Frank Wedekind
Der Marquis von Keith
Frank Wedekind

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Vierter Aufzug

Im Gartensaal der Gräfin Werdenfels liegen mehrere riesige Lorbeerkränze auf den Lehnsesseln; ein pompöser Blumenstrauß steht in einer Vase auf dem Tisch. Anna Gräfin Werdenfels in schmucker Morgentoilette befindet sich im Gespräch mit Polizeikommissär Raspe und Hermann Casimir. Es ist Vormittag.

Anna ein Blatt farbiges Briefpapier in der Hand, zu Hermann Ihnen, mein junger Freund, danke ich für die schönen Verse, die Sie gestern abend nach unserem ersten Feenpalastkonzert noch auf mich gedichtet haben. Ich danke Ihnen auch für Ihre herrlichen Blumen. Zu Raspe Von Ihnen, mein Herr, finde ich es aber höchst sonderbar, daß Sie mir gerade am heutigen Morgen diese bedenklichen Gerüchte über Ihren Freund und Wohltäter hinterbringen.

Raspe Der Marquis von Keith ist weder mein Freund noch mein Wohltäter. Vor zwei Jahren bat ich ihn, in meinem Prozeß als psychiatrischer Experte über mich auszusagen. Er hätte mir anderthalb Jahre Gefängnis ersparen können. Statt dessen brennt der Windhund mit einem fünfzehnjährigen Backfisch nach Amerika durch!

Simba in geschmackvollem Dienstbotenkleid kommt vom Vorplatz herein und überreicht Anna eine Karte.

Simba Der Herr möchten um die Ehr' bitten.

Anna zu Hermann Um Gottes willen, Ihr Vater!

Hermann erschrocken, auf Raspe blickend Wie kann denn mein Vater ahnen, daß ich hier bei Ihnen bin!

Raspe Durch mich hat er nichts erfahren.

Anna hebt die Portiere zum Spielzimmer Gehen Sie da hinein. Ich werde ihn schon weiterschicken.

Hermann ins Spielzimmer ab.

Raspe Dann ist es wohl am besten, wenn ich mich gleichfalls empfehle.

Anna Ja, ich bitte Sie darum.

Raspe sich verbeugend Meine Gnädigste! Ab.

Anna zu Simba Bitten Sie den Herrn, einzutreten.

Simba geleitet den Konsul Casimir herein, der einem ihm folgenden Lakaien einen Blumenstrauß abgenommen hat; Simba ab.

Konsul Casimir seine Blumen überreichend Gestatten Sie mir, meine Gnädigste, Ihnen zu Ihrem gestrigen Triumph aufrichtig zu gratulieren. Ihr erstmaliges Auftreten hat Ihnen ganz München im Sturm erobert; Sie können aber auf keinen Ihrer Zuhörer einen nachhaltigeren Eindruck gemacht haben als wie auf mich.

Anna Wäre das auch der Fall, so müßte es mich doch ungemein überraschen, daß Sie mir das persönlich mitteilen.

Casimir Haben Sie eine Sekunde Zeit? – Es handelt sich um eine rein praktische Frage.

Anna lädt ihn zum Sitzen ein Sie befinden sich doch wohl auf falscher Fährte.

Casimir nachdem beide Platz genommen Das werden wir gleich sehen. – Ich wollte Sie fragen, ob Sie meine Frau werden wollen.

Anna – Wie soll ich das verstehen?

Casimir Deswegen bin ich hier, damit wir uns darüber verständigen können. Erlauben Sie mir, Ihnen von vornherein zu erklären, daß Sie auf die verlockende künstlerische Zukunft, die sich Ihnen gestern abend erschlossen, natürlich verzichten müßten.

Anna Sie haben sich Ihren Schritt doch wohl nicht reiflich überlegt.

Casimir In meinen Jahren, meine Gnädigste, tut man keinen unüberlegten Schritt. Später ja – oder früher. Wollen Sie mich wissen lassen, was sich bei Ihnen sonst noch für Bedenken geltend machen.

Anna Sie wissen doch wohl, daß ich Ihnen auf solche Äußerungen gar nicht antworten kann?

Casimir Gewiß weiß ich das. Ich spreche aber für den naheliegenden Fall, daß Sie in vollkommenster Freiheit über sich und Ihre Zukunft entscheiden dürfen.

Anna Ich kann mir in diesem Augenblick die Möglichkeit gar nicht vorstellen, daß ein solcher Fall eintritt.

Casimir Ich bin heute der angesehenste Mann Münchens, sehen Sie, und kann morgen hinter Schloß und Riegel sitzen. Ich verdenke es meinem besten Freunde nicht, wenn er sich gelegentlich fragt, wie er sich bei einem solchen Schicksalsschlag mit mir stellen soll.

Anna Würden Sie es auch Ihrer Gattin nicht verdenken, wenn sie sich mit der Frage beschäftigt?

Casimir Meiner Gattin gewiß; meiner Geliebten niemals. Ich möchte jetzt auch gar keine Antwort von Ihnen hören. Ich spreche nur für den Fall, daß Sie im Stich gelassen werden oder daß sich Tatsachen ergeben, die jede Verbindlichkeit lösen; kurz und gut, daß Sie nicht wissen, wo aus noch ein.

Anna Dann wollten Sie mich zu Ihrer Frau machen?

Casimir Das muß Ihnen allerdings beinahe verrückt erscheinen; das gereicht Ihrer Bescheidenheit zur Ehre. Aber darüber ist man nur sich selbst Rechenschaft schuldig. Ich habe, wie Sie vielleicht wissen, noch zwei kleine Kinder zu Hause, Mädchen im Alter von drei und sechs Jahren. Dann kommen, wie Sie sich wohl denken können, noch andere Gründe hinzu... Was Sie betrifft, daß Sie mich in meinen Erwartungen nicht enttäuschen werden, dafür übernehme ich jede Verantwortung – auch Ihnen gegenüber.

Anna Ich bewundere Ihr Selbstvertrauen.

Casimir Sie können sich vollkommen auf mich verlassen.

Anna Aber nach einem Erfolg wie gestern abend! – Es schien, als wäre ein ganz neuer Geist über das Münchner Publikum gekommen.

Casimir Glauben Sie mir, daß ich den Begründer des Feenpalastes aufrichtig um seinen feinen Spürsinn beneide. Übrigens muß ich Ihnen mein Kompliment noch ganz speziell zur Wahl Ihrer gestrigen Konzerttoilette aussprechen. Sie entfalten eine so vornehme Sicherheit darin, Ihre Figur wirkungsvoll zur Geltung zu bringen, daß es mir – ich gestehe es – kaum möglich wurde, Ihrem Gesangsvortrag mit der ihm gebührenden Aufmerksamkeit zu folgen.

Anna Glauben Sie bitte nicht, daß ich den Applaus, den meine künstlerischen Leistungen ernteten, irgendwie überschätze.

Casimir Das würde ich Ihnen durchaus nicht verdenken; aber Ihre Lehrerin sagt mir, daß ein Erfolg wie der Ihrige von gestern abend schon viele Menschen ins Unglück gestürzt hat. Dann vergessen Sie bitte eines nicht: Was wäre die gefeiertste Sängerin auf der Bühne, wenn es der reiche Mann nicht für seine moralische Pflicht hielte, sie sich à fonds perdu anzuhören. Mag die Gage in einzelnen Fällen noch so glänzend sein, in Wirklichkeit bleiben es doch immer nur Almosen, von denen diese Leute leben.

Anna Ich war ganz starr über die günstige Aufnahme, die jede Nummer beim Publikum fand.

Casimir sich erhebend Bis auf die unglückliche Symphonie dieses Herrn Zamrjaki. Übrigens zweifle ich gar nicht daran, daß wir mit der Zeit auch dazu kommen werden, den Lärm, den dieser Herr Zamrjaki verursacht, als eine göttliche Kunstoffenbarung zu verehren. Lassen wir also der Welt ihren Lauf, hoffen wir das Beste und seien wir auf das Schlimmste gefaßt. – Gestatten, gnädige Frau, daß ich mich empfehle. Ab.

Anna faßt sich mit beiden Händen an die Schläfen, geht zum Spielzimmer, lüftet die Portiere und tritt zurück.

Anna Nicht einmal die Türe geschlossen!

Hermann Casimir tritt aus dem Spielzimmer.

Hermann Hätte ich mir jemals träumen lassen, daß man ein solches Erlebnis erleben kann!

Anna Gehen Sie jetzt, damit Ihr Vater Sie zu Hause findet.

Hermann bemerkt das zweite Bukett Die Blumen sind von ihm? – Ich scheine das also geerbt zu haben. – Nur läßt er es sich nicht so viel kosten wie ich.

Anna Woher nehmen Sie denn auch das Geld zu so wahnsinnigen Ausgaben!

Hermann bedeutungsvoll Vom Marquis von Keith.

Anna Ich bitte Sie, gehen Sie jetzt! Sie sind übernächtig. Sie haben gestern wohl noch lang gekneipt?

Hermann Ich habe geholfen, dem Komponisten Zamrjaki das Leben zu retten.

Anna Halten Sie das für eine Ihrer würdige Beschäftigung?

Hermann Was habe ich Besseres zu tun!

Anna Es ist gewiß schön von Ihnen, wenn Sie ein Herz für unglückliche Menschen haben; aber Sie dürfen sich nicht mit ihnen an den gleichen Tisch setzen. Das Unglück steckt an.

Hermann bedeutungsvoll Dasselbe sagt mir der Marquis von Keith.

Anna Gehen Sie jetzt! Ich bitte Sie darum.

Simba kommt vom Vorplatz herein und überbringt eine Karte.

Simba Der Herr möcht' um die Ehre bitten.

Anna die Karte lesend »Vertreter der süddeutschen Konzertagentur« – Er soll in vierzehn Tagen wiederkommen.

Simba ab.

Hermann Was werden Sie meinem Vater antworten?

Anna Jetzt ist es aber die höchste Zeit! Sie werden ungezogen!

Hermann Ich gehe nach London – und wenn ich mir das Geld dazu stehlen muß. Mein Vater soll sich nicht mehr über mich zu beklagen haben.

Anna Das wird Ihnen selbst am meisten nützen.

Hermann beklommen Das bin ich meinen beiden kleinen Geschwistern schuldig. Ab.

Anna besinnt sich einen Moment, dann ruft sie Kathi!

Simba kommt aus dem Speisesaal.

Simba Gnädige Frau? –

Anna Ich will mich anziehen.

Es läutet auf dem Korridor.

Simba Sofort, gnädige Frau. Geht, um zu öffnen.

Anna geht ins Spielzimmer ab. – Gleich darauf läßt Simba Ernst Scholz eintreten; er geht auf einen eleganten Krückstock gestützt, auf steifem Knie hinkend, und trägt einen großen Blumenstrauß.

Ernst Scholz Ich fand noch gar keine Gelegenheit, mein liebes Kind, dir für dein taktvolles, feinfühliges Benehmen neulich abend an dem Gartenfest zu danken.

Simba formell Wünschen der Herr Baron, daß ich Sie der gnädigen Frau melde?


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