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Wie mit uns allen, so erlaubte sich das Schicksal auch mit Famulus einige Missgriffe. Der erste war, wie schon erwähnt, sein Name. Der zweite bestand darin, ihn, der seinem ganzen Wesen, allen seinen Bedürfnissen nach Städter und bestimmt war, sich unter anderen hervorzutun, zu glänzen, zum Leben auf dem Lande und zur Einsamkeit zu verurteilen. Schon sein Aeusseres, sein krauses, gesträhntes Kleid, diese, das Wort Luxus eigentlich verkörpernde Zierde, nur für blanke Wege geschaffen, wie stimmte es zu Dorfmorast, Strassenkot, verwachsenem, dornigem Gestrüpp und Waldesdickicht? Man wird vielleicht einwenden, dass das Landleben dem ähnlich gewandeten Schaf wohl bekomme. Doch darauf würde die Frau erwidern, die Beiden seien überhaupt nicht in einem Atem zu nennen, es lasse sich doch auch kein Mensch einfallen, ein Meteor mit einem Kerzenlicht zu vergleichen.

Das Aeussere des Hundes machte ihr vom ersten Tage an Gedanken. Damit er sich bei dem neuen Herrn günstig einführe, hatte man in der Stadt Sorge getragen, Famulus noch vor seiner Abreise den schönheitsbeflissenen Händen eines Hundecoiffeurs zu übergeben. Die vordere Leibeshälfte war von dunkelster Wildnis zottig umhangen. Aus ihr sprang die geschorene Schnauze vor mit dem grossen, peinlich beschnittenen Schnurrbart und einem schönen Glanzlicht auf der feuchten, tiefschwarzen Nase. Oberhalb der feinen Fesseln kräuselten sich zierliche Haarmanschetten, die besonders vornehm wirken sollten. Der glattrasierte Hinterleib wies zwei symmetrisch in der Lendengegend belassene Oasen auf, überragt von der palmenartig zugestutzten Rute.

»Gott sei's geklagt, wie sie dich hergerichtet haben,« sagte am nächsten Morgen die Frau zu ihrem Pudel. »Wie wirst du vor unseren Dorfhunden bestehen in diesem Aufputz, mein guter Famulus? Weshalb muss nun dein Vorderleib verurteilt sein äquatoriale, dein Hinterleib polare Temperaturen auszuhalten? Ich verstehe es nicht und schon heute verspreche ich dir ein gleichmässig leichtes Kleid für die Sommermonate und ein gleichmässig warmes für den Winter. So viel als möglich sollen deine Haare wachsen dürfen, wie es dir und ihnen angenehm ist.«

Mit dankbarem Blick nahm Famulus dieses Versprechen entgegen. Dass es die Frau in der Folge nicht würde halten können, wusste er so wenig als sie, denn beide ahnten nicht wie zwecklos das Beginnen ist, einem überzeugten Berufsmanne von dem Können eines Hundecoiffeurs Vorschriften machen zu wollen.

Doch vom zweiten Missgriff deines Schicksals war die Rede, Famulus. Das Landleben, mit dem du dich – dank besonderer Fähigkeiten – später abzufinden lerntest, ummauerte dich zu Beginn mit grauer Langerweile. Nie hast du versäumt, dies zu bekunden. Die weiten Gänge deiner neuen Heimat wiederhallten förmlich von deinem Gähnen.

»Schade!« pflegtest du zu der Frau zu sagen, »schade, dass es immer irgendwo hapern muss.«

»Immer irgendwo hapern muss,« bestätigte sie. »Ein Bestreben, Ausgleich zu schaffen, Unrecht gut zu machen, kann man ja dem Leben nicht absprechen, doch ergeben sich aus diesen Versuchen meist neue Unzulänglichkeiten. Ich weiss nicht, ob du das verstehst, Famulus, mein Hund.«

»Ja,« meinte er nachdenklich und nickte, »ich verstehe.«

Das war doch etwas ganz anderes gewesen in der Stadt, wo er stundenlang am Fenstergesimse lehnen und auf den grossen, bewegten Platz hinunterschauen konnte! Buntes Gewoge, Durcheinanderhasten von Menschen und Tieren, Signalstösse von Automobilen, dumpfes Rollen schwerer Lastwagen, – das war Leben! Und erst an Markttagen! Da kamen überhaupt alle Menschen und Hunde der Stadt auf dem Platze zusammen, da setzte es allerlei Interessantes ab, Possen, Prügel, Raufereien, stürmische Auftritte. Manchmal nach Beendigung des Marktes, wenn der Platz sich leerte, machte sich der lustige Wind auf mit seinen Wirbeln und trieb alle die liegengebliebenen Papiere in einer Ecke zusammen, um sie dort in ununterbrochenen Kreislauf zu versetzen. Fein war das! Und dann kamen die Männer mit der grossen Spritze, die alles überschwemmte, und der Wolfshund aus dem Nachbarhause, der den starken Wasserstrahl so grimmig hasste, dass er unter wütendem Heulen und Bellen immerfort hineinbiss! Da waren dann immer bald wieder Leute zur Stelle, kleine Leute, die hüpften und jubelten und sich mit Famulus wunderten, dass der dumme Kerl von einem Wolfshund sich so unnötig ereiferte ... Famulus wohnte längst im Hofgut und immer noch kam es vor, dass er, seine Uebersiedlung vergessend, sich erwartungsvoll am Fenster aufstellte in der Meinung, draussen das erregende Treiben der Stadt wahrzunehmen. Statt dessen lag da ein stiller Garten in der Sonne, in sich versunken und verträumt, mit schweigsamen Wegen, ein Garten, in dem nichts zu leben schien als ein verliebt gaukelndes Schmetterlingspaar und die silbrigen Tropfen, die der sanfte Strahl des Springbrunnens versprühte. Der Blick der Verachtung, mit dem sich Famulus jeweilen von diesem Bilde abkehrte, ist nicht zu beschreiben. Er war schlechthin grossartig. Zur Frau, die er streifte, sprach er: »Und du willst mich aufklären über die Unzulänglichkeiten des Lebens? Spare deine Worte.«

In der Tat. Es braucht nicht die Fassungsgabe eines Famulus, um sich darüber klar zu werden. Wohl hatte ihm das Landleben nach der eingezwängten Existenz bei der gebrechlichen ersten Herrin die ersehnte Bewegungsfreiheit des Leibes beschert. Dafür beraubte es ihn geistiger Lustbarkeiten, die ihm wichtig und teuer waren.

»Um dich zu entschädigen, wirst du mich diesen Nachmittag nach der Stadt begleiten,« sagte eines Morgens die Frau zu Famulus, als sie ihn besonders laut gähnen hörte. Sie entnahm dem Schrank Hut und Mantel und legte beides auf dem Ruhebett zurecht. Kaum wurde der Hund dessen gewahr, als er auch schon Zeichen der Aufregung zu äussern begann. Er galoppierte im Kreise wie ein Zirkuspferd, das den grossen Moment gekommen fühlt, zu zeigen was es kann, und begann, von Unternehmungsgeist beseelt, Alles herbeizutragen, was seiner Schnauze erreichbar und nicht niet- und nagelfest war. Er ging mit unerhörter Behendigkeit zu Werk, so dass der Boden in kürzester Zeit bedeckt war mit Dingen verschiedenster Art, mit Sofakissen, Halstüchern, Büchern, Zeitungen, Hut und Mantel. Die Frau, wiewohl überzeugt, dass sie aus pädagogischen Gründen hier einzugreifen hätte, war über das unerwartete Beginnen so erstaunt, so gefesselt von der Gewandtheit des Tieres und der Schönheit seiner Bewegungen, von der Leidenschaftlichkeit seines Wesens, dass sie still zusehen und ihn gewähren lassen musste. Warum hätte er einen Verweis oder gar Züchtigung verdient? Was er vollführte, tat er in der überquellenden Freude seines Herzens über den bevorstehenden Ausgang und im unverkennbaren Bestreben, seine Dankbarkeit zu bezeugen.

Auf jenem ersten Gange nach der Stadt ereigneten sich verschiedene Merkwürdigkeiten. Zuerst stellte die Frau fest, wie wohltuend es war, Famulus wieder einmal in seinem Element zu sehen. Im Strassengewühl schwamm er in Behagen. Es war, als flösse ein anderes, leichteres und prickelndes Blut durch seine Adern. Aber er benahm sich musterhaft. In weiten Kreisen bewegte er sich um die Frau, sie im Auge haltend, doch nebenbei unablässig spähend, begierig auf Alles, was ringsum vorging.

Dieses lobenswerte Verhalten befriedigte die Frau so sehr, dass sie nicht umhin konnte, einem des Weges kommenden Freunde, der Sportsmann und Hundekenner war und der sie einmal vor der Launenhaftigkeit der Pudelrasse gewarnt hatte, Famulus als »zuverlässigen und charmanten Begleiter« vorzustellen. Der Angeredete zuckte die Achseln, lächelte verbindlich und verneigte sich. »Sie scheinen nicht überzeugt,« sagte sie durch sein Schweigen fast ein bischen beleidigt. »Nun freilich,« meinte er galant, »wenn Sie es sagen« ... Da traf ihn ein nachspürender Blick der Frau, die Redensarten leicht misstraute.

Als sie sich verabschiedet hatte und zum Gehen wandte, erblickte sie in einiger Entfernung drei Menschen in wirrem Handgemenge mit ihrem eben gerühmten »zuverlässigen und charmanten Begleiter«. Der Anblick war höchst sonderbar. Die Leute schienen mit etwas zu jonglieren. Ueber ihren Köpfen wanderte ein Paket hin und her, aus den emporgestreckten Händen zweier Damen in die eines Herrn und umgekehrt wieder in die der Damen. Dazwischen hörte man kleine Schreie und alle drei mühten sich, den, je nach dem Verbleiben des Paketes bald am Einen, bald am Anderen in die Höhe springenden Famulus abzuwehren. »Eine neue Laokoongruppe,« ging es der Frau durch den Sinn, während sie den Bedrängten zu Hilfe eilte. Sie hielt Famulus am Halsband fest und stammelte, auf unangenehme Auseinandersetzungen gefasst, verlegen einige Entschuldigungen. Aber zu ihrer Freude blickte sie in drei junge, lachende Gesichter. Oh, sie verstanden sich auf Tiere! Temperament bedeutete nicht Bösartigkeit! Das Päckleintragen habe eben auch seine Schattenseiten. Das Ganze sei ja so lustig u. s. f. Die Frau überbot sich ihrerseits in Liebenswürdigkeiten.

»Glück muss einer haben,« dachte sie aufatmend, als man sich trennte.

Dann rief sie den Uebeltäter zu sich. Er aber hielt es für richtiger, sich in grossen Sprüngen und frohem Gebell vor der Herrin zu ergehen, nichts weiter aus der Sache zu machen, sie vielmehr von der scherzhaften Seite zu nehmen wie ein schuldig befundenes Kind, das ratsam findet, die Gedanken des Erziehers abzulenken. Lassen wir's gut sein –

Darauf ging er längere Zeit sehr gehorsam an ihrer Seite, ganz nahe, von Zeit zu Zeit einen treuherzig unschuldsvollen Blick zur Herrin emporrichtend und sie, die dem Frieden zwar nicht traute, der es aber unmöglich war zu zürnen, wenn Famulus darauf bedacht war, eine versöhnliche Stimmung zu schaffen, fühlte ihr Herz schon wieder dem talentvollen Schauspieler geneigt, als er, von einem neuen Anfall von Unternehmungsgeist erfasst, kurzerhand durchbrannte. Ueber den Platz, auf den sie eben einmündeten, kam eine junge, hübsche Magd geschritten, von einer Boxerhündin begleitet, die mit geradezu andächtiger Miene einen kleinen Henkelkorb im Maule trug. Unbeirrt von dem anstürmenden, sie zudringlich beschnuppernden Famulus zog die brave Hündin ihres Weges und das Mägdlein mit den schweifenden Blicken schien den neuen Begleiter erst recht nicht zu beachten. Doch er verstand sich bemerkbar zu machen, und sehr bald gewahrte die Frau, die in einiger Entfernung folgte, dass Famulus, der jetzt dicht neben der Hündin herging, den Henkel des Korbes ebenfalls gepackt hatte und sich am Tragen zu beteiligen schien. Von Zeit zu Zeit jedoch machte er einen kleinen hinterlistigen Ruck, was der Frau missfiel, denn sie ahnte schon seine Absicht, die Partnerin in einem unbewachten Augenblick ihres Amtes zu entsetzen und es selbst zu übernehmen. Sie eilte deshalb, ihn an seinem Vorhaben zu hindern.

– »Einsichtsloses Schicksal,« seufzte sie, »dass du auch gerade dieses Temperament zu höherer Bildung bestimmen musstest! Oh über die gerufenen Geister, die nicht mehr zu bannen sind! Nichts kann dieses Tier erblicken, das nicht seine Apportierwut reizte. Es ist zum Davonlaufen ...«

Letzteres schien in diesem Augenblick auch Famulus zu denken. Er machte offenkundige Anstrengungen, den Korb endgiltig zu erobern und, wie entschieden sich die gute Hündin auch wehrte, er war stärker als sie, sein Gebaren zudem so hochfahrend und drohend, dass sie, einem letzten mächtigen Rucke nachgebend, den Henkel fahren liess.

Und nun triumphierte er. Und dieser Triumph wurde mit wildem Hin- und Herschwingen des Korbes, mit Knurren und heftigem Kopfschütteln gefeiert. Händeringend stand die junge Magd abseits, denn sie sah die kleinen Pakete rechts und links im Bogen aus dem Korbe fliegen und platzen, Reis und Rosinen weit über den Boden zerstreut. Hinter ihr barg sich beschämt und traurig die arme Boxerhündin und zog scheu ihr nichtiges Schwanzstümmelchen ein. Vorbeigehende Schulkinder waren stehen geblieben und lachten aus vollem Halse, weil Famulus, der ihre ganze Zustimmung hatte, sich so übermütig geberdete; doch sie verstummten, als er plötzlich stutzte, den leeren Korb fallen liess und sich gegen sie wandte. Zuvorderst stand mit einem gerollten Musikheft verhängnisvoll ausgerüstet ein kleines Mädchen, das begreiflicherweise losbrüllte, als es den schwarzen Teufel auf sich zukommen und seine unternehmungslustigen Blicke auf das schöne Musikheft gerichtet sah.

Diese Vorgänge lockten Leute herbei und veranlassten die Frau, sich etwas im Hintergrund zu halten. Es entging ihr aber nicht, dass Famulus, durch den Anblick der Umstehenden gefesselt, von denen viele Schirme, Stöcke und andere ihn besonders interessierende Dinge bei sich trugen, das kleine Mädchen stehen liess und unschlüssig herumfuhr; sie hörte lachen, pfeifen und schreien und einen Dienstmann neben sich in heller Empörung sagen:

»Wem gehört eigentlich das Luder, das die halbe Stadt in Aufruhr setzt?«

Da tat die Frau etwas, das sie nicht vorgehabt hatte und das sonst ihrem Wesen nicht entsprach: sie verleugnete Famulus und schlich sich leise und mit raschen Schritten fort, hinter den Menschen durch, in eine stille Seitenstrasse hinein. Dort beschleunigte sie noch den Gang und blickte erst zurück, als vom Platz her ein neues »Halloh« ertönte. Famulus, in dem der Gedanke an die verlassene Herrin erwacht war, hatte den Kreis durchbrochen. Er irrte einen Augenblick witternd und in höchster Erregung hin und her, hatte aber schnell die Fährte der Vermissten gefunden und rannte nun in grossen Sätzen mit fliegender Mähne hinter ihr her. Die Frau, der es nicht darum zu tun war, ihre Zusammengehörigkeit mit ihm öffentlich festgestellt zu sehen, bog rasch in den nächsten Laden ein; er aber war schon da und zwängte sich entschlossen neben ihr durch die Türe. In dem Geschäft verlangte die Frau vor allem ein Stück feste Schnur, um eine Leine zu improvisieren, an der sie Famulus sicherte. Dann kaufte sie allerlei unnützes Zeug, nur um noch in dem Laden bleiben zu können, bis sich die Leute verlaufen hatten. Beladen und von Famulus, dem die Leine nicht passte, freudlos gefolgt, begab sie sich nun auf den Heimweg über die grosse Brücke, durch ein wenig belebtes Stadtviertel nach dem kleinen Wald, an dessen steil zum Fluss abfallendem Rande sie sich etwas verärgert und müde hinsetzte; denn der Weg nach Wendlingen war noch weit. Da rauschte der Strom zu ihren Füssen, und die Gipfel der Alpen erschienen im bläulichen Duft unfasslich hoch und schön wie eine grandiose Luftspiegelung. Die Frau fühlte sich mit einem Male sehr glücklich, nicht mehr in der Stadt zu sein. Wie leicht hätte es sich fügen können, dass sie diesen besonders schönen Augenblick versäumt hätte. In einer halben Stunde, eher vielleicht schon, war das Licht ein vollkommen anderes, waren die Berge unsichtbar und ein Schleier über die ganze Pracht gezogen. Und in ihrer Freude legte sie den Arm um Famulus, der sich kleinlaut neben sie ins Gras gesetzt hatte im Gefühl, dass sie ihm zürne, denn seit er ihr in den Laden gefolgt war, hatte sie kein Wort mehr zu ihm gesagt. Jawohl, sie war sehr ärgerlich gewesen seinetwegen, doch das war jetzt vergessen.

»Famulus«, sagte sie, als es Zeit war aufzubrechen, »ich gebe dich nun wieder frei und will dir nichts nachtragen, aber ein Vergnügen ist es wahrlich nicht, mit dir in die Stadt zu gehen.«

Sie strich ihm die überhängenden Haarsträhne aus dem Gesicht und er wandte ihr seine grossen Augen zu.

»Ich dachte,« sagte er, »du habest mir eine Freude machen wollen?«

Da wurde die Frau nachdenklich und blickte lange in die Ferne. »Du hast recht, Famulus, mein Hund,« sagte sie endlich. »Wir sind bereit einem Anderen eine Freude zu machen, aber diese Freude muss nach unserem Sinne sein. Ist sie anderer Art, so missfällt es uns, ja wir gehen so weit, unseren guten Willen zu bereuen, weil wir nicht im Stande sind, das bischen Schwung aufzubringen, das uns ermöglichen würde, die Freude des Anderen zu verstehen.«

Trotz dieser Einsicht verspürte die Frau keine Lust mehr, das Experiment mit Famulus zu wiederholen. Die Geschichte war zu peinlich gewesen. Irgendwie musste es sonst gehen, der Unbefriedigte sollte lernen, sich mit Spaziergängen in der Gegend zu begnügen. Doch hatte es auch damit seine Uebelstände. Die Feindschaft der Dorfhunde, die, wie die Frau richtig vermutet hatte, den aufgeputzten und geschniegelten Neuling von der ersten Stunde an nicht ausstehen konnten, war für diesen nicht leicht zu ertragen. Dazu kam, dass er, kaum in Wendlingen eingezogen, in offene Konkurrenz mit ihnen trat, wenn es sich um die Gunst einer Hündin handelte, denn auch auf diesem Gebiete war Famulus flott und unternehmungslustig. Als ob er zu ihnen gehörte, belagerte er mit den Dorfhunden die Behausungen der Schönen. Er war in gewissen Zeiten beständig auf dem Wege zwischen Dorf und Hofgut und man brauchte nur sein aufgezäumtes, bis in die Haarspitzen wie elektrisiertes Wesen zu sehen, um zu verstehen, dass er nicht gesonnen war, sich den Rang ablaufen zu lassen oder anderen den Vortritt einzuräumen.

Die Frau sah ihn ziehen und hatte dabei ihre Gedanken. Vom Triebe besessen war Famulus entschieden nur mehr ein ganz gewöhnlicher Repräsentant seiner Gattung. Das Ungebundene, das Geniale in seiner Natur, das so schön und anziehend wirkte, war dann gefesselt und trat zurück und etwas Geziertes, fast hätte sie sagen mögen Kokettes, an seine Stelle. Nun, jeder hat Stunden, die ihm nicht gut stehen. Vermutlich weckte sein Aufputz mehr als sein Wesen solche Empfindungen. Fatal war nur, dass er, wie er es auch anstellte, die soliden Wendlingerkonkurrenten reizen musste. Wie beliebt mochte er auf dem Dorfplatze sein! Sie konnte sich's denken! Der Stadtgeck bei den Bauern auf dem Tanzboden. Dabei war er wie ein solcher gewiss oft anmassend und herausfordernd. Die Wunden, mit denen er nach diesen Gelegenheiten heimkehrte, sprachen nicht von Zurückhaltung. Blutend und zerrissen, niemals aber geduckt oder klaghaft erschien er auf dem Hofe und suchte die Frau. Mit Lysoform und Gazebinden durfte sie sich dann seiner annehmen. Und sie tat es nicht ungern. Denn dabei zeigte sich Famulus wieder von einer sympathischen Seite. Leicht wedelnd und ohne zu wanken stand er auf drei Beinen und blickte überlegen und gelassen nach hinten, was sie mit dem übelzugerichteten Oberschenkel wohl vorzunehmen gedenke. Das Auswaschen der Wunden tat weh, doch er zuckte nicht.

Im Dorfe wohnten auch zwei Hundebesitzer, die sich mühten, reine und schöne Rassentiere zu züchten. Es ging jedoch nicht lange, so erklärten beide, das Züchten könne man in Wendlingen füglich aufgeben, seitdem der Pudel im Lande sei, lasse sich nichts Rechtes mehr erzeugen. Da könne einer lange die Hündinnen hinter Schloss und Riegel setzen; entweder komme der Pudel durch die Schlüssellöcher, oder die Weibchen vergafften sich an ihm, item, Tatsache sei, dass in Wendlingen kein Welpe geboren werde, der nicht irgend ein Merkmal des Pudels trüge.

Obwohl zugegeben werden musste, dass Hunde mit pudelartigem Einschlag in Wendlingen keine Seltenheiten waren, wollte es die Frau doch bedünken, die Aussage der Züchter sei etwas übertrieben. Aber es war nun einmal so und bezeichnend für Famulus, dass man in jedem schwarzen Haarbüschel, in jedem zu langen Ohr sein dämonisches Blut witterte. Und liegt nicht zum Teil die Macht der starken Persönlichkeit auch darin, dass man ihr leicht noch mehr zutraut als sie in Wirklichkeit vermag? Und Famulus war eine Persönlichkeit, das unterlag keinem Zweifel. Nach einem Jahr hatte er sich in seiner neuen Heimat durchgesetzt, d. h. er hatte alles Werben um Freundschaft bei Seinesgleichen aufgegeben und durch sein selbstbewusstes, unabhängiges Auftreten bewirkt, dass ihn Menschen und Hunde unbehelligt liessen. Damit soll nicht gesagt sein, dass er bei Liebeshändeln besser durchgekommen wäre, oder im allgemeinen an Beliebtheit gewonnen hätte. Er gehörte nun einmal nicht in diese Umwelt.

Doch einen Freund und Fürsprecher hatte Famulus im Dorfe, das Stuberänni, und zwar erfreute er sich nicht etwa bloss eines Abglanzes der Zuneigung, deren die Herrin gewürdigt wurde. Das alte Weiblein brachte dem Wesen des Sonderlings Verständnis entgegen und schätzte ihn um seiner selbst willen. Nie sah es ihn vorbeigehen, ohne ihn in seine Hütte hereinzurufen, um ihn zu streicheln oder ihm das Katzenplättlein mit ein paar Tropfen Ziegenmilch hinzuhalten.

Als im Hof gut der alte Dachshund starb, zu dem Famulus, wenn nicht in innigem Verhältnis, so doch in guten Beziehungen gelebt hatte, sah er sich noch vereinsamter und ausschliesslich auf den Verkehr mit den Menschen seiner Umgebung angewiesen. Dabei zeigten sich seine liebenswürdigen Gaben gelegentlich in vollem Ausmass. So gleichgültig es ihn liess, ob Fremde sich ihm geneigt erwiesen oder nicht, so sehr schien ihm daran gelegen, seinen Hausgenossen zu gefallen. Ihn in diesem Bestreben zu beobachten, war oft sehr wunderlich.

Es gab Tage, wo es schien, als könne er ohne Menschen gar nicht auskommen, wo er sie beständig suchte. Sogar wenn er schlief, musste es in der Nähe eines Menschen sein, in Berührung mit ihm, wenn immer möglich. Und war es nur der Saum eines Kleides, der den Kontakt herstellte, den Saum musste er fühlen. Wurde Famulus in solchen Zeiten in einem Zimmer vergessen und allein gelassen, so war sein Erstes, etwas zu suchen, das sein Bedürfnis, menschliches zu wittern, stillte. Dann fand man ihn, den Kopf sanft und ergeben auf ein Umlegetuch oder einen Schuh gebettet Und ein solches Wesen hatte man gewagt mit »Luder« zu bezeichnen!

Und doch – darüber konnte man sich nicht täuschen – lag sowohl in seiner Liebenswürdigkeit als in dem Gehorsam, den er im Hause zeigte, oft ein Beigeschmack von dem, was man unter Menschen als Augendienerei oder Schwerenöterei bezeichnet, etwas Absichtliches, nicht Spontanes.

»Die vier Wände machen ihn fügsam und charakterlos,« sagte die Frau mit einem Klang des Mitleids in der Stimme.

In der Tat. Man rief, er erschien. Man schickte ihn weg, er verschwand. Man zankte, weil er der Hauskatze nachstellte oder einen Besuch belästigte, er apportierte blitzschnell irgend einen Gegenstand, um zu beschwichtigen. Dann wurde gelacht und das Lachen steigerte sich, wenn Famulus sich ernst und aufrecht hinsetzte, die Nase gradaus, den Blick aber gefühlvoll aufwärts nach den Umstehenden gerichtet, dass neben dem dunkeln Augenstern noch ein feines, sichelförmiges Streifchen des Weissen im Auge sichtbar wurde. Wie stark dieser gleichsam unterstrichene Blick wirkte, lässt sich schwer sagen. Famulus hatte damit immer den grössten Erfolg. Waren Kinder um die Wege, so umarmten sie ihn jubelnd und sagten: »Fami, du bist einfach entzückend!«

Jawohl, Famulus war ein vollendeter Stimmungsmacher. Man konnte ihm nicht zürnen. Er brauchte nur zu wollen, um auch den nüchternsten Kritiker zu entwaffnen. Doch dieses Schmiegsame, Versöhnliche war nicht sein eigentliches Wesen, das wusste die Frau. Sie fühlte das Unverbindliche seiner Liebenswürdigkeit. Im Inneren war er vollkommen unabhängig. Er gehörte ihr nicht ganz, ganz überhaupt Niemand. Die bedingungslose Hingabe von Seinesgleichen an die Menschen kannte er nicht. Es war immer etwas zwischen ihm und ihnen, ein nicht zu Bestimmendes, Unfassbares.

Die Zeiten der Menschenliebe wechselten mit andern, in denen Famulus seine eigenen Wege ging, nur gezwungen aufhorchte und meist mit offenen Augen abseits im Dunkeln lag, den Kopf auf den gekreuzten Vorderfüssen. Manchmal schien er etwas zu erblicken oder zu hören. Er lauschte plötzlich auf und wedelte, oder er knurrte auch und verkroch sich tiefer. Die Umwelt war für ihn nicht vorhanden.

»Er ist ein bischen verrückt,« sagten die Leute.

»Er sieht Gespenster,« meinten Andere.

»Wer weiss,« antwortete die Frau. »Auf alle Fälle ist er sehr einsam. Warum sollte einem hochentwickelten Tiere, dessen Organismus so grosse Aehnlichkeiten mit dem unsern aufweist, versagt sein, die Oede seiner Seele mit Gestalten seiner Phantasie zu beleben? Kennen wir alle Wunder des Lebens und seiner Erscheinungen?« Sie lächelte. »Vielleicht ist er ein Dichter –«

Helles Lachen antwortete ihr.

»Famulus ein Dichter! Ja mein Gott, auch das noch! Absonderlich genug freilich, das wäre er schon! Der Schlaumeier! Ein Dichter –« Sie konnten sich nicht erholen. »Ein Vielfrass ist er und ein Dieb obendrein. Wenn man ihm auch nie etwas nachweisen kann.«

Es gefiel der Frau nicht, wenn das Gespräch diese Wendung nahm. So eifrig und gern sie gewöhnlich für ihren Hund eintrat, hier musste sie schweigen. Es liess sich nichts dawider sagen, Famulus stahl wie ein Rabe. Seiner geistigen Leistungsfähigkeit entsprach die der Organe. Er war von unstillbarer Fresslust beherrscht und das Schlimme dabei, er vergriff sich immer gleich an Kraftstücken. Einmal frass er einen breiten Weg durch eine Torte, die angemeldete Gäste zu erfreuen bestimmt war, ein ander Mal liess er den Käse vom Frühstückstisch verschwinden und just an dem Tage, an dem ihn die Frau zum Dichter proklamieren wollte, hatte er in der Küche ein Stück Kalbfleisch gestohlen, das, schön hergerichtet, in einer Casserole bereit stand, um in den Bratofen zu wandern. Die Wirtschafterin, sonst eine ihm geneigte, verständnisvolle Seele, war diesmal ernstlich böse. Doch die Frau merkte bald, der Aerger galt weniger dem Uebeltäter als dem Umstand, dass der Braten schon gespickt und Kunst und Mühe umsonst verschwendet waren.

Fast immer verrät das schlechte Gewissen den intelligenten Hund, der sich etwas hat zu schulden kommen lassen. Den Famulus aber hob ein flammendes Temperament über alle Bedenken und Schwankungen hinaus. Nie schien er unabhängiger, nie freier und ungehemmter, als wenn er gestohlen hatte. Ja, er verstand, sich dann so unschuldsvoll zu geben, dass er geradezu verblüffend wirkte und man, schon im Begriff ihn zu züchtigen, irre wurde und sich zweifelnd fragte, ob ihm mit einer Strafe nicht doch vielleicht Unrecht geschehe. Am Ende konnte sich ja auch ein Hund aus der Nachbarschaft eingeschlichen haben, eine schwache Möglichkeit, aber immerhin, sie war vorhanden.

Wenn Famulus einer Strafe entging, war es, als ob er an Selbstbewusstsein gewonnen hätte. Nie war er schöner, nie wirkte seine Eigenart stärker. Er trug sich stolzer, sein Gang war elastischer, seine Bewegungen gleitender und graziöser. Doch mied er, – vermutlich weil er nachträglich erwachende Strafgelüste der Menschen nicht für ausgeschlossen hielt, – nach solchen Begebenheiten gewöhnlich das Haus und bezog seinen Lieblingsplatz zu oberst auf der Freitreppe, die aus dem Garten zu einer offenen Vorhalle emporführte. Dort lag er hoheitsvoll, von seiner glänzenden Mähne umwallt, überlegen blinzelnd und liess das linke Hinterbein in grossartiger Lässigkeit über die Stufen hinabhängen.

»Welcher Linienfluss,« dachte die Frau, als sie kurz nach der Bratenepisode an ihm vorüberging, »welche Grandezza! Das soll dir einmal so ein spanischer Grande nachmachen –« In ihrer Begeisterung fiel ihr nicht ein, was für eine unerhörte Forderung sie damit an die spanischen Granden stellte. Sie setzte sich neben Famulus auf die Treppe und betrachtete ihn aufmerksam.

»Heute werde ich ergründen, ob du gestohlen hast oder nicht, Famulus,« sagte sie entschlossen. Er hob langsam den Kopf und sah ihr in die Augen. Seine Gedanken schienen weit, weit herzukommen, es lag etwas Müdes, beinahe Schwermütiges in seinem Blick.

»Keine Frage, natürlich war er unschuldig – solch ein Versunkensein, solche Ruhe kennt nur das gute Gewissen.«

Sie fuhr fort, ihn zu beobachten. Trotz des müden und schwermütigen Blickes schien er sich äusserst wohl zu befinden. »Wer weiss,« dachte sie, »vielleicht ist diese Schwermut nichts anderes als Wohlbefinden bei guter Verdauung?« Drückte nicht die tiefe Behaglichkeit, nicht Famulus ganzes Wesen in diesem Augenblick vollkommene Sättigung aus? Und da, an der Oberlippe die kleinen Haare, schimmerten sie nicht verdächtig fettig, als wären sie eben erst mit Speck in Berührung gekommen? »O du schlimmer Geselle! Aber nun komme ich dir auf die Spur.«

»Famulus,« sagte die Frau, ihre Betrachtungen unterbrechend, »setze dich.« Er gehorchte und richtete sich auf.

»Nun,« sagte sie und wunderte sich, dass er sie fortgesetzt anblickte, »für heute bist du wieder einmal mit Eleganz um deine Prügel herumgekommen, Famulus, mein Hund. Und weisst du auch, wem du dafür zu danken hast? Mir, mir ganz allein. Die Geschichte mit dem Nachbarhund nämlich, die ich zu deiner Entlastung vorbrachte, weisst du – unter uns gesagt, – die hinkt auf allen Vieren. Aber nun wollen wir einmal miteinander reden.

Sie streckte die linke Hand aus, und er legte sogleich seine Schnauze hinein wie in ein wohlangepasstes Futteral. Das hatte die Frau erwartet; so konnte sie ihn nach Belieben festhalten. Dann erhob sie drohend den Zeigefinger der Rechten:

»Famulus, Famulus, ich habe sichere Anzeichen ... dafür ... dass du ...«

Sie sah, dass er plötzlich zu zittern und rascher zu atmen anhob, und da er den Kopf nicht drehen konnte, verzweifelt seitlich schielte, hinüber nach dem fruchtbeladenen Pfirsichspalier an der Gartenmauer.

»Was sind nun das wieder für Geschichten, du Erzkomödiant,« sagte sie geärgert, »da drüben ist nichts zu wollen, mich hast du jetzt anzusehen, verstanden?«

Nein, er schien nicht zu verstehen. Nur der Spalierbaum existierte für ihn ... Das Zittern wurde heftiger, der Atem beschleunigter, schon zeigte sich, – ein Zeichen höchster Erregung, wenn keine körperliche Anstrengung vorlag – die rote Zunge zwischen den halbgeöffneten Lefzen.

»Was willst du mir jetzt wieder vormachen,« sagte die Frau, »es soll mich wundern.«

Drüben war nichts Ungewöhnliches zu erblicken. Der Pfirsichbaum dehnte wohlig seine Aeste in der Sonne, und aus dem dichten, glänzenden Laube lachten verstohlen manchenorts seine sonnenwarmen, rotbackigen Kinder. Täglich spendete er viele der köstlich duftenden Früchte, die die Frau auf ihre Reife prüfte und eine um die andere behutsam pflückte, während Famulus das mit Blättern ausgelegte Körbchen tragen und so seine schon etwas in Vergessenheit geratene Hilfsbereitschaft aufs neue üben durfte. Was wollte er nun? Verschlafen lag der Garten, nur die heisse Luft zitterte leise in der Mittagsglut.

Da liess Famulus ein verhaltenes Knurren hören.

»Mach' dir keine unnütze Mühe, Gespenster am helllichten Tage,« und die Frau wollte eben noch hinzufügen »imponieren nicht«, als der Hund sich mit einem heftigen Ruck losriss und unter wildem Gebell, das beinahe wie ein Wutgeheul klang, gegen den Spalierbaum stürzte. Und siehe da! Dem dichten Laubgewinde entwich, beschwingt wie ein Pfeil, ein rotes Eichhorn und verschwand jenseits der Mauer im Geäste der Linden.

Beruhigt und stolz wedelnd kehrte Famulus zurück. Unten an der Treppe blieb er stehen mit einem Blick –

»Nun weisst du, wie ich deine Pfirsiche hüte. Sieh mich an und ermesse, was du an mir hast,« sagte er.

Dann stieg er gravitätisch die Stufen hinan und setzte sich an dieselbe Stelle, die er vor einem Augenblick verlassen hatte, als sei er bereit, das gestrenge Verhör weiter über sich ergehen zu lassen, wenn es der Herrin belieben sollte damit fortzufahren. Doch dies schien nicht mehr ihre Absicht. Sie betrachtete aufmerksam die Linien auf der Innenfläche ihrer Hand, wie sie es zu tun pflegte, wenn sie um eine Antwort verlegen war.

»Ja, ja,« murmelte sie endlich, »da suchen wir in unseren Mitgeschöpfen Vorzüge, – und finden Mängel.« Wir erwarten Mängel, – und Tugenden leuchten uns entgegen. Warum sich solcher Eingenommenheiten nicht entschlagen? Ein's in's andere muss man rechnen und wenn einmal der Ausgleich fehlt, etwas verschmerzen können. Gelt Famulus? Gelegentlich auch einen Kalbsbraten.«

Sie nahm ihres Hundes Kopf in beide Hände.

»Ein Schelm bist du doch,« sagte sie lachend, »du gibst mehr als du hast.«

Dann schirmte sie seine Augen mit beiden Händen gegen das Licht so, dass sich ein geschlossenes, finsteres Kämmerlein davor bildete, darein senkte sie den Blick und sprach:

»Wenn ich da hineinsehe, tief ganz tief, wo in einem dunkeln Land, das die Menschen nicht kennen, die goldenen Seen deiner Pupillen ruhen, dann Famulus mein Hund, dann weiss ich ganz bestimmt, dass du unschuldig bist«

Nie gelang es, ihn eines Vergehens zu überführen. Immer stand der einen oder anderen für ihn günstigen Möglichkeit ein Türlein offen und als die hässliche Methode des Beizens und des Auflauerns zur grossen Freude der Frau keinen Erfolg hatte, blieb nichts übrig, als ihrer Weisung nachzukommen, dem Hunde fürderhin keine Gelegenheit zum Stehlen mehr zu bieten. Damit war wenigstens so viel erreicht dass, wenn hin und wieder auch noch essbare Vorräte verschwanden, von den zuständigen Behörden in der Küche kein Aufhebens mehr gemacht wurde, weil sich jetzt Verdacht und Tadel zunächst gegen sie richteten und ihre Nachlässigkeit durch des Famulus unbegrenzte Fresslust und seine geheimnisvolle Art sie zu befriedigen nicht mehr entschuldigt werden konnte.

Draussen in der freien Natur, wo jede Begrenzung aufhörte und das Gefühl ungehemmt und ungebändigt verströmen konnte, trat das Dämonische in Famulus' Wesen am stärksten zu Tage. Da fielen Fügsamkeit, Ergebenheit, Gehorsam und wie sie alle hiessen, die nichtigen Hüllen, die im Banngebiet des Hauses seine Seele fesselten, von ihr ab. Nackt und frei erging sie sich in glücklicher Ungebundenheit.

Ein Nachmittag im Walde blieb der Frau in unvergänglicher Erinnerung. Bei klarem Himmel war sie mit Famulus ausgezogen. Die Luft lag wohl schwer und dunstig über den gelben Feldern, doch liess nichts einen Witterungsumschlag erwarten. Die weissen Wolken erschienen bedeutungslos. Schon seit Wochen türmten sie sich um die Mittagszeit am Horizont, um sich gegen Abend in nichts aufzulösen, und bei Anbruch der Nacht blinkten die Sterne wie Zuversicht und Verheissung aus einem immer wieder geklärten, dunkelblauen Himmel nieder.

Auf schmalen Pfaden wanderten die Frau und Famulus zusammen durch den Wald. Es war schön und dunkel hier. Nach der grellen Blendung draussen, welche Wohltat! Sie nahm den Hut ab und hing ihn an den Arm. Am Wege nickten von hohen Stengeln herab Agleien verträumt in die Dämmerung und wo der Waldgrund feuchter war, sprossten ungewöhnlich üppig die geschwungenen, in der Regelmässigkeit ihrer Formen architektonisch wirkenden Blätter der Farren, die die Frau so sehr bewunderte und liebte. Doch heute – es fiel ihr selber auf – hatte sie nicht viel Auge dafür. Schwül war es unter diesen Bäumen, mein Gott, wie schwül! Und dieser Waldduft zu würzig nur, beengend fast und betäubend. Schwer lag es ihr mit einem Male in den Gliedern. Und Famulus, – auch er schien weniger unternehmend als gewöhnlich, weniger abschweifend. Er folgte dem Wege, was er sonst nie tat, langsam, Schritt für Schritt mit gesenktem Kopf und hängender Rute.

Am Fusse einer erhöht stehenden, grossen Buche konnte die Frau dem Verlangen sich zu setzen nicht mehr widerstehen. Sie liess sich nieder und lehnte müde den Kopf zurück an den Baum. Ach, diese gleissenden, weissen Tage, wie wenig war man doch im Lande an sie gewöhnt! Alle ersehnten sie, und wenn sie kamen, ausnahmsweise einmal in langer Folge, wie bald war man ihres Glastes, der die Augen sengte und den Geist lähmte, überdrüssig! Gerne wandte man sich da wieder den stillen, mild verhängten, ja den trüben Tagen zu. Auch sie hatten ihr Gutes, auch sie konnte man lieben, wie man ein ernstes Leben lieben und es einem blendenden vorziehen kann ... und weil ... Immer kleiner wurden die Augen der Frau, sie sah nur mehr einen schmalen Streifen grün verschleierter Dämmerung ... »Wie schön, wie dunkel,« dachte sie noch und schlief dann ein.

Bei ihrem Erwachen, hatte sich das sie entzückende Halbdunkel fast in Finsternis verwandelt. Sollte dies schon die Nacht sein? Unmöglich. Sie erhob sich und sah auf die Uhr. Kaum eine halbe Stunde seitdem sie sich hingesetzt hatte, von rechtswegen also noch heller Tag. In der Ferne liess sich ein eigentümliches Rauschen vernehmen. Kein Zweifel ein Gewitter war im Anzug. Die Frau blickte sich nach Famulus um. Er war verschwunden. Da lächelte sie spöttisch:

»Nun bist du ausgekniffen, mein Freund, und hast dich in Sicherheit gebracht. So, so, »ganz wie ein Mensch«, sagen die Leute, wenn sie dir ein Kompliment machen wollen. Jawohl ... Nun, nicht umsonst hat Einer feine Nerven und Gefühl für ferne Dinge. Dass du einen Sinn mehr hast als wir, weiss ich lange. Aber eben darum ... du hättest mich wecken dürfen, wie treue Hunde, deren Geschichte man erzählt, es etwa tun, statt dich aus dem Staube zu machen.«

Das Rauschen klang bedrohlicher, ein heftiger Wind hatte eingesetzt, schon fielen schwere Tropfen. Die Frau überlegte. Gewiss, es war am besten, das Gewitter im Walde abzuwarten, wo sie sich weniger ausgesetzt fühlte als auf offener Landstrasse. Häuser wusste sie keine in der Nähe. Sie liess sich also wieder am Fusse der grossen Buche nieder. Alle Schwere war von ihr gewichen. Sie war vollkommen frisch und wach, das kleine Abenteuer im Walde lockte und reizte sie. Von ihrem erhöhten Sitze überblickte sie die weiten Gründe, denn der Wald war licht, ohne Unterholz. Dem Gespinst der Brombeer- und Epheuranken, das sich über dem Boden ausbreitete, entstiegen die glatten, eisengrauen Buchenstämme, dazwischen reckten sich wüchsige Tannen, denen man ansah, wie eilig sie es gehabt hatten, sich dort oben Raum und Licht zu sichern.

Das Unwetter fuhr mit Blitz und Donner heran. Ein wolkenbruchartiger Regen mit Hagel vermischt ging nieder. Die Frau schlug sich den Rock über den Kopf, umschlang mit den Armen die hochgezogenen Kniee und sich vornüberbeugend barg sie ihr Gesicht im Schosse, denn dichter und dichter prasselten nun die Schlossen. Wie schmerzhaft brannten sie, jeder Vorsicht zum Trotz, auf Schultern und Rücken! Alle Stimmen des Waldes erwachten. Welch' ein Orgelspiel! dachte die Frau. Kein Register, das nicht mitklänge! Oh wie rauschte es jetzt über sie hin! Das gelle Pfeifen des Hagels, der das Blätterdach durchschlug, das vielstimmige, dumpfe Aufstöhnen und Aechzen der Bäume. Wühlend und zausend hing der Sturm in ihren Kronen. Notruf der Muttertiere nach den Jungen, verzweifeltes Flügelschlagen geängstigter Vögel! Und plötzlich ein furchtbares Krachen ... die Frau fuhr zusammen ... – – oh, es klang wie zu ihren Häupten! Sie fühlte sich unaussprechlich nichtig und doch glühte es vor Wonne in ihrem Herzen.

»Wie sind wir alle ohnmächtig und verloren, wenn die Natur die Bedachtsamkeit von sich wirft und in Leidenschaft aufschreit. Doch, selbst das Bewusstsein von Ohnmacht und Verlorensein auf's höchste gesteigert, kann Beseligendes gewähren: das Gefühl des Sichauflösens im Ganzen, dem an Erhabenheit kein anderes gleichkommt.«

So deutete die Frau das niegefühlte Glühen in ihrer Brust und sie hielt ihm benommen und andächtig stille, während das Unwetter über sie hinbrauste.

Da schlug im ärgsten Tumult ein helles Bellen an ihr Ohr. Wie die Fanfare eines Herolds klang es, die grimmen Stimmen der Elemente lustig überfliegend. Verwundert hob sie den Kopf ein wenig und erblickte durch den straffen, silbrigen Schleier des Eisgeriesels, den wie im Siegestaumel daher stürmenden Famulus. Wie wenig kannte sie diesen Naturbeseelten noch, diesen Immerwachen, den ein leises Blätterrauschen, das sanfte Rieseln einer verborgenen Quelle aufhorchen liess, den ein Schneefall in helles Entzücken setzte! Gab es Einleuchtenderes, als dass er jedes Aufbrausen der Natur als ein Fest begrüssen und in trunkener Wildheit mitfeiern musste? Nicht ausgekniffen war er vor dem Unwetter, er war ihm entgegen geeilt! Nun zog er mit dem Sturme beglückt und hingerissen. Um vieles grösser und mächtiger erschien er hier wiederum der Frau, unsagbar wunderlich mit den flatternden Ohren und dem glatten, triefenden Gesträhne. Um Schritt mit dem Sturme zu halten und den Tücken der hemmenden Ranken zu entgehen, schnellte er sich unter Aufwand aller Kraft und mit den absonderlichsten Verrenkungen hoch empor, bald ein wahnwitziges Gebell ausstossend, bald leidenschaftlich um sich beissend nach den niedersausenden Schlossen. Es war wie der Tanz eines phantastischen Waldungeheuers.

Da machte die Frau einen Versuch ihn anzulocken und rief wiederholt so laut sie konnte seinen Namen. Allein ihre Stimme klang dumpf und machtlos wie im Traum, aufgesaugt, verschlungen von den hundert Geräuschen ringsum. Und doch musste Famulus die Herrin vernommen oder gewittert haben, denn er stand einen Augenblick still und schien sich zu besinnen. Aber gleich begann der Taumel von neuem und wie ein vollkommen Fremder stürmte er an ihr vorbei.

Eine Stunde später trat die Frau aus dem Walde. Um Wendlingen zu erreichen, hatte sie noch eine tüchtige Strecke zu gehen und dessen freute sie sich, denn die Sonne schien schon wieder warm und versprach, die durchnässten Kleider gut und schnell zu trocknen. Schön, gewitterklar standen Hügel und Wälder, eigentümlich bedeutungsvoll in ihren Einzelheiten, den tiefen Schatten und unvermittelt aufblinkenden Helligkeiten. Alles schien übertrieben hervorgehoben und fast greifbar nahe, als wäre der Raum luftleer. Und eine Wahrnehmung wichtiger als alle: nirgends Spuren der Zerstörung. Augenscheinlich war der Hagel nur strichweise niedergegangen und von dem Schlimmen, das die Frau unter den Waldbäumen und mit ihnen erlebt hatte, waren die reifenden Kornfelder verschont geblieben.

Von Famulus nichts zu sehen. Ob er die Herrin noch im Walde suchte? Sie machte sich keine Gedanken darum. Wüsste jeder sich zu helfen immer und in allen Fällen wie er!

In dem kleinen Tobel, durch welches sie der Heimweg führte, stand geduckt als könnte es sich nicht genug verbergen und hinfällig wie seine Bewohnerin das Hüttlein des alten Stuberänni. Es lebte dort sehr einsam. Der Mann war schon lange tot, das einzige Kind, ein Sohn, weit in der Welt draussen, der Mutter verloren.

Als die Frau auf dem schmalen Strässchen Aennis Hütte zuschritt, bemerkte sie dort zwei kleine Mädchen, von denen das ältere, vielleicht sechsjährige eifrig und mit lebhaften Gebärden auf das kleinere einsprach, das das dünne Hälschen reckte und auf irgend einen Vorgang zu warten schien. So gefesselt waren beider Sinne, dass sie den Schritt der Frau nicht vernahmen.

»Jetzt pass' auf, gleich wird er herauskommen,« hörte sie das grössere der Kinder sagen und die Kleine mit angstvoller Stimme erwidern:

»Aber was muss ich dann machen, wenn er kommt?«

»Ganz still sein und nicht schreien,« sagte das Grosse energisch, »sonst nimmt er uns. Weisst du, Famulus das heisst der Teufel und die Alte ist eine Hexe und seine Grossmutter, der Schwanderueli hat's gesagt«

»Ach darum handelt es sich,« denkt die Frau, »Schwanderueli, du alter Säufer und Vagabund, der du dich deiner Schnapsflasche zulieb ungezählte male dem Teufel verschrieben hast, du eigentlich, du solltest ihn ja kennen –«

»Ja, ja,« hört sie das Kind leise und erregt fortfahren, »mit eigenen Augen hat es der Ueli gesehen, zum Fenster hinein, an einem Winterabend, als er da vorbeiging, wie der Schwarze drinnen auf dem Ofentritt gelegen und die Alte ihn gestrählt hat, voll blauer Funken seien seine Augen und sein Fell gewesen, hu, dem Schwanderueli habe es gegruset –«

»Wer weiss, vielleicht hat es auch dem Teufel vor dem Ueli gegruset an jenem Abend,« denkt die Frau und um ein Haar hätte sie es laut gesagt Doch sie schluckte die Worte. Als sie aber sah, wie die Kleine ein aufsteigendes Schluchzen unterdrückte, trat sie sachte vor und sagte:

»Aber Vreneli, wer wird auch sein kleines Schwesterchen so fürchten machen, so ein Grosses wie du bist. Sieh nur wie es weint,« und sie beugte sich zu dem Kleinen nieder, trocknete seine Augen und fuhr an das Vreneli gewendet fort:

»Der Famulus ist so wenig der Teufel, als das Aenni eine Hexe ist. Das sind dumme Geschichten, die müsst ihr nicht glauben und nicht weiter erzählen. Was meinst Vreneli, würde es euch freuen, wenn es im Dorfe hiesse, dein liebes Grossmüeti sei eine Hexe und dem Teufel verwandt und wenn alle ihm aus dem Wege gingen und es fürchteten?«

»Mein Grossmüeti ist eben keine Hexe,« antwortete das Kind in Seelenruhe, denn nichts ist müssiger als ein einfaches, überzeugtes Herz zu gewissen, ihm fernliegenden Vorstellungen bewegen zu wollen. Um die Kleinen zu bekehren, musste die Frau anders vorgehen. Sie pflückte einige Feldblumen am Rain, gab jedem ein Sträusschen und fasste dann beide Kinder an der Hand.

»So, nun wollen wir alle drei das Stuberänni besuchen und den Famulus,« sagte sie, »mit mir werdet ihr euch doch nicht fürchten?«

»Nein, nein,« meinte gespannt und hastig das mehr neugierige als ängstliche Vreneli und hüpfte, während das Kleine noch durch Tränen, aber lächelnd und vertrauensvoll zur Frau emporsah und eilig trippelnd die kleinen Füsse rührte. Und ehe die Kinder sich dessen versahen, standen sie schon mit der Frau in der Küche vor der niederen Stubentür.

»Nun werdet ihr gewiss recht lieb und freundlich mit dem alten Aenni sein und ihm die Blumen schenken, gelt?« sagte sie und klopfte an.

Das Aenni, das seinem Gast eben ein Tellerchen mit Ziegenmilch vorgesetzt hatte und zusah, wie er sich daran erlabte, schrak bei dem ungewohnten Geräusch des Klopfens zusammen und öffnete zögernd die Tür. Als es die Drei Hand in Hand in der dunkeln Küche erblickte, glänzten seine Augen in freudigem Erstaunen, doch es konnte sich so schnell nicht fassen, musste sich setzen und still die Hände ineinander legen.

»Gott grüss' Euch, Mutter Aenni,« sagte die Frau,»wie geht's? Wie steht's? Ihr habt da, wie ich sehe, wieder einmal Eueren Verehrer zu Besuch. Könnt Euch nicht beklagen, an Treue lässt er's nicht fehlen, will mir scheinen.« Da hatte die Alte ein hübsches Lächeln:

»Ist vielleicht nicht ganz uninteressiert, diese Treue,« meinte sie auf den Scherz eingehend. »Wollen nicht weiter forschen, ist nicht gut, allem auf den Grund zu gehen –« und ohne sich zu erheben streckte sie den Eintretenden ihre zitternden Hände entgegen. »Freut mich, freut mich wäger gar sehr, Frau, dass auch ihr immer wieder den Weg zum alten Aenni findet, das bald einmal eine noch abgelegenere Wohnung beziehen wird, wo einem auch der treueste Liebhaber nicht mehr besucht –«

»Seht, Mutter Aenni,« sagte die Frau die Kinder vorschiebend, »was ich Euch da für zwei nette Jüngferchen mitbringe, sie wollen Euch grüssen.« Verstohlen gab sie den Kleinen ein Zeichen und wie zwei Automaten streckten sie ihre Sträusschen der Alten entgegen, sie mit weit aufgerissenen Augen anstarrend. Plötzlich machte das Vreneli den Mund auf und sagte:

»Ist man dann ganz blutt im Feuer?«

»Schaut Kinder, schaut her,« unterbricht von dieser Wissbegier gepeinigt die Frau, »schaut her, was Famulus jetzt wieder anstellt!«

Er hatte die Milch getrunken und schob weiterleckend das leere Tellerchen mit lustigem Geklapper in der Stube umher. Das gab die erwünschte Wendung. Die Kinder krümmten sich vor Lachen und Vreneli vergass, sich weiter nach der Gewandung der Verdammten zu erkundigen. Inzwischen hatte die Frau ihrem Handtäschchen ein Stück Zucker entnommen, das sie in kleine Teile brach. Dann sagte sie:

»Wenn ihr jetzt schön brav zur Mutter Aenni auf die Ofenbank sitzt, so wird euch Famulus eine Vorstellung geben,« und sie schob den Tisch, der in der Mitte des Zimmers stand, bei Seite, dass der Raum frei wurde.

Famulus sass abseits. Wenn er Zucker in der Herrin Händen sah, war er über das Kommende unterrichtet. Gewöhnlich wartete er auf ein Zeichen. Doch heute war er so gespannt und ungeduldig, dass er plötzlich unaufgefordert an die Arbeit ging.

Das war sehr drollig. Und wie schön führte er sein Programm durch!

Einleitung: Männchen machen vor der Frau.

Nr. 1. Hochstand auf den Hinterbeinen, Gang durch das Zimmer.

Nr. 2. Sich vom Hochstand in Männchenstellung niederlassen ohne mit den Vorderfüssen den Boden zu berühren. – Passt auf ihr Kinderchen, wie schwer das ist!

Nr. 3. Spanischer Schritt.

Dieses Programm musste er dreimal wiederholen. Die Kinder waren ausser sich vor Vergnügen und Famulus durch ihr Händeklatschen und ihren Jubel sichtlich angeregt.

»Famulus, mein Hund,« sagte nun die Frau, »das war Alltagsarbeit. Nun kommen andere Zeiten. Es gibt Krieg und unsere Soldaten müssen an die Grenze.«

Flugs setzt sich Famulus hin und salutiert, die rechte Pfote in Augenhöhe erhebend.

»Und was geschieht im Kriege?« forscht die Herrin.

Der brave Soldat steht mühsam auf und hinkt, das linke Vorderbein hebend, durch das Zimmer.

»Oh,« ruft mitleidsvoll das Vreneli, »jetzt haben sie ihn verwundet!«

»Dafür wirst du ihm die verdiente Auszeichnung geben,« beschliesst die Frau und reicht dem Kind ein Stückchen Zucker, mit dem es mehrmals rund um Famulus herumgehen muss, während er unbeweglich Männchen macht, bescheiden die Belohnung erwartend. Und zuletzt kommt noch sein Lieblingskunststück, das angenehmste für ihn und zudem das Eindrucksvollste: Der brave Soldat ist tot, ist mausetot – »Oh!« – Langgestreckt liegt er da mit festgeschlossenen Augen. Die Kinder betasten ihn vorsichtig, er rührt sich nicht. Schliesslich wissen sie nichts mehr zu sagen und blicken ernst und fast verlegen zu Boden.

»Du Vreneli, bist gewiss ein besonder Geschicktes,« meint die Frau, »du findest gewiss das rechte Wort, um den Toten wieder zu wecken.«

Es herrscht Stille.

»Was ist das Gegenteil von tot?«

»Lebendig,« ruft laut das Vreneli und hebt den Finger wie in der Schule und wahrhaftig, es hat's zu Stand gebracht, der tote Famulus springt hoch und lustig auf, macht schon wieder Männchen und sein inständiges »bitte, bitte« mit zusammengelegten Vorderpfoten.

Wo bleiben Furcht und Misstrauen, wenn ein lustiger Spassmacher für Kurzweil und Zerstreuung sorgt? Auch das Aenni, die Frau und die Kinder erlebten das Erlösende solcher Begabung. Die düstere Stube war mit einem Male wie durch Zauber erhellt Schon gar lange ist es her, seit diese Wände frohe Laute, klingendes Kinderlachen vernahmen. Und das Mütterchen! Still und glücklich lächelnd sitzt es da und hält wie geweihtes Gut die Blumen in der Hand. Die Kinder lehnen sich an seinen Schoss als wäre da ihre Heimat und nun die Frau zum Aufbruch mahnt, erklären sie, noch bleiben zu wollen.

»Zu etwas taugt die Schule am Ende doch, gelt?« sagt die Frau zu Famulus beim Verlassen der Hütte, »das war eine gute Stunde, die wir dir verdanken, dem Schlimmen, Unvertrauten, dem Teufel wie sie sagen; dem Vielgestaltigen, Wandelbaren, dem seltsam Abenteuerlichen und Guten als den ich dich kenne.«

Sie strich ihm den lustig-buschigen Haarschopf aus den Augen und aus ihrer Tiefe grüsste sie ein dankbares Leuchten.

* * *

 


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