Frank Wedekind
Der Marquis von Keith
Frank Wedekind

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Zweiter Aufzug

Im Arbeitszimmer des Marquis von Keith ist der mittlere Tisch zum Frühstück gedeckt: Champagner und eine große Schüssel Austern. Der Marquis von Keith sitzt auf dem Schreibtisch und hält den linken Fuß auf einen Schemel, während ihm Sascha, der vor ihm kniet, mit einem Knopfhaken die Stiefel zuknöpft. Ernst Scholz steht hinter dem Diwan und versucht sich auf einer Gitarre, die er von der Wand genommen.

v. Keith Wann bist du denn heute morgen in dein Hotel zurückgekommen?

Scholz mit verklärtem Lächeln Um zehn Uhr.

v. Keith Tat ich also nicht recht daran, dich mit diesem entzückenden Geschöpf allein zu lassen?

Scholz selig lächelnd Nach den Gesprächen von gestern abend über Kunst und moderne Literatur frage ich mich, ob ich bei diesem Mädchen nicht in die Schule gehen soll. Um so mehr wunderte es mich, daß sie dich noch darum bat, an dem Gartenfest, mit dem du München in Erstaunen setzen willst, deine Gäste bedienen zu dürfen.

v. Keith Sie rechnet sich das ganz einfach zur Ehre an! Übrigens hat das noch Zeit mit dem Gartenfest. Ich fahre morgen auf einige Tage nach Paris.

Scholz Das kommt mir aber höchst ungelegen.

v. Keith Komm doch mit. Ich will eine meiner Künstlerinnen vor der Marquesi singen lassen, bevor sie hier öffentlich auftritt.

Scholz Soll ich mir jetzt die Seelenqualen wieder vergegenwärtigen, die ich seinerzeit in Paris durchgekostet habe?!

v. Keith Würde dir denn das Erlebnis dieser Nacht nicht darüber hinweghelfen?! – Dann halte dich während meiner Abwesenheit an den Kunstmaler Saranieff. Er wird ja heute wohl irgendwo vor uns auftauchen.

Scholz Von diesem Saranieff erzählte mir das Mädchen, sein Atelier sei eine Schreckenskammer, voll der entsetzlichsten Greuel, die die Menschheit je verübt hat. Und dann plauderte sie im hellsten Entzücken von ihrer Kindheit, wie sie in Tirol den ganzen Sommer durch in den Kirschbäumen gesessen und im Winter abends bis in die Dunkelheit mit den Dorfkindern Schlitten gefahren sei. Wie kann es sich dieses Mädchen nur so zur Ehre anrechnen, bei dir als Aufwärterin figurieren zu dürfen!

v. Keith Das Geschöpf rechnet sich das zur Ehre an, weil es dabei Gelegenheit findet, die unbegrenzte Verachtung zu bekämpfen, mit der sie von der gesamten bürgerlichen Gesellschaft behandelt wird.

Scholz Aber was rechtfertigt denn diese Verachtung! Wieviel hundert weibliche Existenzen gehen in den besten Gesellschaftskreisen daran zugrunde, daß der Strom des Lebens versiegt, wie er hier aus seinen Ufern tritt! – Einer Sünde, wie es die seelenmörderische Zwietracht war, in der meine Eltern zwanzig Jahre beieinander aushielten, macht sich dieses Mädchen doch in seinem seligsten Glück nicht schuldig!

v. Keith Was ist Sünde!!

Scholz Darüber war ich mir gestern noch völlig klar. Heute kann ich dafür ohne Beklommenheit aussprechen, was tausend und tausend gutsituierte Menschen wie ich empfunden haben: Das verfehlte Leben blickt mit bitterem Neid auf das verlorene Geschöpf!

v. Keith Das Glück dieser Geschöpfe wäre so verachtet nicht, wenn es nicht das denkbar schlechteste Geschäft wäre. Sünde ist eine mythologische Bezeichnung für schlechte Geschäfte. Gute Geschäfte lassen sich nun einmal nur innerhalb der bestehenden Gesellschaftsordnung machen! Das weiß niemand besser als ich. Ich, der Marquis von Keith, von dem ganz München spricht, stehe heute bei meinem europäischen Ruf noch ebenso außerhalb der Gesellschaft wie dieses Geschöpf. Das ist auch der einzige Grund, weshalb ich das Gartenfest gebe. Ich bedaure ungemein, daß ich die Kleine nicht unter meinen Gästen empfangen kann. Um so geschmackvoller wird sie sich dafür unter meiner Bedienung ausnehmen.

Sascha hat sich erhoben Befehlen der Herr Baron einen Wagen?

v. Keith Ja.

Sascha ab.

v. Keith sich in den Stiefeln feststampfend Du hast gelesen, daß sich gestern die Feenpalastgesellschaft konstituiert hat?

Scholz Ich habe von gestern auf heute natürlich keine Zeitung in die Hand bekommen. Beide nehmen am Frühstückstisch Platz.

v. Keith Das ganze Unternehmen ruht auf einem Bierbrauer, einem Baumeister und einem Restaurateur. Das sind die Karyatiden, die den Giebel des Tempels tragen.

Scholz Ein entzückender Mensch ist übrigens dein Freund, der Kriminalbeamte Raspe.

v. Keith Er ist ein Schurke; ich liebe ihn aber aus einem anderen Grunde.

Scholz Er erzählte mir, er sei ursprünglich Theologe gewesen, habe aber durch zu vieles Studieren seinen Glauben verloren und ihn dann auf dem Wege wiederzufinden gesucht, auf dem der verlorene Sohn seinen Glauben wiederfand.

v. Keith Er sank immer tiefer und tiefer, bis ihn schließlich die hohe Staatsanwaltschaft in ihren Armen auffing und ihm seinen verlorenen Glauben durch einen zweijährigen Aufenthalt hinter Schloß und Riegel zurückerstattete.

Scholz Das Mädchen konnte es absolut nicht fassen, daß ich bis heute noch nicht radfahren gelernt habe. Daß ich in Asien und Afrika nicht radgefahren sei, meinte sie, sei sehr vernünftig gewesen wegen der wilden Tiere. In Italien hätte ich denn aber doch damit anfangen können!

v. Keith Ich warne dich noch einmal, lieber Freund, sei nicht zu offenherzig! Die Wahrheit ist unser kostbarstes Lebensgut, und man kann nicht sparsam genug damit umgehen.

Scholz Deshalb hast du dir wohl auch den Namen Marquis von Keith beigelegt?

v. Keith Ich heiße mit demselben Recht Marquis von Keith, mit dem du Ernst Scholz heißt. Ich bin der Adoptivsohn des Lord Keith, der im Jahre 1863...

Sascha tritt vom Vorplatz ein, anmeldend Herr Professor Saranieff!

Saranieff tritt ein, in schwarzem Gehrock mit etwas zu langen Ärmeln, hellen, etwas zu kurzen Beinkleidern, grobem Schuhwerk, knallroten Handschuhen; das halblange, straffe, schwarze Haar gerade abgeschnitten; vor den verheißungsvollen Augen trägt er an schwarzem Bande ein Pincenez à la Murillo; ausdrucksvolles Profil, kleiner spanischer Schnurrbart. Den Zylinder gibt er nach der Begrüßung an Sascha.

Saranieff Ich wünsche Ihnen von Herzen Glück, mein lieber Freund. Endlich sind die Taue gekappt, und der Ballon kann steigen!

v. Keith Meine Kommanditäre erwarten mich; ich kann Sie kaum mehr zum Frühstück einladen.

Saranieff sich an den Tisch setzend Ich erlasse Ihnen die Einladung

v. Keith Noch ein Kuvert, Sascha!

Sascha hat den Hut auf dem Vorplatz aufgehängt und geht ins Wohnzimmer ab.

Saranieff Mich wundert nur, daß man den Namen des großen Casimir nicht mit unter den Mitgliedern des Feenpalast-Konsortiums liest.

v. Keith Weil ich nicht auf das Verdienst verzichten will, selber der Schöpfer meines Werkes zu sein. Vorstellend Herr Kunstmaler Saranieff – Graf Trautenau.

Saranieff zieht ein Glas und einen Teller heran und bedient sich, zu Scholz Sie, Herr Graf, kenne ich schon in- und auswendig. Zu v. Keith Simba war eben bei mir; sie sitzt mir gegenwärtig zu einem Böcklin.

v. Keith zu Scholz Der Böcklin war nämlich selbst ein großer Maler. Zu Saranieff Sie brauchten mit solchen Streichen nicht noch zu prahlen!

Saranieff Machen Sie mich berühmt, dann habe ich diese Streiche nicht mehr nötig! Ich bezahle Ihnen dreißig Prozent auf Lebenszeit. Zamrjakis Verstand wackelt schon wie ein morscher Zaunpfahl, weil er durchaus auf ehrlichem Wege unsterblich werden will.

v. Keith Mir ist es um seine Musik zu tun. Dem richtigen Komponisten ist sein Verstand nur ein Hindernis.

Scholz Um unsterblich werden zu wollen, muß man doch wohl schon ganz außergewöhnlich lebenslustig sein.

Saranieff zu Scholz Sie hat mir unsere Simba übrigens als einen hochinteressanten Menschen geschildert.

Scholz Das glaube ich, daß ihr solche Sauertöpfe wie ich nicht jeden Tag in den Weg laufen.

Saranieff Sie hat Sie den Symbolisten zugeteilt. Zu v. Keith Und dann schwärmte sie von einer bevorstehenden Feenpalast-Gründungsfeier mit eminentem Feuerwerk.

v. Keith Mit Feuerwerk blendet man keinen Hund, aber der vernünftigste Mensch fühlt sich beleidigt, wenn man ihm keines vormacht. Ich fahre übrigens vorher noch auf einige Tage nach Paris.

Saranieff Man will wohl Ihre Ansichten über ein deutsch-französisches Schutz-und-Trutz-Bündnis hören?

v. Keith Aber sprechen Sie nicht davon!

Scholz Ich wußte gar nicht, daß du dich auch in der Politik betätigst!

Saranieff Wissen Sie vielleicht irgend etwas, worin sich der Marquis von Keith nicht betätigt?

v. Keith Ich will mir nicht vorwerfen lassen, daß ich mich um meine Zeit nicht gekümmert habe!

Scholz Hat man denn nicht genug mit sich selbst zu tun, wenn man das Leben ernst nimmt?

Saranieff Sie nehmen es allerdings verteufelt ernst! Am Fuße der Pyramiden, in dem Dorfe Gizeh, soll Ihnen die Wäscherin einen Hemdkragen verwechselt haben?

Scholz Sie scheinen wirklich schon ganz gut über mich unterrichtet zu sein. Wollen Sie mir nicht erlauben, daß ich Sie einmal in Ihrem Atelier besuche?

Saranieff Wenn es Ihnen recht ist, trinken wir jetzt gleich unseren Kaffee bei mir. Sie finden dann auch Ihre Simba noch dort.

Scholz Simba? – Simba? – Sie reden immer von Simba. Das Mädchen sagte mir doch, daß sie Kathi hieße!

Saranieff Von Natur heißt sie Kathi; aber der Marquis von Keith hat sie Simba getauft.

Scholz zu v. Keith Das bezieht sich wohl auf ihre wundervollen roten Haare?

v. Keith Darüber kann ich dir mit dem besten Willen keine Auskunft geben.

Saranieff Sie hat es sich auf meinem persischen Diwan bequem gemacht und schläft vorläufig noch ihren Katzenjammer von gestern aus.

Molly Griesinger kommt aus dem Wohnzimmer und legt Saranieff ein Kuvert vor.

Saranieff Heißen Dank, gnädige Frau; Sie sehen, ich habe schon alles aufgegessen. Verzeihen Sie, daß ich noch nicht Gelegenheit nahm, Ihnen die Hand zu küssen.

Molly Sparen Sie Ihre Komplimente doch für würdigere Gelegenheiten! Es läutet auf dem Korridor; Molly geht, um zu öffnen.

v. Keith sieht nach der Uhr und erhebt sich Sie müssen mich entschuldigen, meine Herren. Ruft Sascha!

Saranieff wischt sich den Mund Bitte, wir fahren natürlich mit. Er und Scholz erheben sich.

Sascha kommt mit der Garderobe aus dem Wartezimmer und hilft v. Keith und Scholz in den Paletot.

Scholz zu v. Keith Warum sagst du mir denn gar nicht, daß du verheiratet bist?

v. Keith Laß mich dir deine Krawatte in Ordnung bringen. Er tut es Du mußt etwas mehr Sorgfalt auf dein Äußeres verwenden.

Molly kommt mit Hermann Casimir vom Vorplatz zurück.

Molly Der junge Casimir bittet um die Ehre.

v. Keith zu Hermann Haben Sie gestern meine Grüße ausgerichtet?

Hermann Die Frau Gräfin wartete selbst auf Geld von Ihnen!

v. Keith Warten Sie einen Augenblick auf mich. Ich bin gleich zurück. Zu Scholz und Saranieff Ist es Ihnen recht, meine Herren?

Saranieff Sascha seinen Hut abnehmend Mit Ihnen durch dick und dünn!

Sascha Der Wagen wartet, Herr Baron.

v. Keith Setz dich zum Kutscher!

Scholz, Saranieff, v. Keith und Sascha ab.


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