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Der Herzog Ulrich von Wirtemberg war, wie jedermann bekannt, ein gewaltiger Jäger. Schon mit dreizehn Jahren fing er ein Wildschwein und mit zwanzig Jahren erlegte er das Hauptschwein von sieben Fuß Länge und fünf Fuß Höhe, dessen Bildniß im Rittersaal zu Urach zu sehen ist; jenes erst genannte wurde den Schweizern, zur Bekräftigung neugeschlossener Freundschaft zwischen den Eidgenossen und Wirtemberg, übersandt.
Seine Unterthanen freilich hatten nicht dieselbe Freude an diesem Jagdvergnügen wie der junge Herzog. Zwar daß er ein kräftiger und unerschrockener Herr war, gefiel den tapfern Schwaben wohl, und wenn er auch nur auf der Schweinsjagd einem treibenden Bäuerlein ein leutseliges lustiges Wort sagte, so war manches wieder über diesem Wort vergessen. Aber wenn die Sauen und anderes Wild die Felder und Weinberge verwüsteten, wenns bei den großen Hofjagden nicht gar schonend für Zeit und Eigenthum der Unterthanen zuging, so sah der Bauer und Weingärtner um so saurer dazu, je strenger es ihm selbst verboten war, zu jagen und zu fischen. Es glaubten freilich viele, der Herzog selber meine es nicht so schlimm, er würde gern hie und da einmal ein Auge zudrücken und einem armen Bäuerlein ein Häslein oder auch ein Schmalthier gönnen, vielleicht auch in den Fasten eine Forelle; aber die Vögte und Förster seien die Schlimmen und führen des Herzogs Gebote und Verbote härter aus, als dem Herzog lieb wäre, wenn er alles so genau wüßte.
Hatte aber der Herzog seine Freude an Jagd und Wild, so waren auch die geistlichen und weltlichen Herrn im Land in diesem Stück nicht spröd. So zum Exempel der Abt von Lorch im Remsthal war zwar kein großer Jäger vor dem Herrn – daran hinderte ihn schon seines Bäuchleins Rundung und sein gar ruhig Temperament – aber er hielt etwas auf einen guten Bissen Wildpret und Fisch und war der Meinung, daß für einen Bauernmagen solche Dinge gar nicht taugen. Darum nahmens auch der Lorcher Klostervogt und Klosterförster sehr streng mit Wildfreveln und der Klostervogt hatte überdem die Eigenthümlichkeit, daß er nie gern Einen wieder springen ließ, dem er einmal Kost und Wohnung (beides war darnach!) im Thurme angewiesen hatte. Wer übrigens recht wohl bei ihm dran war, den that er gar nicht in den Thurm hinein und sparte sich damit die Selbstverleugnung, ihn wieder herauszulassen.
Zu denen, die wohl dran bei dein Vogte waren, gehörte aber der kräftige Bursche nur auch gar nicht, der an einem schönen Januarmorgen des Jahres 1514 vor Sonnenaufgang im Klosterwald zwei magere Häslein aus den Schlingen löste, die er selber ihnen gelegt hatte. Es war bitter kalt und Konrad Pfander hatte es sehr eilig, die halberfrorenen Thierlein loszumachen. Leider überhörte er in der Eile und weil er im Wilderergeschäft nicht sehr erfahren war, die Schritte, die plötzlich hinter ihm auf dem gefrorenen Schnee knisterten, und als er etwas Verdächtiges merkte, hatte ihn schon des Klosterförsters Knecht von hinten am Kragen. Zwar sprang Konrad mit einem kräftigen Ruck auf und drückte den Knecht rückwärts an eine Tanne, daß diesem alle Rippen krachten, aber da stand vor ihm der Klosterförster selbst und hielt ihm den Sauspieß vor.
»Wenn Du muckst, stech ich Dich durch und durch!« sagte der Förster ruhig und fuhr fort: »Haben wir Dich endlich, Mändle? So, Du bist also der Hallunke, den wir schon lange vergeblich suchen? Wart Mändle, der Sechszehnender wird Dir theuer kommen!«
»Sechszehnender?« sagte nun Konrad, der stillgehalten und den Förster auch seinerseits ruhig angeschaut hatte. »Seit wann verwechselt ein waidgerechter Förster einen Sechszehnender und ein armes Häslein?« Er lächelte spöttisch dazu.
Der Förster sagte barsch: »Werd' nicht frech, Konrad! Gesteh lieber gleich, daß Du den Sechszehnender vorgestern so gut gemaust hast, wie heut die Häslein!«
»Müßt' lügen, wenn ichs gestehen wollt'!« erwiderte Konrad.
»Willst etwa behaupten, daß Du zum erstenmal am Wildern seist?« fragte der Förster, schon etwas weniger rauh; doch hielt er noch immer den Sauspieß vor.
»Grad das will ich behaupten!« war Konrads Antwort, und während ihm eine Röthe in die Wangen schoß, fügte er bei: »meine Mutter hat die Gicht und die Bas hat gesagt, ein frischer Hasenbalg um jeden Fuß sei das Beste für die Gicht!«
»Also stiehlt man Klosterhasen?« frug der Förster.
»Ich hab' in der Klosterküche um zwei frischabgezogene Bälge gebeten, aber eh ich vom Bruder Küchenmeister eine Antwort hatte, kam grad der Klostervogt herein und wies mich so gröblich mit Fluchen und Drohen davon, daß ich dachte: bittst nimmer!«
»Sondern stiehlst!« sagte der Förster. Konrad schwieg trotzig. Der Förster sah ihn an, wie er so dastand, ein Bild kräftiger ehrlicher Jugend, von dem ersten Sonnenstrahl beschienen, der eben durch die verschneiten Tannen drang. Ein weicher Zug ging um des Försters Mund, er ließ den Spieß ein wenig sinken und fragte: »Hättst nicht mich bitten können, Konrad?«
»Wär' vielleicht gescheidter gewesen!« war des Burschen Antwort. »Aber man fürcht't halt auch Euch!«
»Weil ich streng bin im Dienst?« sagte der Förster wieder rauher. »Das muß sein! Aber hab' ich drum jemals einem armen Teufel ein Hasenbälglein verweigert, wenn er säuberlich drum gebeten hat?«
Konrad schwieg abermals. Der Förster stieß den Spieß auf den Boden, strich sich mit der Linken den Reif aus dem grauen Bart und sagte: »Konrad, Du dauerst mich! Aber ich kann Dir nicht helfen. Geh jetzt gutwillig mit! Wehren hilft doch nichts, Einer gegen Zwei!«
»Mitgehen? Wohin?« frug Konrad.
»Frag nicht so dumm! Zum Vogt!«
»Oha!« rief Konrad, und der Forstknecht, der sich, ohne ihn mehr zu halten, an seine Seite gestellt hatte, flog von einem kräftigen Stoß getroffen zur Seite; schon griff Konrad nach des Försters Spieß, aber dieser sprang rasch drei Schritte zurück und der Spieß saß auf Konrads Brust. Schnell war auch der Knecht wieder zur Stelle und nach kurzem Ringen waren dem waffenlosen Burschen die Hände mit einem Strick auf den Rücken gebunden. Als er vor seinen Ueberwindern her waldabwärts schritt, sagte der Förster: »Konrad, jetzt dauerst Du mich noch mehr! Warum bist Du nicht gutwillig mitgegangen?«
Konrad knirschte mit den Zähnen. »Zum Vogt!« murmelte er grimmig und seine Augen rollten.
Als sie ihn durch Lorch führten, trat aus einem der letzten Häuser gegen den Klosterberg hin ein schlankgewachsenes Mädchen, trotz der frühen Morgenstunde sorgfältig gekleidet, die vollen braunen Haare sauber gezöpft, eine Wassergölte leicht in die linke Hüfte gestemmt. Als sie den gebundenen Konrad erblickte, hielt sie erschreckt den Schritt an.
»Schau her,« rief Konrad dem Mädchen zu, »jetzt hat mich der Vogt in der Hand! Sags Deinem Vater und sieh nach meiner alten Mutter!«
»Konrad, was hast Du gethan?« rief das Mädchen.
»Still! Vorwärts!« sagte der Förster. »Da hilft jetzt kein Reden mehr!«
Der Vater des Mädchens, das Konrad auf seinem sauren Gang angerufen hatte, war der alte Hans Werner, ein mäßiges Bäuerlein, nicht reich aber auch nicht ganz arm. Dieses Bäuerlein aber war manchem gelehrten Herrn in Stuttgart und Tübingen nicht unbekannt. Er war ein sonderbarer Heiliger, wie solche auf Remsthälerboden zuweilen wachsen; er konnte lesen, was dazumal bei einem Bauern ein selten und verwunderlich Ding war. Sein bester Schatz, den er im Hause hatte und wie seinen Augapfel hütete, war ein zerrissenes, abgegriffenes, schlechtgedrucktes Buch, eine Verdeutschung der Bibel – nicht die von Luther, denn man schrieb ja erst 1514 – sondern eine andere Uebersetzung, unbeholfen und voll von Fehlern. Niemand wußte, woher er das Buch hatte, er zeigte es auch nur ganz guten Freunden; in jungen Jahren war er in fremden Kriegsdiensten und dann sonst in der Welt herum gewesen; als er heimkam und dann heirathete, brachte er das Buch und die Kunst des Lesens nebst zwei Gulden in die Ehe. Sein Weib brachte einige Aeckerlein mit, starb aber bald nach der Geburt eines Mädchens, das Elisabeth getauft wurde.
Des alten Hans höchste Freude war, mit geistlichen und sonst gelehrten Herrn zu disputiren. Der Lorcher Abt war kein allzu gelehrter Herr und es war ihm schon etlichmal begegnet, daß Hans Werner besser als er gewußt hatte, wo etwas in der Bibel stehe. Das verdroß allemal den Abt, aber weil er ein runder und wohlgenährter Mann von ruhiger Gemüthsart war, trug ers nie lange nach und Hans Werner war nicht schlecht bei ihm angeschrieben. Andere Pfaffen waren ihm mehr feind und sie hatten ihm schon gedroht, daß man mit ihm als einem Ketzer handeln und ihm sein anmaßlich Predigen unter den Bauern noch entleiden werde. Doch unternahm man nichts Ernstliches gegen ihn, denn auch in Stuttgart und Tübingen hatte er seine Gönner. Zwar lachten die Doktoren und Pröbste in den beiden Hauptstädten des Landes über das Remsthäler Bäuerlein, aber doch nahmen sie ihn nicht ungütig auf, wenn er zuweilen zu geschäftsloser Winterszeit nach Stuttgart oder Tübingen aufs Disputiren auszog. Ja der Stiftsprobst Vergenhans in Stuttgart hatte ihm das letztemal gesagt, wenn er wiederkomme, müsse er auch ins Schloß und mit dem Herzog disputiren.
Hans Werners Tochter Lisbeth war ein schönes kräftiges Bauernmädchen und der Konrad Pfander war ihr Schatz. Konrad war einer armen Witwe einziger Sohn, aber er war ein fleißiger, ehrbarer, gesunder Bursch, der sich und seine Mutter redlich durchbrachte. Darum sah der alte Werner seine Armuth nicht an und hatte im Sinn, auf den kommenden Herbst ihm die Lisbeth zum Weibe zu geben. Nun war aber der Klostervogt ein schlechter Mensch, der nicht viel nach Zucht und Sitte fragte, und die schmucke Lisbeth hatte ihm längst in die Augen gestochen. Weil Konrad ihr erklärter Schatz war, gehörte dieser nicht zu des Vogtes Lieblingen, und seit einem Vierteljahr war der Vogt ihm vollends bitter feind. Damals hatte der alte Sünder eines Abends die Lisbeth am Klostersteig gestellt und mit gar nicht säubern Worten beleidigt. Das Mädchen war eiligst davongelaufen, Konrad Pfander aber war gerade des Wegs gekommen und hatte dem Vogt genau das gesagt, was ihm gehörte. Der Vogt hatte nur gesagt: »Konze, wir sprechen uns noch, sei's auch in Jahr und Tag!« und war davongegangen. Das aber war der Grund, warum dem Konrad nichts Gutes ahnte, als ihn der Förster über den Häslein erwischt hatte und vor den Vogt führte.
Als Lisbeth mit ihrer schlimmen Nachricht in die Stube zu ihrem Vater kam, saß dieser gerade über seiner Bibel und las im Buche des Propheten Hesekiel.
»Was sagst Du, Mädle?« fragte er aufschauend.
»Den Konrad Pfander haben sie gebunden zum Vogt geführt –«
»Warum, wer?«
»Warum, weiß ich nicht! Der Förster und sein Knecht haben ihn gebracht –«
»Da wird sichs also um ein Wildern handeln! Na, das ist schlimm, aber nichts Unehrliches, und den Kopf wirds auch nicht kosten!«
»Aber der Vogt!« brachte das Mädchen, mit Thränen kämpfend, heraus.
»Der Vogt ist auch ein Mensch und hat noch Höhere über sich! Jetzt laß das Heulen, Lisbeth, geh zuerst zu der alten Pfanderin und sorg', daß ihr nichts abgeht. Nachher seh'n wir weiter, was zu thun ist!«
Während das Mädchen mit schwerem Herzen gehorchte, beugte sich der Alte wieder über seine Bibel und las das vierunddreißigste Kapitel des Propheten zu Ende. Dann las er die erste Hälfte des Kapitels noch einmal, klappte das Buch bedächtig zu und verwahrte es im Schranke. Aus dem Schranke aber nahm er sein Sonntagswamms und die Fuchspelzmütze und machte sich auf den Weg nach dem Kloster. Zuerst ging er zum Klosterförster und fragte nach Konrad und dessen Vergehen. Der Förster war nicht unfreundlich, er meinte, die Sache hätte gnädiger ablaufen können, wenn Konrad sich nicht zur Wehre gesetzt hätte, berichtete aber des Weiteren, daß der Vogt den Burschen zunächst ohne Verhör habe einthürmen lassen.
»Das sieht nicht gut aus!« murmelte Hans Werner und machte sich auf den Weg nach dem Abtshause; er wollte bei dem Abt selbst eine Fürbitte einlegen, wurde aber wegen der frühen Stunde nicht angenommen. Nun ging er kurz entschlossen nach der Wohnung des Vogtes, und während er vor dessen Thüre warten mußte, wiederholte er sich im Gedächtniß den Anfang des vierunddreißigsten Kapitels des Propheten Hesekiel. Es dauerte eine Weile, aber endlich ward er doch vorgelassen.
Der Vogt war noch nicht lange aufgestanden. In einen warmen Pelz gehüllt saß er bei seinem Frühstück, bei dem ein Krug Wein nicht fehlte. Er schien guter Laune – wohl eben, weil er den Konrad Pfander glücklich hinter Schloß und Riegel hatte. Er fragte den Bauern, der mit der Mütze in der Hand an der Thüre stand, herablassend nach seinem Begehren.
Da räusperte sich Hans Werner und begann mit salbungsvollem Tone: »Also spricht der Herr, Herr –«
»Will nicht wissen, was der Herr spricht!« unterbrach ihn der Vogt grob, »das kann mir der Predigtpfaff sagen, wenn ichs wissen will!«
Aber Hans ließ sich nicht irre machen; mit erhobener Stimme fuhr er fort in den Worten des Propheten: »Weh über die Hirten, die sich selber weiden! Die Hirten sollen die Heerden weiden –«
Der Vogt begann zu lachen: »Sonst weißt Du nichts, Hans? Das braucht mir kein Pfaff und kein Prophet zu sagen, noch weniger ein Bauer! Sag Du mir lieber: was macht Deine schöne Lisbeth?«
Abermals fuhr Hans fort: »Aber ihr fresset das Fett und machet euch Kleider aus der Wolle und schlachtet, was mast ist! Aber die Schafe weiden wollet ihr nicht!«
»Nein, ins Henkers Namen!« rief der Vogt, »das wollen wir nicht, dieweil wir keine Schafknechte sind! – Und jetzt, Bauer,« fuhr er drohender fort, »laß Dein Predigen und sag Dein Begehr, sonst –«
Doch hartnäckig entgegnete Hans wieder: »Aber so spricht der Herr: ich will meine Schafe retten aus eurem Maul, daß ihr sie nicht mehr fressen sollt!«
Jetzt stieß der Vogt seinen Weinkrug auf den Tisch und mit einem Fluche sagte er: »Hans, Hans! Hüt Dein loses Narrenmaul! Es möcht' Dir sonst einmal bös darüber gewischt werden! Sag Dein wahrhaftig Begehren oder scheer Dich zum Teufel!«
Hans erwiderte: »Was ich in ziemender Ehrfurcht begehre, Herr Vogt, das ist: Ihr möget in christlicher Beherzigung göttlichen Willens, so der Herr durch Mosen und die Propheten –«
»Sollst Dein Predigen lassen, Du Bärenhäuter!« schrie der Vogt sich erhebend und griff nach einer Hetzpeitsche. Doch er warf sie wieder weg, und mit saurem Lachen sagte er: »Meinthalb, red' weiter! Was befiehlt mir der Herr durch seinen Knecht Hans?«
»Daß Ihr richten sollt mit Gerechtigkeit!« sagte der Alte fest und zuversichtlich; aber mit demüthigerem Tone fuhr er fort: »und so wollt ich in Gottes Namen um ein gerechtes und gnädiges Urtheil gebeten haben für –«
»Für wen?« fragte der Vogt mit mißtrauischem Blick.
»Für den Konrad Pfander!« vollendete Hans.
Der Vogt lachte höhnisch auf: »So, so! Das ist der Predigt Schluß! Geh heim, Hans, und laß Dir Spinnen braten! Der Konrad kann verfaulen im Loch, eh er wieder herauskommt, der Wilderer, der Strauchdieb, der Fleischbösewicht, der Mordhund –« – eine wahre Fluth von Schimpfwörtern entquoll dem Munde des immer wüthender werdenden Vogtes.
Hans stand ruhig und ließ den Grimmigen sich austoben. Als der Vogt zur Erholung wieder nach seinem Weinkrug griff, sagte er: »Herr Vogt, obschon ich ein arm Bäuerlein bin und nur einen groben Kittel anhab' –«
Jetzt aber wars mit des Vogtes Geduld zu Ende; er schrie: »Und wenn Du in des Herzogs Rock gegangen kämst, so sollts dem Konrad nicht helfen! Und wenn Du unsers Herrgotts Rock selber anhättest, möchts noch seine Hacken haben! Und jetzt hinaus, Du grober unverschämter Bauernkegel, sonst setz' ich auch Dich ins Loch, bis Du schwarz wirst!«
Er griff wieder nach der Peitsche und Hans Werner sah ein, daß es höchste Zeit sei, den Rückzug anzutreten. Aber ein eigenthümlich schlaues Lächeln ging um seinen Mund, als er sich davon machte, und er murmelte vor sich hin: »unsers Herrgotts Rock!«
Bei dem Abt ein gutes Wort einzulegen, versuchte Hans Werner jetzt nicht mehr. Aber am darauffolgenden Sonntag, lange vor Tagesanbruch machte er sich auf den Weg nach Stuttgart. Er schritt rüstig aus an seinem Stecken und gegen Mittag hatte er die Hauptstadt erreicht. Nachdem er sich in einer Herberge ein wenig gestärkt hatte, ging er ohne Verzug nach dem Hause des Stiftsprobstes Dr. Ludwig Vergenhans. Die Magd, welche ihm die Thüre öffnete und ihn wohl kannte, sagte ihm, der Probst sei nach dem Schlosse zur herzoglichen Tafel gegangen.
»Ist auch so recht!« sagte Hans Werner und machte sich gleichfalls auf den Weg nach dem Schlosse.
Herzog Ulrich saß zu Tische mit etlichen seiner Räthe und Hofbeamten, dazu mit einigen gelehrten Professoren von Tübingen. Obschon Ulrich selbst nicht so viel auf die Gelehrsamkeit hielt wie weiland Herzog Eberhard im Bart, der die Tübinger Hochschule gestiftet, so liebte er es doch, den Glanz seines fürstlichen Hofes durch gelehrte Männer zu erhöhen. Nun war vor kurzem ein neuer Stern an der Tübinger Hochschule aufgegangen; das war der junge Philipp Melanchthon, ein Neffe des berühmten Dr. Johannes Reuchlin, damals kaiserlichen und herzoglichen Rathes zu Stuttgart. Diesen jungen Magister Melanchthon hatte der Herzog auf diesen Tag mit Dr. Reuchlin zur Tafel gezogen, dazu zwei andere Tübinger Professoren, Heinrich Bebel und Johannes Stöffler, sowie den Stiftsprobst Vergenhans. Außerdem saßen an der Tafel der herzogliche Kanzler Dr. Gregorius Lamparter, der Erbmarschall Konrad von Thumb, dessen Schwiegersohn der herzogliche Stallmeister Hans von Hutten, Ulrichs Liebling – und andere Herren mehr.
Der Herzog war aufgeräumt und guter Laune, wie meist bei Tisch; er verstand es, zu guter Stunde die Sorgen zu verscheuchen, und ließ den Becher oftmals herumgehen.
Als man nächstens abgespeist hatte, trat einer der Edelknaben, die den Hofdienst an der Tafel verrichteten, hinter den Stuhl des Probstes Bergenhans und sagte ihm leise einige Worte. Der Probst lachte und der Herzog, der es bemerkte, fragte, was es Fröhliches gebe. Der Probst erwiderte: vor dem Schloßthore stehe ein Bauer und wolle sich nicht abtreiben lassen; es sei derselbe Hans Werner, von welchem er, der Probst, seiner herzoglichen Gnaden schon einmal berichtet habe, daß er ein närrischer Weiser sei und in der Bibel sowie in manch andern Dingen wunderlichen Bescheid wisse. Da lachte der Herzog und befahl dem Edelknaben, er solle den Bauern hereinführen.
Hans Werner trat herein in den Saal, und wie er die vielen Herrn sah, wollte es ihm doch etwas bange werden. Er drehte verlegen seine Mütze und machte nach allen Seiten unbeholfene Knixe. Doch der Herzog rief ihm fröhlich zu: »Wir haben von Dir gehört, Bäuerlein, daß Du gelehrter seiest denn manche unserer Studenten und Magister zu Tübingen! Da nun hier an Unserer Tafel etliche namhafte Gelehrte versammelt sind, so haben Wir in Gnaden beschlossen, Dich durch dieselben examiniren zu lassen! So Du das Examen wacker bestehest – wer weiß, welcher weiteren Gnaden Wir Dich würdig erachten. Doktor Reuchlin, wollet das Examen beginnen!«
Dr. Reuchlin, der größte Sprachgelehrte jener Zeit, lächelte fein und fragte: »Sag mir, Bauer, in welcher Sprache hat die Schlange im Paradies geredet?«
»O weh!« rief der Herzog, »Bauer, das wird ein schweres Examen!«
Hans Werner aber erwiderte schnell gefaßt: »In der Sprache eines Lügners hat sie geredet, dieweil sie sagte: wenn ihr esset, werdet ihr nicht sterben!«
»Bäuerlein,« lachte der Herzog, »Du bist nicht aufs Maul gefallen!« Er winkte dem Probst Vergenhans und dieser fragte: »Wo hat Noah den ersten Wein gebaut?«
Hans Werner erwiderte: »Nicht bei Reutlingen, denn dort wächst ein Saurer!«
Der Herzog lachte laut und rief: »Hans, für diese Antwort sollst Du hernach Uhlbacher aus Unserem Keller trinken!« Er winkte dem Johannes Stöffler; der war ein großer Astronom und fragte: »Wie stand die Sonne, als Josua ihr gebot in der Amoriterschlacht?«
»Still stand sie!« erwiderte Hans.
Nun kam die Reihe an den Landsmann Stöfflers, den Professor Heinrich Bebel aus Justingen. Der war ein Schalk, und weil dazumal an der Hochschule die Theologen, Juristen und Mediziner noch hoch herabsahen auf einen Lehrer der Beredtsamkeit und Poesie, wie es Bebel war, so hängte er gerne jenen Fakultäten etwas an. Er blinzelte listig und sprach: »Bauer, Du sollst einen schweren Streit schlichten! Zu Pavia in Italien ist an der Hochschule eine Uneinigkeit zwischen den Doktoren des Rechts und denen der Arznei, welche den andern vorgehen sollen? Der Herzog von Mailand hat viel Gelehrte darüber gefragt, aber sie können nicht klug daraus werden. Dieweil Du nun so klug bist, Bauer, sollst Du die Sache schlichten!«
Hans Werner dachte nach, dann sagte er: »Ich mein', ich könnts wohl, aber ich fürchte, es könnte mir übel vermerkt werden!« Denn er hatte wohl gesehen, daß einige der rechtsgelehrten Räthe zu den Worten Bebels keine freundlichen Gesichter gemacht hatten.
»Red' von der Leber weg!« sprach der Herzog, »es soll Dir nichts geschehen!«
»So mein' ich,« sagte Hans, »die Doktoren von der Arznei müßten denen vom Rechte vorangehen; denn es ist gewöhnlich: wenn man Einen hinausführt, so geht der Uebelthäter vor und der Henker hinter ihm!«
Der Herzog drohte vergnügt mit dem Finger: »Hans, Hans! Du hast ein scharfes Maul!« Heinrich Bebel lachte in sich hinein. Philipp Melanchthon aber, der ein gar sanfter Jüngling war, gedachte den spitzigen Reden ein Ende zu machen, und da jetzt die Reihe, zu fragen, an ihn kam, fragte er den Bauern um etliche Sprüche aus dem neuen Testamente. Hans Werner blieb die Antworten nicht schuldig, und die Herren wurden ernsthafter. Da bat der junge Stallmeister Hans von Hutten den Herzog um die Erlaubniß, den Bauern auch etwas zu fragen, und als Ulrich nickte, rief Hutten lustig: »Nun, Alter, wie hoch schätzest Du mich?«
Hans Werner erwiderte: »Zum Höchsten auf siebenundzwanzig Pfennige!«
»Nicht höher?« fragte Hutten.
»Unmöglich!« war des Bauern Antwort. »Christus, der Herr ward um dreißig Pfennige verkauft, so schätz' ich den Kaiser auf neunundzwanzig, herzogliche Gnaden auf achtundzwanzig und Euch, Herr Ritter, dieweil Ihr, wie man sagt, der Nächste um den Herzog seid, noch auf siebenundzwanzig!«
Nun lachten die Herren wieder und der Herzog sprach: »Du hast Dein Examen wohl bestanden, Hans! Wir erwägen, ob Wir Dich nicht sollen zu Unserem geheimen Rathe bestellen? Was meinst Du?«
Hans Werner sagte: »Wollen herzogliche Gnaden mir zuvor verstatten, nun auch eine oder zwei Fragen zu stellen?«
»Nur zu!« lachte der Herzog, »und frag' nur gleich mich selber!«
Da räusperte sich Hans und fragte: »Wie groß ist Gott?«
»Du fragst viel!« erwiderte Ulrich, »so magst Du nur selbst die Antwort geben!«
Hans Werner sprach: »Er ist so groß, wie der Prophet spricht: der Himmel ist mein Sessel und das Erdreich der Schemel meiner Füße! Mit seinen Armen reicht er von einem Weltende zum andern. Nun rathet, herzogliche Gnaden: wie viel Tuch muß er haben zu seinem Rock, wenn er so groß ist?«
»Sag Du mirs, lustiger Rath!« sprach Ulrich, der immer aufgeräumter wurde. Und der Alte sagte mit Betonung: »Er bedarf nicht mehr als ich! Denn er spricht: was ihr einem armen Menschen thut in meinem Namen, das habt ihr mir gethan. Wenn Ihr mir also einen Rock gebt, Herr, so ists unsers Herrgotts Rock!«
Nun schlug der Herzog auf den Tisch und rief in bester Laune: »Das hast Du gut gemacht! Den Rock sollst Du haben aus meiner Kammer, und weils denn unsers Herrgotts Rock ist, so sag' ich Dir zu: so oft Du in diesem Rock vor mich trittst und etwas bittest, was billig ist und sich verträgt mit fürstlicher Ehr' und Gewissen, so sei Dirs gewährt in Gottes Namen!«
Keck gemacht erwiderte der Bauer: »Und dürft ich jetzt schon eine solche Bitte wagen?«
»Und die wäre?«
Hans Werner begann und erzählte von Konrad Pfanders Wildfrevel und von des Klostervogts feindseliger Gesinnung. Er bat, daß dem Konrad nichts anders widerfahren dürfe, als was Recht und Gerechtigkeit sei.
Der Herzog runzelte die Stirne. »Bäuerlein,« sagte er minder freundlich, »das sind keine Sachen zu ruhigem Nachtisch! Das Recht soll Recht bleiben und Wir werden dem Handel nachfragen lassen. Jetzt still damit! Mach daß Du in die Küche kommst, iß und trink, bis Du genug hast. Den Rock wird man Dir dorthin bringen und mein herzoglich Wort soll gelten!«
Hans Werner merkte, daß er jetzt entlassen sei und gut thue, Ulrichs Laune nicht zu lang auf die Probe zu stellen. Er bedankte sich, Gottes Vergeltung wünschend, für des Herzogs Gnade und eilte, dorthin zu kommen, wohin er gewiesen war. Der Uhlbacher fehlte nicht zu dem reichlichen Essen, das er erhielt, und ein Rock ward ihm zum Abschied gereicht, in dem der Klostervogt sich hätte sehen lassen können.
Bis Fellbach wanderte er noch am Sonntag Abend. Dort sprach er einen Vetter um Nachtquartier an und am andern Tag zum Mittagessen war er wieder zu Hause. Die Lisbeth hatte sich nicht geängstigt über sein langes Ausbleiben; sie war ja solche Wanderungen ihres Vaters gewohnt. Aber traurig und verweint sah sie aus und die Nachricht, mit welcher sie den Alten empfing, war: Konrad Pfander sei in letzter Nacht ausgebrochen! Der Vogt wüthe und tobe und habe einen scharfen Wortwechsel mit dem Förster gehabt, weil er diesem vorgeworfen, er habe den Konrad entwischen lassen.
Hans Werner hängte kopfschüttelnd seinen Rock in den Schrank.
Wochen vergingen, von Konrad Pfander verlautete nichts. Die Lisbeth pflegte täglich seine alte Mutter, Hans Werner ging seiner Arbeit nach und las in seiner Bibel. Vor dem Vogt hatten sie Ruhe. Er hatte zwar nach Konrads Entweichen wilde Drohungen auch gegen Hans Werner und seine Tochter vernehmen lassen; doch wenige Tage nachher war der Obervogt von Schorndorf geritten gekommen und hatte mit dem Abt von Lorch eine Unterredung gehabt; sodann war auch der Klostervogt ins Abtshaus beschieden worden. Seitdem war der Vogt wenigstens zahmer, wenn auch sein tückisches Gemüth keine Aenderung erfahren haben mochte.
Nun begann es aber, so um Ostern, im Remsthal zu rumoren. Der arme Mann im ganzen Land, nicht am wenigsten aber in dem dichtbevölkerten wehrhaften Remsthal war schon lange unzufrieden – unzufrieden mit dem Herzog und seiner kostspieligen Hofhaltung, mit der Regierung, noch mehr aber mit der sogenannten Ehrbarkeit, mit den städtischen Obrigkeiten und ihrem reichen angesehenen Anhang. Nun sollte auch noch ein Umgeld auf Fleisch, Wein und Früchte gelegt werden, um dadurch Geld zur Abzahlung der Schulden zu gewinnen, die Herzog Ulrich theils schon von seinen Vorgängern übernommen, theils selber neu gemacht hatte. Zwar sollte zunächst nur mit dem Fleischumgeld Ernst gemacht werden, aber schon das erbitterte den armen Mann zur Genüge, und die Aussicht auf ein Weinumgeld konnten zumal die Remsthäler gar nicht ertragen.
In Beutelspach bestand schon seit zehn Jahren eine Gesellschaft armer lustiger Kameraden; ein Beutelspacher Bürger mit Namen Konrad hatte sie gegründet und sie nannte sich seitdem den »armen Konzen«, sprach scherzweise von ihren Liegenschaften am Bettelrain, am Hungerberg und in der Fehlhalde und trieb sonstige Possen armer aber lustiger Schlucker. Als nun um Ostern 1514 das Fleischumgeld in Kraft treten sollte, ging einer aus dem »armen Konzen«, der Gaispeter, in die Metzig zu Beutelspach, nahm dort die herzoglichen Gewichtsteine weg, rief seine Kameraden zusammen – und mit Trommeln und Pfeifen zogen sie hinab an die Rems. Dort hob der Gaispeter den Pfundstein feierlich in die Höhe, warf ihn in einen tiefen Gumpen und rief: »Haben die Bauern Recht, so fall zu Boden, hat aber der Herzog Recht, so schwimm oben!« Natürlich that der Stein nach seiner Gewohnheit, die Bauern hatten Recht und jubelten.
Als die Heppacher das hörten, machten sie unter Anführung des Schlechtlin Klaus dieselbe Probe und bald war im ganzen untern Remsthal ein Lärmen und Zusammenrotten, überall wollte man zum »armen Konrad« schwören und das Recht der Armen gegen Ehrbarkeit, Regierung und Herzog verfechten. An Waffen hatte es den Remsthälern Bauern noch nie gefehlt.
Der Herzog war schon im Januar außer Lands nach Hessen zum Landgrafen Philipp geritten und über die Fastnacht und Ostern dort geblieben. Erst im Mai kam er zurück, und was seinen Räthen und den ruhliebenden Schorndorfer Bürgern nicht gelungen war, das gelang ihm selber: als er ins Remsthal geritten kam und zwischen Beutelspach und Heppach mit den Aufrührern gütlich redete, da entschuldigten sie sich und versprachen, friedlich nach Hause zu gehen und ihrem Herrn zu allem Willen zu sein. Sie hatten ihn eben doch gern, ihren Herzog. Ulrich dagegen versprach und ließ es darauf im ganzen Lande ausschreiben, daß das Umgeld abgeschafft sein solle.
So schien Ruhe, aber in andern Gegenden des Landes gings erst recht los. In Markgröningen hielt der beliebte Pfarrer Gaißlin trotzige Brandpredigten, im Zabergäu, in Pfaffenhofen, Güglingen, Brackenheim warfen sich beherzte Gesellen zu »armen Konzen« auf, im Weinsbergerthal, im Leonberger Amt und in vielen andern Gegenden gings ähnlich. Selbst in Stuttgart und Tübingen ward der arme Mann schwierig. Als gar vom Zabergäu aus sich das Gerücht verbreitete, es rücken fremde Kriegsvölker ins Land, da gings auch im Remsthal wieder los.
Um diese Zeit zeigte sich Konrad Pfander plötzlich wieder in Lorch. Eines Sonntag Morgens, als die Leute aus der Kirche gingen, stand er auf dem Platz vor der Kirche, mit Brustharnisch, Schwert und Spieß bewehrt, bei ihm einige wilde Gesellen aus Beutelspach. Er stieß seinen Spieß auf den Boden und schrie mehrmals mit mächtiger Stimme: »Hier steht der arm Konrad, und ich bin der arm Konrad, und wer mir geloben will, trete her zu mir!«
Es dauerte auch nicht lange, so hatte sich ein Haufe Unzufriedener um ihn und seine Gesellen zusammengerottet und Konrad schrie: »Auf zum Kloster! Jetzt, Vogt, wollen wir Dir ein Geiglein streichen!«
Einige ältere Männer, darunter Hans Werner, wollten zur Vernunft reden, aber Konrad rief: »Nichts da! Keine Vernunft mehr weder die des armen Konzen! Wenn der sein Recht hat, Hans, dann machen wir Hochzeit in Freuden! Grüß mir die Lisbeth!« Und fort gings, dem Kloster zu.
Aber das Kloster war wohlummauert, die Thore waren geschlossen und aus einigen Lucken schauten Handrohre. Vom Thorthurm aber rief der Förster: »Konrad, dein' Sach wird nur schlimmer! Einlaß wird nicht, so lang ich mich wehren kann!«
Konrad und sein Haufe sahen auch bald ein, daß mit einem Handstreich hier nichts zu machen war, und so zogen sie nach Mittag lärmend thalab, Schorndorf entgegen, wo der Haupthaufe des »armen Konrad« sich sammelte.
Der Stadt Schorndorf hatten sich die Aufrührer indessen so gut wie bemächtigt; sie hatten die Thorschlüssel in Händen und der gemeine Mann in Schorndorf, der die Ehrbarkeit nicht mochte, hatte gemeinschaftliche Sache mit ihnen gemacht. In des Messerschmied Kaspar Bregenzers Haus war die Kanzlei des »armen Konzen« eingerichtet, Georg Gaiser war der Sprecher, Utz Entenmaier der Schreiber.
In Schorndorf wie im ganzen Land machte nun mehr und mehr auch die Ehrbarkeit, in Angst gejagt, gute Miene zum bösen Spiel und halb gemeinschaftliche Sache mit dem »armen Konrad«. Der Herzog blieb fern, er traute nicht mehr. In Kirchheim hielt er sich auf, aber auch in der dortigen Gegend rumorte es, und als Ulrich einmal durch Owen ritt, witzelte ein dortiger Bürger: »wo will er hin? will er Burgvogt zu Schlattstall werden?« – Aber der Herzog und seine Räthe beschleunigten nun den bereits ausgeschriebenen allgemeinen Landtag, zu welchem auch Abgesandte des Kaisers Maximilian erscheinen sollten. Doch brachte es die Ehrbarkeit dahin, daß der gemeine Mann nicht, wie er gehofft hatte, mitlandtagen durfte; vielmehr mußten die Abgeordneten der Dörfer in Stuttgart warten, während der Landtag selbst nach Tübingen verlegt wurde und am 26. Juni dort begann.
Dem greisen Vogt von Tübingen, Konrad Breuning, der schon unter Eberhard im Bart herzoglicher Rath gewesen war, gebührte das Hauptverdienst, daß in Tübingen eine Einigung zwischen dem Herzog und seinem Lande zustande kam, der berühmte Tübinger Vertrag. Aber den Hauptgewinn dabei hatte doch die Ehrbarkeit; der gemeine Mann kam zu kurz und der Aufruhr loderte schon während des Landtags und noch mehr nach Schluß desselben immer heller empor. Der Landtag hatte zum Schluß in der sogenannten »Handhabung« auch noch ein Aufruhrgesetz gemacht und der »arme Konrad« spürte wohl, daß dies hauptsächlich ihn angehe, daß die Ehrbarkeit sich mit der Regierung auf Kosten des gemeinen Manns vertragen habe. Mit den Abgeordneten der Dörfer in Stuttgart wurde gar nicht mehr verhandelt; was in Tübingen beschlossen und vom Kaiser bestätigt war, wurde einfach im Lande verkündigt und neue Huldigung auf den Vertrag gefordert.
Auf dem Engelberg bei Leonberg war jetzt das Hauptlager des »armen Konzen«, von dort gingen Weisungen in die andern Gegenden des Landes; aber am nöthigsten schien es dem Herzog doch, das Remsthal zur Ruhe zu bringen. Die Remsthäler hatten längst ihr Lager auf dem Kappelberg bei Schorndorf; von dort aus wurde mit denen auf dem Engelberg, mit den Urachern und andern verkehrt und verhandelt, von dort aus hielt man Schorndorf und das ganze Amt unter dem Daumen. Hans Vollmar von Beutelspach war der Hauptmann, Bastian Schwarzhans der Waibel und der Kremerjergle der Fähnrich. Auch Konrad Pfander war unter denen, die am meisten galten; doch redete er immer dazu, daß man gegen den Herzog nichts Uebles unternehmen solle – nur die schlechten Vögte und Amtleute, Räthe und Finanzer müssen weg.
Herzog Ulrich wollte mit seinen Remsthälern noch einmal gütlich handeln. Mit einem Gefolge von achtzig Pferden ritt er nach Schorndorf und entbot Stadt und Amt auf den Wasen vor der Stadt. Dort sollte der Tübinger Vertrag verlesen und auf denselben neue Huldigung geleistet werden. Bei siebentausend Mann kamen zusammen, größtentheils wohlbewaffnet. Die Männer aus der Stadt und die aus den Dörfern wurden je besonders gestellt, dann verlas der Landschreiber Lorcher den Vertrag und forderte die Huldigung. Die Städter wollten den Vertrag annehmen, die vom Amt nicht. Sie drängten zu den Schorndorfern hin, drohten und schrieen auf sie ein; der Messerschmid Kaspar Bregenzer und seine zwei Brüder, ferner drei andere Brüder, die man die Faulpelze nannte, waren ganz der Bauern Meinung und hielten wilde Reden. Doch zuletzt einigte man sich dahin, Bedenkzeit zu fordern.
Als der Herzog, der sich bisher in der Stadt gehalten hatte, dies vernahm, kam er herausgeritten. Die wilde Menge bildete einen Ring, und Ulrich, nur von dem Kanzler Dr. Lamparter, dem Erbmarschall von Thumb und dem Stallmeister Hans von Hutten gefolgt, ritt in den Ring. Alles drängte sich herzu, zu vernehmen, was der Herzog reden wollte; ihm am nächsten drängten sich Hans Vollmar, der Hauptmann vom Kappelberg, und mit ihm Schlechtlin Klaus von Heppach, der rothe Ruprecht von Beutelspach, der Kremerjergle, Konrad Pfander und ein wilder wüster Gesell von Schlechtbach, Jakob Dautel genannt. Der letztere war vor Jahresfrist um eines Todtschlags willen Landes verwiesen worden; sein Weib aber hatte einen Fußfall vor dem Herzog gethan und dieser hatte den Mann begnadigt. Trotzdem war er der wildesten Schreier einer und Viele hörten auf ihn, obwohl sie ihn im Grunde verachteten.
Ulrich begann zu reden. Er nannte die Versammelten seine lieben und getreuen Unterthanen, er sprach davon, daß er, wie männiglich bekannt, allzeit freundlich gegen den gemeinen Mann gesinnt gewesen sei; wenn Irrungen und übermäßige Beschwerungen wider seine Absicht vorgekommen seien, so sei er gewillt, sie abzustellen; Zeugniß davon sei der zu Tübingen geschlossene Vertrag; fremde Kriegsvölker habe er nicht ins Land ziehen wollen; daß er viel Geld gebraucht, sei wahr, er habe aber in Krieg und Frieden nicht viel anders gekonnt um des Landes Ehre, Ruhm, Wohlfahrt und Mehrung willen; der Landschaden sei durch den Vertrag abgeschafft und freier Zug solle allen Unterthanen gewährt werden. Wer den Vertrag von Tübingen annehmen wolle, der solle auf der Stelle zu ihm treten, wer nicht wolle, dem werde man drei oder vier Tage Bedenkzeit lassen.
Da ging bei denen, die ferner standen und des Herzogs Worte weniger deutlich vernommen hatten, ein Murmeln und Lärmen an. Etliche hatten falsch verstanden und Veit Bauer von Buch, der dort hinten unter einem Haufen stand, rief: »Da hört ihrs! Wer herzutrete, heißts, der müsse auf der Stelle sein Leben lassen!« Eine wilde Bewegung begann in der Menge. Jakob Dautel rief: »Gute Worte haben wir schon oft erhalten, aber bezahlen mußten wir doch! Das geht nimmer! Des armen Konzen Beutel ist leer!«
Da erhob Konrad Pfander seine Stimme: »Seid klug, Leute! Tretet her zum Herzog! Wann hat er einmal gelogen? Wir wollen ihm huldigen! Aber seine Finanzer soll er wegthun, seine schlechten Räthe, die Vögte, welche den armen Mann schinden –.«
Konrads Worte gingen unter in einem erneuten wilden Geschrei; die Hinteren drängten nach vorn und die Vordersten, darunter Konrad selbst, wurden dicht an des Herzogs Pferd gedrängt. Da merkte der Herzog, daß in Güte nichts mehr zu machen sei, er wollte sein Pferd wenden und aus dem Ring reiten. Aber Schlechtlin Klaus faßte sein Pferd beim Zügel, der rothe Ruprecht schrie einigen Bauern, die mit Handrohren bewaffnet waren, zu: »schießt, schießt, ehe der Schelm entreitet!« – der Kremerjerg griff nach des Herzogs Mantel, der Hauptmann Hans Vollmar suchte abzuwehren, aber Jakob Dautel hob seinen Spieß und stach von hinten nach dem Herzog. Doch da schlug ihm Konrad Pfander den Spieß zur Seite und zugleich traf den Schlechtlin Klaus ein Fausthieb des Stallmeisters Hutten, daß er des Herzogs Zügel freigab; Ulrich gab dem Pferde die Sporen, daß es sich bäumte und die Umstehenden zur Seite wichen – mit Noth entritt er sammt seinen Begleitern dem Ring. Als er an das Thor kam, fand er es verschlossen, der Gaispeter und die drei Faulpelze mit einem Haufen hatten sich desselben bemächtigt und der Herzog mußte wieder umwenden und eiligst Stuttgart zu reiten.
Als Jakob Dautel nach dem Herzog gestochen hatte, hatte dieser sich halb umgewendet und ein flüchtiger Blick aus seinem scharfen grauen Auge hatte den Konrad Pfander gestreift, wie dieser den Spieß zur Seite schlug.
In dem allgemeinen Taumel, in dem sich das Remsthal befand, war Hans Werner einer der Wenigen, die sich den Kopf kühl gehalten hatten. Nicht daß er blind gewesen wäre gegen Unrecht, das dem gemeinen Mann widerfuhr, oder zu furchtsam, sich zu wehren. Er hatte schon lange und schon oft unerschrocken geredet, wo andere sich vor den Mächtigen geduckt und geschwiegen hatten. Und es gehörte gerade jetzt einiger Muth dazu, nicht blindlings mitzulaufen, wohin die Heerde lief. Aber Hans Werner sah tiefer als Andere und weissagte dem Aufruhr kein gutes Ende. »Wenn die Schafe die Zähne weisen wollen,« pflegte er zu sagen, »so hat der Wolf noch schärfere! Macht geht vor Recht – und doppelt, wenn das Recht zum Unrecht Bruder sagt! Und unterm gemeinen Volk sind auch nicht eitel fromme Schafe, es sind auch viel stößige Böcke. Doch in diesem Handel wird man die Böcke nicht säuberlich von den Schafen sondern. Zuletzt wirds heißen: duckt euch und Kopf ab! Mitgefangen, mitgehangen! Geschrieben steht aber: seid gehorsam der Obrigkeit! Nun ist nicht alle Obrigkeit gut, aber sie ist von Gott gesetzt; und wer sie mit Gewalt zwingen will, dem thut schlechte Obrigkeit noch schlimmer als zuvor. Und des alten Hansen Meinung ist: laßt das Rumoren – es macht den Schaden nicht heil!«
So und ähnlich pflegte er zu reden und er sollte Recht behalten. Was von Nachrichten das Thal herauf kam, das lautete so, daß Hans seiner Meinung immer sicherer wurde. Nun erst, nachdem der Herzog bei Schorndorf so gröblich behandelt worden war, zog er fremdes Kriegsvolk ins Land, Reiter von Würzburg, von Baden, von der Pfalz. Tübingen stellte fünfhundert Mann Fußvolk unter Ernst von First, hundert Balinger wurden ihm beigegeben; auch die Stuttgarter und Andere stellten ihre Fähnlein. In und um Waiblingen zog sich die Kriegsmacht zusammen, welche den »armen Konrad« mit Waffengewalt niederwerfen sollte.
In die Klosterleute von Lorch war ein Schreck gefahren seit jenem Tag, da Konrad Pfander sich zum »armen Konzen« aufgeworfen hatte. Der Vogt namentlich war ebenso feig als schlecht und war einmal ganz zahm in Hans Werners Haus gekommen, hatte ihm allerlei gute Wörtlein gegeben und ihn gebeten, mit andern ruhigen Leuten zu helfen, daß ihm und dem Kloster vom »armen Konrad« kein Leid geschehe. Hans Werner hatte nicht ohne Spott erwidert: er sei ein arm alt Bäuerlein, und wenn der gestrenge Herr Vogt sich selbst nicht zu rathen wisse, so wisse er ihm nicht zu helfen; doch was in seiner Macht stehe, wolle er thun, wenn der Vogt seine Lisbeth mit Frieden lasse. Worauf der Vogt hoch und heilig betheuerte, daß er nie Unehrbares gegen dieselbe im Sinne gehabt.
Bald kam die Nachricht, daß der »arme Konrad« unterhandle. Zwar hatten die Aufrührer Schorndorf vollends ganz in ihre Gewalt gebracht, Rath und Gericht abgesetzt, und als die zu Schorndorf neugewählten Hauptleute zur Annahme des Vertrags riethen, war der wilde Haufe unter Anführung von Hans Vollmar abermals auf den Kappelberg gezogen. Aber als sich die Kriegsmacht bei Waiblingen immer bedrohlicher vermehrte, da wars doch Vielen nicht mehr geheuer. Utz Entenmaier, der Schreiber des »armen Konrad«, der aber gleich einem Hauptmann geachtet wurde, war der Erste, der unterhandelte und sich in Sicherheit brachte. Bald thaten andere ihm nach.
Als man dies in Lorch erfahren hatte, trat die Lisbeth im Sonntagsstaat vor ihren Vater und sagte: »Vater, ich will auf den Kappelberg und dem Konrad sagen, daß auch er von den Aufrührern scheide!«
Hans Werner erwiderte: »Kennst Du den Konrad so schlecht? Was der begonnen hat, von dem weicht er nicht. Er hat sich geschworen, drum geht er nicht über.«
Das Mädchen erwiderte kein Wort, sie that ihren Sonntagsschmuck wieder in den Kasten. Aber am Abend sagte sie unter Thränen: »Vater, das wird des Konrads Tod!«
»Weißt Du's gewiß?« antwortete der Alte. »Gott mag durch viel oder wenig helfen!«
In diesen Tagen trugen sie auch Konrads Mutter zu Grabe. Sie war noch mit Hoffnung gestorben, denn sie hatte noch die Nachricht vernommen, daß der »arme Konrad« auseinandergehe, nachdem des Herzogs Hofmeister den Aufrührern freies Geleite und ordentliches Gericht verheißen habe.
Aber Konrad kam nicht nach Hause, und als Hans Werner mit seiner Tochter von der Beerdigung der alten Pfanderin heimkam, erzählte ein Flüchtiger, der von Schorndorf kam: Ernst von First sei mit den Kriegsknechten in Schorndorf eingerückt, den Bauernhauptmann Hans Vollmar habe man schon vorher in Beutelspach gefangen genommen, des Messerschmied Bregenzers Haus in Schorndorf, wo die Kanzlei des »armen Konrad« gewesen, habe man dem Erdboden gleich gemacht und das Kriegsvolk hause übel. Viele haben auf dashin ihr Heil in der Flucht gesucht, andere – bei dreitausendvierhundert Remsthäler seien auf dem Wasen bei Schorndorf ungewaffnet zum Gerichtstag erschienen, ihrer Sechzehnhundert seien in Anklage versetzt, Gefängniß, Thürme, das Rathhaus zu Schorndorf seien voll von Gefangenen, daß diese kaum Raum zum Stehen haben. Sechsundvierzig der Vornehmsten vom »armen Konrad« aber seien in schwere Ketten geschlagen, unter ihnen auch Konrad Pfander. Morgen werde die Landschaft über sie das Urtheil sprechen.
Die Lisbeth warf sich auf einen Stuhl und fing an zu jammern. Hans Werner aber sagte: »Die größte Noth, am nächsten Gott! – Aufrecht, Mädle! – Jetzt ists Zeit. Morgen gehen wir auch nach Schorndorf!«
Die halbe Nacht saß er über seiner Bibel, am frühen Morgen hieß er die Lisbeth ihren Sonntagsstaat anthun, er selbst aber holte den Rock aus dem Schrank, den der Herzog ihm hatte reichen lassen und den er seither niemals getragen hatte.
Die Lorcher gafften und hielten den alten Hans für verrückt, als er in solch hoffärtigem Gewand, die Lisbeth im Sonntagsrock ihm zur Seite, die Straße nach Schorndorf einschlug. –
Es war ein glühend heißer Augusttag. Auf dem Wasen bei Schorndorf, der Rems entlang, waren all die Aufrührer aufgestellt, von Kriegsvolk bewacht. Schranken für das Gericht waren aufgeschlagen. Die Sonne stieg höher und brannte heißer, vor Hunger und Durst wollten manche verschmachten, doch war verboten an das Wasser hinunter zu gehen; ein Weib aus dem Siechenhause brachte Gölten und Eimer – in wildem Gedränge stürzten sich die Aermsten auf dieselben, um einen Tropfen Wasser zu gewinnen. Bei vielen war aller Trotz gewichen, stumpf blickten sie vor sich hin oder jammerten gar; auch unter den gefesselten Anführern gabs klägliche Gesichter. Konrad Pfander stand aufrecht und trotzig in seinen Ketten, an einen Weidenstamm gelehnt.
Endlich, es war schon Mittag, kam Herzog Ulrich geritten mit den Gesandten von Pfalz, Würzburg, Baden, Straßburg, mit Räthen und Dienern. Die Abgeordneten der Landschaft waren schon am Platze.
Doch nicht der Herzog selbst hielt das Gericht, sondern die Landschaft. Sie hatte beschlossen, peinlich gegen die Aufrührer zu verfahren und das Aufruhrgesetz des Tübinger Vertrags aus sie anzuwenden. Den Stab des Gerichts hielt Hans Gaisberg, der Vogt von Stuttgart, Ankläger war der alte Vogt von Tübingen, Konrad Breuning, der Fürsprecher der Angeklagten war Georg Gaisberg, Vogt von Schorndorf. Die Untersuchung war schon vorher in Schorndorf geführt, Geständnisse waren abgelegt worden. Hier handelte es sich nur um das Urtheil. Das Gericht trat in die Schranken.
Kaum konnten Kläger und Fürsprecher ihre Reden beenden, denn immer mehr erhob sich jammervolles Rufen unter den Angeklagten und zumal fiel die ganze Menge der Ungefesselten auf die Kniee, sie riefen um Gnade und der Vogt von Schorndorf erklärte, daß sie alle bekennen, sich schwer verschuldet zu haben, daß sie nicht weiter rechten und sich verantworten, sondern einer gnädigen Strafe sich ergeben wollen. Ein Schweigen entstand in der knieenden Menge. Da rief aus der Reihe der Gefesselten, die allein aufrecht standen, Konrad Pfander mit lauter Stimme: »Ists das, was ihr geschworen habt, ihr feigen Wichte? Haben wir nicht alle zusammen gelobt, mit einander zu sterben oder zu genesen? Worin wir Recht gehabt haben, des wollen wir Antwort stehen; haben wir Unrecht gethan, so bieten wir unsere Hälse!«
Aber nur um so lauter erhob sich das Rufen der verzagten Menge. Und es ward ihnen nach ihrem Wunsch; Entwaffnung und Geldbußen waren ihre Strafe. Auf die Frage, ob sie sichs willig wollen gefallen lassen, erhüben Alle die Schwurfinger und riefen Ja!
Nun wurden die Sechsundvierzig in Abtheitungen vorgeführt. Der Herzog ritt hart an die Schranken des Gerichts, um ihre Verantwortung zu hören. Zuerst wurden vorgeführt Hans Vollmar, der Hauptmann vom Kappelberg, Bastian Schwarzhans, der Waibel, und der Kremerjergle, der Fähnrich. Nach kurzer Verhandlung lautete das Urtheil zum Tode, und daß es an ihnen, als den Obersten des Aufruhrs, sofort solle vollstreckt werden.
Der Scharfrichter mit seinen Gesellen trat vor die Schranken – nach einer grausigen Viertelstunde waren die Dreie auf dem Platze enthauptet.
Acht andere wurden vorgeführt: Veit Bauer von Buch, der rothe Ruprecht, Schlechtlin Klaus, (der Gaispeter war entronnen) – die drei Brüder Bregenzer, Jakob Dautel von Schlechtbach, der nach dem Herzog mit dem Spieß gestochen; als achter und letzter Konrad Pfander.
Wiederum ward einem um den andern der Tod zuerkannt; bei Jakob Dautel wurde noch hinzugefügt, daß sein Kopf in Schorndorf auf den Spieß gesteckt werden solle. Nun kam die Reihe an Konrad Pfander.
Todesbleich aber aufrecht und festen Schrittes trat er vor seine Richter. Er leugnete nicht, was ihm an aufrührerischem Thun zur Last gelegt wurde, aber er rief: »Hab ich zu Hochverrath gehandelt an meinem Herzog, so will ichs dulden, daß mein Haupt falle wie das meiner Gesellen. Aber ich bitte um Recht gegen diejenigen, so dazu getrieben haben, vorab und in meiner Sache gegen den Klostervogt von Lorch!«
Herzog Ulrich, dessen Stirne während der Verhandlungen immer düsterer geworden war, wurde aufmerksam und neigte sich auf dem Sattel vorwärts, als er das letzte Wort Konrad Pfanders vernommen hatte. Er winkte den Richtern und wollte etwas reden. Doch da drängte sich plötzlich durch die Pferde seiner Umgebung hindurch ein Mann mit grobem Angesicht und weißem Haar, aber in feinem Rock, an der Hand ein schönes Mädchen im bäuerischen Sonntagsstaate und mit verweinten Augen. Beide fielen vor des Herzogs Pferd auf die Kniee und der Alte rief: »Hier knie' ich, Herr Herzog, in Eurem und unseres Herrgotts Rock und bitte um Gnade für Konrad Pfander von Lorch!«
Der Herzog sah mit erstauntem und unwilligem Blick auf den Knieenden und Konrad Pfander starrte weitoffenen Auges auf seine Lisbeth und ihren Vater.
»Was willst Du? wer bist Du?« frug der Herzog.
»Hans Werner heiß ich,« erwiderte der Alte, »herzogliche Gnaden kennen mich wohl! Mit dem Rock, den ich trage, haben mich Euer fürstliche Gnaden selbst bekleidet und bei Ihrem fürstlichen Wort verheißen, daß mir werden solle in Gottes Namen, was ich in diesem Rock bitte, denn es sei unsers Herrgotts Rock, der da spricht: was ihr einem armen Menschen gethan habt, das habt ihr mir gethan!«
Ulrich runzelte die Stirne.
»Ich erkenn' Dich,« sprach er langsam, »und was ich in gnädiger Gesinnung, ob auch bei fröhlichem Mahl verheißen, das soll bestehen. Aber ich weiß' auch, daß ich gesagt: ich woll' Deine Bitte gewähren, so sie billig und nicht gegen fürstlich Ehr' und Gewissen sei. Dort aber steht ein Aufrührer und Verbrecher gegen fürstliche und göttliche Ordnung, seine Gesellen haben ihr Urtheil – sag mir, Du kluger Bauer, wie soll ihm Gnade werden, der seine Missethat selber gesteht?«
Hans Werner schwieg. Seine Tochter aber hob flehend ihre Hände und rief: »Gnade, Gnade!«
»Wer bist Du?« frug Ulrich und sah nicht unfreundlich auf das Mädchen nieder. Lisbeth erröthete und schwieg.
Ein halbes Lächeln zog um des Herzogs Mund; doch schnell verfinsterte sich sein Gesicht wieder und er sprach: »Es sind wohl viel Bräute und Weiber, die hier Fürsprach einlegen möchten. Wir müssen alle hören oder keine!«
Da neigte sich Hans von Hutten, der Stallmeister, welcher dem Herzog zunächst hielt, zu seinem Herrn vom Pferde herüber und sprach leise einige Worte. Ulrich faßte Konrad Pfander scharf ins Auge.
»Bist Du etwa der,« rief er ihm zu, »welcher jenes Böswichts Spieß weggeschlagen hat,« – er deutete auf Jakob Dautel von Schlechtbach – »als Wir damals hier in eurem Ringe hielten?«
»Ich bins!« sagte Konrad Pfander kurz.
»Du bists, ich erkenn Dich!« antwortete Ulrich und zu Hans Werner gewendet fuhr er fort: »Wir achten Deine Bitte für billig und mit fürstlicher Ehre und Gewissen verträglich, denn dieser Aufrührer dort hat Uns das Leben gerettet – so wärs billig zu achten, daß auch Wir ihm das seine retten. Doch nicht der Herzog richtet hier, sondern die Landschaft!«
Eine Pause entstand, ein erwartungsvolles Schweigen. Der Herzog sah zu den Richtern hinüber, Hans Werner und seine Tochter knieten noch immer, über Konrad Pfanders Leib ging ein Schütteln, daß seine Ketten klirrten. Konrad Breuning, der Vogt von Tübingen, hatte schon lange mit Theilnahme den hochgewachsenen Burschen, dazwischen den Alten und das Mädchen betrachtet. Nun sprach er rasch einige Worte mit dem Vogt von Stuttgart und mit dessen Bruder, dem Vogt von Schorndorf, dem Fürsprecher. Dann begann der Vogt von Stuttgart als Stabhalter: »Wenn herzogliche Gnaden sich etliche der Missethäter vom Gericht der Landschaft ausbitten wollen, daß der Herzog selbst sie bestrafe, unbeschadet ihres Leibes und Lebens, so vermag das Gericht dem nicht zuwider zu sein, sofern es mit Recht und Billigkeit ergehen mag!«
»So gebt mir den Burschen, den Konzen der Konzen!« rief der Herzog, »ich will mit ihm handeln, wie billig ist!« Und zu Hans Werner und seiner Tochter, die freudig aufsprang, sprach er: »Ich bin kein Tyrann, das sagt meinen Unterthanen im Remsthal! Und Du, Bauer in unsers Herrgotts Rock, sollst mir bezeugen, daß mein gegebenes Wort gilt in Gottes Namen!«
Konrad Pfander wurde der Ketten entledigt und ihm aufgegeben, sich in Stuttgart dem Herzog zur gnädigen Strafe zu stellen. Die sieben Andern wurden enthauptet.
* * *
Das Gericht über den »armen Konrad« wurde in Stuttgart fortgesetzt; noch Mehrere wurden enthauptet, andere Landes verwiesen, mit Ruthen gestrichen, gebrandmarkt oder mit andern Strafen belegt. Am glimpflichsten kamen diejenigen weg, welche gleich Konrad Pfander dem Herzog zur Bestrafung übergeben worden waren.
Als Konrad Pfander seiner Strafe gewärtig vor dem Herzog stand, forderte ihn dieser, des Strafens und Richtens müde, nicht ungnädig auf, sich selbst seine Strafe zu wählen. Konrad fand nicht gleich eine Antwort und der Herzog fuhr fort: »Mir däucht, Du hast Dir schon lebenslängliches Gefängniß erwählt – Du möchtest doch heiraten, nicht wahr?«
Konrad bejahte und der Herzog sagte: »So geh und nimm solch Gefängniß über Dich! – Zwar«, fügte er lächelnd bei, »Dein hübscher Schatz wird Dirs nicht allzu schwer machen!«
Ulrich konnte auch in bösen Tagen noch scherzen. Der Scherz freilich, den er auf diese Weise mit Konrad Pfander trieb, kam aus keinem lustigen Herzen; denn für den Herzog war seine Ehe mit Sabina von Bayern allerdings Kette und Gefängniß, man möchte sagen: seines Lebens Unglück! Kurze Zeit darnach erstach er, wie bekannt, seinen Stallmeister Hans von Hutten als einen »Judas« – aus Ursachen, die heute noch nicht ganz aufgehellt sind. Wie dann Sabina mit Dietrich Späth, dem Vogt von Urach, entfloh, wie sie und die Verwandten Huttens den schwäbischen Bund, Kaiser und Reich gegen Ulrich aufhetzten, wie seine Räthe ihn verriethen, wie er zwar die Aufhebung der ausgesprochenen Reichsacht ertrotzte, wie er aber, nachdem er Reutlingen überrumpelt hatte, abermals der Acht verfiel und am Ende Landes verjagt wurde – auch das ist jedem Wirtemberger bekannt.
Dem Konrad Pfander dagegen schlug seine Ehe mit der Elisabeth Werner zu stetigem Glücke aus. Der alte Hans erlebte noch eine Reihe von Enkeln; der Klostervogt kam bald darauf wegen Veruntreuung mit Schimpf und Schand vom Amte.
Als zwanzig Jahre nach dem Schorndorfer Gerichtstag der Herzog Ulrich sein Land wieder eroberte, als seine Unterthanen, der österreichischen Herrschaft bis zum Ekel satt, ihn mit Freuden wieder aufnahmen – da war unter den Landeskindern, welche dem Heere Ulrichs zuliefen, auch der älteste Sohn Konrad Pfanders, von seinem Vater gesandt. Er focht mit in der Schlacht bei Lauffen und zog mit seinem Herzog in Stuttgart ein. Nachmals heiratete er eines Bürgers Tochter von Waiblingen und ließ sich in dieser Stadt nieder, wo ein bis auf diesen Tag blühendes Geschlecht von ihm stammen soll.