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Kaiserwetter.


. Am 22. März bekam der Schultheiß und Verwaltungsaktuar Meintreu zu Dingsdahinten im Schwarzwald seinen ersten Buben. Es war ein prächtiger, kräftiger Bengel, dieser Erstgeborne, und der Herr Schultheiß war über die Maßen erfreut – nicht nur als guter Vater und Ehemann über die Geburt eines Stammhalters, sondern auch als getreuer Reichsbürger darüber, daß dieser Stammhalter an des Kaisers Geburtstag das Licht der Welt erblickt hatte.

Bei Tisch vergönnte sich der glückliche Vater eine Flasche Champagner, und als er sie auf das Wohl des Kaisers und seines Buben stillvergnügt geleert hatte, trat er strahlenden Gesichts auf den Zehen in die Wochenstube, wo die junge Frau ihm mit seligmüden Augen entgegenblickte.

»Fraule,« sagte er, »heute ist unserem Hause Heil widerfahren, und dem Kaiser zu Ehren heißen wir den Buben Wilhelm!«

Da zog ein Schatten über das Gesicht der Frau Schultheiß und mit noch matter Stimme sagte sie:

»Aber wir wollten ihn ja Emil heißen, meinem Bruder nach!«

»Aber, Marie, heute ist ja des Kaisers Geburtstag!« sagte der Herr Schultheiß, immer noch fröhlich schmunzelnd.

»So, und der Kaiser ist Dir wichtiger, als mein einziger Bruder, der zudem natürlich Pathe wird?« war die Antwort.

Da zog ein Schatten auch über des glücklichen Vaters Gesicht. Er war zu zartfühlend, um in dieser Stunde Meinungsverschiedenheiten geltend zu machen, aber es fiel ihm ein, daß er auf dem Rathhaus nothwendige Geschäfte zu erledigen habe, die am Morgen liegen geblieben waren. Er gieng, und seine Frau merkte, warum er gieng.

In den nächsten Wochen wurde die Namenfrage von beiden Seiten nicht mehr berührt. Das war zwar vielleicht gut für die Ruhe der Wöchnerin, aber im Uebrigen nicht gut. Zwischen Eheleuten erzeugen schwebende Fragen, bei denen von beiden Seiten Herzenswünsche in's Spiel kommen, so lange eine stille Spannung, bis sie zum Austrag gebracht sind.

Als aber die Wöchnerin wieder genesen war und der Tauftag herankam, mußte die Frage gelöst werden.

Die Frau begann in schmeichelndem Ton: »Also nicht wahr, Heinrich, wir taufen ihn Emil?«

Ebenfalls in sanftem Ton erwiderte der Herr Gemahl: »Das heißt, Du thust mir den Gefallen und gibst Deine Einwilligung für Wilhelm!«

»Aber was wird mein Bruder dazu sagen?« versetzt sie schon weniger schmeichelnd.

»Ach, dem ist's gleichgiltig!« erwidert er.

»Aber Emil ist doch solch ein schöner Name!« sagt sie etwas ungeduldig.

»Der langweiligste, den ich kenne!« platzt er heraus.

»So, der langweiligste? Und dein eigener Schwager heißt doch so!« versetzt sie empfindlich.

»Weib, sei gescheit,« brummt er, »wer kann denn für seinen Namen?«

»Natürlich!« sagt sie, und schon kommen die Thränen, »jetzt bin ich wieder nicht gescheit! Wir armen Weiber haben überhaupt gar keinen Verstand, wir verstehen von gar nichts etwas! Ihr Männer –«

»Das hab' ich ja gar nicht gesagt –«

»Freilich hast Du's! Und ist das etwa gescheiter, wenn Du so närrisch bist mit Deinem Kaiser, daß Du nicht einmal den kleinsten Wunsch Deiner Frau, und wenn er noch so berechtigt ist –«

»Ist der meinige vielleicht weniger berechtigt?«

»Ja, viel weniger! In aller Welt nennt man doch das Kind nach dem Pathen!«

»Ach was, in aller Welt! So sagt ihr Weiber immer! Warum soll man alle alten Basenbräuche mitmachen?«

»So, Basenbräuche? Also Deines Weibes Wünsche sind Basenbräuche?«

Und jetzt strömten bei ihr die Thränen. Der Herr Schultheiß aber konnte Thränen nicht leiden, weil er fürchtete, durch sie herumgebracht zu werden, er setzte ein böses Gesicht auf und sagte streng:

»Du verdrehst mir jedes Wort nach eurer Weiberart. Und jetzt streit' ich nicht länger, sondern thue als Hausherr einen Machtspruch: Der Bub heißt Wilhelm!«

Da zog die Frau das Taschentuch und gieng aus dem Zimmer und der Herr Schulheiß gieng wieder aufs Rathhaus.

Das war zum erstenmal, daß die Beiden so aneinander gerathen waren. Am andern Tag hätte Jedes gern nachgegeben, aber die Frau fühlte sich als mitleidwerthes mißhandeltes Geschöpf und sprach gar nichts mehr, der Herr Schultheiß hatte einen Machtspruch gethan und glaubte seiner Stellung als Herr des Hauses nichts vergeben zu dürfen – so wurde am dritten Tag der Bub getauft und bis auf diesen Tag heißt er Wilhelm.

Und der junge Reichsbürger Wilhelm Meintreu gedieh prächtig; er machte seiner Mutter wenig Nachtunruhe und viel Herzensfreude, und die Frau Schultheiß hatte ihrem Herzblättchen bald den Namen Wilhelm verziehen – seinem Vater auch. Ja noch mehr: weil der Bub Wilhelm hieß und der Kaiser auch, so bekam auch der Kaiser etwas ab von dem Uebermaß an Liebe, das die junge Frau auf ihren Erstgebornen häufte; und der Herr Schultheiß bemerkte eines Tages mit innerlichster Befriedigung:

»Fraule, nächstens schwärmst Du noch mehr für den Kaiser als ich!«

So vergieng ein Jahr und drüber, es gieng auf den Herbst und das Cannstatter Volksfest zu und mit Jubel vernahmen die Schwaben, daß ihnen zum erstenmal der Besuch ihres Kaisers in Aussicht stehe.

Es war aber abscheuliches Wetter in den ersten Septemberwochen, kalt und naß, und wer sich in der Augusthitze mit den Aussichten auf ein vorzügliches Weinle getröstet hatte, der begann ein langes Gesicht zu machen. Auch die gläubigsten Gläubigen, was Kaiserwetter angeht, erlaubten sich stille Zweifel, ob dies vielberühmte Wetter dem Kaiser bei seinem ersten Besuch im Schwabenland getreu bleiben werde.

Nur der Herr Schultheiß Meintreu blieb fest im Glauben. Eines Abends – draußen regnete es, was nur herunter mochte, und so kalt wars, daß die Frau Schultheiß auf Morgen den Hafner bestellt hatte, um den Ofen im Wohnzimmer herzurichten – der kleine Wilhelm war schon zu Bett gebracht und schlief drauf los, Frau Marie räumte das Tischzeug vom Nachtessen ab, und der Herr Schultheiß hatte nach dem Schwäbischen Merkur gegriffen –

»Marie,« sagte er aufblickend, »jetzt ists außer Zweifel, daß der Kaiser kommt, wahrscheinlich sogar kommt er zweimal und macht auch das Volksfest mit. Nun bin ich nur noch im Zweifel: soll ich nach Stuttgart gehen, wenn er zum erstenmal kommt, oder soll ich erst aufs Volksfest gehen? Zweimal kann ichs leider nicht mitmachen!«

Frau Marie hatte an diesem Tage viel Aerger gehabt. Sie hatte eine neueingetretene Magd, und mit der war sie nicht zufrieden. Auch ihr Mann selber war ihr etwas ungeschickt gekommen, weil ihm das Ofenputzen am nächsten Tag nicht geschickt war; und das hatte er, weil er geärgert vom Rathhaus kam, etwas mürrisch geäußert.

Das alles hatte der Herr Schultheiß in seiner Kaiserfreude natürlich längst wieder vergessen, aber Frau Marie hatte es nicht vergessen. Und da fiel ihr beim Abräumen des Tisches auch noch das kristallene Salzfaß, das sie von der Frau Pfarrerin zur Hochzeit bekommen hatte, auf den Boden und gieng reinlich entzwei – und das unglücklicherweise gerade, als ihr Mann mit seinen kaiserfreudigen Worten zu Ende war. Welcher einsichtige Ehemann wird sich wundern, wenn die Frau Schultheiß nach einigem Schweigen dem Herrn Gemahl zur Antwort gab:

»So! Also Du besinnst Dich, ob Du nicht zweimal dem Kaiser nachreisen sollest, ich aber darf hübsch zu Hause bleiben!«

Der Herr Schultheiß sah von seinem Schwäbischen Merkur auf und sagte mit erstauntem Gesicht:

»Daß ich den Kaiser sehen will, ist doch selbstverständlich! Daran hab' ich allerdings bis jetzt noch nicht gedacht, daß Du auch nach Stuttgart mitgehen könntest oder wolltest; Du sagst ja immer, Du könnest nicht weg von Deinem Kind!«

Frau Marie steht da, die beiden Theile des Salzfasses in der Hand, die genau zusammenpassen, aber eben entzwei sind.

»Das ist nett,« sagt sie, immer auf das zerbrochene Salzfaß blickend, »wirklich nett: daß er nach Stuttgart geht, ist selbstverständlich – an mich hat er noch gar nicht gedacht!«

»Fraule,« antwortet er gemüthlich und noch bei vollem Kaiserhumor, »sei nicht empfindlich! Ich sage Dir ja, warum ich nicht daran gedacht habe. Erinnere Dich nur, daß Du im vergangenen Frühjahr Dich nicht entschließen konntest, mit mir zur Beerdigung meiner Schwester zu reisen, weil Du sagtest, Du könnest das Kind rein keinem andern Menschen anvertrauen.«

»Das war damals!« erwidert Frau Marie, »jetzt ist der Bub anderthalb Jahre alt, und wenn die Base Sophie einige Tage ins Haus kommt, so ist das Kind gut versorgt.«

Jetzt runzelt der Herr Schultheiß die Stirn:

»Ach, geh mit der Base Sophie! Du weißt, daß ich der kein Kind anvertraue! Die pätschelt und hätschelt und rüttelt und schüttelt so ein armes Wurm, daß einem Wind und Weh wird, steckt sechsjährigen Kindern noch die albernen Schnuller in den Mund und verderbt einen Buben in drei Tagen in Grundserdsboden hinein!«

»Natürlich!« schmollt Frau Marie mit aufgeworfenen Lippen, »jetzt kommt wieder die Weisheit, die Dir der neue Doktor im Wirthshaus beibringt! Als ob wir Frauen nicht mehr von den Kindern verständen als zwanzig Doktoren! Und vollends eine so erfahrene Frau, wie die Base Sophie! Aber ich weiß schon: das ist nur eine Ausrede, Du willst mich eben nicht mitnehmen, Du möchtest allein sein, eine Frau hindert euch Männer nur auf Reisen –«

»Frau,« sagt der Herr Schultheiß und zupft am Schnurrbart wie immer, wenn er etwas innerlich niederkämpft, »sei nicht ungerecht! Du weißt wohl, wie gern ich Dich mitnehmen würde! Du bist heute eben einmal verstimmt –«

»Ja wohl!« sagt sie, »wenn der Herr Gemahl verstimmt ist, so sollen wir armen Weiber gehorsamst drüber weggehen, wenn aber einer armen Frau den ganzen Tag nichts als Aerger über den Weg läuft –«

»Fraule,« unterbricht er sie und zupft stärker am Schnurrbart, »sei vernünftig und laß Dir was sagen: Du gehst mit mir nach Stuttgart und –«

Frau Marie sah auf und ihr Gesicht erhellte sich:

»Und?«

»Und den Buben nehmen wir mit!«

Da verdunkelte sich ihr Gesicht wieder, sie sah wieder unverwandt auf ihr Salzfaß und sagte:

»Den Buben mitnehmen? Und was sonst noch? Wer wird denn mit einem so kleinen Kinde reisen?«

»Er ist anderthalb Jahr alt, wie Du vorhin selber bemerkt hast!«

»Uebrigens noch nicht ganz anderthalb Jahre! Und wenn ich mit dem Kind reisen soll, so habe ich doch nichts von der ganzen Reise –«

»Wir logiren in Stuttgart bei Onkel Philipp, wo Du ja wie zu Haus bist, und das Kindsmädchen nehmen wir auch mit!«

Frau Marie schwieg. Was der Herr Schultheiß geltend machte, mochte ihr doch nicht so übel einleuchten, die Reise war ihr zu verlockend, den Kaiser hätte sie auch gern gesehen. Aber sie war heute einmal verstimmt und zum Widerspruch geneigt, über die verschiedenen kleinen Schwierigkeiten, die eine Reise mit einem Kinde auf sich hat, kam sie nicht so rasch hinweg, das zerbrochene Salzfaß ärgerte sie, die vermeintliche Rücksichtslosigkeit ihres Mannes ebenso und seine wenig respektvollen Bemerkungen über die Base Sophie nicht minder. Daß sie selbst unbillig und übertrieben gereizt gewesen war, sah sie im Stillen ein – denn sie war eine gescheite Frau – aber gerade das ärgerte sie doppelt und dreifach, und welches Weib wird unter solchen Umständen so rasch nachgeben?

»Ach, wir können überhaupt zu Hause bleiben,« bemerkte sie endlich, »bei diesem Wetter ist keine Rede von einer Reise, vollends mit einem Kinde!«

»Das Wetter,« erwiderte der Herr Schultheiß, »kann sich noch lange ändern und wird sich jedenfalls ändern!«

»So, weißt Du das gewiß?« sagt sie, schon wieder etwas gereizt.

»Allerdings! Es gibt Kaiserwetter wie immer!«

Frau Marie versucht zu lachen:

»Kaiserwetter! Das ist solch ein Aberglaube von euch Männern!«

»Wenn das der schlimmste Aberglaube wäre –«

»Ja, ich weiß wohl, was Du sagen willst: wir Weiber stecken immer voll von Aberglauben, gelt? Bei euch Männern ist das natürlich etwas anders! Aber wir stecken voll von Aberglauben! Wenn wir glauben, was alle vernünftigen Leute von jeher geglaubt haben, dann ists Aberglaube! Und wenn wir bei einer alten guten Sitte bleiben wollen, so redet Ihr von Basenbräuchen wie voriges Jahr –«

Jetzt fährt der Herr Schultheiß auf:

»Frau, wärme nicht alten Kohl auf und ärgere mich nicht noch zum Schluß!«

»So! Alten Kohl? Und nicht ärgern soll ich Dich, wenn ich auch etwas sagen will? Nun ja, ich kann ja schweigen! Du kannst ja wieder einen Machtspruch thun wie damals, als –«

Sie brach ab. Sie merkte, daß sie zu weit gegangen war, sie hätte gern ihre Worte zurückgenommen, aber es war zu spät.

Der Herr Schultheiß war aufgestanden und hatte den Merkur weggeworfen.

»Gut!« sagte er, »so will ich wieder einen Machtspruch thun: Du gehst mit nach Stuttgart sammt dem Kinde, und ich erwarte, daß Du vernünftig wirst. Kaiserwetter gibts jedenfalls!«

Hätte er doch das Wort »vernünftig« weggelassen und nicht abermals das Kaiserwetter draufgesetzt! Das reizte wieder allen Trotz seiner Frau und sie erwiderte:

»Gut! Ich gehorche als Frau! Aber wenns zehnmal Kaiserwetter gibt, bei mir bleibts schlecht Wetter!«

Da gieng der Herr Schultheiß hinaus und schlug die Thüre zu.

's ist ein närrisches Ding um zwei junge Eheleute, häufig um so närrischer, je lieber sie sich im Grund haben. Und mein Vetter Junggeselle hat nicht so ganz Unrecht mit seiner Behauptung, daß Eheleute, wenn sie einmal im geringsten uneins seien, gewöhnlich das Verkehrteste sagen und thun, was sie überhaupt unter diesen Umständen thun und sagen können. Ein einziges Wort anders gesagt, einen einzigen Trumpf weggelassen, ein klein wenig den Ton geändert – und alles wäre im Blei! – Ja Vetter, Du hast gut reden!

So war eben der Karren wieder verführt. Zwar beim Herrn Schultheiß siegte sofort am nächsten Tage wieder die Kaiserfreude und seine angeborene Gutmüthigkeit, er versuchte freundlich gegen seine Frau zu sein, und sie ihrerseits war über den thatsächlichen Inhalt des eheherrlichen Machtspruches, über die Reiseaussichten im Stillen gar nicht so ungehalten und rüstete mit weiblicher Gewandtheit unter der Hand all die kleinen und kleinsten Reisebedürfnisse. Aber daß er die Thüre zugeschlagen hatte, das war doch unverzeihlich; und der Eigensinn und die Gewaltthätigkeit der Männer sind nicht so rasch zu verwinden; und daß er jetzt wieder that, als ob nichts vorgefallen wäre, da er doch eigentlich wohl hätte um Verzeihung bitten dürfen, das war ganz unbegreiflich; und das Kaiserwetter wollte immer nicht kommen. So bliebs bei Frau Marie trotz einzelner Sonnenblicke im Grund schlecht Wetter, und auch der Herr Gemahl wurde zeitweilig wieder etwas verschnupft.

Endlich, einige Tage vor der Ankunft des Kaisers, reisten sie ab, Mann, Weib, Kind und Magd. Es regnete immer noch, Frau Marie war schweigsam und trug die verschiedenen Reiseunannehmlichkeiten nicht immer mit allerchristlichster Geduld und Sanftmuth. Auch der Herr Schultheiß war anfangs nicht so rosig gelaunt, wie ers wohl unter andern Umständen auf seiner Kaiserreise gewesen wäre. Als er aber bald den, bald jenen Collegen und Bekannten traf, war er rasch wieder der Alte, vergnügt und aufgeräumt, und als er gar, einige Stationen vor Stuttgart, mit dem Herrn Oberamtmann zusammentraf und dieser so liebenswürdig und verbindlich war, wie er es freilich einem so vortrefflichen Schultheißen gegenüber kaum weniger sein konnte – da hatte der Herr Schultheiß all seine gute Laune wieder gefunden.

Das paßte nun aber der Frau Marie nicht so ganz in den Kram. Je länger, desto weniger konnte sie aus ihrer Verstimmung herauskommen, und das Einzige, woran ihr hübsches Trotzköpfchen sich erfreute, war: daß das Wetter immer nicht besser werden wollte! So behielt sie doch am Ende wenigstens in diesem Stück Recht, und das war ein Trost, wenns auch unangenehm war.

In Stuttgart waren die Vorbereitungen zum Empfang des Kaisers schon in vollem Gang. Ehrenpforten und Häuserdekorationen wurden gerüstet, die Flaggen vom Jahre 1870 wurden hervorgeholt, ausgebessert und neue angeschafft, Fackeln zum Fackelzug wurden gepecht, und der Herr Schultheiß besann sich, ob wohl der Herr Oberbürgermeister seine Rede schon fertig habe, und dachte sichs recht schön aus, was er selbst etwa sagen würde, wenn er Oberbürgermeister wäre.

Und siehe da! Zwei Tage, ehe der Kaiser kam, hellte sich der Himmel auf und am andern Tag wars richtig das prächtigste Kaiserwetter.

Der Herr Schultheiß schmunzelte. In seiner Unschuld war er überzeugt, sobald nur der Himmel ein anderes Gesicht zeige, werde auch bei seiner Frau nach und nach der Sonnenschein sich wieder einstellen. Und als nun der Himmel so recht schön blau war, da trat der Herr Schultheiß, von einem Gang durch die Stadt zurückkehrend, zu seiner schmollenden Ehliebsten:

»Guck, Fraule,« sagte er freundlich und fröhlich, »habe ichs nicht gewußt? Jetzt haben wir ja das schönste Kaiserwetter!«

Frau Marie war schon im Begriff gewesen, sanftere Saiten aufzuziehen. Es war doch so hübsch in Stuttgart, es gab so manches zu sehen, man traf Verwandte und Bekannte vom ganzen Land, und der kleine Wilhelm machte gar keine besondere Schwierigkeiten und Unannehmlichkeiten. Wie sollte da nicht die gute Laune nach und nach wiederkehren?

Aber jetzt kam der Mann wieder mit seinem Kaiserwetter aufgefahren, jetzt steifte er sich noch drauf, daß er Recht gehabt habe – was halfs, daß ers im freundlichsten und gemüthlichsten Tone that? Frau Marie hörte nur das heraus, was den halberloschenen Trotz wieder anzufachen geeignet war, und spitzig antwortete sie:

»Ich habe Dir gesagt: und wenns zehnmal Kaiserwetter gibt, bei mir bleibts schlecht Wetter!«

Der Herr Schultheiß antwortete nichts und gieng. Er war nicht erzürnt, sondern es that ihm weh, daß seine Frau ihn so zurückgewiesen hatte. Daß sie den Handel so weit treiben werde, hätte er doch nicht gedacht. Es that ihm weh, und in solcher Stimmung spricht man nicht mehr viel.

Frau Marie fühlte das und jetzt hätte sie vielleicht eingelenkt, wenn sie Gelegenheit dazu gefunden hätte: aber ihr Mann vermied es geflissentlich, mit ihr unter vier Augen zu reden, er war überhaupt wenig für sie zu sehen, besorgte Geschäfte in Stuttgart und war mit Freunden zusammen. Und es war, wie wenn alles sich gegen Frau Marie verschworen hätte: wo sie gieng und stand, mußte sie vom Kaiserwetter hören – sie wünschte wieder zu Hause zu sein und hätte weinen mögen vor Aerger über das Kaiserwetter, über alle Welt und ihren Mann und wohl auch über sich selbst.

Schon mehrere Stunden, ehe der Kaiser ankam, drängten sich in den Straßen Stuttgarts, durch die er fahren sollte, Tausende und aber Tausende, alle bestrebt, den richtigen Platz zu finden, von wo aus der Kaiser am besten gesehen werden könne. Auch der Herr Schultheiß wollte sich bei Zeiten auf den Weg machen, aber Frau Marie zögerte. Zuerst weigerte sie sich, den kleinen Wilhelm in das Gedränge mitzunehmen, aber ihr Mann bestand kurz und bündig darauf, der Kleine müsse den Kaiser sehen. Zudem sollte die Wohnung der Verwandten geschlossen werden, da niemand heute zu Hause bleiben wollte – wo also den Buben lassen? Mühsam hielt Frau Marie die Thränen zurück und hatte alles mögliche noch zu besorgen, an des Kindes und ihrem eigenen Anzug zurecht zu machen, bis endlich abmarschirt wurde.

Unter den Säulen des Königsbaues war endlich ein Platz gefunden, von wo aus der Kaiser gesehen werden konnte. Der Herr Schultheiß hätte sich gerne auf die Straße hinunter in die vorderen Reihen der Spaliere gemacht, aber Frau Marie erklärte, keinen Schritt weiter gehen zu wollen.

Auf dem Fuß einer der Säulen stand ein alter Bauer mit Dreispitz und gelben Lederhosen. Mühsam war er auf diese erhabene Stelle hinaufgeklettert und hielt sich droben im Gleichgewicht. Ein Polizeimann forderte ihn auf, diesen Platz zu verlassen, er aber erklärte trocken, er sei über sechs Stunden weit hiehergekommen, um den Kaiser und den Kronprinzen zu sehen, wenn er diese gesehen habe, werde er schon wieder herunterkommen, früher nicht. Er schloß seine Rede mit vier derben, aber inhaltschweren Worten, welche in der feineren Welt höchstens als Citat aus Goethes Götz von Berlichingen sich noch einiger Duldung erfreuen.

Ringsum war große Heiterkeit und auch die Polizei verstand Spaß, nur Frau Marie verstand keinen, als sie sich in der Nähe jener Säule aufpflanzte und ihrem Eheherrn erklärte, sie gehe keinen Schritt mehr von der Stelle.

Der Bauer droben mußte das gehört haben.

»So isch reacht! No' fescht na'gstanda'!« rief er herunter und lachte. Die Umstehenden lachten abermals, Frau Marie zerdrückte einige Thränen und der Herr Schultheiß biß sich auf die Lippen.

Es wurde sehr ungemüthlich.

Da auf einmal begannen alle Glocken der Stadt zu läuten, vom Bahnhof her brauste tausendstimmiges Hoch und Hurrah – der Kaiser war dort in den Wagen gestiegen.

Unruhige Bewegung kam in die versammelte Menge, alle Köpfe reckten sich höher, immer näher kamen die Hoch- und Hurrahrufe.

Dem Herrn Schultheißen fuhrs durch alle Glieder. Hatte er nicht schon vor 1870 zur deutschen Partei gehört? Hatte er nicht der Aufrichtung des neuen Reiches aus begeistertem Herzen zugejubelt? Wars nicht diese sechs Jahre her sein sehnlichster Wunsch gewesen, den Kaiser einmal zu sehen? Hatte er nicht seinen Stammhalter dem Kaiser zu Ehren Wilhelm genannt, trotzdem daß er darüber den ersten Streit mit seiner Frau bekam? Hatte er sich nicht auf diese Stunde gefreut als auf die glücklichste seines Lebens? Und jetzt sollte er sich diese Stunde verbittern lassen durch dumme Streitereien und Empfindlichkeiten, die im Grund eigentlich gar keinen vernünftigen Sinn hatten und nicht der Rede werth waren? Nein, jetzt erst recht nicht!

Ein plötzlicher Gedanke schoß ihm durch den Kopf. Er nahm der Magd den kleinen Wilhelm ab, drückte ihm einen kleinen Veilchenstrauß in die Hand, den er bei sich trug, weil ihn Frau Marie verschmäht hatte, und ehe dieselbe Einsprache erheben konnte, drängte er sich an einer Stelle, wo die Menge weniger dicht stand, hindurch auf die Straße hinunter, den vordersten Reihen zu.

Wie er durchgekommen sei, wisse er selbst nicht, sagte er nachher, vielleicht haben die Leute in der Ueberraschung seinem prächtigen Buben Platz gemacht – kurz, als der Kaiser mit dem König langsam, im Schritt angefahren kam, stand der Herr Schultheiß und Verwaltungsaktuar Meintreu von Dingsdahinten im Schwarzwald in der vordersten Reihe, hob mit beiden Armen den kleinen Wilhelm weit hinaus dem Kaiser entgegen und schrie Hurrah und Hoch aus Leibeskräften. Der Bub zappelte mit Armen und Füßen, und wie wenn er die Wichtigkeit des Augenblicks begriffe, warf er seinen Veilchenstrauß nach dem kaiserlichen Wagen. Der Strauß erreichte freilich den Wagen nicht, aber der Kaiser bemerkte seinen kleinen Namensvetter, er nickte freundlich und winkte mit der Hand.

Frau Marie stand droben bei der Säule und sah herunter. Sie hatte Angst um ihr Herzblättchen, sie war außer sich über ihren Mann, sie schämte sich über ihr kindisches Benehmen, sie hob sich auf den Zehen, um den Kaiser zu sehen, sie schwenkte unwillkürlich ihr Taschentuch, und als der Kaiser das Kind grüßte, da verschlang der Mutterstolz alles andere, was in ihrem Trotzköpfchen durcheinander wirbelte.

»Descht nett! Ghört des Kend Uich, Frau?« sagte der Bauer zu ihren Häupten, und Frau Marie lachte seit vielen Tagen zum erstenmal.

Und der Kaiser fuhr weiter, und der Kronprinz fuhr vorbei und der Moltke und die andern hohen Herrschaften, und des Jubels war kein Ende.

Als aber das Volksgedränge sich auflöste, da konnte der Herr Schultheiß seine Frau nicht wieder erreichen, er verlor sie ganz aus den Augen und wandte sich dem Hause des Onkels zu.

Als er ins Zimmer trat, kam ihm Frau Marie entgegen, sie bot ihm die Hand und sagte:

»Verzeihst Du mir?«

»Da, frag' den Buben!« antwortete er mit strahlendem Gesicht.

Und Frau Marie nahm den Buben und küßte ihn und dann hieng sie ihrem Mann am Hals.

»Fraule,« sagte er, »was für Wetter ist jetzt bei Dir?«

»Kaiserwetter!« erwiderte Frau Marie.


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