Frank Wedekind
Der Marquis von Keith
Frank Wedekind

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v. Keith In den Garten, meine Damen und Herren! In den Garten, wenn Sie etwas sehen wollen! Eine zweite Rakete steigt auf, während die Gäste den Salon verlassen. – v. Keith, der ihnen folgen will, wird von Anna zurückgehalten. – Die Szene bleibt dunkel.

Anna Wie kommst du denn dazu, meine Mitwirkung bei deinem Feenpalastkonzert anzukündigen?!

v. Keith Wenn du darauf warten willst, daß dich deine Lehrerin für die Öffentlichkeit reif erklärt, dann kannst du, ohne je gesungen zu haben, alt und grau werden. – Wirft sich in einen Sessel Endlich, endlich hat das halsbrecherische Seiltanzen ein Ende! Zehn Jahre mußte ich meine Kräfte damit vergeuden, um nur das Gleichgewicht nicht zu verlieren. – Von heute ab geht es aufwärts!

Anna Woher soll ich denn die Unverfrorenheit nehmen, mit meiner Singerei vor das Münchner Publikum zu treten?!

v. Keith Wolltest du denn nicht in zwei Jahren die erste Wagnersängerin Deutschlands sein?

Anna Das sagte ich doch im Scherz.

v. Keith Das kann ich doch nicht wissen!

Anna Andere Konzerte werden Monate vorher vorbereitet!

v. Keith Ich habe in meinem Leben nicht tausend Entbehrungen auf mich genommen, um mich nach andern Menschen zu richten. Wem deine Singerei nicht gefällt, der berauscht sich an deiner brillanten Pariser Konzert-Toilette.

Anna Wenn mich die andern Menschen nur auch mit deinen Augen betrachten wollten!

v. Keith Ich werde dem Publikum schon die richtige Brille aufsetzen!

Anna Du siehst und hörst Phantasiegebilde, sobald du mich vor Augen hast. Du überschätzest meine Erscheinung geradeso, wie du meine Kunst überschätzest.

v. Keith aufspringend Ich stand noch kaum je im Verdacht, Frauen zu überschätzen, aber dich erkannte ich allerdings auf den ersten Blick! Was Wunder, da ich zehn Jahre lang in zwei verschiedenen Weltteilen nach dir gesucht hatte! Du warst mir auch schon mehrere Male begegnet, aber dann befandest du dich entweder im Besitz eines Banditen, wie ich es bin, oder ich war so reduziert, daß es keinen praktischen Zweck gehabt hätte, in deinen Lichtkreis zu treten.

Anna Wenn du aus Liebe zu mir den Verstand verlierst, ist das für mich ein Grund, den Spott von ganz München auf mich zu laden?

v. Keith Andere Frauen haben um meinetwillen noch ganz andere Dinge auf sich geladen!

Anna Ich bin aber nicht in dich vernarrt!

v. Keith Das sagt jede! Ergib dich in dein unabwendbares Glück. Die nötige Unbefangenheit für dein erstes Auftreten werde ich dir schon einflößen – und wenn ich dich mit dem geladenen Revolver vor mir hertreiben muß!

Anna Wenn du mich wie ein Stück Vieh behandelst, dann ist es bald zwischen uns zu Ende!

v. Keith Setz dein Vertrauen getrost in die Tatsache, daß ich ein Mensch bin, der das Leben verteufelt ernst nimmt! Wenn ich mich gern in Champagner bade, so kann ich dafür auch wie kein anderer Mensch auf jeden Lebensgenuß verzichten. Keine drei Tage ist mir aber mein Dasein erträglich, ohne daß ich derweil meinen Zielen um einen Schritt näherkomme!

Anna Es ist wohl auch die höchste Zeit, daß du endlich deine Ziele erreichst!

v. Keith Glaubst du denn, Anna, ich veranstalte das Feenpalastkonzert, wenn ich nicht die unverbrüchliche Gewißheit hätte, daß es dir den glänzendsten Triumph einträgt?! – Laß dir eines sagen: Ich bin ein gläubiger Mensch...

Im Garten steigt zischend eine Rakete empor.

v. Keith ... Ich glaube an nichts so zuversichtlich wie daran, daß sich unsere Mühen und Aufopferungen in dieser Welt belohnen!

Anna Das muß man wohl, um sich so abzuhetzen, wie du das tust!

v. Keith Wenn nicht an uns, dann an unsern Kindern!

Anna Du hast ja noch gar keine!

v. Keith Die schenkst du mir, Anna – Kinder mit meinem Verstand, mit strotzend gesundem Körper und aristokratischen Händen. Dafür baue ich dir ein königliches Heim, wie es einer Frau deines Schlages zukommt! Und ich gebe dir einen Gatten zur Seite, der die Allmacht hat, dir jeden Wunsch, der aus deinen großen schwarzen Augen spricht, zu erfüllen! Er küßt sie inbrünstig. Im Garten wird ein Feuerwerk abgebrannt, das das Paar für einen Moment mit dunkelroter Glut übergießt.

v. Keith – – Geh in den Garten. Die Karyatiden lechzen jetzt danach, vor unserem Götterbilde die Knie beugen zu dürfen!

Anna Kommst du nicht auch?

v. Keith dreht zwei der elektrischen Lampen auf, so daß der Salon matt erhellt ist Ich schreibe nur rasch noch eine Zeitungsnotiz über unser Konzert. Die Notiz muß morgen früh in den Zeitungen stehen. Ich gratuliere dir darin schon im voraus zu deinem eminenten Triumph.

Anna in den Garten ab, v. Keith setzt sich an den Tisch und notiert einige Worte. – Molly Griesinger, einen bunten Schal um den Kopf, eilt aufgeregt und verhetzt vom Vorplatz herein.

Molly Ich muß dich nur eine Minute sprechen.

v. Keith So lang' du willst, mein Kind; du störst mich durchaus nicht. Ich sagte dir doch, du werdest es allein zu Hause nicht aushalten.

Molly Ich flehe zum Himmel, daß ein furchtbares Unglück über uns hereinbricht! Das ist das einzige, was uns noch retten kann!

v. Keith Aber warum begleitest du mich denn nicht, wenn ich dich darum bitte!?

Molly zusammenschaudernd In deine Gesellschaft?!

v. Keith Die Gesellschaft in diesen Räumen ist das Geschäft, von dem wir beide leben! Aber das ist dir unerträglich, daß ich mit meinen Gedanken hier bin und nicht bei dir.

Molly Kann dich das wundern?! – Sieh, wenn du unter diesen Leuten bist, dann bist du ein ganz anderer Mensch; dann bist du jemand, den ich nie gekannt habe, den ich nie geliebt habe, dem ich nie in meinem Leben einen Schritt nachgegangen wäre, geschweige denn, daß ich ihm Heim, Familie, Glück und alles geopfert hätte. Du bist so gut, so groß, so lieb! – Aber unter diesen Menschen – da bist du für mich – schlimmer als tot!

v. Keith Geh nach Hause und mach ein wenig Toilette; Sascha begleitet dich. Du darfst heute abend nicht allein sein.

Molly Mir ist es gerade danach zumute, mich aufzudonnern. Dein Treiben ängstigt mich ja, als müßte morgen die Welt untergehen. Ich habe das Gefühl, als müßte ich irgend etwas tun, sei es, was es sei, um das Entsetzliche von uns abzuwenden.

v. Keith Ich beziehe seit gestern ein Jahresgehalt von hunderttausend Mark. Du brauchst nicht mehr zu fürchten, daß wir Hungers sterben müssen.

Molly Spotte nicht so! Du versündigst dich an mir! Ich bringe es ja gar nicht über die Lippen, was ich fürchte!

v. Keith Dann sag mir doch nur, was ich tun kann, um dich zu beruhigen. Es geschieht augenblicklich.

Molly Komm mit mir! Komm mit aus dieser Mördergrube, wo es alle nur darauf abgesehen haben, dich zugrunde zu richten. Ich habe den Leuten gegenüber auf dich geschimpft, das ist wahr; aber ich tat es, weil ich deine kindische Verblendung nicht mehr mit ansehen konnte. Du bist ja so dumm. Du bist so dumm wie die Nacht! Ja, das bist du! Von den gemeinsten, niedrigsten Gaunern läßt du dich übertölpeln und dir geduldig den Hals abschneiden!

v. Keith Es ist besser, mein Kind, Unrecht leiden als Unrecht tun.

Molly Ja, wenn du es wenigstens wüßtest! – Aber die hüten sich wohl, dir die Augen zu öffnen. Diese Menschen schmeicheln dir, du seist weiß Gott welch ein Wunder an Pfiffigkeit und an Diplomatie! Weil deine Eitelkeit auf nichts Höheres ausgeht, als das zu sein! Und dabei legen sie dir gemächlich kaltblütig den Strick um den Hals!

v. Keith Was fürchtest du denn so Schreckliches?

Molly wimmernd Ich kann es nicht sagen! Ich kann es nicht aussprechen!

v. Keith Sprich es doch bitte aus; dann lachst du darüber.

Molly Ich fürchte... ich fürchte... Ein dumpfer Knall tönt vom Garten herein; Molly schreit auf und bricht in die Knie.

v. Keith sie aufrichtend Das war der große Mörser. – – Du mußt dich beruhigen! – Komm, trink ein paar Gläser Champagner; dann sehen wir uns zusammen das Feuerwerk an...

Molly Mich brennt das Feuerwerk seit vierzehn Tagen in meinen Eingeweiden! – Du warst in Paris! – Mit wem warst du in Paris! – Ich schwöre dir hoch und heilig, ich will nie um dich gezittert haben, ich will nie etwas gelitten haben, wenn du jetzt mit mir kommst!

v. Keith küßt sie Armes Geschöpf!

Molly – Ein Almosen. – Ja, ja, ich gehe ja schon...

v. Keith Du bleibst hier; was fällt dir ein! – Trockne deine Tränen! Es kommt jemand aus dem Garten herauf...

Molly fällt ihm leidenschaftlich um den Hals und küßt ihn ab – Du Lieber! – Du Großer! – Du Guter! – Sie macht sich los, lächelnd Ich wollte dich nur gerade heute einmal in deiner Gesellschaft sehen. Du weißt ja, ich bin zuweilen so ein wenig... Sie dreht die Faust vor der Stirn.

v. Keith will sie zurückhalten Du bleibst hier, Mädchen...

Molly stürzt durch die Vorplatztür hinaus. Scholz kommt hinkend, sich das Knie haltend, durch die Glastür aus dem Garten herein.

Scholz sehr vergnügt Erschrick bitte nicht! – Lösch das Licht aus, damit man mich von draußen nicht sieht. Es hat niemand aus deiner Gesellschaft etwas davon gemerkt. Er schleppt sich zu einem Sessel, in dem er sich niederläßt.

v. Keith Was ist denn mit dir?

Scholz Lösch nur erst das Licht aus. – Es hat gar nichts auf sich. Der große Mörser ist explodiert! Ein Stück davon hat mich an die Kniescheibe getroffen!

v. Keith hat die Lampen ausgedreht; die Szene ist dunkel Das kann nur dir passieren!

Scholz in beseligtem Ton Die Schmerzen beginnen ja schon nachzulassen. – Glaub mir, ich bin ja das glücklichste Geschöpf unter Gottes Sonne! Zu der Radpartie mit der Gräfin Werdenfels werde ich morgen früh mich allerdings nicht einfinden können. Aber was macht das! Jubelnd Ich habe die bösen Geister niedergekämpft; das Glück liegt vor mir; ich gehöre dem Leben! Von heute an bin ich ein anderer Mensch...

Eine Rakete steigt im Garten empor und übergießt Scholzens Gesichtszüge mit düsterroter Glut.

v. Keith Weiß der Henker – ich hätte dich eben tatsächlich kaum wiedererkannt!

Scholz springt vom Sessel auf und hüpft auf einem Fuße, indem er das andere Knie mit den Händen festhält, jauchzend im Zimmer umher Zehn Jahre lang hielt ich mich für einen Geächteten! Für einen Ausgestoßenen! Wenn ich jetzt denke, daß das alles nur Einbildung war! Alles nur Einbildung! Nichts als Einbildung!


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