmutter Brautgang. Von irgendwoher haben wir einen Bündel Sommerflor geschickt bekommen. Mein Gott, wie freuten wir uns über die »Stinkenden Höffertchen«, die trotz der langen Eisenbahnfahrt sich tapfer hielten und nach dem Einpflanzen wie Soldätchen in Reih und Glied standen und dem Garten außerordentlich wohl anstanden. Zartheit ist eine schöne Sache und paßt in das Paradies, aber aufrecht stehende, Unwetter, Sonne und schlechter Erde trotzende kleine Stäudelein sind doch auch schön; solange der Garten noch auf Hoffnung und Erwartung eingestellt ist, sehr schön.

Alles ist schön. Wir kennen nun jedes Pflänzlein, wissen beinahe die Stunde seines Erblühens und wundern uns, warum die eine Cinia groß und feurig ist und die andere schwächlich aussieht, mit unsaubern, unbestimmten Farben, und die dritte hoch über allen steht, ein Wunder an Vollendung, eine Sonne unter den Cinien. Wozu fragen, solange die Kinder eines Stammes so verschieden sind voneinander, aufwachsen wie die Cinien, solange das Genie neben dem Bureaukraten, die Dirne neben der Prüden unter der Hand einer Mutter sich zu ihrer Bestimmung entwickeln. Und wiederum: Welcher Unterschied ist zwischen ihnen allen, von der Ewigkeit aus gesehen? Aus dem Grab gesehen? Sollten da nicht andere Werte mitreden? Ist es nicht die Sehnsucht, die da entscheidend mitspricht?

Ein Schrei nach dem Besserwerden, ein Wunsch, der die Seele bewegt, ein Weinen, das dem eigenen Schatten gilt, sind nicht sie es, nach denen Menschen bemessen und geprüft werden sollten? Jeder solche Gedanke, jeder Wunsch und jedes Weinen führt ins Paradies der Seele, wenn auch nur auf Augenblicke. »Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein,« sagte der mildeste, der verstehendste Mensch, der nur die Heuchelei verdammte. Er wußte, daß, wenn der Wunsch nach dem Guten ohne Frucht wiederkehrt, er zur Heuchelei wird, zur Maske, daß er Selbsterkenntnis und Wahrheit tötet.

Die Blumen sind so wahr und bescheiden. Sie sind wie die Kinder. Sie geben, was sie haben, blühen, so gut sie können, sitzen auf ihren Stengelein wie bunte Freuden und kümmern sich nicht darum, ob sie groß oder klein, selten oder gewöhnlich sind. Und darum steht jedes Pflänzchen am rechten Platz. Aber nirgends so wie in einem kleinen Garten, wie dem unsern. Das will etwas sagen, wenn eine Dahlie aufgeht! Woher sie gekommen, wußten wir nicht. Sie war da. Wir waren sehr neugierig zu erfahren, welche Größe sie haben werde, welche Form, welche Tiefe der Farbe. Heute, als wir unsere Himmelsleiter hinangestiegen waren und das Gebetsglöcklein geläutet hatte, welch ein Schrei des Entzückens: Die Dahlie strahlte wie ein blutroter Stern. Minutenlang beschauten wir sie, und sind doch sonst in einem Garten herumgegangen, in dem fünfzig Dahlien an einem Stock blühten. Und nun diese eine. Geradezu dankbar waren wir ihr und liebten sie.

Jeden Morgen kommen wir, um den Garten zu grüßen, sitzen in der Laube, die jetzt zum zweitenmal mit Glyzinien überhängt ist, die ihren Duft hinauf zum Jasmin senden. Klein und zart sitzt er auf den feinen Stengelchen und verschwendet seinen Wohlgeruch weit über den Garten hinaus. Er steht eine Terrasse höher als die Dahlie und als das Häuschen und die Glyzinienlaube. Ach, die Nelken! Sie sind niedergetreten worden. Sicherlich von der gelben Katze, die auf dem Apfelbaum schläft. Nun liegen die lebenslustigen, anpassungsfähigen Federspiele auf der Erde, der grüne, zarte Kelch ist gespalten, und die rosa Blättlein mit den silbernen Enden hängen traurig aus dem schützenden Muttergehäuse. Wie doch alles sich wiederholt, wie doch alles sich ähnlich sieht, alle Freude, alles Leid, alle Vernichtung, alle Sehnsucht. Die Knospe, das jauchzende Blühen, das wuchtige, reiche Früchtetragen, das Welken, der Tod. Nelke, Tier, Mensch – allen ist Leben süß, Sterben bitter. Nein. Dem Menschen wurde mehr gegeben als den Stummen. Ihm ist gegeben, im Welken reich zu werden, er darf sammeln, um reich zu sein, wenn das Alter ihn arm macht, Tod kann ihm neues Leben sein, brechende Form kann Geist werden, Sehen Besitz. An ihm liegt es, sich Schätze zu sammeln.

Oleanderblüten fallen, Kosmeen brechen auf, lebensschwache Äpfelchen rollen hinunter in das Gras, und im Nachbarfeld zirpen die Insekten. Über dem See zieht es sich zusammen. Hinter dem Monte Generoso steht ein Gewitter, und es ist totenstill. Aber im Paradiesgärtlein fürchtet sich niemand. Die ersten Tropfen fallen, ich muß flüchten aus der Glyzinienlaube. Wann duftet sie mir wieder?


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